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Carmen Liebing

WENN ES DUNKEL WIRD IM MÄRCHENWALD: DER FROSCHKÖNIG

 

© 2017 Carmen Liebing

© 2017 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamourbooks.com

info@plaisirdamourbooks.com

© Covergestaltung: Mia Schulte

© Coverfotos: Shutterstock.com

ISBN Taschenbuch Gesamtausgabe:

978-3-86495-285-2

ISBN eBook Gesamtausgabe:

978-3-86495-342-2

ISBN eBook:

978-3-86495-345-3

 

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

 

Inhalt

 

Kapitel 1: Es war einmal …

Kapitel 2: Märchen gibt es nicht

Kapitel 3: Zu schön, um wahr zu sein

Kapitel 4: Ein erster Knacks

Kapitel 5: Der Ruf der Lust

Kapitel 6: Ein Schlachtplan

Kapitel 7: Burg oder Hütte

Kapitel 8: Was ist schon ein Königreich?

Autorin

 

Kapitel 1: Es war einmal …

 

… ein schüchterner Knabe, der in einer Ecke eifrig dabei war, ein Kleid um den Körper der Puppe zu drapieren, die er gerade aus dem weggeworfenen Lehm des Meisters geformt hatte. Niemand hatte ihn je sprechen hören, keiner schenkte ihm Beachtung. Er war lediglich eines von unzähligen unehelichen Kindern, die der große Künstler gezeugt hatte. Nur wenige von ihnen durften im Umfeld seines Schaffens verbleiben. Weil er nicht sprach und niemals Aufmerksamkeit erregte, war ihm das Privileg anheimgefallen, im geheimsten Raum kleine Helferdienste leisten zu dürfen. Dort, wo sein Vater sich in den Künsten der Alchemie versuchte. Der Junge konnte ja nichts erzählen.

So erfuhr auch niemand von dem Wunder, dass ihm nur wenige Tage später widerfuhr. Seine Lehmpuppe drohte auszutrocknen und zu Staub zu zerfallen. Deshalb schöpfte er heimlich aus dem Kessel, der ständig über dem Feuer hing, etwas Wasser und benetzte damit den rissig gewordenen Körper. Die Oberfläche der Puppe glättete sich sofort und bekam außerdem einen rosigen Ton, fast wie echte Haut. Er fuhr mit seinen nassen Händen über das Stroh, aus dem er ihr Haare gemacht hatte, und es verwandelte sich in seidenweiche, goldene Locken. Als er über das Gesichtchen strich, wurden ihre Lippen rosa, und plötzlich bewegte sie die Augenlider über den blauen Glasperlen, die er sich als Augen für sie erbettelt hatte. Der Knabe hatte nur eine Erklärung dafür: Sein Meister und Vater hatte das Elixier des Lebens entdeckt und es noch gar nicht bemerkt.

Er presste die Puppe an seine Brust und wollte loslaufen, um sie zu ihm zu bringen, da hustete sie. Gleich darauf hörte er ein dünnes Stimmchen: »Ich weiß, was du vorhast! Tu es nicht! Dein Vater ist ein Scharlatan, er hat keine Ahnung von wahrer Magie, wie sie in dir lebt. Nicht sein Wässerchen hat mich zum Leben erweckt, sondern dein Wille und deine Hingabe an das, was du tust. Wenn er davon erfährt, wird er mich beim Versuch herauszufinden, warum es mich gibt, zerstören. Dich wird er foltern lassen oder gar töten. Denn er kann keinen anderen neben sich dulden.«

Der Junge sank zurück in seine Ecke und wusste, dass sie die Wahrheit sprach. »Was meinst du mit Magie, die in mir ist? Ich habe noch nie etwas Magisches vollbracht.« Der Ton seiner Stimme hallte von den Wänden wider, sodass er glaubte, alle Welt könnte ihn sprechen hören. Erschrocken legte er sich die Hand auf den Mund.

Die Puppe lächelte ihn an. »Siehst du, wenn du etwas wirklich willst, dann kannst du es. Magie steckt in allen Dingen, doch die Menschen wollen sie nicht sehen. Sie glauben lieber an Hexen, Zauberer und, wie dein Vater, an dieses Zeug, das sie Wissenschaft nennen.«

»Ich verstecke dich! Keiner darf je erfahren, dass es dich gibt. Aber ich bin froh, nicht mehr ganz so allein zu sein!«

Und so tat er es auch lange Jahre. Er bewahrte das Geheimnis vor seinem Vater und der Welt. Als er heranwuchs, geschah es jedoch, dass ihm die Puppe zu kindlich wurde. Es sah seltsam aus, wenn er als junger Mann ein Spielzeug mit sich trug. Immer öfter ließ er sie deshalb in seiner Kammer zurück, und dann kam der Tag, an dem er sie in einer Kiste verstaute. Es ereignete sich nach einem Abend, an dem er seinen Vater und dessen Gesellen in ein Gasthaus begleiten durfte, wo laut und heftig gefeiert wurde. Der Wein benebelte seinen Verstand, und die Dirne, die sich auf seinen Schoß setzte, weckte ganz neue Gefühle in ihm. Als er wieder in seiner Kammer stand, noch immer das Pochen in seinen Lenden spürend, widerte ihn die blonde Puppe an. Er war ein Mann, er brauchte sie nicht mehr.

Es wurde jedoch nicht jeden Tag gefeiert, und er merkte schnell, dass er selbst keine Frau umgarnen konnte. In der Gefolgschaft seines Vaters war er bei den Dirnen gern gesehen, aber ohne ihn verspotteten sie den stummen Burschen bloß. Er hatte auch kein Geld, um für ihre Dienste zu bezahlen. So kam es, dass er eines Tages die Puppe aus der Kiste nahm und sie, versteckt unter seiner Jacke, in den geheimen Raum schmuggelte. Wie immer beachtete ihn kaum jemand, und als alle gingen, stellte er sich schlafend. Sie weckten ihn nicht auf, sondern verließen das Zimmer mit gemeinen Witzen über ihn. Er zog der Puppe das Kleid aus und legte sie in den Lehmbottich.

»Was machst du?«, ertönte ihr dünnes Stimmchen. »Du darfst die Magie nicht für deine niederen Zwecke missbrauchen. Das geht nicht gut aus!«

Doch er hörte nicht auf ihre Mahnung. Langsam knetete er ihren Körper unter die Lehmmasse und formte dann eine neue, lebensgroße Figur. Er schuf sich eine Frau, wie er sie gesehen, erlebt und sich seitdem gewünscht hatte.

Doch sie wollte einfach nicht erwachen. Stunde um Stunde saß er da, redete mit der leblosen Lehmfigur, aber sie blieb stumm und regungslos. Er brachte sie, bevor die Sonne aufging und er entdeckt werden würde, in seine Kammer. Dort legte er sich mit ihr auf sein schmales Bett, zog die Decke über sie und flüsterte verzweifelt: »Ich hätte dich zu einer Prinzessin gemacht!«, dann schlief er ein.

Er erwachte, weil er heftig gerüttelt wurde. »Steh auf, Bursche! Du wagst es, dich neben mich zu legen, als wärst du mein Gatte? Ich sollte dich köpfen lassen! Geh und besorg mir Kleider und etwas zu essen und zu trinken. Was ist das überhaupt für ein schäbiges Kämmerlein? Bin ich nicht deine Prinzessin und habe Besseres verdient? Nun mach schon!«

Für einige Minuten konnte er sie nur völlig gebannt ansehen. Sie war wunderschön mit ihren goldenen Haaren, den blauen Augen und den rosa Lippen. Von ihrem Körper konnte er nichts sehen, da sie die Decke um sich geschlungen hatte. Er beeilte sich, ihre Wünsche zu erfüllen, stahl ein Kleid aus der Wäschekammer und Speisen aus der Küche. Sie nahm es mit Herablassung im Blick an und wies ihm einen Platz zu ihren Füßen zu.

Nachdem er ihr fasziniert dabei zugesehen hatte, wie sie alles restlos und allein vertilgte, wagte er es, eine Frage zu stellen. »Du siehst aus wie sie, aber du bist es nicht. Was habe ich falsch gemacht?«

Sie hob eine Augenbraue und gab ihm eine schnippische Antwort. »Ich habe dich gewarnt! Du hast die Magie beschmutzt, sie kam nicht von einem reinen Herzen. Nun sieh zu, wie du damit zurechtkommst!«

Da wusste der Junge, dass er Hilfe brauchte. Klammheimlich suchte er den Rat einer weisen Kräuterfrau, von der die Menschen wisperten, sie wäre eine Hexe. Sie hörte sich seine Geschichte an und lächelte dann verstehend. »Es gibt nur einen Weg für dich. Du musst die Prinzessin dazu bringen, dass sie dich für würdig erachtet, ihr Bett mit ihr zu teilen. Finde ihr Herz und schenk ihr deines dafür, nur so könnt ihr gemeinsam glücklich werden. Die Liebe wird die Magie reinigen!«

Es stimmte den Jungen traurig und er wollte verzagen. »Meine Lebenszeit auf Erden wird nicht ausreichen, zu ihr durchzudringen, fürchte ich!«

Zu seinem Erschrecken nickte die Hexe und reichte ihm einen Trank. »Dann muss ich dir mehrere Leben geben. Es soll in jeder Generation ein junger Mann geboren werden, der deine Erinnerung und deine Magie in sich trägt. Er wird es nicht wissen, es sei denn, er vollbringt die Aufgabe. Ich stelle dir meinen Diener Heinrich zur Seite, der über dich wachen wird. Erst wenn du mit deiner Prinzessin in Liebe vereint bist, soll mein Zauber brechen.«

 

Kapitel 2: Märchen gibt es nicht

 

Max packte seine Bücher aus und besah kritisch den staubigen, wackligen Tisch in der kleinen Hütte, die er für die Zeit seines Aufenthaltes bewohnen würde. Bevor er sich häuslich einrichten konnte, war wohl erst putzen angesagt. Er blickte sich suchend in dem vernachlässigten Räumchen um, konnte aber beim besten Willen nichts dafür Geeignetes entdecken. Der einzige Stofffetzen lag auf der schmalen Pritsche und erschien ihm nicht gerade vertrauenerweckend. Da hing ganz bestimmt genau dieselbe Menge an jahrelang angesammeltem Staub darin wie auf jeder anderen Oberfläche. Zu dumm, dass er bei der Einführung in seinen neuen Nebenjob nicht in das Innere des windschiefen Bretterhäuschens geschaut hatte.

Dann hätte er gewusst, dass er hier erst mal klar Schiff machen müsste. Er öffnete die Tür zum Bad, um einen Blick zu riskieren, und atmete erleichtert auf. Man hatte ihm gesagt, dass das Häuschen noch renoviert wurde, und auch wenn man es eher als Nasszelle bezeichnen konnte, das Bad war nagelneu. Anscheinend waren sie bisher nur nicht weitergekommen. Seufzend steckte Max seine Bücher zurück in den Rucksack, angelte sich den großen, rostigen Schlüsselbund von der mit Spinnennetzen überzogenen Wand und machte sich auf den Weg zu seiner ersten Runde.

Die hintere Ecke des Freizeitparks würde in den nächsten vier Wochen sein Zuhause sein.