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Alle Charaktere, Schauplätze und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind unbeabsichtigt.

© Querverlag GmbH, Berlin 2014

Erste Auflage September 2014

Lektorat: Dennis Lorenz

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schrift­liche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und grafische Realisierung von Sergio Vitale unter Verwendung einer Fotografie von Shutterstock (©CURA photography).

ISBN 978-3-89656-567-9

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Querverlag GmbH

Akazienstraße 25, 10823 Berlin

www.querverlag.de

Für Markus

Pfingstrosen im März

„Pfingstrosen im März?“ Der Maestro verdrehte die Augen. „Du bekommst keine Pfingstrosen im März. Bekanntlich heißen sie so, weil sie um Pfingsten herum blühen. Sonst würde man sie wohl Osterrosen nennen.“

„So ein Quatsch. Du kriegst alles, was du willst, wenn du nur genug dafür bezahlst. Das nennt man Kapitalismus.“ Nils verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann kommen die Blumen eben aus Afrika oder aus dem Treibhaus in Holland. Mir doch egal. Ich heirate nicht ohne Pfingstrosen! Aber ich sehe schon – ich bin dir das wohl nicht wert.“

„Warum müssen es unbedingt Pfingstrosen sein?“ Nils’ Verlobter schlug einen sanfteren Ton an. „Wie wäre es mit weißen Rosen …“

„Wie kitschig!“

„Oder Orchideen?“

„Geht’s noch?“, giftete Nils. „Am Ende schlägst du noch Nelken vor. Oder Lilien wie auf einer Beerdigung. Du liebst mich eben nicht!“

Ich verfolgte ihren Streit wie ein Tennismatch. Da ich gerade in der Küche stand und mir einen Imbiss zubereitete, hätte ich dazu auch ein paar Radieschen knabbern können, aber ich verhielt mich mucksmäuschenstill, um nicht in ihre Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. Gebannt fragte ich mich, wie der Maestro auf den ultimativen Tiefschlag seines Lebensgefährten reagieren würde.

„Du weißt ja nicht mal, wie Pfingstrosen aussehen“, erwiderte der Münchener Star-Friseur gelassen. Eins zu null für ihn.

„Das … das … Also, das ist wirklich eine Frechheit. Andy, sag doch auch mal was dazu“, forderte Nils mich auf. „Immerhin bist du mein Trauzeuge!“

Normalerweise war dieser Satz mein Stichwort für einen raschen Abgang. Ich hob abwehrend die Hände. „Halt mich da bitte raus.“ Nils mochte mir zwar grundsätzlich näher stehen, aber ich war auch Gast in der Villa des Maestros.

Nils stolzierte aus der Küche. Wahrscheinlich würde er heimlich Bilder von Pfingstrosen googeln und den Streit später fortsetzen. Oder sich doch für Orchideen entscheiden und behaupten, sie seien schon immer seine erste Wahl gewesen.

Der Maestro seufzte und rieb sich die Schläfen. Seine schwarzen, glänzenden Locken, die sein Markenzeichen waren, fielen ihm auf die Schultern und verliehen ihm ein jugendliches Aussehen, aber um die Augen und Mundwinkel herum hatten sich tiefe Falten eingegraben. Er war Mitte fünfzig, fünfundzwanzig Jahre älter als sein Partner und seit seinem jüngsten Seitensprung in der Position des moralisch Schwächeren.

„Das ist nur die ganz normale Nervosität vor der Hochzeit“, sagte ich zu ihm, nahm den Teller mit meinem Sandwich und den Radieschen und zog mich ins Gästezimmer zurück. Wir wussten beide, dass das nicht stimmte.

Vorsichtig setzte ich mich in den weißen Eames-Lounge-Chair und biss in mein Schwarzbrot mit Käse und Schinken, bemüht, dabei nicht auf den cremefarbenen Flokati zu krümeln. Alles in diesem Haus war in Weiß oder Gold gehalten, was es einem Normalsterblichen wie mir nicht einfach machte, hier zu leben. Ständig hatte ich das Gefühl, meine Hände waschen zu müssen, um keine fettigen Fingerabdrücke zu hinterlassen, und außerhalb der Küche zu essen, stellte eine echte Herausforderung dar. Ich traute mich mittlerweile schon nicht mehr, auf meinem Zimmer etwas anderes als Wasser zu trinken, um keine verräterischen Kaffee- oder Rotweinflecken zu hinterlassen.

Die Villa des Maestros in Grünwald stammte aus den Siebzigern und hatte einmal als Kulisse in einer Folge von Derrick gedient. Meine Mutter hatte schon immer für den Münchener Oberinspektor mit der sonoren Stimme geschwärmt und früher, als die Serie noch lief, keine Folge ausgelassen. Als Kind saß ich an den Freitagabenden häufig mit ihr und meinem Vater vor dem Fernseher. Wir knabberten Salzstangen, tranken Fanta und rätselten, wer der Mörder sein könnte. Damals war unser Verhältnis noch unbelastet, auch wenn sich schon die ersten dunklen Wolken über unserer Familie zusammenbrauten.

Vor acht Jahren, als er den Maestro gerade kennengelernt hatte und wir an einem Wochenende das Haus hüteten, zeigte mir Nils ein altes Video mit der Folge, die damit begann, dass die Putzfrau eine unbekannte, tote Schönheit auf dem Flokati im Wohnzimmer fand. Flokatis waren auch damals schwer in Mode.

„Es kommt eben alles wieder“, würde meine Mutter dazu sagen, die auch noch ihre Garderobe aus den Achtzigern im Kleiderschrank hortet.

Den Flokati aus der Serie hätte man allerdings nicht aufbewahren müssen, denn das Blut, selbst das Filmblut, wäre unmöglich zu entfernen gewesen. Natürlich überführte der korrekte Derrick bis zum Ende der Folge den Mörder, der sich als ein enger Freund des Hausherrn entpuppte und ein bekannter Pianist war. Nils behauptete, der Mann sei bisexuell und habe außerdem ein Verhältnis mit seinem Freund, denn der Besitzer der Villa trug einen seidenen Morgenmantel und ein Halstuch mit Paisleymuster, was in seinen Augen „so was von schwul“ war. In den Siebzigern war das vermutlich der letzte Schrei.

Im Wohnzimmer stand immer noch ein Klavier, an derselben Stelle wie im Film. Vielleicht war es sogar dasselbe Klavier. Da sowohl Nils als auch der Maestro vollkommen unmusikalisch waren, spielte heute niemand mehr darauf, nicht einmal ein Mörder. Es diente lediglich als Stellfläche für ungefähr drei Dutzend Silberrahmen mit Fotos, auf denen der Maestro und diverse Prominente abgelichtet waren, die mit ihm befreundet waren oder sich wenigstens von ihm die Haare machen ließen.

Irgendwo im Haus knallte eine Tür. Seit er heute Nachmittag aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte Nils schlechte Laune. Dabei hatte er gerade fünf angenehme Tage in einem Luxusressort in der Karibik verbracht, von morgens bis abends am Strand gelegen und sich von Kellnern, die allesamt wie Models aussahen, Cocktails servieren lassen. Gelegentlich unterbrach er sein Sonnenbad, um sich von einem Fünf-Sterne-Koch kulinarisch verwöhnen oder von einem muskelbepackten Masseur massieren zu lassen. Das schrieb er mir jedenfalls in einer E-Mail, und auf den Fotos auf seiner Facebook-Seite sah man ihn mit der Sonne um die Wette strahlen. Über den Maestro schrieb er nur, dass er bemüht sei, „seine Sünden nach Kräften wieder gutzumachen“. Das hieß entweder, dass die beiden ausgiebig shoppen gingen oder nicht jugendfreie Dinge taten, über die ich lieber nichts wissen wollte. Kein Wort über irgendwelchen Ärger im Paradies.

Als ich ihn und den Maestro vor drei Stunden am Flughafen in Erding abholte, erwartete ich, dass Nils so entspannt wie ein Buddha wäre, stattdessen hatte er die Laune eines Pitbulls, dem gerade jemand den Fressnapf weggenommen hatte. Schuld war natürlich sein Verlobter, der sich für Nils’ Geschmack zu intensiv mit einem attraktiven Flugbegleiter beschäftigt hatte.

„Wir haben uns nur unterhalten.“

„Von wegen unterhalten“, schnaubte Nils. „Geflirtet hast du – und wie!“

Der Maestro seufzte nur – er seufzte sehr viel, vermutlich weil ihm die Argumente ausgegangen waren – und setzte sich in den Wagen. Sein Verlobter stampfte mit seinen Leder-Espadrilles auf und raunzte mich an, vorsichtiger mit dem Gepäck umzugehen. Ich verkniff mir eine freche Erwiderung, quetschte die vier Koffer und Taschen in den viel zu engen Kofferraum meines klapperigen Skoda Felicia und fragte mich, wie viel Gepäck die beiden wohl auf eine Weltreise mitnehmen würden. Wahrscheinlich würde man für sie ein zweites Schiff chartern müssen. Die Heimfahrt verlief in eisigem Schweigen. Ich bemühte mich, ein wenig Konversation zu treiben, fragte nach dem Wetter, dem Essen und dem Hotel, erntete aber nur knappe Antworten. Der Abend konnte ja heiter werden.

Mit dem leeren Teller in der Hand schlich ich mich nach unten, wo es mit einem Mal mucksmäuschenstill war. An den Wänden hingen großformatige Bilder in knalligen Farben, die das triste Weiß ein wenig auflockerten. Das Wohnzimmer war leer und friedvoll. Ich blieb einen Moment stehen, blickte in den parkähnlichen Garten hinaus, der allmählich in der Dunkelheit versank, und ließ das beruhigende Grün auf mich wirken, während ich daran dachte, wie angenehm die vergangenen Tage gewesen waren. Als ich durch den Flur zur Küche ging, sah ich, dass Licht durch den Spalt unter der Tür zum Arbeitszimmer fiel; der Maestro sichtete vermutlich seine Post, die ich ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte, oder telefonierte mit seinem Salon. Aber wo steckte Nils?

Im Erdgeschoss fand ich ihn nicht, weshalb ich die Treppe zum Keller hinunterstieg. Dort gab es eine Sauna und ein kleines Schwimmbecken, in dem der Maestro angeblich jeden Morgen eisern seine Runden zog.

Vor zwei Tagen war das Schwimmbad zum Schauplatz einer peinlichen Begegnung zwischen mir und der Putzfrau geworden. Sie hieß Maria und kam aus Osteuropa. Woher genau, wusste ich nicht, denn Maria sprach kaum mit mir, und an ihrem knappen Hallo, das sie mir zur Begrüßung zuraunte, konnte ich nicht erkennen, ob sie aus Polen, Russland oder Rumänien stammte. Nils brauchte ich nicht zu fragen, denn Maria machte ihm Angst. Sie ging schon wesentlich länger als er im Haushalt des Maestros ein und aus und ließ sich von ihm nicht viel sagen. Er behauptete, sie hätte eine heimliche Schwäche für den Maestro, aber wenn das stimmte, verbarg sie ihre Gefühle nur zu gut.

Maria war in der Tat ein wenig furchteinflößend, einmal wegen ihrer Statur, die gut zu einer ukrainischen Gewichtheberin gepasst hätte, vor allem aber wegen ihrer starren, undurchdringlichen Miene. Nils sagte, sie lache nie und zeige auch sonst keine Emotionen. Nichts konnte diese Frau aus der Ruhe bringen oder ihren Panzer aus Gleichgültigkeit durchbrechen, weshalb sie, falls sie Russin war, während der Sowjetzeit vermutlich eine steile Karriere beim KGB gemacht hätte. Bei der Arbeit trug sie einen langweiligen, grauen Kittel, aber ihre Haare waren stets modisch frisiert – ich vermutete, dass regelmäßige, kostenlose Besuche im Salon des Maestros Teil ihrer Bezahlung waren. An zwei Vormittagen in der Woche kam sie vorbei, sie war wie ein Putzroboter, der stur seine Aufgaben erledigte und alles andere ausblendete.

Als ich vorgestern erwachte, fror ich wie ein Schneider. Für Mitte Oktober kam der Winter früh in diesem Jahr, nachts wurde es bereits empfindlich kalt, und auch tagsüber kletterten die Temperaturen nur wenig über die Null-Marke. Aus einer Laune heraus beschloss ich, die Sauna anzuwerfen. Während ich darauf wartete, dass die Betriebstemperatur erreicht wurde, rasierte ich mich und duschte. In der kleinen Holzkabine war es wohlig warm und still. Ich genoss es, das ganze Haus für mich zu haben, fühlte mich freier und ungezwungener. Mit geschlossenen Augen lag ich auf meinem Handtuch, schwitzte vor mich hin und fragte mich, wie mein Leben nur so aus dem Ruder laufen konnte.

Noch vor wenigen Wochen war ich ein unbekannter, kleiner Buchhändler und Hausbesitzer in Schwabing gewesen, nun lebte ich, praktisch obdach- und mittellos, im Gästezimmer meines besten Freundes. Die Rasanz, mit der sich diese Entwicklung vollzogen hatte, verschlug mir nach wie vor den Atem.

Mein Großvater hatte mir vor einigen Jahren ein Mietshaus hinterlassen, von dessen Einkünften ich gut leben konnte. So gut, dass ich es mir sogar leisten konnte, einen kleinen Buchladen im Erdgeschoss zu eröffnen, der mehr ein Hobby denn ein Broterwerb war. Dummerweise entpuppte sich einer meiner Mieter als Dschihadist, der einen Bombenanschlag plante. Die Polizei war ihm zwar rechtzeitig auf die Schliche gekommen, aber bei dem Versuch, ihn zu verhaften, ging so einiges schief. Er sprengte sich schließlich selbst in die Luft, wobei das Dach und die obersten Stockwerke meines Hauses schwer beschädigt wurden und seither einsturzgefährdet waren.

Solange der Schaden nicht behoben war, konnte niemand dort wohnen, aber ohne die Mieteinnahmen hatte ich nicht das Geld für die Reparaturen, und die Versicherung ließ sich Zeit mit der Bearbeitung des Falls. Gleichzeitig hatte ich hohe Hypothekenschulden, die ich zurückzahlen musste.

Eine Weile hatte ich mit dem Gedanken gespielt, wenigstens den Laden wieder zu eröffnen, musste mein Vorhaben aber schnell aufgeben. Ständig kamen Reporter, die mich zu den Ereignissen befragen wollten, oder neugierige Passanten, die über den Fall in den Medien gehört hatten. Bücher kaufte keiner von denen. Außerdem deprimierte mich der Anblick meines halb zerstörten Zuhauses viel zu sehr, um ihn tagtäglich vor Augen zu haben. Wenigstens hatte ich dank Nils und dem Maestro ein Dach über dem Kopf.

Als ich genug geschwitzt hatte, kam ich auf die Idee, noch ein paar Runden im Pool zu drehen, bevor ich mir ein üppiges Frühstück gönnen würde. Ich öffnete die Tür, und ein eiskalter Luftzug empfing mich. Rasch rannte ich den kurzen Flur runter, durch die Tür ins Schwimmbad und flitzte auf das Becken zu. Maria sah ich erst, als sie hinter einer Säule hervorkam. Ich stolperte über ihren Wischmopp, riss sie um ein Haar um, hüpfte hilflos auf einem Bein und plumpste schließlich in den Pool. Als ich wieder auftauchte, bückte sie sich gerade nach dem Mopp und setzte dann ihre Arbeit fort, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Mit rotem Gesicht (vor Scham, nicht wegen der Saunahitze) ließ ich mich auf den Beckenboden sinken und kam erst wieder zurück an die Oberfläche, als ich es nicht länger aushielt. Also nach ungefähr zehn Sekunden.

Maria ließ sich durch mich nicht aus der Ruhe bringen, sondern putzte ungerührt weiter. Sie hatte nicht einmal geschrien oder besonders überrascht gewirkt. Wenn mich aus heiterem Himmel ein nackter Mann angesprungen hätte, wäre mein Kreischen noch drei Häuser weiter zu hören gewesen. Wer weiß, was sie in den zwanzig Jahren beim Maestro alles erlebt hatte, vielleicht waren nackte Männer, die sie über den Haufen rannten, ja irgendwie normal für sie. Hätte sie eine Leiche auf dem Wohnzimmerteppich gefunden, hätte sie vermutlich einfach um sie herumgewischt.

Nackt, wie ich war, traute ich mich nicht, den Pool zu verlassen, sondern musste so lange weiterschwimmen, bis sie mit ihrer Arbeit fertig war. Und sie ließ sich Zeit. Als ich endlich aus dem Wasser kam, war mir wieder kalt …

Hier im Schwimmbad befand sich Nils auch nicht. Der Raum war dunkel, nur von der Wasseroberfläche wurde ein wenig Licht reflektiert. Ich kehrte um, stieg die Treppe wieder hinauf und setzte meine Suche im ersten Stock fort. Er saß im Schlafzimmer, einen halb ausgepackten Koffer neben sich auf dem Bett, aber er rührte sich nicht. Vor dem Fenster brach die Nacht herein, und ich schaltete das Licht an.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Ja“, sagte er, klang aber müde und resigniert. Er zwinkerte in dem hellen Licht. „Abgesehen davon, dass ich ein Idiot bin.“

„Du bist kein Idiot.“

„Nein, nur ein eifersüchtiger, aufbrausender, herumkeifender Kontrollfreak.“

„Siehst du“, sagte ich schmunzelnd, schob den Koffer beiseite und setzte mich zu ihm, „jetzt kommen wir der Sache schon näher.“

Bis vor neun Monaten schien zwischen Nils und dem Maestro alles in bester Ordnung zu sein, genauer gesagt bis zu jener verhängnisvollen Silvesterparty bei Uschi Glas. Nils erwischte seinen betrunkenen Freund mit einem Kellner auf der Gästetoilette, und die darauf folgende Szene würde keiner der Anwesenden je wieder vergessen, am allerwenigsten Uschi Glas. Es kam zum Zerwürfnis zwischen dem Maestro und Nils, der für einen Monat zu mir zog, bevor er seinem untreuen Lover großmütig vergab und zu ihm zurückkehrte. Muss ich erwähnen, dass ein nagelneuer, knallroter Mini Cooper eine nicht unwesentliche Rolle in diesem Akt der Vergebung spielte?

Seither nagte jedoch die Eifersucht an meinem besten Freund, und als der Maestro einen unglaublich gut aussehenden Spanier namens Carlos einstellte, der sich zugleich auch noch als der bessere Friseur erwies, war es mit seinem Seelenfrieden endgültig vorbei. Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft, sagt der Volksmund, und Nils war das beste Beispiel dafür. Man musste Carlos immerhin eine gewisse Gerissenheit zugutehalten. Er verstand es, Nils in die Irre zu führen, indem er vorgab, hetero zu sein, während er sich gleichzeitig an seinen Chef heranmachte. Und der Maestro, der immer so kühl und beherrscht wirkte, bewies, dass auch er nur ein schwacher, von seiner Libido gesteuerter Mann war, indem er sich bereitwillig verführen ließ. Leider war er ein glückloser Fremdgeher, denn er wurde dabei ein zweites Mal von Nils erwischt.

Niemand hätte danach noch einen Pfifferling auf diese Beziehung verwettet, doch dann überraschte uns der Maestro, von dem ich niemals geglaubt hätte, dass er auch nur einen einzigen romantischen Knochen im Leib hatte, mit einem Liebesbeweis à la Hollywood: Er widmete Nils seine erste Parfüm- und Pflegeserie für Männer. Nicht nur, dass er sie nach ihm benannte, er ließ auch noch ein Plakat entwerfen, auf dem Nils neben einem Eisbär für das Duftwässerchen warb. Während ein haushohes Exemplar dieses Plakates gegenüber meiner Wohnung enthüllt wurde, machte er Nils an dessen dreißigstem Geburtstag eine Liebeserklärung und hielt nur wenige Stunden später um seine Hand an.

Das war vor vier Wochen.

„Es gibt noch so schrecklich viel zu tun.“ Nils seufzte und begann, Hemden und Shorts auszupacken, die augenscheinlich nicht einmal getragen worden waren. „Ich weiß immer noch nicht, wo wir heiraten werden. Und was für eine Torte will ich – Himbeer-Schokolade oder Zitronen-Buttercreme?“

„Nimm eine mehrstöckige Torte mit einer jeweils anderen Geschmacksrichtung auf jeder Etage“, sagte ich.

Nils starrte mich wie vom Donner gerührt an. „Du bist genial“, meinte er. „Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Dann könnte ich ja noch … Mokka-Sahne oder …“

„Übertreib’s jetzt aber nicht“, erwiderte ich lachend.

Er ging zu einer der beiden Kommoden, die links und rechts neben der Tür standen, und kehrte mit einigen Bögen Büttenpapier zurück. Sie waren handgeschöpft und mit einem Wasserzeichen versehen.

„Für die Einladungen“, erklärte er mir. „Was meinst du, für welche soll ich mich entscheiden?“

Ich sah mir die einzelnen Bögen an, erkannte aber keinen Unterschied. „Die sehen doch alle gleich aus.“

Nils rollte mit den Augen. „Das sind fünf verschiedene Weiß-Töne, du farbenblinder Grottenolm. Das sind Unterschiede wie Sand am Meer …“

„Bis zur Hochzeit hast du doch noch so viel Zeit.“ Ich versuchte es mit Diplomatie. „Findest du nicht, dass du dir zuerst darüber klar werden solltest …?“

„So viel Zeit? Bis März sind es keine fünf Monate mehr! Ich muss unbedingt anfangen, mir Gedanken wegen der Hochzeitseinladungen zu machen“, unterbrach mich Nils und wedelte mir mit den Briefbögen vor der Nase herum. Schließlich warf er sie aufs Bett und begann, die ungetragenen Sachen zurück in den begehbaren Kleiderschrank zu räumen. „Wir haben es im Urlaub mal grob überschlagen und sind auf ungefähr fünfhundert Gäste gekommen.“

„Ihr müsst ja nicht gleich jeden einladen, den ihr irgendwann mal getroffen habt“, erwiderte ich.

„Je mehr Gäste, desto mehr Geschenke“, sagte Nils und grinste.

Ich schüttelte nur den Kopf. Warum waren so viele Schwule im Augenblick so versessen darauf zu heiraten? Die bürgerliche Ehe befand sich seit Jahren auf dem absteigenden Ast, jede dritte Ehe wurde geschieden, und die Zahl der Singlehaushalte wuchs unaufhörlich. Und ausgerechnet die Schwulen, die sonst keinen Trend ausließen, wollten plötzlich alle heiraten. Die Heteros gaben die Ehe auf, und wir nahmen sie, wie die abgelegte Kleidung eines Cousins, über dessen Spießigkeit wir uns immer lustig gemacht hatten. Waren wir etwa so vermessen zu glauben, wir würden es besser hinkriegen? Oder war es schlicht und ergreifend die Sehnsucht nach mehr Normalität?

„Das Problem ist nicht die Ehe, sondern die Monogamie, die wie ein Mühlstein auf allen Beteiligten liegt“, sagte der Maestro letzte Woche, als wir uns darüber unterhielten. „Nimmt man sie weg, ist der Rest ein Kinderspiel.“

Das konnte auch nur von einem Mann stammen, der bereits beim Fremdgehen ertappt worden war. Zwei Mal.

„Willst du denn überhaupt heiraten?“, fragte ich Nils.

„Aber selbstverständlich! Warum glaubst du, ich …? Ach, wegen dem dummen, kleinen Streit vorhin?“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich hab mich ein wenig hinreißen lassen, okay, aber mal ehrlich – so ein bisschen Eifersucht gibt einer Beziehung doch erst die richtige Würze.“

„Ja, und wenn man es übertreibt, ist die Suppe schnell versalzen“, antwortete ich.

„Du alter Miesseher.“

„Miesmacher“, verbesserte ich ihn automatisch. „Oder Schwarzseher.“

„Ich liebe meinen Mann, und er liebt mich auch.“ Das klang wie ein Mantra, das man sich immer wieder aufsagte.

„Aber du weißt nicht, ob du ihm noch vertrauen kannst.“

Nils zuckte mit den Achseln. Wem wollte er etwas vormachen? Ich kannte ihn lange und gut genug, um zu wissen, dass die hektische Betriebsamkeit, mit der er die Hochzeitsvorbereitungen vorantrieb, und die lässige Art, mit der er jeden Streit als Bagatelle abtat, eine tiefe Verunsicherung verbergen sollten. Ich verstand ihn nur zu gut. Das Bett, auf dem ich saß, war erst vor drei Tagen geliefert worden und unbenutzt. Maria hatte es lediglich frisch bezogen. In dem alten Bett hatte Nils seinen Lebensgefährten in flagranti mit Carlos erwischt, und eine Bedingung für seine Rückkehr hatte darin bestanden, dass er nicht länger darin schlafen müsste als unbedingt notwendig. Selbstverständlich erfüllte ihm der Maestro diesen Wunsch, aber ich war mir nicht sicher, ob Nils mit dem Möbelstück zugleich auch die bösen Erinnerungen loswurde. Die Geister einer vergangenen Kränkung konnten recht hartnäckig sein.

„Vielleicht solltet ihr die Hochzeit noch ein bisschen verschieben“, sagte ich vorsichtig. „Schaut doch erst mal, ob ihr die Krise auch wirklich überwunden habt, bevor ihr eure Beziehung auf eine neue Ebene bringt. Außerdem ist eine eingetragene Partnerschaft sowieso nur eine Ehe zweiter Klasse.“

„Aber darum geht es doch gar nicht“, erwiderte Nils und strich die Knitterfalten in einem perlgrauen Bugatti-Leinensakko glatt. „Die Hochzeit ist ein Symbol dafür, dass wir den alten Groll hinter uns gelassen haben und neu anfangen.“

Ich zog zweifelnd eine Augenbraue hoch; diese Worte klangen eher nach dem Maestro als nach meinem besten Freund.

„Ja, ich weiß, was du sagen willst“, meinte Nils kleinlaut. „Wenn ich wirklich überzeugt wäre, dass jetzt alles in Ordnung ist, wäre ich nicht so eifersüchtig wie Raffaello.“

„Othello.“

„Wer auch immer … Am Tag vor unserem Urlaub hätte ich um ein Haar Bully mit einem Glätteisen kastriert, weil ich dachte, er würde sich an meinen Mann ranschmeißen. Dabei hat er ihm nur einen versauten Witz erzählt.“

„Vertrauen ist wie eine zarte Pflanze. Sie muss wachsen, und dafür braucht es Zeit und vor allem Geduld.“ Hatte ich das wirklich gesagt? Vielleicht sollte ich einen Berufswechsel in Betracht ziehen und Kalendersprüche verfassen.

„Hinter uns liegen acht wunderbare Jahre“, fuhr Nils fort. Er lächelte tapfer. „Was spricht dagegen, dass wir wieder zu dem zurückkehren, was wir vor dieser … dieser Sache hatten?“

Die Erfahrung?, dachte ich, behielt meine Meinung aber für mich. Stattdessen sagte ich: „Vielleicht hat er ja aus seinen Fehlern gelernt und ist dir in Zukunft treu. Und wenn du noch deine Eifersucht in den Griff kriegst …“

„Du hast ja recht, aber ich kann nicht anders.“ Nils knüllte ein Polohemd zusammen. „Sobald ich ihn mit einem anderen Mann sehe, denke ich, er findet ihn bestimmt hübscher als mich oder witziger oder intelligenter. Er flirtet eben gern, das war schon immer so, und früher hat mir das auch nichts ausgemacht, aber seit ich weiß, dass er … dass er … Na, du weißt ja, was er getan hat.“

„Ja, und es ist auch nicht leicht, darüber hinwegzukommen.“

„Ich hasse mich, wenn ich so bin wie vorhin. Ich fühle mich dann so gemein und … und hässlich.“ Er grinste. „Eifersucht steht mir eben nicht.“

„Genauso wenig wie dieses komische rosa Hemd. Oder ist das lila?“

„Das ist magenta, du modischer Analphabet, und es steht mir ganz ausgezeichnet.“

„Wenn du meinst …“ Ich lächelte ihm aufmunternd zu und ließ ihn allein.

Der arme Nils. Im Grunde seines Herzens war er ein Romantiker, er wollte an die ewige Liebe und ein Happy End glauben, doch tief in ihm nagte der Lindwurm des Zweifels. Der Mann, den er liebte, hatte ihm wiederholt das Herz gebrochen, aber Nils hatte ihm großmütig vergeben und hoffte, dass er ihm in Zukunft treu sein würde. Meine Lebenserfahrung sagte mir etwas anderes. Vermutlich war es leichter, Pfingstrosen im März aufzutreiben.