Die Klinik am See – 40 – Der Mann, der sie nie vergaß

Die Klinik am See
– 40–

Der Mann, der sie nie vergaß

Als Sonja ihre Jugendliebe wiedersah

Britta Winckler

Impressum:

Epub-Version © 2018 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-763-8

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Sonja Melles stand in der kleinen Küche ihres Appartements und kochte, eine Tätigkeit, der sie sich schon lange nicht mehr hingegeben hatte. Sie hatte sich für ein chinesisches Gericht entschieden. Ihr Blick fiel auf die Uhr, Julian mußte gleich da sein. Er aß gern gut, und sie hatte sich wirklich alle Mühe gegeben. Sie beugte sich über den Topf, kostete und schnitt eine Grimasse. Sie hatte es nie nötig gehabt, in der Küche zu stehen. Vielleicht war es dumm von ihr, sich gerade heute auf dieses Experiment eingelassen zu haben.

Sonja seufzte. Sie probierte den Reis, stellte erleichtert fest, daß er körnig war, dann band sie sich die Schürze ab. Julian war es nicht gewohnt, von Frauen empfangen zu werden, die Küchendüfte vor sich hertrugen. Mit raschem Blick überzeugte sie sich davon, daß nichts anbrennen konnte, dann eilte sie hin­über ins Bad. Sonja, die ihren Lebensunterhalt als Fotomodell und Mannequin verdiente, war es gewohnt, sich rasch zurechtzumachen.

Als sie wenig später hörte, daß ein Schlüssel im Schloß umgedreht wurde, lächelte sie ihrem Spiegelbild zu.

Julian Zirner betrat das Appartement. Seit über einem Jahr lebte er mit Sonja Melles zusammen, wenn man das überhaupt zusammenleben nennen konnte. Er war Filmregisseur und meistens unterwegs. Auch Sonja jettete durch die Welt, fast noch mehr als er. Modeaufnahmen in Paris oder New York standen auf der Tagesordnung.

Obwohl sie bereits ihren vierzigsten Geburtstag gefeiert hatte, konnte sie über Arbeitsmangel nicht klagen. Im Herzen von Schwabing hatte sie sich ein Appartement gemietet, so oft es ging trafen sie sich daher hier in München.

Der Filmregisseur hob schnuppernd die Nase. »Hallo! Wo steckst du?« rief er. »Du hast also wirklich gekocht?«

»Habe ich!« Sonja trat aus dem Badezimmer. »Chinesisch«, setzte sie hinzu. »Ich hoffe, daß du nicht enttäuscht sein wirst.«

Julian ging auf sie zu, küßte sie flüchtig, dann meinte er: »Übermorgen muß ich wieder in Rom sein. Da muß ich die erste Maschine nehmen. Es geht um einen neuen Film.«

Sonja lächelte. »Dann haben wir ja einen ganzen Tag Zeit.« Sie schlang ihm die Arme um den Nacken, und diesmal fiel der Kuß leidenschaftlicher aus.

Er umschlang sie fester. »Ich werde nicht lange in Rom bleiben. Wenn ich in diesem Film Regie führe, bedeutet das, daß ich Vorschläge in bezug auf die Besetzung machen kann.« Erwartungsvoll sah er sie an. »Ich werde die Regie nur übernehmen, wenn du die Hauptdarstellerin wirst.«

Verwirrt sah Sonja ihn an.

»Wir haben darüber gesprochen, erinnerst du dich nicht mehr?« fragte Julian.

»Natürlich!« Die Begeisterung erfaßte Sonja. Sie hatte nur nicht mehr daran gedacht. Sie war zu sehr mit einem anderen Problem beschäftigt gewesen.

Julian Zirner umspannte ihre Schultern fester. »Die Entscheidung fällt übermorgen, daher muß ich noch einmal nach Rom. Zwar wird mit den Filmaufnahmen frühestens in drei Monaten begonnen, aber wir wären dann wenigstens einige Zeit zusammen. Ich habe das Drehbuch dabei, du kannst es dir anschauen.«

Sonja entwand sich seinen Armen, dabei lächelte sie jedoch glücklich. »Wenn du von dem Stoff angetan bist, dann ist schon alles in Ordnung. Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann. Du hast ein Gespür für gute Filme. In den letzten Jahren hast du keinen Flop mehr gehabt. Die Frage ist nur, ob ich deinen Ansprüchen genüge. Du weißt, ich habe bereits einige Werbefilme gemacht, aber sonst…« Skeptisch zuckte sie die Achseln.

»Ich habe mir all diese Werbefilme angesehen, und in jedem warst du phantastisch. Du bist eben ein Naturtalent!«

»Wenn du das sagst!« Sie schmiegte sich erneut an ihn. Lange hatte sie allein gelebt, ihr Beruf hatte ihr keine Zeit für eine feste Bindung gelassen. Jetzt genoß sie es, deshalb hatte sie sich dieses Appartement gemietet, um endlich ein Zuhause zu haben.

»Das Essen!« Rasch löste sich Sonja von ihrem Freund. »Ich habe mir solche Mühe damit gegeben. Nicht, daß es zuletzt doch noch verschmort.« Sie eilte in die Küche, Julian folgte ihr.

»Riechen tut es jedenfalls gut«, stellte er fest. »Mir ist nur nicht klar, warum du dir diese Mühe gemacht hast. Wir hätten doch essen gehen können.«

»Ich wollte mit dir allein sein.« Sonja senkte den Blick.

»Hört sich gut an!« Julian streckte die Hände nach ihr aus, doch sie trat schnell zur Seite.

»Nein, nein…« Ihre Wangen färbten sich. »Ich möchte mit dir etwas besprechen, und das in aller Ruhe. Ich kümmere mich um das Essen, und du holst eine Flasche Wein. Eine Flasche Weißwein habe ich bereits in den Kühlschrank gestellt, er dürfte jetzt die richtige Temperatur haben.«

Julian wunderte sich, er hatte sie bisher nicht für ein Hausmütterchen gehalten. Doch er konnte sich nicht mehr dazu äußern, denn sie hatte sich abgewandt und klapperte bereits mit dem Geschirr.

Sonja spielte auch weiterhin die fleißige Hausfrau. Sorgfältig deckte sie den Tisch, schickte ihn dann aus der Küche, als er ihr beim Auftragen helfen wollte. Sogar eine Warmhalteplatte stellte sie auf den Tisch, damit die Speisen auch einige Zeit warm blieben. Sie legte dann zuerst ihm vor, bevor sie selbst zugriff. Nach einigen Bissen hob sie den Kopf und sah ihn erwartungsvoll an.

»Nicht schlecht«, mußte er zugeben. »Ich hatte keine Ahnung, daß du kochen kannst.«

»Ich habe es auch schon lange nicht mehr getan.« Lächelnd schob Sonja sich ein Stückchen Hähnchenfleisch in den Mund.

Julian ließ die Gabel sinken. Eingehend betrachtete er Sonja. Sie sah wie immer aus, apart und gepflegt. Trotzdem fragte er mißtrauisch: »Willst du in Zukunft öfter das Hausmütterchen spielen?«

»Hättest du etwas dagegen?« Sonja erwiderte seinen Blick.

Diese Frage ließ Julian die Stirn runzeln. »Es würde nicht zu dir passen«, stellte er nach kurzem Überlegen fest. »Du und ein Heimchen am Herd? Nein, das paßt einfach nicht zu dir. Du bist eine wunderbare Frau! Mit dir kann man überallhin gehen, du findest dich überall zurecht.«

»Glaubst du nicht, daß Hausfrauen dies auch können?«

»Aber du bist nun mal keine Hausfrau!« Fassungslos starrte er sie an.

»Da hast du recht!« Sonja lachte. »Ich kann mir auch nicht vorstellen, zu Hause zu sitzen und darauf zu warten, daß du zum Essen kommst.«

»Dazu wird es nie kommen, obwohl es ausgezeichnet schmeckt.« Mit Genuß schob Julian erneut einen Bissen in den Mund.

»Nicht, daß du auf den Geschmack kommst! Das Gericht ist mir zwar geglückt, aber ich muß zugeben, daß es so ziemlich das einzige ist, was ich beherrsche.«

»Wir kennen uns nun schon über ein Jahr, und du hast noch nie gekocht.« Er griff nach dem Glas.

»Ich wollte den Abend heute einfach nicht in irgendeinem Lokal verbringen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?«

»Durchaus nicht!« Er hob das Glas und trank ihr zu. »Wir sind so selten wirklich allein.«

Sonja nickte, dann nippte sie an ihrem Glas. »Man kann sich so viel besser unterhalten als in einem Restaurant. Auch wenn wir dort einen Tisch für uns allein hätten, der Kellner würde doch immer wieder kommen und uns stören.«

Julian stellte das Glas ab, er griff über den Tisch und drückte ihre Hand. Erstaunt sah er hoch, denn Sonja entzog ihm diese.

»Nanu?«

»Entschuldige, ich bin etwas nervös.«

»Sonja, so kenne ich dich gar nicht!«

»Da hast du recht! Ich war auch noch nie in so einer Situation.« Sie wollte lächeln, aber das Lächeln mißlang.

Nun verging Julian der Appetit wirklich. Er schob seinen Teller zur Seite. »Sonja, wenn ich dir helfen kann? Du weißt, daß ich alles für dich tun würde.«

»Mein Gott!« Sonja konnte nicht anders, sie mußte lachen. »Ich wollte diplomatisch vorgehen. Bei einem guten Essen, einem Glas Wein wollte ich mit dir sprechen. Und nun benehme ich mich wie ein Teenager. Tja, ich war vergangene Woche beim Arzt, beim Frauenarzt.« Sie sah ihren Freund an, befeuchtete sich mit der Zungenspitze ihre Unterlippe. »Es steht fest, daß ich schwanger bin.«

Julian, der gerade einen Schluck Wein genommen hatte, hätte sich beinahe verschluckt. »Ein Kind? Damit habe ich wirklich nicht gerechnet.«

»Ich auch nicht«, entgegnete Sonja trocken. »Wenn dies vor zehn oder fünfzehn Jahren passiert wäre.« Nachdenklich legte sie die Handflächen gegeneinander. »So habe ich nie an ein Kind gedacht. Ich hatte einen Beruf, der mich ganz ausfüllte. Mutter sein, nein, das wäre nichts für mich gewesen.«

»Ich habe auch nie daran gedacht, eine Familie zu gründen.« Julian verbesserte sich: »Ich meine, ich dachte daran zu heiraten, aber erst, seit ich dich kenne, kam mir so ein Gedanke. Ich wollte dich schon fragen, ob wir unsere Beziehung nicht legalisieren wollen. Wenn wir jetzt dann sogar filmen.« Erneut unterbrach er sich: »Sehr altmodisch, nicht wahr?«

Sonja senkte den Kopf. »Ich hatte in den letzten Jahren keine so enge Beziehung.«

»Ich auch nicht!«

Sonja hob den Kopf, sie lächelte ihm zu. »Ich habe nichts dagegen zu heiraten, aber nicht wegen des Kindes. Wie gesagt, wenn dies vor Jahren passiert wäre – jetzt will ich jedoch kein Kind mehr. Ich bin auch zu alt dazu. Als ich vierundzwanzig Jahre alt war, war ich mit einem Pariser Modeschöpfer befreundet. Da wurde ich auch schwanger. Mein Freund war nicht begeistert darüber. Ehe mir aber so recht klar wurde, was ich wollte, hatte ich einen Abortus. Nein, ich will mein Leben nicht ändern!« Jetzt hatte ihre Stimme an Festigkeit gewonnen.

Erleichtert atmete der Filmregisseur auf. »Soll ich dir etwas sagen? Ich bin sehr froh darüber. Ich bin bereit, Ehemann zu werden, aber Vater?« Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin froh, daß du so denkst. Ich kann mir nämlich auch nicht vorstellen, Mutter zu werden. Dazu ist es nun wirklich zu spät. Es gibt heutzutage doch Kliniken, wo so etwas gemacht wird. Ich muß mich nur erkundigen.«

»Da wendest du dich am besten an Gloria. Sie hat in dieser Hinsicht Erfahrung. Soviel ich weiß, ist sie zur Zeit in München. Warte, ich habe irgendwo ihre Adresse.«

Julian kramte sein Notizbuch hervor, und nach kurzem Suchen konnte er Sonja die Anschrift der Schauspielerin Gloria Rose nennen.

*

Sonja legte den Hörer auf die Gabel zurück. Julian, der nur wenige Schritte von ihr entfernt gestanden hatte – er hatte versucht, dem Gespräch zu folgen – trat nun heran. »Was meint Gloria? Sie war doch die richtige Adresse, oder?«

»Das wird sich morgen herausstellen.«

Julian beugte sich zu ihr und küßte ihren Haaransatz. Seit kurzem trug Sonja eine moderne Kurzhaarfrisur. »Ich habe es am Rande mitbekommen. Du hast dich für morgen mit ihr verabredet.«

»Die Verabredung gilt auch für dich. Gloria hat uns zu einer Theaterpremiere eingeladen. Sie wollte mit Freunden hingehen, doch diese haben nun abgesagt. So hat sie zwei Karten übrig. Wir laden sie einfach nach der Premiere zum Essen ein.«

»Mmh!« Julian überlegte. »Ich werde in Rom anrufen. Vielleicht ist es möglich, daß ich erst mittags fliege. Wir könnten die Besprechung auf den späten Nachmittag verlegen.« Er zog sie an sich. Sekundenlang blickten seine Augen sehr ernst. »Bist du dir sicher, daß du das Kind nicht willst?«

»Ganz sicher«, sagte Sonja, ohne weiter darüber nachzudenken. »Ich bin zu alt für ein Kind. Mit Vierzig bekommt man keine Kinder mehr.«

»Stimmt! Wir sind zu alt, um Eltern zu werden. Wir haben doch ganz andere Pläne, nicht wahr? Wir werden zusammen filmen. Es wird eine wunderbare Zeit werden. Wir werden heiraten, darüber kann dann die Presse berichten. Es wäre eine gute Werbung für den Film.«

Schmollend verzog Sonja ihren Mund. »Willst du mich nur deswegen heiraten?«

»Unsinn! Aber es wird nicht ausbleiben, daß die Presse Wind davon bekommt. Ich habe mir bereits als Filmregisseur einen Namen gemacht, und du warst oft genug das Titelbild von Illustrierten.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Du bist noch immer sehr schön.« Er sagte es ohne Emotionen.

»Willst du mich nur deswegen heiraten?«

Julian schüttelte den Kopf. »Zwischen uns war von Anfang an mehr als nur ein Flirt. Ich liebe dich! Du bist die Frau, mit der ich zusammenleben möchte. Mit dir möchte ich in Zukunft mein Leben teilen. Bisher. hatte ich noch nie dieses Bedürfnis. Im Gegenteil, ich habe meine Freiheit über alles geschätzt.« Er suchte nach Worten. »Ich kenne viele schöne Frauen.«

»Eine davon ist Gloria, nicht wahr?«

Julian nickte. »Solche Mädchen wie Gloria gibt es unzählige. Sie haben aber alle nicht dein Format. Selbst Gloria, mit der ich schon zwei Filme gedreht habe, träumt noch immer von einer internationalen Karriere. Es wird ein Traum bleiben.« Er lachte.

Sonja kamen Bedenken. »Vielleicht ist Gloria doch nicht die Person, von der ich mir Ratschläge holen sollte.«

»Doch, das ist sie. Ich weiß, daß sich die Mädchen an sie wenden. Sie hat da auch einschlägige Erfahrungen.«

»Wenn du sie schon so gut kennst, kannst du mir dann auch garantieren, daß sie nicht jedem erzählt, was ich vorhabe?«

»Warum sollte sie das? Gloria ist ein ganz patenter Kerl. Wir haben bei den Filmarbeiten viel Spaß mit ihr gehabt. Sie versucht, das Leben von der heiteren Seite zu nehmen, aber eine Klatschbase ist sie nicht.«

»Na gut!« Sonja lächelte. Sie war nicht eifersüchtig. Sie wußte, daß Julian ständig von schönen Frauen umgeben war. Dies brachte schon sein Beruf mit sich. »Dann gehen wir morgen ins Theater. Gloria scheint überhaupt sehr ausgebucht zu sein. Jedenfalls zählte sie mir sofort auf, wo und mit wem sie ihre nächsten Abende verbringt.«

»Im Moment ist kein Produzent oder Regisseur vor ihr sicher.« Jetzt grinste Julian offen. »Das sagte ich dir doch!«

Sonja beugte sich etwas zurück, um ihm so besser ins Gesicht sehen zu können. »Ach so, ich verstehe!« Sie legte ihm ihre Hände auf die Schultern. Er war nur wenige Zentimeter größer als sie. »Sie weiß aber, daß wir beide befreundet sind?«

»Natürlich! Wir nutzen doch seit einem Jahr jede Möglichkeit, um zusammensein zu können. Inwieweit sie das zur Kenntnis genommen hat, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall wird sie es ab morgen ganz genau wissen.«

»Wird sie enttäuscht sein?«