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Christa Holtei

DREI TAGE IM
NOVEMBER

Düsseldorf 1811

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ROMAN

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Die gebürtige Düsseldorferin Christa Holtei arbeitete lange Zeit im Bereich der mittelalterlichen englischen Literatur, Sprache, Geschichte und Kultur am Anglistischen Institut der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seit 1994 ist sie erfolgreich als Übersetzerin und Autorin für verschiedene Verlage tätig.

Inhalt

Dienstag, 15. Oktober 1811

Mittwoch, 16. Oktober 1811

Donnerstag, 17. Oktober 1811

Freitag, 18. Oktober 1811

Montag, 21. Oktober 1811

Dienstag, 22. Oktober 1811

Mittwoch, 23. Oktober 1811

Montag, 28. Oktober 1811

Dienstag, 29. Oktober 1811

Mittwoch, 30. Oktober 1811

Donnerstag, 31. Oktober 1811

Freitag, 1. November 1811

Samstag, 2. November 1811

Sonntag, 3. November 1811

Montag, 4. November 1811

Montag, 24. Oktober 1814

Kurzbiografien

Nachwort

Danksagung

Bildnachweis

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Bekanntmachung

»Donnerstag den 21. dieses [Monats] soll der auf der Elberfelder Straße errichtete Triumphbogen Morgens 10 Uhr auf dem Mairie-Bureau an den Meistbietenden verkauft werden, wo die Bedingnisse einzusehen sind. Lusttragende werden hierzu eingeladen. Düsseldorf, den 16. November 1811 Der Maire Freiherr von Pfeil.«

(Großherzoglich Bergische Wöchentliche Nachrichten 47, 1811)

Dienstag, 15. Oktober 1811

Jacques Bonnard ritt in hohem Tempo über die Kaiserswerther Chaussee auf Düsseldorf zu. Während der letzten Tage hatte er sich selbst und seinem Pferd viel abverlangt, denn in der Ledertasche über seiner Schulter verbarg sich eine eilige Botschaft Napoleons für Beugnot, den Statthalter des Großherzogtums Berg. Es sei dringend, hatte man ihm gesagt, Beugnot benötige die Nachricht umgehend, sie beträfe den Besuch des Kaisers in Düsseldorf. Jacques hatte sich eilends auf den Weg gemacht und nur noch angehalten, um das Pferd zu wechseln und kurz zu rasten. Im diffusen Licht der Abenddämmerung nahm er jetzt zu seiner Rechten einen neu angelegten Friedhof wahr, er musste also bereits die Golzheimer Insel erreicht haben. Vom Fluss her zogen leichte Nebelschwaden darüber hinweg und verbreiteten sich allmählich auch über die angrenzenden Wiesen und über die Chaussee. Der Tag war für die Jahreszeit erstaunlich warm und sonnig gewesen und ging nun in eine kühle Oktobernacht mit fast gespenstischer Atmosphäre über. Zum Glück würde er höchstens noch eine Viertelstunde zum Statthalterpalais auf der Mühlenstraße unterwegs sein. Dann erwartete ihn endlich eine wohlverdiente Pause.

Ohne Vorwarnung bäumte sich sein Pferd plötzlich wiehernd auf, Sekunden später fand er sich auf dem Boden wieder und rieb seine schmerzende Schulter. Etwas benommen bemerkte er erst jetzt den kleinen kläffenden Hund, der aus dem Nichts mitten auf dem Weg aufgetaucht war und sein Pferd erschreckt hatte. Ein Mann und eine Frau stürzten laut rufend aus der Wirtschaft »Zum Luftballon« auf die Chaussee. Die Frau scheuchte den Hund auf den Hof zurück und versuchte, das Pferd zu beruhigen. Der Mann half ihm auf die Beine, klopfte den Sand aus seinen Kleidern und führte ihn ununterbrochen redend und gestikulierend in den leeren Gastraum. Jacques verstand nur ein paar Worte Deutsch, aber wenn er den Tonfall richtig einschätzte, wurde er gerade mit Entschuldigungen überschüttet. Offenbar war der Mann der Besitzer der Wirtschaft, denn er bedeutete ihm, sich auf einen Stuhl zu setzen und sich zu erholen. Im Nu standen ein Abendbrot und ein Krug Bier vor ihm auf dem Tisch. Mit vielen Gesten forderte der Wirt ihn auf, tüchtig zuzugreifen. Das ließ Jacques sich nicht zweimal sagen. Die letzte, schnell heruntergeschlungene Mahlzeit hatte er am Mittag in irgendeinem gottverlassenen Dorf bekommen. Beim Anblick der guten Dinge begann sein Magen heftig zu knurren. Hungrig aß er das deftige Brot, dazu würzigen Käse und einen erstaunlich zarten Schinken. Zu seinen Füßen saß der Übeltäter, der kleine Kläffer, und beobachtete aufmerksam jede seiner Bewegungen. Eigentlich ein netter Hund. Er warf ihm ein Stück Brot zu, das der kleine Kerl geschickt aufschnappte und triumphierend in einen versteckten Winkel des Raumes trug.

Nun, er hatte keine Zeit, Hunde zu füttern. Er musste weiter. Inzwischen war es zwar dunkel geworden, aber er kannte ja den Weg in die Stadt. Wenn er die Botschaft überbracht hatte, würde ihm ein Tag zur Verfügung stehen, um auf Antwort Beugnots zu warten. Ein wunderbarer, langer Tag. Er hatte sich nicht ohne Grund um den Auftrag gerissen, aus Amsterdam, wo sich Napoleon im Augenblick aufhielt, als Kurier in die Residenz des Großherzogtums zu reiten. Zu Anna. Er lächelte bei dem Gedanken an sie. Eine zierliche Person, quirlig, immer lachend, als wäre das Leben sogar in diesen unruhigen Zeiten schön, eben weil es das Leben war. So war sie ihm in Erinnerung, und so freute er sich auf sie.

Bon, allons-y! Er trank den letzten Schluck Bier, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und machte dem Wirt ein Zeichen, dass er gehen wolle. Leise stöhnend zog er seine Jacke über die schmerzende Schulter und griff nach seiner Ledertasche. Erneut versuchte er, die Gesten des Wirts richtig zu deuten. Der machte abwehrende Bewegungen mit den Händen, als er ihm ein paar Münzen entgegenhielt, und schüttelte den Kopf. Mit einer entschuldigenden Geste zeigte er auf seinen Hund. Jacques nickte. Er steckte die Münzen wieder ein und sagte freundlich »Merci!«, worauf der Wirt ihm mit einem breiten, erleichtert wirkenden Lächeln die Tür öffnete.

Draußen war der Nebel dichter geworden. Die Laterne über der Tür zur Wirtschaft verbreitete kaum mehr als einen milchigen Schein, und es war absolut still. Die feuchte Nachtluft schluckte jedes Geräusch. Vor dem Stall wartete sein Pferd auf ihn. Die Wirtin hatte es gut mit frischem Wasser und Hafer versorgt, ohne dass er sie darum hätte bitten müssen. Sie hatte noch nicht einmal Geld dafür verlangt. Wahrscheinlich, dachte er schmunzelnd, hatten die Wirtsleute wirklich ein schlechtes Gewissen wegen seines Sturzes. Als er das Pferd losband, hörte er plötzlich doch Geräusche. Wispernde Stimmen. Jemand musste im Stall sein. Etwas fiel dumpf auf den Boden, dann war wieder das Flüstern zu hören. Jacques schlich näher und versuchte, durch einen Spalt in der Bretterwand etwas zu erkennen. Er sah eine verrußte Laterne, um deren schwaches Licht ein paar Burschen standen. Sie gestikulierten aufgeregt, und es fiel ihnen schwer, ihre Stimmen zu dämpfen. Jacques lauschte konzentriert, verstand aber nur ein einziges Wort: »Gendarmerie«. Was machten die Männer hier? Sie führten sicher nichts Gutes im Schilde. Ob die Wirtsleute davon wussten? Wie dem auch war, er sollte sich schnell aus dem Staub machen, bevor sie ihn noch entdeckten und er seinen Auftrag nicht ausführen konnte. Eilig wandte er sich um. Der Schlag auf den Kopf traf ihn völlig unerwartet. Er sackte in sich zusammen, spürte beim Aufprall auf dem Boden noch einen stechenden Schmerz, dann war alles dunkel.

Mittwoch, 16. Oktober 1811

Commissar Jakob Hartenfels eilte mit gemischten Gefühlen zum Polizeibureau im Rathaus. Es war kaum ein halbes Jahr her, dass er in der Polizeihierarchie aufgestiegen war. Heinrich von Borcke, Präfekt des Departements Rhein, hatte ihn zum Commissar für das Arrondissement Düsseldorf ernannt. Jakob war zwar noch recht jung für einen Commissar, brachte aber die richtigen Eigenschaften mit, die ein neuer Zeitgeist inzwischen verlangte. Stockhiebe und Daumenschrauben galten zunehmend als unangemessene polizeiliche Maßnahme bei Verhören von Straftätern. Was nicht hieß, dass es sie nicht mehr gab, nur begann man wenigstens, darüber nachzudenken. Jakob war von Natur aus freundlich und ging verständnisvoll mit anderen um. Für ihn waren Menschen keine mechanischen Puppen, sondern vielschichtige Wesen mit Gefühlen und Befindlichkeiten, die man respektieren musste. Zumindest sollte man versuchen, sie zu verstehen. Seine Arbeit als Commissar gestattete ihm einen Einblick in die unterschiedlichsten Seelen, und darin lag sein eigentliches Interesse. Jeder Mensch war ein Individuum, ein unteilbares Ganzes, und in den Tiefen seines Innern verbarg sich Unbekanntes, oft auch Unheimliches. Manchmal trat dieses Unheimliche für andere sichtbar zu Tage, und dann waren Jakobs Fähigkeiten gefragt, denn dann war zumeist ein Verbrechen geschehen.

Seit einem Jahr wurde der gesamte Polizeiapparat im Großherzogtum an französische Verhältnisse angepasst. Als Commissar war er für die schweren Verbrechen zuständig und zusätzlich für Straftaten, mit denen die städtische Polizei überfordert war. Dadurch saß er mit seiner Arbeit zwischen zwei Stühlen, und genau deshalb hatte er sich unbeliebt gemacht. Der Wachtmeister und seine Polizeidiener sahen nicht ein, warum sein Amt überhaupt existierte. Sie fanden, dass er sich nur einmischte. Von Anfang an hatten sie sich ihm gegenüber unfreundlich verhalten. Bisher waren sie in allen Fällen ja auch sehr gut allein zurechtgekommen. Jetzt stand jedoch die Polizei sozusagen selbst unter Beobachtung. Sie war nicht mehr einem weit entfernten Kurfürsten unterstellt, sondern Personen direkt in der Stadt, nämlich dem Maire. So musste man jetzt zum Bürgermeister Freiherr von Pfeil sagen. Die nächsthöheren Instanzen waren der Präfekt von Borcke und der Innen-, Polizei- und Kriegsminister des Großherzogtums, Graf von Nesselrode-Reichenstein. Und gerade Letzterer hatte an diesem Morgen bei Bürgermeister von Pfeil für Aufregung gesorgt. Das hatte den Bürgermeister dazu bewogen, die Aufregung gleich an »den neuen jungen Commissar« weiterzugeben. Er hatte Jakob also damit beauftragt, die Polizeiwache von den dringenden Neuigkeiten des Innenministers in Kenntnis zu setzen – wohl wissend, was seine Männer davon halten würden.

Nun stand Jakob vor der Tür zur Wache und ärgerte sich, dass er sich von der Nervosität des Bürgermeisters hatte anstecken lassen. Das konnte er jetzt gar nicht brauchen. Dabei waren Aufregungen aller Art hier im Augenblick nichts Besonderes. Er fasste die Dinge gern in deutliche Worte, und die Situation war einfach zu beschreiben: Düsseldorf stand kopf. Kaiser Napoleon wollte auf seiner Reise durch das Großherzogtum Berg natürlich auch die Residenz besuchen, nur wusste niemand genau, wann. Letzten Gerüchten zufolge hielt er sich immer noch in Holland auf, obwohl sein Besuch zwischen dem 15. und 20. Oktober avisiert und damit eigentlich schon überfällig war. Die besten Köche der Stadt hatten den Eiskellerberg geplündert, um Zutaten und teilweise bereits hergestellte Speisen kühl lagern zu können. Handwerker und Dekorationsmaler hatten alles stehen und liegen lassen, um den Jägerhof für die erlauchten Gäste bewohnbar zu machen und außerdem zwei Säle der inzwischen leer stehenden kurfürstlichen Gemäldegalerie am Burgplatz für den geplanten großen Ball herzurichten. Schauspieler, Sänger und Musiker litten an permanentem Lampenfieber. Hoteliers mussten mehr Gäste unterbringen, als ihnen möglich war, und Lösungen dafür finden. Bürger, die trotz der Einquartierungen französischer Soldaten noch ein Zimmer übrighatten, waren nur zu gerne bereit, gegen entsprechendes Entgelt schaulustige Fremde zu beherbergen. Kurz, die gesamte Stadt hatte sich in einen Bienenkorb verwandelt. Und von allen Kräften der Polizei erwartete man, dass sie in dem Durcheinander den Überblick behielten. Jakob Hartenfels holte tief Luft und straffte den Rücken. Dann öffnete er die Tür zur Höhle des Löwen.

»Mösjö le Commissaire! Welche Ehre!«

Wachtmeister Overheid grinste maliziös auf ihn herunter. Er besaß eine imposante Gestalt und war sich seiner einschüchternden Wirkung auf andere wohl bewusst. In seinem Beruf kam sie ihm auch zugute. Jakob hatte ihn jedoch beobachtet und gemerkt, wie gerne er mit der Verunsicherung anderer spielte, nur um zu sehen, wie sie reagierten. Er brauchte diese kleinen Scharmützel. Jakob war mittlerweile sicher, dass man von Overheid nur respektiert wurde, wenn man sich eben nicht einschüchtern ließ.

»Ihnen auch einen guten Morgen!«, antwortete er ruhig und versuchte, so freundlich wie möglich zu bleiben. »Ich komme im Auftrag des Bürgermeisters und muss mit Ihnen und Ihren Polizeidienern sprechen. Es hat mit dem Besuch Napoleons zu tun. Es ist dringend.«

»Und warum informiert uns der Bürgermeister nicht selbst?«, fragte Overheid pikiert. »Immerhin geht es um seine Leute. Aber wenn es denn sein muss, bitte schön! – Männer!«, donnerte er in den Raum. »Der Herr Commissar hat euch etwas mitzuteilen. Also hört zu!«

Die Reaktion war so, wie Jakob sie erwartet hatte. Gleichgültig.

»Will er sich endlich verabschieden?«, fragte Polizeidiener Finck zur allgemeinen Erheiterung.

Jetzt wurde Overheid doch ungehalten, schließlich hatte man seinen Anordnungen Folge zu leisten. Er reckte sich zu seiner vollen Größe empor, stützte die Hände in die Seiten und zog seine buschigen Augenbrauen drohend zusammen. Jakob betrachtete ihn fasziniert. Es wirkte tatsächlich. Die Polizeidiener schwiegen auf der Stelle und schauten Jakob aufmerksam an. Mit einer auffordernden Handbewegung erteilte Overheid ihm das Wort.

»Ich habe Neuigkeiten vom Innenminister in puncto des kaiserlichen Besuchs in Düsseldorf für Sie«, begann er. »Sie wissen alle, dass es nicht wenige Unzufriedene in unserem Großherzogtum gibt, die mit den Änderungen durch die französische Politik nicht einverstanden sind und damit für Unruhe sorgen. Ich nenne nur die hohen Zölle und das Verbot von Handelswaren aus England.«

Von einigen Männern war aufgebrachtes Murmeln zu hören.

»Das kann man ja auch verstehen«, rief Polizeidiener Peters. »Das Brot ist dreimal so teuer geworden wegen der hohen Zölle. Ist doch alles französisch jetzt, drüben auf der anderen Rheinseite. Da kommt aber unser Getreide schon immer her!«

Seine Kollegen gaben ihm lautstark recht.

Jakob hob die Hand, damit wieder Ruhe einkehrte. »Das ist richtig, aber im Moment nicht das Problem der Polizeikräfte. Wir müssen uns um Folgendes kümmern: Beim Besuch Seiner Majestät des Kaisers gilt möglichen Unruhestiftern besonderes Augenmerk. Das ist schwierig, weil schon jetzt zu viele Menschen in der Stadt sind, die wir nicht kennen und daher nicht einschätzen können. Aus diesem Grund hat Seine Exzellenz der Innenminister heute Morgen persönlich ein Dekret vom Präfekten des Rhein-Départements an uns weitergegeben. Demnach muss nunmehr für jeden Fremden in der Stadt eine Sicherheitskarte ausgestellt werden. Diese hat der Fremde immer bei sich zu tragen und Ihnen bei Aufforderung zu zeigen. Wenn ein Fremder keine Karte besitzt, wird er umgehend zur Anzeige gebracht und überprüft. Bei Befinden der Unbedenklichkeit wird ihm eine Karte ausgestellt, ansonsten bleibt er für die Zeit des kaiserlichen Besuchs in Haft. Dieses Dekret gilt vorerst bis zum 1. November. Je nachdem, wann Napoleon kommt, wird eine Verlängerung nötig. Haben Sie dazu Fragen?«

Polizeidiener Bruck meldete sich zu Wort. »Wer stellt die Karten aus?«

»Grundsätzlich obliegt dies der Polizei«, antwortete Jakob. »Die Organisation liegt bei Wachtmeister Overheid.«

»Wir können das machen«, rief Klöckner, »Deyter und ich.«

Jakob schaute den Wachtmeister fragend an.

»Warum nicht! Ihr beiden übernehmt das«, nickte Overheid.

»Und noch etwas«, fuhr Jakob fort. »Die Sicherheitskarte bekommt keinen Stempel und ist deshalb unentgeltlich. Sie gilt nur im Zusammenhang mit einem Pass nach den Richtlinien von 1809. Sie müssen sich also den Pass einer Person zeigen lassen, bevor Sie eine Karte ausstellen. Sind Ihnen die französischen Formulierungen in Pässen geläufig?«

Klöckner blies die Wangen auf, Deyter zuckte die Schultern. »Das schaffen wir schon«, versicherte er.

»Also gut. Die Fremden werden ab heute aufgefordert, sich hier auf der Wache zu melden, sodass Sie beide also in nächster Zeit sehr beschäftigt sein werden. Sollten Ihre Kollegen aus irgendeinem Grund verhindert sein«, wandte Jakob sich an die anderen, »wäre es gut, wenn Sie alle in der Lage wären, einzuspringen. Also sollten Sie sich alle mit den Sicherheitskarten vertraut machen, Sie müssen sie ja auch kontrollieren. Ist so weit alles verstanden?« Einige Polizeidiener nickten, andere seufzten, was Jakob auch als Zustimmung wertete. »Ihre Aufgabe heute wird sein, überall entsprechende Bekanntmachungen auszurufen und auszuhängen sowie sämtliche Hoteliers, Gastwirte und private Vermieter anzuweisen, sich bei jeder Anmeldung die Sicherheitskarte zeigen zu lassen. Fremden ohne eine solche Karte dürfen sie kein Zimmer vermieten. Wachtmeister Overheid wird Ihnen Ihre Aufgaben zuteilen.« Jakob ignorierte das allgemeine Aufstöhnen. »Für uns alle gilt verschärfte Wachsamkeit. Beim Besuch Seiner Majestät des Kaisers darf nicht das kleinste Unglück passieren, und deshalb können wir uns nicht früh genug darum kümmern, schon im Vorhinein für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Machen Sie sich also den Ernst der Lage immer bewusst.«

»Wenn Napoleon dann auch irgendwann kommt …«, murmelte Peters laut genug, dass die anderen es hören konnten.

»Zum Glück geht er auch wieder!«, rief Finck und erntete Gelächter.

Jakob warf Finck einen scharfen Blick zu. Er war nicht ganz sicher, ob der Polizeidiener diesen Satz ausschließlich als Scherz verstand. Auch in Düsseldorf gab es nicht gerade wenige Gegner des Kaisers. Er registrierte, dass Wachtmeister Overheid die Dinge offenbar genauso sah, denn er blickte seinen Untergebenen mit hochgezogenen Brauen an. Wahrscheinlich würde er Finck nun verstärkt im Auge behalten. Overheid polterte zwar gern, war aber im Grunde seines Herzens absolut integer. Zumindest war das Jakobs Einschätzung. Er nickte dem Wachtmeister zu, verabschiedete sich und verließ die Wache.

Draußen vor der Tür blieb er einen Moment stehen und seufzte erleichtert. Das war überstanden. Und er hatte sich gar nicht mal so schlecht geschlagen.

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Im Statthalterpalais, der »Residenz« von Düsseldorf, hatte Graf Jacques Claude de Beugnot ganz andere Sorgen. Vom Fenster seines Arbeitszimmers starrte er auf die belebte Mühlenstraße hinunter, ohne das geschäftige Treiben wirklich wahrzunehmen. Er war tief in Gedanken versunken. In solchen Momenten fiel das herausragende Merkmal seiner schmalen Gesichtszüge besonders auf: seine lange, gerade, spitz zulaufende Nase, an der er sich niemals herumführen ließ. Eine Nase, die ihn noch nie im Stich gelassen hatte, wenn es darum ging, Gefahren jeglicher Art, insbesondere für seine Person, zu wittern. Für den Alltag eines französischen Politikers und Diplomaten in der jetzigen Zeit war er damit gut gerüstet. Im Augenblick waren diese Fähigkeiten für ihn sogar überlebenswichtig.

Obwohl von draußen die Sonne warm durch die Fensterscheiben schien, zog er fröstelnd die Schultern hoch. Es war die Aufregung, beruhigte er sich, die ihn jetzt manchmal einholte, wenn er kurze Minuten der Ruhe hätte genießen können. In diesen kleinen Pausen lasteten jedoch die Herausforderungen der nahen Zukunft umso schwerer auf ihm. Napoleon wollte Düsseldorf besuchen, und er – Beugnot – musste alles Menschenmögliche unternehmen, um diesen Besuch reibungslos verlaufen zu lassen. Nichts, aber auch gar nichts Unvorhergesehenes durfte geschehen. Er war der Commissaire, der Statthalter des Großherzogtums, er genoss das Vertrauen des Kaisers, und das wollte er unter keinen Umständen verlieren. Wie aber sollte er die Aufgabe meistern, wenn er nicht genauestens darüber informiert war, wann der Kaiser nun eintraf? Bon, es passte zu ihm, zu überraschen und bis zum letzten Moment die Nerven anderer zu strapazieren. Dann folgten harte Worte der Kritik und – voilà – im nächsten Moment Freundlichkeit. Aber hier musste eine ganze Region auf den Besuch vorbereitet werden. Nach allem, was man über die Bevölkerung wusste, würde dem Kaiser kein so begeisterter Beifall gespendet werden, wie er ihn in Paris gewöhnt war. Das würde ihn betrüben, vielleicht sogar erzürnen. Um den Folgen des kaiserlichen Zorns vorzubeugen, hatte Beugnot die ganzen letzten Wochen geopfert. Alles war organisiert. Bis hin zum letzten Kräuterweiblein am Wegesrand war jedem deutlich gemacht worden, was verlangt war, wenn der Tross Napoleons vorüberzog: ovations, cris d’allégresse. Jubel und Freudengeschrei. Überzeugend vorgetragen, ehrlich und aufrichtig. Das war das Wichtigste. Nun, alle Bürgermeister der Gemeinden wussten inzwischen darüber Bescheid, was er sich vorstellte. Dafür durften sie auch kurze Begrüßungsreden halten, was sie allesamt in grenzenlose Aufregung versetzt hatte. Beugnot schmunzelte bei dem Gedanken, wie viele von ihnen nun wahrscheinlich jeden Tag vor dem Spiegel standen und ihre Reden übten. Sie würden sich wundern, wenn der Moment gekommen war. Sie wussten noch nicht, wie ungehalten Napoleon werden konnte, wenn er statt einer Rede lieber eine Pause und eine leichte Mahlzeit wünschte. Auch dafür hatte er – Beugnot – gesorgt. Räume für ebendiesen Zweck waren in den Durchgangsorten bereitgestellt und auch für die Kaiserin jede erdenkliche Bequemlichkeit überlegt und angeordnet worden.

Schwierig war nur, diesen Schwebezustand der aufgeregten und hoffentlich freudigen Erwartung bei den Menschen aufrechtzuerhalten. Das Interesse würde rasch nachlassen und in gelangweiltem Überdruss münden. Rheinländer fackelten da nicht lange, wie er hatte feststellen müssen. Sie ließen die Dinge zunächst gelassen auf sich zukommen, debattierten endlos mit einer kräftigen Prise Spott, um nach einer Weile, wenn nichts weiter passierte, mit dem gleichen Elan gehörig darüber zu lästern. Beugnot hatte ihre Art vor drei Jahren noch bestaunt, als er nach Düsseldorf gekommen war. Inzwischen mochte er jedoch besonders ihren Humor und hielt die Rheinländer für kreativ, gescheit und witzig. Insofern bedauerte er ihren – in seinen Augen – einzigen Nachteil, nämlich, dass sie keine Franzosen waren. Nicht auszudenken, was sie sich jetzt wieder einfallen lassen würden, wenn der Besuch Napoleons sich noch weiter hinauszögerte. Ein genaues Datum würde da von großem Nutzen sein.

Zumal man Napoleon letztes Jahr im August schon einmal umsonst erwartet hatte. Man dachte, der Kaiser würde von Frankreich her anreisen, also war am Bergertor, dem südlichen Eingang in die Stadt, ein prächtiger Triumphbogen aus Holz und bemalter Leinwand aufgestellt worden. Die Vorbereitungen waren bereits in vollem Gang, als aus Paris die Nachricht eintraf, dass alles nur ein Missverständnis gewesen sei, ein Gerücht, das Hugues-Bernard Maret in die Welt gesetzt habe, der damalige Minister-Staatssekretär des Großherzogtums Berg. Eigentlich hatte Beugnot ihn immer beneidet, denn der Amtssitz Marets war Paris geblieben. Ah, le cher Paris! Beugnot verspürte große Sehnsucht nach seiner geliebten Stadt. Aber Napoleon brauchte ihn hier, wie er ihm stets versicherte. Eh bien, die politischen Kreise in Paris konnten auch durchaus schädlich für den Ruf sein. Monsieur Maret hatte das nach dem Debakel im letzten Jahr zu spüren bekommen. Noch vor zwei Jahren hatte der Kaiser ihn zum Herzog von Bassano ernannt, weil er ein loyaler, eifriger Politiker und kluger Diplomat in Napoleons Diensten war. Das beflügelte gefürchtete Pariser Spötter wie Talleyrand, inzwischen selbst von Napoleons Gnaden Fürst von Benevent, natürlich umso mehr, keinen noch so kleinen Fehltritt ungenutzt verstreichen zu lassen. Bis nach Düsseldorf war die Kunde von Talleyrands Bonmot gedrungen: »Es gibt nur einen, der dümmer ist als Monsieur Maret, das ist der Herzog von Bassano.« Jedermann hatte hinter vorgehaltener Hand angestrengt zu hüsteln begonnen, was für den Betroffenen noch weniger gut zu verkraften war als lautes Gelächter. Davon war Beugnot jedenfalls fest überzeugt.

Kopfschüttelnd wandte er sich vom Fenster ab. Das alte Parkett knarrte, als er zu seinem Arbeitstisch hinüberging. Bis gestern Abend hatte er noch Hoffnungen gehabt, den genauen Termin der Ankunft Napoleons zu erfahren. Da war Pierre-Louis Roederer aus Paris eingetroffen, der derzeitige Minister-Staatssekretär für das Großherzogtum Berg, und hatte eine Weisung des Kaisers mitgebracht. Das Schreiben lag nun ganz oben auf Beugnots Papieren. Er strich langsam über seine lange Nase, während er es zum wiederholten Mal eingehend betrachtete, als könne er den Schriftzügen auf diese Weise doch noch entlocken, was er wissen wollte. Es war einfach lächerlich. Da stand der Termin, zu dem Roederer alle Autoritäten des Großherzogtums in Düsseldorf versammeln sollte, was gleichzeitig bedeutete, dass auch der Kaiser zu diesem Termin ankommen würde. Nur breitete sich über der Stelle des genauen Datums ein Tintenklecks aus. Es war der einzige im ganzen Brief. Roederer vermutete zwar, Napoleon käme pünktlich im avisierten Zeitraum, und zwar am 18. Oktober – Mon Dieu, das war ja schon übermorgen, und es gab noch so viel zu tun! Aber sollte er dieses Datum nun als gesichert veröffentlichen? Es würde alle Beteiligten, ja eine ganze Stadt in endgültige Aufruhr versetzen, und das nur aufgrund einer Vermutung. Wieder schüttelte Beugnot den Kopf. Einfach lächerlich! Ein Tintenklecks!

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Zwei Straßen weiter, auf der Bolkerstraße, stand Anna Schmitz vor dem Spiegel und löste Pappwickler aus den Haarsträhnen über ihren Ohren. Zwei bis drei Locken auf jeder Seite, wie zufällig aus der Frisur gefallen und deshalb ruhig ein wenig asymmetrisch, so war es gerade modern. Die Modekupfer aus England und Frankreich zeigten die Frisur mit den unauffällig hochgesteckten Haaren, Löckchen über der Stirn, Löckchen im Nacken und eben den längeren Locken über den Ohren, immer von allen Seiten. Die Bilder lagen in den Buchhandlungen aus, und Anna hatte sie dort genau studiert. Die Löckchen überall gaukelten vor, dass man als gesittete junge Dame frivole, kurz geschnittene Haare besaß. Die drei längeren Locken gaben dann schon wieder Rätsel auf. Annas lebendige braune Augen blinzelten ihr im Spiegel spitzbübisch zu. Sie liebte Rätsel, wieso sollte sie nicht selbst ein bisschen rätselhaft sein? Es wusste ja niemand, dass sie sich niemals ihre wunderschönen langen Haare abgeschnitten hätte. Die wenigen rundherum für die kurzen Löckchen hatten ihr schon weh genug getan. Sie fegte die Pappröllchen mit der Hand von der Marmorplatte der Waschkommode in eine bemalte Porzellandose und betrachtete noch einmal ihr Werk. Ja, so ging es. Friedrich, ihr kleiner Bruder, würde wie immer »Ringelschwänzchen« hinter ihr herrufen, aber das gehörte bei kleinen Brüdern dazu. Obwohl er inzwischen siebzehn war und es eigentlich besser wissen müsste.

Anna setzte sich die Bänderhaube auf den Kopf, die so genau passte, dass sie keines der mühsam gedrehten Löckchen zerdrückte. Anna Schmitz, Kaufmannstochter. So hatte sie sich als kleines Kind immer vorgestellt, wenn ihr Vater Fremde mit nach Hause brachte. Sie war unendlich stolz auf ihren Vater gewesen und hatte seine Kolonialwarenhandlung unten im Haus sehr geliebt. Waren aus aller Welt hatten die Regale gefüllt, es duftete fremd und abenteuerlich nach unbekannten Dingen, die von weit her kamen. Manchmal war ihre Mutter, den kleinen Friedrich auf dem Arm, mit ihr hinunter in die Geschäftsräume gegangen, »um Papa bei der Arbeit zu besuchen«. Ihr Vater hatte dann aus dem Gefäß mit dem blütenweißen Zucker lachend einen Teelöffel voll herausgenommen und ihr gegeben. Aber sie hatte ihn sich nicht einfach in den Mund gesteckt, sondern mit dem Zeigefinger voller Spucke die winzigen Zuckerkörnchen aufgetupft und genießerisch auf der Zunge schmelzen lassen. Dabei hatte ihr Vater von meterhohen Gräsern erzählt, in deren breiten Halmen diese Süßigkeit verborgen war. Was für ein wunderbares fernes Land musste das sein, wo Zucker auf Feldern wuchs?

Es war eine unbeschwerte, fröhliche Zeit gewesen, von der sie immer noch zehrte. Vor fünf Jahren, als ihre Mutter plötzlich gestorben war, war alles anders geworden. Mit vierzehn Jahren war Anna die Hausfrau. Sie sorgte für Vater und Bruder, sagte der Köchin, wie der Speiseplan für die Woche aussah, wies das Dienstmädchen auf die Spinnweben hin, zeigte den Spediteuren das Lager im Hof und hütete den Laden, wenn ihr Vater unterwegs war. Sie hatte gelernt, ihr oft ungestümes Wesen zu bändigen, weil sie mit ruhiger Überlegung mehr erreichte, besonders, wenn es um ihren kleinen Bruder ging. Friedrich hatte den Verlust der Mutter nur sehr schwer verkraftet. Er war mit seinen zwölf Jahren empfindsamer als sie gewesen und hatte sich oft in den Schlaf geweint. Auch durch die französische Politik hatte sich ihr ganzes Leben verändert. Der Laden unten im Haus bot jetzt mehr einheimische Waren an, denn von irgendetwas musste man leben. Heutzutage roch es nach Äpfeln und Birnen, nach Lauch und Zichorie. Und nur, wenn einer von Friedrichs Freunden nachts da gewesen war, konnte man unter der Theke Tee, echten Zucker oder duftende Kaffeebohnen anbieten. Anna wollte gar nicht viel darüber wissen, wer die Leute waren und woher die Waren kamen. Und Friedrich erzählte kaum etwas. Jedenfalls sorgten diese Waren dafür, dass ihre Familie nicht völlig verarmte.

Insgeheim genoss sie es, wenn Friedrichs Freunde sie ein wenig umwarben und sogar versuchten, sich gegenseitig auszustechen. Der kleine Theo zum Beispiel, der schon als Kind mit großen, traurigen Augen in die Welt geblickt hatte. Irgendwie war er ihr unheimlich, denn er besaß die Gabe, sein Gesicht in eine undurchdringliche Maske zu verwandeln. Nur der »peinliche Peter«, wie sie ihn im Stillen spöttisch nannte, machte bei dieser Art Wettbewerb gar nicht erst mit, weil er meinte, es nicht nötig zu haben. Er fand sich unwiderstehlich, und seitdem ihre Väter einmal darüber gesprochen hatten, vielleicht ihre beiden Häuser über eine Heirat ihrer Kinder zu verbinden, betrachtete er Anna sowieso schon fast als seinen Besitz. Anna grinste in sich hinein. Er hatte keine Chance, das wusste er nur noch nicht. Sie hatte ihn schon als Kind gekannt. Peter Reichart war jähzornig gewesen und hatte andere Kinder in den Dreck geschubst. Heutzutage war er zwar erwachsen, hatte sich aber im Grunde nicht geändert. Sie mochte ihn immer noch nicht. Das hatte sie ihrem Vater erzählt, und damit war der Fall auch für ihn erledigt gewesen. Zumal der alte Reichart bei der derzeitigen Wirtschaftslage die Partie wohl auch nicht mehr so erstrebenswert fand, denn er hatte nie mehr darüber geredet. Nun ja, ihr konnte es recht sein.

Die Bänder der Haube saßen richtig, jetzt brauchte sie nur noch ihr großes rotes Umhängetuch. Wo hatte sie es nur hingetan? Es war ihr Traum gewesen, ein solches Tuch in der Modefarbe zu besitzen: dunkelrot und an den Rändern mit einem gemusterten Band eingefasst. Als ihre Großeltern ihr das Tuch letztes Jahr geschenkt hatten, waren Anna vor Freude die Tränen in die Augen geschossen. Sie hatte geschworen, es niemals zu verlieren, und jetzt war es verschwunden. Sie fand es schließlich unter dem Kleid, das sie über einen Stuhl gelegt hatte, um eine Naht am Saum zu reparieren, und stellte sich wieder vor den Spiegel. Für Mitte Oktober war es draußen noch ziemlich warm, aber der rote Farbtupfer auf ihrem weißen Kleid machte sich gut. Sie legte das Tuch wie eine Stola über ihre Schultern und ließ es dann den Rücken hinuntergleiten, bis nur die Enden über beiden Armen lagen. Es musste locker wie ein langer Schal quer über den Rücken fallen, dann war es richtig.

So gewappnet ging Anna aus ihrem Zimmer und klopfte an die Tür ihres Bruders.

»Friedrich, bist du wach? Aufstehen, Faulpelz!«

Sie öffnete die Tür nur einen Spalt, weil sie mit einem fliegenden Pantoffel rechnete, und sah Friedrich auf dem Bett liegen. Vollständig angezogen, kalkweiß im Gesicht bis auf einen großen blauen Fleck am Kinn, starrte er zur Decke.

»Was ist los mit dir, um Himmels willen?«, fragte sie erschrocken.

»Nichts!«, kam es unfreundlich zurück. »Lass mich in Ruhe.«

»Aber …«

»Geh einfach.«

In einer solchen Stimmung war mit ihrem Bruder nicht gut Kirschen essen, das wusste Anna. Man musste ihn in Ruhe lassen, und in ein paar Stunden würde er dann von selbst erzählen, was ihn belastete.

»Bis nachher«, sagte sie leise, schloss die Tür und ging aus dem Haus, um ihrem Patenonkel, einem fast achtzigjährigen Freund ihres Großvaters, bei der Arbeit an seiner sehenswerten Sammlung zu helfen. Dafür bekam sie ein wenig Geld, das ihre Familie gut brauchen konnte. Sie mochte diese Arbeit sehr und freute sich immer darauf, aber nun ging ihr das weiße Gesicht ihres Bruders nicht aus dem Kopf. Friedrich musste etwas Schreckliches erlebt haben. Er brauchte Trost und Hilfe, und sie konnte nur hoffen, dass er später bereit sein würde, sich helfen zu lassen.

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In seinem Amtszimmer im Rathaus unterdrückte Commissar Jakob Hartenfels ein Gähnen, obwohl der Brief, den er gerade las, ihm zu Herzen ging. Er nahm seinen Zwicker von der Nase und rieb mit Daumen und Zeigefinger über die beiden schmerzenden Druckstellen, die auch durch die kleinen Lederpolster an den Gläsern nicht gemildert wurden. Sein neuer Zwicker quälte ihn. Er war nur eine kleine Lesehilfe, nichts Besonderes. Er musste ihn zum Glück auch nicht immer tragen. Das hätte er schrecklich gefunden, denn ein wenig Eitelkeit gestattete er sich durchaus. Außerdem befürchtete er ständig, dass die teuren Gläser ihm von seiner schmalen Nase rutschten, auf der sie ohnehin nicht viel Halt hatten, auf den Boden fielen und zerbrachen. Aber ohne sie hätte er nicht zwei Stunden lang konzentriert Berichte und Protokolle lesen können, ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Auch deshalb brauchte er jetzt frische Luft. Und das umso dringender, je mehr er über die neuen Fälle von Schmuggelei und Zollvergehen im Rheinland, gerade auch in Düsseldorf, erfuhr. Es war ein Fass ohne Boden. Und er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie man erfolgreich dagegen vorgehen sollte. Wer konnte es den Leuten verdenken? Sogar die meisten Richter im Großherzogtum drückten beide Augen zu, wenn ein Schmuggelsünder erwischt wurde. Die Not war zu groß geworden. Es war kein Wunder, dass bei den hohen Zöllen jeder, vom kleinen Halunken bis zum ehrbaren Kaufmann, seine Chance nutzte. Zumeist nachts brachten sie ausländische Waren über die Zollgrenzen ins Großherzogtum oder sorgten dafür, dass bergische Waren auch über den Rhein bis zu ihren Käufern auf der französischen Seite geschafft wurden. Napoleon wollte die Wirtschaft im eigenen Land durch hohe Zölle schützen und ruinierte damit die teilweise seit dem Mittelalter bestehenden wirtschaftlichen Verbindungen des Großherzogtums. Der Schleichhandel blühte. Der Wirtschaftskrieg zwischen Napoleon und England und strengste Verbote aller englischen Waren auf dem Kontinent hatten ein Übriges getan. Einfuhr- und Ausfuhrzölle hatten so schwindelnde Höhen erreicht, dass sich die Arbeit in Fabriken und Manufakturen für viele nicht mehr lohnte.

Seitdem die Zollkontrollen noch verschärft worden waren, trafen Klagen und Beschwerden aus dem gesamten Großherzogtum in der Hauptstadt Düsseldorf ein. Und sie waren nicht nur von Amtspersonen verfasst. Erst heute war das Schreiben, das Jakob gerade las, von der Grenze zwischen Berg und dem seit Kurzem französischen Norden Deutschlands angekommen. Da beklagte sich der Küster eines Dorfes bitter über den Zustand, an dem niemand außer Napoleon etwas ändern konnte. Er beschrieb in klaren Worten, was er in der Umgebung der Zollgrenze, der Douane, zwischen dem Großherzogtum Berg und dem Département Lippe, erlebt hatte. Jakob schüttelte den Kopf. Es war nicht die einzige Beschwerde dieser Art. Früher hatten die Leineweber im Münsterland ihr Leintuch auf dem Markt in Münster gut verkauft, aber jetzt war Münster französisch. Die Zöllner legten sich auf die Lauer, nahmen den Webern ihr Leintuch ab, wenn sie versuchten, es über die Grenze zu schmuggeln, und steckten sie in Wesel ins Gefängnis. Aber Schmuggel war das letzte Mittel für die Weber, ihre Familien vor dem Verhungern zu retten, denn der Einfuhrzoll, den sie jetzt bezahlen mussten, war höher als der bisherige normale Verkaufspreis des Tuchs. Niemand würde ihnen die Ware jedoch abnehmen, wenn sie sie einfach teurer verkauften, denn Münster bekam nun sein Tuch billiger aus französischen Webereien. Lange konnte das nicht mehr gut gehen. Irgendwann würde es Aufstände geben, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Es lag an Napoleons Dekreten, aber auch an den Douaniers. Die Zöllner überschätzten, wie das so leicht geschah, ihre eigene Wichtigkeit und genossen die plötzliche Macht über die Menschen, wenn sie Befehle im Namen des Kaisers ausführten, auch wenn es sich nur um vermeintliche Schmuggelware handelte. Das gab böses Blut. Erst kürzlich war bergisches Tuch ganz regulär und mit den nötigen Papieren über den Rhein ins französische Köln verschifft worden, hatte aber den Hafen dort nie verlassen. Die Douaniers hatten nicht geglaubt, dass ein Tuch von solch hoher Qualität aus dem Bergischen kommen könnte, und es noch im Hafen als englisches Tuch verbrannt. Der finanzielle Verlust für die Kaufleute war immens.

Seufzend steckte Jakob den Zwicker in die Innentasche seiner Jacke. Er öffnete die Klappe seines Stehpultes, verstaute die Akten im geräumigen Kasten darunter und verschloss die Tür seines Amtszimmers. Er musste an die frische Luft, um für einen kurzen Moment von dem Gelesenen Abstand zu gewinnen. Es machte ihn traurig und wütend. Außerdem konnte er bei einem Spaziergang mehr über die Atmosphäre in der Stadt herausfinden als in seinem Zimmer. Vor dem kaiserlichen Besuch war es äußerst wichtig, zu wissen, ob die Menschen generell unruhig und bedrückt oder heiter und gelassen waren. Als er hinaus auf den Marktplatz trat, wurde er auf einen kleinen Menschenauflauf gegenüber vor dem Hotel »Drei Reichskronen« aufmerksam. Einige herrschaftliche Gäste – die Damen aufgeregt, die Herren gereizt – standen um einen Polizeidiener herum, der immer wieder auf das Rathaus zeigte und offenbar geduldig den notwendigen Besitz von Sicherheitskarten erklärte. Im Hintergrund bewachte derweil die Dienerschaft das aufgetürmte Gepäck. Jakob schmunzelte. Noch maßen sich die Dienstboten mit Blicken und versuchten, sich gegenseitig einzuschätzen. Später, in der Gesindeküche des Hotels, würden sie Brüderschaft trinken und nach Herzenslust über ihre Herren und Damen klatschen und tratschen. Das neu erworbene Wissen stellte sich dann später oft als wertvolle Information für ihre jeweilige Herrschaft heraus. So war es immer.

Jakob wandte sich nach links, bog um die Ecke und spazierte in Richtung Burgplatz. Auch hier auf den belebten Straßen war die Misere überall zu spüren. Noch war das Schaufenster von Camphausens Geschäft gut mit Tabakwaren aus dem Großherzogtum gefüllt. Aber wegen der angekündigten staatlichen Tabakregie warb bereits ein Schild bei den hochgeehrten Kunden für die besondere Note einer Mischung aus Pfeifentabak und getrockneten Blättern von Huflattich und Sauerampfer. Als Jakob auf dem Burgplatz an Eleonore Raders Kaffeehaus vorbeiging, nahm er neben dem üblichen Kaffeeduft auch den bitterwürzigen Geruch der Zichorie wahr. Beim Zuckerbäcker Heinrich Niesen, gleich gegenüber der Hauptwache am alten Schloss, lagen keine Zuckerwaren mehr im Fenster. Seit Rohrzucker knapp geworden war, weil auch er über England aus Übersee kam, wurden die wenigen Köstlichkeiten im schattig kühlen Innern des Ladens wie Juwelen gehütet und waren so teuer, dass das Glöckchen über der Tür kaum noch bimmelte. Drüben vor Wellenkamps Gasthof »Goldener Anker« spielte sich Ähnliches ab wie vor den »Drei Kronen«, aber unbeschwert von zu viel Gepäck oder Dienstboten machten sich die Gäste bereits geduldig und ohne Murren auf den Weg zum Rathaus. Das konnte allerdings auch daran liegen, dass Polizeidiener Bruck ihnen den Sachverhalt der Sicherheitskarten erklärt hatte. Bruck war schon in kurfürstlichen Zeiten Polizeidiener gewesen und wusste, wie er mit den Leuten umgehen musste, damit sie das, was sie tun sollten, ganz von allein gut und richtig fanden. Jetzt machte er Jakob Zeichen, auf ihn zu warten, und kam zu ihm herübergelaufen.

»Monsieur le Commissaire, gut, dass ich sie treffe.«

Jakob wartete darauf, dass er weitersprach, und schaute ihn aufmerksam an. Er schätzte Bruck auf um die fünfzig Jahre und wusste, dass er als Polizeidiener sehr erfahren war. Deshalb war er doch erstaunt, dass sich Brucks Wangen nun ganz langsam färbten, bis sie fast so aussahen wie der rote Stehkragen an seiner grauen Uniformjacke. Der Polizeidiener rang sichtbar mit sich und seiner Verlegenheit und fasste schließlich einen Entschluss.

»Ich falle gleich mit der Tür ins Haus«, preschte er vor, ehe er es sich anders überlegen konnte. »Können Sie jemanden wie mich bei Ihrer Arbeit brauchen?«

Wie von selbst legte sich Brucks Gesicht in kummervolle Falten, als würde er sich nicht allzu viele Hoffnungen machen, aber seine Augen blickten Jakob hellwach und gespannt an. Jakob dachte nach. Bisher hatte er sehr gerne allein gearbeitet. Da musste man sich über niemanden ärgern und konnte sich seine Zeit frei einteilen. Wenn er jemanden von der Polizeiwache dabeihatte, würde sich das ändern. Früher oder später würde er es auch vor Wachtmeister Overheid begründen müssen, denn Bruck gehörte zu Overheids Leuten. Und was der davon hielt, konnte Jakob sich gut vorstellen. Außerdem war er sich nicht sicher, ob Bruck nicht auch zu denen gehörte, die Jakob gerne losgeworden wären, und aus ganz anderen Gründen seine Bitte vorbrachte.

»Ja, ich weiß«, sagte Bruck, als hätte er Jakobs Gedanken gelesen. »Sie glauben nicht, dass ich es ehrlich meine, weil die anderen Sie so schlecht behandeln. Ich bin aber keiner von denen, glauben Sie mir.«

Während sie die Mühlenstraße hinuntergingen, erzählte er von dem Fall, an dem sich Overheid und seine Männer vor ein paar Monaten die Zähne ausgebissen hatten. Dann war Jakob gekommen und hatte ihn so schnell und einfach gelöst, dass sie sich alle gewundert hatten. Ab da waren sie dann auch nicht mehr gut auf den Commissar zu sprechen gewesen, weil er mit fast provozierender Leichtigkeit ihre bisherige Arbeit tat. Und jetzt wollte er, Bruck, bei Jakob lernen, wie man das machte.

»Ich erledige auch noch die Arbeit, die Overheid mir gibt. Er wird nichts merken!«, beteuerte er.

Bruck war so eifrig in seiner Bitte, dass Jakob schließlich lächelnd einwilligte.

»Gut, wir versuchen es. Und sehen Sie mal da vorne, Bruck. Ich glaube, da haben wir schon unseren nächsten Fall: eine auffällige Ansammlung von Personen.«

Jakob hatte es zum Spaß gesagt, aber es wurde schnell Ernst daraus. Als sie näher kamen, sahen sie, dass die Menschentraube um ein Fuhrwerk herumstand. Ein berittener Gendarm versuchte vergeblich, sie zu vertreiben, und knallte mit seiner Peitsche, wobei es ihm gleichgültig war, ob er außer Luft auch einen Rücken traf.

»Weitergehen! Rien à voir ici! Hier gibt es nichts zu sehen!«

Aber das schien nicht ganz der Wahrheit zu entsprechen. Eine Frau weinte, eine andere behauptete, »den da« schon mal gesehen zu haben, ein Mann schüttelte fassungslos den Kopf. Alarmiert schoben sich Jakob und Bruck durch die Menge.

»Lasst uns durch, Leute!«, rief Bruck. »Polizeidiener Bruck und Monsieur le Commissaire Hartenfels!«

Der Kopf des Gendarmen fuhr herum.

»Hartenfels? Sie kommen wie gerufen. Der Tote lag zwar auf einer Wiese draußen vor der Stadt, aber jetzt ist er hier. Er gehört Ihnen. Wenn Sie noch Fragen haben, wissen Sie ja, wo Sie mich finden. Ich bin Gendarm Lamberti.«

Damit wandte er sein Pferd und ritt zum Statthalterpalais, wo in einem Nebengebäude auch die Gendarmerie untergebracht war. Sie bestand aus wenig zimperlichen Militärs und war für die Bewachung von Regierungsbeamten und für Vergehen jeder Art außerhalb der Stadtgrenzen zuständig. Sehr geschickt, einen Toten mitten auf der Mühlenstraße abzustellen, dachte Jakob. Innerhalb der Stadt musste er sich jetzt um ihn kümmern. Er warf einen Blick auf den Mann, aber er kannte ihn nicht.

»Wohin mit ihm?«, fragte eine ungehaltene Stimme vom Kutschbock. »Ich brauche mein Fuhrwerk für andere Sachen. Wer zahlt mir denn überhaupt die ausgefallene Zeit?«

»Napoleon«, gab Bruck zurück, »du wirst schon sehen, der kommt ja bald. Und jetzt weiter, hier kannst du nicht bleiben.«

Die Schaulustigen begannen sich zu zerstreuen, als Bruck und Jakob auf den Kutschbock kletterten und den mürrischen Spediteur in ihre Mitte nahmen. Der Mann trieb sein Pferd an. Langsam zockelte das Fuhrwerk mit seiner grausigen Fracht die Mühlenstraße hinunter Richtung Burgplatz. Einerseits war Jakob zutiefst beunruhigt, weil er den Fall selbstverständlich noch vor dem Besuch Napoleons aus der Welt schaffen musste. Andererseits freute er sich, dass er mit Bruck offenbar jemanden gefunden hatte, der schnelle Lösungen mochte.

»Zum Max-Joseph-Krankenhaus in der Neustadt«, wies er den Spediteur an.

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Ein paar Häuser weiter, jenseits der Liefergasse, wurden einige Bewohner des Hauses Mühlenstraße 12 vom ungewöhnlichen Lärm aufgeschreckt. Während Glasermeister Drach und der junge Uhrmacher Carl Buhl in ihren Werkstätten unten im Haus ruhig weiterarbeiteten, waren eine Etage über ihnen eilige Trippelschritte zu hören. Die drei ältlichen Fräulein Krahe waren auf dem Weg zu den vorderen Fenstern ihrer gemeinsamen Wohnung. Ihnen entging nichts, und gerade Menschenansammlungen versprachen aufregende Neuigkeiten. Aus der zweiten Etage hörte man ein Baby schreien.

»Mama«, rief ein kleiner Junge. »Norbert schreit.«

Das professionelle Klavierspiel im Nebenzimmer brach abrupt ab. »Es ist nicht zu überhören, Franz«, antwortete seine Mutter und stand seufzend auf.

»Ich gehe schon, Therese«, sagte sein Vater, »spiel ruhig weiter.«

»Danke, Lieber!«

Während die Musik wieder einsetzte, erhob sich ein Mann von ungeheuren Ausmaßen aus einem Stuhl am Fenster. Alles an ihm war gewaltig – und es erfüllte ihn mit einem gewissen Stolz, wenn jemand so über ihn sprach –, sein enormer Bauch, seine taillendicken Oberschenkel, sein großes Gesicht und nicht zuletzt seine plumpen Hände. Johann August Franz Burgmüller aß eben gern. Und vor allem aß er sehr gern sehr viel. Allein der Anblick eines gebratenen Hähnchens rührte ihn zu Tränen. Man traute es ihm nicht zu, und sogar die Menschen, die ihn lange kannten, waren immer wieder erstaunt, aber dieser massige Mann konnte eine Zartheit entwickeln, wenn es um Musik ging, von der jüngere, schlankere und vor allem weniger begabte Zeitgenossen nur träumten. Er war gebildet und von großer Musikalität, und er kannte sein Metier aus allen Blickwinkeln eines Dirigenten und Pianisten, ob im Konzertsaal, im Theater oder auf der Orgelempore. Er liebte die Musik, den Genuss und die Sorglosigkeit. Ein gefühlvoller Träumer war er, mit Familie – mit einer klugen Ehefrau und inzwischen drei kleinen Söhnen, Franz, Friedrich und Norbert.

Es war gut, dass Norbert, gerade eineinhalb Jahre alt, genau in dem Moment angefangen hatte zu schreien, als unten auf der Straße das Fuhrwerk mit dem Toten auf der Ladefläche vorüberfuhr. Als Burgmüller nämlich aufgestanden war, warf er unwillkürlich einen Blick aus dem Fenster und schaute ihm direkt ins Gesicht. Und da er nie ein Gesicht vergaß, erkannte er den leblosen Mann da unten sofort. Er war schon öfter auf dieser Straße gewesen, hinten beim Statthalterpalais, immer zu Pferde, sprach französisch und war sehr freundlich. Während Burgmüller zu seinem jüngsten Sohn ging, nahm er sich vor, den Polizeidienern im Rathaus einen Hinweis zu geben, wenn er das nächste Mal im Theater am Marktplatz zu tun hatte. Vielleicht wussten sie ja gar nicht, wen sie da gefunden hatten. Hoffentlich dachte er auch daran, denn normalerweise hatte er auf dem Weg zum Theater nur Musik im Kopf. In letzter Zeit war er fast täglich dort. Bis zu Napoleons Besuch musste der Don Giovanni perfekt eingeübt sein, das war er Mozart und sich selbst schuldig. Es war ein Jammer, dass Johann Gottfried Wohlbrück nicht mehr da war. Mit diesem Prinzipal hatte er als Kapellmeister gut arbeiten können. Die beiden Neuen, die sich seit einem Jahr Wohlbrücks Amt teilten, stritten sich nur. Burgmüller seufzte. Mit dem Theater ging es bergab. Aber er setzte seine ganze Ehre daran, dass wenigstens die Musik in Düsseldorf gut – nein, falsch, dass sie exzellent war.

Behutsam hob er seinen schreienden Sohn aus dem Kissen, wo er eigentlich seinen Mittagsschlaf halten sollte, steckte ihm den Lutschbeutel wieder in den Mund und wiegte ihn sanft hin und her.

»Du wirst bestimmt einmal ein berühmter Sänger«, brummte er leise. »Eine kräftige Stimme hast du ja schon.«