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Doris Radmayr

Das geht so nicht...

... und andere (Kurz)Geschichten

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© 2017 Doris Radmayr

Lektorat, Korrektorat: Korrektorat/Schreibbüro Manfred Spöcklberger

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7439-5524-0
Hardcover: 978-3-7439-5525-7
e-Book: 978-3-7439-5526-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Das geht so nicht I

Das geht so nicht II

Das geht so nicht III

Das geht so nicht IV

Das geht so nicht V

Das geht so nicht VI

Der Traummann

Eine kleine Idee

Eine kleine Idee tritt ein

Eine kleine Idee #3

Die Frau am Parkplatz

Fremde Hände

Fremde Hände 2

Trennung

Ein kurzer Sommerregen

Ein Schmetterling

Die Geschichte, die lächelte

Der Tag, an dem ich das Internet gelöscht habe

Das Erwachen

Hermann auf dem Baum

Eine kleine grüne Schildkröte

Das Sternenkind

Das geheime Leben der verloren geglaubten Daten

Vier-Drei-Viertel

Die Fragen

Fundstücke

Das geht so nicht I

„Das geht so nicht", sagt sie. „Du kannst nicht kommen und gehen, wie du magst und dann noch erwarten, dass ich Zeit für dich habe oder gar vor Freude in die Luft springe, wenn du mal wieder unangekündigt auftauchst." Kasimir wandte sich ab und schlenderte in die Küche. Sie blieb im Gang stehen und fühlte erneut die Wut in sich aufkochen. Da kam die ganze Angst, die sie um ihn in den letzten vier Tagen gehabt hatte, heraus. „Und erwarte dir nur ja kein Festmenü, du Streuner, du Fremdgeher, du untreue Seele!"

Mühsam unterdrückt sie ein paar Tränen und will zurück ins Wohnzimmer. Zurück in ihre bequeme Leseecke, in der sie gerade gesessen hatte, als sie ihn aus dem Augenwinkel ums Haus streichen sah. Nein, dieses Mal ließ sie es nicht zu, dass er sich heimlich ins Haus schlich, dieses Mal empfing sie ihn an der offenen Haustür, die Hände in die Hüften gestemmt, wütend. Als er sie sah, zögerte er eine Sekunde, senkte den Blick und versuchte dann, möglichst gelassen und unbeteiligt an ihr vorbei ins Haus zu gehen. Sie verfolgte ihn mit zornigen Blicken, bis sie die Tür hinter sich schloss und mit ihrer Zornesrede begann.

Jetzt sieht sie ihn da drinnen stehen. Mager sieht er aus. Müde, aber nicht so ungepflegt, wie sie es nach dieser langen Zeit erwartet hätte. Er sieht sie nicht einmal an. Anscheinend hat er doch noch so etwas wie ein Gewissen. Sie zögert. Soll sie ihn stehen lassen, ihn ignorieren, sich wieder ihrer Beschäftigung von vorhin widmen? Trotzig reckt sie das Kinn nach vorne. Ja, genau, das wird sie machen. Doch im selben Moment spürt sie innerlich, dass sie dazu nicht in der Lage ist. Spürt, dass es ihr damit schlechter gehen würde als ihm, wenn sie versucht, ihn zu ignorieren. Resigniert zuckt sie mit den Schultern. „Was soll's, ich werde dich ja doch nicht mehr umerziehen können, in deinem Alter." Sie geht in die Küche, öffnet den Kühlschrank und sieht zu ihm. „Was willst du haben? Huhn oder Wild? Von beiden Dosen ist noch etwas übrig."

Er scheint ihren Stimmungsumschwung auch bemerkt zu haben und kommt näher. Mit einschmeichelndem Blick streicht er um ihre Füße und miaut.

„Schon gut, schon gut. Da hast du." Sie stellt die vollgefüllte Schale mit dem Katzenfutter auf den Boden. „Aber das nächste Mal, wenn du solange weg bleibst, kannst du was erleben!"

Das geht so nicht II

„Das geht so nicht", gesteht sie sich beim Hinausgehen ein. „Ich muss wirklich eine andere Strategie anwenden, wenn ich diesen Typ haben will."

Dieser Typ war ihr Chef. Und das seit mittlerweile sieben Monaten. Schon als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, wusste sie, dass sie ihn rumkriegen wollte. Rumkriegen musste. Er sah aus wie Hugh Grant, hatte eine sonore Stimme wie Bill Whyte, und sie war sich auch ganz sicher, dass er mit ihr flirtete. Bei seiner Vorstellung hatte er ihr tief in die Augen geschaut, ihre Hand länger als nötig festgehalten und sie zu ihrem Arbeitsgebiet befragt. Länger als alle anderen.

Aber schön langsam fing sie an, an ihrem Plan zu zweifeln. Sie hatte beschlossen, ihn mit einer Mischung aus Kompetenz und gutem Aussehen zu beeindrucken. Egal, wie lange sie im Büro saß, sie war stets gestylt, als käme sie eben aus dem Badezimmer. An den kurzen Feierabenden saß sie über Büchern mit Fachliteratur und büffelte. Im wahrsten Sinn des Wortes. Jeden seiner Aufträge quittierte sie mit einem fröhlichen Lächeln und einem „Aber sicher doch, ich erledige das umgehend" und häufte sich so eine ganze Menge zusätzlicher Arbeit an. Er war charmant, freundlich, aber auch unerbittlich, wenn es um Abgabetermine ging, unnachgiebig, was die Qualität der Arbeit betraf und völlig neutral, wenn sie mit ihm sprach. Das durfte doch nicht wahr sein! Schon vor einiger Zeit hatte sie begonnen, sein Verhalten den anderen weiblichen und schließlich auch den männlichen Kollegen gegenüber genau zu beobachten. Da musste doch etwas dahinter stecken, dass er so gar nicht auf sie reagierte. Hatte jemand sie ausgebootet, ohne dass sie es bemerkt hatte? Wer könnte das sein? Sie war ratlos.

Da half nur eines: alles auf ein Pferd setzen, siegen oder mit fliegenden Fahnen untergehen. Nur was dann? Wenn sie mit ihrem Versuch, ihn zu verführen, scheiterte, was hätte sie dann noch für Chancen in dieser Abteilung? Sollte sie sich gleich versetzen lassen und dann ihren Angriff starten? Nein, so schnell würde sie das Feld nicht räumen.

Sie hatte sich nun einen genauen Zeitplan gesetzt. Noch drei Tage, dann ging sie zum Angriff über. An diesem Donnerstag würde ein spätes Meeting mit Geschäftspartnern aus China stattfinden, und sie war als Unterstützung und Protokollführerin dabei.

Danach fand wie üblich noch ein kleiner Umtrunk statt. Da würde sie es versuchen. Nein, nicht versuchen, da würde sie es schaffen.

Die Nacht auf Donnerstag konnte sie vor lauter Aufregung kaum schlafen. Den Arbeitstag verbrachte sie in einem tranceartigen Zustand. Dann war es so weit. Um 16.30 Uhr fand sie sich im Büro des Geschäftsführers ein und war vor lauter Vorfreude zappelig wie ein junges Mädchen vor ihrem ersten Kuss. Sie strich sich nervös die Haare aus dem Gesicht, zupfte an ihrem Kragen und schob ihre Unterlagen von einer Hand in die andere. Der Geschäftsführer, ein hagerer Mann um die sechzig, blickte zweifelnd in ihre Richtung. „Ist mit Ihnen etwas nicht in Ordnung?", fragte er schließlich zischend. „Sie zappeln hier rum, als müssten Sie noch auf die Toilette." Ärgerlich schüttelte er den Kopf und sah auf die Uhr. „Wo ist überhaupt Ihr Chef, der sollte doch auch schon längst hier sein. Die Delegation aus China kann jeden Moment eintreffen."

In diesem Moment ging die Türe des Büros auf und da war er. Mit leicht erhitztem Gesicht betrat er das Büro vor einer zarten Chinesin, die beide als Mitglied der Delegation ansahen. Soeben wollte der Geschäftsführer zu einer Begrüßung ansetzen, da unterbrach ihn ihr Chef mit einer entschuldigenden Geste.

„Verzeihen Sie, Herr Dingisch. Ich weiß, ich habe in dieser Sache sehr eigenständig gehandelt, aber ich hoffe, Sie verzeihen meinen Alleingang. Ich habe mir erlaubt, meine Frau Mie-Ling zu unserem Treffen dazuzubitten. Sie haben mir doch erzählt, dass Sie bei Ihren letzten Treffen gewisse Zweifel an der Integrität des Dolmetschers hegten, und da dachte ich mir, dass es nicht schlecht wäre, eine Kontrollinstanz mit dabei zu haben, die auf unserer Seite steht. Mie-Ling lebte bis zu ihrem 15. Lebensjahr in der Volksrepublik China und zog dann mit ihrem Vater und ihren Geschwistern nach Deutschland. Sie spricht fließend Chinesisch und Deutsch und kann uns so einige Hintergrundinformationen liefern, die während des inoffiziellen Teils des Meetings zwischen unseren Geschäftspartnern ausgetauscht werden."

Der Geschäftsführer reagierte erst zornig, dann verblüfft, schließlich war er von der Idee aber begeistert. „Herr Langreiter, ich werde Ihnen diese Eigenmächtigkeit nachsehen, weise sie aber darauf hin, dass es mir lieber ist, wenn ich in solche Pläne im Vorhinein eingeweiht werde." Er räusperte sich. „Frau Langreiter, ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Entgegenkommen und freue mich schon, Ihnen unsere chinesische Delegation vorzustellen."

Sie stand die ganze Zeit da wie die sprichwörtliche Salzsäule. Erstarrt, mit offenem Mund und fassungslos.

Ihr Chef – verheiratet? Aber vielleicht war ihm das ja gar nicht so ernst? Nur – wie sollte sie ihn in Gegenwart seiner Frau verführen? Das ging ja gar nicht. Sie kam sich plötzlich lächerlich und aufgedonnert vor. „Das geht so nicht", sagte sie leise zu sich selbst, „das geht so gar nicht."

Das geht so nicht III

„Das geht so nicht", sagte ich und richtete mich schwer schnaufend wieder auf. „Ich krieg den verdammten Abfluss einfach nicht auf."

Susi stand heulend vor mir.

„Probier's noch mal", bettelte sie mich an. „Der Ring muss da drinnen sein."

„Bist du sicher, dass du ihn nicht schon vor dem Abwaschen verloren hast? Wenn ich den Siphon zerstöre und ihn nicht finde, bist du auch nicht besser dran."

Susi nickte.

„Das weiß ich. Das weiß ich doch. Aber er muss einfach da drinnen sein."

Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, wer – außer Susi – heutzutage denn überhaupt noch von Hand abwusch? So eine blöde Angewohnheit, noch dazu, wo der Geschirrspüler direkt neben der Abwasch stand.

„Ich finde ja, dass das Ganze von Anfang an eine Schnapsidee war", fauchte ich sie an, schüttelte dann resigniert den Kopf und beugte mich wieder zu meinem Werkzeugkasten hinunter. Dort kramte ich ein wenig herum, nahm eine zweite Rohrzange in die Hand und robbte dann, auf dem Rücken liegend, wieder unter den Küchenkasten. Kurze Zeit später schlüpfte ich wieder heraus. Der Schweiß tropfte mir von der Stirn, und meine rechte Hand zitterte ein wenig von der Anstrengung.

„Wenn du dir sicher bist, dass er da drinnen liegt, hol einen Installateur. Wenn nicht, pack schon mal deinen Koffer für die Flucht. Ich schaff es einfach nicht. Tut mir leid."

Ich stand auf, wartete noch eine Weile, aber als von Susi keine Antwort kam, schnappte ich mir den Werkzeugkoffer und verließ das Haus durch die Terrassentür.

Zuhause packte mich das schlechte Gewissen. Ich wusste, was Susi bevorstand, wenn der Ring verschwunden blieb. Der Juwelier, bei dem sie arbeitete, war eine zwielichtige Gestalt. Er hatte Mittel und Wege, säumige Kunden zu prompten Zahlungen zu bewegen, verkaufte seine Schmuckstücke am liebsten an Kunden, denen die Herkunft derselben völlig egal war, und Susi hatte auch schon den Verdacht geäußert, dass da mehr als nur Ringe, Ketten und Armbänder über oder unter dem Ladentisch verkauft wurde. Aber sie hatte dringend eine Arbeit gebraucht, die Bezahlung war außerordentlich gut, und die meiste Zeit konnte sie in dem kleinen Geschäft schalten und walten, wie sie wollte. Allerdings hat meine liebe Nachbarin das Gemüt eines zweijährigen Kindes und dachte sich nichts dabei, des Öfteren mal einen hübschen Ring am Feierabend mitzunehmen und ihn am kommenden Tag wieder in seine Schatulle zurückzulegen. Einmal, kurze Zeit nach Susis Arbeitsbeginn, hatte ihr Chef schon seinen Verdacht geäußert, dass sie unrechtmäßig seinen Schmuck trug. Er hatte getobt und sie angeschrien. Susi war sich damals sicher, gleich am nächsten Tag entlassen zu werden, aber das passierte nicht. Ein anderes Mal hatte er sie erwischt und Drohungen ausgesprochen, die ihr noch heute gelegentlich den Schlaf raubten, sie allerdings wieder nicht zurück in die Arbeitslosigkeit geschickt. Das hatte sie nachdenklicher, aber auch unvorsichtiger werden lassen. Und jetzt? Was, wenn sie den Ring nicht mehr fand? Würde er ihr einen Schlägertrupp auf den Hals schicken? Ein Killerkommando? Ich saß in meinem Büro und blickte aus dem Fenster zu Susis Haus. Bald würde ihr dämlicher Freund nach Hause kommen, dem müsste sie dann auch noch erklären, warum sie versucht hatte, den Abfluss zu öffnen. Dieser Gunbert war sowieso zu nichts nutze. Wohnte mietfrei bei Susi, ließ sich von ihr bekochen und bedienen, trug nichts zu den Lebenskosten bei und flippte bei den kleinsten Abweichungen von seinem so heißgeliebten Alltag aus.

Wieder schüttelte ich den Kopf. Susi war so ein herzlicher und lieber Mensch. Ich konnte einfach nicht begreifen, warum sie sich mit diesem Typ abgab. Was gab er ihr, dass sie sich so behandeln ließ?

Am nächsten Morgen musste ich früh raus und bekam nicht mehr mit, ob Susi noch einen Handwerker zu sich bestellt hatte. Ein ausschlaggebender Grund für Susi, die Arbeit im Juwelierladen anzunehmen, war nämlich auch gewesen, dass dieser erst um 10.30 Uhr aufsperrte, nachmittags regulär bis 16.30 Uhr geöffnet hatte und nur, wenn sich gute Kunden vorher anmeldeten, länger offen blieb. Dafür musste sie am Samstag zusätzlich von 15 bis 19 Uhr arbeiten, was ihr aber egal war, da sie keine zeitraubenden Hobbys hatte und den Samstag sowieso gerne in der Stadt in einem Café verbrachte. So ging sie ihrer Samstagsbeschäftigung am Vormittag nach, setzte sich nachmittags ins Geschäft, polierte die Glaskästen, bediente die hereintröpfelnde Kundschaft und fühlte sich wohl dabei.

Als ich am späten Nachmittag heimkam, war es im Nachbarhaus jedenfalls dunkel und ruhig. Ich machte mich daran, meine Wäsche zu sortieren, abzustauben und ein paar Dinge umzuräumen. Lauter Tätigkeiten, bei denen meine Hände beschäftigt waren und mein Kopf Zeit hatte, zur Ruhe zu kommen. Das brauchte ich nach einem Arbeitstag, bevor ich mich hinsetzen und mich auf ein Buch konzentrieren konnte.

Ich versuchte, den Ring, Susi und ihren halbseidenen Chef aus dem Kopf zu bekommen und wandte mich wieder der Wäsche zu. Nach einiger Zeit hörte ich von draußen, wie ein Auto zum Nachbarhaus fuhr. Das musste dann wohl Gunbert sein, der heute früher von der Arbeit kam. Susi fuhr immer mit dem Rad, egal zu welcher Jahreszeit. Im Winter kam es auch des Öfteren vor, dass sie ihr Rad nur neben sich herschob, weil es zu rutschig war, aber sie bestand darauf.

Mit einem kurzen Blick erkannte ich, dass ich recht gehabt hatte. Gunberts Riesenschlitten stand vor dem Haus, ein paar Lichter waren an. Dann ging plötzlich alles ganz schnell.

Wie in einem Action-Film waren da plötzlich noch drei andere Autos, aus denen jeweils vier schwarzgekleidete Männer stiegen, die sich von allen Seiten her dem Haus näherten. Ich stand wie gebannt schräg hinter dem Fenster und staunte. Das war ja wie im Kino!

Plötzlich sah ich Susi am Ende der Straße auftauchen.

„Nicht!", dachte ich verzweifelt. „Bleib stehen, geh da nicht weiter!"

Ich überlegte, wie ich ihr ein Zeichen geben konnte, aber währenddessen war Susi schon fast bei ihrem Haus angekommen. Fast. Denn plötzlich machte sie einen Schlenker mit dem Rad, fuhr quer über ihre Wiese und verschwand auf der Hinterseite meines Hauses. Ich stürmte die Treppen hinunter und öffnete die Küchentüre. „Was ist da los?", fragte Susi atemlos.

„Ich weiß es nicht", antwortete ich. „Gunbert fuhr zum Haus und plötzlich waren da diese Männer und ihre Autos, ich weiß es wirklich nicht, das ging alles so schnell!"

Ich zitterte und Susi war kreidebleich.

„Los, wir gehen rauf und schauen rüber, was passiert", flüsterte ich.

„Warum flüsterst du?" fragte Susi.

„Ich weiß auch nicht", flüsterte ich zurück, „ich habe Angst, bemerkt zu werden."

Susi sah mich nachsichtig an und schüttelte den Kopf. „Na komm schon, lass uns nach oben gehen und sehen, was passiert."