cover.jpg

 

 

 

 

W E N  E S  D O C H  N U R  F Ü R  I M M E R 

W Ä R E

 

(DIE PENSION IN SUNSET HARBOR—BUCH 4)

 

 

S O P H I E  L O V E

Sophie Love

 

Sophie Love ist seit jeher ein Fan von Liebesromanen, weshalb sie sich sehr freut, ihre erste Reihe an Liebesbüchern: FÜR JETZT UND FÜR IMMER (DIE PENSION IN SUNSET HARBOR – BUCH 1) zu veröffentlichen.

Sophie würde gerne von Ihnen hören. Besuchen Sie deshalb bitte ihre Webseite www.sophieloveauthor.com, um ihr eine E-Mail zu schreiben, in den E-Mail-Verteiler aufgenommen zu werden, kostenlose E-Books sowie die neuesten Nachrichten zu erhalten und um mit ihr in Kontakt zu bleiben!

 

Copyright © 2016 by Sophie Love. Alle Rechte vorbehalten. Außer, wie gemäß dem U.S Copyright Gesetz von 1976 ausdrücklich erlaubt, darf kein Teil dieser Veröffentlichung ohne vorherige Erlaubnis der Autorin vervielfältigt, verbreitet oder in irgendeiner Weise oder in irgendeiner Form übertragen, in einer Datenbank oder in einem Datenabfragesystem gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für den persönlichen Gebrauch zugelassen. Dieses E-Book darf nicht weiterverkauft oder an andere Menschen weitergegeben werden. Wenn Sie sich dieses E-Book mit einer anderen Person teilen möchten, kaufen Sie sich bitte eine zusätzliche Kopie für jeden weiteren Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen, es jedoch nicht selbst gekauft haben und es auch nicht für ausschließlich Ihren Gebrauch gekauft wurde, dann geben Sie es bitte zurück und erwerben eine eigene Kopie. Vielen Dank für Ihren Respekt für die harte Arbeit dieser Autorin. Bei diesem Buch handelt es sich um Fiktion. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Veranstaltungen und Vorkommnisse sind entweder das Produkt der Fantasie der Autorin oder sind fiktiv eingesetzt. Jede Ähnlichkeit mit reellen Personen, lebend oder tot, ist reiner Zufall. Buchumschlagabbildung Copyright STILLFX, unter Lizenz von Stutterstock.com.

 

BÜCHER VON SOPHIE LOVE

 

DIE PENSION IN SUNSET HARBOR

FÜR JETZT UND FÜR IMMER (Buch 1)

FÜR IMMER UND EWIG (Buch 2)

FÜR IMMER MIT DIR (Buch 3)

WENN ES DOCH NUR FÜR IMMER WÄRE (Buch 4)

EWIG UND DREI TAGE (Buch 5)

FÜR IMMER UND NOCH EIN TAG (Buch 6)

 

INHALT

 

 

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPITEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

 

 

 

 

KAPITEL EINS

 

Der Ring war noch viel schöner als in Emilys Erinnerung. Ein gewundenes Silberband war mit dem Blau, das sie an das Meer erinnerte, verschlungen. Darauf saß eine Perlengruppe. Er war wunderbar, einzigartig und absolut perfekt.

Eine Schneeflocke landete auf Emilys Hand und brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Sie sah zu Daniel, der immer noch vor ihr kniete. Im Hintergrund schlugen die Wellen an den Strand, die Sterne glänzten am Himmel und Sand klebte an Daniels Hose. Er hatte Tränen in den Augen und Emily konnte spüren, wie sie auch in ihren Augen aufstiegen. Sie konnte sich nicht bewegen, nicht aufstehen. Das einzige, zu dem sie fähig schien, war, Daniel festzuhalten und ihn nie wieder loszulassen.

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog seinen Körper dicht zu sich heran. Dann übersäte sie seinen Nacken mit Küssen und fuhr ihm mit den Fingern durch das Haar.

„Ich liebe dich so sehr“, flüsterte sie.

„Und ich liebe dich mehr, als Worte je beschreiben können“, erwiderte Daniel atemlos. Dann fügte er mit einem leisen Lachen hinzu: „Du zitterst ja.“

Emily musste kichern, sie fühlte sich sorglos und frei. „Das liegt am Schnee“, erklärte sie.

Schließlich lösten sie sich voneinander und Daniel griff nach Emilys Hand, an der er sie auf die Füße zog.

„Sollen wir zurückgehen?“, fragte er.

Emilys Gedanken kehrten zu der Thanksgiving-Feier zurück, die gerade in ihrer Pension stattfand. Es hatte sich praktisch die ganze Stadt hier versammelt und mit Sicherheit war die Abwesenheit von ihr und Daniel mittlerweile bemerkt worden. Doch sie wollte nicht zurückgehen. Noch nicht. Sie wollte hier mit Daniel diesen perfekten Moment so lange wie möglich auskosten.

Emily schüttelte den Kopf und rieb sich die Gänsehaut von den Armen. „Können wir noch ein bisschen länger hierbleiben?“

Daniel schenkte ihr ein zärtliches Lächeln. „Natürlich.“ Er zog sie wieder in seine Arme. Zusammen wiegten sie hin und her, so als ob sie zu einer Musik tanzen würden, die nur sie hören konnten.

„Ich kann es kaum abwarten, Chantelle davon zu erzählen“, murmelte Daniel nach einer Weile.

Bei dem Gedanken an Daniels Tochter durchfuhr Emily ein plötzlicher Schub Aufregung. Das kleine Mädchen würde sich so für sie freuen. Auf einmal erschien ihr die Idee, zur Pension zurückzukehren, um einiges verlockender. Emily wollte unbedingt Chantelles Gesicht sehen, wenn sie ihr die Neuigkeit verkündeten. Das Mädchen, das solch einen schrecklichen Start ins Leben gehabt hatte, würde nun endlich sein Märchenende bekommen.

„Komm, lass uns zurückgehen“, sagte Emily, während sie sich aus Daniels Umarmung löste und stattdessen seine beiden Hände ergriff.

„Bist du dir sicher?“, fragte er.

Sie nickte. In diesem Augenblick wünschte sich Emily nichts sehnlicher, als Chantelle von den Neuigkeiten zu erzählen. Plötzlich fühlte sie sich selbstbewusst und stolz und wollte auch, dass die ganze Welt davon wusste. Sie wollte sich auf die Dachterrasse ihrer Pension stellen und die Neuigkeiten über die ganze Stadt hinwegschreien, damit jeder im Umkreis von mehreren Kilometern sie hören könnte.

Doch während sie den Strand in Richtung Pension entlanggingen, stieg in Emily wieder eine gewisse Nervosität auf. Sie hielt nicht gerne große Ansprachen, aber sie würde es niemals schaffen, zurück ins Haus zu schleichen, ohne über ihre Abwesenheit befragt zu werden. Ganz zu schweigen von dem Ring. Der war wohl kaum unauffällig. Jeder, der Augen im Kopf hatte, würde ihn sofort glitzern sehen.

Unwillkürlich tauchten in Emilys Kopf all die Gesichter auf, die sie anstarren würden – einige davon mit unterstützender Miene, andere eher auf abwehrende Weise. Jetzt im Moment gehörte ihre Verlobung nur ihr und Daniel und niemandem sonst. Es war etwas ganz Privates, ein Zustand reinen Glücks. Doch sobald sie die Neuigkeiten verkündeten, öffneten sie diesen Bereich ihres Lebens für Kritik und gegensätzliche Meinungen.

Vielleicht kommt es ja auch ganz anders, dachte Emily, während sie entlangschlenderte. Vielleicht hatten sich die Stadtbewohner in ihrer Abwesenheit ja an den Mimosas vergriffen und waren so mit Trinken, Tanzen und fröhlichem Beisammensein beschäftigt, dass sie ihre Rückkehr gar nicht bemerken würden.

Schließlich erreichten sie den kleinen Pfad, der vom Strand hinauf zu der Straße führte, in der sie lebten. Emily kletterte den steilen Abhang zuerst hinauf, Daniel folgte ihr. Als sie durch die Bäume auf den Gehweg traten, konnten sie die Lichter der Pension sehen und die Musik und das Lachen hören, das der Wind zu ihnen hinübertrug. In ihrem Bauch flatterten Schmetterlinge umher.

„Bereit?“, fragte Daniel, als er neben sie trat.

Emily holte tief Luft. Trotz ihrer Nervosität fühlte sie sich so selbstsicher wie nie zuvor, so als ob sie es mit der ganzen Welt aufnehmen könnte.

Hand in Hand liefen sie langsam die Einfahrt entlang, vorbei am Kutscherhaus, in dem Daniel einmal gewohnt hatte, und anschließen die Stufen der Veranda hinauf und durch die Eingangstür der Pension in Sunset Harbor. Sofort wurden sie von Wärme und Helligkeit umfangen. Der beruhigende Duft nach Thanksgiving-Essen – Truthahn, Preiselbeeren, Mais, Kürbiskuchen – lag in der Luft. Augenblicklich spürte Emily die Liebe, die in der Pension herrschte.

In diesem Moment stürmte eine lachende Serena aus dem Esszimmer in den Flur. Als sie Daniel und Emily erblickte, lächelte sie sie aus ihren rotbemalten Lippen an. Ihre Wangen waren leicht gerötet und Emily fragte sich unwillkürlich, ob das wohl etwas mit dem andauernden Flirt zu tun hatte, der an diesem Abend zwischen ihr und Owen, dem Klavierspieler, stattfand.

„Oh hey“, sagte Serena, als sie Emilys Blick auffing. „Ich habe mich schon gefragt, wohin ihr zwei verschwunden seid.“

Emily und Daniel sahen sich verschmitzt an. Auf frischer Tat ertappt.

Plötzlich brachte Emily kein Wort über die Lippen, wie ein Kind, das gerade dabei erwischt worden war, wie es Kekse aus der Dose stahl. Sie sah Daniel hilfesuchend an, doch es machte einen noch schlimmeren Eindruck als sie. Er wirkte wie ein Reh im Scheinwerferlicht.

Serena runzelte die Stirn. Dann verengte sie argwöhnisch die Augen und ihr Mund verzog sich zu einem leichten Grinsen. Sie ahnte offensichtlich, dass die beiden etwas angestellt hatten.

„Hm“, meinte sie, während sie wie ein Detektiv vor ihnen auf- und abging. „Schnee im Haar. Sand auf der Hose. Ich nehme an, ihr wart am Strand.“ Sie tippt sich auf das Kinn. „Aber warum nur?“ Sie hielt einen Augenblick inne, bevor sich ein Ausdruck der Erleuchtung auf ihrem Gesicht ausbreitete. Nach Luft schnappend griff sie nach Emilys linker Hand und suchte nach der Bestätigung ihrer Vermutung. Beim Anblick des Rings weiteten sich ihre Augen und ihr Mund fiel auf.

„Oh. Mein. Gott! Ihr seid verlobt!“

Emily spürte, wie sich ihre Wangen röteten. Das war das erste Mal, dass jemand das Wort „verlobt“ im Zusammenhang mit ihr sagte, und es fühlte sich surreal an. All diese Jahre lang hatte sie sich danach gesehnt und davon geträumt und nun hatte sie endlich dieses Stadium der „Verlobung“ erreicht.

Schnell nickte sie. Serena kreischte und zog sie beide in eine unbeholfene Umarmung, in der Ellbogen und Arme aneinanderstießen.

„Bin ich die erste, die es erfährt?“, wollte Serena wissen, als sie sich von ihnen löste. Dabei war die wachsende Aufregung in ihrer Stimme unüberhörbar.

„Ja“, bestätigte Daniel. „Aber könntest du bitte Chantelle zu uns bringen? Ich will, dass sie es weiß, bevor der Rest davon erfährt.“

„Natürlich!“, rief Serena.

Mit vor Tränen glänzenden Augen warf sie einen letzten Blick auf Emilys Ring, bevor sie überschwänglich davonsprang. Emily stieß eine Mischung aus nervösem Kichern und verlegenem Stöhnen aus.

Daniel drückte ihre Hand aufmunternd. Es fühlte sich so an, als würde er ihr gratulieren, die Reaktion der ersten Person überstanden zu haben, und ihr gleichzeitig Mut für die nächste Enthüllung zusprechen, die weitaus wichtiger sein würde.

Emily holte tief Luft. Ihr Herz schlug wild in ihrer Brust. Das war er. Der große Moment.

Als sich die Tür zum Esszimmer einen Spalt breit öffnete, schwollen die Geräusche der Feier an. Dann tauchte Chantelles Gesicht auf, das sich schüchtern umsah. Emily hörte Serenas Stimme auf der anderen Seite, die Chantelle dazu ermutigte, in den Flur hinauszutreten.

„Geh schon, du musst dir keine Sorgen machen!“

Chantelle trat vollständig aus dem Zimmer. Sofort schloss Serena die Tür hinter ihr, woraufhin der Feierlärm wieder nachließ. Plötzlich empfand Emily die Stille als erdrückend.

Am einen Ende des Flurs stand eine verängstigt aussehende Chantelle. Am anderen Ende standen Emily und Daniel, denen man ihre Nervosität ebenso ansehen konnte. Emily bedeutete dem Kind, näher zu kommen und sofort stürmte Chantelle auf sie zu.

„Stecke ich in Schwierigkeiten?“, fragte sie mit leiser, zitternder Stimme. „Serena meinte, dass ihr mit mir sprechen wollt.“

„Auf keinen Fall!“, rief Emily. Dann zog sie Chantelle in eine feste Umarmung. „Du steckst definitiv nicht in Schwierigkeiten!“ Dabei strich sie über Chantelles weiches, blondes Haar. „Daddy und ich wollen dir nur etwas sagen. Es ist nichts Schlimmes.“

Chantelle löste sich aus der Umarmung, um Emily mit gerunzelter Stirn und skeptischem Blick in ihren blauen Augen anzuschauen. Obwohl sie gerade einmal sieben Jahre alt war, hatte sie schon gelernt, Erwachsenen misstrauisch und argwöhnisch gegenüberzutreten.

„Schickt ihr mich zurück nach Tennessee?“, vermutete Chantelle geradeheraus, wobei sie ihr Kinn mit gespielter Gleichgültigkeit anhob.

„Nein!“, rief Daniel und schüttelte den Kopf. Wenn die Vorstellung nicht so traurig wäre, dann hätte die ganze Situation etwas Lustiges an sich. Um Chantelles Ängste so schnell wie möglich auszulöschen, ging Daniel neben seiner Tochter in die Hocke, sodass er auf einer Augenhöhe mit ihr war. Dann nahm er ihre Hände in seine, holte tief Luft und verkündete: „Emily und ich werden heiraten.“

Zuerst tat sich gar nichts, während Chantelle die Neuigkeiten verarbeitete. Dann wich die Angst aus ihrem Gesicht und ihre Augen weiteten sich verwundert. Anschließend breitete sich ein großes Grinsen auf ihrem Gesicht aus.

„Wirklich?“, kreischte sie, während sie sie verzückt ansah.

„Ja, wirklich“, bestätigte Emily.

Sie streckte ihre Hand aus, damit Chantelle den Ring betrachten konnte. Die Augen des Mädchens wurden sogar noch größer, als sie ungläubig auf den wunderschönen Ring an Emilys Finger starrte. Chantelle hielt Emilys Hand umklammert.

„Ich dachte…“, stammelte sie. „Ich dachte, ihr wollt mich loswerden. Aber in Wirklichkeit ist er in Erfüllung gegangen.“

„Wer ist in Erfüllung gegangen?“, wollte Emily neugierig wissen.

„Mein Thanksgiving-Wunsch“, antwortete Chantelle. Ihr Griff, mit dem sie immer noch Emilys Hand umklammerte, verstärkte sich. „Ich habe mir gewünscht, dass ihr heiratet, damit wir für immer eine Familie sein können.“

Bei Chantelles ernsten Worten bildete sich ein Kloß in Emilys Hals. Sie fing Daniels Blick auf. An seinem Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass sein Herz genau wie ihr eigenes gerade schmolz.

In diesem Moment fühlte sich Emily mehr vom Universum geliebt als je zuvor. Aus irgendeinem Grund standen ihr die Sterne günstig und hatten ihr Daniels Liebe und Chantelles Verehrung geschenkt. Alles fühlte sich richtig an.

„Kann ich diejenige sein, die es allen erzählt?“, fragte Chantelle plötzlich.

„Du meinst, allen Gästen dort drinnen?“, vergewisserte sich Emily, während sie auf die Esszimmertür zeigte, aus der Gelächter und Unterhaltungsfetzen zu ihnen herausdrangen.

„Mhm. Also, darf ich oder wollt ihr es selbst verkünden?“

„Bitte, du hast das Sagen!“, rief Emily aus, erleichtert, dass ihr jemand diese Aufgabe abnahm.

„Kann ich es jetzt machen?“, wollte Chantelle wissen, während sie auf- und absprang.

Emily grinste. Chantelles Reaktion hatte sie perfekt auf diesen Moment vorbereitet. Ihre Aufregung und Freude beruhigten Emilys Nerven. Solange Chantelle glücklich war, dann war es egal, wie die anderen Gäste reagieren würden!

„Jetzt sofort“, stimmte Emily zu.

Als sie Emilys Zustimmung hörte, kreischte Chantelle auf und sprang den Flur entlang. Sie war so schnell, dass Daniel und Emily hinter ihr herrennen mussten, um Schritt zu halten. Dann platzte sie so abrupt in den Raum, dass sich alle überrascht von der plötzlichen Störung umdrehten. So laut sie konnte schrie Chantelle:

„Sie werden heiraten! Sie werden heiraten!“

An der Türschwelle warteten Emily und Daniel ein paar Sekunden lang, bis Chantelles Worte bei allen durchgedrungen waren.

Dann beobachteten sie die überraschten Ausdrücke auf den Gesichtern ihrer Freunde und Nachbarn – von Cynthia, die übertrieben laut nach Luft schnappte, bis hin zu Vanessa, die sich eine Hand auf den Mund schlug.

Schließlich mussten alle breit grinsen. Yvonne und Keiran, Suzanna und Wesley, all die Menschen, die sie mittlerweile so gernhatte und ihre Freunde nannte, begannen zu klatschen.

„Herzlichen Glückwunsch!“, rief Yvonne und stürmte als erste auf Emily zu, um sie zu umarmen. Keiran folgte ihr auf den Fuß. Er schüttelte Daniels Hand und zog Emily in seine Arme, nachdem Yvonne sie gehen gelassen hatte. Alle überschütteten Daniel und Emily mit Umarmungen und Küssen, Glückwünschen und Freudensbekundungen. Emily konnte die Liebe der Gemeinschaft spüren, die sie umgab. Noch nie zuvor hatte sie das Gefühl gehabt, so unterstützt zu werden. Warum um alles auf der Welt hatte sie sich Sorgen gemacht?

„Wir müssen auf das glückliche Paar anstoßen“, meinte Derek Hansen in seiner starken Bürgermeisterstimme.

Die Menschen begannen, ihre Gläser mit Champagner zu füllen. Emily bekam auch eines in die Hand gedrückt. Neben ihr füllte Serena ein Champagnerglas mit Cola, sodass Chantelle mit ihnen anstoßen konnte. Emilys Gedanken schwirrten wild umher, so überwältigt war sie vor Freude. Das alles fühlte sich wie ein Traum an.

Dann hoben alle Anwesenden ihre Gläser, wobei das Licht des Kronleuchters gespiegelt und tausend glitzernde Punkte an die Wände, auf den Boden und die Decke gezaubert wurden.

„Auf Emily und Daniel“, rief Bürgermeister Hansen. Anschließend fügte er an Daniel gewandt hinzu: „Und darauf, seine Seelenverwandte zu finden!“. In Emilys Richtung sagte er: „Und darauf, seinem Traum zu folgen.“

Alle jubelten und stießen miteinander an, während sich Emily die Tränen der Freude aus den Augen wischte.

So ein schönes Thanksgiving hatte sie noch nie erlebt.

 

*

 

Die Feier hielt bis spät in die Nacht an. Sie war erfüllt von Freundschaft und Freude und Emily war glücklicher als sie es je für möglich gehalten hatte. Zudem war sie überaus dankbar. Doch irgendwann kam die Feier zu ihrem Ende, die Gäste machten sich allmählich auf den Weg hinaus in die frische Nacht und schließlich legte sich Stille über die Pension.

Sogar als sie und Daniel ins Bett gingen, brummte Emilys Kopf immer noch vor lauter Energie. Ihre Gedanken wollten nicht stillstehen, weshalb sie sich immer wieder herumwälzte und nicht zur Ruhe kommen konnte.

„Kannst du nicht schlafen?“, fragte Daniel, dessen Gesicht zur Hälfte in dem flauschigen Kissen versunken war, auf dem er lag. Dann grinste er. „Ich auch nicht.“

Emily drehte sich zu ihm um und fuhr mit ihren Fingern über seine nackte, muskulöse Brust. „Ich muss die ganze Zeit an die Zukunft denken“, sagte sie. „Ich bin so aufgeregt.“

Daniel streckte seine Hand aus und strich damit über Emilys Wange. „Ich weiß, wie ich deine Gedanken ablenken könne“, meinte er. Dann drückte er seine Lippen auf ihre.

Emily ließ sich in den Kuss fallen, wobei sie spürte, wie alle Gedanken aus ihrem Geist wichen und sie sich völlig von ihren Gefühlen tragen ließ. Sie zog Daniel dichter an sich heran und spürte sein Herz neben ihrem eigenen schlagen. Daniel erweckte immer solch eine feurige Leidenschaft in ihr, doch was sie jetzt gerade empfand, hatte sie noch nie zuvor verspürt.

Plötzlich flog die Schlafzimmertür auf. Grelles Licht drang wie die Scheinwerfer eines Autos vom Flur her in das Zimmer. Sofort sprangen Emily und Daniel auseinander.

Auf der Türschwelle stand Chantelle.

„Ich kann nicht schlafen!“, verkündete sie, während sie hereinstürmte.

Emily lachte. „Dann geht es uns wohl allen gleich“, meinte sie.

Chantelle sprang zu Emily und Daniel ins Bett, wo sie sich in die Mitte kuschelte. Das brachte Emily unwillkürlich zum Lachen. Chantelle war das einzige auf der Welt, das ihr Liebesspiel mit Daniel unterbrechen konnte, ohne dass es sie frustrierte.

„Wenn du und Daddy verheiratet seid, bedeutet das dann, dass du für immer meine Mommy sein wirst?“, fragte Chantelle.

Emily nickte. Doch dann musste sie darüber nachdenken. Sie und Daniel hatten mit ihrem Freund Richard, einem Anwalt für Familienrecht, darüber gesprochen, ob sie Chantelle offiziell adoptieren konnten. Würde eine Heirat ihre Seite in dem Prozess gegen Chantelles leibliche Mutter stärken? Sheila war eine Drogenabhängige ohne eigene Wohnung, zwei Dinge, die bereits für Daniel und Emily sprachen. Würde ihre Heirat nun auch ihren Teil dazu beitragen?

Sie sah Daniel über Chantelles Kopf hinweg an, doch beide waren schon eingeschlafen. Der Anblick ließ Emilys Herz vor Freude beben. In diesem Moment beschloss sie, ihre Anstrengungen bei dem Rechtsstreit zu verdoppeln. Je früher, desto besser. Sie wollte um mehr als alles andere in der Welt eine richtige Familie sein. Und mit dem glitzernden Ring am Finger hatte sie das Gefühl, dass dieser Traum endlich in Reichweite gerückt war.

 

 

 

KAPITEL ZWEI

 

Am Morgen nach Thanksgiving wachte Emily voller Freude auf. Noch nie zuvor war sie so glücklich gewesen. Der wunderschöne Schein der Wintersonne drang durch die Spitzenvorhänge, was ihre Freude sogar noch vergrößerte. Nach einem kurzen Moment des Zweifels schloss Emily, dass sie nicht träumte, Daniel hatte ihr wirklich einen Antrag gemacht und bald würden sie heiraten.

Als ihr plötzlich klar wurde, was sie noch alles zu tun hatte, sprang sie aus dem Bett. Sie musste Anrufe tätigen! Wie hatte sie vergessen können, Jayne und Amy die Neuigkeiten zu verkünden? Und was war mit ihrer Mutter? Sie war so in dem Augenblick, in ihrer Freude und dem Feiern mit ihren Freunden gefangen gewesen, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatte.

Schnell duschte sie sich und zog sich an, dann rannte sie mit ihrem Handy in der Hand hinaus auf die Veranda. Während sie durch ihre Kontakte scrollte, tropfte Wasser aus ihrem noch immer nassen Haar auf ihr Oberteil. Bei der Nummer ihrer Mutter angekommen, zögerte sie und ihre Finger begannen zu zittern. Sie hatte einfach nicht den Mut, auf den Hörer zu drücken. Sie wusste, dass ihre Mutter nicht so reagieren würde, wie sie es sich erhoffte; stattdessen würde sie Charlotte gegenüber argwöhnisch sein und annehmen, das Daniel Emily nur heiratete, um eine Mutter für sein Kind zu bekommen. Deshalb beschloss Emily, die Lage bei Jayne zu sondieren. Ihre beste Freundin sagte ihr immer geradehinaus, was sie dachte, doch in ihrer Stimme schwang nie diese Enttäuschung mit wie es normalerweise bei Emilys Mutter der Fall war.

Sie wählte Jaynes Nummer und lauschte dem Klingeln. Dann nahm jemand ab.

„Em!“, rief Jayne. „Ich habe dich auf laut gestellt.“

Emily hielt inne. „Warum das denn?“

„Wir sind gerade im Konferenzzimmer. Ames und ich.“

„Hi Emily!“, rief Amy fröhlich. “Geht es um das Jobangebot?”

Emily brauchte einen Moment, um zu verstehen, worüber sie redeten. Das Kerzenunternehmen, das Amy auf der Universität in ihrem Studentenzimmer gegründet hatte, florierte richtig. Sie hatte Jayne angestellt und setzte nun alles daran, Emily mit ins Boot zu holen. Keine von beiden konnte wirklich verstehen, warum Emily es vorzog, lieber in einer Kleinstadt als in New York zu wohnen, und warum sie sich dafür entschieden hatte, eine Pension zu führen, anstatt mit ihren zwei besten Freundinnen in einem protzigen Büro zusammen zu arbeiten. Und was sich ihrem Verständnis vollkommen entzog, war die Tatsache, dass sich Emily um das Kind eines anderen Mannes kümmerte (der noch dazu einen Bart trug!), ganz ohne die Absicherung, eines Tages eigene Kinder mit ihm zu bekommen.

„Nicht wirklich“, sagte Emily. „Es geht um…“ Sie verstummte, denn ihr Mut schwand dahin. Dann riss sie sich zusammen. Sie hatte nichts, wofür sie sich schämen musste. Auch wenn ihr Leben eine andere Richtung eingeschlagen hatte als das ihrer zwei besten Freundinnen, war daran überhaupt nichts falsch. Ihre Entscheidungen waren ihre Sache und sollten respektiert werden. „Daniel und ich werden heiraten.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte zunächst einen Moment lang Schweigen, dann ertönte schrilles Kreischen. Emily zuckte zusammen. Sie konnte sich ihre Freundinnen geradezu mit ihren perfekt manikürten Nägeln, ihrer durch die Feuchtigkeitscreme nach Rose und Camille riechenden Haut und ihrem glänzenden Haar vorstellen, wie sie von ihren Stühlen aufsprangen.

Durch den Lärm konnte Emily ausmachen, dass Jayne „Oh mein Gott!“ und Amy „Alles Gute!“, schrien.

Sie seufzte erleichtert auf. Ihre Freundinnen hielten zu ihr. Das war eine Sorge weniger.

Schließlich ebbte das unverständliche Kreischen ab.

„Du bist aber nicht schwanger, oder?“, fragte Jayne, die wie immer kein Taktgefühl besaß.

„Nein!“, rief Emily mit einem Lachen.

„Jayne, halt den Mund“, schimpfte Amy. „Erzähl uns alles. Wie hat er um deine Hand angehalten? Wie sieht der Ring aus?“

Emily erzählte ihnen vom Strand, den Liebeserklärungen im Schnee und dem wunderbaren, perlenbesetzten Ring. Ihre Freundinnen seufzten an genau den richtigen Stellen. Emily spürte, dass sich die beiden für sie freuten.

„Wirst du seinen Namen annehmen?“, bohrte Jayne weiter nach. „Oder einen Doppelnamen führen? Mitchell-Morey ist ganz schon umständlich. Wie wäre es mit Morey-Mitchell? Emily Jane Morey-Mitchell. Hmm. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Vielleicht solltest du einfach deinen eigenen Namen behalten, findest du nicht? Das wäre immerhin eine aussagekräftige, mutige und feministische Entscheidung.“

Emilys Gedanken schwirrten, während Jayne in ihrer üblichen aufgedrehten Weise vor sich hin brabbelte und ihr kaum eine Pause ließ, um eine ihrer Fragen zu beantworten.

„Wir sind aber schon deine Brautjungfern, oder?“, endete Jayne auf ihre typische, direkte Art.

„Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“, gab Emily zu. Jayne und Amy mochten zwar in der Tat ihre ältesten Freundinnen sein, doch seit ihrem Umzug nach Sunset Harbor hatte sie auch hier neue Freunde gefunden. Dazu gehörten Serena, Yvonne, Suzanna, Karen und Cynthia. Und was war mit Chantelle? Es war Emily wichtig, dass sie eine tragende Rolle bei der ganzen Sache spielte.

„Wo findet das ganze denn statt?“, wollte Jayne wissen, die die Tatsache, dass Emily sie beide nicht als Brautjungfern in Betracht gezogen hatte, ein wenig verärgerte.

„Das weiß ich auch noch nicht“, sagte Emily.

Plötzlich wurde ihr klar, wie viel Arbeit noch vor ihnen lag. Es gab noch so viel zu organisieren. So viel zu bezahlen. Auf einmal war sie von der ganzen Sache überwältigt.

„Meinst du, es wird eine große Hochzeit oder ehr eine kleine?“, warf Amy ein. Ihre Frage war nicht so emotional beladen wie die von Jayne, doch trotzdem lastete ihr eine gewisse negative Stimmung an. Emily fragte sich, ob Amy immer noch wegen ihrer geplatzten Verlobung mit Fraser sauer war. Vielleicht nahm sie es Emily übel, einen Ring und einen Verlobten zu haben, während sie selbst beides verloren hatte.

„Wir haben noch keine Details besprochen“, erklärte Emily. „Es ist alles noch so neu.“

„Aber du träumst schon seit Jahren davon“, entgegnete Amy.

Emily runzelte die Stirn. Es stimmte, sie hatte schon lange davon geträumt, zu heiraten. Aber sie hatte sich nie vorgestellt, wie ihr Leben verlaufen würde. Die Liebe, die sie mit Daniel teilte, war einzigartig und unerwartet und ihre Hochzeit würde genauso sein. Sie musste alles noch einmal überdenken, damit es für sie beide perfekt war und zu ihrer besonderen Beziehung und ihrem Leben passte.

„Kannst du uns zumindest ein Datum nennen?“, wollte Jayne wissen. „Unser Kalender ist randvoll.“

Emily stammelte. „Ich weiß es noch nicht.“

„Der Monat tut’s für jetzt auch“. Jayne gab nicht auf.

„Den kann ich euch auch noch nicht sagen.“

Jayne seufzte frustriert auf. „Wie wäre es mit dem Jahr?“

So langsam wurde Emily ungehalten. „Ich weiß es einfach nicht!“, schrie sie. „Ich habe mir um all das noch keine Gedanken gemacht!“

Nun herrschte Stille. Emily konnte sich die Szene bildhaft vorstellen: Ihre Freundinnen, die in ledernen Bürostühlen an einem riesigen Glastisch saßen, wechselten einen Blick, während Emilys Stimme aus dem Telefon zwischen ihnen dröhnte und sich in dem ausladenden Konferenzzimmer multiplizierte. Sie krümmte sich innerlich vor Verlegenheit.

Dann brach Jayne die Stille. „Pass bloß auf, dass die Verlobung nicht zu einer von denen wird, die niemals enden“, sagte sie mit neutraler Stimme. „Du weißt ja, wie manche Männer sind. Man könnte meinen, sie hätten bei ihrem Antrag gar nicht bedacht, dass danach eine Hochzeit erwartet würde. Sie denken wohl, dass sie sich ihr restliches Leben lang entspannt zurücklehnen können und niemals auf der gestrichelten Linie unterschreiben müssen.“

„So ist das nicht“, widersprach Emily angespannt.

„Wenn du meinst“, entgegnete Jayne schnippisch. „Aber du solltest ihn auf jeden Fall auf einen Termin festnageln. Und wenn er den Anschein macht, die Verlobung immer weiter hinauszuziehen, dann pack deine Sachen und lauf davon.“

Emily ballte ihre Hand zu einer Faust. Sie wusste, dass sie sich von Jayne – einer ewigen Bindungsphobikerin, die noch nie in einer längeren Beziehung gewesen war – nicht vorschreiben lassen sollte, wie sie sich zu fühlen hatte, doch ihre Freundin hatte gewisse Zweifel in ihr gesät. So unsinnig sie auch waren, konnte Emily doch spüren, dass sie noch tagelang an Jaynes Worten knabbern würde.

„Ich habe eine Idee“, schaltete sich Amy diplomatisch ein. „Warum kommen wir dich nicht besuchen, um mit dir anzustoßen und dir bei den Planungen zu helfen?“

Trotz ihrer leichten Verärgerung über Jaynes Worte, gefiel Emily die Vorstellung, dass ihre Freundinnen vorbeikommen und ihr bei den Hochzeitsvorbereitungen helfen würden. Wenn sie erst mal hier in Emilys Revier waren, dann würden die beiden mit eigenen Augen sehen, welche Liebe sie und Daniel verband. Dann würden sie sehen, wie glücklich sie war und sie folglich mehr unterstützen.

„Das wäre wunderbar“, sagte Emily.

Nachdem sie ein Datum ausgemacht hatten, das allen passte, legte Emily auf. Doch dank Jaynes Worten schwirrten ihre Gedanken wild umher und die Flamme der Aufregung in ihrem Inneren war ein bisschen gedämpft worden. Diese Gefühle vermischten sich mit der Tatsache, dass sie immer noch den gefürchteten Anruf bei ihrer Mutter hinter sich bringen musste, der mit Sicherheit alles andere als gut verlaufen würde. Sie hatte versucht, ihre Mutter zu Thanksgiving einzuladen, doch die Frau hatte es als Beleidigung aufgefasst. Nichts, was Emily tat, war je gut genug für Patricia Mitchell. Wenn sie sich schon bei Amys und Jaynes Fragen unwohl gefühlt hatte, dann würden die ihrer Mutter sie am Boden zerstören.

Und das war gerade einmal ihre Familie! Wenn sie dann noch Daniels Seite dazurechnete, verstärkten sich ihre nagenden Ängste. Warum musste es den Rest der Welt überhaupt geben? In Sunset Harbor erschien Emily alles perfekt. Doch außerhalb der Stadtgrenze gab es missbilligende Freunde und problematische Mütter. Und abwesende Väter.

Zum ersten Mal seit dem Antrag dachte Emily an ihren Vater, der nun schon seit zwanzig Jahren vermisst wurde. Erst vor kurzem hatte sie einen Stapel Briefe im Haus gefunden, die bewiesen, dass er noch lebte. Anschließend hatte ihr Nachbar Trevor Mann betätigt, Roy vor ein paar Jahren auf dem Grundstück gesehen zu haben. Ihr Vater lebte, doch selbst dieses Wissen änderte nichts. Emily hatte immer noch keinen Weg gefunden, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie zum Altar führte, war also praktisch nonexistent.

Emily spürte, wie sich ihre Gefühle in ihr aufstauten und drohten, ihre Freude zu ersticken. Sie sah auf den Bildschirm ihres Handys hinab, auf dem sie die Nummer ihrer Mutter eingegeben, sich jedoch nicht getraut hatte, auf den Hörer zu drücken.

Bevor Emily die Möglichkeit hatte, über ihren Schatten zu springen und ihre Mutter anzurufen, hörte sie Fußschritte auf der Treppe hinter ihr. Als sie herumwirbelte, sah sie, dass Daniel und Chantelle auf sie zukamen. Daniel hatte dem kleinen Mädchen eines ihrer Vintage-Outfits angezogen – ein rostrotes Glockenkleid aus Kord zusammen mit einem schwarz-weißen Cardigan im Blumenmuster und einer dazu passenden Strumpfhose. Sie sah zauberhaft aus. Er selbst trug wie immer abgetragene Jeans und ein T-Shirt, sein Haar stand in alle Richtungen ab und sein Kinn wurde von Stoppeln umrandet.

„Wir wollten frühstücken gehen“, sagte Daniel. „Etwas Besonderes machen. Eine Art Frühstücksfeier.“

Emily steckte ihr Handy zurück in ihre Hosentasche. „Tolle Idee.“

Da war sie gerade noch einmal darum herumgekommen, ihre Mutter anzurufen. Doch Emily wusste, dass sie das nicht ewig würde aufschieben können. Früher oder später würde sie die scharfe Zunge von Patricia Mitchell zu spüren bekommen.

 

*

 

In der warmen Luft in Joe’s Diner hing der Geruch von Sirup. Die Familie ließ sich in eine der roten Plastiknischen sinken, wobei sie jedoch nicht umhinkam, die Blicke und das Geflüster um sie herum zu bemerken.

„Es wissen schon alle“, raunte Emily Daniel mit leiser Stimme zu.

Dieser verdrehte die Augen. „Natürlich tun sie das.“ Dann fügte er sarkastisch hinzu: „Es überrascht mich sogar, dass es so lange gedauert hat. Immerhin haben wir die Neuigkeit erst vor einem halben Tag verkündet und ich bin mir sicher, dass Cynthia Jones nur eine oder zwei Stunden braucht, um durch die ganze Stadt zu radeln und den neuesten Klatsch zu verbreiten.“

Chantelle kicherte.

Zumindest schienen die Blicke und das Geflüster freundlicher Natur zu sein, dachte Emily. Alle schienen sich für sie zu freuen. Trotzdem war es Emily ein wenig peinlich, dass sich alle Aufmerksamkeit auf sie richtete. Schließlich passierte es ja nicht alle Tage, dass man die Blicke aller Anwesenden auf sich zog, wenn man ein Waffelhaus betrat. In ihrem Kopf schwirrten immer noch die Fragen herum, die sich nach ihrem Gespräch mit Amy und Jayne in ihre Gedanken geschlichen hatten, und sie fragte sich, ob jetzt wohl ein günstiger Moment wäre, um einige von ihnen mit Daniel zu besprechen.

In diesem Augenblick trat der grauhaarige Joe mit einem Notizblock in den runzligen Händen zu ihnen an den Tisch.

„Ich höre, es gibt etwas zu feiern?“, sagte er lächelnd, während er Daniel auf den Rücken klopfte. „Wann ist denn der große Tag?“

Emily sah Daniel zögern. Er schien genauso verwirrt zu sein wie sie sich fühlte. Alle wollten Antworten auf Fragen, die sie sich selbst noch nicht einmal gestellt hatten.

„Das steht noch nicht fest“, stammelte Daniel. „Wir haben noch keine Details besprochen.“

Dann bestellten sie Waffeln und Pfannkuchen und nachdem Joe davongegangen war, um ihr Frühstück zuzubereiten, fasste Emily den Mut, Daniel ein paar Fragen zu stellen.

„Wann denkst du sollten wir einen Termin festlegen?“, wollte sie wissen.

Daniel sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. „Oh. Ich weiß nicht. Willst du das jetzt schon besprechen?“

In Emilys Kopf tauchte wieder Jaynes Warnung auf. „Wir müssen ja kein festes Datum ausmachen, aber sprechen wir hier über Monate oder nächstes Jahr? Willst du eine Sommerhochzeit? Oder doch lieber im Herbst, da wir ja in Maine wohnen?“

Trotz ihres Lächelns fühlte sie sich innerlich zerrissen. An dem Ausdruck auf Daniels Gesicht konnte sie erkennen, dass er noch gar nicht so weit in die Zukunft geplant hatte.

„Darüber muss ich nachdenken“, sagte er unverbindlich.

„Ich will eine Sommerhochzeit“, warf Chantelle ein. „Am Hafen. Mit Daddys Boot.“

„Über was musst du denn nachdenken?“, hakte Emily nach, wobei sie Chantelle ignorierte. „Es gibt nur vier Optionen. Sonnenschein, stürmischer Wind, Schnee oder warme Brisen. Was ist dir lieber?“

Daniel schien von Emilys leicht scharfem Tonfall überrascht zu sein. Chantelle schien es genauso zu gehen.

„Ich weiß es nicht“, stammelte Daniel. „Alle davon haben ihre Vor- und Nachteile.“

Emily spürte, wie die Emotionen in ihr aufkochten. Hatte Jayne Recht? Hatte Daniel ihr einen Antrag gemacht, ohne davon auszugehen, dass es am Ende wirklich eine Hochzeit geben würde?

„Hast du schon jemandem davon erzählt?“, fragte Emily weiter.

So langsam bildeten sich vor Frustration Falten auf Daniels Stirn. „Es ist noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden her“, antwortete er, ohne seine Verärgerung zu unterdrücken. Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß er dann hervor: „Können wir den Augenblick nicht einfach genießen?“

Chantelle sah mit besorgtem Blick zwischen Emily und Daniel hin und her. Sie stritten sich nicht häufig und dass sie es nun taten, schien sie offensichtlich zu beunruhigen.

Das kleine Mädchen so besorgt zu sehen, rüttelte Emily wach. Welche Probleme sie auch immer hatten, es war nicht fair, Chantelle mit hineinzuziehen. Diese Angelegenheit musste von ihr und Daniel gelöst werden.

„Du hast Recht“, sagte Emily seufzend.

Dann streckte sie ihre Hand nach der von Chantelle aus und drückte sie aufmunternd. In diesem Moment kam Joe mit einem Stapel Pfannkuchen an. Sofort begannen alle, still zu essen.

Emily frustrierte es, dass sie sich Jaynes und Amys Worte so zu Herzen genommen hatte. Das war einfach nicht fair. Gestern noch hatte sie auf Wolke sieben geschwebt.

„Kann Bailey ein Blumenmädchen sein?“, fragte Chantelle. „Und ich eine Brautjungfer?“

„Das wissen wir noch nicht“, erklärte Emily, wobei sie versuchte, ihre Gefühle im Zaum zu halten.

„Aber ich will mit dir zum Altar gehen“, fügte Chantelle hinzu. „Es wird doch einen Gang zum Altar geben, nicht wahr? Ihr werdet doch in einer Kirche heiraten?“ Das kleine Mädchen wühlte in ihrem Rucksack herum, aus dem sie kurze Zeit später einen rosa Notizblock und einen glitzernden Stift herausholte. „Lasst uns eine Liste schreiben“, verkündete sie.

Trotz ihrer unterschwelligen Sorge munterte es Emily auf, Chantelle so voller Organisiereifer zu sehen. Normalerweise war sie immer so ernst, fast schon erwachsen und ihrem Alter weit voraus.

„Als erstes braucht ihr einen Veranstaltungsort“, sagte sie mit strenger Stimme, die in Emily die Vorstellung auslöste, dass Chantelle eines Tages die Pension leiten würde.

„Du hast Recht“, stimmte Emily hinzu, deren Augen nicht von Daniel wichen. „Wir sollten uns zuerst einen Veranstaltungsort suchen und von diesem Punkt aus den Rest planen.“ Sie wollte sich ihre gute Laune um keinen Preis verderben lassen. „Lasst uns keine übereilten Entscheidungen treffen.“

Zum ersten Mal, seit sie Daniel mit ihren Fragen gelöchert hatte, schien dieser sich zu entspannen. Das Runzeln auf seiner Stirn verschwand, was Emily erleichtert bemerkte.

Durch das Fenster des Diners konnte Emily sehen, wie ein großer Baum im Stadtzentrum aufgestellt wurde. Bei all der Aufregung hatte sie den Christbaum der Stadt, der jedes Jahr am Tag nach Thanksgiving aufgestellt wurde, komplett vergessen. Als Kind hatte sie es sich immer angesehen, wenn die Familie die Winterferien in Sunset Harbor verbracht hatte. Sie erinnerte sich daran, dass die Lichter des Baums jedes Jahr am Abend angezündet wurden.

„Wir sollten uns heute Abend das Beleuchten des Baums ansehen“, schlug Emily vor.

Chantelle sah von ihrem Notizblock hoch, der mittlerweile mit einer langen Liste an Stichpunkten in ihrer krakeligen Schrift gefüllt war. „Oh ja, bitte!“ Sie schien sich für die Sache zu begeistern.

„Natürlich“, meinte Emily. „Aber zuerst sollten wir unseren eigenen Baum aufstellen. Wenn die Stadt einen hat, dann braucht die Pension auf jeden auch einen. Was meinst du, Chantelle?“

Emily wurde bei dem Gedanken daran, dass in der Pension bald ein riesiger Christbaum stehen würde, ganz aufgeregt. Als Kind hatte ihr Vater immer nur einen kleinen Baum im Wohnzimmer aufgestellt, da sie ja immer nur die Ferien in dem Haus verbracht hatten. Aber jetzt, da es ihr Zuhause war, würde sie einen riesigen drei Meter hohen Baum in den Eingangsbereich stellen. Vielleicht würde er sogar dreieinhalb Meter hoch sein! Sie und Chantelle könnten ihn gemeinsam schmücken und mithilfe einer Trittleiter die obersten Äste dekorieren. Bei dem Gedanken daran wurde sie von kindlicher Aufregung erfüllt.

„Oh bitte, Daddy, können wir das machen?“, wollte Chantelle von ihrem Vater wissen, der seine Pfannkuchen still aß. „Können wir einen Christbaum aufstellen?“

Daniel nickte. „Sicher doch.“

„Und uns dann ansehen, wie der Baum in der Stadt beleuchtet wird?“

„Mhm.“

Emily runzelte die Stirn, denn sie fragte sich, was wohl in Daniel vorging, warum er sich nicht wie sie und Chantelle freute, sich so etwas Wunderbares mit der Familie anzusehen. Daniel war ihr selbst jetzt, da sie einen Ring am Finger hatte und mehr als bereit war, sich ihm ein Leben lang zu verschreiben, ein Rätsel. Sie fragte sich, ob sie jemals wirklich wissen würde, was in seinem Kopf vorging oder ob sie sich immer noch das gleiche fragen würde, wenn sie Mrs. Daniel Morey war.

 

 

 

KAPITEL DREI

 

Dorys Christbaumschule befand sich nur eine kurze Fahrt entfernt in einem Vorbezirk von Sunset Harbor. Die Familie fuhr zusammen in Daniels rostigem Pickup-Truck dorthin. Wo auch immer man hinsah, fand man noch Reste des Schnees von Thanksgiving und als Emily den Ring an ihrem Finger berührte, erinnerte sie sich an den Schnee, der um sie und Daniel herum zu Boden gefallen war, während er ihr einen Antrag gemacht hatte.

Sie bogen auf einen notdürftigen Parkplatz ein und sprangen aus dem Truck. Anscheinend hatten auch viele andere Familien die gleiche Idee gehabt. Überall standen Eltern herum, während ihre Kinder aufgeregt umherrannten und durch die Baumreihen sprangen.

Statt von Dory wurden sie von einem jungen Mädchen begrüßt, die an der Schwelle zur Pubertät stand, und die sich als Grace, Dorys Tochter, vorstellte. Ihr Haar war genauso blond wie das von Chantelle. Zudem trug sie eine mit Dollarscheinen gefüllte Bauchtasche sowie einen Notizblock, auf dem sie Rechnungen schreiben konnte.

„Diese Bäume sind zum Fällen bereit“, sagte sie mit einem selbstsicheren Lächeln, während sie auf das Kiefernfeld deutete. „Sie alle wurden vor sieben bis neun Jahren gepflanzt.“ Sie grinste Chantelle an. „Sie sind ungefähr so alt wie du, nicht wahr?“

Chantelle nickte schüchtern.

„Sobald ihr einen Baum findet, der euch gefällt“, fuhr Grace fort, „“