Cover

KAI MAURITZ UND ARNDT E. SCHNEPPER

AUCH GETRENNTE
WEGE GEHEN
WEITER

Scheidung überwinden –
zurück ins Leben finden

ÜBER DIE AUTOREN

Kai Mauritz arbeitet jeweils zur Hälfte als Pfarrer in Lemgo und als Referent beim Weißen Kreuz. Er ist u. a. ausgebildeter Leiter von Familienaufstellungen, Sexualberater und Fachberater für Psychotraumatologie.

Arndt E. Schnepper ist promovierter Theologe und Rhetorik-Dozent. Er arbeitet als Pastor in Osterode am Harz sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Braunschweig. Er ist Autor mehrerer Bücher im Bereich Theologie.

INHALT

Über die Autoren

Einleitung

Kapitel 1   Wenn es passiert

Persönliche Zugänge

Trennungsphasen

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 2   Wut und Zorn

Persönliche Zugänge

Warum-Fragen

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Verstehen lernen

Übungen

Fragen

Kapitel 3   Trauer und Schmerz

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 4   Abschied nehmen

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 5   Aktiv werden

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 6   Beziehungen bauen

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 7   Gute Elternschaft

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 8   Sich selbst annehmen

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 9   Vergangenheit verstehen

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 10   Die Kunst des Vergebens

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 11   Frieden finden

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche Impulse

Übungen

Fragen

Kapitel 12   Weitergehen

Persönliche Zugänge

Biblische Perspektiven

Seelsorgerliche impulse

Abschlussübung mit Fragen

Kapitel 13   Biblische Gesichtspunkte zu Scheidung und Wiederheirat

EINLEITUNG

Jedes Jahr veröffentlicht das Statistische Bundesamt aktuelle Zahlen zu Eheschließungen und Ehescheidungen in Deutschland. Bei allen Schwankungen ist der Trend eindeutig: Rund ein Drittel aller Ehen wird geschieden. Rein statistisch beträgt die Dauer einer deutschen Ehe nur etwa 15 Jahre. Und bei der Hälfte der Ehescheidungen sind auch minderjährige Kinder betroffen. Was solche Zahlen nicht verraten: Für die beteiligten Menschen ist das meistens eine persönliche Katastrophe mit enormen Ausmaßen.

Dieses Buch ist für alle geschrieben, die mit einer Trennung oder Scheidung kämpfen. Es ist ein echtes Mutmach-Buch. Denn es ist von der Erfahrung bestimmt, dass man an einer Ehescheidung nicht zerbrechen muss. Auch nach einer Trennung kann das Leben gelingen und wieder schön werden.

Jedes Kapitel führt mit persönlichen Zugängen ins Thema ein und bringt biblische Perspektiven sowie seelsorgerliche Impulse. Persönliche Erinnerungen von Betroffenen tragen zum besseren Verständnis bei. Jede Einheit beinhaltet auch praktische Fragen, die zum Nachdenken oder gemeinsamen Gespräch anregen. So eignet sich das Buch auch gut als Grundlage eines Gruppengespräches oder Gemeindeseminars. Ebenso gut lässt sich das Buch natürlich auch alleine lesen.

Natürlich kann auch dieses Buch nicht alle Problemstellungen aufgreifen. Für weitere Fragen empfehlen wir gerne das »Weiße Kreuz«:

Weißes Kreuz e. V., Weißes-Kreuz-Straße 3, 34292 Ahnatal

www.weisses-kreuz.de, info@weisses-kreuz.de

KAPITEL 1
WENN ES PASSIERT

Eine Trennung stellt das Leben auf den Kopf. In der Regel machen die Betroffenen verschiedene Phasen durch, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. Doch sie sind dem Unglück nicht hilflos ausgeliefert, sondern können selbst aktiv werden. Und der Glaube an Gott kann auch in diesem Prozess Hoffnung schenken.

Ich glaube, eine Scheidung ist schlimmer als der Tod eines lieben Menschen. Man kann nicht gemeinsam mit anderen trauern. Es gibt keinen Gottesdienst, in dem der Partner, den man verloren hat, noch einmal gefeiert wird. Man kann sich nicht mit der gemeinsamen Vergangenheit trösten. Man weiß nicht mehr, was davon wirklich echt war. Keiner schreibt liebevolle Karten. Man kann nicht trauern, weil man wütend und verzweifelt ist.

Ulrike

Was ich ganz schlimm fand, war, dass mein Ex-Mann von seinem Vater abgeholt wurde und sie gemeinsam das Auto vollpackten. Ich bin übrig geblieben. Er ist einfach weggefahren und ich dachte: Das kann doch einfach nicht wahr sein!

Sandra

Auch das Schöne ist im Rückblick schlecht. Das Schlimmste war, als mein Mann sagte, vielleicht wäre es von Anfang an ein Fehler gewesen, dass wir geheiratet haben. Er hat sogar gesagt, er wäre sich nicht sicher, ob er mich jemals geliebt hätte. Das fand ich so gemein.

Petra

Ich war am Boden zerstört. Ich wurde verlassen. Ich wurde nicht mehr geliebt. Mein Selbstwertgefühl war verschwunden. Ich fühlte regelrecht einen körperlichen Schmerz; als ob die Haut einmal von außen nach innen gezogen wurde. Einmal umgedreht und wund. Wie meine Seele auch.

Christiane

Ich musste immer reden. Ich habe viel telefoniert. Ich hätte das nicht überstanden ohne meine Familie. Die waren immer da für mich. Meine Schwester hat so viele Telefonate von mir ertragen müssen. Meine Eltern sind gekommen und haben mir im Alltag geholfen – vor allem mit den Kindern.

Birgit

Ich hatte ein paar gute Freunde. Dann hatte ich zuerst meine Psychotherapie und ging dann ja in die christliche Beratung. Das war gut. Überhaupt, dass ich mich in dieser Zeit für Jesus entschieden habe, hat mein Leben total verändert. Ich habe dann aber noch gedacht, dass ich mit Gott meine Ehe retten kann. Ich habe alles versucht. Ich wollte meinen Ex-Mann mit ins Boot holen und gemeinsam zu einer Eheberatung gehen. Ich dachte, mit Gottes Hilfe schaffe ich das. Dem war aber nicht so.

Vera

PERSÖNLICHE ZUGÄNGE

»Das hätte ich nie gedacht! Warum passiert das ausgerechnet mir? Wie konnte das so kommen? Wieso erlebe ich das jetzt?« – So oder so ähnlich denken viele Menschen, die plötzlich mit einer Trennung konfrontiert sind.

Sicher, Trennung und Scheidung sind ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Jede dritte Ehe wird in Deutschland geschieden. Rein theoretisch kann es also jeden Menschen treffen. Aber für die Betroffenen selbst ist plötzlich alles ganz anders. Egal wie viel sie vorher darüber gesprochen oder gewusst haben – wenn die Theorie plötzlich Praxis wird, ist der Unterschied gewaltig. Für die Beteiligten ist die Trennung ein persönlicher Tsunami, der alles mit sich reißt. Was vorher als sicher und ausgemacht galt, gerät ins Wanken. Man ist enttäuscht, fühlt sich betrogen und verraten.

Es stellt sich eine Unsicherheit ein, die oft auf das gesamte Leben übergreift. Das Vertrauen in die Menschen gerät ins Wanken, und manchmal auch der Glaube an Gott.

Unter den vielen schlimmen Erfahrungen im Leben gehören Trennung und Scheidung definitiv zu den schlimmsten. Jeder, der meinte, er habe schon viel Schlimmes durchgemacht, wird erschrecken, wie tief der Fall bei einer Trennung sein kann. Für viele ist es der absolute Tiefpunkt.

In vielen Fällen geht es aber nicht nur um die eigenen Schmerzen, obwohl die ja schon genügten. Wer Kinder hat, muss miterleben, wie ein Riss durch die ganze Familie geht. Obwohl sie gar nichts für das Unheil können, werden sie unweigerlich mitgerissen. Doch auch ohne Nachwuchs gibt es andere, die mit betroffen sind – Freunde, Verwandte oder Eltern. Sie alle sind nicht nur Zuschauer, sondern werden – ob sie wollen oder nicht – in das Unglück mit hineingezogen. Und die bange Frage der Betroffenen ist: Wie werden sie reagieren? Können sie alles verstehen? Können sie mich verstehen? Für welche Seite werden sie sich entscheiden? Die meisten Geschiedenen verlieren nicht nur den Ehepartner, sondern auch einen großen Teil des sozialen Umfeldes.

TRENNUNGSPHASEN

Im Falle einer Trennung oder Scheidung verhalten sich die Betroffenen sehr unterschiedlich, je nach Persönlichkeit. Der eine zieht sich zurück und vermeidet jedes Gespräch. Ein anderer kann das Geschehene nicht alleine verarbeiten und hat das Bedürfnis, mit möglichst vielen Menschen darüber zu reden. Obwohl Trennungen sehr unterschiedlich verlaufen und Menschen sehr verschieden reagieren, lassen sich gewisse Regelmäßigkeiten beobachten, die in der Psychologie als »Phasen« bezeichnet werden. Diese Phasen treten bei Todesfällen auf – die sogenannten »Trauerphasen« – und auch bei Scheidungen. Hier bezeichnet man sie als »Trennungsphasen«.

Natürlich lassen sich diese Abschnitte zeitlich nicht sauber voneinander trennen. Es gibt auch keine allgemeingültigen Zeitangaben, wie lange eine Phase dauert. Das kann je nach Person und Umständen sehr unterschiedlich verlaufen. Auch überlappen sich die Phasen oft. Und manche geraten auf Wege zurück, die sie schon längst hinter sich geglaubt hatten. Daher ist dieses Schema keineswegs fest und verbindlich. Trotzdem hat eine solche Darstellung ihre Berechtigung, denn sie ist eine Orientierungshilfe in dieser oft undurchsichtigen Gefühlslage.

Phase 1: Verleugnung der Realität

»Das kann doch nicht wahr sein!«, »Das glaube ich einfach nicht!«, »Ich verstehe das nicht!«, »Wie kann das möglich sein?« – solche oder ähnliche Sätze sind häufig zu hören, wenn jemand verlassen wurde. Sie sind Ausdruck der Tatsache, dass die betroffene Person verständlicherweise enorme Schwierigkeiten hat, die Situation anzunehmen. Wer jahrelang mit einem Partner zusammengelebt hat, hat große Mühe damit, das Alleinsein zu akzeptieren. Das leere Bett, der geräumte Schrank, der unbesetzte Stuhl am Tisch – das sind Dinge, an die sich jeder erst langsam und mühsam gewöhnen muss. Manche Menschen ertappen sich dabei, oft noch einen Teller mehr auf den Tisch zu stellen oder für den anderen weiter die Lieblingsäpfel einzukaufen.

Obwohl sie die Realität sachlich wahrnehmen, wollen sie es einfach nicht wahrhaben. Sie verleugnen die Wirklichkeit und reden sie sich schön. Ein häufiger Stolperstein auf dem Weg durch die erste Trauerphase ist die Erwartung, dass der Partner sich besinnt und wiederkommt. Sie sagen sich: »Wenn sie zur Ruhe kommt, wird sie merken, was sie an mir hat.« Oder: »Das kann er mir doch nicht antun.« Natürlich gibt es solche Fälle, in denen ein Partner nach einer Trennung zurückkehrt, aber die Regel sind sie nicht. Besonders schwierig wird es dann, wenn der Grund der Trennung eine andere Beziehung ist. Als Faustregel gilt: Sobald eine dritte Person Teil des Trennungsdramas ist, schwinden die Chancen auf eine Versöhnung enorm. Manchmal ist es so, dass sich gerade Christen damit besonders schwertun. Sie hoffen und beten für eine Änderung der Lage und geben sich der Erwartung hin, dass sich das ganze Durcheinander irgendwann und irgendwie auflöst. Die Erfahrung ist aber leider eine andere: Auch Gott wird einen Menschen in seiner schlechten Entscheidung nicht einfach umdrehen. Schließlich hat er uns nicht als Marionetten geschaffen, sondern als verantwortliche Persönlichkeiten. Deshalb: Wenn jemand die Ehe verlässt, um das Leben mit einem anderen Menschen zu teilen, dann ist in vielen Fällen das Ende der Ehe erreicht. Dieser bitteren Realität muss sich die betroffene Person leider stellen. Je eher dies einem Betroffenen gelingt, desto schneller kann die Heilung einsetzen.

Phase 2: Durcheinander der Gefühle

Eine Trennung führt in ungeahnte Turbulenzen. Sehr schnell entwickeln sich sehr starke und teils ungekannte Emotionen. Diese Gefühle sind oft so stark, dass die Betroffenen selbst erschrecken. Viele Geschiedene berichten, dass sie in ihrem Leben nie so viel gefürchtet oder gehasst haben, verärgert oder verängstigt waren wie in der Zeit, als sie verlassen wurden. Es ist oft ein Chaos der Gefühle. Mal richten sich die Emotionen gegen den ehemaligen Partner und mal gegen sich selbst. Zu diesem Stadium gehören auch starke Stimmungsschwankungen. Es scheint, als seien Getrennte hypersensibel: Kleine Erlebnisse und einzelne Sätze können zu starken und unkontrollierten Gefühlsausbrüchen führen, die im Nachhinein kaum noch nachvollziehbar sind.

Manche Betroffene erleben ungeahnte Rachegefühle. Sie nehmen sich vor, dem ehemaligen Partner das Leben zur Hölle zu machen: »Dafür soll er zahlen«, sagen sie sich. Büßen soll der andere für seine Schuld. Andere sind am Boden zerstört. Sie erleben sich nur noch als ein kleines Häufchen Elend. Eine Perspektive für ihr Leben empfinden sie nicht mehr. Nicht selten stellen sich sogar Gedanken an Selbsttötung ein. Sorgen und Ängste hinsichtlich der Zukunft nehmen manchmal überhand, da ein Ausweg aus dieser Misere nicht vorstellbar scheint. Ein wichtiger Schritt in dieser Trauerphase ist das Erspüren der eigenen Emotionen. Das ist manchmal nicht so leicht, denn die eigenen Gefühle werden oft gar nicht als solche wahrgenommen. Das gilt sowohl für eher ruhige als auch impulsive Typen. Wichtig ist die Einsicht, dass die Gefühle zur menschlichen Grundausstattung gehören, so wie Vernunft und Willen. Sollen sie wieder in Balance kommen, müssen wir uns erst mit ihnen bekannt machen und sie verstehen lernen.

Phase 3: Rückkehr ins Leben

Viele Verlassene haben eine Zeit lang den Eindruck, dass sie nur noch »funktionieren«. Sie leben nicht, sondern »werden gelebt«. Auch dies ist nachvollziehbar: Dem Bruch in der Ehe folgen viele weitere Umbrüche in der Lebensstruktur: Finanzen, Beruf, Wohnort, Kinder, Verwandtschaft und natürlich auch die Gesundheit. Oft stehen Betroffene unter dem Eindruck, sie hätten die Kontrolle verloren. Überleben ist alles. Die dritte Phase kennzeichnet nun eine Rückkehr ins Leben. Mehr und mehr kommen die Kräfte zurück und verlorenes Terrain wird zurückgewonnen. Für viele fühlt es sich an, als stünden sie in einem stark schwankenden Boot. Zuerst denken sie, sie würden ins Wasser fallen. Doch langsam gewinnen sie die Kontrolle und bringen das Boot in die Balance. Natürlich fühlt es sich noch wackelig an, aber die Gefahr zu kentern, ist erst einmal gebannt. Diese Phase der Rückkehr und Stabilisierung geschieht natürlich nicht von heute auf morgen. Sie vollzieht sich langsam und erlebt auch manche Rückschläge, aber sie kann gelingen. Und sie lebt von vielen bewussten Entscheidungen.

Phase 4: Neue Perspektiven

Es gibt viele Getrennte, die würden am liebsten sofort mit dieser Phase beginnen. Kaum haben sie den ersten Schreck verdaut, setzen sie sich hin und entwerfen großartige Visionen. Von nun an soll alles besser und schöner werden. Wahrscheinlich lässt sich ein solcher Wunsch auch gar nicht vermeiden. Aber die Wahrheit ist, dass es im Leben an dieser Stelle keine Abkürzungen gibt. Neue Perspektiven zu planen und sie dann auch in die Tat umzusetzen, braucht Vorarbeit. Man muss lernen, die Vergangenheit zu bewältigen und die Gegenwart zu bestehen. Das neue Lebenshaus braucht ein solides Fundament.

BIBLISCHE PERSPEKTIVEN

So furchtbar alles ist – zurückdrehen lässt sich unsere Geschichte leider nicht. Manche Betroffenen liegen nachts lange wach und zermartern sich das Gehirn mit einzelnen Erlebnissen. Ihnen gehen viele Sätze durch den Kopf, die immer wieder denselben Anfang haben: »Hätte ich nur …«, »Könnte ich doch nur …« oder »Wenn ich einfach nur …«.

Nein, die Vergangenheit wiederholen können wir nicht. Aber wir können eine neue Sicht für sie gewinnen. Es lässt sich ein zweiter Blickwinkel einnehmen. Und was noch viel wichtiger ist: Wir können auch für unsere Zukunft neue Hoffnung gewinnen. Und hier sind wir an der Grundlage dieses Buches angelangt. Als Autoren sind wir überzeugt: In Trennung und Scheidung lebende Frauen und Männer müssen nicht vor dem Gewesenen kapitulieren. Es ist auch nicht zwingend, mit Angst in die kommende Zeit zu blicken. Die Wahrheit ist: Es gibt eine Zukunft für Sie. Das sagen wir nicht aus einem blauäugigen Optimismus heraus. Im Gegenteil: Viele Geschiedene können es dick unterstreichen, dass es ein zweites, gutes Leben nach der Scheidung gibt. Nicht automatisch oder zufällig. Man kann schon eine ganze Menge dafür tun. Aber es gibt diese neue Chance. Sie ist real. Auch wenn Sie es heute noch nicht für möglich halten – es gibt ein Leben nach dem Leiden. Etliche haben es schon geschafft, warum nicht auch Sie? In diesem Buch werden einige praktische Hilfestellungen genannt, die weiterhelfen. Sie haben sich vielfach bewährt und sind leicht zu verstehen.

Neben den positiven Erfahrungswerten gibt es aber auch noch eine zweite Dimension, die Sie unterstützen wird: Gott. Vielleicht werden Sie an dieser Stelle etwas zögerlich. Denn mit Gott hatten Sie hier eigentlich nicht gerechnet. Keine Angst, das ist überhaupt kein Problem. Sie können von diesem Buch immer noch profitieren, auch wenn Sie Gott erst mal aus dem Spiel lassen. Aber das eine lohnt sich schon mal festzuhalten: Der Gott, wie ihn die Bibel beschreibt, war und ist immer einer, der gerne hilft. Er lässt Menschen nicht hängen. Und wenn sie sich zu ihm wenden, erst recht nicht. Es gibt von ihm einen Satz, der unheimlich viel Hoffnung zum Ausdruck bringt. Er stammt aus einer Zeit, als sich die Israeliten in einer verzweifelten Lage befanden. Verschleppt waren sie – von ihrer Heimat tief in das damalige babylonische Reich (Jeremia 29,11): »Denn ich weiß genau, welche Pläne ich für euch gefasst habe«, spricht der Herr. »Mein Plan ist, euch Heil zu geben und kein Leid. Ich gebe euch Zukunft und Hoffnung.«

Verloren hatten sie schrecklich viel: ihre Heimat und ihre Häuser, die familiären Bande, oft auch ihre Berufe. Sie fühlten sich wie abgeschnitten. Mühsam mussten sie sich vortasten und im neuen Land zurechtfinden. Und das ging ganz bestimmt nicht von heute auf morgen. Aber dennoch gelang es ihnen. Wir wissen heute, dass viele Israeliten mit der Zeit im neuen Land ganz gut klarkamen. Ja, sie blieben sogar dort, als sie die Chance erhielten, wieder nach Israel zurückzukehren. Andere nahmen später das Angebot an und zogen in das Land ihrer Vorfahren zurück. Geschiedene können diese Situation gut nachempfinden. Sie verlieren ja so vieles. Dazu zählen sowohl materielle Werte als auch Beziehungen und Liebe. Es ist deshalb einen Versuch wert, mit Gott zu rechnen. Damals wie heute schenkt er eine Zukunft. Auch Ihnen.

SEELSORGERLICHE IMPULSE

Alte Fotografien sind normalerweise etwas Schönes. Sie erinnern uns an die Höhepunkte unseres Lebens: unsere Geburt, den Schulanfang, die Heirat oder Ereignisse in der Familie. Für Geschiedene ist das meist anders. Für sie sind alte Bilder oft der Anlass zu einem großen Schmerz. Manche Betroffene haben schon in großem Zorn ganze Kartons von Bildern weggeworfen. Oder sie haben große Datenmengen auf der Festplatte ihres Computers gelöscht. Denn es sind besonders die Fotos, die die alten Zeiten zurückholen, wo alles noch glücklich und sorglos schien. Dort sehen wir die Menschen, die wir liebten und denen wir vertrauten. Aber nun ist alles vorbei und die Bilder sehen so trügerisch und verlogen aus. Geschiedene erzählen manchmal, dass der zufällige Blick auf ein altes Foto einen ganzen Tag vermiesen kann.

Am Ende sind es natürlich nicht die Fotos, die zu unserer Verunsicherung beitragen. Sie sind nur der Auslöser. Der Grund sind vielmehr die inneren Bilder, die wir mit uns führen. Es ist das Erlebte, das wir in vielen kleinen Bildern in uns abgespeichert haben. Und diese Vergangenheit regt sich in uns beim Anblick der Papierbilder. Wie gesagt: Man kann diese Fotos fortwerfen oder wegpacken. Und je nachdem, wie man veranlagt ist, kann das fürs Erste auch eine ganz gute Hilfe sein. Doch auf Dauer helfen weder Keller noch Löschtaste. Denn es gibt immer genügend Gelegenheiten, die alten Bilder zu erwecken: Jemand trägt den Namen unserer ehemaligen Partnerin, ein anderer nutzt dasselbe Parfüm, wieder eine andere sieht eine Person von hinten und meint, den einstigen Mann wiederzuerkennen. Die Beispiele sind Legion, wo in uns die alten Erinnerungen wach werden. Ja, und manchmal können wir es selbst nicht erklären, warum wir an die vergangenen Zeiten denken müssen.

Ein neues Bild für die Zukunft

Dieses Buch ist eine Anleitung. Es soll Ihnen helfen, ein neues Bild für Ihre Zukunft zu entwickeln. Vielleicht hilft dieser Vergleich: Kein guter Maler pinselt einfach drauflos, was er malen will. Nein, er führt vielmehr ein Skizzenbuch mit sich, in dem er mit einzelnen Strichen Entwürfe zeichnet. Zwischendurch radiert er einzelne Striche oder Linien aus, um sie wieder neu zu ziehen. Erst später malt er dann das Original mit Aquarellfarben oder Ölfarben. Dieses Buch ist ein solcher Skizzenblock. Es ist so angelegt, dass es Ihnen bei der Gestaltung Ihrer Zukunft praktisch helfen soll.

Jedes folgende Kapitel stellt einen wichtigen Teil Ihres Lebens dar. Es geht um das eigene Empfinden, aber auch stark um Ihre innere Haltung und Ihre Beziehungen. Im Lesen und im Gespräch werden neue Gedanken kommen. Sie werden sich mit Ihrer Vergangenheit auseinandersetzen. Und Sie werden neue Ideen bekommen, wie Ihr Leben zukünftig aussehen soll. Vor Ihrem inneren Auge wird ein neues Bild entstehen. Und jedes Kapitel ist ein kleiner Teil Ihres neuen Lebensentwurfes. Mit der Zeit werden Sie ein Bild gestalten, das Ihnen Hoffnung gibt. Es ist ein Bild, das uns die Kraft vermittelt, nicht aufzugeben, sondern weiterzugehen.

Kurzum: Es geht nicht darum, Ihre Vergangenheit auszulöschen. So etwas geht gar nicht und jeder Versuch muss scheitern. Man kann das Vergessen nicht einfach befehlen. Doch Sie werden merken, wie sehr es hilft, eine neue Zukunft in den Blick zu nehmen. Und mit der Zeit werden dann die alten Erinnerungen neu sortiert werden. Die guten bleiben bestehen, aber die schlechten verblassen und verlieren ihre Intensität. Je mehr Zukunft Sie entwickeln, desto weniger wird die Vergangenheit Sie beherrschen können. Und Gott kann Ihnen dabei den Weg freimachen.

ÜBUNGEN

Zeitlupe einschalten

Menschen, die sich in einer schweren Krise befinden, sind häufig wie getrieben, ihre Aufgaben zu bewältigen. Sie funktionieren im Alltag und handeln eher intuitiv aus dem Bauch heraus. Dabei denken, reden und verhalten sie sich teilweise gar nicht so, wie sie es eigentlich wollen und es gut für sie wäre. In der Verlangsamung liegt ein ungeheurer Gewinn, das eigene Leben besser zu steuern. Zum Beispiel können wir am Abend den Tag noch einmal wie in Zeitlupe an uns vorüberziehen lassen und uns fragen: Welche Entscheidungen waren gut für mich und welche eher weniger hilfreich? Was habe ich gedacht, gefühlt, gesagt? Würde ich es beim nächsten Mal genauso machen?

Bedenkzeit

Wir bekommen so viele gut gemeinte Rat- und Vorschläge. Zudem steht in der Trennungszeit eine Fülle von Entscheidungen an. Nicht immer sofort zu reagieren oder zu handeln, sondern sich Bedenkzeiten zu gönnen, kann eine enorme Hilfe sein. Das kann bedeuten, nicht sofort …

• … zum Telefon zu greifen.

• … Ja oder Nein zu sagen.

• … das Schlimmste anzunehmen.

• … den Rat zu befolgen oder abzulehnen.

Gewöhnen Sie sich an, innezuhalten, bevor Sie agieren. Dann ist die Chance viel größer, dass Sie wirklich tun, was Sie für richtig halten.

Tagebuch

Besorgen Sie sich ein Notizbuch oder eine Kladde, die Ihnen schon alleine optisch gut gefällt. Viele haben in ihrem Leben schon einmal Tagebuch geführt. Das Besondere des Lebenstagebuches ist, dass hier nicht der ganze Tag und alle Gedanken oder Empfindungen darüber aufgeschrieben werden, sondern nur die Antwort auf die Frage: Was ist mir heute gut gelungen? Nennen Sie mindestens eine Sache pro Tag. Dadurch erleben wir einen Perspektivenwechsel. Unser Fokus ist nicht auf das gerichtet, was schwer, noch nicht geklärt oder geregelt ist. Wir sehen nicht auf das, was wir noch nicht geschafft haben, sondern nehmen unsere Stärken und Möglichkeiten wahr. Das lässt den Mut wachsen, uns Dinge zuzutrauen, die wir bisher noch nicht bewältigt haben.

Die Elia-Übung

Lesen Sie aus dem Buch 1. Könige die Kapitel 17 bis 19. Legen Sie besonderes Augenmerk auf Kapitel 19. Begeben Sie sich mit Elia auf den Weg. Er sitzt unter dem Wacholder und ist am Ende. Er kann und will nicht mehr leben. Engel kommen und stärken ihn für den Weg, der vor ihm liegt, ohne ihm diesen Weg durch die Wüste abzunehmen. Dieser Weg durch die Wüste hat ein Ziel: in der bergenden Nähe Gottes wahrnehmen zu können, wohin das Leben gehen wird.

Vielleicht wird der Weg des Elia zu einem Gleichnis für Ihren eigenen Weg. Auch Sie müssen durch die Wüste gehen, aber nicht nur aus eigener Kraft. Gott stärkt auch Sie. Auch wenn Sie selbst momentan noch kein Ziel erkennen können, Gott führt Sie zum Ziel. Zu seiner Zeit wird er so mit Ihnen reden, dass Sie es verstehen können. Gottes Wort ist das Brot des Lebens. Gerade an den Tagen, wo Ihnen die Hoffnung auf eine gute Zukunft verloren zu gehen scheint, nehmen Sie diese Geschichte noch einmal zur Hand und erinnern sich daran, dass Gott den Weg durch die Wüste zum Ziel führen wird.

FRAGEN

• Wie erlebe ich zurzeit meine Trennungsphase?

• In welcher Phase befinde ich mich?

• Habe ich noch Hoffnung für mein Leben?

• Was macht mir am meisten Sorgen?

• Welche der Übungen möchte ich ausprobieren?

KAPITEL 2
WUT UND ZORN

In diesem Kapitel wird die Gefühlswelt nach einer Trennung unter die Lupe genommen. Ein wichtiger Punkt ist es, Empfindungen wie Wut und Zorn nicht auszublenden, sondern wahrzunehmen.

In der ersten Zeit war ich überhaupt nicht sauer auf ihn. Die Wut kam erst, als mir nach einigen Monaten klar wurde, in welchem Umfang er mich belogen und betrogen hat. Da lebte er schon mit einer anderen zusammen. Da bekam ich richtige Rachefantasien. Ich habe ihnen gewünscht, dass sie kein Kind miteinander bekommen. Denn ich weiß von jemand anderem, dass sie sich eins gewünscht hat. Und da war mein Triumph irgendwie, dass es auch nicht geklappt hat. Ich habe mal gehört, dass sie eine Fehlgeburt hatte. Als ich davon hörte, hatte ich ein unheimlich schlechtes Gewissen. Natürlich ist mir klar, dass ich die Fehlgeburt nicht verursacht habe, aber ich hatte mir ja Kinderlosigkeit für sie gewünscht … Da merkte ich, dass meine Rachegedanken nicht in Ordnung waren.

Sandra

Dann war ich auch wütend. Wütend auf die Dummheit der Leute. Auf meinen Mann, der sich schon immer geweigert hat, Dinge zu klären. Wut auch auf nahe Menschen, der Trost und Solidarität ich dringend brauchen würde, die stattdessen aber mit meinem Mann solidarisch sind. Meine Eltern haben nach der Trennung mehrfach mit meinem Mann gesprochen. Er hat seine eigene Schuld total verleugnet und stattdessen das Scheitern unserer Beziehung allein mir angelastet. Meine Eltern waren nur zu bereitwillig, ihm das auch zu glauben. Auch da bin ich wirklich wütend. Er ist echt verlogen.

Ulrike

Manchmal bin ich richtig sauer. Ich will mich nicht enttäuschen lassen, bin es aber doch immer wieder. Durch meine Berufstätigkeit macht er ordentlich Gewinn. Aber das reicht ihm nicht. Wenn ich mit ihm rede, habe ich Angst. Ich habe immer das Gefühl, er will mich über den Tisch ziehen. Ich misstraue ihm.

Julia

Ich hatte häufig mit Rachegedanken zu tun. Zum Beispiel: Wo ist die nächste Bombe und wem tue ich sie ins Auto? Welches Auto von den beiden zerkratze ich am besten?

Martin

PERSÖNLICHE ZUGÄNGE

Mit einer Trennung gehen viele Gefühle einher. So etwas lässt niemanden kalt. Im Gegenteil: Wer verlassen wird, ist meist überrascht, wie viele Gefühle plötzlich lebendig werden. Manche empfinden es so, als würde der innere Herd auf die höchste Stufe gestellt. Das Verhalten des anderen und die verheerenden Folgen für das eigene Leben bringen Gedanken und Gefühle zum Kochen. Irgendwann schäumt die Seele über. Dann sprudeln Worte, Anklagen und manchmal auch Schimpfwörter einfach so heraus.

Ähnlich ergeht es aber auch denen, die den Anstoß zur Trennung gegeben haben, weil aus ihrer Perspektive die Ehe nicht so weitergehen konnte. Die schlechten Entscheidungen des Ehepartners, seine beziehungzerstörenden Verhaltensmuster oder die mangelnde Bereitschaft, für die Partnerschaft zu kämpfen, haben zum Aus der Ehe entscheidend beigetragen. Auch das macht wütend und ärgerlich. Selbst wenn Betroffene sich immer wieder bemühen, die Fassung zu bewahren und ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen, gelingt das oft nicht. Wer in Trennung lebt, bleibt selten ruhig. Es gibt Geschiedene, die von sich sagen, dass sie durch die Trennung erst richtig verstanden haben, was es heißt zu hassen. Man erkennt sich oft nicht wieder und erschrickt über die dunklen Regungen im Innern.

Bin ich es noch?

Ihre Wut ist nur allzu verständlich. Die Zeit, als noch alles in Ordnung zu sein schien oder es zumindest noch Hoffnung gab, ist doch gerade erst gewesen. Und jetzt sind Sie wütend, weil es dem anderen vielleicht besser geht, jeder Kontakt nur neue Missverständnisse und Kränkungen mit sich bringt oder der andere einfach nicht verstehen kann bzw. will, wie es Ihnen geht. Die Situation ist verfahren. Manch einer betrachtet sich im Spiegel und fragt sich verdutzt, ob er immer noch derselbe ist. Eigentlich schätzte man sich als einen ruhigen und besonnenen Typ ein. Auch unter Freunden und in der Familie galt man als freundlich und umgänglich. Doch die Trennung stellt alles auf den Kopf. Man merkt, wie sich langsam ein großer Ärger breit macht. »Das kann doch nicht wahr sein«, »Das hätte ich ihm nicht zugetraut«, »Dass sie das tut, hätte ich nicht für möglich gehalten« – so oder so ähnlich sind die Gedanken.

Wunsch nach Vergeltung

Am Ende steht der Eindruck, nicht wirklich geliebt und verstanden worden zu sein. In manchen kommen tiefe Rachegefühle auf. Der andere soll für das büßen, was er getan hat. Ja, sie soll bezahlen für alles, was sie angerichtet hat. Man empfindet Scham über das Erlebte, fühlt sich erniedrigt. Das Vertrauen wurde enttäuscht und verletzt. Die eigene Würde wurde mit Füßen getreten. Manchmal gut versteckt hinter dem Zorn über den anderen, gibt es da auch noch die Wut über uns selbst. »Hätte ich früher reagiert, …!«, »Hätte ich hier oder dort nicht versagt, …!«, »Hätte ich meine Liebe besser gezeigt, …!« Dass allein die eigene Begrenztheit zum Scheitern der Ehe geführt hat, ist eher unwahrscheinlich. Aber dennoch wird es so sein: Selbst der, der sich bemüht und um den Erhalt der Partnerschaft gekämpft hat, hat auch Anteil am Versagen. Das tut weh und macht unter Umständen richtig wütend.

WARUM-FRAGEN