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Die großen Western
– 223 –

Logins letzter Trick

Howard Duff

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-357-0

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Es war wie ein Fausthieb, der Link Chases Kopf streifte und ihm die strähnigen Haare nach vorn riß. Und doch war der Hieb viel schlimmer, denn die Kugel fegte Chase den Hut vom Kopf.

Aus, dachte Chase, der kleine Mann mit den flinken Rattenaugen, dessen Gesicht sogar Ähnlichkeit mit einer Ratte hatte, aus, der bringt mich um.

»Stillsitzen, keine Bewegung!«

Chase, die zweibeinige Ratte, riß entsetzt die Augen auf und sah, wie die Kugel in die linke Steilwand des Canyons vor ihm einschlug. Plötzlich gab es keine sengende Hitze der Halbwüste mehr, keine heiße Sonne, dafür aber Kälte, die Chase über den Rücken lief und seinen Atem abwürgte.

Keith, dachte der kleine Mann, Logan Keith und sein verfluchtes Fox-Gewehr.

Keith war hinter ihm und hatte ihn ausgetrickst, Keith, der Mann, der einmal für das Gesetz geritten war und nun ein Outlaw wie Chase war, ein Gesetzloser.

Jetzt bin ich dran, dachte Chase, während das Frieren sich zwischen seinen Schulterblättern festkrallte, weil Keiths Gewehrmündung auf diesen Fleck zeigte, jetzt legt er mich auf die Nase. Er hat Galloway erwischt, den schnellsten Mann unserer Bande. Er hat Klumpfuß Joe Hogan, den schlimmsten Schläger und hartgesottensten Burschen des Vereins umgeschlagen, ehe der wußte, was eigentlich passierte – und jetzt bin ich dran, verflucht noch mal.

»Na, Ratte, weit genug hinter mir her geschlichen?« fragte Keith, der Trickser, eisig. »Wer hat dir den Auftrag gegeben, Lee Clinton, dein Boß? Oder war es Galloway? Ich hätte ihn erschießen und nicht nur verwunden sollen, was? Raus mit der Sprache, oder…«

Oder ich bin tot, dachte die Ratte Chase, reden oder sterben.

»Galloway und Hogan«, krächzte Chase mit papptrockenem Hals und würgte verzweifelt. »Keith, sie haben abgestimmt. Clinton wollte nicht, daß ich dir folge.«

»Aha, zählt alte Freundschaft doch noch etwas?« fragte Keith grimmig. »Was hast du denn, Mann? Ist dir kalt oder zu warm? Wie sieht es denn mit deinem Wasservorrat aus, dein Gaul ist ja nur noch geschlichen. Kein Wasser, he? Klebt dir die Zunge am Gaumen?«

Sie klebte Chase wirklich am Gaumen. Sein Pferd wäre ohnehin keinen halben Tag mehr gelaufen, weil Chase Keith in die Halbwüste nördlich des Gila Rivers gefolgt war und nur einen kleinen Wasserschlauch bei sich gehabt hatte.

»Ich – ich habe Durst«, lallte Chase. »Keith, du kannst mich doch nicht umlegen, Mann. Bedenke doch, du hast dich halbtot zu uns geschleppt, du wärest, wenn wir dich nicht aufgenommen hätten, verreckt. Deine Lunge war hin, die Kugel…«

»Ihr habt mich aufgenommen?« knurrte Keith. »Lee Clinton hat mir Gastrecht gewährt, und das nicht mal umsonst. Ich habe euch die Pläne für vier Überfälle ausarbeiten müssen, weil bei euch nicht mal der Tod umsonst ist, geschweige denn das Leben eines Mannes, dem Lee immer noch etwas schuldig war. Sitz still, Ratte, ich blase dich mittendurch, wenn du eine krumme Tour versuchst, ich knall dich ab.«

»Keith, sei doch vernünftig«, stieß Chase hervor. »Ich bin doch nur ein kleiner Fisch, Keith, ich führe nur Befehle anderer aus. Sie wollten wissen, ob du wirklich in Richtung Colorado River und Mineral City reiten würdest. Das ist alles.«

»Tatsächlich?« spottete der große Keith. »Du lügst, du Ratte. Es geht um zwanzigtausend Dollar der Western Exchange Bank von Gila Bend, nennst du das nichts, was? Woher sollte ich die Leute nehmen, um den Geldtransport zu überfallen? Ich bin ein Outsider, ein Einzelgänger, das habe ich euch zehnmal gesagt. Macht den Überfall, den Plan habe ich euch ja ausgearbeitet, aber verlangt nur nicht, daß ich wahnsinnig genug bin, bei euch zu bleiben.

Jeder Sheriff, jeder Marshall, alles wird euch jagen. Das wird das größte Ding, das die Clinton-Bande jemals gemacht hat. Ohne mich, habe ich gesagt. Galloway wollte mich aufhalten und hat nun ein Loch im Arm, Hogan wollte mir einen Knüppel auf den Schädel schlagen und hat nun selbst ein paar Beulen. Ich reite zu meinen Leuten, ich will meine Familie besuchen.«

»Ja, ja«, ächzte Chase. »Auf dem Weg zum Colorado bist du ja, aber du hättest noch sechs Tage Zeit, ehe das Geld in Gila Bend ist. Was kann man alles in sechs Tagen machen?«

»Ich allein? Du bist ja wahnsinnig«, schnaubte Keith. »Der Transport wird von fünf bis an die Zähne bewaffneten Männern gesichert, ich käme nicht mal nahe genug heran, um die Geldkiste zu sehen, dann wäre ich schon tot. Ihr verdammten Narren, ich habe euch damals gesagt, ich würde gehen, wann es mir paßt, und nun hat es mir gepaßt. Ich will nicht mit euch hängen. Los, runter, Ratte, absteigen!«

»Schieß bloß nicht«, winselte Chase. »Ich habe nur das getan, was die anderen mir aufgetragen hatten. Gut, ich steige ab.«

»Behalte die Hände oben, rutsche aus dem Sattel, los, mach schon.«

Chase gehorchte und hielt die Hände hoch, als er aus dem Sattel glitt. Aber dann stolperte er beim Aufsetzen und ließ den linken Arm blitzschnell fliegen.

Das Messer, ein mexikanisches Wurfmesser, das Chase die ganze Zeit im Ärmel in einer Ledermanschette getragen hatte, zischte los.

Idiot, dachte Chase, da hast du sieben Zoll Stahl in den Bauch.

Das Messer flog auf Keiths Brust zu. Keith stand breitbeinig hinter Chunchillas, den Kriechkakteen. Er war aus der Deckung einer Ansammlung riesenhafter Orgelpfeifenkakteen getreten, ehe er Chase den Hut vom Kopf geschossen hatte.

In diesem Augenblick wußte Chase, daß er so gut wie tot war, denn Keith schoß von der Hüfte aus auf das heranwirbelnde Wurfmesser. Die Kugel packte das Messer, riß es aus der Bahn und schleuderte es im hohen Bogen zur Seite.

Chase schrie gellend auf, als das Fox-Gewehr herumzuckte und die Mündung auf seinen Kopf zeigte. Chase sah nur noch Feuer. Dann schlug die Welt über ihm zusammen.

*

Link Chase starb jetzt zum zweitenmal an diesem Tag, er starb vor Grausen. Als er die tiefen Einkerbungen der vier Kakteen sah, zwischen denen ihn Keith mit seinem eigenen Lasso angebunden hatte, brach Chase der kalte Angstschweiß aus. Die Kakteen, drei Meter hohe Organpipes mit handlangen Stacheln, waren von Keith so angeschlagen worden, daß jeder heftige Windstoß sie umblasen konnte. Es würde aber auch genügen, daß Chase ein Bein oder einen Arm bewegte und einen Befreiungsversuch unternahm. Tat er das, kippten die Kakteen um und fielen über ihn. Ihre Stacheln würden ihn durchbohren, und er würde langsam und qualvoll sterben.

»Genug gesehen?«

Keiths kalte Stimme kam von rechts. Logan Keith, der Mann, der bis vor vier Jahren für das Gesetz geritten war, saß auf einem Felsblock und rauchte.

»Sie werden mich nicht schnell genug finden«, brüllte Chase verzweifelt los. »Mein Kopf, mein Kopf. Diese Schmerzen.«

»Du hast nur einen Kratzer abbekommen«, sagte Keith spöttisch. »Du zweibeinige Ratte, ich hätte dich erschießen können, aber das wäre keine Strafe für deinen Messertrick gewesen. Du weißt doch, was die Leute von mir sagen, oder? Ich habe immer einen Trick mehr als die anderen im Ärmel. Liege ganz still.«

Chase schloß entsetzt die Augen. Die Sonne schien noch acht Stunden auf ihn herab. Nach diesen acht Stunden würde er wahnsinnig vor Durst geworden sein.

»Keith!« brüllte Chase verzweifelt, als Keith aufstand. »Keith, mach mich los, ich kann es keine vier Stunden ohne Hut in der Sonne aushalten. Keith, hör doch, warte. Ich wollte morgen früh umkehren, wenn du weiter nach Westen geritten wärest, das schwöre ich. Keith, Clinton sucht mich erst nach drei Tagen, bis dahin bin ich zweimal gestorben. Um Gottes willen, Keith, bleib hier.«

»Jetzt quiekst du Ratte, was?« fragte Keith eisig. »Sieh mal nach links.«

Chase nahm den Kopf herum und erstarrte. Im Sand neben seinem rechten Arm steckte ein Zweig, dessen Gabel so gebunden und zusammengebogen war, daß sie das Objektiv von Galloways Fernrohr festklemmte.

»In vier Stunden«, sagte Keith, der Trickser, indem er aufsaß und die Zügel seines Pferdes hochnahm, »scheint die Sonne durch das Glas, dann ist sie an der Kriechkaktee vorbeigewandert. Die Linse wirkt dann als Brennglas und zerstört den Strick. Dann bist du frei, du Ratte.«

Keith, der Meisterdieb, lachte spöttisch. Dann ritt er davon und nahm das Pferd von Chase mit. Auf dem Hang hielt er noch einmal und sagte pulvertrocken: »Elf Meilen darfst du laufen, wenn du frei bist. Deinen Gaul findest du an der nächsten Wasserstelle. Tue das, was du zwei Tage lang getan hast, aber diesmal läufst du meiner Spur nach, du haariger Affe. Viel Spaß.«

»Du Höllenhund!« brüllte Chase. »Verflucht sei deine Seele.«

»Das ist sie längst«, sagte Keith sanft. Und dann ritt er davon.

Chase blieb stöhnend liegen und sah Keith mit vor Wut flackernden Augen nach.

»Der dreimal verfluchte Trickser«, gurgelte Chase. »Wenn der Hund jemand hereinlegen will, dann macht er es. Wenn alles wahr ist, was man sich über den Kerl erzählt, hat er den Verstand eines Satans. Solange er für das Gesetz ritt, war kein Bandit vor ihm sicher, er fing alle, die er fangen wollte.

Vor vier Jahren betrog die Western Exchange Bank Keiths Vater.

Viel weiß ich nicht darüber, nur soviel, daß der alte Keith hereingelegt wurde und zum Gewehr griff, als man ihm seine Wagenlinie wegnehmen wollte. Der alte Keith soll ein jähzorniger und wilder Mann gewesen sein, ein Mann von der alten Art, der sich sein Recht selbst suchte. Und der Satan dahinten ist genauso, die Pest an seinen Hals!

Chase knirschte vor Grimm mit den Zähnen. Er hatte noch Glück gehabt, er hätte genauso tot sein können wie jene drei Kopfgeldjäger, die vor einem halben Jahr auf der Keith-Ranch erschienen waren. Die drei Kerle hatten nach Keiths letztem Überfall auf einen Geldtransport der Western Exchange Bank Logan Keith bei seinen Angehörigen auf der kleinen Ranch im San Pedro Valley Arizonas vermutet.

»Sie haben seine Mutter geschlagen und seine Brüder hinterrücks niedergeschlagen«, murmelte Chase bissig. »Sie hätten seine Mutter nicht an einen Stuhl binden und sie schlagen sollen, damit sie ihnen sagte, wo Keith steckte, denn das wußte sie wirklich nicht. Die Halunken steckten danach auch noch die Ranch an, diese Drei-Kühe-Ranch, den letzten Besitz der Keiths, der ihnen nach dem Bankbetrug geblieben war. Logan Keith hat danach sie gesucht, nicht sie ihn. Und er hat alle drei erschossen. Dabei erwischte ihn eine Kugel. Er kam zu Clinton. Wäre er bloß nie zu uns gekommen, was?«

Chase fluchte eine Weile, bis er merkte, daß das wüste Gefluche seinen Hals noch mehr austrocknete. Die Hölle, auch das noch, dachte Chase wütend. Lee Clinton hätte Keith nie aufnehmen sollen, aber er schuldete ihm sein Leben. Soviel ich weiß, rannte Logan Keith seinem Alten mit einundzwanzig Jahren davon und fuhr dann für die Adams Express als Geldbegleiter. Damals lernte er auch Clinton kennen, der hatte den gleichen Job. Später ritt Keith dann mit dem US-Marshal Jim Stanton für das Gesetz. Nach dem Tod des alten Keith nahm Logan Revolver und Waffengurt seines Vaters und schwor, er würde die Western Exchange Bank für den Betrug und den Tod seines Vaters bezahlen lassen. Und genau das hat er getan, bis heute hat er nur Transporte der Western Exchange Bank überfallen.

Chase erinnerte sich, daß Clinton von McMurray, dem Boß der Bank in Arizona, gesprochen hatte. McMurray sollte damals den alten Keith ruiniert haben.

Ich möchte wissen, warum Keith diesen McMurray nicht einfach auf die Nase gelegt hat, überlegte Chase, ich hätte es getan. Keith, du Höllenhund, wo bist du?

Logan Keith, der Mann mit den tausend Tricks, war nur noch ein kleiner Punkt im Westen. Er schien tatsächlich zum Colorado River und seinen Angehörigen reiten zu wollen.

»Da geht er hin«, sagte Link Chase giftig. »Hoffentlich sieht ihn jemand, der sich das Kopfgeld, das die Bank ausgesetzt hat, verdienen will. Die Pest an deinen Hals, Keith. Komm mir nie wieder zu nahe, ich brate dir eins auf, daß du dir das Gras von unten besiehst.«

Logan Keith ritt nach Westen, so sah es jedenfalls aus.

Keiths Blick flog über die Kette der Mohawk Mountains, schweifte dann ab zur Halbwüste und blieb schließlich auf dem Sanddünenstreifen weit im Osten am Gila liegen.

Der sehnige Trickser, dessen Haar an den Schläfen die ersten grauen Fäden zeigte, lächelte eingefroren. Seine scharfen Augen musterten die mehr als siebzig Meilen entfernte Kette der Sand Tank Mountains südöstlich von Gila Bend. Obgleich die Sicht ausgezeichnet war, konnte Keith die Blue Mesa noch nicht ausmachen, ein Tafelfelsengebirge der Sand Tanks, auf dem es eine versteckt liegende alte Hütte gab.

In diesem Moment lachte Keith, denn er erinnerte sich an das Erlebnis weit zurückliegender Jahre, das er und sein einziger und bester Freund, der Marshal Jim Stanton, an dieser Hütte auf der Blue Mesa mit dem alten Walker gehabt hatten.

»Jim, alter Freund«, sagte Keith sanft, »der schlaue Junge Logan, wie du mich immer genannt hast, wird bald seinen besten Trick landen, und ich fürchte, es wird sein letzter sein. Wenn du von ihm erfährst, wirst du genau wissen, daß ich den Trick von der Hütte des alten Walker aus gestartet habe, aber du bist nicht mehr Marshal, du wirst schweigen, weil du immer noch mein Freund bist, wetten?«

Logan Keiths Blick wanderte zu dem Punkt zurück, wo Link Chase zwischen den Kakteen lag und sicherlich Hölle und Pest auf einen verfluchten Trickser herabbeschwor.

»Glaubt ihr Narren wirklich, daß zwanzigtausend Dollar nur mit sechs Mann zu stehlen sind?« murmelte Keith dann. »Große Dinge vollbringt ein Mann immer allein. Das hat George Washington einmal gesagt, also werde ich das auch tun. Logan Keith, du kennst die Bank in Gila Bend, du kennst das Haus, den Stall, den Schuppen, den Zaun und alles, was in oder um die Bank ist. Und darum brauchst du nur deinen blöden Kopf etwas anzustrengen, wenn du das Geld bekommen willst, verstanden, Logan Keith?«

Er nahm die Zügel auf und ritt weiter nach Westen. Das wollte er noch bis morgen tun, ehe er in den Bergen im Westen abbog, keine Spur hinterließ, die Clinton lesen konnte und schließlich nach Tagen in den Sand Tank Mountains sein.

Was immer Keith plante, er handelte nie unüberlegt. Etwas wußte auch Clinton nicht, er hatte es einmal gewußt, wahrscheinlich aber im Lauf der Zeit vergessen.

Der Boß der Bank in Gila Bend hieß John Gould, und er war vor Jahren die rechte Hand eines Mannes gewesen, der Jordan Keith, Logans Vater, in den Ruin und in den Tod getrieben hatte. Gould hatte McMurray damals geholfen, dieses schmutzige Geschäft um Geld und Leben eines Mannes zu machen und er würde bald dafür bezahlen.