Fürstenkrone – 115 – Schöner als alle Träume

Fürstenkrone
– 115–

Schöner als alle Träume

Nach Jahren der Traurigkeit kam das Glück

Gisela Reutling

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-829-2

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»Wie schön sie heute ist, unsere kleine Annabel«, sagte Gräfin Dorothée und neigte den Kopf mit den silberweißen duftigen Löckchen ihrem Cousin zu. Die Musik war ziemlich laut, und er war schon ein wenig schwerhörig. »War es nicht eine gute Idee, dieses Fest zu ihrem zwanzigsten Geburtstag zu geben? Die jungen Herren sind alle entzückt von ihr …«

»Nicht nur die jungen!«, bemerkte vielsagend Graf Rudolf, der, wie seine Cousine, ein Rodenburg war. Er nahm sein Glas, in dem der rote Burgunderwein funkelte, aber er trank nicht, sondern er blickte zu den Tanzenden hin, die nach den temperamentvollen Klängen eines spanischen Paso doble über das Parkett wirbelten.

Leicht irritiert hob Gräfin Doro­thée die Augenbrauen. »Warum betonst du das so, mein Lieber? Weil auch Fürst Maximilian ihr Komplimente macht?«

»Mehr als das, er lässt keinen Blick von ihr«, entgegnete der Siebzigjährige und nahm einen Schluck von seinem Wein. »Nun ja«, er lächelte hintergründig, als er das geschliffene Glas zurücksetzte. »Maximilian von Eckern hat reizende Damen immer zu schätzen gewusst.«

»Aber ich bitte dich!« Halb amüsiert, halb ärgerlich sah die Gräfin ihren Cousin an. »Unsere Großnichte ist noch ein halbes Kind. Für sie ist der Fürst ein alter Mann.«

Die liebenswürdige Gastgeberin wäre wohl nicht ganz so sorglos gewesen, wenn sie die Gedanken hinter der glatten Stirn des jungen Mädchens gekannt hätte, für das sie dieses Fest in ihrem Barockschlösschen gab.

Wie wunderbar er tanzt, dachte Annabel hingerissen, er scheint von Musikalität bis in die Fingerspitzen erfüllt zu sein. Hatte sie sich je gewünscht, ein Tanz möge nie zu Ende gehen? Diesmal wünschte sie es sich …

Aber die tiefe Verzückung hielt an, als die Musik zu spielen aufhörte. Ihr Herz klopfte, wie es auch schon geklopft hatte, als er ihr an diesem Abend vorgestellt wurde: Seine Durchlaucht Fürst Maximilian von Eckern.

Scheu lächelte sie zu ihm auf. Er war groß, sehr groß und kräftig, aber schlank in den Hüften und geschmeidig wie einer, dem keine Sportart fremd ist. Jetzt beugte er sich tief zum Kuss über ihre Hand.

»Danke, Prinzessin! Ich hoffe, dass dies nicht unser letzter Tanz war …« Er warf ihr unter seinen etwas schweren Lidern einen der Blicke zu, vor denen zu allen Zeiten seines Lebens die Frauen erbebt waren.

Immer möchte ich mit Ihnen tanzen, immer nur mit Ihnen, sagten Annabels strahlende Augen. Aber selbstverständlich sprach sie es nicht aus.

»Lass dir von diesem alten Don Juan nur nicht den Kopf verdrehen!«, sagte lachend wenig später Arndt von Ehrenstett. »Er soll ja eine ungeheure Faszination auf Frauen zwischen siebzehn und siebzig ausüben!« Arndt nahm ein Glas Champagner von dem silbernen Tablett, das ein Diener herumreichte, und gab es Annabel. Er war weitläufig mit ihr verwandt, und er kannte sie von Kindesbeinen an. So wie heute hatte er sie noch nie gesehen, so sprühend von Leben, so leuchtend wie von innen heraus. Was hatte sie nur so verwandelt?

Annabel dankte ihm und nahm einen Schluck von dem kalten, prickelnden Getränk. Dabei ging Ihr Blick suchend umher. Ah, dort stand er, am Flügel, allein, auch er mit einem Glas in der Hand.

Er schaute zu der Varady hinüber, Sylvia Varady, die an den Opernhäusern der Welt Triumphe feierte. Tante Dorothée war eine Musikliebhaberin, sie hatte die Sängerin mit ihrem Gatten eingeladen, da sie seit Kurzem sozusagen Nachbarn geworden waren.

Die Varady hatte die alte Mühle gekauft, die romantisch im Wiesengrund gelegen war, und sie zu einer originellen Wohnstätte umbauen lassen.

Warum sieht Maximilian sie so interessiert an, dachte Annabel in einem ungewohnten Aufbegehren.

Und in diesem Moment wandte der Fürst den Kopf und begegnete ihrem Blick. Seine großen, sehr dunklen Augen, die so viel Macht über Annabel hatten, funkelten auf. In seinen Mundwinkeln war ein wissendes Lächeln, unmerklich fast, als er ihr jetzt mit einer leichten Bewegung sein Glas entgegenhob. Annabel errötete. Sie neigte ein wenig den Kopf und führte das Glas zum Mund.

Arndt bat sie um den nächsten Tanz. Annabel sah ihn an, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Eigentlich sah sie durch ihn hindurch. Das dunkle, herrische Gesicht Maximilians war vor ihrem geistigen Auge.

Doch sie ließ sich ihr Glas abnehmen und folgte dem jungen Arndt, der sie, die Hand leicht unter ihren Ellenbogen gelegt, zur Tanzfläche führte.

Ihr Gang war schwebend in den hochhackigen Sandaletten. Sie trug ein weißes Kleid mit grünen Rosen, es ließ ihre rechte Schulter frei und war am Saum schräg geschnitten, sodass die feingeformten Fesseln sichtbar wurden. Prinzessin Annabel Lavigny war die Anmut selbst. Dass ihr diese Anmut unbewusst war, erhöhte den Reiz ihrer mädchenhaften Erscheinung.

»Zwanzig Jahre«, sagte Arndt von Ehrenstett scherzhaft, während er mit ihr tanzte, »allmählich muss ich dich nun wie eine erwachsene junge Dame behandeln. Ich erinnere mich noch daran, wie ich dich in Genf im Internat besuchte. Fünfzehn warst du damals. Wir sind zusammen spazieren gegangen und ins Café, weißt du noch, deine Mitschülerinnen fanden es schrecklich spannend, sie dachten, du hättest schon einen Freund.«

»Du warst ja auch immer mein Freund, Arndt«, entgegnete Annabel ernsthaft und war nun wirklich bei ihm, nicht mehr in einem fernen Zauberreich. »Mein brüderlicher Freund, mit dem ich über viele Dinge reden konnte.«

»Und wenn ich nun eines Tages anders als brüderlich für dich empfände?«, fragte Arndt und zog die schlanke Mädchengestalt etwas fester an sich.

»Wie denn?«, fragte Annabel neckend und gänzlich unbefangen.

»Ich könnte mich in dich verlieben.«

Annabel lachte hellauf. »Das wäre aber sehr komisch! Man kann sich doch nicht plötzlich in einen Menschen verlieben, mit dem man schon im Sandkasten gespielt hat! Wo bliebe da die Spannung, das Aufregende, Neue?«

Von einer Sekunde zur anderen war sie Arndt wieder fern. Obwohl das Lachen noch um ihren Mund lag, nahmen ihre weit geschnittenen hellen Augen einen abwesenden Ausdruck an. Ihre Gedanken flogen zu Maximilian zurück.

Etwas später gelang es Annabel, auf die Terrasse zu entschlüpfen. Sie musste einen Moment allein sein, sich die heiße Stirn vom Abendwind kühlen lassen. Ganz nach vorn ging sie, bis an die Brüstung, von wo aus eine steinerne Treppe mit flachen Stufen in den Garten führte. Reglos stand sie, eine schmale helle Gestalt vor dem Dunkel der Nacht. Sie bewegte sich auch nicht, als sie Schritte hinter sich vernahm. Aber sie hielt den Atem an. Maximilian.

Sie wusste, dass er es war, noch bevor sie den Kopf wandte.

Er trat neben sie. Sekundenlang war es still zwischen ihnen. Als die Spannung kaum noch zu ertragen war, sprach der Mann leise: »Annabel.« Nur ihren Namen, sonst nichts. Aber die Art, wie er es sagte, kam einer Liebkosung gleich.

Die junge Prinzessin hob ihr zartes Gesicht zu ihm auf. Glück und Angst wohnten zugleich in ihrem Herzen, das heute erwacht war. Sie erschauerte, als Maximilian seine Fingerspitzen rechts und links um ihre Wangen legte, so behutsam, wie man etwas Kostbares hielt.

Annabel schloss die Augen. Jetzt würde er sie küssen – jetzt.

Aber er küsste sie nicht. Seine Hände sanken herab, er wandte sich von ihr. Einen Moment noch blieb er schweigend an der Brüstung stehen, dann sagte er mit völlig veränderter Stimme: »Ihre Gäste werden Sie vermissen, Prinzessin. Wollen Sie nicht lieber hineingehen?«

Annabel nickte, gehorsam wie ein Kind. Sie fühlte sich wie von einem Traum umfangen. Vielleicht war es ja auch nur ein Traum gewesen.

Sie erwartete, dass Maximilian mit ihr gehen würde und sah ihn an. Doch er schüttelte leicht den Kopf. »Es ist besser, wir kommen nicht zusammen zurück. Es könnte zu falschen Vermutungen Anlass geben.«

Wieder nickte Annabel. Es war, als sei sie stumm geworden, stumm vor dem Anprall eines Gefühls, von dem sie bis zu diesem Abend nichts gewusst hatte.

Ihre Lider flatterten, als sie ins helle Licht trat. Sogleich wurde sie von einigen ihrer jungen Gäste umringt.

»Wir wollen ein Spiel machen, Annabel, bei dem Sie nicht fehlen dürfen! Wer gewinnt, bekommt einen Kuss vom Geburtstagskind!«

Der das in eifrigem Übermut erklärte, war ein braungelockter Jüngling mit blitzenden Zähnen, an dessen Namen sich Annabel im Moment nicht einmal erinnern konnte. Ihre Großtante hatte ihn eingeladen.

Einen Kuss, dachte Annabel und sah sich mit einem rätselhaften Lächeln im Kreis um. Ich werde nur einen Mann küssen, aber die Zeit war noch nicht reif dafür.

Er war wieder da, als die Varady sang.

Andächtig lauschte die Gesellschaft dem klaren Sopran der berühmten Sängerin. Mit gesenkten Lidern blickte Annabel auf ihre locker im Schoß verschlungenen Hände. An ihrem Ringfinger glänzte ein in Brillanten gefasster Smaragd, der einst ihrer Mutter gehört hatte.

Annabel wusste später kaum, wie dieser Abend zu Ende gegangen war. Sie plauderte, lachte, ließ sich feiern, aber es schien eine andere Annabel zu sein. Dann tanzte sie noch einmal mit Maximilian, und allein das zählte.

»Wir werden uns wiedersehen, Annabel«, sagte er.

Die Prinzessin lächelte und hauchte ein »Ja«. Sie würden sich wiedersehen – es konnte ja gar nicht anders sein. Zwei Tage später wurden rote Rosen für Prinzessin Annabel abgegeben, langstielig, mit taufrischen Knospen. Mit bebenden Fingern streifte Annabel die Hülle von Seidenpapier ab, aber kein Brieflein, kein Kärtchen lag dabei mit dem Namen des Spenders.

»Von wem sind die denn?«, fragte Tante Dorothée neugierig.

»Ich weiß es nicht«, antwortete Annabel, »es steht nichts dabei.« Aber das Blut stieg ihr in die Wangen bei ihren Worten. Sie glaubte genau zu wissen, dass es ein Gruß von Maximilian von Eckern war. Wer sonst sollte ihr rote Rosen schenken?

Sie stellte sie in die schönste Kristallvase, die sie finden konnte, und brachte sie in ihr Zimmer. Dort verströmten sie acht Tage ihren betörenden Duft. Für Annabel war es jedes Mal, wenn sie ins Zimmer trat, wie eine flüchtige Begegnung mit dem Mann, um den all ihre Gedanken kreisten.

Dann kam wiederum ein Strauß, ebenso schön wie der erste und ebenso ohne Absenderangabe.

»Du hast einen stillen Verehrer«, stellte Tante Dorothée mit einem feinen Lächeln fest. »Mich wundert es nur, weshalb er seinen Namen nicht nennen will. Und dann gleich rote Rosen …, als ich jung war, galten diese als die Blumen der Liebe.«

Annabel errötete. Das waren sie wohl auch heute noch.

Die Tage kamen und gingen, und nichts weiter geschah. Annabel half Maria im Garten, wo die Beeren üppiger reiften als in den Jahren vorher. Maria ließ es sich nicht nehmen, daraus die köstlichsten Marmeladen zu bereiten, sodass ihre Küche von morgens bis abends von süßen Düften erfüllt war.

Wenn das Telefon läutete, stürzte Annabel ins Haus, aber der ersehnte Anruf war es nicht.

»Nächste Woche werden wir unsere Koffer packen«, sagte Tante Dorothée eines Abends, als sie auf der Terrasse saßen und die Sonne glutrot hinter den Hügeln versank. »Ich meine ja, du solltest dir noch ein paar hübsche Kleidchen kaufen. Ich weiß doch, wie gern ein junges Mädel sich schmückt.«

Annabel erschrak. »Wollen wir denn verreisen?«, fragte sie überrascht.

»Aber, Kleine, wo lebst du denn? Das ist doch seit Langem geplant, dass ich Ende August in mein Herzbad fahre und dass du mich dorthin begleiten wirst.«

Sie hatte wirklich nicht mehr daran gedacht. Wenn Maximilian mich hier sucht, werde ich nicht da sein, ging es ihr durch den Sinn. Das erschien ihr ungefähr als das Schlimmste, was ihr passieren konnte.

Vier Wochen wollten sie wegbleiben. Vier Wochen, in denen sie, das wusste Annabel jetzt schon, nur zwischen Hoffen und Bangen schweben würde.

*

Im Kurhotel hatten die Gräfin Rodenburg und ihre Großnichte Prinzessin Annabel ein sehr schönes Appartement im 1. Stock, zwei Schlafzimmer mit Bad und Ankleideräumen, die durch einen geschmackvoll eingerichteten Wohnsalon miteinander verbunden waren. Das Publikum in diesem Hotel war exklusiv.

»Das Einzige, was mich stört, ist, dass man sich hier dreimal am Tag umziehen muss«, meinte Gräfin Dorothée am ersten Abend, als Annabel ihr die dreireihige Perlenkette zum dunklen Seidenkleid um den Hals legte.

Annabel ließ die Arme sinken. »Wir können uns das Essen aufs Zimmer servieren lassen«, schlug sie vor.

»Ach nein, weißt du«, die alte Dame lächelte verschmitzt, »man will doch sehen, wer alles da ist.« Mit einer raschen Bewegung wandte sie den Kopf zu Annabel um. »Übrigens, einen Bekannten werden wir auf alle Fälle hier treffen: Fürst Maximilian.«