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Die großen Western
– 201 –

Zarco räumt auf

Frank Callahan

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-921-4

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Schüsse peitschten durch die Nacht und rissen Zarco aus seinem leichten Schlummer. Das Halbblut war von einer Sekunde zur anderen hellwach.

Sein Morgan-Hengst schnaubte leise. In den Baumwipfeln, unter denen Zarco sein kleines Camp aufgeschlagen hatte, säuselte der Wind. Dunkle Wolken zogen von Westen herauf und verschlangen die funkelnden Sterne.

Erneut donnerten Schüsse durch die nächtliche Stille. Zarco sprang auf, rückte den Revolvergurt zurecht und packte seine Schlafdecke. Nachdem er dem Rapphengst den Sattelgurt festgezurrt hatte, schwang er sich auf den Pferderücken.

Er lauerte in die Nacht und fragte sich, was die Schüsse bedeuteten. Kaltes Mondlicht brach sich auf dem breitflächigen Gesicht des Halbbluts.

Zarco hielt sich seit einigen Tagen in Oregon auf. Ohne Ziel durchstreifte er das weite, dünn besiedelte Land.

Zarco wußte, daß sich nur wenige Meilen von seinem nächtlichen Lager entfernt eine kleine Stadt befand, die Baker hieß. Er wollte der kleinen Ortschaft bei Tageslicht einen Besuch abstatten, um sich mit Proviant und anderen lebensnotwendigen Dingen zu versorgen.

Wieder fiel ein Schuß, dann herrschte eine fast unheimliche Stille, die kurz darauf vom schrillen Schrei eines jagenden Nachtfalken durchbrochen wurde.

Zarco trieb seinen Morgan-Hengst härter an. Um ihn her war unwegsames Gelände. Riesige Laub- und Tannenwälder bedeckten die Hügel und Berge. Saftiges Gras wuchs in den Tälern.

Hundert Yards entfernt sah Zarco das graue Band einer ausgefahrenen Poststraße. Er fühlte feinen Staub auf seiner Zunge, als er weiterritt.

Der erfahrene Westmann wußte, daß hier vor noch nicht allzu langer Zeit eine Stage Coach entlanggefahren war. Die Schüsse konnten nur bedeuten, daß die Postkutsche überfallen worden war.

Zarco blickte den staubigen Weg entlang, der sich um einen Hügel herumwand und schon bald aus seinem Blickfeld verschwand. Er überlegte, was er tun sollte.

Eigentlich ging ihn das alles nichts an. Doch Zarco hatte sich in seinem Leben schon oft sehr schlimme Erfahrungen eingehandelt.

Wenn es wirklich ein Postkutschenüberfall war und er sich in der Nähe aufgehalten hatte, dann würde irgend jemand auf die Idee kommen, ihm diese Sache in die Schuhe zu schieben, falls man ihn entdeckte.

So blieb dem Halbblut nur die Wahl, entweder schleunigst abzuhauen oder nachzusehen, was geschehen war.

Zarco beschloß, nachzusehen. Er war ein Bursche, der immer stets klarsehen wollte. Schnell näherte er sich dem Hügel. Er zügelte seinen Rapp­hengst, als er das Wiehern von Pferden vernahm.

Zarco glitt aus dem Sattel, zog seine Winchester aus dem Scabbard und schlich die flache und mit Büschen und niedrigen Bäumen bewachsene Anhöhe empor.

Von dort aus spähte er auf das unter ihm liegende Gelände und stellte fest, daß sich seine Vermutung bewahrheitet hatte. Er sah eine Postkutsche, die von drei bewaffneten Männern in Schach gehalten wurde.

Ein dunkler Körper, vermutlich der Fahrer der Stage Coach, lag etwas abseits im Gras. Vier Menschen standen mit erhobenen Händen vor den geöffneten Türen der Kutsche.

Einer der Passagiere brach unter den brutalen Schlägen eines der maskierten Banditen zusammen. Sein gellender Hilfeschrei drang bis an Zarcos Ohren.

Sein Gesicht wurde maskenstarr, während sich seine Rechte auf den Griff seines Revolvers senkte. Wenn Zarco etwas verabscheute, dann war es brutale Gewalt, die einen Wehrlosen traf. Er selbst hatte dies schon so oft am eigenen Leib erfahren müssen.

Ohne noch länger nachzudenken, setzte sich das Halbblut wie ein anschleichender Puma in Bewegung. Schnell näherte er sich der Postkutsche. Stimmen klangen an seine Ohren. Eine knappe Steinwurfweite vom Ort des Überfalls entfernt verhielt Zarco geduckt hinter den Zweigen eines Wacholderbusches.

»Wir legen euch alle der Reihe nach um, wenn ihr uns nicht sofort sagt, wo ihr die Kiste versteckt habt«, klirrte die harte Stimme eines Maskierten.

Es war der Strolch, der noch vor wenigen Sekunden einen der Reisenden brutal niedergeschlagen hatte. Nun trat der Bursche einen schnellen Schritt nach vorn und rammte dem vor ihm stehenden Mann den Revolverlauf mit gnadenloser Härte in den Bauch.

Keuchend wankte der Angegriffene zurück und prallte gegen die Postkutsche. Sein schmerzerfülltes Stöhnen wehte zu Zarco herüber, der sich nun erneut in Bewegung setzte.

Längst hatte das Halbblut herausgefunden, daß er es nur mit drei Outlaws zu tun hatte. Die Halunken standen nun dicht nebeneinander und hielten ihre Revolver auf die hilflosen Reisenden gerichtet, die sich wie ängstliche Schafe zusammendrängten.

»Ich gebe euch noch genau eine Minute«, stieß der Maskierte zornig hervor. »Dann lege ich euch um. Und ihr könnt mir glauben, daß ich nicht bluffe.«

Zarco glaubte ihm. Er wußte nun, daß er alles daransetzen mußte, die vier Reisenden vor dem sicheren Tod zu bewahren. So schlich er noch näher heran.

Schon bald befand er sich nur eine knappe Pferdelänge hinter den drei maskierten Banditen, die nichts von ihrem Gegner ahnten.

Zarcos Vater war ein Weißer und seine Mutter eine Comanchen-Squaw gewesen. Und von ihr hatte er viel von seinen indianischen Vettern geerbt. Er konnte sich geräuschlos durch ein noch so rauhes Gelände bewegen.

»Die Minute ist gleich um!«

Wieder knallte die Stimme des Banditenbosses durch die Stille. Die Gesichter der drei Männer, die dicht vor der Stage Coach standen, glichen weißen Flecken in der Dunkelheit.

Der vierte Reisende lag noch immer regungslos am Boden. Nun brach ein schwaches Stöhnen zwischen seinen zuckenden Lippen hervor.

Zarco wußte, daß es an der Zeit war, dieses rauhe Spiel zu beenden.

*

»Die Minute ist um!«

Mehr sagte Zarco nicht. Er schob sich zwischen den Zweigen eines Busches hervor. Sein Revolver lag wie festgeschweißt in seiner sehnigen Hand und war auf die Rücken der drei Postkutschenräuber gerichtet.

Die drei Maskierten standen wie erstarrt. Mit einer derartigen Wendung hätten sie wohl in ihren bösesten Träumen nicht gerechnet.

»Mein Revolver ist auf euch gerichtet, Leute«, rief das Halbblut. »Ich schieße euch die Köpfe von den Schultern, wenn ihr nicht sofort eure Waffen fallen laßt.«

Seine Stimme verwehte.

Auch die drei Überfallenen waren bei Zarcos Worten zusammengezuckt. Fassungslos blickten sie auf die dunkle Silhouette, die sich deutlich gegen den helleren Hintergrund abzeichnete.

Dann geschah es, was Zarco insgeheim befürchtet hatte. Die drei Banditen gaben nicht auf.

Irgendwie mußten sie sich eine Chance ausrechnen, noch die Köpfe aus der Schlinge ziehen zu können. Vielleicht hatten diese drei Kerle auch nichts mehr zu verlieren, und der Strick wartete auf sie, sollten sie gefangen genommen und einem Gesetzeshüter übergeben werden.

Die drei Outlaws warfen sich zur Seite, bewegten sich wie huschende Schatten und wirbelten herum.

Dann brüllten auch schon die ersten Schüsse auf. Heißes Blei raste auf Zarco zu. Pulverdampf breitete sich aus, Feuerlanzen erhellten die Nacht.

Zarco hatte keine andere Wahl, als zu schießen, wollte er sein eigenes Leben retten und in diesem gnadenlosen Kampf nicht unterliegen.

Zwei der Outlaws brachen unter seinen Kugeln zusammen. Der dritte Halunke feuerte erneut. Die Kugel verfehlte das Halbblut um Haaresbreite. Der glühende Todeshauch versengte fast sein langes schwarzes Haar.

Nochmals schoß das Halbblut. Die Kugel stieß den Maskierten wie ein Huftritt zurück. Er landete aufschreiend auf dem Rücken und blieb mit ausgebreiteten Armen liegen. Der Mann erinnerte an einen dunklen Käfer, der sich nicht mehr erheben konnte.

Der Pulverdampf wurde vom leichten Wind davongetragen. Zarco stand wie ein düsterer Racheengel da und starrte auf die drei Banditen, die nun stöhnend am Boden lagen.

Die Männer lebten. Zarco hoffte, daß keiner von ihnen sterben mußte. Er überließ es lieber dem Gesetz, Richter und Henker zu sein.

Langsam trat das Halbblut auf die drei verwundeten Banditen zu. Er entwaffnete sie und sah, daß keiner der Kerle an seinen Kugeln sterben würde.

Langsam näherte er sich den Reisenden der Stage Coach. Der vierte Mann erhob sich schwankend und lehnte sich dann gegen die Postkutsche. Er schien noch nicht kapiert zu haben, daß sich das Blatt gewendet hatte.

Ein schon älterer Mann, dessen volles Haar eisgrau unter dem dunklen Stetson hervorspitzte, wischte sich mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn und nickte dann Zarco dankbar zu.

»Sie haben unser Leben gerettet, Mister«, sagte er mit vibrierender Stimme, die noch vom Schrecken der vergangenen Minuten erfüllt war. »Ich und auch meine Begleiter danken Ihnen von ganzem Herzen dafür. Diese drei Höllenhunde hätten uns kaltblütig abgeschlachtet. Mein Name ist Ben Rackett.«

Das Halbblut nickte kurz.

»Ich heiße Zarco, Gentlemen. Ich hielt es für meine Pflicht, einzugreifen, nachdem ich die Schüsse hörte und sah, was sich hier abspielte.«

Nun traten die drei anderen Männer näher. Zwei von ihnen waren noch sehr jung, höchstens um die zwanzig. Sie ähnelten Ben Rackett sehr.

»Das sind meine beiden Söhne Joe und Jimmy. Und der Mann neben ihnen ist mein Vormann Clay Dalton.«

Zarco nickte und lief zu einem dunklen Körper hinüber, der dicht neben den tänzelnden Pferden des Sechsergespannes lag.

Es schien sich um den Kutscher zu handeln, der von den Banditen vom Bock geschossen worden war. Der grauköpfige Bursche war tot. Zarco sah zwei Einschüsse in seiner Brust.

Auf der anderen Seite der Kutsche fand er den Begleitmann, der ebenfalls tot war. Die beiden Männer hatten sich beim Überfall der drei Maskierten zur Wehr gesetzt.

Ben Rackett trat neben das Halbblut.

»Sie sind tot, nicht wahr?« fragte er mit heiserer Stimme. »Sie haben gekämpft, obwohl sie keine Chancen hatten. Und auch uns hätten diese drei Hundesöhne kaltblütig umgebracht. Oh, was ist nur plötzlich los in diesem County. Es scheint, als hätten sich alle Flötenhunde des Westens hier versammelt. Es wird von Woche zu Woche schlimmer.«

Rackett schwieg. Noch immer bedeckten Schweißperlen seine gebräunte Stirn und erinnerten an ein feines Spinnennetz.

»Sorgen Sie dafür, daß die beiden Toten in die Postkutsche geladen werden. Ich kümmere mich inzwischen um die Banditen und verbinde ihre Wunden.«

Ben Rackett nickte. Zweifelnd sah er Zarco an.

»Sind Sie in der Lage, eine Postkutsche zu fahren, Mister?« fragte er dann. »Meine Begleiter sind zu unerfahren. Ich traue es mir selbst auch nicht zu.«

»Ich habe schon öfter eine Stage Coach gefahren«, antwortete Zarco und trat zu den drei Banditen, die noch immer stöhnend am Boden lagen. Racketts beide Söhne und Clay Dalton standen in der Nähe und hielten Gewehre auf die Outlaws gerichtet.

»Du solltest Verbandszeug holen, Joe«, sagte Ben Rackett zu einem seiner Söhne. »Jimmy und Clay, ihr könnt die beiden toten Driver in die Kutsche laden.«

Schweigend entfernten sich die drei Männer. Zarco kniete neben dem Anführer des Banditenrudels nieder. Er zog dem Stöhnenden die schwarze Gesichtsmaske herunter.

»Ist Ihnen der Bursche bekannt, Mr. Rackett?«

Der Grauköpfige schüttelte den Kopf. Auch die beiden anderen Outlaws waren ihm unbekannt.

»Vielleicht hat der Marshal Steckbriefe von diesen Strolchen«, meinte Rackett. »Oh, was sind das nur für Hundesöhne, denen ein Menschenleben überhaupt nichts bedeutet.«

»Sie werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen«, sagte Zarco dumpf und griff nach dem Verbandszeug, das Joe Rackett ihm entgegenhielt.

Mit sicherer Hand verband das Halbblut die Schußwunden der Out­laws. Mehr als ein Notverband wurde es nicht. Den Rest mußte ein Doc erledigen, falls es einen in Baker gab.

Sie brachten die noch immer stöhnenden Banditen in die Postkutsche. Zarco kletterte auf den Kutschbock, nachdem er seinen Morgan-Hengst und auch die drei Banditenpferde hinten an der Stage Coach angebunden hatte.

Er trieb das Sechsergespann an, das auch willig trabte. Bis nach Baker mochten es noch fünf Meilen sein. Schon bald gehorchten die Pferde auf den geringsten Zügeldruck.

Zarco war davon überzeugt, die Stage Coach wohlbehalten an ihr Ziel zu bringen.

*

Der Morgen dämmerte bereits, als die ersten Häuser der kleinen Rinderstadt aus den wabernden Bodennebeln auftauchten. Eine Wolkenwand hing wie geschmolzenes Blei am Himmel.

Es sah nach Regen aus, und er hätte dem Land gutgetan. Das Halbblut ließ die Pferde langsamer laufen, als sie die Main Street erreichten. Trotzdem folgte der Kutsche eine riesige Staubwolke, die sich nur träge zu Boden senkte, nachdem die Coach vor dem Post Office angehalten wurde.

Die Straße blieb menschenleer. Nur ein Oldtimer schob sich aus der Office-Tür hervor und blickte entgeistert auf Zarco, der vom Kutschbock sprang.

»Wo sind Sam und Pete?« fragte er.

»Sie sind tot und liegen in der Kutsche. Ein Überfall, Mister. Die Banditen konnte ich überrumpeln.«

Der Postclerk riß erschrocken den Mund auf. Sein lückenhaftes Gebiß hätte Zarco unter anderen Umständen zu einem Lächeln gereizt, doch er trat nur zur Seite, um Ben Rackett und den anderen Mitreisenden Platz zu machen.

Der Rancher erklärte mit wenigen Worten, was geschehen war. Er vergaß auch nicht, das mutige Eingreifen des Halbbluts lobend zu erwähnen.

Schritte ertönten hinter der Männergruppe. Ein schwergewichtiger Mann mit einem buschigen Sichelbart, der weit übers Kinn reichte, stampfte heran. Ein Marshalabzeichen blinkte unter den ersten Sonnenstrahlen, die nun doch noch einen Weg durch die Wolken gefunden hatten.

»Was geht hier vor?« fragte der Gesetzeshüter und nickte Rackett und seinen Leuten freundlich zu. Zarco musterte er mit einem geringschätzigen Blick, was das Halbblut aber nicht störte.

Zarco war es gewohnt, schief von der Seite angesehen zu werden. Viele Weißen hielten ihn nun mal für einen verdammten Indianerbastard.

Gatsby Wellers wurde etwas freundlicher, als er von Zarcos mutiger Tat hörte.

Eine halbe Stunde später waren alle Formalitäten erledigt. Das Protokoll war unterschrieben. Die drei Banditen lagen in den Zellen auf ihren Pritschen und wurden von einem kleinen, schmalbrüstigen Doc verarztet. Die beiden toten Postkutschenfahrer hatte man zum Sargmacher gebracht.