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Charles Dickens

Dombey und Sohn

Band 1 & 2

Charles Dickens

Dombey und Sohn

Band 1 & 2

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Übersetzung: Carl Kolb
EV: Gutenberg-Verlag, Hamburg, 1928 (863 S.)
1. Auflage, ISBN 978-3-962815-77-6

null-papier.de/643

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Inhaltsverzeichnis

Band 1

Ein­lei­tung.

Ers­tes Ka­pi­tel. – Dom­bey und Sohn.

Zwei­tes Ka­pi­tel. – In wel­chem zei­ti­ge Vor­sor­ge für einen Fall ge­trof­fen wird, der bis­wei­len in den ge­ord­nets­ten Fa­mi­li­en vor­kommt.

Drit­tes Ka­pi­tel. – In wel­chem sich Mr. Dom­bey als Mann und Va­ter an der Spit­ze sei­nes Haus­we­sens zeigt.

Vier­tes Ka­pi­tel. – In dem ei­ni­ge wei­te­re ers­te An­zei­chen in be­treff des Schau­plat­zes die­ser Aben­teu­er auf­tre­ten.

Fünf­tes Ka­pi­tel. – Pauls Ge­dei­hen und Tau­fe.

Sechs­tes Ka­pi­tel. – Pauls zwei­te Ver­wai­sung.

Sie­ben­tes Ka­pi­tel. – Vo­gel­per­spek­ti­ve von Miss Toxs Woh­nung und ihre Lieb­ha­be­rei­en.

Ach­tes Ka­pi­tel. – Pauls wei­te­re Fort­schrit­te – sein Ge­dei­hen und sein Cha­rak­ter.

Neun­tes Ka­pi­tel. – In wel­chem den höl­zer­nen Mid­ship­man An­ge­le­gen­hei­ten tref­fen.

Zehn­tes Ka­pi­tel. – Ent­hält die Fol­gen, die das Un­glück des Mid­ship­man nach sich zieht.

Elf­tes Ka­pi­tel. – Paul be­tritt einen neu­en Schau­platz.

Zwölf­tes Ka­pi­tel. – Pauls Er­zie­hung.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel. – Mr. Dom­beys Büro.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel. – Paul wird im­mer alt­mo­di­scher und geht nach Hau­se in die Fe­ri­en.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel. – Er­staun­li­che Ver­schmitzt­heit des Ka­pi­tän Cutt­le und ein neu­es Ge­schäft für Wal­ter Gay.

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel. – Was die Wel­len im­mer sag­ten.

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel. – Ka­pi­tän Cutt­le macht ein klei­nes Ge­schäft für die jun­gen Leu­te.

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel. – Va­ter und Toch­ter.

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel. – Wal­ters Abrei­se.

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Mr. Dom­bey macht eine Rei­se.

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Neue Ge­sich­ter.

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Wie Mr. Car­ker, der Ge­schäfts­füh­rer, ein klei­nes Ge­schäft be­treibt.

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Flo­rence ist ein­sam und der Mid­ship­man ge­heim­nis­voll.

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Das Stu­di­um ei­nes lie­ben­den Her­zens.

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Selt­sa­me Neu­ig­kei­ten von On­kel Sol.

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Schat­ten der Ver­gan­gen­heit und der Zu­kunft.

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Tie­fe­re Schat­ten.

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Ver­än­de­run­gen.

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel. – Wie Mrs. Chick die Au­gen auf­ge­hen.

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Die Zeit vor der Hoch­zeit.

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Die Trau­ung.

Band 2

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Der höl­zer­ne Mid­ship­man geht in die Brü­che.

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Ge­gen­sät­ze

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Wie­der eine Mut­ter und eine Toch­ter.

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Das glück­li­che Paar.

Sechs­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Der of­fi­zi­el­le Ein­zugs­schmaus.

Sie­ben­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Mehr als eine War­nung.

Achtund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Miss Tox nimmt eine alte Be­kannt­schaft wie­der auf

Neun­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel. – Wei­te­re Aben­teu­er des Schiffs­ka­pi­täns Ed­ward Cutt­le.

Vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Häus­li­che Ver­hält­nis­se

Ein­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Neue Stim­men auf den Wel­len

Zwei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Ver­trau­lich und zu­fäl­lig.

Drei­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Nacht­wa­chen

Vierund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Eine Tren­nung

Fün­fund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Die zu­ver­läs­si­ge Mit­tels­per­son.

Sechs­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Prü­fend und nach­denk­lich

Sie­ben­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Der Don­ner­schlag

Achtund­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Flo­rencens Flucht.

Neun­und­vier­zigs­tes Ka­pi­tel. – Der Mid­ship­man macht eine Ent­de­ckung.

Fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Mr. Toots Her­ze­leid.

Ein­und­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Mr. Dom­bey und die Welt.

Zwei­und­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Ge­hei­me Mit­tei­lung

Drei­und­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Wei­te­re Nach­richt

Vierund­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Die Flücht­lin­ge.

Fün­fund­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Rob, der Schlei­fer, ver­liert sei­ne Stel­le.

Sechs­und­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Meh­re­re Per­so­nen ent­zückt und der Preis­hahn ent­rüs­tet.

Sie­ben­und­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Wie­der ein Hoch­zeit.

Achtund­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Spä­ter.

Neun­und­fünf­zigs­tes Ka­pi­tel. – Ver­gel­tung

Sech­zigs­tes Ka­pi­tel. – Han­delt haupt­säch­lich von Hoch­zei­ten.

Ein­und­sech­zigs­tes Ka­pi­tel. – Er­lö­sung

Zwei­und­sech­zigs­tes Ka­pi­tel. – Schluss.

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Band 1

Kapitän Cuttle

Einleitung.

Den Ro­man »Dom­bey und Sohn« schuf Di­ckens in den Jah­ren 1846 bis 1848, also nach den »Weih­nacht­s­er­zäh­lun­gen« und vor »Da­vid Cop­per­field«. Der da­mals etwa Fün­fund­drei­ßig­jäh­ri­ge, auf der Höhe sei­nes Schaf­fens ste­hend, be­schäf­tigt sich auch hier wie­der, wie schon in sei­nen frü­he­ren Ar­bei­ten, mit den »mo­ra­li­schen Pro­ble­men« des Le­bens, wenn man sich so aus­drücken darf. Die Pro­ble­me lau­fen alle auf die eine Haupt­fra­ge hin­aus: Wie ist das Le­ben recht zu ge­stal­ten, so­dass wir nicht im Un­maß ver­här­ten? Das rech­te Maß­hal­ten be­dingt den schö­nen, wah­ren und gu­ten Men­schen. Aber al­les Un­maß ist Sün­de und führt ins Ver­der­ben. Un­maß im Be­sitz führt zur Hab­gier und zum Geiz und zu der Ver­ein­sa­mung, wie sie Scr­oo­ge im »Weih­nachts­abend« an sich er­fah­ren hat. Un­maß im Selbst­be­wusst­sein aber lei­ten zu Hoch­mut und Stolz und zu je­ner selbst­ge­wähl­ten grau­sam mar­tern­den Ein­sam­keit, un­ter de­ren Aus­wir­kun­gen die Kin­der des rei­chen Kauf­herrn Dom­bey so schwer lei­den.

Das gan­ze Werk ist eine groß­ar­ti­ge psy­cho­lo­gi­sche Dar­stel­lung der Ge­schich­te ei­nes sol­chen stol­zen, ei­ser­nen Her­zens, das sich mit Hoch­mut um­pan­zert, bis die Ka­ta­stro­phe her­ein­bricht: Wehe dem We­sen, das nicht zu lie­ben ge­lernt hat! Es mag die gan­ze Welt ge­win­nen, sie bleibt äu­ße­rer Glanz und er­wärmt nicht sein In­ne­res. Es mag zu­zei­ten stolz und un­nah­bar da­ste­hen und glau­ben, die lie­ben­de De­mut sei Tor­heit und über­flüs­sig. Aber es wird er­fah­ren, dass zu­letzt al­ler Hoch­mut aus­höhlt, die See­le leer lässt und sie in der Ein­öde der Hei­mat­lo­sig­keit frie­ren lässt, bis sie zu spät ihre Arm­se­lig­keit er­kennt.

Für all das bie­tet der stol­ze Dom­bey das er­schüt­tern­de Bei­spiel. Sein Ehr­geiz lässt ihn über­all auf falsche Kar­ten set­zen. So ver­liert er den sorg­fäl­tig ge­schütz­ten und ge­heg­ten Sohn Paul, den er nicht um des Kin­des selbst wil­len, son­dern um der Fir­ma, des Ge­schäfts, des äu­ße­ren An­se­hens wil­len liebt. So jagt er, den Ver­lust sei­ner ers­ten, wirk­lich gu­ten Frau gar nicht emp­fin­dend, ei­ner blen­dend schö­nen Er­schei­nung nach, der un­glück­se­li­gen Edith, de­ren Mut­ter eine rän­ke­vol­le ele­gan­te Kupp­le­rin ist. Durch die Ver­bin­dung mit die­ser äu­ße­ren Schön­heit, die er nicht liebt, son­dern sich durch rei­che Aus­stat­tung er­kauft, glaubt er sein An­se­hen in der Welt er­hö­hen zu kön­nen. Aber Edith be­trügt ihn mit sei­nem Ge­schäfts­füh­rer, und der äu­ßer­lich vor­neh­me, dün­kel­haf­te Dom­bey wird see­lisch in den völ­li­gen Ban­ke­rott ge­stürzt, den er sich selbst ver­dient hat. Das Schick­sal, das er er­lebt, ist zu­gleich stren­ge Ge­rech­tig­keit.

Aber wun­der­voll ist es nun zu be­ob­ach­ten, wie Di­ckens es ver­steht, ne­ben die­ser Welt der Käl­te, der Be­rech­nung, der lieb­lo­sen Hoff­art eine Welt der Lie­be, Hilfs­be­reit­schaft und Güte auf­blü­hen zu las­sen. Ne­ben der Ge­rech­tig­keit wal­tet nun die Gna­de und das er­lö­sen­de Er­bar­men, das die Ei­ses­star­re des stol­zen Her­zens der Dom­bey-Welt schmilzt und einen Le­bens­früh­ling schließ­lich her­auf­zau­bert im Sin­ne von: Ende gut, al­les gut! Ohne die­se Lo­sung, ohne die­sen Glau­ben an die schließ­li­che Sie­ge­s­kraft des Gu­ten in der Welt, hat Di­ckens, wie wir es schon aus den frü­he­ren Bän­den die­ser Aus­ga­be wis­sen, über­haupt kei­nen Ro­man schrei­ben und zum Ab­schluss brin­gen kön­nen. Die­se Welt der Lie­be blüht auf in den von Dom­bey ver­ach­te­ten Ge­stal­ten, die ihn spä­ter ret­ten: in ei­ner lieb­li­chen Toch­ter, Flo­rence, in der der Dich­ter ein Ideal­bild rei­ner Mäd­chen­haf­tig­keit und Weib­lich­keit ge­zeich­net hat, in den ori­gi­nel­len Käu­zen, wie dem al­ten In­stru­men­ten­ma­cher Gills und dem wa­cke­ren Ka­pi­tän Cutt­le, ei­nem bra­ven See­bä­ren von rüh­rend-ko­mi­scher Un­be­hol­fen­heit, aber dem treues­ten Her­zen, das es auf der Welt ge­ben kann. Di­ckens zeigt hier, wie ech­tes Gold sich oft un­ter un­schein­bar rau­er Au­ßen­hül­le ver­birgt. End­lich in dem präch­ti­gen Wal­ter, dem fri­schen Jun­gen, der sich in schwe­ren Stur­mes­nö­ten zum gut­ge­ar­te­ten Jüng­ling ent­wi­ckelt. In den lie­ben­den Mäch­ten, die die­se Ge­stal­ten ver­kör­pern, lässt der Dich­ter den Ti­tel­hel­den sei­nes Ro­mans die Ret­tung aus dem Zu­sam­men­bruch fin­den.

Au­ßer den im­mer blei­ben­den mensch­li­chen Wahr­hei­ten, die sich in die­sem Wer­ke her­aus­he­ben, bie­tet das Buch ein schon kul­tur­his­to­risch in­ter­essan­tes Spie­gel­bild der da­ma­li­gen eng­li­schen Ge­sell­schaft. Wir sind ge­neigt, über man­che alt­mo­di­sche Um­ständ­lich­kei­ten je­ner emp­find­sa­me­ren Zeit, als die un­se­re ist, zu lä­cheln. Aber wer weiß: wer­den nicht auch un­se­re En­kel wie­der lä­cheln über man­che Tor­hei­ten un­se­rer heu­ti­gen Ge­sell­schaft, über Tor­hei­ten, die wir heu­te noch gar nicht als sol­che emp­fin­den? Man muss Di­ckens mit Zeit und Be­ha­gen le­sen, wie wir schon in der Ein­lei­tung zu den »Pick­wi­cki­ern« aus­führ­ten. Dann wird man ge­ra­de aus dem zeit­li­chen Ko­lo­rit man­chen er­kennt­nis­wer­ten Schatz auch für un­se­re mo­der­ne Zeit mit­neh­men.

Die Durch­ar­bei­tung die­ses Wer­kes fiel für den Her­aus­ge­ber in eine Zeit, da er selbst durch Amts­ge­schäf­te und be­ruf­li­che Tä­tig­keit sehr in An­spruch ge­nom­men war. Umso dank­ba­rer ist er da­her sei­ner bis­he­ri­gen treu­en Hel­fe­rin an die­sem Un­ter­neh­men, Frau Cla­ra Wein­ber­g, für die ge­leis­te­te Un­ter­stüt­zung.

Den 26. Ja­nu­ar 1928.

Paul Th. Hoff­mann

Erstes Kapitel.

Dombey und Sohn.

Dom­bey saß in der Ecke des ab­ge­dun­kel­ten Zim­mers in dem großen Lehn­stuhl ne­ben dem Bett, und Sohn lag, warm ein­ge­wi­ckelt, in ei­nem Korb­nest­chen, das un­mit­tel­bar vor dem Feu­er auf ei­nem nied­ri­gen Sche­mel stand und der Glut sich so nah be­fand, als ob die Kon­sti­tu­ti­on des jun­gen Herr­leins Ähn­lich­keit habe mit der ei­ner Sem­mel, die braun ge­rös­tet wer­den muss, so­lan­ge sie noch frisch ist.

Dom­bey war un­ge­fähr achtund­vier­zig Jah­re alt, Sohn etwa achtund­vier­zig Mi­nu­ten. Dom­bey war et­was kahl, ziem­lich rot und, ob­schon sonst ein wohl­pro­por­tio­nier­ter Mann, doch zu ernst und zu pomp­haft in sei­nem Äu­ßern, um durch die­ses son­der­lich an­zu­spre­chen, wäh­rend Sohn sehr kahl, sehr rot und, wenn auch un­leug­bar ein sehr schö­nes Kind, im All­ge­mei­nen vor­der­hand et­was zer­drückt und ver­beult aus­sah. Auf Dom­beys Stirn hat­ten Zeit und Sor­ge, wie an ei­nem Baum, der bald zum Fäl­len reif ist, al­ler­lei Merk­ma­le ein­ge­gra­ben: denn be­sag­te bei­den Schwes­tern schrei­ten scho­nungs­los durch die Men­schen­fors­ten und las­sen über­all die Zei­chen ih­res Da­ge­we­sen­seins zu­rück. Das Ge­sicht von Sohn aber war von tau­send klei­nen Fur­chen ge­kreuzt, die die­sel­be hin­ter­lis­ti­ge Zeit mit dem fla­chen Teil ih­rer Sen­se aus­zuglät­ten be­stimmt war – eine Vor­be­rei­tung für die tiefe­ren Ein­drücke spä­te­rer Jah­re.

Über­glück­lich ob der lan­ger­sehn­ten Er­eig­nis­se klim­per­te und klim­per­te Dom­bey mit der schwe­ren gol­de­nen Uhr­ket­te, die un­ter dem ele­gan­ten blau­en Frack her­vor­blitz­te, wäh­rend die Knöp­fe des er­wähn­ten Klei­dungs­stückes in den mat­ten Strah­len des fer­nen Feu­ers phos­pho­risch fun­kel­ten. Sohn da­ge­gen reck­te sei­ne Händ­chen in die Höhe, ball­te sie zu Fäust­chen und schi­en mit dem Da­sein, in das es so un­er­war­tet ge­tre­ten war, Hän­del an­fan­gen zu wol­len.

»Mrs. Dom­bey«, be­gann Mr. Dom­bey, »das Haus wird fort­an nicht bloß der Fir­ma nach, son­dern nun auch wie­der in der Tat Dom­bey und Sohn sein. Dom­bey und Sohn!«

Die­se Wor­te üb­ten einen so star­ken Ein­fluss aus, dass der Spre­cher (frei­lich nicht ohne ei­ni­ges Zö­gern, da er an der­glei­chen nicht ge­wöhnt zu sein schi­en) dem Na­men der Mrs. Dom­bey einen Aus­druck der Zärt­lich­keit bei­füg­te, er sag­te näm­lich:

»Mrs. Dom­bey, mei­ne – mei­ne Lie­be«

Ein flüch­ti­ges Rot, das Merk­zei­chen ei­ner klei­nen Über­ra­schung, glitt über das Ant­litz der Wöch­ne­rin, als sie ihre Bli­cke zu Mr. Dom­bey er­hob.

»Er wird in der Tau­fe den Na­men Paul er­hal­ten, mei­ne Mrs. Dom­bey, – na­tür­lich.«

Sie wie­der­hol­te matt das »na­tür­lich«, oder schi­en es we­nigs­tens durch die Be­we­gung ih­rer Lip­pen tun zu wol­len; dann aber schloss sie die Au­gen wie­der.

»Sei­nes Va­ters Name, Mrs. Dom­bey, und sei­nes Groß­va­ters! Woll­te Gott, sein Groß­va­ter hät­te die­sen Tag er­lebt.«

Und aber­mals füg­te er – ge­nau in dem­sel­ben Ton wie frü­her – bei:

»Dom­bey und Sohn!«

Die­se drei Wor­te um­fass­ten die ein­zi­ge Idee von Mr. Dom­beys Le­ben. Die Erde war nur da, da­mit Dom­bey und Sohn Ge­schäf­te dar­in ma­chen konn­ten, und Son­ne und Mond hat­ten bloß die Be­stim­mung, für Dom­bey und Sohn zu schei­nen, Flüs­se und Mee­re wa­ren da, um die Schif­fe der Fir­ma zu tra­gen; die Re­gen­bo­gen ver­spra­chen nur ihr schö­nes Wet­ter; Ster­ne und Pla­ne­ten lie­fen in ih­ren Krei­sen, um un­ab­än­der­lich ei­nem Sys­tem zu fol­gen, von dem Dom­bey und Sohn den Mit­tel­punkt bil­de­te. Ge­wöhn­li­che Ab­kür­zun­gen er­hiel­ten in sei­nen Au­gen ganz neue Be­deu­tun­gen, die bloß auf sei­ne Fir­ma Be­zug hat­ten, und A. D. lau­te­te in sei­ner Zeit­rech­nung nicht als An­nus Do­mi­ni, son­dern als An­nus Dom­bei – und Sohn.

Er hat­te sich, wie vor ihm sein Va­ter, im Lau­fe der Zeit vom Sohn zu Dom­bey her­auf­ge­ar­bei­tet und fast zwan­zig Jah­re lang die Fir­ma als al­lei­ni­ger Re­prä­sen­tant ver­tre­ten. Die Hälf­te die­ser Pe­ri­ode war ihm im Ehe­stand ent­schwun­den – wie ei­ni­ge sa­gen, mit ei­ner Dame, die ihm nicht ihr Herz zur Mor­gen­ga­be brach­te, son­dern ihr Glück in der Ver­gan­gen­heit such­te und sich dar­in fü­gen muss­te, den ge­bro­che­nen Geist an das er­ge­bungs­vol­le Dul­den der Ge­gen­wart zu fes­seln. Der­glei­chen Ge­re­de kam üb­ri­gens nicht leicht Mr. Dom­bey zu Ohren, wie sehr er auch da­bei be­tei­ligt war, und wenn es je auch so weit ge­kom­men wäre, so wür­de er zu al­ler­letzt dar­an ge­glaubt ha­ben. Dom­bey und Sohn hat­ten zwar schon oft in Häu­ten, nie aber in Her­zen Ge­schäf­te ge­macht, denn letz­te­re wa­ren ein Ge­schäfts­zweig, den sie ger­ne jun­gen Bur­schen und Mäd­chen, den Kost­schü­lern und den Bü­cher­schrei­bern über­lie­ßen. Mr. Dom­bey pfleg­te zu sa­gen, dass ein Ehe­bund mit ihm an und für sich je­dem auch nur mit ge­wöhn­li­chem Ver­stand be­gab­ten Frau­en­zim­mer sehr wün­schens­wert und eh­ren­voll sein müs­se, und die Hoff­nung, ei­nem sol­chen Hau­se einen neu­en As­so­cié zu ge­ben, kön­ne nicht feh­len, in der an­spruchs­lo­ses­ten Wei­ber­brust ein Ge­fühl des glü­hends­ten Ehr­gei­zes zu we­cken. Mrs. Dom­bey habe mit ihm die­sen so­zia­len Ehe­ver­trag ein­ge­gan­gen, der ihr, selbst eine Be­zug­nah­me auf die Fort­pflan­zung der Fa­mi­li­en­fir­ma, fast not­wen­dig die Teil­nah­me an ei­ner gen­ti­len und wohl­ha­ben­den Stel­lung si­cher­te, und alle die­se Vor­tei­le voll­kom­men ein­ge­se­hen, ja noch au­ßer­dem durch täg­li­che Er­fah­rung sich über­zeu­gen kön­nen, wel­che Stel­lung er in der Ge­sell­schaft ein­neh­me; sie habe stets an sei­ner Ta­fel oben­an ge­ses­sen, und habe die Hon­neurs sei­nes Hau­ses nicht nur in ge­zie­men­der Wei­se, son­dern auch mit dem An­stand ei­ner fei­nen Dame ge­macht; sie müs­se da­her not­wen­dig glück­lich sein, ob sie nun wol­le oder nicht.

Oder je­den­falls lag ihr da­bei nur ein ein­zi­ger Hemm­stein im Wege. Ja. Dies wür­de er zu­ge­ge­ben ha­ben. Nur ein ein­zi­ger, der aber zu­ver­läs­sig viel in sich fass­te. Sie wa­ren zehn Jah­re ver­hei­ra­tet ge­we­sen, ohne bis auf die Stun­de, in wel­cher Mr. Dom­bey auf dem Lehn­stuhl ne­ben dem Bet­te mit der gol­de­nen Uhr­ket­te klim­per­te, einen Spröß­ling er­zielt zu ha­ben.

Dass ich’s recht sage, we­nigs­tens kei­nen er­heb­li­chen. Vor etwa sechs Jah­ren war zwar ein Mäd­chen ge­bo­ren, und das Kind, das sich eben erst un­be­merkt ins Ge­mach ge­stoh­len hat­te, duck­te sich jetzt schüch­tern in eine Ecke, von der aus es sei­ner Mut­ter ins Ge­sicht se­hen konn­te. Aber was war ein Mäd­chen für Dom­bey und Sohn! In dem Ka­pi­tel des Fir­man­a­mens und der Fir­ma­wür­de er­schi­en ein sol­ches Kind nur wie eine falsche Mün­ze, die nir­gends an­ge­legt wer­den konn­te – ein miss­ra­te­nes Ding, wei­ter nichts.

Im ge­gen­wär­ti­gen Au­gen­blick war üb­ri­gens Mr. Dom­beys Won­ne­be­cher so zum Über­quel­len an­ge­füllt, dass er fühl­te, er kön­ne wohl ei­ni­ge Tröpf­lein des In­halts miss­en, um den Staub auf dem Ne­ben­pfa­de sei­ner klei­nen Toch­ter da­mit zu be­net­zen. Er sag­te da­her:

»Flo­rence, du kannst hin­ge­hen und dein Brü­der­lein an­se­hen, denn ich den­ke mir, dass dies dein Wunsch ist. Aber rüh­re es bei­lei­be nicht an.«

Die Klei­ne warf einen leb­haf­ten Blick auf den blau­en Frack und die stei­fe wei­ße Hals­bin­de, wel­che nebst ein Paar knar­ren­den Stie­feln und ei­ner laut ti­cken­den Ta­schen­uhr ihre Idee von ei­nem Va­ter ver­kör­per­ten; aber ihre Au­gen kehr­ten un­mit­tel­bar dar­auf wie­der zu dem Ge­sicht ih­rer Mut­ter zu­rück, und sie rühr­te sich nicht von der Stel­le, wäh­rend sie zu­gleich ihre Lip­pen ge­schlos­sen hielt.

Im nächs­ten Mo­ment öff­ne­te die Dame ihre Au­gen und wur­de des Kin­des an­sich­tig. Die Klei­ne eil­te auf sie zu, stand auf die Ze­hen, um ihr Ge­sicht­chen bes­ser an dem müt­ter­li­chen Bu­sen ver­ber­gen zu kön­nen, und klam­mer­te sich an die Wöch­ne­rin mit ei­ner so ver­zwei­fel­ten In­nig­keit, wie man sie in ih­ren Jah­ren nicht er­war­tet hät­te.

»O Gott be­hü­te mich!« sag­te Mr. Dom­bey, in­dem er är­ger­lich auf­stand. »Wahr­haf­tig, dies ist ein sehr un­be­son­ne­nes Be­neh­men und wird das Fie­ber nur stei­gern. Es ist wohl am bes­ten, ich fra­ge bei Dok­tor Peps an, ob er nicht viel­leicht die Güte ha­ben will, noch ein­mal her­auf­zu­kom­men. Ich will hin­un­ter ge­hen. Es wird nicht nö­tig sein, dass ich Euch erst bit­te«, füg­te er bei, wäh­rend er bei der Chai­se­longue vor dem Feu­er einen Au­gen­blick ste­hen blieb, »auf die­sen jun­gen Gent­le­man ganz be­son­de­re Sorg­falt zu ver­wen­den, Mrs. –«

»Blockitt, Sir?« er­gänz­te die Wär­te­rin, ein jung­fer­li­ches Stück­chen ver­bli­che­ner Ge­ziert­heit, das sich nicht er­dreis­te­te, sei­nen Na­men als Tat­sa­che hin­zu­stel­len, son­dern ihn nur in der Form ei­ner mil­den Fra­ge an­deu­ten woll­te.

»Auf die­sen jun­gen Gent­le­man, Mrs. Blockitt.«

»Nein, Sir, ge­wiss nicht. Ich er­in­ne­re mich, als Miss Flo­rence ge­bo­ren wur­de –«

»Ja, ja, schon gut«, ent­geg­ne­te Mr. Dom­bey, in­dem er sich über das Korb­bett­chen beug­te und zu glei­cher Zeit die Stir­ne run­zel­te, »Bei Miss Flo­rence war es schon recht, aber hier ist der Fall an­ders. Die­ser jun­ge Gent­le­man hat eine Be­stim­mung zu er­fül­len. Eine Be­stim­mung, klei­ner Bursch!«

Wäh­rend die­ser An­re­de er­hob er ei­nes von den Händ­chen des Kna­ben an sei­ne Lip­pen und küss­te es: dann aber schi­en er sich zu be­sin­nen, dass die­se Hand­lung sei­ner Wür­de Ab­bruch ge­tan ha­ben könn­te, und er ver­ließ des­halb et­was ver­le­gen das Ge­mach.

Dok­tor Par­ker Peps, ei­ner der Ho­färz­te und ein Mann, der we­gen sei­ner Kunst in der Bei­hil­fe zur Ver­grö­ße­rung be­deu­ten­der Fa­mi­li­en sich ei­nes ho­hen Rufs er­freu­te, ging mit auf dem Rücken ge­kreuz­ten Hän­den im Be­such­zim­mer auf und ab, zur un­aus­sprech­li­chen Be­wun­de­rung des Haus­arz­tes, der schon seit sechs Wo­chen un­ter al­len sei­nen Pa­ti­en­ten, Freun­den und Be­kann­ten den Fall als einen sol­chen aus­po­saunt hat­te, der ihm kei­nen Au­gen­blick Ruhe las­se, weil er Tag und Nacht jede Stun­de ge­wär­tig sein müs­se, in Ge­mein­schaft mit Dok­tor Par­ker Peps bei­ge­zo­gen zu wer­den.

»Habt Ihr ge­fun­den, Sir«, be­gann Dok­tor Par­ker Peps mit tiefer, klang­rei­cher Stim­me, die üb­ri­gens gleich dem Tür­klop­fer für den ge­gen­wär­ti­gen An­lass ge­dämpft war, »dass Eure teu­re Ge­mah­lin durch Eu­ren Be­such auf­ge­regt wur­de?«

»Sti­mu­liert, so­zu­sa­gen?« füg­te der Haus­arzt lei­se bei und ver­beug­te sich so­dann ge­gen den Dok­tor, als woll­te er sa­gen: »Ent­schul­digt, dass ich ein Wört­chen ein­flocht, aber es han­delt sich hier um eine wert­vol­le Kund­schaft.«

Mr. Dom­bey war sehr be­trof­fen ob die­ser Fra­ge, denn er hat­te so we­nig an die Pa­ti­en­tin ge­dacht, dass er nichts dar­auf zu ant­wor­ten wuss­te. Sei­ne Er­wi­de­rung lau­te­te da­hin, dass es ihm zur Be­ru­hi­gung ge­rei­chen wer­de, wenn Dok­tor Peps noch ein­mal oben einen Be­such ma­chen wol­le.

»Gut. Wir dür­fen es Euch nicht ver­ber­gen, Sir«, sag­te Dok­tor Peps, »dass der Man­gel an Kräf­ten bei Ihren Gna­den, der Frau Her­zo­gin – bit­t’ um Ver­zei­hung, ich ver­wechs­le die Na­men: woll­te sa­gen, bei Eu­rer lie­bens­wür­di­gen Ge­mah­lin sehr groß ist. Wir ha­ben es mit ei­nem ge­wis­sen Grad von lan­guor zu tun, mit ei­ner all­ge­mei­nen Ab­we­sen­heit von Elas­ti­zi­tät, die wir lie­ber – nicht –«

»Se­hen möch­ten«, setz­te der Haus­arzt mit ei­ner aber­ma­li­gen Kopf­ver­beu­gung hin­zu.

»Ganz rich­tig«, ent­geg­ne­te Dok­tor Par­ker Peps: »die wir lie­ber nicht se­hen möch­ten. Es kommt mir vor, als ob die­ses Sys­tem der Lady Can­ka­by – ent­schul­digt, ich mein­te, der Mrs. Dom­bey: ich ver­wechs­le die Na­men der Fäl­le –«

»Sie kom­men so gar häu­fig vor«, mur­mel­te der Haus­arzt, »dass sich in der Tat nichts an­de­res er­war­ten lässt. Wäre es ein Wun­der, wenn’s nicht so sei, bei der großen Pra­xis, die Dok­tor Par­ker Peps im Wes­tend hat –«

»Dan­ke, voll­kom­men rich­tig be­merkt«, ver­setz­te der Dok­tor. »Es kommt mir vor, als habe das Sys­tem un­se­rer Pa­ti­en­tin einen Stoß er­lit­ten, von dem sie nur durch eine große, kräf­ti­ge und –«

»Nach­drück­li­che«, mur­mel­te der Haus­arzt.

»Ganz recht«, pflich­te­te der Dok­tor bei – »durch eine nach­drück­li­che Kraft­an­stren­gung sich wird er­ho­len kön­nen. Mr. Pil­kins hier, der ver­mö­ge sei­ner Stel­lung als Haus­arzt die­ser Fa­mi­lie – ich muss sa­gen, ich ken­ne nie­mand, der ei­nes sol­chen Ver­trau­ens wür­di­ger wäre –«

»O!« mur­mel­te der Haus­arzt. »Lob von Sir Hu­bert St­an­ley!«

»Ihr seid all­zu gü­tig«, er­wi­der­te Dok­tor Par­ker Peps. »Mr. Pil­kins, der kann sein Fach am bes­ten aus­fül­len, der mit der Kon­sti­tu­ti­on der Pa­ti­en­tin im nor­ma­len Zu­stand be­kannt ist – und ein sol­ches Wis­sen ist für uns bei der Bil­dung un­se­rer An­sich­ten über sol­che Fäl­le von ho­her Wich­tig­keit – teilt mein Da­für­hal­ten, dass die Na­tur zu ei­ner vol­len Wi­der­stands­fä­hig­keit ver­an­lasst wer­den muss, und wenn un­se­re in­ter­essan­te Freun­din, die Grä­fin von Dom­bey – ich bit­te wie­der um Ver­zei­hung – Mrs. Dom­bey – nicht im­stan­de –«

»Sein soll­te«, er­gänz­te der Haus­arzt.

»Die­se er­folg­reich zu über­ste­hen«, fuhr Dok­tor Par­ker Peps fort, »so dürf­te es wohl zu ei­ner Kri­sis kom­men, die wir bei­de auf­rich­tig be­kla­gen wür­den.«

Hier­auf blie­ben sie ei­ni­ge Mi­nu­ten ste­hen und sa­hen zu Bo­den; dann aber gin­gen sie auf einen stum­men Wink des Dok­tor Par­ker in das obe­re Ge­mach. Der Haus­arzt öff­ne­te sei­nem be­ruf­lich hö­her ste­hen­den Kol­le­gen die Tür und folg­te ihm voll der un­ter­wür­figs­ten Höf­lich­keit.

Wenn wir sa­gen woll­ten, Dom­bey sei durch die Wor­te der Arz­te nicht nach sei­ner Art er­grif­fen wor­den, so wür­den wir ihm Un­recht tun. Er war al­ler­dings nicht der Mann, der ei­ner Er­schüt­te­rung im ei­gent­li­chen Sin­ne zu­gäng­lich war, trug aber doch ein ge­wis­ses Be­wusst­sein in sich, dass es ihm sehr leid tun wür­de, wenn sei­ne Gat­tin ernst­lich er­krank­te und stür­be, da ihm dann für sein Sil­ber­zeug, sei­ne Mö­bel und die Haus­ge­rät­schaf­ten et­was fehl­te, was wohl zu ih­nen ge­hör­te. Aber ohne Zwei­fel hät­te sei­ne Trau­er einen ge­wis­sen ru­hi­gen, gent­le­ma­ni­schen, ge­schäfts­mä­ßi­gen und ge­fass­ten Cha­rak­ter be­haup­tet.

Sei­ne Be­trach­tun­gen über die­sen Ge­gen­stand wur­den aber bald durch das Rau­schen von Klei­dern auf der Trep­pe und dann durch das plötz­li­che Her­ein­stür­zen ei­ner Dame un­ter­bro­chen, die, ob­wohl sie in den mitt­le­ren Jah­ren stand, sich aber, was die Enge des Kor­setts be­traf, sehr ju­gend­lich trug. Sie eil­te mit ei­nem ge­wis­sen ver­schraub­ten We­sen in Ge­sicht und Hal­tung auf ihn zu, schlang ihre Arme um sei­nen Hals und rief mit er­stick­ter Stim­me:

»Mein teu­rer Paul, er ist ganz ein Dom­bey!«

»O, schon gut!« ent­geg­ne­te ihr Bru­der – denn dies war Mr. Dom­bey – »ich den­ke selbst auch, dass er den Fa­mi­li­en­zug trägt. Aber sei nicht so un­ge­stüm, Loui­sa.«

»Es ist sehr tö­richt von mir«, sag­te Loui­sa, in­dem sie Platz nahm und ihr Ta­schen­tuch her­aus­zog, »aber er – er ist ein so voll­kom­me­ner Dom­bey! In mei­nem Le­ben habe ich nie et­was Ähn­li­che­res ge­se­hen!«

»Aber wie steht es mit Fan­ny selbst?« frag­te Mr. Dom­bey. »Was hältst du von ih­rem Zu­stand?«

»Mein lie­ber Paul, es ist durch­aus nichts«, ant­wor­te­te Loui­sa – »mein Wort da­für, durch­aus nichts. Al­ler­dings ist sie er­schöpft, aber lang nicht in dem Gra­de, wie bei mir, als ich mit Ge­or­ge oder Fre­de­rik Wöch­ne­rin war. Man muss ihr wie­der zu Kräf­ten ver­hel­fen, das ist al­les. Wenn die lie­be Fan­ny eine Dom­bey wäre! Trotz­dem, ich ste­he da­für, sie wird sich ma­chen: ich zweifle nicht dar­an, dass sie sich noch ma­chen wird. Mein lie­ber Paul, ich weiß, es ist sehr schwach und tö­richt von mir, dass ich vom Kopf bis zu den Fü­ßen so zit­te­re: aber es ist mir so selt­sam, dass ich dich um ein Glas Wein und um einen Bis­sen von die­sem Ku­chen bit­ten muss. Ich mein­te, ich müs­se zum Trep­pen­fens­ter hin­aus­stür­zen, als ich von mei­nem Be­such bei Fan­ny und bei dem klei­nen Schnä­bel­chen her­un­ter­kam.«

Die letz­ten Wor­te hat­ten ih­ren Ur­sprung in ei­ner plötz­li­chen leb­haf­ten Erin­ne­rung an den Neu­ge­bo­re­nen. Sie hat­te aber kaum aus­ge­spro­chen, als sich an der Tür ein lei­ses Po­chen ver­neh­men ließ.

»Mrs. Chick«, sag­te drau­ßen eine sehr sanf­te weib­li­che Stim­me, »wie geht es Euch jetzt, mei­ne lie­be Freun­din?«

»Mein teu­rer Paul«, nahm Loui­sa lei­se das Wort, in­dem sie sich zu­gleich von ih­rem Sit­ze er­hob, »es ist Miss Tox – das wohl­wollends­te Ge­schöpf. Ohne sie hät­te ich nicht her­aus­kom­men kön­nen. Miss Tox, mein Bru­der Mr. Dom­bey. Lie­ber Paul, mei­ne ganz be­son­de­re Freun­din, Miss Tox.«

Die so spe­zi­ell vor­ge­stell­te Dame war ein lan­ges ma­ge­res Frau­en­zim­mer von so ver­bli­che­ner Au­ßen­sei­te, dass es den An­schein hat­te, als sei sie, wie es die Mo­de­wa­ren­händ­ler nen­nen, von Haus aus nicht »echt­far­big« ge­we­sen, und des­halb in der Wä­sche all­mäh­lich ganz und gar ver­schos­sen. Au­ßer­dem aber hät­te man sie als die wah­re Blu­me von Sanft­mut und Höf­lich­keit be­zeich­nen kön­nen. In­fol­ge ih­rer lan­gen Ge­wohn­heit, al­lem, was in ih­rer Ge­gen­wart ge­spro­chen wur­de, ein be­wun­dern­des Ohr zu schen­ken, wo­bei sie die Re­den­den an­zu­se­hen pfleg­te, als sei sie in­ner­lich be­schäf­tigt, die Bil­der der­sel­ben in ihre See­le auf­zu­neh­men und sich nur mit dem Le­ben von ih­nen zu tren­nen, hat­te sich ihr Kopf völ­lig nach der einen Sei­te ver­scho­ben. An ih­ren Hän­den be­merk­te man stets ein krampf­haf­tes Zu­cken, sich wie in un­will­kür­li­cher Be­wun­de­rung aus eig­nem An­trieb zu er­he­ben, und ihre Au­gen wa­ren ei­ner ähn­li­chen Ma­nier un­ter­wor­fen. Sie hat­te die weichs­te Stim­me, die man nur hö­ren kann, und ihre er­staun­lich sper­ber­ar­ti­ge Nase war in der Mit­te oder am Schluss­stei­ne des Rückens mit ei­nem klei­nen Knauf ver­se­hen, der ge­gen ihr Ge­sicht ab­wärts lief, wie in un­über­wind­li­cher Ent­schlos­sen­heit, nie ein Auf­wer­fen des ge­dach­ten Ge­sichts­vor­sprungs zu ge­stat­ten.

Ob­schon ihr Kleid voll­kom­men nett und gut war, drück­te sich doch eine ge­wis­se Eckig­keit und Knapp­heit dar­in aus. In ih­ren Hü­ten und Hau­ben pfleg­te sie wun­der­li­che, un­kraut­ar­ti­ge Blüm­chen zu tra­gen, und in ih­rem Haar be­merk­te man bis­wei­len selt­sa­me Grä­ser: auch konn­te je­der, der sich da­für in­ter­es­sier­te, an ih­ren Kra­gen, Rü­schen, Man­schet­ten und sons­ti­gem Spit­zen­zeug – kurz an al­lem, was an ih­rem Kleid die Be­stim­mung hat­te, sich zu ver­ei­ni­gen, die Wahr­neh­mung ma­chen, dass die bei­den En­den nie auf freund­schaft­li­chem Fuß mit­ein­an­der stan­den, son­dern stets eine große Nei­gung ver­rie­ten, die Ver­bin­dung nicht ohne Kampf voll­zie­hen zu las­sen. Für ih­ren Win­ter­putz hat­te sie Pelz­kra­gen, Boas und Muf­fe, die stets in her­aus­for­dern­der Wei­se auf der einen Sei­te stan­den und wild ihre Haa­re sträub­ten; auch be­saß sie die Lieb­ha­be­rei, stets klei­ne Beu­tel mit Fe­der­schlös­sern bei sich zu füh­ren, die, wenn sie ge­öff­net wer­den soll­ten, wie klei­ne Pis­to­len los­gin­gen, und so­oft sie sich in vol­lem Putz zeig­te, prunk­te an ih­rem Hals das ge­schmack­lo­ses­te al­ler Sch­lös­ser mit ei­nem al­ten, glot­zen­den Auge, in dem auch nicht eine Spur von Sinn lag. Die­se und an­de­re ähn­li­che Merk­ma­le dienten dazu, die An­sicht zu ver­brei­ten, Miss Tox sei eine Dame von zwar be­schränk­ten, aber doch un­ab­hän­gi­gen Mit­teln, die sie im bes­ten Lich­te er­schei­nen ließ. Mög­lich, dass ihr trip­peln­der Gang die­sen Glau­ben er­mu­tig­te, weil man dar­aus ent­neh­men konn­te, der Um­stand, dass sie einen ge­wöhn­li­chen Schritt in drei ab­teil­te, habe not­wen­dig sei­nen Ur­sprung in der Ge­wohn­heit, al­les aufs bes­te zu tun.

»In der Tat«, sag­te Miss Tox mit ei­nem be­wun­derns­wür­di­gen Knix, »die Ehre, Mr. Dom­bey vor­ge­stellt zu wer­den, ist eine Aus­zeich­nung, nach der ich mich längst ge­sehnt habe, ob­schon ich sie in die­sem Au­gen­bli­cke nicht er­war­tet hät­te. Mei­ne teu­re Mrs. Chick – darf ich sa­gen, Loui­sa?«

Mrs. Chick nahm die Hand der Freun­din in die ih­ri­ge, setz­te den Fuß ih­res Wein­gla­ses dar­auf, un­ter­drück­te eine Trä­ne und sprach mit ge­dämpf­ter Stim­me:

»Gott be­hü­te, wozu auch die­se Fra­ge?«

»Mei­ne teu­re Loui­sa also«, ver­setz­te Miss Tox, »mei­ne süße Freun­din, wie geht es Euch jetzt?«

»Bes­ser«, er­wi­der­te Mrs. Chick. »Darf ich Euch et­was Wein an­bie­ten? Ihr seid fast eben­so in Sor­ge ge­we­sen wie ich, und habt es da­her wohl ver­dient.«

Mr. Dom­bey schenk­te ihr ein.

»Miss Tox, Paul«, fuhr Mrs. Chick fort, in­dem sie noch im­mer die Hand ih­rer Freun­din fest­hielt, »war Zeu­ge, wie sehr ich mich im vor­aus auf das Er­eig­nis des heu­ti­gen Ta­ges freu­te, und hat da­her eine klei­ne Gabe für Fan­ny an­ge­fer­tigt, die ich ihr zu über­rei­chen ver­sprach. Es ist nur ein Na­del­kis­sen für den Toi­let­ten­tisch, Paul, aber ich sage und wer­de stets sa­gen, ja, ich muss sa­gen, dass Miss Tox ihre freund­li­che Ge­sin­nung der Ge­le­gen­heit al­ler­liebst an­ge­passt hat. Den Gruß: ›zum Will­komm des klei­nen Dom­bey­lein‹ muss ich Poe­sie nen­nen.«

»Lau­tet so die In­schrift?« frag­te ihr Bru­der.

»So lau­tet die In­schrift«, ant­wor­te­te Loui­sa.

»Um mir üb­ri­gens Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren zu las­sen, mei­ne teu­re Loui­sa«, be­merk­te Miss Tox in ei­nem lei­se bit­ten­den Ton, »müsst Ihr hin­zu­set­zen, dass nichts als die – ich weiß nicht recht, wie ich mich aus­drücken soll – die Un­si­cher­heit über die Fra­ge des Re­sul­tats mich zu ei­ner so großen Frei­heit ver­an­lasst hat: denn eher könnt Ihr Euch den­ken, dass die Fas­sung: ›zum Will­komm des Mas­ter Dom­bey‹ – mei­nen Ge­füh­len bes­ser ent­spro­chen hät­te. Frei­lich weiß man bei sol­chen klei­nen En­gel­chen nie vor­her, wie man mit ih­nen dar­an ist, und ich hof­fe, die­se Un­si­cher­heit wird ei­nem Aus­druck zur Ent­schul­di­gung die­nen, der sonst als eine nicht zu recht­fer­ti­gen­de Ver­trau­lich­keit er­schei­nen könn­te.«

Miss Tox mach­te wäh­rend die­ses Vor­trags ge­gen Mr. Dom­bey eine an­mu­ti­ge Ver­beu­gung, die von dem Gent­le­man in gnä­di­ger Wei­se er­wi­dert wur­de. So­gar die Art der Aner­ken­nung von Dom­bey und Sohn, wie sie bis­her im Ge­sprä­che sich kund­ge­ge­ben, hat­te für ihn et­was so Be­hag­li­ches, dass sei­ne Schwes­ter, Mrs. Chick, – ob­schon er tat, als hal­te er sie für eine gute schwa­che Frau – viel­leicht mehr Ein­fluss auf ihn üben konn­te, als ir­gend­je­mand an­ders.

»Nun«, sag­te Mrs. Chick mit ei­nem sü­ßen Lä­cheln, »nach die­sem ver­ge­be ich Fan­ny al­les!«

Das war eine christ­li­che Er­klä­rung, und Mrs. Chick fühl­te sich im In­nern sehr da­durch er­leich­tert. Nicht, dass sie ih­rer Schwä­ge­rin et­was Be­son­de­res – oder über­haupt et­was zu ver­ge­ben ge­habt hät­te, wenn es nicht etwa die an sich schon star­ke Ver­mes­sen­heit war, ih­ren Bru­der zu hei­ra­ten und ihn so­dann im Lauf der Zeit statt ei­nes Kna­ben mit ei­nem Mäd­chen zu be­schen­ken. Letz­te­res war, wie Mrs. Chick oft be­merk­te, nicht ganz das, was sie von ihr er­war­tet hat­te, und über­haupt ein schlech­ter Dank für die Auf­merk­sam­keit und Aus­zeich­nung, die ihr zu­teil ge­wor­den.

In die­sem Au­gen­blick wur­de Mr. Dom­bey has­tig aus dem Zim­mer ge­ru­fen, und die bei­den Da­men blie­ben al­lein bei­sam­men. Miss Tox ge­riet in dem Mo­ment in Exal­ta­ti­on.

»Ich wuss­te es ja, dass Ihr mei­nen Bru­der be­wun­dern wür­det, und habe es Euch im vor­aus ge­sagt, mei­ne Lie­be«, be­merk­te Loui­sa.

Die Hän­de und die Au­gen von Miss Tox be­kun­de­ten, in wie ho­hem Gra­de das ge­sch­ah.

»Und was sein Ver­mö­gen be­trifft, mei­ne Lie­be!«

»Ah!« ent­geg­ne­te Miss Tox mit tie­fem Ge­fühl.

»Un–er­mess­lich!«

»Aber, sein Be­neh­men, mei­ne teu­re Loui­sa!« sag­te Miss Tox. »Sein An­stand! Sei­ne Wür­de! Kein Por­trät habe ich je von ir­gend­je­mand ge­se­hen, das auch nur an­nä­hernd die­se Ei­gen­schaf­ten in sich schließt. Ihr wisst, et­was so Statt­li­ches, Un­nah­ba­res – die brei­te Brust und die auf­rech­te Hal­tung. Ein pe­ku­ni­ärer Her­zog von York, mei­ne Lie­be – kein Haar we­ni­ger! So und nicht an­ders kann ich ihn be­zeich­nen«, sag­te Miss Tox.

»Ei, mein lie­ber Paul!« rief die Schwes­ter, als er zu­rück­kehr­te, »du siehst so blass aus! Es ist doch nichts vor­ge­fal­len?«

»Lei­der muss ich dir mit­tei­len, Loui­sa, dass man mir sagt, Fan­ny sei – –«

»Ach, mein lie­ber Paul, glau­be nur kein Wort da­von«, ent­geg­ne­te die Schwes­ter, in­dem sie sich von ih­rem Sitz er­hob. »Wenn du mir in mei­ner Er­fah­rung nur et­was ver­trau­en woll­test, Paul, so kannst du ver­si­chert sein, dass es sich hier um nichts han­delt, als um eine An­stren­gung Fan­nys. Man muss sie« – füg­te sie hin­zu, in­dem sie ih­ren Hut auf­setz­te und in ge­schäfts­mä­ßi­ger Wei­se Hau­be und Hand­schuh zu­recht­strich – »zu die­ser An­stren­gung er­mu­ti­gen, ja, im Not­fal­le so­gar dazu zwin­gen. Komm nur mit mir die Trep­pe hin­auf, mein lie­ber Paul.«

Ab­ge­se­hen von dem vor­er­wähn­ten Ein­flus­se, den Mrs. Chick auf ih­ren Bru­der aus­üb­te, hat­te Mr. Dom­bey in der Tat ein sehr großes Ver­trau­en zu ihr, als zu ei­ner er­fah­re­nen, rüh­ri­gen Frau, wes­halb er sich be­ru­hig­te und er ihr ohne zu zö­gern in das Kran­ken­zim­mer folg­te.

Die Kran­ke lag, wie er sie ver­las­sen hat­te, auf dem Bet­te und hielt den Kopf ih­res Töch­ter­chens an die Brust ge­drückt. Das Klei­ne klam­mer­te sich mit der größ­ten In­nig­keit an die Mut­ter an, ohne das Haupt zu er­he­ben oder die wei­che Wan­ge von dem Ant­litz der­sel­ben zu lö­sen. Sie hat­te kei­nen Blick für die Um­ste­hen­den, und mit ih­rem trä­nen­lo­sen Auge und der stum­men Lip­pe glich sie eher ei­ner re­gungs­lo­sen Sta­tue, als ei­nem le­ben­den We­sen.

»Sie hat­te kei­ne Ruhe ohne das klei­ne Mäd­chen«, flüs­ter­te der Dok­tor Mr. Dom­bey zu, »und so hiel­ten wir es für das bes­te, es ihr zu las­sen.«

Um das Bett her herrsch­te eine fei­er­li­che Stil­le, und die bei­den Her­ren über Le­ben und Tod blick­ten mit so viel Mit­leid und so we­nig Hoff­nung auf die re­gungs­lo­se Ge­stalt, dass Mrs. Chick für eine Wei­le ih­res Vor­ha­bens ver­gaß. Sie fass­te üb­ri­gens bald wie­der Mut, nahm ihre Geis­tes­ge­gen­wart, wie sie’s nann­te, zu­sam­men, setz­te sich ans Kran­ken­la­ger und sprach in dem ge­dämpf­ten Ton ei­ner Per­son, die je­mand aus dem Schlaf zu we­cken be­müht ist:

»Fan­ny! Fan­ny!«

Kei­ne an­de­re Ant­wort dar­auf, als das lau­te Ti­cken von Mr. Dom­beys Uhr und Dok­tor Par­ker Peps’ Uhr, die in dem tie­fen Schwei­gen einen Wett­lauf zu ma­chen schie­nen.

»Fan­ny, mei­ne Lie­be«, sag­te Mrs. Chick mit er­küns­tel­ter Sorg­lo­sig­keit, »Dom­bey ist hier, um nach Euch zu se­hen. Wollt Ihr nicht mit ihm spre­chen? Man will Euer Kind – das klei­ne Söhn­chen – Ihr wisst ja, Fan­ny, Ihr habt ihn kaum ge­se­hen – zu Bett le­gen, kann’s aber nicht tun, ehe Ihr Euch ein we­nig auf­ge­rafft habt. Glaubt Ihr nicht auch, es sei Zeit, dass Ihr Euch ein we­nig an­strengt? Eh?«

Sie neig­te ihr Ohr ge­gen das Bett und lausch­te, wäh­rend sie zu glei­cher Zeit nach den Um­ste­hen­den blick­te und den Fin­ger er­hob.

»Eh?« wie­der­hol­te sie. »Was habt Ihr ge­sagt, Fan­ny? Ich habe Euch nicht ver­stan­den.«

Kein Wort, kein Laut zur Er­wi­de­rung. Nur Mr. Dom­beys Uhr und die des Dok­tor Par­ker Peps schie­nen schnel­ler zu lau­fen.

»In der Tat, mei­ne lie­be Fan­ny«, fuhr die Schwä­ge­rin fort, in­dem sie ihre Stel­lung än­der­te und da­bei un­will­kür­lich mit we­ni­ger Zu­ver­sicht, da­ge­gen aber mit grö­ße­rer Stren­ge sprach, »ich muss böse auf Euch wer­den, wenn Ihr Euch nicht auf­rafft. Ein Kraft­auf­wand ist für Euch nö­tig, wie be­schwer­lich oder schmerz­lich er auch sein mag: aber Ihr wisst ja, wir le­ben in ei­ner Welt des Kämp­fens, Fan­ny, und wir dür­fen nicht nach­ge­ben, wenn so viel von uns selbst ab­hängt. Kommt! Ver­sucht es! Ich muss wahr­haf­tig mit Euch zan­ken, wenn Ihr’s nicht tut!«

Das Ren­nen der Uhren in der dar­auf­fol­gen­den Pau­se war wild und wü­tend. Sie schie­nen ge­gen­ein­an­der an­zu­sto­ßen und sich auf die Fer­sen zu tre­ten.

»Fan­ny!« sag­te Loui­sa, mit stei­gen­der Un­ru­he um­her­schau­end. »Seht mich nur an. Öff­net doch die Au­gen, um mir an­zu­deu­ten, dass Ihr mich hört und ver­steht – wollt Ihr nicht? Gü­ti­ger Him­mel, Gent­le­men, was ist da an­zu­fan­gen?«

Die bei­den Ärz­te wech­sel­ten über dem Bett weg einen Blick, und Dok­tor Par­ker Pep beug­te sich so­dann zu dem Kin­de nie­der, dem er et­was ins Ohr flüs­ter­te. Das klei­ne We­sen, das die Wor­te des Arz­tes nicht ver­stan­den hat­te, wand­te ihm das farb­lo­se Ge­sicht mit den tief­schwar­zen Au­gen zu, ohne je­doch die Mut­ter auch nur im min­des­ten los­zu­las­sen.

Das Ge­flüs­ter wur­de wie­der­holt.

»Mama!« sag­te die Klei­ne.

Die schwa­che Stim­me des heiß­ge­lieb­ten We­sens weck­te selbst bei die­ser tie­fen Ebbe eine Spur von Be­sin­nung. Ei­nen Mo­ment zit­ter­ten die ge­schlos­se­nen Au­gen­li­der, die Na­sen­flü­gel be­weg­ten sich, und man be­merk­te den mat­ten Schat­ten ei­nes Lä­chelns.

»Mama!« rief das Kind, laut schluch­zend. »O lie­be Mama! o lie­be Mama!«

Der Dok­tor streif­te sanft die wir­ren Lo­cken der Klei­nen von dem Ge­sicht und Mund der Mut­ter. Ach, wie ru­hig sie dort la­gen! Wie schwach der Atem, der sie nicht in Be­we­gung zu set­zen ver­moch­te!

So ent­schweb­te, den schwa­chen Mast fest mit ih­ren Ar­men um­schlin­gend, die Mut­ter – hin­aus in das dunkle, un­be­kann­te Meer, das die gan­ze Welt um­fließt.

Zweites Kapitel.

In welchem zeitige Vorsorge für einen Fall getroffen wird, der bisweilen in den geordnetsten Familien vorkommt.

»Mein Le­ben lang will ich mich glück­lich schät­zen«, sag­te Mrs. Chick, »dass ich mich aus­sprach, als ich nicht ent­fernt dar­an dach­te, was uns be­vor­stand – in der Tat; es war, wie wenn ich durch eine hö­he­re Fü­gung ge­lei­tet wür­de, als ich Fan­ny al­les ver­gab. Was nun auch kom­men mag, das wird mir stets ein Trost blei­ben!«

Mrs. Chick sprach in die­sen ein­drucks­vol­len Wor­ten, als sie vom Frau­en­schnei­der, der in ei­nem obe­ren Zim­mer mit der An­fer­ti­gung von Trau­er­ge­wän­dern be­schäf­tigt war, wie­der nach dem Be­suchs­zim­mer zu­rück­kam. Ihre Wor­te gal­ten Mr. Chick, ei­nem be­leib­ten, kahl­köp­fi­gen Gent­le­man mit sehr brei­tem Ge­sicht, der sei­ne Hän­de stets in den Ta­schen trug und einen na­tür­li­chen Hang be­saß, Ari­en vor sich hin zu pfei­fen oder zu sum­men. Dies war nun frei­lich in ei­nem Hau­se der Trau­er nicht sehr an­ge­bracht und er fühl­te es auch: aber es kos­te­te ihn nicht ge­rin­ge An­stren­gung, sei­ne Lieb­ha­be­rei zu un­ter­las­sen.

»Stren­ge dich doch nicht all­zu­sehr an, Frau«, sag­te Mr. Chick, »denn du wirst sonst se­hen, dass du dei­ne Krämp­fe kriegst. Tra-la-la-la! Be­hüt’ mich – wie ich mich ver­ges­se. Wir sind über­näch­tig – heu­te rot, mor­gen tot.«

Mrs. Chick be­gnüg­te sich mit ei­nem Blick des Vor­wurfs und nahm so­dann den Fa­den ih­res Ge­sprächs wie­der auf.

»Ich hof­fe in der Tat«, sag­te sie, »die­ses herz­zer­rei­ßen­de Er­eig­nis wird für uns alle eine War­nung sein. Wir müs­sen uns dar­an ge­wöh­nen, An­stren­gun­gen durch­zu­ma­chen für die Zeit, wenn wir es nö­tig ha­ben. Al­les führt eine Leh­re mit sich, wenn wir sie nur be­nut­zen wol­len, und es ist bloß un­se­re Schuld, wenn wir nicht auf die­sen einen wich­ti­gen Wink acht­ge­ben.«

Mr. Chick stör­te das auf die­se Be­mer­kung fol­gen­de erns­te Schwei­gen durch die auf­fal­lend un­pas­sen­de Arie: ›Ein Schlos­ser hat en G’­sel­len g’hab­t‹, un­ter­brach sich aber schnell mit ei­ni­ger Ver­wir­rung und er­klär­te so­dann, es sei ohne Zwei­fel un­ser ei­ge­nes Ver­schul­den, wenn wir so ein trau­ri­ges Ge­schick wie das ge­gen­wär­ti­ge uns nicht zur Leh­re mach­ten.

»Sie soll­ten zu was Bes­se­rem An­lass ge­ben, mei­ne ich, Mr. Chick«, er­wi­der­te sei­ne zwei­te Hälf­te nach ei­ner kur­z­en Pau­se, »als zu Schel­men­lie­dern oder zu der eben­so nichts­sa­gen­den und ge­fühl­lo­sen Be­mer­kung des ›Rump­dit­ty bau wau wau!‹« In die­ser hat­te sich näm­lich Mr. Chick in halb­lau­tem Tone wirk­lich er­gan­gen, und sei­ne Frau Ge­mah­lin ahm­te ihn spot­tend nach.

»Nur eine Ge­wohn­heit, mei­ne Lie­be«, ent­schul­dig­te sich Mr. Chick.

»Un­sinn! Ge­wohn­heit!« ent­geg­ne­te die Dame. »Wenn du ein ver­nünf­ti­ger Mensch bist, so kom­m’ mir bit­te nicht mit sol­chen lä­cher­li­chen Aus­re­den. Ge­wohn­heit! Wenn ich mir die Ge­wohn­heit, wie du’s nennst, an­eig­nen woll­te, wie die Flie­gen an der Zim­mer­de­cke spa­zie­ren zu ge­hen, so wür­de ich’s wahr­schein­lich oft ge­nug zu hö­ren be­kom­men.«

Al­ler Wahr­schein­lich­keit nach hät­te eine der­ar­ti­ge Ge­wohn­heit sehr auf­fal­len müs­sen, und auch Mr. Chick moch­te dies ein­se­hen, denn er ver­riet nicht die kleins­te Nei­gung, zu wi­der­spre­chen.

»Und wie geht’s dem Büb­chen, Frau?« frag­te Mr. Chick, um der pein­li­chen Stim­mung aus­zu­wei­chen.

»Was für ein Büb­chen meinst du?« frag­te Mrs. Chick. »Ich habe heu­te Mor­gen im Spei­se­zim­mer drun­ten eine sol­che Men­ge von Büb­chen ge­habt, dass man sei­nen Sin­nen kaum glau­ben soll­te.«

»Eine Men­ge von Büb­chen?« wie­der­hol­te Mr. Chick, in­dem er mit dem Aus­druck größ­ter Un­ru­he um­her­blick­te.

»Den meis­ten Men­schen wür­de es si­cher­lich ein­ge­fal­len sein«, ent­geg­ne­te Mrs. Chick, »nach dem Hin­schei­den der ar­men Fan­ny für eine Amme zu sor­gen.«

»O! Ah!« ver­setz­te Mr. Chick – »Tu­rolt – so ist das Le­ben, woll­te ich sa­gen. Ich hof­fe, du hast das Rich­ti­ge ge­fun­den, mei­ne Lie­be.«

»In der Tat, nein«, sag­te Mrs. Chick, »und das wird auch nicht so schnell ge­hen, so­weit ich die Din­ge über­se­hen kann. In­zwi­schen wird na­tür­lich das Kind –«

»Zum Teu­fel fah­ren«, ver­setz­te Mr. Chick ge­dan­ken­voll. »Na­tür­lich.«

Die Ent­rüs­tung, die sich bei der Idee, dass ein Dom­bey eine sol­che Rei­se an­tre­ten könn­te, in Mrs. Chicks Ge­sicht aus­drück­te, be­lehr­te ihn je­doch, dass er eine Un­ge­schick­lich­keit be­gan­gen habe, wes­halb er, um sein Ver­ge­hen wie­der gut zu ma­chen, in wohl­mei­nen­der Ab­sicht bei­füg­te:

»Könn­te nicht vor­der­hand der Tee­topf Ab­hil­fe leis­ten?«

Wenn es wirk­lich in sei­ner Ab­sicht lag, die Sa­che zu ei­nem schnel­len Schluss zu füh­ren, so hät­te es nicht wirk­sa­mer ge­sche­hen kön­nen. Die Dame sah ei­ni­ge Mo­men­te in stum­mer Re­si­gna­ti­on nach ihm hin und ging dann, durch das Geras­sel von Rä­dern an­ge­lockt, ma­je­stä­tisch nach dem Fens­ter, um durch die Ja­lou­si­en auf die Stra­ße hin­un­ter zu se­hen. Mr. Chick, wel­cher fand, dass zur­zeit sein Ge­schick ge­gen ihn war, sag­te nichts mehr und ent­fern­te sich.

Aber nicht im­mer be­fand sich Mr. Chick in die­ser Si­tua­ti­on: denn sein ei­ge­ner Stern war oft im Auf­stei­gen, und zu sol­chen Zei­ten straf­te er Loui­se rund ab. Mit ei­nem Wort, sie wa­ren im gan­zen bei ih­ren ehe­li­chen Zän­ke­rei­en ein gut zu­sam­men­pas­sen­des Paar, das sich ge­gen­sei­tig das Gleich­ge­wicht hielt und bald aus­teil­te, bald ein­nahm, so­dass es in der Re­gel schwer wur­de, auf den ge­win­nen­den Teil eine Wet­te zu pa­rie­ren. Ja, selbst wenn Mr. Chick ge­schla­gen schi­en, pfleg­te er oft einen plötz­li­chen Aus­fall zu ma­chen, in­dem er den Stiel um­dreh­te und ihn um Mrs. Chicks Ohren sau­sen ließ, so­dass al­les vor ihm weg­lief. Da er üb­ri­gens selbst auch ähn­li­chen un­vor­her­ge­se­he­nen Über­fäl­len von sei­ten der Mrs. Chick aus­ge­setzt war, so hat­ten ihre klei­nen Zwis­te einen ge­wis­sen Cha­rak­ter von Wan­del­bar­keit, der ih­rem ehe­li­chen Ver­hält­nis viel Leb­haf­tig­keit ver­lieh.

Das Fuhr­werk, das wir vor­hin er­wähnt ha­ben, brach­te Miss Tox mit sich, die jetzt in ei­nem atem­lo­sen Zu­stand auf das Zim­mer ge­lau­fen kam.

»Mei­ne teu­re Loui­sa«, sag­te Miss Tox, »ist die Stel­le noch nicht be­setzt?«

»O, die gute See­le, nein«, ent­geg­ne­te Mrs. Chick.

»Dann, mei­ne teu­re Loui­sa«, er­wi­der­te Miss Tox, »hof­fe und glau­be ich – – doch, mei­ne Teu­re, gleich will ich Euch die Par­tie selbst vor­ge­stellt ha­ben.«

Miss Tox ging so­fort mit der­sel­ben Eile, mit der sie die Trep­pe her­auf­ge­kom­men war, wie­der hin­un­ter, hol­te die Par­tie aus der Miet­kut­sche und brach­te das gan­ze Ge­fol­ge mit sich.

Es stell­te sich nun her­aus, dass das Wort Par­tie nicht in der ju­ri­di­schen oder ge­schäfts­mä­ßi­gen Be­deu­tung, in der bloß ein In­di­vi­du­um be­zeich­net wer­den will, son­dern in sei­nem Kol­lek­tiv­be­griff ge­braucht wor­den war: denn das Ge­fol­ge der Miss Tox be­stand aus ei­nem wohl­ge­nähr­ten, ro­sen­wan­gi­gen, ge­sun­den, ap­fel­ge­sich­ti­gen jun­gen Wei­be, das ein Kind auf ih­ren Ar­men trug, aus ei­ner jün­ge­ren, nicht so der­ben, aber gleich­falls ap­fel­ge­sich­ti­gen Frau­ens­per­son, die an je­der Hand ein stäm­mi­ges, ap­fel­ge­sich­ti­ges Kind führ­te, aus ei­nem der­ben, gleich­falls ap­fel­ge­sich­ti­gen Jun­gen, der al­lein ging, und schließ­lich aus ei­nem stäm­mi­gen, ap­fel­ge­sich­ti­gen Mann, der auf sei­nen Ar­men noch einen der­ben, ap­fel­ge­sich­ti­gen Kna­ben trug, ihn aber als­bald auf den Bo­den stell­te und ihm mit hei­se­rem Ton die Er­mah­nung zu­flüs­ter­te, er sol­le sich an sei­nem Bru­der John­ny fest­hal­ten.

»Mei­ne teu­re Loui­sa«, be­gann Miss Tox, »da ich wuss­te, wie sehr Ihr in Sor­gen seid, so be­wog mich der Wunsch, sie Euch ab­zu­neh­men, nach der Ent­bin­dungs­an­stalt ›Kö­ni­gin Char­lot­te‹ für ver­hei­ra­te­te Frau­en zu ei­len – Ihr wisst, dass Ihr jene An­stalt ver­ges­sen habt – und dort an­zu­fra­gen, ob nicht je­mand da sei, den man für pas­send hal­te. Die Ant­wort lau­te­te nein. Ich kann Euch ver­si­chern, dass ich, als ich die­se Er­wi­de­rung ver­nahm, um Eu­ret­wil­len fast in Verzweif­lung ge­riet. Es füg­te sich aber, dass eine von den ver­hei­ra­te­ten Frau­en der An­stalt, die die An­fra­ge hör­te, die Vor­ste­he­rin an eine an­de­re er­in­ner­te, die be­reits nach Hau­se ge­gan­gen sei und, wie sie mein­te, wahr­schein­lich den An­for­de­run­gen ge­nü­gen dürf­te. So­bald ich das und noch oben­drein von sei­ten der Vor­ste­he­rin die Be­kräf­ti­gung ver­nahm – vor­treff­li­che Zeug­nis­se und un­an­fecht­ba­re Emp­feh­lung – ließ ich mir die Adres­se ge­ben und mach­te mich au­gen­blick­lich wie­der auf den Weg.«

»Das sieht mei­ner lie­ben gu­ten Tox ähn­lich«, ver­setz­te Loui­sa.

»Durchaus nicht«, ent­geg­ne­te Miss Tox. »Sprecht nicht so. Als ich in dem Hau­se an­lang­te – al­les blitz­sau­ber, mei­ne Lie­be, man könn­te das Mit­ta­ges­sen auf dem Fuß­bo­den ein­neh­men –, traf ich die gan­ze Fa­mi­lie bei Tisch: und da ich mich über­zeugt fühl­te, kei­ne Be­richt­er­stat­tung dar­über kön­ne für Euch und Mr. Dom­bey nur halb so be­frie­di­gend sein, als wenn Ihr sie alle mit­ein­an­der se­hen wür­det, so brach­te ich sie mit. Die­ser Gent­le­man«, füg­te Miss Tox bei, in­dem sie auf einen Mann mit ei­nem Ap­fel­ge­sicht zeig­te, »ist der Va­ter. Wollt Ihr so gut sein, ein we­nig nä­her zu tre­ten, Sir?«

Der Mann kam der Auf­for­de­rung au­gen­blick­lich nach und pflanz­te sich ki­chernd und grin­send als Vor­ders­ter in der Rei­he auf.

»Das ist na­tür­lich sei­ne Frau«, fuhr Miss Tox fort und zeig­te auf die jun­ge Frau mit dem Wi­ckel­kin­de. »Wie geht es Euch, Pol­ly?«

»Ziem­lich gut – ich dan­ke schön, Ma’am«, ver­setz­te Pol­ly.

Um sie zu er­mu­ti­gen, hat­te Miss Tox ihre Fra­ge in dem her­ab­las­sen­den Ton ei­ner al­ten Be­kann­ten ge­stellt, so etwa, wie wenn man sich ei­ni­ge Wo­chen nicht mehr ge­se­hen hat.

»Es freut mich, das zu hö­ren«, er­wi­der­te Miss Tox. »Die an­de­re jun­ge Frau ist ihre un­ver­hei­ra­te­te Schwes­ter; sie wohnt bei ihr und könn­te so­lan­ge für die Kin­der sor­gen. Ihr Name ist Je­mi­ma. Wie gehts Euch, Je­mi­ma?«

»Ziem­lich gut – ich dan­ke schön, Ma’am«, ent­geg­ne­te Je­mi­ma.

»Freut mich in der Tat sehr, das zu hö­ren«, sag­te Miss Tox. »Ich hof­fe, es wird Be­stand ha­ben. Fünf Kin­der. Das jüngs­te sechs Wo­chen. Der schö­ne klei­ne Kna­be mit der Bla­se auf sei­ner Nase ist der äl­tes­te. Die Bla­se, hof­fe ich«, füg­te Miss Tox hin­zu, in­dem sie ihre Au­gen über die Fa­mi­lie glei­ten ließ, »ist nicht erb­lich, son­dern zu­fäl­lig?«

Der Mann mit dem Ap­fel­ge­sicht brumm­te et­was wie Bü­ge­lei­sen vor sich hin.

»Ich bit­te um Ver­zei­hung, Sir«, sag­te Miss Tox, »was sag­tet Ihr –?«

»Bü­ge­lei­sen«, wie­der­hol­te er.

»O ja«, sag­te Miss Tox. »Ja! Ganz rich­tig. Ich ver­gaß es. Die klei­ne Krea­tur hat in Ab­we­sen­heit der Mut­ter an ei­nem hei­ßen Bü­ge­lei­sen ge­ro­chen. Ist es nicht so, Sir? Als wir an der Tür un­ten an­lang­ten, hat­tet Ihr die Güte, mir mit­zu­tei­len. Ihr sei­et von Ge­wer­be ein –«

»Schü­rer«, sag­te der Mann.

»Ein Spü­rer?« ent­geg­ne­te Miss Tox er­staunt.

»Schü­rer«, wie­der­hol­te der Mann. »Dampf­ma­schi­ne.«

»O – h! ja!« ver­setz­te Miss Tox, in­dem sie ihn ge­dan­ken­voll und mit ei­ner Mie­ne an­sah, als habe sie noch nicht recht ver­stan­den, was er sa­gen wol­le. »Und wie ge­fällt es Euch, Sir?«

»Was, Ma’am?« frag­te der Mann.

»Das«, er­wi­der­te Miss Tox. »Euer Ge­wer­be.«

»O, schon recht, Ma’am. Die Asche kommt bis­wei­len hier her­ein«, er griff bei die­sen Wor­ten nach sei­ner Brust, »und ist Schuld dar­an, dass man, wie eben jetzt, ein biss­chen rau spricht. Es ist üb­ri­gens nur die Asche, Ma’am, kei­ne Grob­heit.«

Miss Tox schi­en es trotz die­ser Er­wi­de­rung sehr schwer zu fal­len, den Ge­gen­stand wei­ter zu ver­fol­gen. Mrs. Chick kam ihr je­doch zu Hil­fe, da­durch dass sie ein ge­nau­es Pri­vat­ver­hör über Pol­ly, ihre Kin­der, ihr Ehe­stands­zer­ti­fi­kat, ihre Zeug­nis­se usw. be­gann. Pol­ly be­stand die­se Or­da­lie glück­lich, wor­auf Mrs. Chick sich mit ih­rem Rap­port nach dem Zim­mer ih­res Bru­ders be­gab und zu nach­drück­li­che­rer Be­kräf­ti­gung des­sel­ben die zwei ro­sigs­ten klei­nen Tood­les mit sich nahm. Tood­le war näm­lich der Ge­schlechts­na­me der ap­fel­ge­sich­ti­gen Fa­mi­lie.

Mr. Dom­bey war seit dem Tode sei­ner Gat­tin auf sei­nem Zim­mer ge­blie­ben und hat­te Träu­me über die Ju­gend, die Er­zie­hung und die sei­nes neu­ge­bo­re­nen Söhn­leins ge­spon­nen. Auf dem Grun­de sei­nes kal­ten Her­zens lag et­was, käl­ter und schwe­rer, als sonst; aber es be­traf mehr den Ver­lust des Kin­des, als sei­nen ei­ge­nen – ein Ge­fühl, das sich fast zu ei­nem är­ger­li­chen Lei­de stei­ger­te. Soll­te Le­ben und Ge­dei­hen des­sen, auf wel­chen er so große Hoff­nung setz­te, schon zu Be­ginn durch ge­mei­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­