9783863347918.jpg

18185.jpg

„Wir können viele Situationen nicht beeinflussen,
aber wir können entscheiden,
wie wir mit der Situation umgehen.“

Barbara Hänni

„Liebe ist auch immer ein bisschen Arbeit.“

Markus Hänni

3a.tif

INHALT

Prolog

01 Best friends

02 Den Richtigen findet man selten in Hollywood

03 Liebe ist kein Zuckerschlecken

04 Wege zueinander

05 Was ist schon normal?

06 Ja!

07 Kennenlernen im eigenen Nest

08 Eins plus eins macht vier

09 Ein Wunder im Doppelpack

10 Hoffnung auf ein langes Leben

11 Von der Kunst, glücklich zu sein

12 Familientrubel

13 Verlass dich drauf

14 Mit der Arbeit kommt das Vergnügen

15 Am Ende steht die Liebe

Danksagung

Viten

PROLOG

BARBARA

Ligurien, im April 2017 – Ich werde davon wach, dass Markus hustet. Daran bin ich gewöhnt, und normalerweise weckt mich das schon lange nicht mehr auf. Doch dieses Mal klingt es anders als sonst, härter, bellender. Dazwischen bekommt er kaum Luft.

„Markus“, frage ich ihn, „kann ich etwas für dich tun?“

Ich bekomme keine Antwort. Der Husten hört sich qualvoll an und wird immer schlimmer.

Im Zimmer nebenan schlafen die Zwillinge. Ich lausche zu ihnen hinüber, dort bleibt alles still. Aber neben mir ringt Markus zwischen den Hustenattacken nach Atem. Langsam beginne ich, mir Sorgen zu machen.

Wir sind im Ferienhaus meiner Familie in Italien, und eigentlich sollte ich mich in diesem Urlaub dringend erholen. Ich arbeite als stellvertretende Stationsleiterin auf der Onkologie, die vergangenen Wochen waren wirklich anstrengend. Neben meiner Fünfzigprozentstelle organisiere ich unseren Haushalt, regle alles Notwendige mit der Nanny, die während meiner Abwesenheit nach den zweieinhalbjährigen Mädchen schaut. Ich entlaste Markus, wo es nur geht. Denn Markus leidet unter der angeborenen Stoffwechselstörung Mukoviszidose und ist aufgrund der Begleiterscheinungen dieser bis heute unheilbaren Krankheit wenig belastbar. Sich am Leben zu erhalten ist für ihn oft Aufgabe genug. Markus ist siebenunddreißig Jahre alt. Die statistische Lebenserwartung von Menschen mit Mukoviszidose liegt zurzeit ungefähr bei diesem Alter.

Ich lege meine Hand auf seinen Rücken. Markus hat sich aufgesetzt, sitzt vornübergebeugt am Bettrand. Ich fühle, wie der Hustenanfall seinen ganzen Körper erschüttert. Er kann nicht sprechen, nach Luft zu ringen kostet ihn seine ganze Kraft.

Ich stehe auf und setze Wasser für einen Tee auf. Ich weiß zwar, dass ihm das nicht helfen wird, aber etwas muss ich tun.

Es ist frustrierend, dass selbst ich als Pflegefachfrau, wie bei uns in der Schweiz der Beruf der Krankenschwester genannt wird, ihm nicht helfen kann. Und so gebe ich ein paar Blätter von der Verbene, die hier üppig im Garten wächst, ganz in der Nähe des prächtig blühenden Hibiskusstrauchs, den er anlässlich unserer Hochzeit gepflanzt hat, in eine Kanne und übergieße sie mit dem kochenden Wasser.

„Wenn dies nur nicht die ersten Anzeichen eines Infekts sind“, denke ich. Das könnte sonst schnell ernst werden und nur durch intravenöse Antibiotika, unter Umständen bei einem Spitalaufenthalt, in den Griff zu kriegen sein.

Markus fühlt sich schon seit zwei Wochen nicht sonderlich gut. Er war die ganze Zeit über schwach und energielos, und das ist bei ihm ein schlechtes Zeichen.

Der Hustenanfall hat noch immer nicht aufgehört, jetzt quält sich Markus schon fast eine Stunde damit herum. Meine Gedanken arbeiten fieberhaft. Was ist zu tun? Sollten wir den Urlaub abbrechen und gleich nach Tagesanbruch nach Hause fahren, damit er seinen Arzt aufsuchen und sich im Spital behandeln lassen kann, ehe sich sein Zustand zu einer ernsthaften Krise zuspitzt?

In meinem Kopf laufen wie in einem Film verschiedene Szenarien ab: Wie schnell kann ich packen? Welche Lebensmittel sind noch im Kühlschrank? Welchen Wochentag haben wir heute überhaupt? Und wenn wir zu Hause sind – wen muss ich verständigen? Meine Mutter vielleicht, damit sie mir hilft, wenn wir ankommen mit zwei kleinen Kindern? Solange es Markus so schlecht geht, kann er mir nicht helfen.

Während ich versuche, diese Krise, falls es denn eine sein sollte, so pragmatisch wie möglich zu managen, schlucke ich das Gefühl von Enttäuschung hinunter. Ich habe mich so auf diesen Urlaub gefreut. Wir sind gerade erst vor ein paar Tagen angekommen. Das Wetter ist herrlich. Und ich hätte die Alltagspause so dringend nötig.

Ich bringe Markus Tee, stelle die Tasse auf seinen Nachttisch. Dann ebbt der Husten langsam ab, Markus kann wieder besser atmen. Endlich. Erschöpft lässt er sich zurück aufs Kissen fallen. Ich lege mich neben ihn und streichle sein lockiges Haar, nehme seine Hand. Wir sprechen nicht. Sprechen ist viel zu anstrengend. Stattdessen halte ich ihn fest in meinen Armen und fühle, wie sein aufgepeitschter Körper sich nach und nach beruhigt.

„Glaubst du, wir sollten nach Hause fahren?“, frage ich schließlich leise, als er wieder ruhiger atmen kann und nur noch hin und wieder husten muss.

Doch Markus schüttelt den Kopf.

„Es geht schon wieder“, sagt er. „So schlimm ist es nicht.“

Ich bin noch nicht überzeugt. Die Sorge um sein Wohl und das unserer kleinen Familie hält mich wach. Sie ist seit vielen Jahren mein ständiger Begleiter, seit ich mich dazu entschloss, meinem Herzen nachzugeben und einen Mann zu heiraten, der unheilbar krank ist. Als mir Markus’ ruhiger werdender Atem jedoch zeigt, dass er eingeschlafen ist, beschließe ich, die Entscheidung, ob wir bleiben oder den Urlaub abbrechen müssen, auf morgen zu vertagen.

MARKUS

Es ist keine schwere Krise. Ich glaube ganz fest daran. Zumal ich seit Beginn des Jahres dieses neue Medikament bekomme, auf das ich große Hoffnungen setze. Es kann einfach keine Krise sein. Irgendetwas hat meine Lungen gereizt, es fühlt sich an, als würde eine Horde Ameisen in ihr herumkrabbeln. Nachdem der schlimme Anfall überwunden ist, bin ich sehr erschöpft und schlafe tief und fest.

Am anderen Morgen stelle ich überrascht fest, dass Barbara schon hier und dort angefangen hat, ein paar Sachen einzupacken.

„Was machst du denn?“, frage ich sie bestürzt.

Sie schaut mich sorgenvoll an und meint: „Denkst du nicht, wir sollten nach Hause fahren?“

Ich sehe in ihre Augen, die ich so sehr liebe. Niemand hat solche Augen. Manchmal sind sie klar und braun und manchmal schimmern sie wie Mondsteine, je nach Stimmung, je nach Lichteinfall. Jetzt sind sie voller Sorge. Und auch ein wenig enttäuscht. Ich weiß, wie viel ihr dieser Urlaub bedeutet. Und dennoch. Keiner kennt mich so gut wie Barbara, keiner ist mir so nah. Mitunter weiß sie besser, was gut für mich ist, als ich selbst. Ob sie auch dieses Mal recht hat? Sollten wir tatsächlich aufbrechen?

„Was meinst du?“, hakt sie nach.

„Ich weiß es nicht“, antworte ich ehrlich. Und schon muss ich wieder husten. Mich hinsetzen. Ich fühle mich so schwach.

Ich sehe meiner Frau dabei zu, wie sie mit den Kindern frühstückt. Die drei bedeuten mein ganzes Glück, es gibt nichts Schöneres, als ihr Lachen zu hören, ihrem ausgelassenen, unbeschwerten Spiel zuzusehen. Wie lange werde ich sie noch begleiten dürfen? Wie lange werden sie noch ihren Vater haben?

Am Mittag stellt mir Barbara erneut die Frage.

„Müssen wir fahren?“

Ich habe nicht bemerkt, dass sie sich schon den ganzen Vormittag auf das scheinbar Unvermeidliche vorbereitet hat. Der Kühlschrank ist leer. Die Provianttasche gepackt.

„Ich finde, wir sollten jetzt eine definitive Entscheidung treffen“, drängt sie. „Entweder fahren wir am Nachmittag, dann schlafen die Kinder die meiste Zeit während der Fahrt. Oder wir bleiben wirklich hier. Bitte triff eine Entscheidung!“

Ich kann sie gut verstehen. Wie soll sie den Urlaub genießen mit der ständigen Befürchtung, jederzeit aufbrechen zu müssen? Also horche ich in mich hinein. Was sagt mein Körper mir?

„Ich glaube nicht“, sage ich schließlich, „dass ich eine intravenöse Antibiotikakur brauche.“

„Dann können wir genauso gut hierbleiben“, meint Barbara.

Ich stimme ihr zu. Die Meeresluft tut meinen Lungen gut. Und irgendwann muss dieser Hustenreiz Ruhe geben.

An diesem Abend kommen meiner Frau beim Anblick der Abendstimmung über dem weiten Horizont die Tränen. Barbara erzählt mir hinterher davon. Ich weiß, wie sehr sie unter der ständigen Anspannung leidet, die meine Krankheit mit sich bringt. Die meiste Zeit über ist sie unfassbar stark, ein Fels in der Brandung, optimistisch und unterstützend. Aber natürlich hat auch sie Momente der Schwäche. Angesichts des traumhaften Panoramablicks über das Meer in dieser wunderschönen Abendstimmung brechen sich die Emotionen in ihr Bahn. Vielleicht denkt sie auch: Es könnte so schön sein. Wenn nur nicht ständig diese Bedrohung wäre.

01

Best friends

BARBARA

Als junges Mädchen hatte ich von der Liebe wahrscheinlich dieselben romantischen Vorstellungen wie andere Gleichaltrige auch. Eines Tages würde ich dem Mann meines Lebens begegnen und sofort wäre alles klar. Die berühmten Schmetterlinge im Bauch würden jeden Zweifel verscheuchen, ich wüsste einfach: Dieser Mann und kein anderer wird mich glücklich machen. Eben genau so, wie es uns die erfolgreichen Hollywoodstreifen immer und immer wieder vorgaukeln. Man überwindet äußere Schwierigkeiten und am Ende steht das Happy End. Und ebenso happy spielt sich selbstverständlich das ganze weitere Leben ab.

Ich gehöre eher zum rationalen Menschenschlag, und deswegen kamen mir schon auf dem Weg zum Erwachsenwerden an diesem Liebeskonzept einige Zweifel. An meinen Eltern konnte ich beobachten, dass eine gute Ehe viel Einsatz braucht und den festen Willen, sich die Liebe im Alltag zu erhalten. Die beiden führten ein über die Grenzen der Schweiz hinaus bekanntes und mit siebzehn Gault-Millau-Punkten und einem Michelin-Stern ausgezeichnetes Gourmetrestaurant und erwiesen sich nicht nur dabei als ausgezeichnetes Team. Bis heute im längst verdienten Ruhestand verbindet sie immer noch eine tiefe Liebe. Ich denke, von Anfang an hatten sie außer der Zuneigung zueinander auch ein gemeinsames Lebensziel: Das Restaurant „Krone“ in Bätterkinden von meinem Großvater zu übernehmen, ihr Bestes zu geben, um einen Ort zu erschaffen, an dem andere Menschen sich wohlfühlen können.

Sicherlich habe ich schon als Heranwachsende in dieser Umgebung unbewusst verinnerlicht, dass eine gemeinsame Vision ein Paar fest zusammenschweißen kann.

Auch wenn meine Eltern nicht übermäßig viel Zeit für mich und meine vier Jahre ältere Schwester hatten, so verlebte ich eine glückliche, geborgene Kindheit. Unsere gemeinsame Familienzeit war intensiv und liebevoll, und meine Eltern vermittelten uns nicht nur ein Gefühl für Qualität und Perfektion, sondern auch den christlichen Glauben als Grundlage für ihre Sicht auf die Welt. Dazu gehörte auch unsere Stille Zeit, wo gebetet und in der Bibel gelesen und über das Gehörte miteinander diskutiert wurde. Obwohl ich diese Stillen Zeiten während meines Teenageralters hin und wieder als ein Muss erlebte, so wuchs doch mein Interesse am Glauben, je älter ich wurde.

So kam es, dass ich später zufälligerweise dieselbe Kirchengemeinde besuchte wie Markus, und ihn aus der Ferne schon lange kannte, ehe er mich überhaupt wahrnahm. Das soziale Leben spielt in unserer Gemeinde eine große Rolle mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, in denen sich Markus bis heute leidenschaftlich als Schauspieler, Autor und Regisseur von Theaterstücken und Musicals engagiert. Jeder wusste von seiner Krankheit, auch wenn er selbst damit sehr diskret umging. Das brauchte einem niemand zu sagen, es war klar, dass er nicht gerne darüber sprach.

Mich jedoch interessierte das Thema Mukoviszidose brennend, denn ich hatte vor meiner Ausbildung zur Pflegefachfrau meine Abschlussarbeit auf der Diplommittelschule über diese Erbkrankheit geschrieben. Ob das wohl reiner Zufall war – oder eher Führung?

Ich kam auf das Thema, weil eine der Köchinnen im Restaurant meiner Eltern unter dieser Krankheit litt. Ihren konkreten Fall behandelte ich in meiner Arbeit. Leider starb sie vor zwei Jahren im Alter von fünfundvierzig Jahren, ein Schicksal, das lange Zeit für die meisten Mukoviszidosepatienten unausweichlich schien.

Unheilbar kranke Menschen kommen in den üblichen Hollywoodromanzen vielleicht in den Nebenrollen vor, aber als sogenannte love interest, also als Held, in den sich die weibliche Hauptdarstellerin verliebt, eher nicht. Um es mal ganz krass auszudrücken: Die gemeinsame Perspektive ist für ein Leben à la Hollywood einfach zu kurz.

Lange galt, dass Mukoviszidosepatienten kaum älter als dreißig Jahre werden können. Als ich Markus kennenlernte, war er schon Ende zwanzig. Vernünftig, wie ich war, kam ich erst gar nicht auf die Idee, mich in ihn zu verlieben.

Obschon er mich von Anfang an faszinierte. Markus ist ein attraktiver Mann mit einer außergewöhnlichen Ausstrahlung. Jeder mochte ihn gern. Wenn er auf der Bühne steht, sprüht er nur so, und sein feiner Humor gefiel mir gleich. Doch ich war Anfang zwanzig, das Leben lag vor mir und Markus war nicht der einzige interessante Mann in meinem Umfeld.

Damals durchlebte ich gerade diese typische Phase einer jungen Frau, die ihre Chancen beim männlichen Geschlecht behutsam austestete, mit aller notwendigen Vorsicht. Noch hatte ich mich auf keine feste Beziehung eingelassen. Diese Herzensangelegenheiten waren mir viel zu wichtig, um allzu leichtfertig an diese Dinge heranzugehen. Wenn ich mich schon auf einen Mann als Partner einlassen sollte, dann wollte ich auch das Gefühl haben, dass aus der Beziehung etwas Ernstes entstehen könnte.

Ich war nicht der Typ, der wie ein Schmetterling von einem Mann zum nächsten flattert, ganz im Gegenteil, das war nie meine Art. Meine Antennen allerdings waren weit ausgefahren, und es war natürlich schmeichelhaft, wenn ich bemerkte, dass sich ein Mann für mich interessierte. Diese kleinen Blicke, die unausgesprochenen Schwingungen des Werbens, das konnte ich durchaus genießen. Aber festlegen wollte ich mich noch nicht.

In unserer Gemeinde treffen wir uns unter der Woche in smallgroups. Ein schöner Ort, um sich besser kennenzulernen und Leben und Glauben zu teilen. Und plötzlich fand ich mich in der gleichen Gruppe wie Markus wieder.

Wir kamen miteinander ins Gespräch und stellten fest, dass wir uns eine Menge zu sagen hatten und uns überaus sympathisch fanden. Markus bot an, mich nach den Treffen nach Hause nach Bätterkinden zu fahren, und bald wurde daraus eine lieb gewonnene Gewohnheit. Wir redeten und redeten, und da uns die halbstündige Fahrzeit nicht ausreichte, saßen wir regelmäßig ein bis zwei Stunden in Markus’ Auto vor unserem Haus, ehe wir uns verabschiedeten. Dass er mich mochte, war offensichtlich, und das tat mir gut. Wir wurden beste Freunde, und ich stellte fest, dass ich mit Markus noch offener reden konnte als sogar mit manchen meiner Freundinnen …

MARKUS

Es war für mich nichts Neues, für junge Frauen so etwas wie ein Seelentröster zu sein. Der sprichwörtliche gute Freund, dem man sein Herz ausschütten konnte, der die Gabe hatte, zuzuhören und der oftmals einen Rat wusste. Nachdem eine Beziehung aufgrund der Einschränkungen durch meine Krankheit gescheitert war, hatte ich schweren Herzens die Hoffnung auf Ehe oder gar Familiengründung aufgegeben. Oder vielleicht doch nicht? Natürlich hatte ich mir immer gewünscht, eines Tages einer Frau zu begegnen, der ich meine Liebe schenken könnte. Schließlich bin ich in einer überaus liebevollen Familie aufgewachsen und nichts lag näher, als mir selbst eine solche zu erträumen. Und war es wirklich wider alle Vernunft, dass das Unmögliche wahr werden könnte? In meinem Leben hatte es schon so viele scheinbare Unmöglichkeiten gegeben, die sich am Ende als möglich herausgestellt hatten. Warum also nicht auch in der Liebe?

Doch zunächst sah es nicht danach aus. Die Frauen, mit denen ich mich gut verstand, zogen mich nicht als Partner in Betracht, sondern immer wieder fand ich mich in der Rolle eines Vertrauten, mit dem man alles besprechen konnte. So auch mit Barbara. Wir redeten an jenen Abenden in meinem Auto über alles Mögliche und fanden überhaupt kein Ende. Dabei war es gar nicht so, dass ich mich sofort in sie verliebte. Ich sah in ihr zunächst lediglich eine liebe Freundin. Mehr nicht.

Bis sie mich eines Tages auf die Seite nahm und sagte: „Eines möchte ich gerne klären, Markus, damit keine Missverständnisse zwischen uns entstehen. Ich sehe in dir einen richtig guten Freund. Aber mehr kann daraus nicht werden. Nicht dass du dich womöglich in mich verliebst!“

„Nein, nein“, beeilte ich mich zu sagen, ein wenig verwirrt über diese unerwartete Eröffnung. „Keine Sorge, ich sehe das genauso. Wir sind best friends. Mehr nicht.“

„Na“, antwortete Barbara erleichtert, „dann ist ja alles gut.“

Ich aber blieb an diesem Abend stiller als sonst. Denn irgendwie beschäftigte mich das nun doch. Was Barbara gesagt hatte, behagte mir überhaupt nicht. Und ich stellte fest, dass ich nicht die Wahrheit gesagt hatte. Nicht dass ich absichtlich gelogen hätte, nein, ganz und gar nicht. Aber mir wurde erst jetzt, als Barbara mehr als eine gute Freundschaft so kategorisch ausgeschlossen hatte, bewusst, dass ich tatsächlich mehr für sie empfand. Doch ihr das zu eröffnen, dazu hatte ich noch nicht den Mut …

BARBARA

Es gab noch einen zweiten jungen Mann, dem ich dasselbe sagte wie Markus. Und in diesem Fall hatte ich gut daran getan, die Karten offenzulegen, denn hier wurde meine Erklärung nicht ganz so gelassen aufgenommen.

Wie ich dazu kam, gleich bei zwei Männern meiner näheren Umgebung derart mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus zu fallen? Nun, mir war bewusst geworden, dass ich angefangen hatte, die Aufmerksamkeiten von diesen beiden jungen Männern zu genießen. Sie schmeichelten meinem Ego und bestätigten mich. Als mir klar wurde, dass es wirklich kein besonders löbliches Verhalten war, mit den Gefühlen anderer Menschen zu spielen, um mich selbst aufzuwerten, fühlte ich mich zu dieser Klärung verpflichtet. Denn schließlich war ich davon überzeugt, dass weder Markus noch der andere Freund jemals mehr für mich sein könnten. Also wollte ich ehrlich sein und jegliche Hoffnung gleich im Keim ersticken.

Ein paar Wochen später allerdings geschah etwas, was mich ziemlich verwirrte. Während eines Gesprächs in unserer Gruppe erzählte Markus plötzlich, dass er vielleicht ein, zwei Jahre in London leben wollte. Und zu meinem eigenen Erstaunen fand ich das überhaupt nicht gut. Der Gedanke, dass Markus plötzlich so weit weg sein könnte, behagte mir gar nicht.

Würde er mir etwa fehlen? O ja, das würde er. Sehr sogar. Und wieso hatte er mir, wo wir doch so gut miteinander befreundet waren, von diesem Wunsch überhaupt nie etwas erzählt?

An diesem Abend war es an mir, stiller zu sein als sonst, denn ich hatte einiges, worüber ich nachdenken musste. Schließlich wurde mir klar: Es stimmte überhaupt nicht, was ich Markus gesagt hatte. Er bedeutete mir weit mehr als ein guter Freund. Hatte ich mich etwa in ihn verliebt? Aber nein, das war doch unmöglich!

Sofort schob ich das Aufblitzen dieser Erkenntnis ganz weit von mir. Und da Markus nie wieder davon sprach, nach England ziehen zu wollen, gelang es mir recht gut, das alles zu verdrängen.

Wegen meiner realistischen Art, das Leben zu betrachten, zog ich aus diesen mir so neuen Gefühlen keine Konsequenzen – ich ließ mir Zeit und ließ unsere Freundschaft so weiterlaufen wie bisher. Jedenfalls unternahm ich auch nichts, als mir Markus wenige Wochen später ein Geständnis machte.

„Weißt du, Barbara“, sagte er zu später Stunde in seinem Wagen vor unserem Haus in Bätterkinden, „als du mir erklärt hast, dass aus unserer Freundschaft niemals Liebe werden könnte, da hat mich das irgendwie getroffen. Vorher war mir das überhaupt nicht bewusst gewesen, aber als du das so glasklar ausgesprochen hast, hab ich gemerkt, dass ich doch mehr für dich empfinde. Das wollte ich dir nur sagen. Weil ich nicht unehrlich sein möchte.“

Wir schwiegen.

Und machten einfach weiter wie bisher. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich längst begonnen hatte, mehr Gefühle für Markus zu entwickeln als eine gute Freundin. Und auf einmal stahl sich so ein klitzekleiner Gedanke in meinen Kopf. Der fragte: „Warum eigentlich nicht? Warum nicht Markus? Was spricht denn dagegen?“

02

Den Richtigen
findet man
selten in
Hollywood

BARBARA

Oh, eine Menge sprach dagegen. Jedenfalls listete mein Verstand eine Unmenge an Unmöglichkeiten auf. Was, wenn Markus in einem halben Jahr tot wäre? Wollte ich dann leiden, um ihn trauern? Von meinem Umfeld her kannte ich es nicht anders, als dass eine Beziehung bedeutet, miteinander in die Zukunft zu schauen und langfristige Pläne zu machen. Wie wollte ich mit jemandem Pläne schmieden, dessen Lebenserwartung weit unter meiner lag? Dem die Ärzte in seiner Vergangenheit schon oft einen baldigen Tod prognostiziert hatten?

Nein, das wollte ich natürlich nicht. Und doch ließen sich meine Gefühle für Markus nicht mehr so einfach wegargumentieren. Sie waren da. Und wenn ich auch Emotionen äußerst skeptisch gegenüberstehe und finde, dass man keine Entscheidung und vor allem keine Liebesentscheidung ausschließlich auf der Basis von Gefühlen treffen sollte, so war da immer häufiger jene andere Stimme in mir, die sagte: „Und wenn doch? Was, wenn bei Markus die Prognosen gar nicht zutreffen? Was, wenn seine Lebenserwartung höher ausfällt? Und überhaupt: Kann man sich jemals wirklich sicher sein, dass man gemeinsam alt werden darf, selbst wenn der Partner gesund ist?“

Als angehende Pflegefachfrau hatte ich täglich vor Augen, dass Gesundheit kein Gut ist, das uns garantiert erhalten bleibt. Ich arbeite inzwischen seit vielen Jahren auf der Onkologie, und der Tod gehört zu meinem beruflichen Alltag selbstverständlich dazu. Auch ohne Krebserkrankung kann das Leben eines völlig Gesunden in einer einzigen Sekunde durch einen Unfall ausgelöscht werden.

Der Wunsch einer jungen Frau, mit einem gesunden Mann eine Familie zu gründen, ist nur allzu verständlich. Rechtfertigt dieser Wunsch aber auch, dass man sich gegen eine Liebe entscheidet, nur weil der Partner gesundheitliche „Defekte“ aufweist? Widerspricht ein solches Denken nicht unserer Ethik und unserem Verständnis von Menschenwürde? Ist ein kranker Mensch denn weniger wert als ein gesunder?

Ich stellte mir auch noch andere Fragen. Was ist letztendlich wünschenswerter: eine Beziehung, die die Aussicht auf mehrere Jahrzehnte Dauer verspricht und vielleicht nicht ganz so glücklich ist, gegenüber einer, die unter Umständen nur wenige Jahre währt, aber umso erfüllter ist? Was ist wichtiger: Quantität oder die Qualität einer gemeinsam verlebten Zeit?

Das waren alles sehr schwierige Fragen, und ich fühlte mich außerstande, sie auf die Schnelle zu beantworten. Denn außer der Tatsache, dass Markus krank war, beschäftigte mich natürlich die Überlegung, ob Markus wirklich der Mann war, der mich ein Leben lang glücklich machen würde. Dessen Charakter, Interessen und Vorstellungen vom Leben zu meinen passen würden, über unser Best-friends-Verhältnis hinaus.