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STIMMEN ZUM BUCH

„Die Prosa von Mein heller Abgrund ist so lyrisch und echt, dass man sie sich auf der Zunge zergehen lassen und sie dann Fremden auf der Straße wiedergeben möchte … Wiman verweigert sich einfachen Schlussfolgerungen, er zelebriert den Vers und die zwei Seiten der Freude an der Nabe unseres Lebens – Nietzsches tragische Freude. Er hat ein Buch geschrieben, das für viele lebensverändernd sein wird.“

– William Giraldi, Virginia Quarterly Review –

„Wie die klassischen Mystiker gebraucht Wiman oft eine Sprache des Paradoxen, um Dinge zu vermitteln, die die gewöhnliche Sprache nicht auszudrücken vermag … Wiman spricht vorsichtig, aber mächtig … Das Beste, das aus der Kontemplation der Sterblichkeit entstehen kann, ist vielleicht eine Art Weisheit, die anderen Stärke geben kann. Nicht durch die Beantwortung von Fragen im Stil jener Bestseller, die vorgeben, sagen zu können, was passiert, wenn wir dieses helle Licht gesehen haben, sondern durch ein ehrliches Fragenstellen … Mein heller Abgrund ist ein Buch, das Licht und Stärke geben wird, selbst denen, die seinem schweren Weg nicht folgen können.“

– Adam Kirsch, The New Yorker –

„Poliert und schön, ist Mein heller Abgrund ein ernüchternder Blick auf den Glauben und die Poesie eines Mannes, der an beides leidenschaftlich glaubt, der aber befürchtet, es zum letzten Mal zu sehen. Wimans Denkschrift ist in ihrer Bereitschaft, nicht nur den religiösen Glauben, sondern auch einen seiner häufigsten Vertreter, die Literatur, zu hinterfragen, innovativ … Hier ringt ein Dichter mit Worten, wie Jakob mit dem Engel gerungen hat … Wiman nennt seine Denkschrift ‚Meditationen eines modernen Gläubigen‘. Genau das ist dieses Buch, aber es ist mehr als eine Meditation, es ist eine Apologie und ein Gebet, eine Einladung und ein Wegbegleiter für alle, die leiden, und für alle, die glauben.“

– Casey N. Cep, The New Republic –

„Ohne Trost anzustreben, gelingt Wiman dies trotzdem; ohne dem Leser Trost zu bieten, schenkt sein Buch überall Trost. Mr Wiman fällt nicht auf die Beruhigungsmittel herein, die er manchmal im heutigen Christentum findet, das zu oft ‚eine grinsende, sich selbst überhebende, unangreifbare Art von Glück, die keine Wahrheit in sich hat‘ propagiert. Glaube hat für ihn weniger mit Glauben zu tun als mit dem ‚Annehmen der ganzen Gaben, die Gott uns auch inmitten des Todes schenkt … Annehmen der Gnade‘. Dieser Gedanke ist bekannt, aber Mr Wimans Buch nähert sich ihm auf einem neuen Weg. Vielleicht braucht jede Generation einen Autor, der von diesem uralten Weg abweicht und dadurch den Zugang erneuert und zum Eintreten einlädt, wie es Christian Wiman in seiner bedeutenden Beschreibung des modernen Glaubens tut.“

– David Yezzi, The Wall Street Journal –

„Die Reife von Wimans Stimme, die Ruhe, die seine Worte durchdringt und die Tiefe seiner Selbstprüfung verrät, und der unglaubliche Rhythmus, der in fast jedem Satz zum Ausdruck kommt, machen dieses Buch aus, das ich allen empfehle, die in den beängstigenden und schönen Abgrund blicken, und das ist jeder Einzelne von uns.“

– Caitlin Mackenzie, HTMLGIANT –

Mein heller Abgrund lässt die Grenzen zwischen Poesie und Prosa verschwimmen. Wenn der englische Poet und Priester Gerard Manley Hopkins aus dem 19. Jahrhundert in das Amerika zu Beginn des 21. Jahrhunderts versetzt würde, würde er vielleicht eine derartige Denkschrift verfassen … Dieses erstaunliche Buch mit seiner Meisterhaftigkeit und Einsicht, seinem Trost und seiner Herausforderung könnte leicht Teil unseres literarisch-theologischen Kanons werden.“

– David Skeel, Books and Culture –

INHALT

Stimmen zum Buch

Inhalt

Vorwort

Mein heller Abgrund

Die Blume des Leids

Zartes Inneres

Gottes Wahrheit ist Leben

Oh, du meisterhaftes Licht

Liebes Vergessensein

Ein Haufen voller Unruhe

Gott ist nicht jenseitig

Varianten der Ruhe

Demütige unsere Wölfe

Eine Million vergessene Kleinigkeiten

Danksagung

Anmerkungen

VORWORT

Vor sieben Jahren schrieb ich ein kurzes Essay mit dem Titel „Love bade me welcome“ (Die Liebe hieß mich willkommen). Es erschien (unter einem anderen Titel) in einer relativ kleinen Zeitschrift und löste, verglichen mit meinen sonstigen Erfahrungen, verhältnismäßig viel Resonanz aus. Aber erst später, im Internet, in Anthologien, in Gottesdiensten und Lesezirkeln, bekam dieses Essay ein zweites Leben. Noch heute erreicht mich gelegentlich die Zuschrift eines Lesers, der darauf gestoßen ist. Diese Briefe sind abwechslungsreich, intensiv, intelligent und kommen oft von Menschen, die nicht den geringsten Bezug zur literarischen Welt haben. Es sind die erfreulichsten Reaktionen auf meine Arbeit, die ich je erhalten habe.

Und das Essay selbst? Es handelte von Verzweiflung: davon, dass ich die Fähigkeit zu schreiben verlor, mich verliebte, die Diagnose erhielt, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein, und dass mein Herz zerrissen wurde von etwas, das ich langsam und trotz meiner ganz modernen, weltlichen Instinkte Gott zu nennen lernte. Mein ganzes Sein, mein Leben, war auf acht Seiten komprimiert. Detailliert beschrieb das Essay eine radikale Veränderung in meinem Leben, und dann schien es – beziehungsweise die Reaktion darauf schien –, ein weiteres zu verlangen.

Ich bin ein Dichter. Heute in Amerika Dichter zu sein, bedeutet, sagen wir es mal so, verhaltene Reaktionen auf die eigene Arbeit gewöhnt zu sein. Und auch – und vermutlich beschränkt sich das nicht nur auf Amerika –, dass man lernt zu schreiben, ohne sich allzu viele Gedanken um die Leserschaft zu machen. Nicht weil man nicht wollte, dass die eigenen Gedichte gelesen werden, aber damit Gedichte die Stimme ehren, die sie erschafft (eine Stimme, die, wie selbst die profansten Dichter anerkennen, von „anderswoher“ zu kommen scheint) – damit also die Gedichte auch wirklich Gedichte sind –, muss man sich eine mönchsgleiche Hingabe zu deren Quelle aneignen und zu der Stille in einem selbst, die es dieser Quelle ermöglicht zu sprechen.

Ich werde die Dichtung niemals aufgeben – ich wüsste nicht einmal wie –, aber die vielen Zuschriften auf „Love bade me welcome“ haben mir stärker bewusst gemacht, dass es eine Leserschaft gibt und dass ich selbst den Dialog brauche. In diesem Land gibt es eine beachtliche Vielzahl tiefsinniger Menschen, die zwar von der Sprache und der Form der gegenwärtigen amerikanischen Religiosität frustriert sind, die aber nichtsdestotrotz dieses feurige Drängen in sich spüren, das über unser Selbst hinausgeht – diese beharrliche, unablässige Anziehungskraft des Geistes, der Gott genannt wird. Ich wollte daher versuchen, diese Menschen direkter anzusprechen. Ich wollte ein Buch schreiben, das vielleicht jemandem hilft, der genauso wie ich gleichzeitig verwirrt und überzeugt ist in Bezug auf die Quelle des Lebens und Bewusstseins.

Anfangs dachte ich, dieses Buch würde meine Krankheit nicht aufgreifen. Ich sagte mir, dass ich jeden Anschein eines besonderen Flehens vermeiden wollte, dass ich das Persönliche weglassen und zu tieferen Wahrheiten kommen wollte. Doch eigentlich suchte ich wohl am meisten für mich selbst nach einem Ausweg und einer Befreiung. Denn in den Jahren, in denen ich an diesem Buch gearbeitet habe – das mehr ein Mosaik als ein fortlaufender Diskurs oder eine Erzählung ist –, hat sich der Krebs ausgebreitet und ist zurückgegangen, meine Zukunftsperspektive trübte und erhellte sich und jede Tat und jeder Gedanke geschah in diesem Schatten. Der Aufbau des Buches spiegelt dies wider, nicht nur in bruchstückartig episodenhaften Passagen, sondern auch in der beschleunigten Dringlichkeit der letzten Kapitel. Ich bin ziemlich sicher, ich hätte auch dann über Glaubensthemen geschrieben, wenn ich nie krank geworden wäre. Das Verlangen danach ist in meinen früheren Arbeiten erkennbar. Doch ich vermute auch, ohne die Triebkraft einer schweren Krankheit hätte mein Schaffen nicht diese spezielle Form angenommen. Es wäre nicht ehrlich gewesen, hätte ich diese Dynamik ignoriert.

Als vor sieben Jahren mein Leben sich öffnete, wusste ich ganz genau, dass ich Glauben hatte. Aber an was genau, war weniger klar. Also beschloss ich, diese Frage zu beantworten, auch wenn ich zwischenzeitlich erkannte, dass die eigentliche Frage – die eigentliche Schwierigkeit – nicht im Was? sondern im Wie? steckt. Wie antwortet man auf dieses feurige Drängen im Innern? Und was könnte es vielleicht für das eigene Leben – und den eigenen Tod – bedeuten, diesen beharrlichen, unablässigen Geist anzuerkennen?

MEIN HELLER ABGRUND

Mein Gott, mein heller Abgrund,
in den all mein Sehnen nicht gehen will,
wieder komme ich an den Rand all meines Wissens,
und nichts glaubend glaube ich an dies:

***

Hier endet das Gedicht. Besser gesagt, es scheitert. Denn in den Jahren, seit ich diese Strophe geschrieben habe, versuche ich, meinen Weg hin zu seinem Abschluss zu erspüren, zu erzwingen. Doch unser Wille ist für Gedichte generell nicht besonders empfänglich und dieses erweist sich aus ganz offensichtlichen Gründen als besonders störrisch. Als wäre es nicht schon schwer genug, meinen Glauben in Worte zu fassen, scheine ich ihn durch einen einzigen Vierzeiler destillieren zu wollen. Nach wie vor kenne ich so meinen Verstand, dass ich mich vortaste durch den Klang der Worte zu den Vorstellungen, die sie schaffen. Und durch diese zu Ansichten des Lebens, die darüber hinausgehen. Ich habe immer an dieses „Darüber-hinaus“ geglaubt, selbst in den langen Jahren, in denen ich Gott nicht anerkennen wollte. Insofern hatte ich für das Gedicht etwas Ähnliches erwartet. Ich wollte, dass sich vor mir ein Bild auftut, das sowohl meinen wankenden Glauben festigt, sich aber auch darüber hinaus verzweigt, um mehr auszudrücken, als ich selbst sagen kann.

***

Ehrlich gesagt, ich sehne mich derzeit danach, deutlicher auszudrücken, was es ist, das ich glaube. Es ist nicht so, dass ich poetischer Wahrheit müde wäre oder dass ich das Gefühl hätte, sie wäre irgendwie schwächer oder weniger wahr als die Vernunft. Das Gegenteil ist der Fall. Die Inspiration ist für das Denken, was die Gnade für den Glauben ist: sich einmischend, transzendent, sich verändernd, aber auch flüchtig und allzu oft ungewöhnlich. Ein Gedicht kann gleichzeitig seinen Verfasser sowohl von der Existenz tiefer ergriffen machen als auch in erheblicher Weise von ihr entfremden, was es bezogen auf den Akt, ein Ende zu finden – angesichts einer Welt, die Grenzen zu sprengen scheint und letztlich doch bloß wieder zur Welt wird –, sehr schwierig macht, in dem ursprünglichen Moment der Inspiration überhaupt einen Glauben zu bewahren. Schließlich können die Erinnerung an dieses kurzzeitige Auflodern und die Kunst, die davon ausging, zu einem Tadel werden für das feuerlose Leben, in dem man sich die meiste Zeit befindet. Bei der Gnade verhält es sich nicht anders. (Künstlerische Inspiration ist manchmal ein Gnadenakt, wenn auch bei Weitem nicht immer.) Gnade zu erfahren, ist das eine, sie ins eigene Leben zu integrieren, etwas ganz anderes. Wonach ich mich momentan sehne, ist aber diese Integration – eine Sprache zu finden, die der transzendenten Natur der Gnade gerecht wird und doch der harten Realität, in der Glaube täglich stattfindet, angemessen ist. Ich sehne mich vermutlich nach der Poesie und der Prosa des Erkennens.

***

Als ich jung war, ungefähr zwölf Jahre alt, hatte ich eines Morgens in der Kirche eine „Erfahrung“. Ich setze das Wort in Anführungszeichen, weil die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, zwar eine deutliche Sprache besaß, um zu erklären, was mit mir passierte (ich wurde vom Heiligen Geist erfüllt, ich wurde erlöst), aber ich empfinde diese Sprache nicht mehr als zutreffend oder hilfreich, wenn ich daran denke, wie sich Gott – männlich, weiblich oder göttlich oder welches hilflose Adjektiv man auch immer verwenden mag – in der Realität und im Leben eines Einzelnen offenbart. Außerdem erinnere ich mich nicht wirklich an dieses Erlebnis. Ich erinnere mich, dass es passierte, aber nur so wie in dem halb wachen, sedierten Zustand nach einer kleineren Operation. Ich erinnere mich, zum Objekt von Staunen und Beifall Erwachsener geworden zu sein, aber schon damals kam mir das Kind, das diese Erwachsenen beschrieben, das weinte, zitterte und sich im Keller der Kirche eng zusammengerollt hatte, fremd vor.

Ich wuchs in einer flach gebauten, kleinen, sandgestrahlten Stadt in West-Texas auf: mit Ölbohrtürmen und Pick-ups, Baumwolle so groß wie geerdete Wolken, einer verlassenen Straße, einer betriebsamen Müllhalde und über allem ein riesiges, blaues und grenzenloses Nichts, das mir nie wirklich auffiel, bis ich wegging, und es begann, sich besorgniserregend in meinem Inneren auszubreiten. Diesen Ort überwiegend christlich zu nennen, ist, wie die Sahara als überwiegend sandig zu bezeichnen: Ich begegnete keinem einzigen wirklich Ungläubigen – bis zu meinem ersten Tag am College in Virginia, als ein beängstigend cooler Studienanfänger, der von einer Privatschule kam, seinen Atheismus genauso beiläufig erwähnte, als spräche er von seinem Lieblingsessen. Auch wenn ich gegenwärtig meine eigene Art von belesenem Atheismus akzeptieren würde – mit, ach, Bekehrungseifer natürlich –, hätte ich in diesem Moment damals nur noch schockierter sein können, wenn dieser Student angefangen hätte, den Kopf rundherum zu drehen und aramäisch zu sprechen.

Das Inseldasein, das meinen Schock ermöglicht hatte, ist zweifellos genau das, was Gott möglich machte – als eine spürbare Realität, die geneigt ist, zu handeln und einzugreifen, eine ahnungslose Seele wie eine Unwetterfront heimzusuchen. Das war, laut meiner Familie, an jenem Tag in der Kirche geschehen, als ich beim Aufruf, mich erlösen zu lassen, aufstand und, statt zum Altar und in die ausgebreiteten Arme des Pastors zu gehen, aus dem Gottesdienst floh und im Keller landete. Welche innere Anspannung erfasste mich derart, dass ich nicht ruhig bleiben konnte? Welche Liebe oder welches Urteil überwältigte mich dermaßen, dass ich nicht sprechen konnte? Schließlich fand mich, unzusammenhängende Worte murmelnd, weinend und wie in Ekstase, mein Vater. Niemand zweifelte an dem, was mit mir passiert war, noch spielte es eine Rolle, dass ich selbst keine Ahnung davon hatte. Ich war genauso heimgesucht worden wie einst Jakob oder Maria. Ich war berufen und erfüllt worden.

Es passt irgendwie, dass die intensivste geistliche Erfahrung meines Lebens wie ein Traum aus meinem Gedächtnis verschwunden ist (und damit ähnelt sie dem Leidvollen, das mich aus der Kirche getrieben hat, die mich doch offenbar so auf diesen Moment hin vorbereitet hatte). Dieser Moment bedeutet mir heute nichts, und ich neige dazu, ihn rational wegzuerklären: Ich wuchs in einer Kultur auf, die Jugendliche zu einer Bekehrung ermutigte – zu einer Bekehrung im Stillen, aber trotzdem zu einer Bekehrung. Allerdings sollte diese zeitlich so liegen, dass sie mit der Taufe eines Menschen zusammenfiel, was für Baptisten erst dann geschehen konnte, wenn man alt genug war, um zu verstehen, wozu man sich verpflichtete. Ich wurde also durch die Kultur erstklassig darauf vorbereitet, etwas zu erleben. Und dann verschworen sich meine eigene unterdrückte Fantasie und lang gehegte Langeweile, um auf diese geschürte Erwartung mit einem ausgesprochenen Entzücken zu antworten. Kurz gesagt: Ich habe es vorgetäuscht.

Doch diese Erklärung wirft Probleme auf. Denn es entspricht erstens ganz und gar nicht meiner Natur, theatralisch zu sein, die Bereitschaft zu haben, meine Gefühle ins Rampenlicht zu stellen und diese ungezügelt auszudrücken. Das alles fühlt sich für mich unangenehm an, selbst dreißig Jahre später. Auch ist es unwahrscheinlich, dass man eine solch simulierte Erfahrung einfach vergessen würde (bzw. könnte). Könnten all die dafür nötigen Überlegungen, die einstudierte Ausführung, die ganze Aufregung und Sorge der anderen Menschen tatsächlich einfach so in Vergessenheit geraten?

Natürlich gibt es da noch eine andere Möglichkeit: Die Erfahrung war echt. Zu echt. Doch nicht in dem Sinn wie Traumata, die wir deshalb in uns vergraben, sondern in einem anderen, zellenartigen Sinn – als ein vollständiges Sein, an das ich mich nicht erinnern kann, weil ich mich ihm nicht entziehen kann, weil ich kein „Ich“ finde, von dem aus ich mein Selbst sehe, das ich einen Moment lang war. Oder das ich nicht war. Angenommen, man würde von der Ewigkeit berührt, wenn einem also das ganze Drumherum von Zeit und Selbst genommen würde und man ganz Seele wäre, wenn Gott einem quasi so „passiert“ wäre – ist es dann nicht möglich, dass sich diese Erfahrung nicht mehr in das Land der Bohrtürme und Pick-ups zurückübersetzen ließe, in unsere tägliche Routine, in der wir Worte wie Selbst und Seele, Offenbarung und Bekehrung ganz selbstverständlich benutzen, so als wüssten wir, was diese bedeuten? Vielleicht habe ich es gar nicht „vergessen“. Vielleicht ist es auf zellulärer Ebene passiert – und passiert fortwährend weiter – und bedeutet mir nicht nichts, sondern alles. Vielleicht erinnere ich mich wie an einen atavistischen Impuls nicht daran, aber es erinnert sich an mich.

***

Kehrt man nach langem Umherirren zum Glauben seiner Kindheit zurück, tendieren Menschen, die völlig säkular orientiert sind, dazu, diesen Schritt abzutun oder ihn zumindest zu missbilligen. Sie sagen, er sei „psychologisch motiviert“. Dieser Motivation, das versteht sich von selbst, ist man sich selbst nicht bewusst. Wie es der Zufall will, hegt man selbst aber auch diesen Verdacht. Und dieser nagt an der Intensität der Erfahrung, die einen veranlasst hat, wenn auch still, seinen wiedergefundenen Glauben zu bekennen, sodass man sich schon bald in Argumenten zwischen Religion und Wissenschaft, Theologie und Geschichte gefangen sieht und versucht, die Glaubenslehre wie ein riesiges, zerrissenes Zelt im Wind zu befestigen.

Letztlich gibt es keine Möglichkeit, „zum Glauben der eigenen Kindheit zurückzukehren“, es sei denn, man erwacht aus einem jahrzehntelangen und absolut wörtlichen Koma. Glaube verhält sich nicht wie ein Land, an das man sich halbwegs erinnert und in das man eines Tages wie ein König, der lange im Exil gelebt hat, zurückkehrt, alte Weisheit verkündet und die radikalen, aufrührerischen Aspekte des eigenen Wesens, durch die man betrogen wurde, hinauswirft. Nein. Das Leben ist kein Irrtum, selbst wenn es einer ist. Das soll heißen, der Glaube, den man am Ende seines Lebens hat, wird nicht nur durch das Leben beeinflusst, sondern ist stark davon abhängig. Denn Glaube an Gott ist im tiefsten Sinn Glaube an das Leben – das heißt, dass selbst das unerschütterlichste Glaubensleben ein Leben mit großen Veränderungen ist. Daraus folgt, wer mit fünfzig glaubt, was er mit fünfzehn geglaubt hat, hat nicht gelebt – oder er hat die Wirklichkeit seines eigenen Lebens geleugnet.

Zuzugeben, dass es vielleicht ein psychologisches Bedürfnis gibt, das inspiriert, zum Glauben zurückzukehren, schließt die geistliche Notwendigkeit weder aus noch mindert sie. Genauso wenig schmälert ja die Kenntnis über chemische Zusammenhänge bei der sexuellen Anziehungskraft das Geheimnis anhaltender menschlicher Liebe. Glaube kann einen nicht vor den Ansprüchen des Verstandes retten, außer insofern, als dass er diese wunderbar schreckliche Zeit bewahrt und schützt, in der der Verstand, wenn auch nur für einen kurzen Moment, seinen Anspruch auf einen Menschen verliert.

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Im Radio höre ich, wie ein berühmter Schriftsteller seinen Vater dafür lobt, dass er einen langen, schweren Todeskampf ertragen hat, ohne jemals „in der Religion Linderung zu suchen“. Aus der Beschreibung des Sohnes wird deutlich, wie verzweifelt der Vater war. Dass er sich an nichts als an seinem Stolz festhalten konnte, als diese kalten Wasser über ihm zusammenschlugen, und wie er ertrank, während er sich an dieses Nichts klammerte. Ist das bewundernswert? Dass wir unsere Verzweiflung stoisch mit in den Tod nehmen, dass nicht einmal die schlimmste Not unseres Lebens uns verändert? Wie erstaunlich ist diese Hartnäckigkeit, mit der wir uns an Glaubensvorstellungen klammern, die uns elend fühlen lassen, oder die sich angesichts extremen Leids – oder großer Freude – als so offensichtlich unzureichend erweisen. Doch die Spannung liegt hier nicht nur zwischen Glauben und fehlendem Glauben. Ein Christ, der unablässig, aber im Wesentlichen nur seicht glaubt, erlebt vielleicht, dass er berufen ist, die ganze menschliche Wahrheit über Gott zu ertragen, die die Abwesenheit Gottes ist, und er ist vielleicht am Ende selbst mit der absoluten Leere des Kreuzes konfrontiert. Gott spricht in jedem Moment zu uns und Gott ist Leben, dieses Leben. Bis zu unserem letzten Atemzug bleibt uns die Möglichkeit zu radikaler Veränderung. Insofern ist es die größte Tragödie unseres Menschseins, nicht im Hier und Jetzt und nicht rechtzeitig zu leben.

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Ich will damit nicht sagen, die Haltung stoischer Akzeptanz wäre nicht manchmal eine lohnenswerte. Ich weiß nicht, was im Kopf des Vaters dieses Schriftstellers vor sich ging (die Verzweiflung schien gegen die stoische Akzeptanz zu argumentieren), doch was im Kopf des Schriftstellers vor sich ging, war unübersehbar deutlich: die alte Angst, Religion sei eine Krücke, freudsche Wunscherfüllung, eine endgültige Verweigerung des Lebens – die, um Leben zu sein, das volle Bewusstsein über den Tod einschließen muss –, statt ein letztendliches Aufblühen des Lebens. Einige Christen verweisen gern auf Anekdoten (die möglicherweise apokryph sind), wie die von Nietzsche, jenem Verehrer reiner Macht, der am Ende seines Lebens den Verstand verlor, weil er gesehen hatte, wie ein Pferd geschlagen wurde; oder Wallace Stevens, den großen modernen Dichter des Unglaubens, der sich auf dem Sterbebett zum katholischen Glauben bekehrte. Aber es gibt wiederum viele Anekdoten, die diesen entgegenzusetzen sind: Freuds Mut, mit dem er seine tödliche Krankheit ertrug, Camus’ unerschütterlicher, unabhängiger Humanismus angesichts des Chaos und der Verdorbenheit, die er sowohl mit eigenen Augen sah, als auch sich vorstellte („… was man in Plagen lernt, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt.“ – Die Pest1). Bei Camus findet sich keine Spur von Resignation oder Kapitulation. Die unerschütterliche, eigensinnig humane Art seines metaphysischen Nihilismus enthält sogar etwas, das einen metaphysischen Glauben ausmacht. Wenn es stimmt – und ich glaube, dass es stimmt –, dass in diesem Glauben etwas fehlt, dass er mehr wie der moralische Mut eines Einzelnen erscheint als wie eine Anweisung für das Leben, mehr ein persönlicher Kodex als ein universeller Glaube, stimmt es auch, dass die ganze nachfolgende Christenheit den „Schmelztiegel des Zweifels“ (wie es Dostojewski früher schon nannte) passieren muss, den Denker wie Camus durchgemacht haben.

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Wäre Gott eine Salbe, die auf unerträgliche psychische Wunden aufgetragen wird, oder eine Traumfigur, die aus Erinnerungen und Todesangst entsteht, oder ein Ausweg vor einem Leben, das entweder zu entsetzlich oder zu banal geworden ist, um es zu ertragen, muss ich zugeben: Bei mir funktioniert das nicht. Gerade wenn ich denke, ich hätte endlich eine Balance zwischen aktiver Hingabe und ehrlichem modernem Bewusstsein gefunden, treten meine ganzen alten Ängste auf und drängen an die Oberfläche, und ich fühle mich genauso unbeständig und gelähmt wie zuvor. Ich kann nicht sagen, was schlimmer ist: empfindungslos zu sein und abseits der Welt zu stehen und zu wollen, dass das Sein mich wach brennt, oder dieses Feuer so akut zu fühlen, dass ich mich nach nichts anderem sehne als danach, in die Alltäglichkeit zu fliehen. Was ich aber weiß, ist, dass die Hinwendung zu Gott meine Ängste nicht verringert hat, und ich ertappe mich ständig dabei, dass ich in Wunden, Wünschen, Entsetzen zurückfalle, die ich überwunden zu haben glaubte.

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Doch es ist Vorsicht geboten. Man sollte sich vergewissern, dass das Bedauern über die eigene Unfähigkeit, in Gott zu ruhen, keinen Hauch von Selbstgefälligkeit oder gar Überheblichkeit in sich trägt, sodass das Klagen über die eigenen Ängste nur die Abhängigkeit von ihnen untermauert. Nichts ist schwerer zu überwinden als Sorgen und Ängste, die uns nützlich geworden sind. Ob sie nun Erklärungen sind für ein Leben, das nie ganz seine wahre Kraft oder Richtung findet, oder der Treibstoff für Ehrgeiz oder eine Art selbstbezogene säkulare Religion, die uns paradoxerweise mit anderen vereint, und zwar in dem gemeinsamen Sinn vollständiger Isolation: Zu Hause fühlt man sich in der Welt nur, weil man sich in der Welt nie zu Hause fühlt.

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Für diese letzte Selbstzufriedenheit sind Künstler unserer Zeit besonders empfänglich, gerade weil sie getarnt als einsame, heldenhafte Stärke daherkommt. Doch manchmal ist sie wirklich eine Stärke, so wie bei Giacometti, Beckett, Camus, Kafka. Doch es ist eine tiefe Wahrheit des Menschseins – und, wie ich ergänzen möchte, ein Hinweis auf den unsterblichen Geist, der uns immer zu sich hinzieht –, dass selbst unsere fantasievollsten Entdeckungen dazu verurteilt sind, bloß Verse und Meinungen zu sein. In diesem Sinne macht die Kunst im Laufe der Zeit Fortschritte, auch wenn diese Fortschritte für gewöhnlich ein Wiederaufleben von Elementen und Ideen einschließen, von denen wir dachten, wir hätten sie endgültig hinter uns gelassen. Das gilt nicht nur für diejenigen, die im Sog der großen Errungenschaften mitschwimmen, sondern auch für diejenigen, die diese selbst zustande brachten. Welcher Glaube könnte selbstvernichtender sein und seine eigene Unzulänglichkeit effektiver artikulieren und dadurch seinen eigenen Untergang vorhersagen als der Existenzialismus des 20. Jahrhunderts? Zu sagen, dass es über diese Welt hinaus, jenseits dieser Welt, die wir sehen, nichts gebe, erhebt den Tod zur letzten Autorität über unser Leben und bedeutet, einen Samen der Bedeutungslosigkeit in dieses Verständnis zu säen. Den vier oben erwähnten Künstlern war das bewusst und sie machten dieses fatale Wissen zu einem glühenden, neuen und nötigen Glauben: die strenge, „absurde“ Hartnäckigkeit des Geistes sowohl bei Camus als auch bei Beckett; die schreckliche, entstellende Eventualität, die in Giacomettis Skulpturen das Gesicht des Schicksals annimmt. Hier findet sich echtes Heldentum, aber auch – zunächst schwach und dann hartnäckiger, schädlicher – ein Bewusstsein für Heldentum. (Nur Kafka scheint sich seiner Niederlage voll bewusst zu sein: Er ist vielleicht der „geistlichste“ Künstler in dieser Gruppe, obwohl er sein Elend zu sehr schätzt, als dass er jemals davon befreit werden könnte.) Dieser Makel – der Stolz des Künstlers – hat den Ausschlag gegeben, die Leistung zu ermöglichen, aber er ist auch der Riss, der mit der Zeit langsam breiter wird, der die Leistungen zwar nicht schmälert, aber sie menschlich macht, sie relativiert. Erkenntnisse, die einmal unabänderlich und universell erschienen, fangen an, ein wenig mehr wie zeitgebundene, individuelle Ansichten auszusehen – Ansichten, von denen man unausweichlich irgendwann weiter vorwärtsgehen muss.

***

Der christliche Glaube an sich ist in gewissem Maße zeitgebunden, relativ. In jedem Zeitalter stirbt Jesus in der Vorstellung des Menschen neu und steht neu von den Toten auf. So konnte er für das England des 18. Jahrhunderts ein Paradebeispiel der Vernunft sein, eine heldenhafte Gestalt in der Vorstellung der Romantiker und ein Beispiel existenziellen Mutes für Autoren wie Paul Tillich und Rudolf Bultmann. Dass Jesus immer wieder nach dem Bild des Menschen geschaffen wird, entspricht also der Wahrheit. Allerdings schließt das ein, dass seine Realität immer wieder entstellt wird, um den menschlichen Bedürfnissen, beziehungsweise dem, was Menschen als ihre Bedürfnisse ansehen, zu entsprechen. Eine tiefere Wahrheit jedoch, die die Bibel nahelegt, wenn sie davon spricht, dass das ewige Wort konkret Fleisch wurde, ist, dass es keine Permutation, keine Anordnung einer bestimmten Reihenfolge, in der Menschheit gibt, in der Jesus nicht präsent wäre. Sollte jede Bibel verloren gehen, jede Gemeinde und Kirche sich in Staub auflösen und der letzte Gläubige im letzten Gebet die Augen aufschlagen und endgültig alles loslassen, so erschiene Christus genauso ruhig und beiläufig auf dieser Erde wie den Jüngern, als sie nach seinem Tod nach Emmaus gingen und diesen Mann nicht erkannten, dem sie ihr Leben versprochen hatten. Sie hatten gesehen, wie dieser Mann geschlagen, gekreuzigt, von Gott verlassen worden war. Dieser Mann, der – nachdem er mit ihnen auf der staubigen Straße gegangen war, nachdem er mit ihnen ein gewöhnliches Essen geteilt und mit ihnen über Gottes Wort gesprochen hatte – erneut verschwinden musste, damit sie sehend werden konnten.

***

Denke ich an die Jahre, in denen ich nicht glaubte, verblüfft mich am meisten, wie wenig dieser Mangel wirklich mein Leben störte. Was den Glauben betraf, lebte ich weder mit Gott noch mit seiner Abwesenheit, sondern in einer leichten Unentschlossenheit. Ich ließ mich auf einer Welle kleiner Belanglosigkeiten durch den Tag treiben – eine Publikation, ein Flirt, ein starkes Argument für irgendeinen schwachen Nihilismus – und die Nächte vergingen langsam und alkoholisiert, während sich mein Verstand den Luxus gönnte, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Ich erkenne heute, wie tief sich Gottes Abwesenheit auf mein unbewusstes Leben ausgewirkt hat, wie unter mir immer dieser lange Fall war, vor dem mich Stolz und Angst und Selbstliebe einerseits beschützten und dem sie mich andererseits aussetzten. War es ein Sturz in den Glauben? Oder in den Unglauben? Beides. Denn als mich die Gnade weckte für Gottes Gegenwart in der Welt und in meinem Herzen, weckte sie mich auch für seine Abwesenheit. Ich habe den Schmerz des Unglaubens erst wirklich gefühlt, als ich anfing zu glauben.

***

Als ich dem Glauben zustimmte, der latent in mir da war – ich formuliere das vorsichtig, und zwar ganz bewusst, denn es gab kein strahlendes Licht, keinen himmlischen Dienstboten oder Racheengel, der mein Leben zerriss; vielmehr war es, als wäre der winzigste Same des Glaubens endlich in mir aufgekeimt, oder genauer ausgedrückt, als wäre ich auf eine seltene Blume mitten in der Wüste gestoßen und hätte gewusst, obwohl ich sie in diesem Moment erst entdeckte, dass sie Jahr für vertrocknetes Jahr unvorstellbar in mir geblüht und die ganzen Jahreszeiten meines Unglaubens überlebt hat. Als ich in den Glauben einwilligte, der latent in mir da war, verblüffte mich, wie meine Ausflüchte und Verwirrungen, die ich irrtümlich für eine starke Zielstrebigkeit gehalten hatte, in meinem Leben zum Ausdruck gekommen waren: Gedicht für Gedicht über nicht näher benannte und unsagbare Versäumnisse; Beziehungen, die so offensichtlich zum Scheitern verurteilt waren, dass sie praktisch mit einem Verfallsdatum begannen; Stadt für Stadt von Eindrücken geplündert und endgültig verlassen, als wäre ich irgendein Eroberungsheer der Erkenntnis, das nichts so gesehen hat, wie ich jetzt sehe. Vielleicht ist es nie der Unglaube, der letztlich aktiv und bewusst einen Menschen zerstört, sondern der uneingestandene Glaube oder ein Bedürfnis nach Glaube, das so stark ist, dass es immer wieder schweigend auf den Kreuzen der Wissenschaft, des Humanismus, der Kunst oder (um das zu nennen, das all diese Gaben Gottes vergiftet) des eingebildeten Selbst gekreuzigt wird.

***

Heute passieren sie nicht mehr, die Sandstürme meiner Kindheit, als sich der westliche Horizont ocker färbte und der Marktplatz leerte. Lange bevor der Sturm eintraf, konnte man den Staub auf der Zunge fühlen, konnte man fühlen, wie die Erde unter einem – und sogar etwas in einem – sich leicht zu lösen schien. Bald darauf begannen Steppenläufer leichtfüßig vorbeizuspringen, ein kleiner Staubteufel wirbelte feuerlos auf dem leeren Platz gegenüber unserem Haus, und Vögel begannen, mit angelegten Flügeln vorbeizuschießen, so als würden sie durch die Luft geschleudert. Schlimmer als Schnee, schlimmer als Eis ist ein böser Sandsturm, der die Welt zu kleinen Augenschlitzen schrumpfen lässt, wenn sich von den Feldern eine formlose, kreatürliche Masse erhebt, die sich an jede unbedeckte Haut heftet, so als ob der Staub sich erinnere, was es war, das dich ausmacht – lebend, lebendig – und die Rückkehr suchte. Jetzt treten sie nicht mehr auf, diese Sandstürme. Ob nun wegen dem, was wir gelernt haben, oder weil sich die Erde selbst verändert hat. Dennoch kann ich die Augen schließen und sehen, wie an den Wurzeln all der Bäume gezerrt wird, so als wollten sie sich aus der Erde lösen. Und ich kann das längst vergangene Heulen hören, das nun furchtbarer ist, weil es stumm ist.

***

„Herr, ich kann mich dir nur mit Mitteln meines Bewusstseins nähern, aber das Bewusstsein kann sich dir nur als ein Objekt nähern, das du nicht bist. Ich habe keine Hoffnung, dich so zu erleben, wie ich die Welt erlebe – direkt, unmittelbar –, aber nichts will ich mehr. Mein Hunger nach dir ist tatsächlich so groß – oder ist das ein Beweis deines Hungers nach mir? –, dass ich dich zu sehen scheine in der schwarzen Blume, die Trauernde neben einem Grab, das ich nicht kenne, bilden; im Inneren der Glut wie einen strahlenden Bienenstock; im bloßen Überfluss eines Baumes im Winter, an dem jeder Ast vom Schnee beleuchtet und beladen ist. Herr, Herr, wie hell ist der Abgrund im Inneren dieses ,scheine‘.“