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Buchinfo

Patienten, ich komme! Als frisch gebackene Assistenzärztin tritt Lena endlich ihren Dienst am St. Anna an. Und zwar gleich mitten in der Notaufnahme! Doch es ist gar nicht so einfach, sich als weltbeste Ärztin zu beweisen – besonders, wenn man Seite an Seite mit Dr. Thalheim arbeitet. Und so stehen im Leben und in der Liebe noch einmal alle Zeichen unverhofft auf Anfang.

Die Krankenhausserie mit Herzklopfen-Garantie.

Autorenvita

Antonia Rothe-Liermann

© privat

Antonia Rothe-Liermann, geboren 1978 in Halle/Saale, studierte Film- und Fernsehdramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in Potsdam-Babelsberg. Danach arbeitete sie als Storyliner und Autorin für verschiedene Produktionen der Grundy UFA und teamworx. Seit 2007 schreibt sie als freie Autorin für Spielfilme und Serienproduktionen. Sie verfasste u. a. als Co-Autorin Drehbücher für die RTL-Erfolgsserie »Doctor’s Diary« (Chefautor: Bora Dagtekin).

Antonia Rothe-Liermann – MISS EMERGENCY | Überdosis Schmetterling – Planet Girl

1

Noch ein Stück Kirschtorte, bitte!«

Kirschtorte, ah ja. Hab ich hier vorn in der Auslage. Jetzt nur schön vorsichtig auf das Papptellerchen heben. Wenn das Stück umfällt, vermatscht es. Und die Kundin sieht nicht sehr geduldig aus.

Moment mal, Lena, was tust du hier? Stehst du wirklich gerade im weißen Bäckerinnenkittel hinter einer Tortenauslage?

Ach ja, ich bin Verkäuferin geworden. Bäckereifachverkäuferin. Nachdem das mit dem Medizinstudium in letzter Sekunde gescheitert ist. Ich erinnere mich nicht mehr genau, WIE es kam. Aber DASS es so kam, beweist ja die Tatsache, dass ich hier stehe und um Torte gebeten werde.

Anstrengend ist er, mein neuer Beruf. Ich bin hundemüde. Kein Wunder, ich fange jetzt immer mitten in der Nacht an zu arbeiten.

»Schläft sie?«

Nein, liebe ungeduldige Kundin, sie schläft nicht. Sie ist nur langsam, weil müde. Und weil es nicht ganz leicht ist, Tortenstücke unfallfrei auf Papptellerchen zu heben, wenn einem vor Übermüdung die Hände zittern. Und man zu allem Überfluss statt eines Tortenhebers nur eine Diagnostik-Lampe zur Verfügung hat. Die zu rund ist und zu kurz, um damit Torte aus der Auslage zu hebeln. Sie ist für ganz andere Dinge geschaffen. Dafür, den Mund-Rachen-Raum zu untersuchen. Soll ich etwa der Kundin in den Rachen leuchten? Erst mal kontrollieren, ob da nicht noch ein Stück Torte quersteckt? Warum zur Hölle stehe ich mit einer Diagnostik-Lampe hinter dem Kuchentresen?!

»Frau Weissenbach, nein! Sie dürfen nicht schlafen!«

Ich schlafe doch nicht, ich ARBEITE! Nur langsam …

Jemand rüttelt mich an der Schulter.

»Möchten Sie auch noch ein Stück Kirschtorte?«

Mein linkes Auge öffnet sich einen winzigen Spalt. Das hier ist nicht der Bäckereitresen. Ich setze mich mit einem erschrockenen Satz gerade hin. Aua, mein Rücken! Die Nacht in der Backstube hat ihm einiges abverlangt.

Nein, Lena. Keine Backstube. Das hier ist der Arztraum. Schwester Rita beugt sich über mich, rüttelt noch einmal an meiner Schulter, sodass meine Zähne aufeinanderklappern.

»Sie dürfen nicht schlafen!«

ICH SCHLAFE DOCH GAR NICHT!

Schwester Anne hebelt ein Stück Torte auf ein Tellerchen und hält es mir unter die Nase. »Hier, nehmen Sie noch eins!«

Schwester Rita hat gebacken. Für mich. Zur Feier meiner ersten alleinverantwortlichen Nachtschicht.

Nein danke, Schwester Anne. Ich will keinen Kuchen mehr. Ich will schlafen.

Seit zehn Uhr abends bin ich hier. Mittlerweile zeigt die bunte Uhr, die im Arztraum über der Tür hängt, fast drei. Um drei ist mein toter Punkt. In den letzten vier Wochen, in denen ich an der Seite des jeweiligen Nachtschicht-Verantwortlichen meine Eingewöhnungszeit in der Notaufnahme verbracht habe, kam das fiese Tief immer gegen drei.

Aber heute bin ich es. Die Nachtschicht. Ganz allein. Zum ersten Mal. Und für die Nachtschicht-Verantwortliche Lena gibt es nur eine Regel: nicht einschlafen. Bis acht Uhr morgens.

Ungeklärt ist nur, warum dann so gemein-gemütliche Sessel im Arztraum stehen. Und warum ich mich hingesetzt habe.

One … two … three … Bevor der Ringrichter mich auszählt, bin ich wieder auf den Beinen. Ich schwanke … aber ich stehe. Der Kampf kann weitergehen.

Notaufnahmeärztin Lena Weissenbach. In der Facharztausbildung zur Internistin. Fünfte Woche. Leicht angeschlagen. Aber entschlossen.

Während des PJs habe ich nie ernsthaft geplant, Internistin zu werden. Schon gar nicht in meinem Tertial auf der Inneren. Doch kaum hatte ich meine Approbation in der Hand, schien alles klar. Dass ich zur Chirurgin nicht tauge. Dass Gynäkologin ein schöner, dankbarer Beruf ist, ich mir aber etwas Abwechslungsreicheres erhoffe. Innere Medizin ist ein Fach, das ich mir tatsächlich als lebenslange Aufgabe vorstellen kann.

Als ich meinen Plan kundtat, haben meine Freundinnen die Augenbrauen gerunzelt. Also Isa hat gerunzelt, still und nachdenklich. Jenny hat dazu ein lautes, entsetztes »Spinnst du?!« trompetet – und mir kopfschüttelnd vorgehalten, was meinem neuen Lebensplan entgegenstehen könnte. Nichts Fachliches, nein. Aber: Tobias, der Oberarzt der Inneren, wäre mein Vorgesetzter, mein Ausbilder.

Tobias, mit dem mich zugegeben eine etwas schwierige Geschichte verbindet. Ein Zusammen-Sein. Eine Trennung. Eine Rückkehr. Eine Absage. Eine schwierige Wiederannäherung als Freunde. Irritierende Traum-Besuche seinerseits, mitten in meinen Vor-Prüfungs-Nächten.

Aber ich bin überzeugt, dass die seltsame Nicht-Beziehung zum Oberarzt und unsere neue, noch etwas wacklige Freundschaft meinem Wunsch, Internistin zu werden, nicht im Weg stehen.

Okay, ich fange nicht nur in der Notaufnahme an, weil das die schwierigste Herausforderung ist. Sondern auch, weil selbst mir ein bisschen unwohl war bei dem Gedanken, vom ersten Tag an bis zum Ende meiner Facharztzeit rund um die Uhr mit Tobias zusammen zu sein.

Ja, ich hätte an eine andere Klinik wechseln können. Aber am St. Anna kenne ich schon alle Kollegen, ich will nicht noch mal umziehen und ich weiß, dass ich an diesem Krankenhaus eine erstklassige Ausbildung bekomme. Mit Tobias hat das nichts zu tun. Schon vergessen, Jenny – ich HABE einen Freund.

Alex. Der immer für mich da ist. Der jeden Tag zu etwas Besonderem machen kann. Den ich bloß in den vergangenen vier Wochen sehr selten gesehen habe.

Doch, GESEHEN habe ich ihn. Mit einem halben, müden Auge. Wenn ich abends nach der Tagschicht wie erschossen ins Bett fiel. Oder morgens nach der Nachtschicht schon im Bad eingeschlafen bin. Zweimal hat er mich nach den ersten drei Schlucken Wasser aus der Badewanne gezogen … bis ich eingesehen habe, dass Baden nach der Schicht nur von Weitem entspannend wirkt, tatsächlich aber lebensgefährlich ist.

Der Tagschicht-Nachtschicht-Wechsel ist das Gemeinste an meinem neuen Job. Nach einer Nachtschicht hat man den Rest des angebrochenen Tages zwar frei, verschläft den aber. Die wenigen verbleibenden Stunden sind dann im Verkehrte-Welt-Modus, Aufstehen am Nachmittag, Frühstück zur Kaffeestunde. Und am nächsten Morgen hat man dann meist schon wieder die Tagesschicht.

Tagschicht ist mein Stichwort. Noch fünf Stunden, dann beginnt sie. Knapp fünf Stunden bin ich hier noch allein. Bisher ist die Nacht gut verlaufen. Zwei Platzwunden, eine leichte Lebensmittelvergiftung, ansonsten blieb es bisher ruhig. Nichts, was ich nicht schon einmal gesehen habe.

Denn das wäre momentan das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann: dass mir ein Patient unterkommt, dem ich nicht allein helfen kann. Ja, ich weiß, theoretisch kann ich alles. Ich habe das Studium überstanden, das PJ, das Hammerexamen. Meine Approbation sagt: Konfrontieren Sie diese Ärztin mit was auch immer, sie kann Ihnen in jedem Fall helfen.

Aber ich schwöre, es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man als PJlerin ein paar Fälle nach Absprache betreuen darf oder plötzlich für eine ganze Station zuständig ist. Noch dazu für die Notaufnahme!

Natürlich kann ich mich mit den Oberärzten absprechen – als Alleinverantwortliche habe ich einen Arzt im Hintergrund, den ich jederzeit anrufen kann und der mir dann zu Hilfe eilt. In spätestens einer Viertelstunde wäre er hier und würde übernehmen.

Nur will man ja nicht bei jedem Schritt fragen. Und eigentlich muss ich das auch nicht … Es ist nur nicht ganz leicht, so schnell so viel Zutrauen in das eigene Können zu entwickeln, wenn man erstens Anfängerin ist, zweitens keinen Hang zu unbeschwerter Selbstüberschätzung hat und drittens enorm unter Druck steht, weil die Entscheidungen, die man möglicherweise falsch trifft, die Gesundheit oder gar das Leben der Patienten gefährden könnten!

Der »Hintergrund«, der mir heute zugeteilt wurde, ist Dr. Ross. Und die möchte ich wirklich nur anrufen, wenn mir ein Fall unterkommt, mit dem ich absolut nicht umgehen kann. Eine Diagnose, die ich noch nie außerhalb eines Lehrbuchs gesehen habe. Oder eine Therapie, die ich noch nie gemacht habe. Oder falls es einfach … schlimm ist. Mir Angst macht. Mich überfordert. Auf Anhieb fallen mir 50 Dinge ein, die mich überfordern könnten. Denk nicht daran, Lena!

Bisher hast du heute Nacht alles allein entscheiden können. Denk nicht darüber nach, was passiert, wenn du dich zwischen Ich weiß, was zu tun ist und Hier sollte ich lieber nachfragen falsch entscheidest.

Fest steht: Für Angst ist in meinem neuen Job kein Platz.

Zum Glück sind mir heute Nacht zwei erfahrene Schwestern zur Seite gestellt worden.

Im Vorhinein haben mich viele gewarnt: All die anderen Klinikangestellten, die mich bisher nur als Studentin kennen, schalten keineswegs plötzlich auf ernstzunehmende Ärztin um. Aber heute bin ich froh, dass Schwester Rita und Schwester Anne sehr gut wissen, dass es meine erste Nacht ist. Nicht nur, weil sie Torte für mich gebacken haben. Auch, weil Schwester Rita den gerade angekündigten Notfall mit den beruhigenden Worten übermittelt: »Alkoholvergiftung. Kein Problem. Offenbar nicht die schlimmste Sorte und kein Minderjähriger.«

Das Meldesystem informiert uns, dass der Patient 32 und männlich ist, 2,9 Promille hat und in drei Minuten hier sein wird. Er ist noch ansprechbar und kreislaufstabil, es wird kein Schockraum benötigt.

Wenn Patienten selbstständig in die Notaufnahme kommen, bin ich auch für die Erstdiagnose zuständig. Werden Patienten mit dem Rettungswagen gebracht, weiß ich wenigstens schon im Voraus, was mich erwartet. Zwei Minuten bleiben mir, um mein inneres Lehrbuch zu checken. Eine Alkoholintoxikation entsteht ausschließlich durch übermäßigen Alkoholgenuss. Ab 2 Promille kommt es zu eingetrübtem Bewusstsein bei aufgehobenem Erinnerungsvermögen. Lebensgefahr besteht bei Erwachsenen ab etwa 4 Promille, der Mann hat 2,9, ich muss also wirklich nicht mit dem Schlimmsten rechnen.

Vitalfunktionen sichern!, mahnt mein inneres Lehrbuch. Bei Bewusstlosen immer auch an Hypoglykämie denken! Moment, bewusstlos ist er nicht. Aber das hier könnte noch wichtig sein: Auf Verletzungen achten! Der Betrunkene könnte gestürzt oder vielleicht sogar in eine Schlägerei geraten sein. Die Leitstelle hat davon nichts erwähnt …

Noch eine Minute. Kannst du das, Lena? Sicher? Jawohl, nicke ich mir Mut zu, Alkoholintoxikationen habe ich schon etwa 18-mal behandelt. Ich muss mir nur noch einmal sagen, dass Schwester Rita so etwas schon 800-mal gemacht hat. Und Dr. Ross muss ich auch für diesen Fall nicht aus dem Bett klingeln.

Der Rettungswagen fährt vor.

Die Sanitäter schieben den Mann auf einer Trage in den Aufnahmeraum. Der Patient ist ansprechbar, auch wenn seine Antworten auf meine Fragen unzusammenhängend und nur schwer verständlich sind. Ihm scheint vor allem wichtig, mir mitzuteilen, dass er nur zwei Bier getrunken hat. Höchstens drei.

Ich überlege kurz, was es bedeuten würde, falls das stimmt. Es könnte sich um eine Doppelvergiftung handeln; vielleicht hat er noch etwas anderes eingenommen? Dank der Blutwerte können wir das ausschließen. Okay, dann waren es wohl doch mehr als zwei bis drei Biere.

Verletzungen oder Prellmarken von einem Sturz wurden nicht festgestellt; der Patient war allerdings leicht unterkühlt; das Rettungsteam hat ihn auf der Straße aufgelesen.

Wir halten die Atemwege frei und geben Sauerstoff. Ich kann bei der körperlichen und neurologischen Untersuchung keine gravierenden pathologischen Veränderungen feststellen. Also müssen wir auch nicht röntgen.

Der Mann muss seinen Rausch ausschlafen und wird währenddessen am Monitor überwacht. Wenn er wieder gangstabil und vollständig orientiert ist, dürfen wir ihn entlassen. Bis dahin bleibt er unter Beobachtung. Das Letzte, was ich von ihm sehe, bevor Schwester Anne die Liege aus dem Untersuchungsraum schiebt, ist seine zitternd erhobene Hand, mit der er mir zwei Finger zeigt. Schon klar. Nur zwei Bier.

Na bitte, Frau Weissenbach, das hast du doch ziemlich vorbildlich hingekriegt. Belohnung, Belohnung, BELOHNUNG! Ein Stück Kirschtorte. Eine Minute hinsetzen. BEIDES!

Die Kombination aus Sessel UND Torte bewahrt mich vor den gefährlichen Folgerisiken des Hinsetzens. Denn sollte die Sitz-Gemütlichkeit wieder unkontrolliertes Einschlafen provozieren, würde die Entspannung der Halsmuskulatur dazu führen, dass mein Gesicht mit dem auf meinen Knien abgestellten Torten-Teller kollidiert. Und die Aussicht, dann dem nächsten Patienten als Charlie-Chaplin-Sahnegesicht gegenübertreten zu müssen, ist so abschreckend, dass all meine Kopf-Stütz-Muskeln zur Verhinderung dieser Peinlichkeit ihre letzten Kräfte mobilisieren.

5 Uhr 52. Noch zwei Stunden bis Bett.

Es ist komisch. In einer Sekunde bin ich Schlaf-Augen-Lena, Schlurf-Lena, Halb-Traum-Lena … doch in der nächsten Sekunde wird der innere Einschlaf-Alarm vom äußeren Notfall-Alarm übertönt – und in mir richtet sich diese andere Lena auf, Frau-Weissenbach-ein-Kreislaufkollaps-Lena, Notärztinnen-Lena, Hellwach-Lena. Sie streckt sich einmal, bis sie meinen Körper vollständig ausfüllt, und übernimmt dann Denken und Handeln.

Ein Kollaps kann unterschiedliche Ursachen haben, Medikamente oder Unterzuckerung, aber auch Herzrhythmusstörungen oder gar Hirndurchblutungsstörungen. Notärztinnen-Hellwach-Lena eilt los zur Diagnostik.

Am Empfang steht ein nervöser junger Mann. Er bringt seine Freundin, sie ist vorhin kurz ohnmächtig geworden, beide machen sich Sorgen. Notarzt-Lena erläutert den Zusammenhang zwischen einem kurzen Abfall des Herzminutenvolumens und einer Ohnmacht. Die zwei waren in einer Disco und auf meine Frage, ob es dort heiß war, fächeln beide synchron illustrierend mit den Händen. Gut, dann vermute ich einen kleinen Hitzekollaps. Notarzt-Lena klärt trotzdem alles andere ab. EKG-Registrierung, Blutzuckermessung, neurologische Untersuchung. Ich finde keine Anzeichen für eine Herzrhythmus- oder gar eine Hirndurchblutungsstörung und kann die beiden beruhigen. »Gehen Sie nach Hause, legen Sie sich hin, trinken Sie viel und ruhen Sie sich einfach aus, okay?« Die zwei nicken, der Mann hakt seine Freundin unter und Arm in Arm verlassen sie das Zimmer. (Und weil Notarzt–Lena sich eine ganz kurze Verschnaufpause gönnt, ist in meinem Kopf eine Sekunde lang Platz für Mädchen-Lena, die sich wünscht, dass sie innerhalb der nächsten 24 Stunden auch mal Gelegenheit findet, ihren eigenen Freund zu sehen.)

Schwester Rita geht sich ein letztes Stück Torte einverleiben. Und ich darf meinen Weiterbildungskatalog mit einem EKG füttern.

In den kommenden fünf Jahren werde ich diesen Katalog vollsammeln. Alle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die ich können muss, um Facharzt zu werden, sind hier eingetragen. Natürlich genügt nicht ein einziges EKG. Manche Behandlungen muss man 20-mal absolviert haben, andere 200-mal. Die Richtzahl für Elektrokardiogramme ist 500. 500 minus 1 sind 499. Du näherst dich deinem Ziel im Mars-Raketen-Tempo, Lena!

Nun gut, heute Nacht ist die Rakete ziemlich klein. Winzig. Sie hat höchstens Überraschungsei-Größe. Und auch nur die Beschleunigungskraft von einem dieser kleinen Plastik-Spielzeuge. Auch deren Stabilität. Aber man kann doch erkennen, dass es eine Rakete sein soll. Wenn ich noch Kraft übrig hätte, würde ich sie schieben.

Okay. Wenn man beginnt, sich ernsthaft Gedanken über die Schubkraft von schlecht zusammengebautem Überraschungsei-Spielzeug zu machen – das noch dazu nicht mal real vorhanden ist –, sollte man das definitiv als Warnsignal deuten. Wiu-wiu-nööt-nööt: Müdigkeits-Alarm, höchste Stufe! Jetzt bitte nicht mehr hinsetzen. Denn jetzt scheint ein Charlie-Chaplin-Arzt-Auftritt plötzlich ein durchaus akzeptabler Preis für eine Schlafminute zu sein.

Doch als ich den Arztraum verlasse, klingt das schönste Geräusch der Welt an mein Ohr. Das schönste, beruhigendste Geräusch für Anfänger-Ärztinnen. Stimmen und Schritte, eilige und verschlafene. Da kommt sie: die Tagschicht. Sie sind schon im Haus. Die Erfahrenen, die alten Hasen, die Durch-nichts-zu-Schreckenden. Noch haben sie ihren Dienst zwar nicht angetreten – aber sie sind schon hier. Was immer jetzt noch passiert: Ich bin nicht mehr allein damit.

Und das gibt mir so viel Kraft, dass ich den letzten Patienten meiner Schicht, eine Knöchelverstauchung, ganz allein und im Handumdrehen versorgen kann. Sogar ohne mich ein einziges Mal bei Schwester Rita zu versichern.

Und dann ist Schicht-Ende. Meine erste Alleine-Nachtschicht ist überstanden.

Fast.

Fast vergessen hätte ich die morgendliche Stationsübergabe. Noch einmal muss ich alle Konzentration zusammennehmen, die letzten Reserven mobilisieren. Und im Konferenzraum der Inneren antreten. Vor dem ausgeschlafenen Tagschicht-Team wiederhole ich noch einmal die ganze Nacht, jeden Patienten, jede Behandlung.

Nein, Tobias ist nicht da. In den letzten vier Wochen habe ich ihn nur zweimal gesehen. Einmal, als er mir gratuliert hat. Zu meiner Entscheidung, Internistin zu werden. Und einmal, als wir uns zum Schichtwechsel in der Halle begegnet sind. Ein »Guten Morgen« – »Gute Nacht« vor allen, dann ist er weitergegangen.

Ganz so stabil ist unsere Freundschaft also vielleicht doch noch nicht. Auf jeden Fall war es nicht das Allerverkehrteste, in der Notaufnahme anzufangen – und nicht auf SEINER Station …

Na ja, Lena, sooo übermüdet kannst du wohl doch nicht sein, wenn du noch Hirnraum frei hast, um über Tobias zu grübeln. Obwohl: besser jetzt, als nachher im Schlaf. Seine REM-Phasen-Besuche waren in den letzten Monaten nicht im angenehmsten Sinne der Traum meiner schlaflosen Nächte.

Schlafen. Jetzt. Bald.

Ich bin seit gefühlt einer Woche wach. Und nicht nur anwesend-wach. Knöchelverstauchungsversorgungs-wach. Erstes-Katalog-EKG-wach!

Ach ja, der Herr mit den zwei Bieren. Den muss ich noch erwähnen, dann dürfte das alles gewesen sein. Von der Inzision der Kirschtorte wollen sie ja wohl nichts hören. Mit einem Seufzer beende ich meinen Rapport.

Noch etwa neun Kilometer bis zu meinem Bett.

»Und?«, fragt der alte Dr. Stehlke. »Zwischendurch nicht eingeschlafen?«

»Wo denken Sie hin?!«, entgegne ich. Er klopft mir anerkennend auf den Rücken. Ich schaffe es gerade so, davon nicht umzufallen. Nicht, weil er so kräftig ist. Aber meine Beine sind nur noch zur Zierde da, sie schwanken bedenklich – und wenn ich jetzt hinfalle, bleibe ich hier als Konferenzraum-Dornröschen auf dem Linoleumboden liegen bis übermorgen.

Liegen. Herrlich. Mir wäre egal, wo.

Linoleum. Ist doch sicher ausreichend weich. Sieht regelrecht kuschelig aus. Ich leg mich einfach hier hin …

»Gehen Sie nach Hause«, sagt Dr. Ross. »Sie sind schon ganz durchsichtig.«

Weiß die, wie weit es bis nach Hause ist?! Und wie gemütlich der Linoleumfußboden im Konferenzraum?!

Nein, Lena, Haltung! Die erwachsene Ärztin, die du sein möchtest, hat auf jeden Fall so viel Kraft und Selbstbeherrschung, sich in ein Bett zu schleppen, und liegt ihren Kollegen nicht als komatöse Stolperfalle im Weg rum.

Ich schleiche zu meinem Spind. Kittel aus, Jacke an.

Auf dem Weg aus dem Umkleideraum steht mir plötzlich jemand gegenüber, der mir einen Heidenschreck einjagt. Ein grün-bleiches Gesicht, in dem lila Augenringe einen hübschen Farbkontrast bilden. Wie ein Vorhang aus dünnen Teppichfransen hängen die Haare in das Gesicht. Und nicht die gekämmte Art Teppichfransen.

Ich habe es geahnt: Als ich einen entsetzten Schritt zurücktrete, tut die Gruselgestalt dasselbe.

Wie kann jemand so grausam sein, einen Spiegel in den Umkleideraum zu hängen?! Wieso habe ich hineingesehen?! Ob ich den S-Bahn-Fahrgästen überhaupt noch zugemutet werden kann? Ich sehe aus, als sollte ich lieber mit der Geisterbahn heimfahren.

Heim. Mein Stichwort.

Ich wanke zur S-Bahn. Noch 28 Minuten bis Bett. Sich hinzusetzen und dem monotonen Geschunkel der S-Bahn zu überlassen, war ein Fehler, denn als ich erwache, sagt die automatische Stationsansage: »Ahrensfelde. Dieser Zug endet hier.« Und ich bin wieder 24 Minuten Fahrzeit von meinem Bett entfernt.

Ich bleibe sitzen, bis der Zug zurück in die Stadt fährt. Und versuche krampfhaft, nicht auszurechnen, wie viel von meiner knappen Zwischen-Schicht-Regenerationszeit dieser Extra-Ausflug verschlingt. Diesmal schlafe ich schon ein, bevor das Geschaukel einsetzt. Aber diesmal fahre ich nur eine Station zu weit. Glücklicherweise – sonst hätte ich gleich zurück zum Krankenhaus fahren können. Zwischen den Schichten ein bisschen S-Bahn-Schaukel-Schlaf, das genügt doch. Ich müsste nur ein paar frische Klamotten in verschiedenen Waggons deponieren. Und ich hätte mir etwas von der Kirschtorte einpacken lassen sollen.

2

Geschafft! Der Hundebesitzer aus dem ersten Stock hält mir die Haustür auf. Ich sehe ihm deutlich an, dass er mich für eine späte Party-Heimkehrerin hält – und unterdrücke den Reflex, zu fragen, ob er mich nach oben trägt. Stattdessen ziehe ich mich die Treppe hinauf. Noch höchstens zehn Meter Luftlinie trennen mich von meinem Bett.

Und eine Tür.

Zu der ich leider gerade den Schlüssel nicht finden kann. Wie immer sind unfassbar viele Dinge in meiner Tasche, von deren Besitz ich nur eine blasse Ahnung habe: Labello, Streichhölzer, Stifte, Fieberthermometer. Fieberthermometer?! Eine Kette, Kopfhörer, Handy, Taschentücher. Kein Schlüssel. Ich drücke die Klingel. Keine Reaktion. Ich klingle Sturm. Irgendjemand muss doch zu Hause sein! Isa und Jenny sind momentan beide Langschläfer – aber nicht taub! Mädels, wo seid ihr?!

Ich rufe unsere Telefonnummer an, höre es drinnen läuten, so nah und doch unerreichbar. Und unbeantwortet.

Ich sinke auf die Treppe. Ich werde hier bleiben, bis mich jemand abholt. Die Zuständigen für Lena Weissenbach werden gebeten, sie im Treppenhaus einzusammeln.

»Und wat soll det hier werdn, wennet fertich is?«

Ich schrecke hoch; ein Wischmob voller klebrig-nasser Staubflusen stoppt direkt vor meinem erschöpft-schweren Kopf, der kurz ans Geländer gesunken ist. Ich sehe hoch in das empörte Gesicht der Putzkraft und erkenne, dass ich der Hausreinigung im Weg bin. Sammeln Sie mich doch einfach mit ein. Die haben vergessen, mich abzuholen. Mich hat keiner lieb.

Ich quäle mich in die Senkrechte. Kopfschüttelnd putzt die Frau um mich herum. Kaum ist sie um die Biegung verschwunden, sinke ich wieder auf die nun nassen Stufen …

Ein Lockenkopf stürmt um die Ecke, mit einem Wumms landen drei Einkaufstüten vor unserer Wohnungstür. »Wieso bist du denn schon da?!«, fragt Jenny vorwurfsvoll. Nicht, warum ich hier draußen sitze. Und ich erwähne weder, dass ich vor einer halben Stunde schon da gewesen wäre, noch frage ich, warum niemand mich in die Wohnung schiebt und ins Bett bringt. »Mutti ist so unglaublich langsam«, beschwert sich Jenny. »Mit ihr einkaufen zu gehen, ist, als hätte man schon drei Babys dabei.«

Isa, die in diesem Moment unser Stockwerk erreicht, trägt außer einer großen Bäckereitüte auch noch ein langes Baguettebrot und erhebt es drohend gegen Jenny. »Sag noch ein Mal Mutti!«

Jenny duckt sich lachend weg, öffnet die Tür – und endlich ist der Weg zu meinem Bett frei.

Schlafen. Jetzt.

Aber daraus wird nichts. »Wir sind in aller Herrgottsfrühe aufgestanden, um dir ein angemessenes Belohnungsfrühstück zu kredenzen«, erklärt Jenny rigoros. »Du kannst es im Bett essen. Aber geschlafen wird noch nicht.«

Hat sie denn überhaupt kein Herz?!

Seit meine Freundinnen nicht mehr arbeiten, scheinen sie schlagartig vergessen zu haben, wie es sich anfühlt, aus einer Nachtschicht zu kommen. Das kann ich aber schlecht erwähnen. Denn keine der beiden ist freiwillig unbeschäftigt.

Isa hat ihr Examen mit Auszeichnung bestanden. Mit Urkunde und Glückwünschen von der Ärztekammer – und einer von uns gestifteten goldenen Schärpe. Jedes Krankenhaus Deutschlands hätte sie mit Dankes-Verbeugungen angestellt. Aber bis sie ebenfalls als Ärztin zu arbeiten beginnt, werden sicher noch zwei Jahre vergehen. Denn Isa ist schwanger.

Jenny hingegen stünde sofort in den Startlöchern, um ein komplettes Klinikum zu übernehmen. Aber sie darf nicht. Denn Jenny ist durch die Prüfung gerasselt. Mit Pauken und Trompeten. Und nun ebenfalls für ein halbes Jahr unbeschäftigt. Zur Wiederholungsprüfung darf sie erst im April antreten; bis dahin hängt sie regelrecht in der Luft. Zurück an die Uni kann sie nicht, ihr Studium ist – bis auf das schreckliche Examen – abgeschlossen. Den PJ-Status hat sie aber auch nicht mehr; am St. Anna darf sie deshalb nicht weiterarbeiten. Alles, was ihr bleibt, ist Lernen. Noch einmal. Diesmal richtig. Aber diesmal ganz allein.

Das tut sie, jeden Tag. Ich weiß nicht, woher sie die Motivation nimmt. Ihr Ansporn und ihr Ehrgeiz müssen viel größer sein, als ich ihr je zugetraut habe. Ich wüsste nicht, ob ich das könnte. Alles noch mal lernen. Ohne die Prüfungsgruppe, die sie frühestens in drei Monaten zugeteilt bekommt. Und dann noch einmal zu der furchtbaren Prüfung antreten. Mit der Angst, noch einmal zu versagen …

Ich bin froh, dass Jenny ihr Lachen wiedergefunden hat. Die letzten Wochen waren vielleicht eine noch schwerere Prüfung für sie als das Hammerexamen.

»Ich habe Neuigkeiten, die euch umhauen werden!«, tönt Jenny aus der Küche und klappert wild mit Tellern und Pfannen. »So lange musst du noch wach bleiben, Lena!«

Ich füge mich. Denn gespannt bin ich schon. Wenn Jenny umhauen ankündigt, darf man tatsächlich einen Knaller erwarten; sie ist nämlich der Typ, der Neuigkeiten à la Ich hab jetzt einen Pilotenschein höchstens mit einem Ach übrigens einleiten würde.

Ich lege mich aber trotzdem schon mal ins Bett. Schlafe für höchstens eine Sekunde ein … und erwache als Prinzessin. Meine Mädels haben um mein Bett herum ein königliches Frühstück arrangiert, sitzen am Fußende und unterhalten sich flüsternd. Als sie bemerken, dass ich wach bin, gießt Isa mir Kaffee ein und Jenny flitzt los, um Sekt aus dem Kühlschrank zu holen.

»Na endlich!«, jubelt sie. »Ich dachte schon, du kommst nie wieder zu dir.«

Ich protestiere, da eine einzige Schlafsekunde mir ja wohl zusteht, muss dann aber hören, es sei inzwischen fast 14 Uhr. Ich will es nicht glauben, doch die kalt gewordenen Rühreier – und die Uhr auf meinem Nachttisch – geben meinen Freundinnen recht.

»Zwei Anrufe von Alex, du sollst dich melden, wenn du wach bist«, rapportiert Isa. »Keine Post für dich, aber dein Schlüssel lag im Bad, den musst du gestern Abend …«

Jenny unterbricht sie, drückt mir ein Glas Sekt in die Hand und Isa ein Sektglas voll Apfelschorle. »Jetzt bin ich endlich dran!«

Ich möchte eigentlich nichts trinken, aber Jenny zwingt mich und behauptet, es MÜSSE angestoßen werden.

»So, Kinder!«, beginnt sie, stellt sich in Positur und wartet, bis Isa und ich unsere Gläser gehoben haben und gespannt schweigen. »Ab morgen bin ich wieder berufstätig.«

Wir sind sprachlos. Wie hat sie das gemacht?! Oder wagt JENNY jetzt den Wechsel ins Bäckereifach?

»Also …«, holt sie aus, »erstens: Das Geld wird knapp.« Jennys Eltern beschenken sie zu Feiertagen ausschließlich finanziell – und das überreichlich –, aber sie bekommt keinen monatlichen Unterhalt und gibt die Geschenkgelder immer mit vollen Händen aus. »Zweitens: Das PJ ist vorbei und die Uni-Kurse kann ich nicht mehr frei belegen, aber wenn ich nur zu Hause sitze und theoretisch lerne, verliere ich das Gefühl für das Praktische.« Das stimmt. Wir alle haben vor dem Examen freiwilligen studentischen Dienst im Krankenhaus geleistet, um bis zur praktischen Prüfung nicht alle Handgriffe zu verlernen. »Und drittens: Ich muss unter Menschen. Also … arbeite ich ab morgen wieder am St. Anna!«

Wie bitte?! Wie soll das denn gehen? Solange Jenny das Examen nicht bestanden hat, darf sie doch gar nicht medizinisch arbeiten!

Jenny lächelt. Ein bisschen unsicher. »Als Pflegehilfskraft. Schwester Jenny, bitte kommen.«

Ich bin baff. Beeindruckt. Und sofort auch ein bisschen besorgt. Weiß Jenny, worauf sie sich da einlässt?! Klar: Pflege-Hilfskraft ist der einzige Job, zu dem sie keine der Qualifikationen braucht, auf die sie noch fast ein halbes Jahr warten muss. Und ja: Sie würde im Krankenhaus arbeiten. Aber eine Pflegehilfskraft steht noch unter den Schwestern. Wird Jenny mit dieser hierarchischen Neuordnung zurechtkommen? Und wenn sie nur Hilfsarbeiten übernehmen, Betten machen und Patienten waschen darf – verschafft ihr das wirklich so viel Praxis für die Prüfung, dass es die Demütigung wert ist, nun als Untergebene von Schwester Klara zu arbeiten, auf die Jenny bisher immer demonstrativ herabgesehen hat?

Jenny schaut uns erwartungsvoll an. Isa schweigt und dreht nachdenklich ihr Glas. »Ist dir klar, dass du dann nicht mal Blut abnehmen darfst?«, fragt sie schließlich. »Und dass Klara dir das jeden Tag unter die Nase reiben wird?«

Jenny nickt.

Isa hebt ihr Glas. »Okay. Dann herzlichen Glückwunsch zu dieser reifen Entscheidung. Und viel Kraft!«

Sarkasmus? Dafür ist Isa doch wirklich nicht der Typ!

»Ich weiß das alles«, erklärt Jenny. »Aber ich will Ärztin werden. Immer noch. Um jeden Preis. Und wenn DAS nun mal der Preis dafür ist, dass ich meine Chancen bei der Prüfung erhöhe …«

Gut, das klingt tatsächlich, als mache sie sich über die Herausforderung, die auf sie wartet, keine Illusionen. Und ich beschließe im selben Moment, Jenny so gut wie möglich zu unterstützen. Wer sagt, dass ich sie nicht MEIN Blut abnehmen lassen darf?!

»Mutig!«, lobe ich. »Riskant in puncto Selbstbeherrschung, dafür Eins mit Sternchen in der Kategorie Was ich für meine Ziele zu tun bereit bin.«

»Sag ich doch.« Jenny lächelt. Und dann stoßen wir endlich an. Isa kippt ihre Saftschorle wie einen stärkenden Schnaps und räuspert sich.

»Wenn wir schon mal dabei sind«, sagt sie leise, »ich hab auch Neuigkeiten.«

»Einen Namen?«, fragt Jenny aufgeregt.

Seit drei Monaten macht sie Namensvorschläge für Isas Baby, als wäre es ihr eigenes. Da sie aber der Meinung ist, je ausgefallener desto schöner, und regelmäßig Anregungen wie Youyoko, April und Evylina anbringt, hat es noch keine ihrer Empfehlungen in Isas End-Auswahl geschafft.

Isa schüttelt den Kopf. »Keinen Namen. Nur einen Hochzeitstermin.«

Diese Eröffnung bringt selbst meinen müden Körper auf die Beine; in der nächsten Sekunde liegen wir drei uns in den Armen. Dass Isa und Tom heiraten werden, steht schon fast ein Jahr lang fest. Eigentlich war es für nach dem PJ geplant, aber als der Schwangerschafts-Schock überwunden war, haben sie beschlossen, noch vor Isas Niederkunft ein rechtmäßiges Ehepaar zu werden. »Tom möchte gern noch in diesem Jahr heiraten.«

»Es ist November«, japst Jenny, »wie wollt ihr das schaffen?!«

»Wir heiraten am 31.12.«, erklärt unsere Freundin entschieden.

Ich sehe Jenny an, dass sie innerlich rechnet. Und dass es für sie undenkbar erscheint, in sechs Wochen eine Hochzeit zu organisieren. »Sehr romantisch«, lobe ich daher schnell, ehe Jenny unmöglich sagen kann. »Als Ehepaar ins neue Jahr.«

»Und außerdem war das der einzige Tag, für den es noch Termine gab«, gesteht Isa.

»Okay«, schnauft Jenny, »ich rufe im Krankenhaus an. Den Job kann ich ja jetzt auf keinen Fall antreten. Es ist ohnehin schon ein Glücksspiel, ob ich es noch schaffe, in sechs Wochen alles zu organisieren.«

»Vor etwa fünf Minuten wurde hier jemand wegen seiner reifen neuen Erwachsenen-Entscheidungen gelobt. Sollte da ein Fehler unterlaufen sein?«, frage ich frech.

»Na hör mal«, empört sich Jenny. »Habe ICH etwa bestimmt, dass ich in so kurzer Zeit eine Hochzeit planen soll?!«

»Du musst gar nichts organisieren«, entgegnet Isa. »Es wird eine kleine Hochzeit. Keine Gala, kein großer Trubel, nur Eltern und Freunde.«

»Wenn diese Freunde WIR sein sollten«, widerspricht Jenny, »dann liegst du mit kein Trubel absolut daneben.«

»Uns geht es um die Sache«, verteidigt sich Isa, »wir wollen verheiratet sein. Ich bin schwanger und bis Silvester sicher schon irre dick. Ich kann nicht mal auf uns anstoßen. Also heiraten wir nur im kleinen Kreis und holen die große Party nach, wenn das Baby da ist. Ich will nicht, dass ihr irgendwelche wilden Junggesellinnenabschiede oder pompöse Empfänge plant.«

Jenny winkt mit großer Geste ab. »Das bestimmen die Brautjungfern! Und das sind wir doch, oder?!«

»Wer denn sonst.« Isa lächelt – und das ist der Moment, um sich noch einmal kreischend in die Arme zu fallen.

Dann erwähne ich, dass ich jetzt wirklich ins Bett muss, weil nicht jeder von uns einer anstehenden Hochzeit wegen seine Anstellung kündigen kann. Woraufhin Jenny beteuert, dass sie selbstverständlich ebenfalls wie geplant ihren neuen Job antreten wird. Und Isa mein Kissen aufklopft, mir eine Gute Tages-Nacht wünscht … und ich beinahe überhört hätte, dass sie beim Rausgehen leise anfügt, wir müssten nun mit der Suche nach einer neuen Mitbewohnerin beginnen.

Wir sind beide still. Isa sieht uns an, traurig, aber entschieden. »Das ist doch klar«, sagt sie ruhig. »Das war immer so ausgemacht. Wenn wir verheiratet sind, wohnen wir zusammen in München.«

Ich wusste das. Seit Monaten. Isas wachsender Bauch erlaubt auch keine Illusionen darüber, dass ihr Umzug beliebig hinauszuzögern sei. Trotzdem trifft es mich schwer, jetzt der Tatsache ins Auge sehen zu müssen. Isa wird uns verlassen. In absehbarer Zeit.

»Ich hab euch doch gesagt, dass wir eine Wohnung gefunden haben«, sagt sie zögerlich. »Am 15. Dezember können wir einziehen.«

Als sie uns das gesagt hat, muss ich geschlafen haben. Vielleicht ist es ihr nicht aufgefallen. In den letzten vier Wochen habe ich viel geschlafwandelt. Wenn ich in der Zeit zwischen meinen Schichten herumgelaufen bin oder mit meinen Freundinnen gesprochen habe, war ich meistens geistig nicht wirklich anwesend. Jennys Nicken deutet darauf hin, dass Isa uns tatsächlich über ihre neue Wohnung und den geplanten Umzug informiert hat. Aber bei mir kommt es jetzt erst an.

Isa wird uns verlassen.

Du wirst doch jetzt nicht heulen, Lena! Für Isa bedeutet das die Zukunft. Wir werden alle erwachsen. Du bist Ärztin geworden. Wir sind keine Studenten mehr, also auch keine Studenten-WG. Wir entwickeln uns weiter. Und Isa entwickelt sich eben nach München.

»Du wirst doch jetzt nicht heulen, Lena«, sagt Isa leise.

Ich schüttle den Kopf. »Ich bin nur übermüdet.«

Und daraufhin verlassen meine Freundinnen das Zimmer und ich sinke ins Bett.

Wie soll ich denn jetzt schlafen?! Viel zu viel geht mir im Kopf herum. In sechs Wochen sind wir nicht mehr drei Freundinnen, die alles teilen. Dann ist Isa eine verheiratete Fast-Mutter in einer fremden, weit entfernten Stadt. Wir bleiben übrig. Ich habe wenigstens die Arbeit. Und Jenny? Wie wird Jenny am St. Anna zurechtkommen, wenn sie nur noch das kleinste Rädchen im Getriebe sein darf? Hat sie sich nicht übernommen? Das Gedankenkarussel dreht sich und wirbelt. Wie soll man da schlafen?! Und dabei bin ich doch so entsetzlich geschafft …

3

Seit ich Ärztin bin, scheine ich nichts anderes mehr zu tun, als Menschen zu enttäuschen. Nein, nicht beruflich, um Himmels willen! Aber keine private Beziehung könnte deprimierender sein als die, die meine Freunde momentan mit mir zu führen gezwungen sind. Gespräche mit mir sind so unterhaltsam wie eine Plauderei mit einem Anrufbeantworter. Ich bin körperlich anwesend, doch man kann nur hoffen, dass ich alles aufnehme; und antworten kann ich nur müde Stereotypen. Verabredungen treffe ich zwar regelmäßig mit besten Absichten und Vorsätzen – aber genauso regelmäßig verschlafe ich sie.

Bei meinen Freundinnen baue ich darauf, dass die Erinnerung an das vergangene Jahr noch frisch genug ist, um Verständnis für mich aufzubringen. Bei Alex aber kann ich mir nur wünschen, dass er mich gut genug kennt, um zu wissen, dass ich ihn nicht freiwillig versetze – und dass seine Zuneigung groß genug ist, um diese schrecklich unpersönliche Keine-Zeit-für-uns-Zeit durchzustehen.

Ich kann es nicht leugnen, er auch nicht: Alex sieht ziemlich enttäuscht aus, als er mich am Klinikvorplatz verabschiedet.

»Schade dass du gestern schon geschlafen hast«, sagt er. »Ich wollte dir eine coole Neuigkeit erzählen.«

Hmm, ja. Ich HATTE schon Neuigkeiten. Von Jenny UND Isa. Und Nachtschicht. Ich habe Alex nicht mal mehr angerufen.

Dass er gestern Abend noch zu Besuch kam, habe ich auch verschlafen. Heute Morgen war ich dafür um fünf Uhr wach. Aber jemanden, der mich um acht Uhr abends nicht geweckt hat, obwohl wir uns seit Tagen nicht gesprochen haben, kann ich dann im Gegenzug doch nicht vor Sonnenaufgang wach rütteln. Also blieben für uns mal wieder nur ein schnelles gemeinsames Frühstück und die Fahrt zum Krankenhaus. Ich will gar nicht daran denken, was aus unserer Beziehung werden soll, falls Alex irgendwann keine Lust mehr hat, seine Freundin nur auf den zehn Kilometern Autofahrt wirklich für sich zu haben, während derer er sie zum Dienst bringt.

»Heute Abend?«, frage ich reumütig. »Oder willst du sie mir jetzt schnell erzählen?« Den zweiten Vorschlag mache ich nur aus schlechtem Gewissen. Denn jetzt schnell würde bedeuten binnen vier Minuten, in zehn muss ich nämlich umgezogen sein und zum Dienst antreten. Alex merkt das. Oder seine Neuigkeit ist wirklich zu cool, um sie zwischen Autotür und Klinikangel jemandem mitzugeben, der innerlich schon den Tagesdienstplan abruft und bereits mit den Ärztinnenfüßen trappelt.

»Heute Abend«, sagt er, küsst mich – und ich merke schmerzlich deutlich, wie sehr er sich zusammennimmt, um mich dabei so vorwurfsfrei anzulächeln, als sei heute Abend der perfekte Zeitpunkt. Oder als glaube er wirklich daran, dass ich heute Abend ganz wach und für ihn und seine Neuigkeiten da sein werde.

Zu meiner Verteidigung kann ich nur anführen, dass ich es mir ehrlich ganz fest vornehme. Aber nun muss ich rennen. Noch ein Kuss, ein Winken, dann ein Sturmsprint in die Klinik.

Sich am Eingang noch einmal umzudrehen, ist ein Fehler. Denn Alex steht noch da und sieht mir nach. Und auf einmal vermisse ich ihn so sehr, dass sich in meinem Bauch eine richtig gemeine Sehnsuchtsfaust ballt. Ich winke noch einmal. Traurig. Was soll ich denn machen? Ich würde plötzlich nichts lieber tun, als zu ihm zurückzugehen, wieder ins Auto zu steigen und davonzufahren. Eine Woche lang nur geradeausfahren. Nur mit ihm zusammen sein. Alles nachholen.

Aber ich bin Ärztin. Die Notaufnahme macht keine Pause. Und in fünf Minuten beginnt meine Schicht.

Alex lächelt. »Schon gut«, ruft er, »heute Abend ist prima.«

Oh, Mann. Für mich nicht. Auf einmal habe ich das schreckliche Gefühl, dass es das letzte Mal sein könnte, dass Alex hier steht und damit zufrieden ist, mich müde im Krankenhaus abzuliefern, später todmüde wieder einzusammeln und neben mir einzuschlafen. Als hätte er mir ein Ultimatum gestellt, das ich unmöglich erfüllen kann. Er wird dich verlassen, sagt eine Stimme in meinem Bauch. Er weiß es nur noch nicht. Aber du.

Ich könnte heulen. Dass Alex lächelt und winkt, während er davonfährt, macht es nur schlimmer. Ich weiß nicht mal, womit er seinen Tag verbringt.

»Wollen Sie Ihren Tag hier draußen verbummeln, oder bequemen Sie sich noch irgendwann zu Ihrer Schicht?!«

Ich schnappe nach Luft. In den vergangenen vier Wochen habe ich mich daran gewöhnt, dass mit mir nicht mehr wie mit einer kleinen Studentin gesprochen wird. Erst konnte ich die neue respektvolle Höflichkeit einiger Schwestern gar nicht fassen – aber an Respekt gewöhnt man sich schneller als an Fellhandschuhe.

Ich drehe mich also einigermaßen empört um – und erkenne die hochgezogenen Brauen von Schwester Klara. Na klar. Um von IHR mit Ärztinnen-Respekt behandelt zu werden, bräuchte ich vier Doktortitel und ein neues Gesicht. Aber hey, schon meine eine Approbation genügt, um so viel Selbstbewusstsein zu generieren, dass ich mir wenigstens nicht mehr alles bieten lasse.

»Ich erinnere mich nicht«, antworte ich kühl, »dass ich Sie heute zum Spionieren und Antreiben abkommandiert hätte.«

Gemein. Oberfies. Und falsch, denn ich darf sie zu gar nichts einteilen. Aber sie verstummt, macht auf dem Absatz kehrt und stöckelt nach drinnen. Ich eile hinterher, mein Dienst beginnt nämlich in zwei Minuten.

Bei der Übergabe erfahre ich, dass drei der acht Betten in der Notaufnahme momentan belegt sind, zwei Leichtverletzte, beide mit Kopfwunden, und eine Patientin mit einer leichten Medikamenten-Intoxikation. Die beiden Verletzten, beides Verkehrsunfälle, sollen noch ein paar Stunden beobachtet werden. Die

Frau, die versehentlich die doppelte Dosis ihrer Medikamente eingenommen hat, kann nach Hause gehen, wenn ihre Vitalparameter und Blutwerte in Ordnung sind. Gut. Ich werde also zwei Kopfverletzte beobachten und gleich noch einmal die Blutwerte der vergesslichen Patientin überprüfen. Abgesehen davon kann ich mich in keiner Weise darauf vorbereiten, wie mein Tag in der Notaufnahme verlaufen wird. Werde ich hauptsächlich Patienten bekommen, denen ich mit einem schnellen Verband helfen kann – oder folgt heute ein komplizierter Fall auf den nächsten? Wird es voll oder habe ich zwischendurch sogar Zeit für einen Kaffee? (Okay, die Erfahrung der letzten vier Wochen lehrt: Zeit für Kaffee habe ich nie.)

Der diensthabende Chirurg an meiner Seite ist heute Herr Streicher. Glaubt man dem Klinikklatsch, ist der Assistenzarzt der Chirurgie ebenso freiwillig in der Notaufnahme wie ich – und aus ähnlichen Gründen. Auch er sucht angeblich Abstand: von der Oberärztin der Chirurgie, Dr. Thiersch, die für ihren Drachen-Habitus berüchtigt ist und mit der Herr Streicher in seiner Eingewöhnungsphase heftig aneinandergeraten sein soll. Was mich, die ich ausreichend negative Erinnerungen an Dr. Thiersch habe, nicht auf den Gedanken bringt, Herr Streicher könnte ein unangenehmer Zeitgenosse sein, sondern mich vertrauensselig für ihn vorschuss-einnimmt.

Schwester Rita ist auch heute mit mir eingeteilt, was mich sehr beruhigt, obwohl man während der Tagesschicht viel einfacher an Unterstützung kommt als bei Nacht. Ich müsste im Zweifelsfall nur oben auf der Inneren anrufen und um Hilfe bitten. Aber dort hat heute Tobias Dienst. Und ihn möchte ich nur im absoluten Notfall nach unten bitten. Weil es mir – keine Ahnung, warum (wirklich: fast keine!) – höchst unangenehm wäre, vor ihm zugeben zu müssen, dass ich etwas noch nicht kann. Wegen des dann unvermeidlichen Dr.-Tobias-Blicks, des Eigentlich-solltest-du-das-im-Schlaf-beherrschen-Blicks, bei dem ich mich immer schlagartig winzig klein fühle. Und weil Tobias jemand ist, in dessen Gegenwart ich mich ganz dringend sehr groß und souverän fühlen möchte. Erwachsene-Ärztinnen-unabhängig, mich-muss-niemand-mitfühlend-ansehen-selbstständig.

Was nicht heißt, dass ich ihn absolut nicht sehen möchte. Falls es heute tatsächlich diese mysteriöse Kaffeepause geben sollte, von deren Existenz manch andere Ärzte munkeln, werde ich nach oben gehen und Hallo sagen, einfach mal so. Dass ich das beschließen kann, ohne mir selbst einen Vogel zu zeigen, liegt aber daran, dass ich noch NIE Zeit für so eine Pause hatte und auch – trotz aller Gerüchte – keinen Notarzt persönlich kenne, der tatsächlich zwischendurch mal zehn Minuten für eine ungestörte Tasse Kaffee fand.

Ich schnappe mir die Akten der drei zu beobachtenden Patienten und beginne mit den neuen Laborwerten der Doppelte-Dosis-Frau. Die Blutwerte sind in Ordnung und nach dem eindringlichen Hinweis, über die Medikamenteneinnahme lieber Buch zu führen, kann ich die Dame entlassen.

Es wäre nett, noch nach den beiden Kopfverletzten zu sehen, bevor der nächste Notfall kommt; ich bin ein Freund des Eins-nach-dem-Anderen. Und damit in der Notaufnahme grundfalsch.

Denn schon auf dem Weg zu dem ersten der beiden Verletzten kommt mir Schwester Rita mit der Nachricht entgegen, das Wartezimmer habe sich in den letzten zwei Minuten bis auf den vorletzten Platz gefüllt.

Ich bleibe ruhig, ich weiß, was jetzt von mir erwartet wird: Prioritäten setzen.

Ein vielleicht gebrochener Arm, einmal Bauchschmerzen, ein kleines Mädchen, das vom Klettergerüst gestürzt ist. Der Arm muss warten. Das Kind ist der dringendste Fall. »Bringen Sie die Kleine in Zimmer 2 und nehmen Sie von den Bauchschmerzen schon mal Blut ab«, sagt Frau Weissenbach. Und dann stürzt sie sich ins Getümmel.

Nein, es gibt keine Katastrophe. Ich kann die Mutter der kleinen Maja beruhigen; ihr Kind hat keine inneren Verletzungen, nichts ist gebrochen. Die Bauchschmerzen des zweiten Patienten sind nicht auf eine Vergiftung zurückzuführen, die Blutwerte sind in Ordnung, ein leichtes Abführmittel, ein leichtes Schmerzmittel, »Kommen Sie gut nach Hause!«. Zwischen dem verstauchten Arm und einer Platzwunde schaffe ich es auch noch, die beiden Kopfverletzten zu entlassen.

Irgendwann gegen Mittag taucht auf dem Empfangstresen ein Teller voll Schnittchen auf. Ich verzehre sie am Schreibtisch, während ich krampfhaft versuche, die Patientenberichte des Vormittags zusammenzutragen, ohne alles durcheinanderzubringen, und finde einen Zettel von Ruben, meinem blauhaarigen Küchenfreund. Essen. Dabei atmen. Nur nicht gleichzeitig. Ich gebe mir Mühe, ganz gelingt es nicht.

Und schon geht es weiter, im Raketentempo eile ich von einem Appendizitis-Verdacht zu einem Rippenbruch. Bericht, einmal Atemnot, noch eine Platzwunde, von Zimmer 2 in Zimmer 1, Arztraum, Berichtsnotizen, Zimmer 2, Zimmer 1. Pfeilschnell saust der Notaufnahme-Korridor an mir vorbei.

Von dem ganzen Gerenne habe ich in den letzten vier Wochen eine Kondition entwickelt, mit der ich glatt den Berlin-Marathon mitlaufen könnte. (Leider hat eine Ärztin mit 30-Stunden-Tag keine Zeit für so was. Schade, denn ich könnte vielleicht sogar noch im Lauf den Puls der unterlegenen Mitstreiter messen, bevor ich ihnen davonzischen würde.)

Seit Neuestem beherrsche ich eine Menge ungewöhnlicher Dinge im Rennen – Kaffeetrinken, Berichte lesen, selbst Patientenbögen ausfüllen, und das sogar beinahe in Schönschrift! Wenn Ruben mich nicht regelmäßig füttern würde (ob in meinem Hirn irgendwann mal wieder Platz für Gedanken an eigene lebenserhaltende Maßnahmen sein wird?), wäre ich bald nur noch ein Strich in der Landschaft. Ein horizontaler – wegen des Tempos. Ssssssst, der fliegende Lena-Streifen …

Er fliegt durch den Tag – und ich wüsste gern, ob die Patienten im Wartezimmer manchmal vor Schreck zusammenfahren, weil ich in meinem unglaublichen Notaufnahme-Tempo mal wieder einen Überschall-Knall verursacht habe.