Deraux_9Akte_ebook

Finn Dereaux

Neun Akte

Impressum

Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2016 bei hey! publishing, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-95607-293-2

www.heypublishing.com

Der Blick

Vorhin im Café las er die Süddeutsche. Ich setzte mich an den Nebentisch und richtete ein kleines Chaos mit meiner Handtasche und der Speisekarte an, aber er blickte erst zu mir her, als ich wieder brav war. Ob ich das Kinn hob und ihm meinen Hals zeigte, diese Geste, die uns in die Wiege gelegt ist und sich selbständig macht, wenn wir einen reizvoll finden, weiß ich nicht mehr. Oder doch, wenn ich ehrlich bin, weiß ich es. Ich hob das Kinn und zeigte ihm meinen Hals. Dafür kann ich nichts, es passierte einfach. Ich fand es ganz und gar unpassend, ihn so zu ermutigen, und dann war sein Blick auch noch ziemlich frech. Er begann auf meinem Profil, streifte abwärts, blieb an meinen Brüsten hängen, glitt zu den Hüften und genauso langsam wieder aufwärts. Meine Beine konnte er nicht begutachten, die waren unter dem Tisch versteckt. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er hatte schöne Hände und in seinen Unteramen spielten Muskeln, wenn er umblätterte. Sein Kopf war kahl rasiert. Acht Jahre bist du mindestens älter, dachte ich, wie kommst du alter Mann dazu, mir auf die Pelle zu rücken. Er beugte sich vor und las die Schrift auf meinem T-Shirt:

Ja = Ja

Nein = Nein

Oder?

Ob er ein Lächeln unterdrückte, konnte ich aus den Augenwinkeln nicht erkennen, vielleicht grinste er sogar, unverschämt genug sah er aus. Ich verzog die Mundwinkel und konzentrierte mich auf die Speisekarte. Als die Kellnerin meine Bestellung aufnahm, musterte er mich schon wieder. Er hatte braune Augen, fast schwarz, aber seine Augenbrauen waren blond, das kam selten vor nach meiner Erfahrung. Ob er sich die Brauen färbte? Danach sah er nicht aus, aber die Kerle heutzutage schreckten ja vor nichts zurück. Guck du nur, dachte ich, das führt zu gar nichts. Sein Blick kam noch mal auf mein Profil zurück, dann zuckte er mit den Achseln und blätterte die Zeitung um. Feige war er auch noch. Mein Café Latte kam mit einem Herz aus Kakao auf dem Schaum, nur der Süßstoff fehlte. Bis die Kellnerin ihn brachte, beobachtete ich ihn aus den Augenwinkeln. Der Herr am Nebentisch bewegte sich langsam, aber manche Regungen deuteten darauf, dass er schnell sein konnte. Kein Bart, kein Kettchen, überhaupt nichts, mit dem die Kerle ihre Männlichkeit hervorhoben. Außer diesen Unterarmen. Der Mund war voll und hart, das ist selten, die Schultern breit, aber nicht eckig. Er trug ein Polohemd, das sprach gegen ihn. In den kurzen Ärmeln wirkten die Oberarme rund und er erinnerte mich an einen Exlover von mir. In Ruhe fühlten sie sich wie Silikonkissen an, gespannt konnte ich sie kaum eindrücken. Ich war rasend gerne auf seinem Bizeps geritten, und er hatte meinen Nabel geleckt, bis ich kam. Im Bett war er großartig gewesen, als Partner eine Niete. Der Herr am Nebentisch streckte die Beine. Soweit ich sehen konnte, waren sie ein bisschen kurz, aber seine Jeans saß anscheinend picobello. Ich klickte ein Süßli in den Latte, rührte um und würdigte ihn keines Blickes mehr. Er mich auch nicht, und das fand ich merkwürdig.

Von den Männern über fünfzig und den domestizierten Exemplaren abgesehen, teilte ich die Herren der Schöpfung in zwei Kategorien ein. Entweder guckten sie gar nicht, weil sie sich nicht im Traum an eine wie mich herantrauten, oder sie waren dermaßen von sich überzeugt, dass sie auf Tangoblick schalteten. Von denen wiederum gab es zwei Varianten. Typ eins wollte nur spielen, Typ zwei wollte mich umgehend ins Bett kriegen und war sicher, dass er es schaffen würde. Typ zwei gefiel mir zwar besser, aber bis auf Ausnahmen nur theoretisch. Ganz selten war einer dabei, der mich ins Grübeln brachte. Der am Nebentisch hätte es geschafft, wenn er sich ein bisschen bemüht hätte, aber anscheinend fand er seine Zeitung geiler als meine Brüste. Eigentlich war mir das ganz recht, denn draußen schien die Sonne und lud zum Schlendern ein, außerdem hatte ich ein hinreißendes Sommerkleid im Schaufenster von Mascha Mia erspäht, das ich in Ruhe anprobieren wollte, und dabei würde ein Mann nur stören. Andererseits musste ich mir eingestehen, dass ich ein klitzekleines bisschen beleidigt war. Wie kam der Herr vom Nebentisch dazu, mich schlicht und einfach ad acta zu legen?

Ich zahlte und er gleich nach mir. Bestimmt nur Zufall, dachte ich, aber beim Aufstehen spürte ich, wie das Shirt meine Nippel streifte. Heute wäre ich doch besser nicht ohne BH aus dem Haus gegangen, aber nun war es zu spät. Wer konnte auch ahnen, dass einer mit muskulösen Unterarmen am Nebentisch sitzen würde. Draußen begann mein Hintern zu prickeln, was nur heißen konnte, dass mir der Herr vom Nebentisch folgte. Manchmal denke ich, dass mein Arsch auf Männerblicke geeicht ist. Er wurde warm, meine Schenkel glitten aneinander und Schmetterlinge flatterten zum Nabel und wieder abwärts. Was wollte der Kerl? Und warum stellte ich mir solche idiotischen Fragen? Im Café hatte er Desinteresse geheuchelt, aber ich wusste genau, was er wollte. Nur ob ich auch wollte, wusste ich nicht. Oder doch, natürlich wusste ich es, da war diese sanfte Schärfe unterm Nabel. Aber wollte ich wirklich, was sagte mein Kopf?

Lass es sein, sagte mein Kopf. Der Herr ist einfach nur sexgeil, und er hält sich nicht an die Regeln. Die Regeln sagen, dass er dich auf einen Kaffee einlädt und fragt, ob du mal mit ihm ins Kino gehst, weil ihm sonst nichts einfällt. Dass er enttäuscht ist, wenn du nicht gleich ja sagst, und strahlt, wenn du es am Ende doch tust, der nach dem Kino leidet, wenn du ihn an der lange Leine verhungern lässt, und immer so weiter bis zum dritten Date, zum ersten Kuss und der schüchternen Frage, ob er auf einen Kaffee mit hochkommen darf. Die Regeln sagen, dass du bis dahin die Macht hast und auskosten sollst, denn nach dem ersten Sex wird er sich unverschämt gebärden und erwarten, dass du nach seiner Pfeife tanzt. Da liegt er zwar schief, das haben schon ganz andere versucht und sind böse abgestürzt, aber Stress ist es immer, und den brauchte ich gerade überhaupt nicht. Danke, mein lieber Kopf, dachte ich, du hast ja so Recht. So kurz nach der letzten Trennung brauchte ich einen Typen so nötig wie eine Virusgrippe. Der Herr mit den Unterarmen konnte mir gestohlen bleiben. Innerlich hatte ich ihn bereits abserviert, darüber war ich richtig froh, und wenn ich es auch ein bisschen schade fand, hatte das nichts zu sagen. Ich schlenderte durch den Sonnenschein, es war warm. Meine Oberlippe schmeckte salzig.

Als ich mich zufällig umdrehte, war er drei Schritte hinter mir und blickte mir in die Augen. Natürlich ignorierte ich ihn und ging weiter. Mir fiel ein Geschäft ein, in dem ich lange nichts gekauft hatte. Da war es, ich hielt vor dem Schaufenster an und blickte hinein, alle Dessous darin waren reinweiß. Jetzt blieb er auch noch hinter mir stehen, und sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. Wenn ich mir nichts einbildete, kam er unverschämt nahe, sein Atem streifte mein Ohr und wand sich rein, schlüpfte in meinen Hals und in die Brüste. Wenn er mich anfasste, würde ich zerfließen. Ich trat ein Stück zur Seite, damit ich sein Spiegelbild ganz sehen konnte. Er steckte die linke Hand in der Tasche, womöglich machte er unanständige Sachen damit. Was für ein Schwein. Dass ich ihn in der Scheibe sah, merkte er und lächelte. War er Linkshänder, und bildete ich mir tatsächlich ein, dass er seinen Schwanz durch den Stoff streichelte, dass seine Jeans im Schritt anschwoll? Ich stellte mir vor, wie er meinen Rock hoch und den Slip herunterstreifte, wie er meine Hände gegen die Scheibe presste und mich von hinten nahm, auf der sonnigen Straße vor allen Leuten, jetzt. Ich wollte weitergehen, aber meine Knie weigerten sich. Sein Atem floss unter meinen Nabel.

„Die Garnitur da links ist hinreißend“, sagte er.

Baritonstimme, kehlig, er war Raucher. Die schmecken alle schlecht. Ich sammelte alle Vernunft, die noch zu finden war. Kopf gerade, ironisches Lächeln, Eis in den Blick! Ich drehte mich langsam um.

„Garnitur? So haben meine Eltern ihre Polstermöbel genannt.“

„Und meine die Kirschen auf der Torte.“ Er grinste. „Also Set, oder meinetwegen Outfit. Jedenfalls umwerfend.“

„Ja und?“

„Die möchte ich Ihnen furchtbar gerne schenken.“

„Das kommt teuer“, sagte ich nach einer Weile. Bis ich es herausbrachte, versuchte ich, meine Gefühle zu sortieren. Es klappte nicht, aber irgendwas musste ich ja sagen. Er griff nach meiner Hand. So etwas ließ sich keine Frau gefallen, nur ich wehrte mich nicht. Ich gab ihm keine Ohrfeige und schrie ihn nicht an, mieser Sexist, der er war. Es mochte ja sein, dass mein Eisprung bevorstand, aber das passierte jeden Monat und hieß ja nun nicht, dass ich ein Kind von ihm wollte. Und auch wenn ich an solchen Tagen hin und wieder von einem Fremden im Zug oder maskierten Nackten phantasierte, die mich in ihrer Gewalt hatten, gab ihm das kein Recht auf mich. Außerdem kannte ich nicht einmal seinen Namen.

„Hallo, ich bin Max“, sagte er. „Und du?“

„Äh. Laura?“

Wenn ich verwirrt oder nervös war, klangen meine Antworten manchmal wie Fragen, so als wüsste ich nicht recht, ob ich die Wahrheit sagte. Diesmal war Absicht dabei. Laura ist mein dritter Vorname, genannt werde ich bei dem ersten, und der ist ganz anders. Wenigstens ein bisschen wollte ich ihn verunsichern, das war ich mir schuldig, aber warum ich überhaupt antwortete, wusste ich nicht, und statt ihm meine Hand zu entziehen, ließ ich sie ihm. Verwirrt war er nicht im Mindesten. Wahrscheinlich hatte er gar nicht richtig zugehört, und mein Name war ihm vollkommen egal. Jedenfalls öffnete er wortlos die Ladentür und zog mich hinter sich her.

Die Verkäuferin war einer dieser Männerträume. Ich fand, dass solche Tussis in Läden für Frauen falsch waren, bis sie Herrn Max anstrahlte und es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Natürlich war das ein Laden für Männer. Mich begrüßte sie mit einem halb professionellen, halb amüsierten Lächeln. Den Spruch auf meinem Shirt konnte sie nicht lesen, er war unter der Jacke verborgen. Ich wusste genau, was sie dachte. Da war ein heißer Typ, der seine kleine Freundin aufmotzen wollte, damit er scharf auf sie blieb. Wahrscheinlich trug sie Feinrippschlüpfer und trank Kräutertee. Die Beziehung kippte noch nicht, aber wenn sie ihm nicht öfter den Atem raubte, war Alarm angesagt.

Ich öffnete die Jacke und strich eine Strähne hinters Ohr, damit mein Busen zur Geltung kam und sie nicht länger irren musste. Ja heißt Ja – Nein heißt Nein – oder? Sie las, ihre Augen wurden schmal, und dann änderte sie ihre Meinung über mich. Darum wollte ich auch gebeten haben, aber was ich mit Herrn Max anfangen oder nicht anfangen sollte, war mir immer noch ein Rätsel. Hatte er meinen stummen Dialog mit der Verkäuferin bemerkt? Er stand dicht neben mir, sein Arm berührte mich. Ich spürte eine Härte, die ganz unmöglich war. Unter meinem Nabel herrschte Chaos, trotzdem blitzte ein Gedanke auf: Fehler, niemals hätte ich die Jacke öffnen dürfen! Jetzt war ihm endgültig klar, dass ich Sex nicht nur furchtbar fand. Und ihn auch nicht. Dann fiel mir ein, dass er mein Shirt schon im Café begutachtet hatte und ich ihm in den Laden gefolgt war. Weil er mir scharfe Dessous kaufen wollte. Der wusste sowieso Bescheid. Anna Maria Laura Verstappen, dachte ich, du solltest auf der Stelle gehen.

„Wir gucken uns erstmal um“, sagte er zu der Verkäuferin, bevor sie fragen konnte, ob wir etwas Bestimmtes suchten. Obwohl ich den Verdacht hatte, dass sie nur ihn fragen würde, ob er etwas Bestimmtes suchte. Ich spürte seine Hand durch den Rockbund und das Shirt, sie war groß und der Druck sanft. Er dirigierte mich zu den beleuchteten Regalen. In jedem Fach lag nur ein weißes Set, schön beleuchtet, scheinbar nachlässig drapiert, in Wahrheit waren die Körbchen der BHs, die Slips und Strapse mit Luft und Lust gefüllt. An dem Tag trug ich keinen BH, und mein Slip war rot. Er beugte sich an mein Ohr.

„75 D, Laura?“

„Was?“

„Deine Körbchengröße.“

Der Typ trieb mich in den Wahnsinn. Er hatte es auf den Punkt getroffen, ich habe schöne große Brüste. Gerade spürte ich sie. Irgendwie musste ich es ihm heimzahlen und flüsterte zurück: „Zwanzigfünf?“

Er lächelte. Er hatte sofort begriffen, was ich meine.

„Nein“, sagte er. „Probier das hier.“

Er winkte der Verkäuferin und deutete auf ein Set, der BH aus Spitze und transparenter Seide, der Slip auch, die Strapse breit und glatt. Ich stellte es mir an meinem Körper vor. Nicht hinsehen!, dachte ich. Sonst will ich auf der Stelle.

„Größe 38 für den Slip und die Strapse“, sagte er zu der Verkäuferin. „BH 75 D. Laura möchte es anprobieren.“

Ihre Lippen waren halb geöffnet. Was wollte sie von ihm oder von mir? „Hallo Laura“, sagte sie, „ich bin Mirjana. Geh schon mal rein, ich hole die Sachen aus dem Lager.“

Wollte sie mich etwa mit ihm alleine lassen? Ehe ich eine Ausrede fand, huschte sie durch die Hintertür. Herr Max griff schon wieder nach meiner Hand, zog mich zu einer Kabine und schloss den Vorhang. Schimmernder Stoff und weinroter Putz umgaben uns. Er riss mich an sich und zog meine Hand abwärts. Sein Schwanz war so hart wie sein Arm, ich atmete nicht mehr, er schob meinen Rock hoch, fasste in meinen Slip, auf einmal kniete er vor mir, seine Lippen auf meinen da unten, seine Zunge eine Schlange auf meine Klit, mir wurde schwarz vor Augen, ich schloss sie und öffnete sie wieder, als es nichts mehr zu spüren gab. Er stand vor mir und sah mich an. Der Slip schmiegte sich wieder um meine Hüften, der Rock streichelte meine Schenkel, ich stand einfach nur da und sah ihn auch an, angezogen, aber so nackt wie nie. Draußen hörte ich Schritte, öffnete den Vorhang. Die Verkäuferin hatte eine edle Schachtel in der Hand. Lächelte er ihr zu?

Er nahm ihr die Schachtel ab, reichte sie mir und schloss den Vorhang. Ich hörte ihn mit ihr plaudern, als ob nichts wäre. Ob sie roch, dass er mich geschmeckt hatte?

Wenn ich das neue Höschen über meinen Slip zog, sollte er mir das Set tatsächlich kaufen, weil ich es gleich anbehalten musste, sonst würde es nach mir riechen. Wollte ich das?

Ich zog mich nackt aus und betrachtete mich im Spiegel. Meine Nippel standen wie eine Eins, meine Schamlippen glitzerten, ein Tropfen rann mir über den Schenkel. Ich wischte ihn mit dem weißen Slip fort und schlüpfte hinein. Er hörte es durch den Vorhang.

„Gefällt es dir?“

Ich streifte die Strapse über meine Hüften, zog den BH an, drehte mich seitlich zum Spiegel und dann mit dem Rücken. Ich bekam Gänsehaut. Meine Arschbacken schimmerten wie Pfirsiche in der Sonne. Der BH liebkoste meine Brüste, ich holte eine heraus, leckte meine Finger und kniff in den Nippel. Meine Knie gaben nach. Wenn ich jetzt etwas sagte, hörte er alles. Ich sagte etwas: „Ja, sehr.“

Ich wusste, dass er es gehört hatte. Ich stellte mir vor, wie sein Schwanz noch härter wurde. Dann musste ich es mir nicht mehr vorstellen, seine Stimme verriet ihn.

„Zeigst du es mir?“

Ich griff in den Slip. Ich fühlte mich himmlisch an. Ich war nass und heiß, mein Finger wollte es mir besorgen, jetzt, auf der Stelle, aber ich verbot es ihm und konzentrierte mich. Meine Stimme sollte belustigt klingen, widerborstig und ein bisschen geil.

„Ja“, sagte ich, „aber erst, wenn wir bei mir sind.“

Domenica

Moritz Arndts bester Freund hatte Domenica auf einer Silvesterparty geküsst und seitdem vergeblich versucht, sich in sie zu verlieben. Vom Sex abgesehen fand er sie belanglos und hatte Moritz nichts weiter von ihr erzählt, bis er sie in einer Bar auf dem Kiez miteinander bekanntmachte

Domenica schlürfte Sambuca und hörte den Kerlen beim Kalauern zu. Sie trug braune Stiefel, geblümte Nylons, ein grünweißrotes Kleid, ein helles Halstuch, und keins ihrer roten Haare tanzte aus der Reihe. Ihr Busen war bemerkenswert, aber auf geheimnisvolle Weise schaffte sie es, dass Moritz ihn erst auf den dritten Blick bemerkte. Er fand sie freundlich und blutleer. Ohne ihre vorstehenden Zähne hätte sie als Schaufensterpuppe in eine teure Boutique für mittelalte Damen gepasst. Als Paul zur Toilette ging, lächelte sie Moritz zu.

„Schön, dass ich dich endlich mal kennenlerne. Paul hat viel von dir erzählt.“

„Mir von dir auch.“

„Oh. Was denn?“

„Nur das Beste.“

„Komm, lass mal stecken. Der will vor seinem besten Freund nur nicht zugeben, dass er mich langweilig findet.“

Sie überraschte Moritz mit einem Lächeln, das bitter oder ironisch war. Er wartete auf mehr, aber sie schwieg und griff nach ihrem Glas. Der Abend endete, als sie gähnte und etwas von einem anstrengenden Tag murmelte.

Wochen später an einem sonnigen Nachmittag begegnete er ihr in Ottensen und lud sie zu einem Kaffee ein. Im bunten Minirock und der weißen Bluse wirkte sie unbeschwert, bis er ihre Augenringe bemerkte. Er führte sie in ein Café, das er morgens mied, weil es ein Magnet für die örtlichen Macchiatomütter samt ihrem verzogenen Nachwuchs war, aber nachmittags überließen sie es den stillen Laptopnerds, und den Kuchen fand er genial. Er bestellte Americano und Heidelbeertörtchen, Domenica nahm ein stilles Wasser. Sie lachte, als er fragte, ob sie sich die Augenringe wegen der Trennung von Paul angeschafft habe.

„Nö, darüber bin ich sogar ganz froh.“

„Und woher bitte hast du die Augenringe?“

„Sag ich nicht.“

„Warum?“

„Dafür kennen wir uns nicht gut genug.“

Sie unterhielten sich über ihre Jobs und Domenicas Hoffnung auf eine Stelle als Producerin bei einem Privatsender in Köln. Moritz erzählte von seinem Sohn und der laufenden Schlacht mit seiner Ex, die rein gar nichts von seinem Plan hielt, mit dem Kleinen auf Klettertour in die Pyrenäen zu fahren. Domenica kostete von seinem Törtchen und ließ sich auch eins kommen. Nach einem anstrengenden Dreh an der Nordsee hatte sie frei genommen und mit Freundinnen bei Pizza und Schokolade endlos DVDs geguckt. Vicky Christina Barcelona von Woody Allen hatte es ihnen besonders angetan. Moritz kannte den Film und hatte ihn wie die meisten anderen nicht gleich wieder vergessen. Das lag eindeutig an Scarlett Johansson. Domenica musterte ihn über den Tassenrand.

„Und, wie findest du Scarlett Johansson?“

„Scharf“, sagte er.

„Na sieh mal an.“ Dass sie grinsen konnte, überraschte ihn nicht mehr. „Ist anscheinend ein männlicher Reflex.“

„Warum auch nicht?“

Sie sah ihn an, dann nickte sie ernsthaft.

„Stimmt. Kann ich dich mal was fragen, Moritz?“

„Wenn du die Antwort verträgst.“

Sie grinste schon wieder. Er fand sie lebendiger, als er gedacht hatte.

„Dann schieß mal los“, sagte er.

Sie wollte alles wissen, was Paul über sie erzählt hatte. Er fand behutsame Worte und zeichnete ein Bild, von dem er hoffte, dass sie damit leben konnte, aber beim Reden merkte er, dass sie sich über sein Zartgefühl amüsierte. Er kam ins Stocken, sie kniff ihre Augen zusammen.