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Kurzbeschreibung:

Wir haben den Umgang mit dem Sterben verlernt. Kaum noch eine Familie hält Totenwache, kaum noch gemeinsames Trauern – und selbst das Begleiten Sterbender legen wir in die Hände von Profis. Wir sind froh, wenn wir nichts mit dem Tod zu tun haben. Deshalb trifft er uns oft völlig unvorbereitet. Susanne Conrad wurde doppelt mit dem Sterben konfrontiert: 2002 erhielt sie die Diagnose Brustkrebs und musste dem eigenen Tod ins Auge blicken. Kurz darauf starben ihre beiden Eltern, und sie begleitete sie bis zum Ende. Aus ihrer Kindheit im Schwarzwald kennt sie noch die alten Rituale im Umgang mit Tod und Trauer. Dahin müssen wir wieder zurück, meint Susanne Conrad. Wir müssen uns beherzt und ehrlich mit dem Tod auseinandersetzen. Nur so können wir die Angst vorm Sterben verlieren.

Susanne Conrad

Sterben für Anfänger

Wie wir den Umgang mit dem Tod neu lernen können


Edel Elements

Edel Elements

Vorwort

Wir müssen immer lernen,
zuletzt auch noch sterben lernen.
Marie von Ebner-Eschenbach

In unserer Welt gibt es Anleitungen und Gebrauchsanweisungen für alles und jedes – für das Bedienen des Fernsehgeräts, die Entkalkung der Kaffeemaschine, fürs Rosenschneiden, Abnehmen, den Aufbau eines IKEA-Regals. Keine Eventualität soll uns unvorbereitet treffen. Nur für den Tod, der auf uns so unausweichlich wartet wie das berühmte »Amen in der Kirche«, rüsten wir uns nicht. Wir kennen ihn zwar, begegnen ihm täglich – in Todesanzeigen, Schlagzeilen, als »Fall« in irgendeinem Krimi und gelegentlich als traurige Nachricht aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis. Aber immer ist es der Tod der anderen.

Wir sind entsetzt, betroffen, fassungslos, dass er oder sie so jung sterben musste, auf diese entsetzliche Weise oder ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt. Tatsächlich kommt der Tod nie zum »richtigen« Zeitpunkt. Bei jungen Menschen nicht, schon gar nicht bei Kindern, aber auch bei alten Menschen, die ihr Leben vermeintlich gelebt haben, tun wir uns schwer, ihn zu akzeptieren. Wir betrachten den Tod als notwendiges Übel, das in unserem Leben zwar vorkommt, aber eigentlich keinen Platz hat. In unserer modernen Welt, in der es kaum noch Geheimnisse gibt und in der wir glauben, alles unter Kontrolle zu haben, hat etwas so Rätselhaftes und Unberechenbares wie der Tod einfach nichts verloren. Er verträgt sich nicht mit unserem Leistungsdenken und entpuppt sich in einer auf Spaß, Unterhaltung und Jugendlichkeit ausgerichteten Gesellschaft als unwillkommener Spielverderber. Wir haben ihn aus unseren Gedanken verbannt, ihn aus unserem Leben ausgelagert in Krankenhäuser und Pflegeheime. Die Betreuung Sterbender und die Versorgung unserer Toten haben wir abgegeben in fremde, professionelle Hände.

Wir können lange so tun, als ginge er uns nichts an. Aber irgendwann wird sich der Tod Zutritt zu unserem Leben verschaffen, und das geschieht oft plötzlich, wenn wir gar nicht mit ihm rechnen. Und dann stellen wir fest, dass wir völlig unvorbereitet und hilflos, dass wir, wenn es ums Sterben geht, blutige Anfänger sind.

Wäre es also nicht sinnvoll, sich mit dem Tod zu befassen und das Sterben zu »lernen«, damit man die einzige Chance, die man dafür im Leben hat, nicht verpatzt?

Ich plädiere dafür, dem Tod wieder einen Platz in unserem Alltag zu geben, ihn uns vertraut zu machen, ihn besser kennenzulernen. Was für frühere Generationen noch selbstverständlich war, ist in unserer Zeit die Ausnahme. Leben beginnt kaum noch zu Hause, und es endet nur noch selten dort. Wir wollen den Tod nicht im Haus haben. Er ist uns fremd geworden. Und was uns fremd ist, macht uns Angst. Aber nur, wenn wir den Gedanken zulassen, dass der Tod zum Leben gehört, wenn wir bewusster mit unserer Sterblichkeit umgehen, wird unsere Angst davor kleiner werden.

Natürlich gibt es im Umgang mit dem Tod keine »todsichere« Formel, keine endgültigen und schnellen Antworten. Die kann es auch gar nicht geben, denn so einzigartig jeder Mensch ist, so individuell ist auch sein Sterben, so unterschiedlich erlebt er die Begegnungen mit dem Tod. Jeder muss also seine ganz persönlichen Bewältigungsstrategien entwickeln, seinen eigenen Weg finden.

Dieses Buch will deshalb auch keine einfachen, allgemeingültigen Rezepte bieten. Es soll vielmehr eine Einladung sein, sich auf die vielleicht wichtigste Entdeckungsreise unseres Lebens zu begeben, an einen Ort, den wir alle fürchten. Aber genau dort, wo wir die größte Angst spüren, werden wir den Antworten, die wir suchen, am nächsten kommen. Ich habe das selbst erfahren, auf meiner eigenen Erkundungsreise, die mich in den letzten Jahren durch eine schwere Krebserkrankung geführt und mit dem Tod meiner Eltern konfrontiert hat. Die Auseinandersetzung mit der Angst, mit Abschied und Verlust waren die bis heute schmerzhaftesten Erfahrungen meines Lebens. Es hat etwas gedauert, bis ich begriffen habe, dass mir diese Erlebnisse auch eine große Chance eröffnet haben. Die Chance, mehr über mich selbst zu erfahren und zu erkennen, was mir wirklich wichtig ist. Und das ist die beste Vorbereitung auf den Tod, der, wenn wir ihn ernst nehmen, der Schlüssel für den Sinn des Lebens ist.

Meine eigenen Erfahrungen, das, was mir andere über ihre Begegnungen mit dem Tod erzählt haben, die Gespräche mit Familie und Freunden und mein ganz persönlicher Reisegefährte, die Literatur, sind für mich zu wichtigen Orientierungshilfen geworden auf dieser Reise ins Ungewisse, die Erich Kästner so beschrieben hat:

Wir sitzen alle im gleichen Zug

Und reisen quer durch die Zeit.

Wir sehen hinaus. Wir sahen genug.

Wir fahren alle im gleichen Zug.

Und keiner weiß, wie weit.