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Raphael I Severin I Alexis
VON HOENSBROECH

Das Peripetie Prinzip

DIE KUNST WIRKSAMER FÜHRUNG

Inhalt

Vorwort: Über das Peripetie-Prinzip und die Kunst, wirksam zu führen

Auf der Bühne durch die Wand gehen (Severin)

Der geniale Moment einer Peripetie

Krise? Welche Krise?

Ich krieg die Krise … hoffentlich! (Alexis)

1. Auf einer Bühne kann man sich nicht verstecken

Spezialfall PowerPoint-Präsentation

Frei oder abgelesen?

Liebe dein Publikum so wie dich selbst

2. Entspanne dein Publikum, indem du dich selbst entspannst

Der Feind in mir

Wer hat die Kontrolle?

Meister aller Gewichtsklassen

Lost in space

Die Bühne bereiten

3. Mach Fehler und bleib glücklich

How fascinating!

Der Fluch der Perfektion

Es gibt kein menschliches Versagen! (Alexis)

4. Achte auf dein Gegenüber und hör auf, über dich selbst nachzudenken

Den anderen gut aussehen lassen

5. Langweile nie dein Publikum

Change – yes we can

Mythos Change (Alexis)

Der Veränderungsmoment

Was man erzählen sollte – und was nicht

Das Missverständnis mit der Heldengeschichte

Mach’s persönlich

Der rote Faden

Die Spannung steigern

6. Autentität oder wie hieß das noch mal – und was ist das eigentlich?

Sei doch einfach mal so, wie du bist …

Authentizität herstellen und nutzen

7. Statusspiele und Framing – Die Mechanik hinter unserer Kommunikation

Mit dem Status spielen

Die hohe Kunst des Rollenspiels

Du, Chef … (Alexis)

Den Status anpassen

Wie der Rahmen das Bild beeinflusst

Das Spiel mit den Rahmen beherrschen

Der richtige Rahmen für den richtigen Zweck

Musik machen statt Noten spielen (Raphael)

Mythos Orchester

Die letzte Bastion autokratischer Führung

1. Eine Vision vertreten

Eine Vision oder viele

Wer führt, muss etwas zu sagen haben

Die Vision ist dem Klang einen Schritt voraus

2. Die größere Perspektive einbringen

Jeder Stuhl klingt anders

Die anderen spielen mal wieder schief

Fehlerkultur

Wir sitzen alle auf einer Bühne

Oversecure Underperformer

Work-Life-Balance oder Arbeit ist wie ein ideales Gas (Alexis)

Ich und dann das Team

3. Kreative Räume schaffen

Genialer Regelbruch (Alexis)

Führungsfalle Machtdemonstration

Führungsfalle Nichtführen

Führungsfalle Mikromanagement

Führungsfalle Status

4. Dienend führen

Haltung ist eine Entscheidung

Im Dienen liegt Größe

Dienend im Schauen: Augen-Blicke nutzen

Dienend im Hören: Zuhören

Dienend im Reden: Vertrauen schenken

Danke!

Über die Autoren

Impressum

Vorwort: Über das Peripetie-Prinzip und die Kunst, wirksam zu führen

Jeder, der führt, ob Unternehmer oder Manager, weiß: Um wirklich etwas zu bewegen und zu verändern, muss er nicht nur fachlich hochkompetent sein und genau wissen, was er will. Er muss die Menschen auch inspirieren können. Für sich, für seine Vision, für die gemeinsame Sache. Gute Argumente sind dafür zwar hilfreich. Etwas anderes ist aber mindestens genauso wichtig, und es wird oft übersehen: Wer mit seinem Auftreten vor der Öffentlichkeit oder im Team nicht überzeugt, der wird nichts bewirken. Die Performance muss stimmen. Und die lässt sich beeinflussen, zum Beispiel ganz simpel durch Vorbereitung.

Das habe ich zum ersten Mal so richtig einschneidend erlebt, als ich noch als Schüler eine politische Rede vor 20 000 Menschen halten sollte, unter freiem Himmel. Ich war nicht gut präpariert, hatte nur Zettel mit wenigen Stichworten und bemerkte schon während des Redens, dass meine Worte nicht den gewünschten Eindruck machten. Glücklicherweise wurde meine Rede durch einen kräftigen Regenschauer unterbrochen. Danach habe ich mich auf jede Rede intensiv vorbereitet. Ich hatte gelernt, wie wichtig der öffentliche Auftritt ist.

Als Führungskraft muss man zwar überzeugend auftreten können, um zu wirken. Die großartigste Soloperformance allein reicht aber nicht, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen. Wer es nicht schafft, sein Team, sein Unternehmen, seine Organisation zu einem Ensemble zu formen, wird keine nachhaltige Veränderung bewirken und nur Alltägliches und Altbewährtes abliefern. Bloßer Standard aber bedeutet: Heute kann man gerade noch so mitschwimmen. Morgen ist man abgesoffen.

Deshalb braucht gute Führung, wirksame Führung, die Fähigkeit, die anderen zu ihrer Höchstleistung zu bringen und im Ensemble als Führungskraft die richtige Rolle einzunehmen, oft unheroisch-unspektakulär, aber mit den selektiv und richtig dosierten Interventionen. Letztlich geht es darum, allein oder im Team, ein Publikum zu begeistern – Mitarbeiter, Kollegen, Vorgesetzte, Kunden, Shareholder, Stakeholder, die Öffentlichkeit.

Ob solo oder im Ensemble – wenn die Performance stimmt, kann entstehen, worauf es wirklich ankommt: ein Moment, der etwas bewirkt. Ein Moment, in dem Veränderung stattfindet. Das ist es, was mit »Peripetie« gemeint ist. Dieser Begriff, den bereits Aristoteles für seine Dramen-Theorie verwendet hat, bezeichnet den Augenblick, in dem ein Geschehen umschlägt, den Moment eines Umschwungs der Handlung. Genau das wollen wir als Führungskräfte ja erreichen: einen Umschwung der Handlung. Gerade in Zeiten von Umbrüchen und Transformation, wo Mentalitätsumschwünge Schlüssel sind.

Das hat etwas Künstlerisches – in der Herstellung des Moments der Peripetie, aber auch im Erleben des Moments. Deshalb ist es richtig, von wirksamer Führung als einer Kunst zu sprechen. Und deshalb ist es auch so naheliegend, dass Künstler uns viel über gute Führung verraten können.

Raphael und Severin von Hoensbroech sind Künstler – und zugleich Manager sowie Unternehmer. Raphael begann bereits mit drei Jahren Geige zu spielen. Er ist promovierter Musikwissenschaftler und lernte nebenher das Dirigieren. Nachdem er fast zehn Jahre als Unternehmensberater gearbeitet hatte, wurde er Geschäftsführender Direktor eines der größten deutschen Konzerthäuser. Brücken zu schlagen zwischen den zwei Welten Musik und Wirtschaft war schon immer sein Thema. Es ist auch das Thema seiner Seminare für Führungskräfte, in denen er als Dirigent mit einem echten Orchester auf verblüffende Weise zeigt, wie gemeinsam Momente der Veränderung erzeugt werden können. Kurz: wie gute Führung funktioniert.

Severin ist Diplom-Psychologe, Schauspieler, Moderator mit umfassender Film- und Bühnenerfahrung und Regisseur. Er entwickelt mit seiner Frau Anja ein großes Denkmalensemble bei Köln, zu dem auch eine Bio-Landwirtschaft gehört, und will daraus eine Art »Erlebnispark für Nachhaltigkeit« erschaffen. Solche Pläne lösen in seiner Umgebung oft Kopfschütteln aus, aber Severin weiß aufgrund seiner Profession, wie man mit seinem Auftreten bei anderen Menschen Wirkung erzeugt, wie man Momente der Peripetie erreicht. Auch er gibt dieses Wissen in Seminaren an Führungskräfte weiter.

Der dritte Bruder, Alexis, ist »nur« Topmanager in einem internationalen Konzern, für den auch ich einmal gearbeitet habe. Alexis ist kein Künstler im engeren Sine, aber auch er hat mehrere Perspektivwechsel in seiner Karriere hinter sich: promovierter Astrophysiker, Unternehmensberater und nun Manager. Er weiß genau, welche Bedeutung die Peripetie für das Management hat und wie man als Führungskraft Wirkung erzielen kann. Mit seinen Beiträgen zum Buch bindet er das Spezialwissen seiner Brüder in den Alltag einer Führungskraft ein.

Drei Brüder, drei spannende Biografien, drei Perspektiven auf dasselbe Thema. Ist es ein Zufall, dass die Anfangsbuchstaben der drei zusammen das lateinische Wort ars, Kunst, ergeben? Jeder von den dreien weiß für sich sehr viel über die Kunst, Momente des Umschwungs – Peripetien – zu erzeugen. Und wo gibt es das schon mal, dass drei so unterschiedliche Brüder mit ihrem jeweiligen Wissen so viel zu einem gemeinsamen großen Thema beitragen können?

Die Geschichte der drei hat mich spontan beeindruckt. Mich faszinieren ungewöhnliche Typen, jedes Unternehmen, unsere ganze Gesellschaft profitiert vom Ungewöhnlichen, Nichtstromlinienförmigen. Aber es ist nicht allein mein Faible für das Außergewöhnliche, weswegen ich mich sofort bereit erklärt habe, das Vorwort für dieses Buch zu schreiben. Die drei Brüder von Hoensbroech sind Experten für eine wirksame, moderne und demokratische Führung, und sie vermitteln mit ihrem Buch auf unterhaltsame und fundierte Art, wie sich jede Führungskraft diese Art der Führung aneignen kann. Eine Führung, die tatsächlich Resultate bringt, die wirkt. Und damit Veränderung bringt. Kein Wunder, dass mich das begeistert!

Thomas Sattelberger

Auf der Bühne durch die Wand gehen (Severin)

Ich musste 30 Jahre alt werden, bis ich mich getraut habe, jemandem zu erzählen, dass ich dreimal durch die Führerscheinprüfung gefallen bin. Es gibt für einen 18-Jährigen ja nichts Peinlicheres – zumal mein Fahrlehrer mit mir immer als seinem besten Schüler angegeben hatte. Aus heutiger Sicht ist die Geschichte eigentlich ganz ehrenhaft: Ich habe meine Fahrprüfung in der Schweiz abgelegt und bin wegen »destruktiven Bremsverhaltens« durchgefallen – bis dahin wusste ich weder, dass es dieses Kriterium überhaupt gibt, noch, was das überhaupt ist. Das zweite Mal habe ich dann fast einen Schweizer Soldaten auf einem Zebrastreifen überfahren, was der Fahrprüfer mit einem Tritt auf sein Bremspedal verhindert hat. Ich sehe die Schuld bis heute bei dem Soldaten – da er Tarnkleidung angezogen hatte, hätte er davon ausgehen müssen, nicht sichtbar zu sein. Und beim dritten Mal bin ich auf den alten Einbahnstraßentrick reingefallen: »Bitte die nächste Möglichkeit rechts abbiegen …«

Nach drei Fehlversuchen muss man in der Schweiz zum sogenannten »Idiotentest«. Die Tatsache, dass sich die Fahrerlaubnisverwaltung der Schweiz darauf einigte, mich ohne diesen Test ein viertes Mal zuzulassen, nehme ich bis heute als amtliche Bescheinigung dafür, dass ich kein Idiot bin. Ich brauchte aber zwölf Jahre, um das zum ersten Mal jemandem zu erzählen. Ähnlich verhält es sich mit meiner Strategie, wie ich in den Schlaf finde, wenn ich meinen Kopf wegen Stress, Sorgen oder Ähnlichem nicht ausgeschaltet bekomme. Ehrlich gesagt offenbare ich das hier zum ersten Mal, und selbst meine geliebte Frau Anja, die sonst alles über mich weiß, wird das erst in diesem Buch lesen. Es war mir immer unangenehm, besonders gegenüber Anja, da es so etwas Selbstverliebtes hat, und das ist keine Eigenschaft, mit der man sich brüsten kann.

Wenn ich also nicht einschlafen kann, weil ich mich etwa über jemanden ärgere und mir schon 1000 Male vorgestellt habe, was ich dem sagen werde und wie, und mich dann über mich selbst ärgere, weil 1000 Male eigentlich reichen dürften und es nichts nützt, mir das noch zum 1001. Mal auszumalen, ich es aber trotzdem tue, dann denke ich an einen genialen Moment, irgendeinen, einen großen, einen kleinen, und dann schwelge ich in diesem Moment und lasse ihn in allen Details vor meinem inneren Auge entstehen. In diesem Moment ist es so wohlig und warm, dass ich mich herrlich in ihn hineinkuscheln kann, und vor lauter Selbstbewunderung schlafe ich dann in der Regel ein. Was hat es mit diesen genialen Momenten auf sich?

Der geniale Moment einer Peripetie

Eigentlich bin ich ja studierter Psychologe, mein Zuhause ist allerdings die Bühne, als Regisseur, Schauspieler oder Moderator. Wenn ich nicht auf, vor oder hinter einer Bühne oder Kamera stehe, entwickle ich ein so altes wie bezauberndes und hochkompliziertes Denkmalensemble bei Köln mit angeschlossener ökologischer Landwirtschaft.

Unabhängig davon, ob ich gerade auf einer Bühne stehe, Menschen für die Bühne trainiere, einen Förderantrag durchargumentiere oder eine epische Schlacht inszeniere, geht es in meiner Tätigkeit immer um zwei zentrale Themen: Wirksamkeit und Authentizität. Beides Dinge, die bevorzugt in Bühnensituationen entstehen, wobei es hier unbedeutend ist, ob ich gerade Macbeth spiele oder eine Rede vor Mitarbeitern halte.

Geniale Momente auf der Bühne können verschiedenste Formen haben. Hier zwei Beispiele für solche Momente, die ich erlebt habe:

Ein genialer Moment kann aber auch schon eine kleine, schlagfertige Antwort sein.

Meistens bemerken wir erst im Nachhinein, wie genial die Momente waren, und das ist tatsächlich ein Kriterium dieser Momente. Der geniale Moment ist kein Selbstzweck, er ist nicht das zu erreichende oder erreichte Ziel. Es kann sich toll anfühlen, einen Dreitausender erklommen zu haben und auf dem Gipfel zu stehen. Der geniale Moment findet aber in der Wand unterhalb des Gipfels statt und entfaltet seine Genialität für den Schöpfer des Momentes oft ungeplant. Er entsteht, wenn wir auf dem Weg zum Ziel einen Durchbruch erleben, wenn etwas passiert (eine Idee, eine Tat, ja vielleicht nur ein Satz), was die Kraft hat, alles zu verändern, was folgt. Der geniale Kniff, die entscheidende Wendung, die das Erreichen des Gipfels überhaupt erst möglich gemacht hat. Die kleine Szene im Oscar-Wilde-Stück hatte ich ursprünglich nur erfunden, um eine dramaturgische Unzulänglichkeit zu beheben. Der von mir gar nicht beabsichtigte Effekt war allerdings, dass sie das ganze Stück auf ein anderes Bedeutungsniveau gehoben hat.

Das ist das Besondere, Erhebende und Erhabene an genialen Momenten, und sie können in allen Bereichen stattfinden. Vorwiegend natürlich in der Kunst, die diese Momente braucht, um überhaupt existieren zu können. Doch kann auch ein besonders formulierter juristischer Satz ein genialer Moment sein, eine Klausel in einem Vertrag, die diesem auf einmal eine ungeahnte Tragweite gibt und noch Generationen die scharfsinnige Formulierung bewundern lässt, deren überragende Qualität dem Autor eventuell gar nicht bewusst war, deren Aussage vielleicht sogar anders intendiert war.

Nun lassen sich geniale Momente leider nicht erzwingen, doch man kann sie ermöglichen. Die Techniken und Grundprinzipien, die wir in diesem Buch beschreiben, ebnen den Weg zu diesen Momenten. Es sind diese Momente, die im Gesamten die entscheidende Wendung bringen. Oft aus einer Krise entstanden, ermöglichen sie das Erreichen eines Ziels oder bringen die Wende zum Erfolg.

Im klassischen Drama nennt man solche Momente die »Peripetie«. Sie liegt meist etwa in der Mitte der Gesamthandlung. Unser Leben und besonders unser Berufsleben ist zwar häufig ein Drama, als klassisches Drama leider jedoch recht ungeeignet, da Anfang und Ende der Handlung nur schwer zu bestimmen sind. Die genialen Momente der Veränderung, die Peripetien, können wir im Nachhinein jedoch gut erkennen.

In diesem Teil des Buches dreht sich alles um den Auftritt vor anderen Menschen. Im Teil »Gemeinsam Musik machen statt Noten spielen« geht dann mein Bruder Raphael der Frage nach, wie in der Interaktion mit einem Team geniale Momente entstehen können. Zentrales Motiv bei allem ist die Veränderung – dass das Nachher grundsätzlich anders, besser, größer, ergreifender, tiefer, tiefsinniger und so weiter ist als das unwiederbringliche Vorher. Das ist das Peripetie-Prinzip.

Krise? Welche Krise?

Ein nicht zwingend notwendiger, aber sehr häufig auftretender Ausgangspunkt für die Erzielung genialer Momente – und somit oft Grundlage der Peripetie – ist die Krise. In der Schauspielschule machten wir einmal eine Übung zu dem Thema. Sie heißt »Radikalkreis«. Vierzig Schüler setzen sich in einen Halbkreis vor eine Wand, und einer muss in die Mitte. Er bekommt die schlichte Aufgabe gestellt, die anderen zu unterhalten.

Der Haken: Er darf den Kreis erst verlassen, wenn sich alle vor Lachen krümmen oder in Tränen ausgebrochen sind – selbst wenn das anderthalb Stunden dauert. Die Zuschauer müssen aufmerksam zusehen, dürfen sich also nicht ablenken, unterhalten, einschlafen oder Ähnliches (was bei 90 Minuten Dauer der Übung auch für die Zuschauer eine Herausforderung ist).

Ich krieg die Krise … hoffentlich! (Alexis)

Vor vielen Jahren arbeitete ich als Unternehmensberater vorübergehend in Japan. Unser Unternehmen hatte mich im Rahmen einer Art Austauschjahr dorthin geschickt. Unter 160 Japanern war ich der einzige Ausländer, was – leicht vorstellbar – nicht ohne ein gewisses Maß an Missverständnissen und Skurrilität ablaufen kann.

Gleich in meiner ersten Woche wurde ich einem Projekt zugeteilt. Ein japanischer Hersteller von elektronischen medizinischen Geräten hatte seine selbs gesteckten Vertriebsziele in Europa nicht erreicht und uns gebeten, seine Europa-Strategie zu überarbeiten. Japaner fühlen sich (natürlich) in Japan wohl wie ein Fisch im Wasser, aber außerhalb des eigenen Landes sind sie oft unsicher und hilflos. Daher passte es aus Sicht meines japanischen Arbeitgebers ganz gut, mich merkwürdigen Ausländer mit diesem Europa-Projekt zu beauftragen.

Wie bei Beratungsprojekten üblich, entschlossen wir uns, zunächst eine Markt- und Feldstudie durchzuführen. Und so fand ich mich bereits nach zehn Tagen wieder im Flugzeug nach Deutschland, um dort eine Woche lang Konsumenten, Vertriebspartner (nämlich Apotheken), sonstige Marktteilnehmer und -beobachter sowie lokale Mitarbeiter des Unternehmens zu befragen. Vorher hatten wir natürlich intern besprochen, was Inhalt dieser Studie sein sollte. Ich machte so etwas nicht zum ersten Mal und ging nach meiner gewohnten Methode vor: zuerst externe Marktdaten besorgen, parallel Hypothesen aufstellen und einen Fragenkatalog entwerfen, dann Interviews, Interviews und noch mal Interviews führen, diese auswerten, Hypothesen überarbeiten, erneut Interviews führen, um dann hoffentlich zu einem schlüssigen Bild über den Markt und das Kundenverhalten zu kommen.

Nach zwei Tagen bekam ich den ersten Anruf meines Projektleiters aus Tokio, der meine Ergebnisse hören wollte. Ich erklärte ihm, dass ich noch mitten in der Findungsphase sei und für erste Ergebnisse noch ein paar Tage benötigte. Schon während des Telefonats merkte ich, dass das bei ihm nicht so richtig verfing. Mir war aber auch nicht wirklich klar, was mein japanischer Chef nach nur zwei Tagen denn so erwartete.

Zwei Stunden später klingelte erneut mein Telefon, und eine japanische Kollegin, die an demselben Projekt arbeitete, meldete sich aus Tokio. Offenbar habe ich ja Schwierigkeiten, und daher würde sie sich noch heute Abend in den Flieger setzen, um mich ab morgen bei meiner Arbeit vor Ort zu unterstützen. Und ehe ich mich versah, hatte ich eine hyperaktive japanische Beraterin neben mir sitzen. Sie wollte ganz genau wissen, mit wem ich gesprochen habe, was die Antworten waren, warum ich einem Interviewpartner eine bestimmte Frage nicht gestellt habe und wo denn die statistische Auswertung sei. Dann begann sie, hektisch aus meinen Fragmenten Folien zu malen, deren Aussagen mangels Substanz herzlich mangelhaft waren, und schickte mich ständig los, irgendwelche erratischen Informationen einzuholen. Und das Ganze tat sie gefühlt 24 Stunden am Stück, ohne zu schlafen oder zu essen.

Mir dämmerte zwar, dass die japanische Kollegin möglicherweise selber keinen echten Plan hatte, aber mit ihrem hektischen Mikromanagement brachte sie mich vollkommen aus dem Konzept. Einerseits versuchte ich, mich auf ihre Arbeitsweise einzustellen, was ungefähr so gut funktionierte, wie wenn man einen Boxer zu einem Ikebana-Wettbewerb schickt. Andererseits bemühte ich mich, wenigstens Rudimente meines eigenen Konzeptes durch weitere Interviews zu retten, was aber kaum glückte.

Einige Tage später wurde ich dann nach Tokio zurückbestellt, während meine rastlose japanische Beraterkollegin in Deutschland bleiben sollte, um »meine« Feldstudie abzuschließen. Mit leerem Kopf und vor allem ohne aussagekräftige Ergebnispräsentation stieg ich in den Flieger und schlief den ganzen Flug, da mir die Kollegin nicht nur den letzten Nerv, sondern auch den letzten Schlaf geraubt hatte.

Ich kann mich kaum an Momente in meinem Berufsleben erinnern, in denen ich mich so schlecht und so erniedrigt gefühlt habe. Bei meinem japanischen Arbeitgeber war ich definitiv schwer angezählt – und das nach kaum mehr als zwei Wochen. Und da ich schließlich ein ganzes Jahr in Tokio bleiben wollte, steckte ich mitten in einer tiefen persönlichen Krise und hatte innerlich schon fast kapituliert.

Als ich im Taxi zum Büro saß, etwa 30 Minuten bevor ich auf den japanischen Projektmanager treffen sollte, blätterte ich noch mal frustriert durch die Ergebnisfolien, die unter dem Taktstock meiner hektischen japanischen Kollegin entstanden waren, und erwartete die absehbare Katastrophe im Büro. In diesem Augenblick merkte ich, wie in mir eine Mischung aus Wut und Panik aufstieg – und mit ihr auch ein wenig Kampfgeist. Ich legte die so wirren wie dünnen Ergebnisdarstellungen beiseite, las noch mal meine diversen Interviewnotizen quer, markierte bestimmte Muster, die in verschiedenen Interviews auffielen, und strukturierte sie in Gedanken. Mit dem Mut zur Lücke schrieb ich dann – noch im Taxi – auf einer halben Seite hypothesenhaft die Kernaussagen in meiner eigenen Struktur handschriftlich nieder.

Im Büro angekommen, erwartete mich recht unterkühlt der Projektmanager. Wir gingen in einen Besprechungsraum, in dem telefonisch meine japanische Kollegin aus Deutschland zugeschaltet war. Gerade wollte meine Kollegin am Telefon beginnen, »unsere« Ergebnisse vorzustellen, da bat ich darum, einleitend und abseits der Präsentation meine persönliche Zusammenfassung abgeben zu dürfen. Und dann erzählte ich den beiden anhand meiner in zehn Minuten im Taxi zusammengeschriebenen Kernaussagen, was ich in der Woche in Deutschland über den Markt dieser elektronischen Geräte im Medizinsektor gelernt hatte. Das war nicht ohne Risiko, denn es passte überhaupt nicht zu der Ergebnispräsentation, die auf dem Tisch lag, und vermutlich auch überhaupt nicht zu der japanischen Kultur. Aber es nicht zu versuchen wäre mein sicheres Ende gewesen. Der japanische Projektmanager schaute mich völlig überrascht an, sagte lange nichts und meinte dann nachdenklich: »Das sind ja erstaunlich brauchbare Aussagen! Lasst sie uns zu Papier bringen und dem Kunden vorstellen.«

Von meiner hyperaktiven japanischen Kollegin kamen keine weiteren Laute aus dem Telefon. Sie reiste zurück nach Japan und half mir fortan, meine Aussagen zu Papier zu bringen und zu untermauern. Das Projekt wurde letztlich ein Erfolg, und die japanischen Kollegen im Büro brachten mir plötzlich Respekt entgegen. Wir haben das ganze Jahr bei vielen Projekten sehr gut zusammengearbeitet.

Die Krise war die Peripetie, der entscheidende Wendepunkt – auch wenn sie nur eine kleine und persönliche Krise war. Nur durch sie war es möglich, einen unkonventionellen Weg zu gehen und das Heft des Handelns in die Hand zu bekommen.

In jeder Krise hat man eine Wahl. Man kann sich ihr ergeben und gegebenenfalls in ihr untergehen. Aber in jeder Krise steigen auch immer die persönlichen und unternehmerischen Freiheitsgrade. Wenn es einem gelingt, diese kreativ und zielgerichtet zu nutzen, kann man stärker aus der Krise herauskommen, als man hineingeraten ist. Dann kann sie zu einem entscheidenden Wendepunkt werden. Das gilt im Kleinen wie im Großen.

Manche leistungsorientierte Unternehmen suchen bei Einstellungsgesprächen ganz gezielt ein bestimmtes Persönlichkeitsbild, nämlich das des »Insecure Overachievers«. Das ist jemand, der immer unsicher ist, ob das, was er leistet, gut genug ist. Deshalb strengt er sich besonders an, es besser zu machen – und ist dabei oft zu ungeahnter Höchstleistung in der Lage. Diese Menschen befinden sich quasi in einer Dauerkrise. Sie beschreiten aus blanker Not oft kreative und ungewöhnliche Wege, um sich aus ihrer (vermeintlichen) Krise zu retten – mit oft sehr beeindruckendem Erfolg.

Im Großen gilt das genauso. Viele Unternehmen leisten sich Strukturen, von denen eigentlich jeder weiß, dass sie nicht effizient oder zukunftsfähig sind. Aber solange es dem Unternehmen wirtschaftlich gut geht, ist es nahezu unmöglich, diese Strukturen zu verändern. Wenn ein solches Unternehmen aber in eine wirtschaftliche Krise gerät, die für jeden spürbar wird, ändert sich die Lage. Anteilseigner wollen wissen, was getan wird, um das Unternehmen aus der Krise zu holen. Mitarbeiter werden nervös und fragen, ob es für das Unternehmen und damit ihre Arbeitsplätze überhaupt noch eine Zukunft gibt. Gewerkschaften erkennen Handlungsbedarf. Lieferanten und Kunden werden nachsichtig, da sie einen möglicherweise wichtigen Geschäftspartner nicht verlieren wollen. Sogar ungeliebte Wettbewerber können plötzlich offen für Kooperations- oder Fusionsgespräche werden, wenn es sich um eine Marktkrise handelt, die alle trifft.

Und genau in diesem Augenblick wird die Krise zur Chance. Die unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten werden riesig, noch kurz zuvor undenkbare Veränderungen werden auf einmal akzeptabel. Wenn man jetzt als Führungskraft die Initiative ergreift, die kreativen Kräfte einer Krise zulässt, aus tradierten Mustern ausbricht, die richtigen Veränderungsschritte einleitet und kommunikativ die Mannschaft mitnimmt, dann hat man eine Chance, völlig neue Wege zu gehen und gestärkt aus der Krise hervorzugehen.

Es gibt viele Positivbeispiele, wie sich auch Großunternehmen in existenziellen Krisen neu erfunden haben. Etwa IBM, das in über 100 Jahren Unternehmensgeschichte gleich mehrfach vor dem Ende stand, weil der Markt für die IBM-Produkte verschwand. Aber in jeder Krise fand das Unternehmen einen kreativen Ausweg und wurde jedes Mal stärker. Vom Produzenten von Lochkartenmaschinen über den Hersteller von Großrechenanlagen zu PCs und schließlich hin zum Software- und Dienstleistungskonzern, der heute knapp 100 Milliarden US-Dollar Umsatz macht. Aber genauso gibt es Negativbeispiele, wie etwa den Konzern Eastman Kodak, dem es nicht gelang, dem Niedergang der chemischen Fotofilme etwas kreatives Neues entgegenzusetzen, und der letztlich in der Insolvenz landete.

Erst in solchen Krisensituationen zeigen sich die eigentlichen Fähigkeiten von Führungskräften. Da ist es wie beim Segeln: Schönwetter-Kapitän zu sein ist einfach, das kann jeder. Aber bei Sturm und schwerem Seegang, bei gerissenem Segel und gebrochenem Mast, da zeigt sich, wer wirklich Führungsqualitäten hat und das Boot sicher in den Hafen bringt. Wer in einer Krise zu ungeahnter kreativer Form aufläuft, wer es schafft, andere von seiner Idee, seiner Lösung zu begeistern, wem es gelingt, diese Krise erfolgreich zu bewältigen, indem er fruchtbares Neuland betritt – der kann die Krise zu einem entscheidenden Wendepunkt für eine bessere Zukunft machen.

Daher sollte man nie die Chancen verpassen, die eine Krise bietet.

Als ich in den Kreis musste, hatte ich mir vorher die besten Witze zurechtgelegt – und da ich schon immer ein ganz guter Kabarettist war, machte ich mir keine Sorgen. Leider zündete der erste Gag nicht so recht. Als allerdings auch der zweite und dritte nicht ankamen, vermurkste ich den vierten, und dann wurde es sehr dunkel. Ich stand da – der Kopf leer gefegt und 40 Augenpaare von Mitstudenten auf mir. Da ich schon meine Halbjahresinszenierung im kläglichen Versuch, Peter Brook zu imitieren, versägt hatte, wurde der Druck gigantisch. Jetzt scheitern, und mit mir würde niemand mehr arbeiten wollen. Im Raum war es sehr ruhig geworden – entsetzlich ruhig. Und die Zeit verging. Riesiges Loch! Und dann passierte es. Es war, als bräche ich durch eine Wand. Ich machte den Mund auf, und völlig unkontrolliert kam ein merkwürdiges Kauderwelsch hervor. Ich machte minimalistische Bewegungen dazu, und es ergab sich eine Figur, dann eine andere Figur, das Publikum begann zu kichern, ein Dialog, es entstand eine Szene, das Publikum lachte, und ich wusste genau, was ich tun musste, um das Publikum, das auf einmal mein Publikum war, zu steuern und zu führen. Die Leute lachten Tränen, und ich hatte das Gefühl, stundenlang weitermachen zu können. Flow pur. Ich habe im Radikalkreis noch einige Leute durch diese Wand gehen sehen, doch es hat manchmal über eine Stunde gedauert, bis jemand so weit war.

Auch später habe ich oft beobachtet, dass die Krise essenzieller Bestandteil eines erfolgreichen Prozesses ist. Bei den meisten meiner Inszenierungen mussten wir durch eine Krise durch, und ich erinnere mich an viele Tränen, absolute Hilflosigkeit auf allen Seiten und veritable Schlägereien. Wenn ich mit einer Schauspielkollegin telefoniere, die gerade kurz vor einer Premiere steht, und ich am Telefon Sätze höre wie »Hey, das wird eine ganz tolle Produktion, super Regisseur, tolle Kollegen, großartiges Stück, du musst unbedingt kommen!«, dann weiß ich schon, dass ich nicht hinzugehen brauche. Wenn der Text allerdings »Wir kotzen alle, hier herrscht Krieg, gerade ist der XY abgehauen, und die Dings heult nur noch« lautet, dann gibt es gute Chancen auf einen großartigen Theaterabend.

Natürlich entstehen geniale Momente und Peripetien manchmal auch ohne Krise – doch leider nur selten. Die Krise setzt offensichtlich in unserem Gehirn Kräfte frei und weckt Potenziale – sie ermöglicht oft eine Erkenntnis, eine neue Sicht auf eine Person, auf festgefahrene Meinungen oder Tatsachen. Im klassischen Drama ist dies die Anagnorisis, die dann wiederum zur Peripetie führt. Kurz: Die Krise ist häufig der Humus für die Peripetie.

Viele berühmte geniale Momente, wie etwa die I had a dream-Rede von Martin Luther King, sind aus einer Krise geboren. Martin Luther King scheiterte nämlich mit seiner aufgeschriebenen Rede. Er verließ dann sein Manuskript und folgte dem Ruf der befreundeten Sängerin Mahalia Jackson: »Tell ’em about the dream, Martin!«

Das Dumme ist nur, dass einem das Wissen um Wert und Nutzen der Krise im Moment der Krise nichts nutzt, denn da herrscht ja Krise – und zu scheitern ist hier durchaus eine reale Option. Dennoch ist die Krise oft ein guter Ausgangspunkt für eine Peripetie.

Worauf es schlussendlich ankommt, ist, das Gehirn dazu zu bewegen, die nötige Freiheit und Durchlässigkeit zu haben, um geniale Momente und Peripetien zu ermöglichen. Viele der Techniken, die in diesem Buch stehen, zielen genau darauf ab.

1. Auf einer Bühne kann man sich nicht verstecken

Wenn in diesem Buch von der Bühne die Rede ist, meine ich nicht nur die physische Bühne, auf der man Theaterstücke spielen oder PowerPoint-Präsentationen halten kann. Bühnen lauern überall, bei privaten und öffentlichen Reden, Vorstandspräsentationen, Briefings, Schulungen, Gerichtsverhandlungen, Lehrveranstaltungen, Bergfesten, beim Pitch und auf Weihnachtsfeiern.

Als Manager finden Sie sich ständig auf Bühnen wieder – ob Sie Spaß daran haben oder nicht. Für viele Menschen sind all diese Bühnen auch gar kein Problem (was nicht heißt, dass sie dann alles gut machen, aber dafür gibt es ja dieses Buch). Sie haben keine Hemmungen, die Bühne ist für sie ein Lieblingsort. Und sie sagen: Die Bühne bedeutet für uns Ruhm, Show, der Mittelpunkt zu sein und hundert Leuten zu sagen, wo es langgeht, Begeisterung zu erzeugen und vor allem etwas mitzuteilen, uns mitzuteilen. Je mehr staunende Augen uns bewundern, umso wohler fühlen wir uns auf der Bühne. Menschen, die gerne auf Bühnen stehen, wissen: Das Gute an der Bühne ist, dass hier schon mit prekärem Halbwissen eine überzeugende Show möglich ist. Wer auf der Bühne steht, ist in der Regel Herr des Geschehens. Insofern ist die Bühne ein Ort großer Chancen. Es gibt eigentlich kaum einen Ort, an dem man sich mehr Dinge erlauben kann.

Für viele andere Menschen ist die Bühnensituation jedoch angstbesetzt. Ihre Aufmerksamkeit kreist während des Auftritts um die Frage, was die Zuschauer wohl denken mögen, oder vielmehr, wie sie wohl urteilen werden oder gerade urteilen oder schon – o Gott – geurteilt haben und dann, was das wohl bedeutet – wie ich also dastehen und wie und wo meine Hände halten sollte, dass ich sie nicht in die Taschen stecken, die Arme nicht überkreuzen, aber auch nicht fuchteln sollte. Und natürlich: Was sage ich am besten und in welcher Form – was ist die perfekte Geburtstagsrede, wie danke ich der Mitarbeiterin, wie überzeuge ich einen Kunden, kurz: Wie erfülle ich die Erwartungen meines Publikums? Oder vielmehr: Wie erfüllt man die Erwartungen des Publikums? Wie man das macht, wie man dasteht und wie man einen Mitarbeiter verabschiedet, bedeutet im Umkehrschluss, dass es ein Man gibt, das festgelegt hat, wie man das macht. Es bedeutet, dass es einen Common Sense gibt, der eben festschreibt, wie man das macht. Wenn das so ist, ist es dann nicht ganz einfach? Dann braucht man ja nur diesen Common Sense zu kennen, und alles ist gut.

Leider stimmt das nicht. Der Common Sense ist furchtbar durchschnittlich, und wenn ich mir die durchschnittliche Präsentation so ansehe, kann ich nur dringend empfehlen, diesen Durchschnitt unbedingt zu vermeiden, weil er die Zuhörer langweilt und man dadurch als Redner auf der Bühne in Not gerät. Denn der Redner merkt natürlich, während er redet, dass die Zuhörer offensichtlich nur aus Höflichkeit nicht gehen (oder weil sie ihren Job riskieren würden). Doch wie kommt er aus der Nummer wieder heraus? Je stärker der Redner versucht, alles richtig zu machen, umso schlimmer wird es, weil auch der ganz richtige Durchschnitt immer Durchschnitt bleibt, und so hilft am Ende nur eins: die Flucht. Das geht nur leider nicht – man kann ja nicht einfach mitten in der Rede gehen, obwohl das vermutlich ganz unterhaltsam wäre (und besser als alles davor). Daher nutzen Menschen auf der Bühne gerne eine Strategie, die ihnen auf den ersten Blick aus dieser Misere heraushilft: Die Strategie besteht darin, sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen: »Die Rede ist gar nicht von mir … Sorry, aber das Thema ist nun mal langweilig … Keine Angst, ich bin gleich fertig … Es geht hier nur um Inhaltsvermittlung … Ich muss doch, sonst ist der Herr Meier beleidigt … Ich bin kein Profi … Ich mache es so, wie es alle machen, und das sollte ja wohl reichen.« Kurz: Wir stellen etwas als Schutzwall zwischen uns und die Zuschauer, das das vernichtende Urteil derselben auffängt oder hinter dem wir uns verstecken können.

Das geht aber leider nicht. Auf einer Bühne kann