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Über dieses E-Book

Unsere zweijährige Tochter zählt – wie die meisten Kleinkinder – zur Gattung der nachtaktiven Nervennager. Zum Glück habe ich Ohrenstöpsel und tagsüber bin ich sowieso im Büro. Und meine Frau… die macht das schon. So schwer wird's ja auch wieder nicht sein. Doch dann ist Baby Nummer 2 auf dem Weg und es gibt Komplikationen: Meine Frau muss das Bett hüten. Auf unbestimmte Zeit. Plötzlich bin ich quasi alleinerziehend. Und zwar rund um die Uhr.“

Mats Federberg gibt einen humorvollen Einblick in die Abgründe und Risiken des Elterndaseins aus der Perspektive eines Vaters. Umwerfend komisch, voller abgründiger Pointen und unerhörter Begebenheiten. Mit bissigem Humor und großer Verve rechnet er mit den Illusionen des Vaterdaseins ab – ebenso wie mit Erziehungsratgebern und allen anderen, die es stets besser wissen. Zugleich ist das Buch eine Liebeserklärung an die größte Herausforderung seines Lebens: seine Tochter.

Impressum

dp Verlag

Erstausgabe September 2017

Copyright © 2020 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-234-4
Taschenbuch-ISBN: 978-3-96087-525-3

Covergestaltung: ARTC.ore
unter Verwendung eines Motives von
shutterstock.com: © Asier Romero

Lektorat: Daniela Höhne

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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  • „Erziehung ist wie eine Rose. Man weiß nie, wann und ob sie aufgeht. Man weiß nur, dass sie schmerzt.“

Mats Federberg

1. Supermans Countdown

Tag der Geburt – nachgeburtliche Vaterschmerzen

Ein Mädchen! Ein gesundes, süßes Mädchen!
Einundfünfzig Zentimeter pures, zartrosanes, schlummerndes, herrlich riechendes Glück!
Getragen von einer Glückswelle schwebe ich mit meinem Fahrrad von der Geburtsklinik nach Hause. Die Stadt verschwimmt zu einem leuchtenden Aquarell.

Von rechts nehme ich zwar einen Schatten wahr, aber er dringt nicht in mein Bewusstsein.

Ich spüre nichts als den kühlen Fahrtwind. Ich fliege. Ich bin Papa! Ich bin Superman!!!

In diesem Moment kracht es und ich werde ruckartig aus dem Sattel geschleudert.

Scheiße, ich bin nicht Superman, denke ich noch, dann schlage ich auf.

Als ich versuche, meinen Körper vom Asphalt zu lösen, nehme ich langsam wieder Geräusche wahr.

„Hey, Haaallo!“, ruft eine Männerstimme.

Jemand fuhrwerkt mit seiner Hand in meinem Gesicht herum. Plötzlich kneift er mir heftig in die Nase. Ist der bescheuert?

„Aua! Was machen Sie da? Sie reißen mir ja die Nase ab!“

„Erste Hilfe. Man soll den Bewusstlosen zwicken. Hab ich mal gehört“, erklärt er.

„Das nennen Sie zwicken? Und sehe ich etwa bewusstlos aus?“

„Auf dem Fahrrad gerade schon. Haben Sie mich nicht gesehen?“, antwortet er.

Jetzt erkenne ich erst, dass sich der Kneifer aus einem Rollstuhl zu mir runterbeugt; ich muss wohl mit ihm zusammengeprallt sein. Keine Ahnung, woher der Kerl so schnell kam. Er hat wahrscheinlich einen ebenso hervorragenden Tag und mit Hilfe des abschüssigen Geländes gerade einen persönlichen Geschwindigkeits­rekord aufgestellt.

Ich quäle mich auf meine zitternden Beine.

„Natürlich habe ich Sie gesehen, aber Sie können hier doch nicht so rasen mit Ihrer Kiste!“, versuche ich mich zu rechtfertigen.

Sie sind gerast. Und zwar bei Rot über die Fußgängerampel!“ Er guckt mich schief an.

„Ich glaube, Ihr Finger sieht nicht gut aus.“

Ich schaue meine Hände an. Tatsächlich ist mein linker Ringfinger von einer Geometrie, wie ich sie nicht mit ihm vereinbart habe. Schon setzt ein heftiger Scherz ein. Mir wird schwindlig.

„Kommen Sie klar?“, fragt der als Rollstuhlfahrer getarnte Formel-1-Pilot. Ihm scheint nichts passiert zu sein.

„Ich glaub schon“, stöhne ich. Bloß erst mal weg, am Ende will mich der Kneifer auf seinem Schoß in die Ambulanz fahren.

Ich schiebe mich und mein eierndes Blechhäufchen wieder zurück ins Krankenhaus. Ist ja nicht weit.

Mit Gips und guten Wünschen verlasse ich am Abend nun das zweite Mal für heute die Klinik. Nicht ganz so euphorisch wie am Morgen – aber egal – ich bin Papa!

Hausmeister in den Wehen

Drei Tage später habe ich alles vorbereitet. Also vor allem mich. Eigentlich nur mich. Ich habe erst mal eine Ruhe-vor-dem-Sturm-Party gemacht. Ganz für mich allein. Pizzas, Bier, Schokolade und Filme. Und vor allem: nichts aufräumen! Es ist einfach herrlich. Ich glaube, das ist für alle Väter die schönste Zeit im Leben.

Das Telefon klingelt. Meine Frau ruft aus dem Krankenhaus an. Die Klinik bräuchte das Bett, das Baby wäre ja gesund und so können die beiden heute Nachmittag entlassen werden. Wie, heute? Heute ist doch erst mein Aufräumtag! Oha. Ganze vierundzwanzig Stunden früher, als geplant.

„Ist was?“, reißt mich meine Frau aus den Gedanken.

„Nein, alles super!“, versuche ich ruhig zu klingen.

„Hast du die Wärmelampe angebracht?“

Ein leichter Krampf umschließt meine Eingeweide.

„Natürlich, wo denkst du hin!“, antworte ich. „Du … ich muss jetzt, bis dann.“

Ich springe aus meiner Couchmulde, die mir für zwei Tage ein warmes und dankbares Heim geboten hat.

Mir bleiben drei Stunden für Wärmelampe, Aufräumen, Abwaschen und Einkaufen. Ich irre durch die Wohnung. Wo verdammt noch mal ist diese Lampe? Ich finde sie schließlich im Keller. Unter dem Babybettchen. Dem halb zusammengeschraubten Babybettchen. Mist, das gibt’s ja auch noch. Jetzt keine Panik bekommen! Also gut, das Bett werde ich auch noch schaffen. Ich schleppe alles mit meiner nach der Rollstuhlfahrer-Kollision unvergipsten Hand in die Wohnung.

Nach einer halben Stunde klaffen drei faustgroße Löcher in der Wand, in der eigentlich die Dübel der Wärmelampe ein sicher verankertes Heim finden sollten. Die Wand und ich haben uns scheinbar vorher nicht ausreichend bekannt gemacht. Bei näherer Betrachtung stellt sie sich als eine von Gipskarton vor. Gut, das habe ich natürlich nicht gewusst. Und ich habe sie ungebührend mit bürgerlich-gewöhnlichem Bohrbesteck begrüßt!

Ich verdeutliche der Wand, dass wir aus demselben Hause stammen und ich selbst teilweise aus Gips bin, wobei ich meinen verbundenen Ringfinger hochhalte. Doch es hilft nichts. Nach dem nächsten zerbröselten Loch gebe ich auf. Wer bitte denkt bei der Geburt eines Kindes an Gipskarton­dübel? Jetzt muss ich also auch noch in den Baumarkt. Oder halt! Wozu haben wir eigentlich einen Hausmeisterservice? Zumal ich gerade schwerstbeschädigt bin. Ich suche die Nummer raus.

Gott sei Dank ist er schon nach einer halben Stunde da. Allerdings auch etwas unheimlich. Als ob der Kerl den Auftrag gewittert hat. „Ullmann“, stellt er sich vor und ist dabei auch schon ein gutes Stück in die Wohnung vorgedrungen.

Er scheint meine Dringlichkeit gespürt zu haben.

„Was ist denn passiert?“, fragt er beim Anblick der ungewöhnlich arrangierten Nahrungsmittelreste.

„Ich bin Vater geworden“, schalle ich ihm stolz entgegen.

Doch Ullmann werkelt schon am Fenster herum.

„Nein, nein, die Fenster sind in Ordnung“, rufe ich.

„Entschuldigung, ich muss nur mal kurz durchlüften“, meint er.

Fünf Minuten später hängt die Wärmelampe über dem Wickeltisch. Einschließlich zugegipster Löcher. Gut, er macht das ja beruflich, versuche ich mich aufzubauen.

 

Sein Besuch dauert trotzdem fast eine Stunde. Er ist einer jener Menschen, bei denen man nur eine Silbe mit den Lippen andeuten muss, und der daraufhin selbstlos die komplette Last der Konversation übernimmt. Diesen Menschen ist zu danken, denn sie schultern generös das gesamte Gespräch, einschließlich der Fragen an sich selbst, die sie dann auch gleich noch beantworten.

Die Zeit drängt, in einer Stunde muss ich spätestens im Krankenhaus sein! Ich könnte platzen. Ich weiß nicht, wo ich zuerst anfangen soll. Doch Ullmann erzählt ausschmückend von der Geburt seines Sohnes. Ich versuche ihn zu unterbrechen, doch sein Blick macht deutlich: Jetzt rede ich! Und ich akzeptiere nur andächtiges Zuhören. Nach schier endlosen Minuten ist endlich die Nabelschnur durchgeschnit­ten. Doch zu früh gefreut. Er geht nahtlos zur Schilderung einer weiteren Geburt über. Ich habe keine Ahnung, wie viele Kinder noch folgen. Da er es sich inzwischen ungefragt in meinem Sitzsack bequem gemacht hat, muss ich das Schlimmste befürchten.

 

Zwischen seinen einzelnen Monologblöcken versuche ich ein vernehmbares „Hhm“ oder „Aha“ unterzubekommen. Da er mit dem Rücken zur Tür sitzt, kann ich mich schließlich unbemerkt rausschleichen. Gott sei Dank! Nun kann ich in Windeseile wenigstens noch grob die restliche Wohnung aufräumen. Ich stürme mit einer Mülltüte durch die Zimmer. Plötzlich erstarre ich. Ich vernehme plärrendes Babygeschrei.

Verdammt, meine Frau und das Kind stehen schon vor der Tür! Ich bin zu spät! Doch halt, das Geräusch kommt aus dem Kinderzimmer. Von Ullmann, dem hinterhältigen Imitationskünstler. Er hat gerade die Perspektive gewechselt und ist in die Rolle eines seiner Neugeborenen geschlüpft. Wird man als Vater automatisch verrückt? Dann ist es plötzlich ganz still. Mein Schweiß rinnt: Jetzt wird er herausgestürmt kommen. Doch seine Erzählstimme erhebt sich erneut. Es scheint eine weitere Geburt zu folgen.

Schnell schiebe ich das Babybett ins Schlafzimmer. Zumindest die meisten Teile. Ich hoffe, das hält so.

Ich versuche, mich zu sammeln. Wo war noch mal die Babyschale fürs Auto? Mist, ausgerechnet im Kinderzimmer bei Ullmann! Als ich mich reinschleiche, kniet der Hausmeister gerade auf einem Kissen, schleudert seinen grauen Zopf hin und her und führt mit dem ganzen Körper seltsame Schraubbewegungen durch, als ob er zwei große Kanalrohre voneinander trennen will. Ich bekomme mit, dass es sich diesmal um die Schilderung einer Zwillingsgeburt handelt.

Seine Gesichtsmuskeln liegen in den Wehen. Seine Zunge hat sich schon ein ganzes Stück herausgeschoben. Viel scheint nicht mehr zu fehlen, dann ist sie endlich raus. Und wieder schraubt er mit zitternden Armen in der Luft. Ich verkneife es mir zu fragen, wie es speziell diesen Kindern heute geht. Ich will das Monologfeuer nicht weiter anheizen, ich muss endlich los!

 

Ich simuliere einen dringenden Anruf aus dem Krankenhaus. Mühsam bekomme ich Ullmann aus der Tür.

„Wir können uns ja das nächste Mal weiter unterhalten“, meint er. Als er weg ist, atme ich durch. Ich erwische mich dabei, dass es eher wie ein Hecheln klingt.

 

Am Abend liegt nun mein Töchterlein, dieses winzige Häufchen Niedlichkeit und Friedlichkeit, zum ersten Mal bei uns zu Hause in ihrem Bettchen. Meine Knie sind von der Konsistenz warmer Butter. Doch zum Glück habe ich meine Frau, die mich stützen kann.

Die Friedlichkeit und Ruhe währt bis zur Dunkelheit. Dann erwacht das Wesen zum Leben – und der erste Schrei währt bis zum Morgengrauen.

Gott sei Dank muss ich früh ins Büro.

Drei Wochen später: Aufgeflogen

In letzter Zeit erscheint mir mein Arbeitsplatz als der friedlichste Ort der Welt. Es ist einfach herrlich, in Ruhe hinter dem Bildschirm zu sitzen. Selbst das sporadische Fluchen meines Chefs klingt gegen unser Brülläffchen nun eher wie der zarte Gesang einer verliebten Nachtigall. Er hat selbst vier Kinder. Jetzt ist mir auch klar, wieso er immer so lange auf Arbeit ist. Seine Frau managt die Kinder allein, zudem ist sie auch noch berufstätig. Keine Ahnung wie Mütter das schaffen. Aber gegenüber dem stämmigen X-Chromosom des weiblichen Geschlechts muss der Mann mit seinem geduckt dahockenden Y-Chromosom einfach irgendwo seinen Tribut zollen.

Die letzten Wochen zu Hause waren schrecklich. Wenn die Kleine nicht gerade schläft, dann schreit sie und wenn meine Frau nicht gerade schläft, dann stillt sie. Ich verdrücke mich so lang wie es geht ins Büro. Hält ja kein Mensch aus.

„Warum musst du ausgerechnet jetzt immer so viele Überstunden machen?“, fragt sie mich. „Hat dein Chef kein Einsehen?“

„Ich kann mir das auch nicht recht erklären“, antworte ich.

„Das habe ich vermutet. Deswegen habe ich ihn heute Mittag mal angerufen.“

Ah ja. Pfff.

„Er sagt, es gäbe gar nicht mehr zu tun als sonst!“

„Das reicht ja auch völlig! Außerdem bin ich einfach unkonzentriert wegen der Schlafunterbrechung jede Nacht. Ich brauche halt für alles länger momentan“, versuche ich mich zu rechtfertigen.

„Soso, wegen der Schlafunterbrechung. Soll ich dir mal was sagen? Ich bin froh, wenn ich zwischen den fünfmal Stillen pro Nacht einmal ein kurzes Nickerchen machen kann! Als Wachunterbrechung! Und ich kann mich nicht erinnern, wann dein Schnarchen in letzter Zeit mal deutlich nachgelassen hätte!“

Das saß.

Doch so leicht gebe ich mich nicht geschlagen. Ich habe mich vorbereitet.

„Hör mal, das ist bei allen so! Es gibt eine Statistik, die sagt, dass frischgebackene Väter länger auf Arbeit sind! Kann ich dir raussuchen.“

„Und? Sagt die Statistik auch warum?“

Ich überlege fieberhaft.

„Wahrscheinlich, weil die Väter nun mehr Geld für die Familie verdienen müssen!“, schließe ich.

„Und verdienst du mehr Geld?“

„Ähhh …“

Mist. Schon wieder erwischt.

Zwei zu null für die bessere Betthälfte.

Ich bin aufgeflogen. Ab jetzt muss ich also pünktlich zu Hause sein.

Wozu eigentlich? Seit der Geburt bin ich für meine Frau eh von gasförmiger Existenz. Wenn die Kleine schläft, schläft meine Frau auch. Wenn die Kleine dagegen schreit, rennt ihre Mutter durch mich hindurch zu ihr hin. Selbst Luft hat eine größere Daseinsberechtigung, da man sie atmen muss. Ich dagegen trete für meine Frau nur hin und wieder als materielle Erscheinung auf, meist dann, wenn es ums Materielle geht: Wenn Windeln und Cremes besorgt werden sollen.

Niemand macht mir mehr Schnittchenteller für das gemütliche Abendbrot vorm Fernseher! Wozu auch, es ist ja vorbei mit gemütlichem Abendbrot vor dem Fernseher. Und niemand massiert mich mehr. Ich bin völlig mir selbst überlassen!

Und die Aufgabenteilung ist klar. Sie das Kind – ich das Büro. Sie noch die Wäsche – ich … das Büro. Bei ihr kommt dann noch das Kochen dazu. Bei mir der Weg zum Büro. Bügeln, Aufräumen, Putzen – auch das reißt meine Frau noch an sich. Gut, ich würde mich mit meiner Frau nicht darum schlagen. Niemals!

Ich gehe aber noch einkaufen, genau! Auf dem Weg vom Büro. Und wenn Reparaturen zu erledigen sind, ist das schließlich auch Männersache. Und Hausmeister Ullmann ist ja ein Mann.

Zwei Jahre später.

Mutter-Kind-Decken-Partys

Die Kleine schreit etwas weniger, vergisst es zeitweise völlig und meine Frau beginnt, Mutter-Kind-Decken-Partys im Park zu veranstalten.

Der einzige partyähnliche Teil meines Lebens besteht aus bunten Büroklammern.

Picknicks im Park, sowas will ich auch! Zur Not auch mit Vätern.

Wie oft sehe ich, wenn ich im Sommer dienstlich unterwegs bin, schon vormittags entspannte Mütter zusammen mit ihren noch entspannteren Babys im Park liegen! Die Babys schlafen einfach oder kichern glücklich.

Neben diesen Picknicks macht meine Frau mit unserer Kleinen Spazierfahrten im Buggy, planscht beim Kleinkindschwimmen oder macht ein Mittagsschläfchen. Mittagsschläfchen! Ich werde immer neidischer. Während meine Frau ihr Nickerchen macht, muss ich durch das zähe Mittagstief waten und mich durch einen Sumpf aus Berichten schlagen. Ich finde das einfach ungerecht! Ich will auch mehr Zeit mit meiner Tochter haben.

Ich will Elternzeit!

Vier weitere Monate später

Vaterseelenallein

Man hat mich erhört. Ich bekomme viel Zeit mit meiner Kleinen.
Meine Frau ist noch mal schwanger. Siebente Woche. Ja doch, es war geplant. Dieser Plan sieht vor, dass sich beide Kinder möglichst bald neutralisieren und wie das chinesische Symbol Yin und Yang eine harmonische und in sich ruhende Einheit bilden sollen. An sich eine gute Idee, bekundeten mir kürzlich Freunde, die auch zwei Kinder haben. Auch sie hätten vergleichbare Gedanken gehabt. Wenn auch weniger naiv. Und bei allem Respekt befürchteten sie, dass selbst unsere sicherlich hochintelligenten Kinder nicht sofort alle Bereiche der chinesischen Philosophie verinnerlicht haben würden.

Nun ist es zu spät, das Yang ist bereits im Bauch.

Doch plötzlich gibt es Schwangerschaftskomplikationen bei meiner Frau. Es besteht große Gefahr, das Kind zu verlieren!

Meine Frau muss ruhig liegen. Den ganzen Tag. Die ganze Woche. Vermutlich die ganze Schwangerschaft über!

Auf einen Schlag bin ich quasi alleinerziehend – und völlig ausgeliefert. Plötzlich stehe ich vaterseelenallein in der Arena! Vor mir das Hufe scharrende Böckchen – und ich bin das rote Tuch.

Da habe ich also meine Zeit mit dem Kind.

Elternzeit kann ich, wie befürchtet, so schnell nicht beantragen; wie immer gibt es auf Arbeit überlebenswichtige Termine. Ich soll sogar auf Dienstreise. Nicht nach Berlin. Auch nicht London. Nach China!

„Zum Chinamann kannst du fahren“, reagiert meine Frau als ich das Thema anklingen lasse. „Und bitte zwei Portionen für mich. Mit viel Fleisch!“

Ich kann sie unmöglich in der Situation allein lassen. Jetzt muss unser Yang im Bauch meiner Frau bewahrt werden! Die Chinesen haben genug davon.

Mein Chef zeigt Unverständnis, wie für fast alle zwischenmenschlichen Dinge. Verständnis zeigt er nur für Umsatzzahlen und da auch nur für die kräftig steigenden unter ihnen. Er hat das Mitgefühl eines gusseisernen Schraubstocks. Doch ich weigere mich, zu fliegen. Ich fühle, das wird der Beginn vom Ende meiner Karriere sein.

Für meine Arbeitszeit haben wir eine Tagesmutter gefunden. Doch davor und danach bin ich dran. Bis es dunkel wird. Bis ich leblos ins Bett falle. Und morgens von Neuem. Schraubstockchef – Kind – Haushalt. Und die Kleine will alles, nur nicht auf Decken in Parks liegen! Nie. Keine Sekunde. Mit ihrer Energie ließe sich der Strombedarf einer mittleren Kleinstadt decken. Davon hat mir meine Frau nichts erzählt. Ich bewundere alle Mütter. Ich vergöttere Alleinerziehende, die länger als zwei Wochen überleben.

Um meinem Umfeld den Grund für mein zweifellos baldiges Ableben zu dokumentieren, muss ich Tagebuch führen. Das glaubt mir sonst kein Mensch!

2. Tagebuch

03.05. Graue Haare