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LAGOM

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LAGOM

Glücklich leben in Balance

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Linnea Dunne

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Die Originalausgabe erschien 2017

unter dem Titel Lagom – The Swedish Art of Balanced Living

bei Gaia für Octopus Publishing Group Ltd., London.

Design und Layout © Octopus Publishing Group Ltd., 2017

Text © Linnea Dunne 2017

Autorin: Linnea Dunne

© 2017 Verlag Georg D.W. Callwey

GmbH & Co. KG

Streitfeldstraße 35

81673 München

buch@callwey.de

Tel.: +49 89 436006-0

www.callwey.de

www.facebook.com/callwey

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ISBN 978-3-7667-2342-0

1. Auflage 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Viel Freude mit diesem Buch wünschen Ihnen:

Projektleitung: Raffaela Reif Übersetzung aus dem Englischen: Anne Görblich-Baier Redaktion und Satz der deutschen Ausgabe: Alina Seitz-Götz, bookwise Medienproduktion GmbH, München Herstellung: Franziska Gassner Umschlagsgestaltung: Heike Wagner

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INHALT

EINLEITUNG

LAGOM LEBEN: Work-Life-Balance

LAGOM ESSEN: Essen, Trinken & Fika

LAGOM STYLING: Design, Mode & Möbel

LAGOM FÜHLEN: Gesundheit & Fitness

LAGOM KONTAKTE: Freunde, Vereine & Nachbarn

LAGOM FÜR DEN PLANETEN: Umwelt & Nachhaltigkeit

LAGOM GLÜCK: Ein Denkansatz zu wahrem Glück

Register

Quellen

Bildnachweis

Danksagung

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Einleitung

Was ist Lagom? Warum es für Sie interessant sein könnte, und wie es einsetzbar ist. Von den Wikingern bis zu Zlatan Ibrahimović und einem unangepassten Lagom-Verfechter entstauben wir einige Mythen und bereiten Sie auf die »Lagomifizierung« Ihres Lebens vor.

»Konsens ist König, und jeder hilft mit.«

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WAS IST LAGOM?

– über Wikinger, Ausgewogenheit und Milch

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1996 bekam Schweden einen neuen Spitznamen. Der Autor Jonas Gardell bezeichnete es als »das Land der halb entrahmten Milch«. Seither wird es von den Schweden liebevoll so genannt. In einer Stand-up-Comedy-Show beschrieb er ein Land, das die Ausgewogenheit feiert und die Fairness auf ein Podest stellt, in dem der Konsens König ist und jeder mit anpackt. Er beschrieb eine Nation, die weiße Wände und funktionales Design liebt und für die halb entrahmte Milch einfach ideal ist – nicht zu mager und nicht zu fett. Er präsentierte ein Lagom-Land.

Im Deutschen gibt es keine Entsprechung für den Begriff Lagom. Frei übersetzt bedeutet er »nicht zu wenig, nicht zu viel, genau richtig«. Es wird angenommen, dass das Wort von dem Wikingerbegriff laget om (wörtlich »in der Gruppe herum«) stammt: Wurde ein Becher Met im Kreis herumgereicht, blieb für jeden nur ein Schluck. Auch wenn diese Anekdote den Nagel auf den Kopf trifft, weist die Etymologie auf das alte schwedische Wort lag hin, das »Gesetz« bedeutet.

Das Lagom-Gesetz

Was bedeutet Lagom? Einfach ausgedrückt: Es beschreibt das, was »genau richtig« ist – die exakte Menge Milch im Kaffee oder den idealen Druck bei einer Massage. Im übertragenen Sinn wird es komplexer. Da besagt es, dass die ideale Balance, gestützt auf eine Reihe sozialer Standards, gefunden wird. Nimmt man beispielsweise eine Einladung fürs Wochenende bei einem Freund an, bringt man seine eigene Bettwäsche mit, um ihm fairerweise das Wäschewaschen abzunehmen. Oder man darf bei seinem kranken Kind zu Hause bleiben – bei Lohnfortzahlung –, aber man sollte das nicht ausnutzen.

Lagom ist wie der Kauf eines praktischen Autos, auch wenn es optisch nicht viel hermacht. Es ist wie das farbliche Hervorheben von nur einer Wand im Zimmer, während man den Rest weiß lässt; alle Wände bunt zu streichen, wäre zu viel. Es ist wie das Auftragen von hellrotem Lippenstift, während man beim übrigen Make-up untertreibt. Lagom ist wie das Essen eines Burgers ohne Pommes, weil Mäßigung eine Tugend ist. Es ist wie das Zusammenstellen eines Essens aus Resten, weil Verschwendung eine Todsünde ist.

Das Gesetz in die Praxis umsetzen

Das Postkarten-Schweden präsentiert sich weiträumig mit minimalistischem Dekor und vermittelt damit sofort ein Gefühl der Ruhe. Bei Lagom geht es um Entrümpelung, Vereinfachung, den Abbau von Vorurteilen und das Beschreiten eines ehrlichen Weges. In größeren Dimensionen bedeutet Lagom mehr als emotionales Wohlbefinden und Innenarchitektur. Es umfasst Begriffe wie Zugehörigkeit und gemeinsame Verantwortung – und ist damit Teil einer größeren Einheit. Gemeint sind nachbarliche Beziehungen, der Unterhalt von Gemeinschaftseinrichtungen und das Zahlen von Steuern, um Studiengruppen (siehe S. 122) zu finanzieren und Kulturschulen (Ausbildungsstätten für Musik und Kulturaustausch) zu subventionieren.

Laut Weltwirtschaftsforum übertrifft Schweden andere Länder in nahezu jeder Hinsicht. Es entwickelte sich zu einem beneidenswerten Wohlfahrtsstaat mit großzügiger Elternförderung und einem außergewöhnlich geringen Anteil an Korruption. In dieser Hinsicht ist das Land der halb entrahmten Milch das Ergebnis eines geschickten Balanceakts – es schützt seine Bevölkerung und lässt ihr zugleich viele Freiheiten.

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MEINE BEZIEHUNG ZU LAGOM

– über das Gesetz von Jante, die Entzauberung von Mythen und den Lagom-Ansatz zum Glück

Ich bin in Schweden geboren und aufgewachsen, ging aber mit 19 Jahren nach Dublin. Ich war wild auf Abenteuer und wollte meine Weltoffenheit erproben. Der Kontrast war dramatisch. Ich stürzte mich Hals über Kopf in Irlands Kultur des spontanen Spaßes und kümmerte mich nicht darum, was »gerade genug« war. Mit schwedischen Expats genoss ich meine neu entdeckte Freiheit und nahm die Dinge nicht allzu ernst. Doch schon bald störten mich die fehlende Wohnungsmarktregelung in Irland und der Wahnsinn, den Abfall einfach auf der Straße liegen zu lassen.

Man könnte sagen, dass ich vor einem Lagom-Leben davongelaufen bin. Man könnte aber auch dem Gesetz von Jante die Schuld dafür geben. In einem 1933 verfassten Werk stellte der dänischnorwegische Autor Aksel Sandemose zehn Regeln für akzeptables Verhalten in der nordischen Gesellschaft auf. Er beschreibt darin ein Gemeinwesen, das individuelle Erfolge und Leistungen missbilligt, und eine Kultur, die von Regeln besessen ist. Wenn Lagom heute gelegentlich als einengend kritisiert wird, hängt das damit zusammen. Aber ist die Kritik berechtigt? Sind die alten Regeln auch für das Schweden des 21. Jahrhunderts gültig?

Glück nach Lagom-Art

Zugegeben, ich war überrascht, als ich zum ersten Mal von Lagom, der neuen, erstrebenswerten Lebenseinstellung und dem schwedischen Geheimnis für Glück hörte. So bewundernswert diese Prinzipien der Ausgewogenheit auch sein mögen, haben sie die Schweden wirklich glücklich gemacht?

Jetzt erst erkenne ich die Ironie der Tatsache, es nicht sofort verstanden zu haben. Vielleicht sind die Schweden nicht die glücklichsten Menschen der Welt, aber sie sind regelmäßig in den Top Ten der verschiedenen Glücksrankings. Es ist die Lagom-Art von Glück: nicht die überschwängliche Form und schon gar nicht die prahlerische, eher die maßvoll zurückhaltende. Jene Balance, die das Geheimnis des wahren, nachhaltigen Glücks zu sein scheint. Schauen Sie in Psychologiebüchern nach (siehe S. 113–114).

BERICHTIGUNG VON IRRTÜMERN

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IRRTUM: Lagom preist die Mittelmäßigkeit

Lagom zeigt sich unbeeindruckt von individueller Leistung und übermäßigem Wohlstand. Man soll herausfinden, was der Gemeinschaft nützt – und das dann optimal umsetzen. Die Ergebnisse sind dabei alles andere als mittelmäßig. Immerhin haben sie zu einem der vorbildlichsten Sozialsysteme der Welt beigetragen.

IRRTUM: Lagom ist ein Gedankenpolizeistaat, der zur Konformität zwingt

Schweden sind sehr eigenwillig und beteiligen sich mit Vorliebe stundenlang an ruhigen, vernünftigen Debatten, in einem Ausmaß, das Außenstehende nervt. Das Ziel ist nicht das Argument an sich, sondern das Finden einer Entscheidung, hinter der jeder steht. Dieser Ansatz ist nicht unbedingt sensationell, aber sehr effektiv in einer Lagom-Gesellschaft.

IRRTUM: Lagom erzeugt Geiz

Betrachten wir doch mal den alten schwedischen Comic Spara och Slösa (dt. »Sparen und Verschwenden«). Er wurde in den 1920er-Jahren von einer der größten schwedischen Banken herausgegeben, um Kinder über die Bedeutung des Sparens aufzuklären, und sollte auch dementsprechend interpretiert werden. Darin wird nicht der Geiz gepriesen, sondern die Verschwendung verurteilt. Meiden Sie übertriebenen Aufwand sowie gedankenlose Käufe bei Neuanschaffungen und suchen Sie sich ein technisch ausgereiftes Gerät aus, das streng geprüft und als »Testsieger« ausgezeichnet wurde. Sie werden bald merken, dass andere es Ihnen gleichtun und Ihre überlegte Kaufentscheidung gut finden.

IRRTUM: Lagom missbilligt Selbstvertrauen und Stolz

Der Fußballer Zlatan Ibrahimović verkörpert Selbstvertrauen und Stolz. Die Welt feierte ihn als Schwedens großen Helden. Jonas Gardell (siehe S. 8), der stets ein extravaganter, auffälliger Teilnehmer des Schwulen-Festivals Stockholm Pride ist, sagt über sich: »Lagom umfasst ein großes Spektrum an Ideen. Ich bin ein ziemlicher Spinner, aber sogar ich passe da hinein.«

WAS SPRICHT DAFÜR?

– die Vorteile von Lagom, innen und außen

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Man könnte Lagom als Trend der Zeit bezeichnen. Die meisten Menschen stehen unter Stress, starren viel zu lange auf Bildschirme, sind mit Toxinen belastet und bedauern, keine Zeit für ihre Lieben zu haben. Der Planet schreit nach einem Ethos der Ausgewogenheit. Hinzu kommt, dass sich die natürlichen Ressourcen schnell erschöpfen und viel zu viel Abfall produziert wird. Wenn man weiß, was »gerade genug« ist, warum dann übertreiben?

Die Auswirkungen von Lagom haben schon lange vor der globalen Erwärmung, den sozialen Medien und einer von Gewinnmaximierung dominierten Welt hohe Wellen geschlagen. Schweden, manchmal als Familienparadies beschrieben, hat einen breiten Mittelstand und umfangreiche sozialstaatliche Einrichtungen. Die Mehrheit der Menschen genießt einen hohen Lebensstandard, und es herrscht in allem Balance vor – von kostenloser Bildung bis hin zu umfangreichen Recycling-Systemen. Das allgegenwärtige Mantra »gerade genug« nützt der psychischen und emotionalen Welt des Einzelnen sowie der Gesellschaft insgesamt. Es geht darum, unserem Bewusstsein den Raum zum »Sein« zu öffnen und genügend Spielraum für Veränderung und Entwicklung zu lassen.

WUSSTEN SIE?

Laut Glücksforschung macht uns Geld nur bis zu einem gewissen Grad glücklich. Wenn wir arm sind, trägt Geld zu einem Gefühl des Glücks bei. Sind wir jedoch schon wohlhabend, macht uns mehr Geld nicht zufriedener. Ein Lagom-Betrag reicht aus. Unser Glücksempfinden hängt von anderen Faktoren ab.

»Warum übertreiben, wenn man weiß, was ›gerade genug‹ ist?«

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»Lagom ist gegen Verschwendung und für Fairness und damit ein wichtiger Bestandteil des schwedischen Erfolgsrezepts.«

DIE VORTEILE VON LAGOM

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Nr. 1: Physischer Raum

Bewusster Konsum erleichtert das Entrümpeln und macht Ihr Zuhause zu einem geruhsameren Ort. Ein minimalistisch-skandinavisch eingerichtetes Haus möchte man am liebsten gar nicht mehr verlassen.

Nr. 2: Mentaler Raum

Wenn man lernt, etwas kürzer zu treten und auf dem Boden zu bleiben, kann man sein Leben authentischer und konzentrierter verbringen, mit guten und schlechten Erfahrungen umgehen und im Job und zu Hause voll präsent sein.

Nr. 3: Verbesserte Finanzen

Wenn Sie sich nicht nur Ihrer persönlichen Bedürfnisse bewusst werden, sondern auch derer des Planeten, werden Sie weniger verbrauchen und lernen, sparsam mit Ressourcen umzugehen.

Nr. 4: Ein Gefühl der Zugehörigkeit

Eine Lagom-Haltung kann, angefangen von verbesserten Beziehungen zu den Nachbarn bis hin zum Vertrauen in die gemeinsame Verantwortung der Gesellschaft, dazu beitragen, sich als Teil eines Größeren zu fühlen, und sinnstiftend wirken.

Lagom für Klarheit im Leben

Es sei Ihnen verziehen, wenn Sie glauben, Lagom wäre anstrengend. Schließlich müsse man ja das Haus hübsch einrichten, gesund essen, Sport treiben, mit Freunden, Familie und Nachbarn zusammen sein, Arbeitsleistung erbringen und in der Lage sein, mit einer Reihe von Emotionen klarzukommen. Dazu sollte man auch noch meist zufrieden sein und ständig auf die Umwelt achten. Dabei geht es bei Lagom eigentlich darum, das Leben zu vereinfachen.

Man sollte »Stopp« sagen, wenn es reicht, und sich weigern, halbherzige Lösungen zu akzeptieren, nur um nicht anzuecken. Hinter diesem Lagom-Ansatz verbirgt sich folgender Sinn: Warum nicht gleich alles richtig machen? Wenn wir alle mit anpacken und uns den wirklich wichtigen Dingen zuwenden, hat jeder was davon.

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