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Kai-Uwe Wegner

Betrachtungen eines politisch Unkorrekten

KAI-UWE WEGNER

BETRACHTUNGEN EINES POLITISCH UNKORREKTEN

ESSAYS UND GEDICHTE

©2017 Kai-Uwe Wegner

Verlag: tredition GmbH,Hamburg

ISBN:978-3-7439-5568-4(Paperback)

ISBN:978-3-7439-5570-7 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Vierzig Thesen

1. Die Wissenschaft kann dem Dasein keinen Sinn geben.

2. Die Wissenschaft kann nur Instrument in der Hand einer größeren geistigen Elite sein.

3. Die Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Messbaren innerhalb von Raum und Zeit und erforscht dort die geltenden Gesetze, doch auf der metaphysischen Ebene nützen ihre Instrument nichts und sie können dort auch nichts ausrichten.

4. Alle höheren Wahrheiten, die dem Dasein einen Sinn und eine Richtung geben, sind metaphysische Wahrheiten.

5. Jede Ethik hat ihren Ursprung in einer metaphysischen Wahrheit.

6. Die metaphysische Wahrheit ist die Quintessenz und die höchste Daseinsberechtigung eines Volkes.

7. Ein Volk ohne metaphysische Wahrheit ist wie ein Kadaver, dessen Gestank die Aasfresser anlockt.

8. Einzig die metaphysische Wahrheit gibt einem Volk seine Lebens- und Überlebenskraft. Jeder Einzelne schöpft sie aus dem Glauben an diese Wahrheit.

9. Metaphysische Wahrheiten sind entweder religiöser oder philosophischer Natur.

10. Philosophische Bestrebungen sind die größten Leistungen einer Hochkultur, nur die hochentwickeltsten Kulturen sind dazu in der Lage.

11. Jedes Sterben einer metaphysischen Wahrheit führt zu Nihilismus.

12. Je tiefer und langanhaltender die Nihilismusphase einer Kultur ist, desto größer wird das Bedürfnis nach einer neuen metaphysischen Wahrheit.

13. Nihilismus und Metaphysik sind in einem ewigen Kampfe begriffen. Je stärker der metaphysische Glaube, desto schwächer ist der nihilistische Zweifel und umgekehrt.

14. Der Nihilismus ist eine Krankheit.

15. Es gibt keine absoluten und ewigen Wahrheiten. Alles ist im Wandel begriffen.

16. Jede Wahrheit wird geboren, um irgendwann einmal widerlegt zu werden.

17. Metaphysik bedeutet, außerhalb von Raum und Zeit eine die menschlichen Verhältnisse bestimmende Kraft zu sehen.

18. Ohne diese bestimmende Kraft ist alles ohne Sinn.

19. Die größte Leistung eines Volkes ist es, eine solche bestimmende Kraft auszumachen und sie in Worte zu fassen.

20. Der Wissenschaft kann dabei eine Helferrolle zukommen.

21. Einer der größten Irrtümer der Menschheit besteht darin, die Wissenschaft zur alleinigen Wahrheitsfinderin gemacht zu haben.

22. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse können wertezerstörend sein und deshalb sind sie stets der Zensur einer verantwortungsvollen geistigen Elite zu unterstellen.

23. Die Wissenschaft ist niemals frei, sondern stets in der Hand einer herrschenden Kraft. Eine freie Wissenschaft hat es nie gegeben.

24. Die Wissenschaft trägt in sich das Bestreben, sich von metaphysischen Wahrheiten zu befreien und sich selbst zum Maß aller Dinge zu machen. Das ist ihre faustische Natur.

25. Die Wissenschaft trägt den Willen in sich, allen Dingen objektiv auf den Grund zu gehen und sie zu enträtseln.

26. Die Entdeckungen der Wissenschaft zu bündeln und die tiefgreifenden Konsequenzen zu begreifen, bedarf es jedoch einer philosophischen Natur.

27. Die Wissenschaft hat kein Gewissen, sie gehorcht nur ihrer faustischen Natur.

28. Die metaphysische Wahrheit ist das Gewissen der Wissenschaft.

29. Jeder Irrtum gebiert eine neue Erkenntnis und umgekehrt.

30. Der Gier nach materiellen Wohlstand liegt die Illusion einer Unabhängigkeit zu Grunde.

31. Eine reale Befriedigung durch materiellen Wohlstand ist nicht möglich. Das Streben danach führt zu Unzufriedenheit und geistiger Leere und gleicht dem Alkoholismus.

32. Je stärker der Mensch eine solche Befriedigung sucht, desto unglücklicher wird er.

33. Alle Kräfte, die den Menschen zu einer solchen Befriedigung treiben, sind Gewalt an der menschlichen Natur.

34. Der Kapitalismus ist die treibende Kraft zu einer solchen Befriedigung hin. Er ist unersättlich, ohne Gewissen und ohne Geist.

35. Der Kapitalismus ist wertezerstörend und einmal an der Macht wird er den Tod einer jeden Gemeinschaft mit sich bringen.

36. Der Kapitalismus ist seinem Wesen nach pathologisch und kanzerogen.

37. Die Wissenschaft ist in der Hand des Kapitalismus, der die bestimmende Macht auf der Welt geworden ist.

38. Der Kapitalismus und die Wissenschaft können im irdischen Dasein keinen höheren Sinn ausmachen und vertiefen den Nihilismus.

39. Der Kapitalismus ist der Motor des Nihilismus: stirbt der Kapitalismus stirbt auch der Nihilismus.

40. Einzig ein metaphysischer Glaube kann den Kapitalismus besiegen.

Dieser neue Glaube wird unweigerlich kommen, wenn der Nihilismus und die geistige Leere unerträglich und damit der Trieb zur metaphysischen Wahrheit übermächtig geworden sein wird.

Vorwort

In meinem ersten von mir herausgegebenen Werk stelle ich dem Leser, der hoffentlich nachsichtig mit mir sein wird, eine Auswahl aus meinen in den letzten Jahren niedergeschriebenen Essays vor, welche auf ihn zusammenhanglos und willkürlich zusammengestellt wirken müssen, denn sie sind es auch. In der nur wenig mir zur Verfügung stehenden Zeit habe ich über Themata, die mir im jeweiligen Augenblick wichtig waren, meine Gedanken niedergeschrieben. Diese Essays beanspruchen nicht, ihr jeweiliges Thema vollständig erschöpft zu haben, sondern nur das, was ihrem Verfasser gerade wichtig erschien, findet sich dort ausgedrückt. Mein Ziel ist es keineswegs, eine große Anzahl von Lesern zu erreichen, sondern ich möchte ganz bewusst einzig die mir verwandten Seelen ansprechen. Jahrzehntelang hielt ich mich für ein exotisches Wesen, das wohl zur falschen Zeit an den falschen Ort versetzt wurde, und einen Menschen anzutreffen, der im Geiste mir verwandt sein könnte, hielt ich für aussichtslos. Doch nun habe ich all meinen Mut und meine Entschlossenheit zusammengenommen und mich an dieses Werk gewagt. Wozu? Zum einen gaben mir die politischen Veränderungen in unserer Zeit die Hoffnung, dass nun endlich eine neue Gesinnung am Entstehen sei, die die jahrzehntelange Diktatur der égalité endlich niederwerfen könne, zum anderen ist in mir die Gewissheit gereift, da ich nun vor nicht allzu langer Zeit zum dritten Mal Vater geworden bin, dass ich nicht der einzige Vater in diesem Land sein kann, dem es unerträglich ist, seine Kinder, die er doch über alles liebt, von Konsum, Spielkonsolen, Handys, Gleichgültigkeit und nicht vorhandenen Werten zu einer Person heranwachsen zu sehen, die er niemals wollte. Sollte ich denn wirklich der Einzige sein, der für die Erziehung seiner Kinder ein klares Wohin, ein klares Wozu einfordert? Sollte ich denn der Einzige sein, der diese Beliebigkeit und dieses „Was soll ich denn dagegen machen? So sind die Zeiten heute nun mal.“ nicht mehr hinnehmen möchte? Sollte ich denn der Einzige sein, der seine Kinder nach klaren gesunden Wertevorstellungen erzogen sehen möchte? Diese beiden Impulse gaben schließlich den Ausschlag dazu, dieses Buch in Angriff zu nehmen. Die darin enthaltenen Essays sind nicht thematisch, jedoch chronologisch geordnet. Ich habe sie im Laufe der letzten drei Jahre verfasst. Möge das Schicksal mir also gewogen sein und mir, wenn auch nur wenige, Leser vergönnt sein, die die befremdlich wirkende Sichtweise des Autors nachempfinden können.

Bielefeld im August 2017

Ich habe angefangen zu schreiben und weiß eigentlich gar nicht, wie ich es richtig anstellen soll. Ich spüre den Impuls in mir, mein Inneres ist angespannt und ich bin voller Tatendrang. Man fühlt sich wie ein Kind, das Fahrrad fahren lernt: egal wie oft man zu Boden fällt, man will es unbedingt erlernen. Ich weiß nicht, was daraus wird und ob es der Mühe wert ist. Es ist jedoch eine Lust, dem Triebe nachzugeben, und wer weiß, vielleicht kommt am Ende doch etwas Brauchbares dabei heraus?

1.

Sollte man heute überhaupt noch Bücher schreiben? Macht es noch Sinn, seinen Geist zu sammeln und neue Botschaften hinauszutragen? Wer will sie hören? Diese Fragen habe ich mir so oft gestellt und sie stets negativ beantwortet. Aber der Drang ist dennoch da und will ausgelebt werden. Spielt es denn überhaupt eine Rolle, ob eine Handlung Sinn macht, wenn ein übermächtiger innerer Trieb dazu besteht? Wer fragt danach, warum ein Familienvater noch weitere Kinder zeugt, obwohl er die vorhandenen Kinder kaum noch ernähren kann, oder warum ein Imperium noch weiterwachsen möchte, obwohl schon fast alle Völker unterworfen sind? Sie folgen einem inneren Triebe und dieser gibt den Ausschlag für das weitere Handeln. Niemand weiß, was am Ende daraus wird. Die Zukunft ist immer ungewiss und die Zeit schreitet gnadenlos dahin und letztendlich ist alles dem Tode geweiht. Selbst das imperium romanum ist ausgelöscht worden und einzig die Erinnerung daran ist noch lebendig und selbst diese wird nicht ewig bestehen. Dennoch möchte der Mensch innehalten, sich sammeln, das Erlebte reflektieren und niederschreiben. Nur so haben wir von den Griechen, den Römern und anderen Kulturen erfahren und können ihre Größe und Einzigartigkeit bewundern. Heute leben wir jedoch im geistigen Mittelalter. Welche Größe könnte man da wohl beschreiben? Ja wir leben heute im Nihilismus und in einer geistigen Dürre, dennoch tun sich mir Fragen auf, die nach einer Antwort suchen. Warum lebt der Mensch im Nihilismus? Wieso hat er den Bezug zur Natur verloren? Wie konnte die materielle Befriedigung zu einer solchen bestimmenden Größe werden? Welche Auswege gibt es aus dieser Misere? Diese Fragen suchen nach einer Antwort und ich möchte versuchen, Antworten darauf zu finden.

2. „Le luxe et la trop grand politesse dans les États sont le présage assuré de leur décadence parce que, tous les particuliers s`attachant à leurs intérêts propres, ils se détournent du bien public“ (La Rochefoucauld)

Die Zerstörung der Erde vor Augen sinkt der Mensch ab in eine digitale und mediale Welt. Nur so ist er in der Lage, die Zerstörung der Natur hinzunehmen, weil er sich eine eigene künstliche Welt geschaffen hat, die ohne die Natur auskommt. Seine Phantasien werden durch Filme angeregt, sein Selbstwertgefühl wird durch PC-Spiele und seine sozialen Bindungen werden durch soziale Netzwerke aufrechterhalten. Das ist das Ergebnis eines pervertierten Individualismus, der kaum noch Grenzen kennt und jeglichen Sinn für das Allgemeinwohl verloren hat.

3. „…,ne vitam silentio transeant veluti pecora, quae natura prona atque ventri oboedientia finxit“ (Sallust « coniuratio catilinae »)

Was ist der Mensch, wenn er nur seinem Bauch und seiner Wollust gehorcht? „A beast, no more.“ Sollte das denn unsere Bestimmung sein? Bin ich verwegen, wenn ich den Menschen zu Höherem bestimmt sehe? Die Zeit des höheren Menschen wird unweigerlich kommen und ich möchte dessen Verkünder sein.

4.

Jahrelang habe ich beobachtet und geschwiegen. Unzählige Male wollte ich ausbrechen und vor den Menschen fliehen, so unerträglich war es mir in ihrer Mitte und so fremd fühlte ich mich bei ihnen. Obgleich ich das immer gespürt habe und stets wusste, dass ich keiner von ihnen bin, so habe ich doch immer versucht, einer von ihnen zu werden und mich ihnen anzupassen. Wie viel Mühe und Verstellungskunst habe ich dafür aufgebracht und mir auch einen Platz in ihrer Mitte erkämpft, aber wirklich heimisch und zufrieden habe ich mich dort nie gefühlt. Jedes Mal, wenn ich einem meiner Mitmenschen näherkomme, spüre ich, wie sie denken: „Er ist doch irgendwie anders, eben keiner von uns“ Meine Natur reißt mich heraus aus ihrer Mitte. Sie scheint mir sagen zu wollen: „beobachte, beurteile sie und denke über sie nach, aber werde nicht zu intim mit ihnen“ Deshalb hat sie mir wohl auch diese fürchterlichen Migräneschmerzen mitgegeben, damit ich bereits als Kind lerne, mich zurückzuziehen und nachzusinnen. Denn das war tatsächlich die Folge davon. Meinen ersten Anfall bekam ich mit 13 Jahren. Ich lag zwei Tage im Bett und quälte mich mit Erbrechen und Kopfschmerzen. Was konnte ich dabei tun? Essen war unmöglich, jegliche Beschäftigung verwehrte mir der Kopfschmerz, so blieb nur eines: das Nachdenken. Ich lernte also abseits zu stehen und meine Umwelt zu beobachten. Es scheint mein Schicksal zu sein, abseits zu stehen, nachzudenken, Bücher zu lesen und, was mir bedeutend scheint, aufzuschreiben. Ich weiß nicht, ob es wichtig ist, was ich für bedeutend erachte, doch ich spüre einen mächtigen Impuls in mir, alles niederzuschreiben, was mich die 40 Jahre geprägt, gequält und bestimmt hat. Jetzt begreife ich, warum ich so lange unter den Menschen aushalten musste und welche Aufgabe mir dabei zukam. Jetzt begreife ich, wie viel ich dabei gelernt habe und wie voll die Schatzkammer meiner Erfahrungen geworden ist. Daraus schöpfe ich jetzt, sodass immer neue Erkenntnisse und Meinungen in mir geboren werden, die ich festhalten und formulieren möchte. So breche ich nun endlich mein Schweigen und fahre die Ernte meines Lebens ein. Wird es eine gute Ernte sein?

5.

Ich muss gestehen, Naturwissenschaft ist nie meine Stärke gewesen. Obwohl ich Biologie als Leistungskurs absolviert habe, konnte ich in diesem Fach niemals reüssieren. Wie sehr ich mich auch bemüht habe, über eine Drei als Gesamtnote bin ich niemals hinausgekommen. Ich bin jedoch verblüfft, was die Naturwissenschaft bereits geleistet hat. Sie hat viele lebensbedrohliche Krankheiten ausgerottet und uns ermöglicht, die Erde zu verlassen und diese mit nie dagewesenem Erfolg zu enträtseln. Und doch bin ich erstaunt, wie viele Rätsel sie nicht lösen konnte. Es entstehen immer neue Krankheiten, deren Ursache wir nicht kennen.

Wie kann es denn überhaupt so viele kranke Menschen geben, wenn die Naturwissenschaft doch solche großen Fortschritte macht? Weshalb gelingt es ihr nicht, die Krankheiten zu besiegen und den Menschen gesund zu erhalten? Warum ist dieses größte und bedeutendste Anliegen des Menschen noch nicht verwirklicht worden? Denn alle anderen Anliegen sind doch verglichen mit der Gesundheit geradezu unbedeutend. Die Menschen strömen in die Apotheken, sie verbringen Stunden in den Wartesälen der Arztpraxen und lassen sich in Krankenhäuser einweisen.

Und werden sie dabei gesund? Wer könnte das ernsthaft behaupten? Die Pharmaindustrie und die Ärzte verdienen riesige Summen dabei. Doch wie sehr tun sie das zum Wohle des Menschen? Wer kann heute ernsthaft glauben, dass Krankenhäuser gesundmachen? Die Ärzte haben keine Zeit, um den Patienten mit seiner Krankheit zu verstehen und sind einem riesigen Finanz- und Verwaltungsdruck unterworfen und die Pharmaindustrie verdient doch eher an dem Leiden des Menschen als an seinem Wohle. Doch letztendlich ziehen auch die Ärzte ihren Nutzen aus dem Erkranken des Menschen: Denn wer bräuchte sie noch, wenn die Menschen frei von Krankheit wären? Es ist wohl nicht von der Hand zu weisen, dass die Naturwissenschaften schon längst den Kampf gegen die Krankheit verloren haben und es nur eine Frage der Zeit ist, bis neue verheerende Epidemien und Pandemien die Menschheit heimsuchen. So steht die Gier des Menschen seiner eigenen Gesundheit im Wege.

6. Sollte man die Menschen lieben oder sollte man sie verfluchen? Sind sie liebenswert oder sind sie abscheulich?

Wenn ich die Menschen beobachte und mir ihren Eigensinn, ihre Heuchelei und ihr auf Trieb und Wohlstand gerichtetes Leben vor Augen führe, so möchte ich mit Alceste ausrufen:

„J`entre en une humeur noire, et un chagrin profond,

Quand je vois vivre entre eux les hommes comme ils font;

je ne trouve partout que lâche flatterie,
qu`injustice, intérêt, trahison, fourberie;
je n`y puis plus tenir, j`enrage, et mon dessin
est de rompre en visière à tout le genre humain“
(Molière „Le Misanthrope“)

Hat man jedoch einige Zeit unter den Menschen zugebracht und hat ihre Motivation und Impulse für ihre Handlungen erforscht und erkannt, so kann man sie unmöglich einfach nur verdammen. Man lernt, ihre oft schwierigen Umstände zu verstehen, und muss ihnen einfach Gerechtigkeit widerfahren lassen. Dennoch muss ich gestehen, den größten Ekel vor den Menschen empfinde ich, wenn ich im überfüllten ICE sitze und sich ein Strom von Menschen über die Zugabteile ergießt. Wenn man die Menschen beobachtet, wie sie oft verzweifelt einen freien Platz suchen oder unfähig sind, ihren bereits reservierten Platz zu finden, wie sie sich, sobald sie einen Platz gefunden haben, in aller Seelenruhe mitten im Gang umziehen, ihre Koffer langsam verstauen, obwohl eine riesige Menschenschlange dadurch in ihrer Fortbewegung gehemmt wird, wie sie ihren freien Platz neben sich mit Taschen und Kleidungsstücken füllen, damit sich dort ja niemand hinsetzt, wie sie also in Aufregung und Verzweiflung geraten und dies im Grunde doch nur, weil sie unbedingt ein Stück Plaste unter ihr Gesäß bekommen wollen. Ich möchte hier eine Begebenheit wiedergeben, die ich selbst erlebt habe und für deren Wahrheitsgehalt ich also selbst bürge.

Als ich eines Tages wieder einmal in einem solchen überfüllten Zug saß, befand sich hinter mir ein junges Paar, das sich, da alle Plätze reserviert waren, auf zwei Plätze niederließ, die mit dem Hinweis gekennzeichnet waren “ggf freigeben“. Dieses junge Paar verbrachte dort so einige erholsame Minuten, als eine sehr betagte und gebrechliche Frau mit ihrer Platzreservierung auf das junge Paar zuging und sie darauf hinwies, dass sie diese Plätze reserviert habe und sie daher zu räumen seien. Kaum hat das junge Paar das ohne Widerrede getan und die ältere Dame sich auf einen der freien Plätze gesetzt, winkte sie die abseits stehende Freundin zu sich, die sich auch zugleich zu ihr setzte und begrüßte diese mit folgenden Worten:

„Da haben sich zwei junge Kuckucksküken in unser Nest gesetzt. Die habe ich aber ganz schnell vertrieben. Haben die sich etwa gedacht, die könnten uns so einfach unsere Plätze wegnehmen?

Da haben die sich aber getäuscht. Denen habe ich es aber gezeigt.“

Diese Äußerung, die von ihrer Freundin mit einem so bösartigen Hohnlächeln erwidert wurde, akzentuierte sie in einer so überheblichen Art und Weise, dass mir fast der Atem stockte und ich mich reflexartig umdrehte, um ihnen meine Empörung zuzurufen. Im letzten Moment besann ich mich jedoch und widmete meine Aufmerksamkeit wieder meinem Buch. Nun so ist der Mensch und man kann ihn wahrlich nicht dafür loben. Aber ist das die einzige Seite an ihm oder gibt es da auch andere? Natürlich zeigt der Mensch sich auch anders. Wie großartig und bewunderungswürdig zeigt er sich, wenn er uneigennützig aus reiner Liebe und Zuneigung Opfer bringt, wenn er aus sich selbst heraus geistige Schöpfungen hervorbringt, wenn er Überzeugungen über seine naturgegebene Triebhaftigkeit stellt. Wie göttlich sind Kinderseelen mit ihrem unvoreingenommenen und offenen Blick für ihre Umgebung. Wie rein sind ihre Seelen und mit welcher grenzenlosen Liebe ist man ihnen zugetan. Das ist auch der Mensch und dort liegt seine Herrlichkeit. Er kann zu Großem erzogen werden, jedoch auch zum Schändlichen. Wovon ist das abhängig? Einzig von der richtigen Erziehung und den gesunden Verhältnissen in der Gesellschaft. Schaffen wir uns diese gesunden Verhältnisse und der Mensch wird wieder großartig und liebenswert.

7. „Kein Hirt und eine Herde. Jeder will das Gleiche, Jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig in`s Irrenhaus“

(Nietzsche „ Also sprach Zarathustra“)

Seit der Aufklärung und der französischen Revolution sind die Werte Europas grundlegend verändert worden. Égalité,liberté et fraternité sind seither auf alle Menschen heruntergebrochen worden, obgleich die Realität immer wieder zeigt, dass diese überhaupt nicht mit der Natur des Menschen übereinstimmen. Dabei beinhaltet die égalité natürlich auch die Gleichstellung von Mann und Frau. In dieser Hinsicht möchte ich einige Gedanken äußern. Die Frau wurde im christlichen Abendland, vor allem weil ihr die Schuld an der Erbsünde angelastet wurde, stark unterdrückt und jeglicher Rechte beraubt. Sie war als Sinnbild der Verführung und Dienerin des Diabolischen mit sehr negativen Attributen behaftet. Doch als man sie im Zuge der Umwertung aller Werte kurzerhand mit dem Mann gleichstellte und im modernen Abendland überhaupt keinen Unterschied zwischen Mann und Frau mehr sehen möchte, tun sich unzählige Probleme auf.

Es kommt vor allem zu Konflikten in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Vor allem wenn man sich partnerschaftlich oder ehelich verbindet, entstehen große Missverständnisse und unlösbare Probleme. Mann und Frau, zwei so entgegengesetzt denkende und fühlende Geschöpfe, die sich im Wesentlichen so fremd geblieben sind, sollen gleichberechtigt und ohne Hierarchie gemeinsam ihr Leben gestalten und dabei sogar Kinder gesund großziehen. Als wenn zwei so unterschiedliche Geschöpfe die schwierigen Entscheidungen des Lebens so selbstverständlich im Einverständnis treffen könnten. Als wenn es nicht ein unglaublicher Glücksfall wäre, wenn sie bei schwerwiegenden Entscheidungen zu dem gleichen Entschluss kämen. Konflikte, und zwar von der schärfsten Art, sind daher vorherbestimmt. Wie wird diesen in der Regel begegnet? Entweder durch Überzeugungskraft oder durch Dominanz eines Partners. In der frühen Phase einer Beziehung, in der die Gefühle füreinander noch leidenschaftlich sind, wird man Konflikte eher durch Überzeugungskraft und Überredung lösen, doch nach einiger Zeit, wenn die leidenschaftlichen Gefühle abgeebbt sind und die Beziehung durch Routine und Alltag geprägt ist, werden die Konflikte meist durch einen Partner gelöst, der durch ein Machtwort entscheidet, d.h. einer der beiden Partner wird nach einer gewissen Zeit meist an Dominanz gewinnen und sich in den Konflikten durchsetzen. Dies ist in der Regel die Person, die über mehr Selbstbewusstsein, Intelligenz und Charakterstärke verfügt.

Sicherlich gibt es auch Paare, die ihre Beziehung ohne schwerwiegende Konflikte und Auseinandersetzungen durchleben, doch dies ist eher selten und meist der Tatsache geschuldet, dass zwei Personen zusammengefunden haben, deren Naturell und Charakter in unglaublicher Harmonie zueinander stehen. Doch wie oft trifft man dergleichen an? Was ist denn die Regel? Zwietracht, Eifersucht, Streit, Seitensprünge und am Ende oft die Trennung oder Scheidung. Wenn dieses Paar dann auch noch Kinder in die Welt gesetzt hatte, hat dies einen gesellschaftlichen Schaden zur Folge, der unermesslich ist und vor allem irreparabel. Es ist für fast alle Beteiligten ein traumatisches Erlebnis. Vor allem für den Partner, dem die Kinder entzogen werden, tut sich eine Wunde auf, die meist nie wieder verheilt. Sein Lebensglück ist verwirkt, er sieht seine Kinder, die seinen Lebenssinn ausmachten, plötzlich kaum noch, darf jedoch kräftig Unterhalt bezahlen und hat kaum noch Möglichkeiten, in einer neuen Beziehung Familienglück zu finden.

Doch den größten Schaden erleiden die Trennungskinder. Durch dieses traumatische Erlebnis ist ihre Seele verletzt und für das ganze Leben geschädigt. Sie fühlen sich schuldig und möchten beide Elternteile wieder zusammen sehen, denn sie lieben beide genauso innig und können mit dieser Trennung nicht leben. Sie sind innerlich zerrissen und können diesen Schaden nicht selbstständig beheben. Dieser Schaden wird Auswirkungen auch für ihre späteren Beziehungen haben und so weiterwirken wie in einem Teufelskreis. Dieses Verbrechen an der menschlichen Seele wird überall und unzählige Male zugelassen und durch die Familiengerichte abgesegnet. Vom Staat wird nichts unternommen, um die Gewalt an den Kindern zu beenden. Er steht diesem Fiasko hilflos gegenüber. All dies geschieht, weil man durch Wunschglaube die Natur des Menschen ignoriert und sie mit allmächtigen Ideen bezwingen möchte. Aber sie lässt sich nicht bezwingen: Mann und Frau werden niemals gleich sein. Sie bleiben unterschiedlich und sie müssen auch unterschiedlich behandelt werden. Sollen zwei so unterschiedliche Wesen in Harmonie zusammenleben und eine so schwierige Aufgabe wie die Erziehung von Kindern gemeinsam meistern, so bedarf es einer klaren Rollenverteilung und auch einer Hierarchie.

Welchen Staat, welchen Konzern, welches Unternehmen ließe man ohne klare Hierarchie und Führung? Und die Familie, der wichtigste und fundamentalste Baustein der Gesellschaft, soll ohne Führung sein? Dies muss sich ändern und es wird sich auch in Zukunft ändern, denn die daraus resultierenden Schäden sind so gravierend, dass sie nicht mehr hingenommen werden können. Doch dies kann erst umgesetzt werden, wenn die Köpfe von den kranken Ideen der égalité befreit sind. Erst wenn Egalisierung und Gleichgültigkeit nicht mehr unsere bestimmenden Elemente der Erziehung sind, kann eine neue Einstellung zu Mann und Frau entstehen, die deren Natur genüge tut und eine Familienstruktur ermöglicht, die Bestand hat und unsere Kinder gesund erzieht. Dafür zu kämpfen, sollte doch der Mühe wert sein.

8. „Corruptissima res publica, plurimae leges“ (Tacitus « Annales »)

Michael Kohlhaas ist eine historische Person, die Heinrich von Kleist wirklich beispiellos in Szene gesetzt hat. Die zügellose Ausschweifung, die auch im Gerechtigkeitswahn möglich ist, erhielt durch ihn ein meisterhaftes Tableau. Wo immer man heute einen Menschen antrifft, der um der Gerechtigkeit willen persönliche Nachteile in Kauf nimmt, ruft man sofort aus: „Was für ein Michael Kohlhaas“. Wie oft habe ich über die Motive und Konsequenzen seines Handelns nachgedacht und mich dabei gefragt: Hat er recht gehandelt? Hätte er das Unrecht des Junkers von der Tronkenburg hinnehmen sollen? Wie sollte man sich heute in einer ähnlichen Situation verhalten?

Ich kann dabei nicht leugnen, dass mir der Kohlhaas im Grund genommen sympathisch ist und ich seine Wut gut nachvollziehen kann. Er befand sich jedenfalls juristisch gesehen vollkommen im Recht und bekam dieses dennoch nicht zugesprochen, obgleich er wirklich alle Gerichtsinstanzen bemüht hatte. Als er sich auch noch als Querulant bezeichnen lassen musste, wurde ihm quasi die Schuld zugeschoben. Schließlich kam dann auch noch seine Frau tragischerweise zu Tode und da waren dann endgültig die Würfel gefallen. Alles, was daraufhin folgte, war nicht mehr zu verhindern und seine letztendliche Hinrichtung die notwendige Folge davon. Meiner Meinung nach trifft er sein verhängnisvolles Fehlurteil, als er seinen Diener Herse über die Gewalttaten und Ungerechtigkeiten auf der Tronkenburg verhört hatte. Er hätte sofort begreifen müssen, mit was für einem Verbrecher er es zu tun hat, und den Verlust der Rappen erdulden sollen. Dann hätte er lediglich zwei Rappen verloren, einen geschundenen Diener verarzten müssen und das relativ harmlose Unrecht hinnehmen müssen. Aber eben das Letztere konnte er nicht, obgleich so viele andere es auch ertragen mussten. Obwohl er wusste, dass er nach Durchsetzung seines Rechts sowohl tot als auch besitzlos sein würde, traf er seine schwerwiegende Entscheidung. Doch vor allem finde ich sein Verhalten hinsichtlich seiner Kinder sehr fragwürdig. Sie mussten seiner Hinrichtung beiwohnen, waren nun mittellos und auf ewig als Kinder des Städtezerstörers Kohlhaas gebrandmarkt. Das ist wahrhaftig ein übersteigertes und pathologisches Gerechtigkeitsempfinden, wenn es sogar über das Wohl der eigenen Kinder gestellt wird.

hat, wie die Glaubwürdigkeit eines Staates verloren gegangen und dabei sogar ein ganzes Staatssystem zerstört worden ist, dann ist man sich der konsequenten Einhaltung von Gesetzen und der Integrität der Machthaber für immer bewusst. Wie oft erleben wir heute, dass Recht gebrochen wird, weil der Rechtsbrecher vermögend ist und einen guten Rechtsbeistand hat. Wie oft wird das Steuerrecht umgangen, weil durch die Vielzahl der Gesetze Lücken entstanden sind, die von den Winkeladvokaten ausgenutzt werden. Wer akzeptiert heute noch widerspruchslos das Gesetz, auch wenn das negative Konsequenzen mit sich bringt.