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Dr. Norden Bestseller
– 241 –

Grenzenlose Mutterliebe

Was geschieht mit dem kleinen Juan?

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-208-5

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Für Daniel und Fee Norden war es immer ein Fest, wenn David Delorme ein Konzert in München gab, denn für sie war er ja nicht nur der berühmte Pianist und Dirigent, sondern ihr Schwager. Seine Frau Katja war Fees Schwester, genauer gesagt Stiefschwester, aber das wurde nie betont. Sie verstanden sich ausgezeichnet, und das einzige, was die Norden-Kinder an David und Katja bemängelten, war die Tatsache, dass sie die Kinder Marc und Felicia immer zu den Großeltern auf die Insel der Hoffnung brachten, bevor sie nach München kamen.

Katja war gewiss eine liebevolle Mutter, aber nur dann, wenn sie mit den Kindern in der gewohnten Umgebung war, sonst wurde sie leicht nervös. Außerdem, meinte sie, wäre im Hause Norden genug Trubel mit den Fünfen. Natürlich fand sie auch die kleinen Zwillinge wonnig, aber wie Fee das alles bewältigte, wollte ihr nicht in den Kopf.

Aber da es im Hause Norden auch noch eine gute Lenni gab, konnte Fee sogar ab und zu mal ein Konzert besuchen, und das, worauf sich die beiden schönen Schwestern nun vorbereiteten, versprach auch ein ganz besonderes Ereignis, denn der Violinvirtuose Fernando Ribera gab sein erstes Konzert in München.

Anneka war richtig aufgeregt, als ihre Mami und Katja in den wunderschönen Abendkleidern vor dem Spiegel standen.

»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«, scherzte Daniel.

»Wir werden nicht streiten, Daniel«, sagte David. »Für dich ist es Fee, für mich ist es Katja. Aber nun müssen wir starten, sonst muss ich vorausfahren.«

Er brauchte warme Hände, und draußen war es doch empfindlich kalt. Aber da Daniel fuhr, konnte sich Katja auf dem Rücksitz an ihren Mann kuscheln, und da konnte er gar keine kalten Finger bekommen.

Was David gar nicht mochte, war, vor dem Konzert schon von Fans bestürmt zu werden, und deshalb hatte er es immer sehr eilig, in seine Garderobe zu kommen.

Daniel hatte es mit seinen beiden Damen nicht so leicht, denn es waren einige Bekannte anwesend, die es sich nicht entgehen lassen wollten, mit ihnen gesehen zu werden, da man zwei so schöne und elegante Frauen selten zusammen sah. Und Daniel Norden war halt auch so ein Mann, der den Frauen gefiel.

Sie wollten so rasch wie möglich ihre Plätze einnehmen, aber auf dem Wege dorthin war es dann Katja, die ihr Augenmerk auf ein ebenfalls recht attraktives Paar richtete.

Der Mann, so um die Vierzig mochte er sein und von südländischem Typ, war eine sehr interessante Erscheinung.

Die Dame in seiner Begleitung, eine feurige schwarzhaarige Schönheit in einem unerhört kostbaren Chiffonkleid, sah Katja an, stutzte und winkte ihr dann mit einem charmanten Lächeln zu.

Ihr Begleiter schien keinen Wert auf eine Unterhaltung zu legen. Er sagte etwas, und schnell entfernten sich beide.

»Na so was«, sagte Katja verwundert. »Das war Carmen Ribera, Fernandos Schwester. Ich hätte sie gern mit euch bekannt gemacht.«

»Aber Señor Linares scheint das ein bisschen peinlich gewesen zu sein«, sagte Fee spöttisch.

»Du kennst ihn?«, staunte Katja.

»Flüchtig, aber ich kenne seine Frau sehr gut.«

»Wir kennen Corinne sehr gut«, betonte Daniel.

Katjas Augenbrauen schoben sich leicht zusammen. »Man braucht ja nicht gleich an was Schlechtes zu denken, wenn ein gutaussehender Mann mit einer schönen Frau beisammen ist, die nicht seine Frau ist«, sagte sie.

»Aber man braucht ja nicht gleich die Flucht zu ergreifen, wenn man Bekannte sieht, und er kennt uns ja auch«, sagte Daniel anzüglich.

»Es sei denn, dafür gibt es einen besonderen Grund«, meinte Fee.

»Und was für einer könnte das sein?«, fragte Katja.

»Es könnte sein, dass Señora Carmen nicht weiß, dass er verheiratet ist. In Spanien herrschen in manchen Familien sehr moralische Grundsätze, liebe Katja«, erklärte Daniel.

»Uns geht’s ja nichts an«, sagte Katja leichthin. »Wie ist denn seine Frau?«

»Reizend«, erklärte Fee, »und sie haben einen Sohn, der mit Anneka am gleichen Tag geboren ist. Daher kennen wir uns besonders gut.«

»Aber sie wohnen doch wohl nicht hier?«, meinte Katja nachdenklich.

»Corinnes Eltern wohnen hier. Sie ist eine geborene Alberti.«

»Alberti?«, wiederholte Katja. »Ist sie verwandt mit Professor Alberti?«

»Sie ist seine Tochter.«

»Und was ist dieser Linares für ein Mann? Arzt oder Künstler?«

»Beides nicht. Er ist Diplomat, und in diesem Metier muss man auch verflixt vorsichtig sein, um nicht ins Gerede zu kommen«, bemerkte Daniel. »Aber Schluss damit, das Konzert beginnt gleich.«

*

Es war ein wundervolles Konzert, und man konnte von diesem Fernando Ribera nur sagen, dass er mit den schon ganz Berühmten Schritt halten konnte. Aber die Ovationen galten auch David Delorme, der hier sehr beliebt war.

David hatte vorgeschlagen, dass sie sich noch einen Schlummertrunk genehmigen könnten, aber Fernando entschuldigte sich damit, dass es für ihn doch ein zu aufregender Tag gewesen sei, und der Klimawechsel mache ihm auch zu schaffen.

David war nicht böse. Ihm war es sowieso immer lieber, wenn er sich bald aus dem Trubel zurückziehen konnte, und in München gefiel es ihm am meisten, wenn sie mit Daniel und Fee zusammensein konnten.

Zu Hause war es am gemütlichsten, und wenn die Delormes kamen, hatte Fee immer ein paar Schmankerl bereit.

»Ribera hat sich wohl schon verausgabt«, bemerkte Katja ironisch. »Sonst ist es doch üblich, dass eine Flasche Champagner geköpft wird.«

»Er war müde, und er ist sowieso kein geselliger Mensch.«

»Da könnt ihr euch die Hand reichen«, meinte Katja neckend. »Wir haben seine Schwester gesehen, aber sie war in Begleitung.«

»Warum auch nicht«, meinte David gleichmütig. »Sie ist erwachsen und frei und ledig. Sie ist sogar schon Ende Zwanzig, soviel ich weiß, und Südländerinnen werden schnell Matronen.«

»So sieht sie aber nicht aus«, stellte Fee lächelnd fest.

»Ihr Begleiter ist ein verheirateter Mann«, warf Katja ein.

»Liebe Güte, was du schon wieder alles weißt«, lächelte David nachsichtig.

»Er ist uns zufällig bekannt«, erklärte Daniel.

»Er heißt Julio Linares und ist mit einer Freundin von Fee verheiratet, und anscheinend war es ihm verflixt peinlich, mit ihr gesehen, ich meine mit Carmen gesehen zu werden.«

»Das sollte aber kein Thema für uns sein«, erklärte David gelassen.

*

Für Carmen Ribera war es eins, und dieses Thema wurde zwischen ihr und Julio Linares gründlich erörtert. Für seine Auffassung allzu gründlich. Er war nervös.

»Ich konnte nicht ahnen, dass das Ehepaar Norden uns in den Weg laufen würde«, sagte er gereizt. »Ich habe dir erklärt, dass sie Corinne kennen, und ich wollte keinen dummen Fragen ausgesetzt werden.«

»Manchmal verstehe ich dich wirklich nicht, Julio. Deine Frau lässt sich scheiden, und das doch nicht meinetwegen, sondern wegen eines anderen Mannes, wie du sagtest. Oder stimmt das etwa nicht?«

»Siehst du, jetzt fängst du wieder damit an. Also noch mal: Meine Frau Corinne hat die Scheidung eingereicht und hat meinen Sohn mit hierhergenommen. Sie will erreichen, dass er ihr zugesprochen wird. Das habe ich dir doch schon mehrmals erklärt. Und wenn mir nun von Leuten, die sie kennen und auch mich, eine Affäre mit dir angedichtet wird, könnte es durchaus sein, dass ihr Juan tatsächlich zugesprochen wird. Ich will ihn behalten! Um seinetwillen habe ich diese Ehe ertragen.«

»Mich würde es interessieren, warum du sie überhaupt geheiratet hast, wenn sie dir doch so völlig gleichgültig war«, sagte Carmen etwas anzüglich. »Ist sie so reich?«

»Sie war ein junges hübsches Mädchen, und für mich war es ein Flirt, aber sie hatte die Heirat erzwungen. Gibst du dich damit zufrieden?«

»Nein«, erwiderte Carmen kühl. »Wir werden uns nicht mehr sehen, bis deine familiären Verhältnisse geklärt sind. Du wirst es nicht verhindern können, dass ich mit Katja und David Delorme zusammenkomme, und ich muss gestehen, dass es mir peinlich war, wie du dich benommen hast.«

»Carmen, ich bitte dich! Du weißt, wie sehr ich dich liebe! Ich will dich nicht verlieren. Hätte ich dich nur früher kennen gelernt, dann müsste ich mich jetzt nicht erst scheiden lassen.«

»Dann hättest du keinen Sohn, den du unbedingt behalten willst. Ich bin noch jung genug, um Kinder zu bekommen. Aber mir scheint es, als hätte ich dich durch eine rosarote Brille gesehen.«

Sie war aufgestanden und ging zum Fenster. »Geh jetzt«, sagte sie aggressiv. »Fernando kommt.«

»Wir werden uns morgen sehen und vernünftig miteinander reden, Carmen«, sagte er flehend. »Es war vielleicht eine falsche Reaktion von mir, diese Bekanntschaft leugnen zu wollen, aber …«

»Fangen wir nicht noch mal von vorn an«, fiel sie ihm ins Wort. »Als Scheidungsgrund will ich mich wahrhaftig nicht ausrichten lassen.«

Und dann trat Fernando ein. Sein Zimmer war durch eine Tür mit dem seiner Schwester verbunden. Ein unwilliges Zucken lief über sein müdes Gesicht, als er Julio gewahrte.

»Warum hast du nicht auf mich gewartet, Carmen?«, fragte er heiser.

»Ich dachte, du würdest noch mit David und Katja ausgehen«, erwiderte sie.

»Señor Linares war im Gehen begriffen?«, lenkte Fernando ab. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht!«, stieß Julio hervor.

*

Für Carmen brach die nächste ungemütliche Stunde an.

»Er reist dir nach, das gefällt mir nicht, Carmen«, sagte Fernando.

»Er ist mir nicht nachgereist. Er hat hier in München zu tun und selbstverständlich von deinem Konzert gelesen.«

Fernandos Augen wurden schmal. »Du bist alt genug, um zu wissen, was du tust, aber du solltest kostbare Zeit nicht mit diesem Mann verplempern. Ich mag ihn nicht.«

»Das hast du noch nie gesagt, Fernando.«

»Ich habe versucht, es dir zu verstehen zu geben, und ich habe auch gedacht, dass du genügend Verstand hast, es nicht so weit kommen zu lassen. Er ist verheiratet, Carmen.«

»Woher weißt du das?«, fragte sie bestürzt.

»Ich lasse Erkundigungen über ihn einziehen. Wenn meine Schwester schon blind ist, so kann ich sie doch nicht dazu auch noch taub ins Unglück rennen lassen.«

Sie presste die Fingerspitzen aneinander. »Und was hast du noch erfahren?«, fragte sie.

»Er hat einen Sohn, und seine Frau ist eine geborene Alberti. Ihr Vater ist ein berühmter Herzchirurg. Mehr weiß ich bisher nicht, aber ich werde noch mehr in Erfahrung bringen, das verspreche ich dir. Ich werde seine ganze Vergangenheit durchforsten lassen.«

»Er ist doch kein Verbrecher, Fernando. Er ist Diplomat. Lass das ruhen. Ich habe ihm vorhin schon gesagt, dass ich ihn nicht mehr sehen will, solange seine Familienangelegenheiten nicht geklärt sind, aber man kann ihm doch nicht die ganze Schuld zuschieben, wenn seine Frau die Scheidung wegen eines anderen Mannes eingereicht hat.«

»Hat sie das? Nun, das werde ich auch noch herausfinden.«

»Solltest du dich jetzt nicht lieber auf deine Tournee konzentrieren?«, fragte Carmen tonlos.

»Ich habe eine Schwester, die ich liebe, und die mir alles bedeutet, da wir niemanden sonst mehr haben, Carmen. Aber wenn ich wüsste, dass du glücklich wirst mit einem Mann, würde ich dir nichts in den Weg legen. Warum nur gerade dieser Mann?«

Darauf konnte sie ihm jetzt keine Antwort geben. Sie war fasziniert gewesen von Julio, wie hypnotisiert, und erst heute, an diesem Abend, hatte sie ihn klarer gesehen, dachte nach, war wie von einem Bann befreit. Warum das? Warum erst jetzt und nicht früher, wenn das, was Fernando sagte, keinen Widerspruch mehr in ihr wachrief, weil sie selber auch schon so zu denken begann.

Die Zweifel waren da, und sie blieben, obwohl er ihr doch so überzeugend versichert hatte, dass seine Frau sich schon längst von ihm getrennt hätte. Ja, sie hatte es ihm geglaubt, sie hatte ihm alles geglaubt, und ihr war es ganz elend bei dem Gedanken, dass sie wirklich blind und taub gewesen war.

Sie konnte nicht einschlafen. Ihre Gedanken wechselten sprunghaft. Katja kam ihr in den Sinn und dieses attraktive Ehepaar Norden, denen Julio hatte ausweichen wollen. Sie kannten seine Frau Corinne. Von ihnen konnte sie vielleicht mehr über diese Frau, diese Ehe erfahren.

Und über diese Ehe zerbrach sich auch Fee Norden den Kopf, wenngleich sie dabei mehr an Corinne und das Kind dachte.

Gut, Katja mochte Recht haben, dass man sich rein gesellschaftlich begegnete, auch zu engeren Kontakten kam, aber warum hatte dieser Linares denn selbst einem kurzen Gespräch ausweichen wollen?

Aus Sorge, dass man sich nach seiner Frau und seinem Sohn erkundigen könnte? Fee gestand sich ein, dass sie dies auch in aller Unbefangenheit getan hätte.

Carmen Ribera war nicht nur eine schöne Frau, sie entstammte auch einer Familie, die hochangesehen und vermögend war. Das hatten sie ja von Katja und David erfahren. Carmen brauchte sich nicht an einen Mann zu hängen, um sich von ihm aushalten zu lassen. Und hatte es eine solche Frau nötig, sich mit einem verheirateten Mann einzulassen?