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Die Reihe

Management / Organisationsberatung

Die heutige Gesellschaft ist eine organisierte Gesellschaft. Man muss schon lange suchen, um überhaupt noch Bereiche zu finden, die nicht von Organisationen geprägt sind. Unternehmen jedweder Größe und Eigentumsform, Verwaltungen, Schulen, Gerichte, Krankenhäuser, Universitäten, Kirchen, Verbände, Parteien, Vereine etc. – allesamt übernehmen sie gesellschaftliche Funktionen und bestimmen unser Leben. Die Fülle an Aufgaben, die unter den Bedingungen zunehmender Globalisierung und Digitalisierung gleichzeitig zu erfüllen sind, wie auch die Bandbreite an Organisationskonzepten und Führungsansätzen, mit denen der komplexe Alltag bewältigt werden soll, stecken das Feld ab, in dem Management und Beratung mehr oder weniger wirksam werden.

Die Zeiten, in denen es einfache Antworten auf die vielfältigen Fragen zur Überlebenssicherung einer Organisation und auch zur Steuerung tagtäglicher Entscheidungsprozesse gab, sind seit Langem vorüber. Der Komplexität, mit der heute alle konfrontiert sind, die in verantwortlichen Funktionen in und mit Organisationen arbeiten – Führungskräfte, Manager und Organisationsberater etc. –, wird man mit Rezeptwissen nicht mehr gerecht. Hier setzen die neuere Systemtheorie und mit ihr die Reihe Management/Organisationsberatung im Carl-Auer Verlag an. Beide liefern Konzepte und »Landkarten«, die auch im unübersichtlichen Terrain von Wirtschaft und Organisation Orientierung ermöglichen und Handlungsfähigkeit sicherstellen.

Das Ziel der Reihe ist es, empirisch gehaltvolle Forschungen über die Prozesse des Organisierens wie auch theoretisch angemessene Führungs- und Beratungsansätze zu präsentieren. Zugleich sollen bewährte Methoden einer system- und lösungsorientierten Praxis im Kontext von Organisationen überprüft und neue Ansätze entwickelt werden.

Torsten Groth
Herausgeber der Reihe
Management/Organisationsberatung

Edgar H. Schein

Humble Consulting – Die Kunst des vorurteilslosen Beratens

Aus dem Amerikanischen
von Maren Klostermann

2017

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Themenreihe »Management und Organisationsberatung«

hrsg. von Torsten Groth

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Erste Auflage, 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

First published by Berrett Koehler

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Carl-Auer Verlag GmbH

Inhalt

Vorwort

Wie passt das alles in einen größeren historischen Kontext?

Wie dieses Buch aufgebaut ist

1 »Ich bin der Berater und ich habe keinen Schimmer, was ich tun soll!«

Meine Überlegungen zu dieser Situation

Fallbeispiel Nr. 1: Kultureller Wandel bei Beta Power

Das Paradox von chaotischer Komplexität und schneller Hilfe

Warum sind die Probleme heute chaotischer?

Die Notwendigkeit eines neuen Modells

2 Was ist das Neue an Humble Consulting?

HC erfordert eine neue Art von persönlicher Beziehung zum Klienten

HC erfordert schon beim allerersten Kontakt eine neue Verhaltensweise

HC erfordert eine neue Haltung der Demut, Engagement fürs Helfen und Neugier

HC erfordert neue Fähigkeiten des Zuhörens und Antwortens

HC bedeutet eine neue und andere »persönliche Rolle« für den Berater

HC fördert ein breiteres Verhaltensspektrum beim Berater, das darauf basiert, dass der Berater in der Beziehung offen, authentisch und innovativ ist

HC wirkt am erfolgreichsten, wenn die neuen Gespräche zu Dialogen werden

Wie die neuen Elemente logisch zusammenpassen

Was bedeutet es, wirklich zu helfen?

Wie ist es möglich, dass HC schneller ist?

Humble Consulting wird die neue Führungsfähigkeit sein

3 Die Notwendigkeit einer vertrauensvollen und offenen Level-2-Beziehung

Was ist eine Beziehung? Was ist mit Vertrauen und Offenheit gemeint?

Kulturell definierte Beziehungsebenen und Grade an Vertrauen und Offenheit

Minus Eins: Negative Beziehungen

Level Eins: Transaktionale, bürokratische und professionelle Beziehungen

Professionelle Distanz und die Asymmetrie professioneller Beziehungen

Wann Level-1-Hilfe hilfreich ist und wann nicht

Level 2: Persönliche Beziehungen der zweiten Ebene

Level 3: Intimität und emotionale Bindung, Freundschaft und Liebe

Zusammenfassung der Ebenen

Fallbeispiele

Fallbeispiel Nr. 2: Gute Absichten, wenig Hilfe

Fallbeispiel Nr. 3: Meine Abenteuer mit Digital Equipment

Fallbeispiel Nr. 4: Die Implementierung einer neuen IT-Technik im Bankgeschäft

Kapitelzusammenfassung und Schlussfolgerungen

Anregungen für den Leser

4 Humble Consulting beginnt mit dem ersten Gespräch

Wie macht man das? Die HC-Haltung: Was der Helfende einbringen muss

Engagement: Sie müssen gefühlsmäßig zum Helfen bereit sein

Neugier: Sie müssen wissen wollen, wer dieser Mensch ist und wie die Situation aussieht

Fürsorgliches Interesse: Sie müssen so schnell wie möglich persönlich werden

Wie man zuhört

Mögliche Reaktionsweisen

Fallbeispiele zur Veranschaulichung

Fallbeispiel Nr. 5: Die Umdeutung der Frage, ob eine Vorlage für eine Kulturanalyse erstellt werden soll

Fallbeispiel Nr. 6: Einen Klienten durch einen Prozessvorschlag gewinnen – Alpha Power Company

Wie man in einer Gruppensituation sofort mit der Personalisierung beginnt

Fallbeispiel Nr. 7: Die Projektgruppe des Vorstands von Mass Audubon: Eine erfolgreiche Personalisierung

Fallbeispiel Nr. 8: Das Cambridge-at-Home-Komitee: Eine missglückte Personalisierung

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Anregungen für den Leser

5 Personalisierung: Förderung der Level-2-Beziehung

Warum sollte man die helfende Beziehung personalisieren?

Fallbeispiel Nr. 9: Hilfe bei der Personalisierung des Unterrichts am MIT

Fallbeispiel Nr. 10: Ebenen der Involvierung bei Ciba-Geigy

Fallbeispiel Nr. 11: Das Dilemma beim Coaching von Führungskräften: Wer ist der Klient?

Fallbeispiel Nr. 12: Ein bedauerlicher Personalisierungsfehler

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Anregungen für den Leser

6 Der Prozessfokus beim Humble Consulting

Beispielfälle für eine Problemrestrukturierung

Fallbeispiel Nr. 13: Eine Frage, die Alcoa Australia neu strukturierte

Fallbeispiel Nr. 14: Ein Rückzieher beim Teamaufbau: Das Procter & Gamble-Werk in Quincy

Fallbeispiel Nr. 15: Der Verzicht auf den Aufbau einer Teamkultur in einer Verkaufsorganisation

Die Prozesslösungen des Beraters oder des Klienten verändern – Beispielfälle

Fallbeispiel Nr. 16: Eine erfolgreiche Verringerung der Fluktuationsrate im Technikbereich der General-Electric-Niederlassung in Lynn

Fallbeispiel Nr. 17: Wie man die Kultur in einer Vertriebs-organisation beurteilt und »bewertet«

Fallbeispiel Nr. 18: Erfolgreicher Abbau von Problemen zwischen Zentrale und Regionalbereichen bei der US-Steuerbehörde

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Anregungen für den Leser

7 Die neuen Arten von Anpassungsbewegungen

Die Anpassungsbewegung ist Diagnose und Intervention zugleich

Fallbeispiel Nr. 19: Sicherheitsfragen bei Alpha Power

Fallbeispiel Nr. 20: Verringerung der Todesfälle bei der US-Forstverwaltung

Fallbeispiel Nr. 21: Hilfe beim Helfen – INPO und die Kernkraftwerke

Das Wesen des Gesprächs verändern: Innovative Anpassungsbewegungen

Fallbeispiel Nr. 22: Erfolgreiche und gescheiterte Anpassungsbewegungen – Nochmals zur Strategie von DEC

Fallbeispiel Nr. 23: Die Schafjung einer neuen Gesprächsform bei Saab Combitech

Fallbeispiel Nr. 24: Die Nutzung des Dialogs im Bereich Exploration und Produktion bei Shell

Fallbeispiel Nr. 25: Die Ad-hoc-Lunchgruppe im Universitätsklinikum

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Anregungen für den Leser

Schlussbemerkungen

Einige abschließende Gedanken zum Wesen echten Helfens

Und wie geht es von hier aus weiter? Die weiterreichenden Folgen

Dank

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Dieses Buch vereint unterschiedliche Einsichten und Ideen, zu denen ich im Laufe von mehr als fünfzig Jahren Forschung, Lehre und Beratung gelangt bin, und spiegelt gleichzeitig wider, wie die Probleme, vor denen Organisationen in unserer sich rasant verändernden Welt heute stehen, die Entwicklung dieser Ideen erzwungen haben.

Als ich in den 1960er Jahren meine Laufbahn als Personal-Trainer und Teilzeitberater begann, entwickelte ich das Modell der Prozessberatung, das ich in meinen Büchern Process Consultation (1969) und Process Consultation Revisited (1999) beschrieben habe. Dieses Modell betont, wie wichtig es ist, den Kunden in den Prozess der Problemermittlung und der Suche nach möglichen Lösungen miteinzubeziehen. Nachdem ich mehrere Jahrzehnte lang mit diesem Modell gearbeitet und das Buch aktualisiert hatte, erkannte ich allmählich, dass das Modell, das wir für die Organisations- und Unternehmensberatung nutzten, im Grunde viel breitere Anwendungsmöglichkeiten für alle möglichen helfenden Beziehungen hatte. Diese Erkenntnis schlug sich in dem 2009 veröffentlichen Buch Helping (dt. 2010, Prozess und Philosophie des Helfens) nieder. Die Analyse des Hilfs- und Beratungsprozesses aus einer soziologischen Perspektive zeigte auch, wie stark gesellschaftliche Normen beeinflussen, was wir für die angemessene Rolle des Beraters und des Kunden im helfenden Prozess halten.

Nach meinen eigenen Erfahrungen als Berater erschien es mir von größter Wichtigkeit, dass der Kunde tatsächlich in der Lage ist, über sein Problem zu sprechen, und fähig ist, sich dabei vertrauensvoll zu öffnen. Dann entdeckte ich, dass der Hauptgrund, der Klienten davon abhält, offen und vertrauensvoll zu sein, die kulturelle Kraft in den USA ist, die das Erzählen (Telling) zum Heldenmodell macht. (Die Bedeutung von »to tell« reicht dabei von »sagen, erzählen« bis »behaupten, belehren«. Was immer mitschwingt, ist eine asymmetrische Beziehung in dem Sinne, dass die eine Person über Wissen verfügt und deshalb »das Sagen hat«, während die andere mehr oder weniger der Belehrung bedarf. Anm. d. Ü.) Diese starke kulturelle Kraft hat dazu geführt, dass Hilfs- und Beratungsmodelle so strukturiert sind, dass man zunächst eine Diagnose stellt und dann in Form einer Empfehlung oder eines Rezepts erzählt, was zu tun ist. »Wenn du deine Sache wirklich gut machen willst«, erklärten meine Freunde in der Unternehmensberatung, »ist das eine Voraussetzung.« Und wie ich zu meiner Bestürzung feststellen musste, war dies auch die passive Überzeugung vieler Klienten. Mir wurde klar, dass die Besessenheit vom Erzählen ein allgemeines Merkmal der US-amerikanischen Führungskultur ist, was mich dazu veranlasste, das Buch Humble Inquiry (2013) zu schreiben, um darauf hinzuweisen, wie viel Schaden es anrichten kann, wenn man Untergebenen bei der Kommunikation nach oben das Gefühl vermittelt, es sei psychologisch nicht sicher, wenn sie Vorgesetzten von wahrgenommenen Qualitäts- oder Sicherheitsproblemen bei den Arbeitsabläufen berichten.

Bei meinen eigenen Beratungsbemühungen habe ich festgestellt, dass das »Erzählen« nicht funktioniert und dass zudem die Klienten, die mich um Hilfe gebeten hatten, den formalen Ansatz bereits von früheren Beratern kannten und diesen »Diagnose und Rezept«-Ansatz nicht sonderlich hilfreich fanden. Der formale Prozess ging häufig am wahren Problem vorbei oder gelangte zu Empfehlungen, die aus vielfältigen Gründen, die der Berater offensichtlich nicht berücksichtigt hatte, nicht umgesetzt werden konnten. Gleichzeitig wurden die Probleme, vor denen Manager und Führungskräfte standen, immer komplexer und damit schwerer zu diagnostizieren, vom »Beheben« ganz zu schweigen. Durch mehrere Erfahrungen, die anhand der Fallbeispiele in diesem Buch erörtert werden, lernte ich außerdem, dass sich mitunter die frühesten Fragen, Bemerkungen oder Irritationen, die ich bei den ersten Kontakten mit einem Klienten zum Ausdruck brachte, als sehr hilfreich erwiesen, um den Klienten zur Wahrnehmung und zum Durchdenken der Situation zu befähigen. Häufig führte das dazu, dass dem Klienten sofort klar wurde, welche Schritte man als Nächstes ergreifen könnte, und dass er auf Ideen kam, deren Nutzen Helfendem ebenso wie Klienten spontan einleuchtete.

All das veranlasste mich dazu, über die bisherigen Modelle hinauszugehen und über meine Erfahrungen zu berichten – echte Hilfe kann schnell erfolgen, aber sie erfordert eine offene, vertrauensvolle Beziehung zum Klienten, die der Helfende von Anfang an aufbauen muss. Da die Probleme so kompliziert und komplex sind und weil es für die Beziehung äußerst wichtig ist, wie der Klient selbst beurteilt, was vor sich geht, erfordert dies auch ein gehöriges Maß an Demut aufseiten des Beraters. Ich beschreibe also in diesem Buch die neue Art von Problemen, die neue Beziehung, die zwischen Berater und Klient aufgebaut werden muss, und die neuen Einstellungen und Verhaltensweisen, die Berater lernen müssen, um echte Hilfe zu leisten.

Ich betrachte das als Evolution in meinem Denken. Viele der vorgestellten Ideen waren vielleicht schon indirekt in früheren Werken präsent, doch erst jetzt dringen sie ins Bewusstsein – als Erkenntnisse und als neue Grundsätze für das, was geschehen muss, wenn wir wirklich bei komplexen, dynamischen, »chaotischen« Problemen helfen wollen und wenn wir das schnell tun wollen, weil Klienten in vielen Fällen mit einer sofortigen Anpassung reagieren müssen.

Wie passt das alles in einen größeren historischen Kontext?

Humble Consulting oder die Kunst der vorurteilslosen Beratung stützt sich auf viele frühere Modelle, die sich mit Komplexität, wechselseitiger Abhängigkeit, Diversität und Instabilität befasst haben. Fast jede Theorie des Helfens umfasst den Begriff der Beziehung, doch kaum ein Modell geht auf die verschiedenen Ebenen von Beziehungen ein oder erörtert, was dazugehört, sie auszuhandeln. Eine Ausnahme bildet Claus Otto Scharmers Buch Theorie U (2007), in dem ausdrücklich zwischen verschiedenen Gesprächsebenen unterschieden wird, wenn es um die Frage geht, wie wir die tiefste Ebene in uns selbst und unseren Beziehungen erreichen, um zu den wahren Quellen der Erneuerung vorzustoßen.

Die beste Einführung in die Theorien und Modelle, die für ein Verständnis dieser Problemstellungen und für die Entwicklung praktikabler Anpassungsbewegungen besonders relevant sind, bot Karl Weick in seiner Untersuchung von besonders zuverlässigen Organisationen (Highly Reliable Organizations, HRO) und seinen darin vorgestellten Konzepten wie »lose Kopplung«, »Sensemaking«, »Konzentration auf Fehler« und »Resilienz« (Weick und Sutcliffe, 2007). Auf der Seite der Soziologie betrachte ich seit jeher Erving Goffmans Analyse von Interaktion und »situativer Angemessenheit« als essenzielles Modell für ein Verständnis von Beziehungen und der Art, wie sie aufgebaut, bewahrt und gegebenenfalls gekittet werden (Goffman 1959, 1963, 1967). Eng verwandt sind die systemischen Modelle des »Organisationslernens« (z. B. Senge, 1990) und der Familientherapie (z. B. Madanes, 1981). Die Arbeiten zur »Achtsamkeit« (Langer, 1997) sind entscheidend für die neuen Kompetenzen, die wir meiner Ansicht nach brauchen werden. Die an sogenannten »schlanken« Methoden orientierten Veränderungsprogramme, basierend auf den Arbeiten von Deming und Juran, die sich zum Toyota-Produktionssystem entwickelten, sind relevant, wenn sie gut umgesetzt werden und diejenigen Mitarbeiter, die die eigentliche Arbeit ausführen, miteinbeziehen (Plsek, 2014). Offene soziotechnische Systemansätze zur Problemermittlung und -lösung, wie sie von der Tavistock-Klinik entwickelt wurden, haben wesentlich hilfreichere Ideen geliefert als standardisierte Mess-, Analyse- und Problemlösungsmethoden.

Der vielleicht relevanteste Beitrag von allen ist das im letzten Jahrzehnt von Bushe und Marshak (2015) beschriebene Konzept der »dialogischen Organisationsentwicklung« im Gegensatz zur »diagnostischen Organisationsentwicklung«, weil es hervorhebt, was auch andere Führungstheoretiker wie Heifetz (1994) betonen – nämlich, dass die komplexen Probleme von heute keine technischen Probleme sind, die sich mit spezifischen Werkzeugen beheben lassen. Darauf können wir am besten reagieren, indem wir gemeinsam mit dem Kunden nach praktikablen Ansätzen suchen, die zwar keine Lösung, aber schnelle Erleichterung versprechen – was ich als Annäherungen oder »Anpassungsbewegungen« bezeichne. Dazu werden neue Formen des Gesprächs von eher dialogischer und fragender Natur gehören. Besondere Betonung liegt in diesem Zusammenhang auf dem Begriff »Bewegungen« (Moves), weil er impliziert, dass wir handeln, ohne notwendigerweise gleich einen Plan oder eine Lösung im Kopf zu haben.

Letztendlich greife ich auf Erfahrungen zurück, die ich als Trainer von Gruppen machte, die am Sensitivity-Training und den Human-Relations-Laboratorien in den National Training Labs in Bethel/Maine teilnahmen. Bei diesen Trainingsgruppen war das wichtigste Arbeitskonzept, sich vom »Forschergeist« leiten zu lassen und zu akzeptieren, dass wir nicht immer wussten, wohin uns der Lernprozess führen würde (Schein und Bennis, 1965). Der Aufbau einer Beziehung, die den Klienten befähigt, »zu lernen, wie man lernt«, war damals von entscheidender Bedeutung und wird heute mehr denn je zu einem der wichtigsten Ziele beim vorurteilslosen Beraten (Humble Consulting).

Der Forschergeist kommt derzeit am besten im Konzept des »Dialogs« zum Ausdruck, wie es von Bill Isaacs (1999) und in Frank Barretts ungeheuer aufschlussreichem Buch Yes to the Mess (2012) dargelegt wird. Barrett zeigt eindrucksvoll auf, dass die Fähigkeit zum Improvisieren, wie sie zum Beispiel von einer Jazzcombo an den Tag gelegt wird, einige der wichtigsten Hinweise auf die Kompetenzen und Verhaltensweisen liefert, die Helfende und Führungskräfte in Zukunft brauchen werden.

Wie dieses Buch aufgebaut ist

In Kapitel 1 erkläre ich das Grundproblem: Die komplexen, chaotischen Probleme unserer heutigen und zukünftigen Welt erfordern ein neues Modell des Helfens, Coachens und Beratens. In Kapitel 2 lege ich die neuen Elemente oder Bestandteile des Humble Consulting-Modells dar. In den folgenden Kapiteln werden diese Elemente dann einzeln erläutert und an Beispielen veranschaulicht. In Kapitel 3 beschreibe ich das Konzept der Level-2-Beziehung oder einer Beziehung der zweiten Ebene (Level-2-Relationship). Kapitel 4 zeigt, dass der Aufbau dieser Beziehung schon beim ersten Kontakt mit dem Kunden beginnen muss, indem man eine bestimmte Haltung einnimmt, die davon abhängt, dass man die eigene Neugier maximiert. Kapitel 5 befasst sich mit dem gesamten Konzept der Personalisierung als Schlüssel zum neuen Beratungsmodell. In Kapitel 6 zeige ich auf, dass die Beratung fast immer besonders hilfreich für die Prozesse ist, die zwischen Kunden und Berater auf der gemeinsamen Suche nach Anpassungsbewegungen ablaufen. Kapitel 7 geht dann ausführlicher auf das Konzept der Anpassungsbewegungen ein und beschreibt sie im Hinblick auf die Innovationen, die erforderlich sind, damit sie hilfreich wirken. Zum Schluss des Buches lege ich einige Folgerungen und Herausforderungen für die Zukunft dar.

1 »Ich bin der Berater und ich habe keinen Schimmer, was ich tun soll!«

Einmal im Monat habe ich ein Lunch-Meeting mit leitenden Angestellten und Ärzten von einem großen Krankenhaus und einer medizinischen Fakultät, die beide zu einem großen wissenschaftlichmedizinischen Komplex gehören. Wir treffen uns, um zu besprechen, wie das Krankenhaus und die Hochschule die Qualität der medizinischen Versorgung, die Patienten- und Mitarbeitersicherheit, Patientenerfahrungen im Krankenhaus, Forschungsdurchbrüche und die medizinische Ausbildung weiter verbessern können. Wie ich erfahre, umfasst die Medizinergruppe Kliniker, Forscher und Lehrer, die alle unterschiedliche Ziele verfolgen, aber ihre Anstrengungen aufeinander abstimmen müssen, und alle abhängig von denselben finanziellen Fördermitteln des Krankenhauses und der Universität sind.

Das Krankenhaus ist die Haupteinnahmequelle für die medizinische Fakultät und für einen Teil der Forschung. Die Verwaltungsmitarbeiter, ob Mediziner oder Nicht-Mediziner, müssen die Mittel zwischen Forschung, klinischer Praxis, Sicherheit, Instandhaltung und Ausweitung des kommunalen Gesundheitswesens aufteilen und außerdem eine Rücklage für künftige Bauprojekte bilden. Die Ärzte sind alle an der medizinischen Fakultät angestellt, aber wenn sie in der Klinik praktizieren, unterstehen sie auch der Krankenhausverwaltung. Die leitenden Verwaltungsangestellten bemühen sich nach Kräften, alle Beteiligten auf die gleiche Wellenlänge zu bringen, sind sich aber bewusst, dass sich die Ziele von Forschung, Lehre und klinischer Praxis in gewisser Weise voneinander unterscheiden, dass die Einzelpersonen, die diese Ziele verfolgen, unterschiedliche persönliche Agenden haben und dass ihre Anführer diese Ziele und Agenden schützen.

Ich bin gebeten worden, mich dieser Gruppe anzuschließen, weil ich über Organisationskultur geforscht habe, Erfahrung als Prozessberater habe und mich in wachsendem Maß für das Gesundheitswesen und Krankenhausverwaltungen interessiere. Im Laufe der letzten Jahre habe ich außerdem im Rahmen einer kleineren Denkfabrik weitere Krankenhausverwaltungen kennengelernt und erfahren, dass diese Art von Problemen an großen universitätsgestützten Kliniken erschreckend weit verbreitet ist.

Während das morgige Lunch-Treffen näher rückt, wird mir klar, dass ich keine Ahnung habe, was ich tun soll!

Meine Überlegungen zu dieser Situation

Im Laufe der vielen Jahre, die ich als Berater tätig bin, habe ich festgestellt, dass es hin und wieder funktioniert, wenn ich als der Experte auftrete und Informationen und/oder Ratschläge verteile, aber nur, wenn es sich um einfache, begrenzte Probleme handelt. Ich bin auch schon in die Rolle des »Arztes« für Organisationsklienten geschlüpft, indem ich Diagnosen gestellt und Rezepte verabreicht habe. Das hat nur gelegentlich funktioniert, wenn ich zufällig genügend Insider-Informationen über die Identität, die Mission und die kulturelle DNS der Organisation zur Verfügung hatte, um umsetzbare Vorschläge zu machen.

Ich habe früh gelernt, als »Prozessberater«, wie ich es nenne, zu arbeiten, der einer Gruppe in der Organisation dabei hilft, die Arbeit, die sie in Bezug auf ihre grundlegende Funktion und Aufgabe erledigen muss, erfolgreicher durchzuführen. Dazu gehörte normalerweise, dass ich eine Beziehung zu dem Klienten aufgebaut habe, die es uns ermöglichte, gemeinsam herauszufinden, was falsch lief und was man dagegen tun konnte. Doch auch dieser Prozess scheiterte, wenn das Problem komplex war, viele kulturelle Facetten hatte und sich ständig wandelte. Für den Umgang mit meiner medizinischen Lunchgruppe brauchte ich noch einen weiteren Denkansatz, um angesichts der gegebenen Komplexität und schnellen Veränderungen helfen zu können.

Fallbeispiel Nr. 1: Kultureller Wandel bei Beta Power

Potenzielle Kundin am Telefon: Hallo, Dr. Schein, hier ist Sue Jones von der Beta Power Company. Ich bin die Leiterin des Personalbereichs und der Managemententwicklung. Unser neuer CEO hat mich gebeten, Sie anzurufen und zu fragen, ob Sie bereit wären, zu kommen und uns dabei zu helfen, unsere Firmenkultur zu verändern, weil wir festgestellt haben, dass sie viel zu starr, schwerfällig und förmlich ist. Es ist schwer, irgendein neues Programm in Gang zu bekommen, weil wir immer wieder auf diese alten Verhaltensweisen und Handlungsmuster stoßen. Würden Sie unserem Unternehmen einen Besuch abstatten, um mehr darüber zu erfahren? Vielleicht könnten Sie uns helfen, einige Programme zur Veränderung der Unternehmenskultur zu starten?

(Als ich diesen Vorschlag und diese Frage hörte, spürte ich zwei Hauptreaktionen in mir. Zum einen klang es interessant und gehörte sicherlich zu der Art von Projekten, deren erfolgreiche Bewältigung ich mir zutraute. Doch andererseits erinnerte ich mich daran, dass ich einige schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wenn ich Unternehmen besuchte, ohne genauere Informationen zu haben und vor allem, ohne zu wissen, was der neue Unternehmenschef tatsächlich im Sinn hatte, wenn er von einer »starren, schwerfälligen Kultur« sprach. Ich wollte auch gern ein wenig mehr Informationen über die Motivation des neuen Unternehmenschefs erhalten. Würde er das Ganze einfach an Sue Jones delegieren? Oder würde er sich selbst in dem Projekt engagieren, was eine wichtige Voraussetzung für einen kulturellen Wandel wäre. Diese Gedanken führten zu dem folgenden Gespräch, das ich als Personalisierung bezeichne.

Ed S: Das klingt interessant und könnte kompliziert sein. Ich glaube, es wäre wichtig, die Sache außerhalb des Unternehmens mit dem CEO zu besprechen, um zu erforschen, was vor sich geht und was genau er im Sinn hat. Meinen Sie, er wäre zu einem separaten Treffen bereit und würde mich vielleicht in Cambridge besuchen?

(Diese Reaktion war die erste Anpassungsbewegung), wie ich es nenne, um eine persönlichere Beziehung zum Kunden aufzubauen und herauszufinden, was ihn tatsächlich beschäftigt.)

S. J.: Sie haben recht. Vielleicht sollten wir die Sache außerhalb des Unternehmens durchsprechen. Ich werde Rücksprache mit unserem CEO halten und fragen, ob die Möglichkeit besteht, dass wir Sie in Cambridge besuchen. Ich melde mich dann wieder.

(Eine Woche später)

S. J.: Ich habe mit unserem CEO gesprochen, und er war ganz begeistert von dem Vorschlag, Sie zu besuchen. Er wird auch seinen neuen operativen Geschäftsführer mitbringen, und ich werde die beiden begleiten. Wollen wir einen Termin für ein halbtägiges Meeting festlegen?

Ed S.: Hier sind einige Termine zur Auswahl. Ich gehe davon aus, dass Einvernehmen darüber besteht, dass ich Ihnen diesen halben Tag in Rechnung stelle.

(Andere Erfahrungen haben mich gelehrt, dass die beste Hilfe oftmals in den frühesten Sitzungen erfolgt, deshalb stelle ich diese ersten Gespräche in Rechnung, außer es handelt sich eindeutig um ein kurzes und rein informatives Telefonat, Essen oder Treffen.)

S. J.: Das klingt gut. Wir melden uns, wenn ich Rücksprache wegen des Termins gehalten habe.

(Wir trafen uns zwei Wochen später um neun Uhr morgens in meinem Garten. Ich entschied mich für ein Treffen bei mir zu Hause, weil es ein Setting bot, in dem wir etwas essen und trinken konnten, was einer Personalisierung der Situation entgegenkommt.)

Ed S: Herzlich willkommen! Lassen Sie uns darüber sprechen, was Sie im Sinn haben, wenn Sie von einer »starren, schwerfälligen Kultur« reden.

CEO: Okay, Ed. Darf ich Sie »Ed« nennen?

Ed S: Sicher.

CEO: Als John (der operative Geschäftsführer) und ich den Versuch gestartet haben, einige neue Programme im Unternehmen umzusetzen, sind wir immer wieder auf alte Gewohnheiten und Traditionen gestoßen, an denen die Leute offenbar unbedingt festhalten wollen, so als wäre die Kultur irgendwie versteinert.

Ed S.: Können Sie mir ein Beispiel nennen?

(Das ist fast immer eine gute Frage, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die geringste Ahnung habe, worüber sie reden, was sie unter Kultur verstehen oder was sie tatsächlich beunruhigt. Kaum hatte ich die Frage gestellt, richtete sich John kerzengerade in seinem Stuhl auf und schaltete sich temperamentvoll ins Gespräch ein.

COO: Ja, Ed, ich kann Ihnen ein schlagendes Beispiel nennen, das sich gerade gestern ereignet hat! Ich habe eine Mitarbeitergruppe von ungefähr fünfzehn Leuten, mit denen ich mich regelmäßig in diesem großen Konferenzsaal treffe und sie setzen sich jedes Mal auf dieselben Plätze. Okay, also gestern waren nur fünf Leute bei dem Meeting und wieder saßen alle auf ihren üblichen Plätzen, obwohl das bedeutete, dass sie über den ganzen Raum verstreut waren!

(John sah mich erwartungsvoll an, öffnete die Hände zu einer Geste, die zu sagen schien: »Verstehen Sie, mit was ich mich herumschlagen muss?«, und legte eine Pause ein. In diesem Moment wurde ich von meiner Neugier überwältigt und gab ihr nach, ohne über die möglichen Konsequenzen nachzudenken. (Fragen Sie sich, was Sie selbst in diesem Augenblick getan hätten.)

Ed S.: (mit Verve) Was haben sie getan?!

Geschäftsführer: Oh Gott! Ich hab’ überhaupt nichts getan …

(Es folgte eine lange Pause, in der der CEO, der operative Geschäftsführer und Sue wohl alle zu derselben Einsicht gelangten. Hier hatten wir die beiden obersten Führungskräfte der Organisation, die sich über schwerfälliges Mitarbeiterverhalten beklagten und einen Außenstehenden baten, ihnen dabei zu helfen, die »Kultur zu verändern«. Irgendwie war es ihnen gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie mit ihrer Passivität stillschweigend das »kulturelle Verhalten«, über das sie sich beschwerten, billigten. (Ich musste an den Spruch denken: »Du kriegst, womit du dich zufriedengibst.«)

Wir verbrachten den restlichen Morgen damit, eine Liste aller Aktionen zusammenzustellen, die sie starten konnten, um das klare Signal an die Organisation auszusenden, dass das Verhalten sich ändern musste. Ich empfahl ihnen mein Buch Organizational Culture and Leadership (4. Aufl. 2010), in dem ein ganzes Kapitel der Frage gewidmet ist, wie Führungskräfte die Kultur beeinflussen können. Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich ganz wohl dabei, den »Doktor« zu spielen und etwas zu empfehlen. Wir kamen überein, dass ich jetzt nur noch alle paar Wochen telefonisch mit ihnen abklären würde, wie die Sache lief. Im Laufe der nächsten Monate rief der CEO mich regelmäßig an und schickte mir gelegentlich eine E-Mail, in der er geplante Aktivitäten beschrieb und um meine Meinung dazu bat. Ich stellte ihm eine Rechnung für meine Arbeitszeit aus und unterbreitete im Bedarfsfall weitere Vorschläge. Offizielle Projekte zur Unternehmenskultur habe ich weder besucht noch initiiert. Das war nicht notwendig. Durch meine Hilfe hatten sie erkannt, wie sie den Kulturwandel völlig eigenständig bewerkstelligen konnten.

Lektionen

• Die Hilfe, die sie erhielten, stand in keinem logischen Zusammenhang zu dem, was ich getan hatte. Es gab keine Diagnose, keine Untersuchung, kein Rezept. Ich hatte keine Ahnung, dass sie ihr Problem durch meine impulsive Frage aus einer anderen Perspektive betrachten und erkennen würden, dass sie es selbst lösen konnten. Ich hatte mehreren diagnostischen Fragen widerstanden, wie zum Beispiel: »Welche Gefühle hat das bei Ihnen ausgelöst?« oder »Was glauben Sie, warum die Mitarbeiter immer dieselben Plätze einnehmen?«, und stattdessen meiner spontanen Neugier nachgegeben. Die Kunden freuten sich, durch eine Methode voranzukommen, die keine komplizierte Diagnosephase, gefolgt von einem komplizierten Veränderungsprogramm umfasste. Das wahre Problem war nicht die schwerfällige Unternehmenskultur, sondern ihre eigene Verhaltenslähmung; während das dargestellte Problem sich möglicherweise erst nach Monaten entwirrt hätte, führte das tatsächliche Problem zu einer sofortigen Anpassungsbewegung.

• Meine wichtige »Intervention« bestand darin, dass ich sie zu mir nach Hause einlud und sie bat, mir »ein Beispiel zu nennen«, dass ich die Situation personalisierte und ein besseres Gespür dafür bekam, um was es eigentlich ging. Was mich antrieb, war eine Mischung aus Neugier und engagierter Hilfsbereitschaft.

• Ein direkter Fokus auf die »Kultur« schien nirgendwo hin zu führen, während die Konzentration auf das eigene Verhalten der Kunden zeigte, was sie tatsächlich erreichen wollten. Sie wollten ihre Unternehmenskultur nicht besser verstehen, sie wollten sie verändern. Eine Analyse der Unternehmenskultur wäre reine Zeitverschwendung gewesen und hätte sie möglicherweise von Schritten abgelenkt, mit denen sie sofort das Problem angehen konnten, das der eigentliche Grund für ihr Kommen war.

Das Paradox von chaotischer Komplexität und schneller Hilfe

Dieser Beispielfall lehrte mich, dass schnelle Hilfe möglich ist. Doch dazu muss man herausfinden, was der Kunde tatsächlich im Sinn hat und die eigene Neugier akzeptieren. Ein komplexer Schlamassel wie bei der Universität-gestützten medizinischen Fakultät und Klinik bot sich nicht für eine derart schnelle Hilfe an, machte aber deutlich, dass Anpassungsbewegungen hilfreich sein können. Meine Erfahrungen mit ähnlich komplexen Situationen betrafen verschiedene Organisationen, mit denen ich langjährige Beziehungen unterhielt. In diesen Fällen wie bei den Problemen, denen ich heutzutage bei meinen Klienten begegne, tritt das Chaos erst zutage, wenn erste Schritte eingeleitet werden, durch die tiefere Schichten der Probleme und Sorgen freigelegt werden.

Zum Beispiel:

• Mit der Digital Equipment Corporation (DEC) habe ich über dreißig Jahre lang immer mal wieder zusammengearbeitet, was in erster Linie bedeutete, dass ich dem Firmengründer Ken Olsen bei den wie immer gearteten Fragen, die ihn innerlich beschäftigten, geholfen und mit verschiedenen Topmanagern zusammengearbeitet habe, als ich in das Tagesgeschäft dieser Organisation verwickelt wurde. Wie ich aufzeigen werde, erfolgte die Hilfe manchmal sehr schnell, und manchmal blieb die dringend benötigte Hilfe leider auch aus.

• Über zehn Jahre habe ich mit ConEdison gearbeitet, dem Energielieferanten, der den Großbereich New York mit Strom, Gas und Erdwärme versorgt. Die betriebene Anlage ist alt und erfordert sorgfältige und ständige Wartung, damit potenziell tödliche Unfälle für die Bevölkerung und die eigenen Mitarbeiter vermieden werden. Die Organisation ist außerdem dafür verantwortlich, auch im Wechsel der Jahreszeiten und unter unterschiedlichsten Witterungsverhältnissen eine saubere und sichere Umwelt zu bewahren. Ich habe mit dem Führungsstab und dem Leiter des Bereichs Gesundheit, Sicherheit und Umwelt zusammengearbeitet, um ihnen zu helfen, die Sicherheit in einer komplexen, gewerkschaftlich organisierten, hochtechnologischen Umwelt zu bewahren und für dringend erforderliche Instandhaltungs- und Erneuerungsmaßnahmen zu sorgen; hinzu kam, dass alle Bemühungen des Unternehmens aufgrund von Ereignissen, die über zehn Jahre zurücklagen, auf tiefstes Misstrauen in der Öffentlichkeit, bei den Aufsichtsbehörden und bei Umweltschützern stießen. Ein vergleichbares Szenario von ähnlicher Komplexität entfaltet sich gerade bei Pacific Gas and Electric.