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Sandy Kien

Alkatrass

Die Chance

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© 2017 Sandy Kien

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

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„Bei allem Respekt, Sir, sind Sie von allen guten Geistern verlassen?“

Der junge Mann löste seine stramme Haltung auf, die er zuvor dem Major noch gezeigt hatte, drehte sich der Wand zu, übersah die aufgerissenen Augen der beiden Soldaten im Zimmer und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es wurde nicht nur ruhig in dem Raum, es folgte eisiges Schweigen, sodass man selbst die Atemgeräusche hören konnte, bis der Mann hinter dem Schreibtisch aufstand und dabei seinen Stuhl über den Boden schrappen ließ.

„Baxter, lassen Sie mich bitte mit dem Sergeant allein!“

Der schon ältere, aber noch immer gut in Form gehaltene ergraute Offizier nickte seinen beiden Soldaten zu, die ihre Haltung nur kurz strafften und den Raum verließen. Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden verschlossen, verschwand auch die steife Haltung des Mannes in seiner adretten Uniform. Er putzte sich schnell über den Ärmel des scheinbar polierten Stoffes, atmete einmal tief durch und stemmte die Hände in die Hüften. Dezent beobachtete er, wie sich sein Gegenüber ihm wieder zuwandte.

„Sie wissen, dass ich kein Sergeant mehr bin. Ich habe den Dienst quittiert“, meldete dieser leicht erregt.

„Ja, und dafür einen anderen angenommen. Für mich sind und bleiben Sie der beste Sergeant, den wir je hatten. Und nein, ich bin nicht von allen guten Geistern verlassen. Ich habe mir die Sache genau überlegt.“

„Genau?“

Der dunkelhaarige, sportliche Mann verschränkte seine kraftvollen Arme vor der Brust. Die breite Gürtelschnalle glänzte vor seinem Bauch, ein Fleck befand sich auf seiner Wrangler Jeans, direkt am Oberschenkel. Unter dem Stoff zeichnete sich ab, dass es dieser Mann gewohnt war, zu arbeiten, zu reiten und zuzupacken. Auch die Sehnen an seinen Unterarmen, die durch das aufgekrempelte Hemd sichtbar waren, traten deutlich hervor. Sein Gesicht war markant, glatt rasiert, die Augen, leuchtend blau, das schwarze, kurze Haar nach hinten gekämmt. Nur die Augenbrauen hatten sich deutlich über der Stirn zusammengezogen.

„Sie scheinen vergessen zu haben, dass es auf Alkatrass nur Männer gibt. Harte Männer, gewalttätige Männer, Verbrecher, Männer mit schwarzer Vergangenheit. Wie soll das funktionieren? Gerade Sie sollten wissen, wie es aussieht, wenn nur einer dieser Männer …“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung, wandte sich wieder etwas ab. „Eine Schnapsidee! Völliger Schwachsinn. Schlagen Sie sich das sofort aus dem Kopf. Das ist unmöglich!“

„Das haben Sie auch gesagt, als man Sie zur Übernahme Alkatrass fast schon zwingen musste. Es war mächtige Überzeugungsarbeit, die wir da zu leisten hatten. Nun ist das fast fünfzehn Jahre her und die Ranch lebt immer noch. Bearbeitet von harten Männern, gewalttätigen Männern, Verbrechern, und wie sagten Sie, Männern, mit schwarzer Vergangenheit. Auch damals sagten genau Sie … ´das ist unmöglich, das geht nie und nimmer gut`. Es ging bis heute gut, weil Sie bewiesen haben, dass Sie besondere Führungsqualitäten besitzen, guter Mann. Mein Ansinnen war immer, diesen Männern, diesen schweren Jungs mit der schwarzen Vergangenheit, eine Aufgabe zu geben, um sie zu resozialisieren. Mit Ihnen konnte ich diesen Anfang machen. Ich habe vielleicht die Idee geliefert, Sie haben das Unmögliche möglich gemacht, und nun wollen gerade Sie mir erklären, dass etwas nicht machbar ist? Wenn jemand dieses Ding zuwege bringen kann, dann Sie, Sergeant King.“

Der Angesprochene ließ die Hände fallen und schüttelte leicht den Kopf.

„Das ist etwas anderes, Major Tyler.“ Seine Stimme war ruhiger geworden und er atmete kurz und kräftig durch. „Ich kann keine Frau nach Alkatrass bringen. Sie wäre für diese Männer wahres Hundefutter …“

„Das wage ich zu bezweifeln“, fiel ihm der Offizier ins Wort, der auf seinen Sergeant zutrat. „Synthia O´Neal ist nicht irgendwer. Ich würde sie Ihnen auch nicht übergeben wollen, und hätte sie nie für das Projekt vorgeschlagen, wenn ich nicht wissen würde, dass es geht. Sie ist etwas Besonderes!“

„Etwas Besonderes?“ Der junge Mann wandte sich dem Major wieder zu und blickte ihm tief in die dunklen, schon etwas eingefallenen Augen. Dieser Mann war schon ewig bei der Army. Hatte die unmöglichsten Abenteuer erlebt und unwirkliche Sachen bewerkstelligt. Auf seiner Stirn klebte der Name „Alkatrass“, eine Idee, die in diesem gereiften, intelligenten Kopf entstanden war. Eine Ranch, betrieben von Gefängnisinsassen, von lauter Häftlingen, die auf der Ranch eine Aufgabe erhalten hatten und damit ihren „Lebensunterhalt“ verdienten. Die einzige Forderung: Gehorsam, Loyalität und Gewaltfreiheit. Es lockte eine Haftverkürzung, bei sauberer Führung und entsprechender Leistung. Major Tyler Firestone hatte die Ranch „Alkatrass“ genannt. Abgeleitet von der Gefängnisinsel „Alcatraz“ in der Bucht von San Francisco. Er befand den Namen damals als würdevoll. Und auf ihn, Anthony King, Ex-Sergeant, war die damalige Wahl gefallen, Alkatrass zu leiten. Er hatte den Job nur widerwillig angenommen, sich kaufen lassen. Die Army hatte einiges springen lassen, um diesen Versuch möglich zu machen. Nie hatte er geglaubt, dass man es schaffen konnte, diese Art Ranch auf die Beine zu stellen und sinnvoll zu leiten, aber er hatte sich selbst übertroffen. Die Ehrung zum 15.Jubiläum hing an der Wand in seinem Büro. Die Ranch wirtschaftete mit Profit, warf einiges ab, und das nur durch den Fleiß einiger grober Verbrecher, die dort einen Lebenssinn erhalten hatten.

Nun, ja nun, kam Major Tyler mit einer neuen Idee. Mit einer völlig, verrückten, bescheuerten, beknackten … Etwas Besonderes! Es war eine Schnapsidee, dumm, nicht durchdacht … ach was, was hieß hier durchdacht. Da hatte keiner seine grauen Zellen bewegt. Absolut niemand.

„Etwas Besonderes!“, wiederholte King seine Worte, die allerdings jetzt keine Frage mehr waren. „Was soll so besonders an ihr sein? Hat sie sich zunähen lassen oder ist sie in Wirklichkeit ein Mann? Nein, noch besser, ein Wesen von einem anderen Planeten, mit Pickeln, Warzen, Pusteln …“

„Hören Sie schon auf, Sergeant!“

„Nein, Major, ich kann nicht aufhören. Sie haben Alkatrass erfunden. Mittlerweile arbeiten auf der Ranch über vierzig Jungs, teilweise harte Spießbrüder, die seit Jahren keine Frau mehr aus der Nähe gesehen, geschweige denn angefasst haben. Wir sind zu acht. Wir beaufsichtigen diese Männer. Um es minder auszudrücken, wir bewachen sie wie ein Rudel Wildhunde, welches darauf wartet, frisches Fleisch vorgeworfen zu bekommen. Gut ja, wir haben alles unter bester Kontrolle, und ich wage zu behaupten, dass ich mich nicht nur auf meine sieben Kollegen, sondern auch auf meine Jungs verlassen kann, sonst würde Alkatrass nicht laufen wie es läuft. Aber ich weigere mich eine Frau aufzunehmen und sie den Jungs als Frischfleisch vorzustellen. Acht Männer sind zu wenig, eine einzige Frau vor vierzig hungrigen Wildhunden zu schützen.“

Der Mann sah seinem Vorgesetzten böse ins Gesicht, fühlte die Wut in sich hochkeimen, und konnte es kaum fassen, als er das Lächeln bemerkte, welches sich in dem Gesicht des alten Mannes von einem Ohr zum Nächsten zog. Ein richtig ernst zu nehmendes, knabenhaftes, bübischen Grinsen, das so ziemlich alles beinhaltete, was Anthony King auf keinen Fall hören wollte.

„Cat hat es schon mit ganz anderen Männern aufgenommen. Außerdem beruht die Sache auf einer Ihrer Ideen. Sie haben öfter von einem Kindermädchen für ihren Sohn gesprochen, oder nicht?“

Anthony verschluckte sich fast.

„Kindermädchen?“ Er begann mit den Augen zu rollen. „Vielleicht drückte ich mich falsch aus. Unter Kindermädchen verstand ich eine Person männlichen Geschlechts.“

„Also einen Kinderbuben?“

„Ah, ja, so in etwa.“

„Oder eher einen Kindermann?“

Anthony starrte sein Gegenüber skeptisch an. Wollte ihn der Major jetzt vergackeiern?

„Verzeihen Sie, ich verstehe im Augenblick …“

„Sergeant Anthony King. Ich habe mir die Sache reiflich überlegt. In Ihrem ´Haushalt` gibt es keine Frau und ich finde, unsere vierzig Wildhunde sollten auch lernen, mit dem anderen Geschlecht umzugehen. Das können sie aber nicht, wenn man ihnen dieses vorenthält. Auch auf Rikers Island sind Männer und Frauen untergebracht. Glauben Sie mir, man unterstützt auch intime Zweisamkeiten. Es ist einfach notwenig. Um es gelinde auszudrücken: Sex besänftigt die Gemüter. Man achtet lediglich darauf, dass solche Dinge nicht nach außen dringen, aber innerhalb der Gefängnismauern ist man sich durchaus bewusst, dass ein Decksprung Aggressionen beseitigt …“

„Major Tyler, ich bitte Sie.“

Der alte Mann winkte ab und wandte sich um.

„Ich weiß, das hört sich nicht besonders sinnlich an, was aber nichts an den Tatsachen ändert, dass es so ist. Ich habe mit Cat schon eine ganze Weile zu tun. Sie war anfänglich nicht gerade einfach, hat die Wachen angegriffen, zwei Beamte vermöbelt, nicht ganz zu Unrecht, man wollte ihr an die Wäsche. Bei einer Rauferei innerhalb der Mauern hat sie es mit fünf anderen Frauen aufgenommen und keine übrig gelassen. Obwohl sie ein Messer im Rücken hatte. Noch etwas später, ich weiß nicht mehr in welcher Situation das war, geriet sie an zwei der ´schweren Jungs`. Nun, wie soll ich sagen. Cat hat böse Verletzungen hinterlassen und auch bei dieser Auseinandersetzung hat weder sie angefangen noch war sie schuld. Sie hat sich lediglich heftig, aber eindrucksvoll gewehrt. Das wurde eindeutig bewiesen. Danach lebte sie eine Zeit lang in Einzelhaft und ich hatte das Vergnügen, mit ihr mehrmals zu tun zu haben, da ich die Untersuchungen leitete. Cat ist außergewöhnlich in jeder Hinsicht. Unscheinbar, solange man sie in Ruhe lässt, höchst intelligent, vorsichtig, eher zurückhaltend, aber einmal in Gang gesetzt, mit einer Handgranate zu vergleichen, die gerade einschlägt. Zudem ist sie äußerst gebildet und wie ich weiß, auch musikalisch, was Ihrem Sohn gefallen wird.“

„Ich habe noch nicht gesagt …“

„Zudem ist sie hübsch und sie mag Kinder.“

„Major Tyler. Es wird nicht gehen, das …“

„Sergeant Anthony King. Sie wissen, dass es in meiner Macht steht, dies in einen Befehl zu verpacken, dem Sie Folge zu leisten hätten, was ich aber nicht will. Ich möchte Cat in guten Händen wissen, denn ich weiß, dass sie auf Rikers Island keine großen Überlebenschancen hat.“

Anthony King verhielt für einen Augenblick und hob die Augenbrauen. In diesem Moment wandte sich ihm der Major wieder zu und er kam nicht umhin, als etwas Wehmütiges in seinem Gesicht zu erkennen.

„Wieso, will sie jemand töten?“

„Hm, wenn ich das so genau wüsste.“

Der alte Mann stützte sich mit einer Hand etwas auf der Schreibtischplatte ab.

„Cat ist ständig irgendwelchen Angriffen ausgeliefert. Weiß der Himmel warum. Sie hat eine Fangemeinde, die hinter ihr steht. Und diese Fans haben schon mehrfach dafür gesorgt, dass sie nicht gemein von hinten ermordet worden ist. Nicht jeder mag sie und wie ich schon sagte, wenn sie deutlich ist, ist sie deutlich. Dadurch haben sich Rivalitäten gebildet, die sich nur schwer kontrollieren lassen. Irgendwann ist Cat zur falschen Zeit am falschen Ort und dann wird es sie nicht mehr geben. Eine Szenerie, die ich mir nicht vorstellen will, nicht ansehen und schon gar nicht bearbeiten möchte. Deshalb befehle ich Ihnen nicht, Anthony, ich bitte Sie, nehmen Sie sich Synthia O´Neals an. Für mich ist es die einzige Chance, ihr zu helfen.“

Nun hatte er es deutlich gehört. Der alte Major machte sich Sorgen um eine Frau, die auf Rikers Island inhaftiert war und dort vermutlich ein hartes Leben zu fristen hatte. Zum Teufel, alle Inhaftierten hatten ein hartes Leben, waren ständigem Mobbing ausgeliefert. Vergewaltigungen und Prügeleien gab es dort genauso regelmäßig wie Frühstück und Mittagessen, wie auch Übergriffe mit Tötungsabsichten an der Tagesordnung lagen. Das war dort Alltag.

„Kann es sein, dass Sie einen Narren an der Kleinen gefressen haben?“

Oh, wie schön es doch manchmal war, Ex-Sergeant zu sein und jede Höflichkeit außer Acht lassen zu können. Fragen dieser Art gehörten sich nicht, und trotzdem war er in der Position, sie stellen zu können.

Er sah, wie der Major durchatmete, sich mit einer Hand ins Gesicht griff und über sein Kinn kratzte.

„Cat ist keine ´Kleine`“, antwortete er seelenruhig, „und ich habe keinen Narren an ihr gefressen. Aber ich kann diese Frau sehr gut leiden, wenn Sie das meinen. Sie hat es ganz sicher nicht verdient, innerhalb der Mauern wie ein gemeiner Mistkäfer behandelt zu werden.“

Anthony konnte sich ein Auflachen nicht ganz verkneifen.

„Es hat was, das aus Ihrem Mund zu hören, Major. Ganz umsonst wird sie nicht auf Rikers Island inhaftiert sein. Weswegen wurde sie verurteilt?“

„Sie soll ihren Bruder getötet haben.“

„Soll oder hat?“

„Ja, sie hat, aber …“

Anthony verschränkte einmal mehr seine Arme vor der Brust.

„Sie wollen mir allen Ernstes eine Frau unterjubeln, die wegen Mordes an ihrem Bruder eingebuchtet worden ist, nur weil Sie irgendwas an ihr finden, wofür sich vielleicht momentan kein Vokabel findet. Nein, noch besser, Sie wollen sie auf meinen vierzehnjährigen Sohn loslassen?“

Ruhig, fast schon gelassen, setzte sich der Major auf die Schreibtischecke, nahm einige Papiere in die Hand und schien irgendwelche Zeilen zu lesen.

„Ihre Geschichte ist komplex. Ich will nicht behaupten, dass sie unschuldig ist, aber bestimmt ist sie auch nicht so schuldig, wie es dargestellt wird. Wollen Sie ihre Geschichte lesen?“

„Nein!“

„Ach ja, stimmt. Sie lesen keine Urteile, keine Lebensgeschichten, weil sie daran nichts ändern können und wollen.“

„Stimmt genau!“

„Nun …“

Es war unheimlich, wie ruhig dieser Mann aufstand, seine Augen abwandte und seine Jacke etwas zurechtrückte.

„Dann wird es wohl keinen Sinn haben, Sie länger zu löchern oder Ihnen von einer unbekannten Frau vorzuschwärmen, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Ich werde Sie benachrichtigen, wenn sie mit einem Messer in der Brust aufgefunden worden ist. Danke, Sergeant. Sie können gehen! Mehr wollte ich nicht von Ihnen.“

Ein Rauswurf? Das war echt ein Rauswurf?

Anthony King hob abermals seine Augenbrauen und zog die Stirn kraus. Wieso brach der Major so schnell ab, wo ihm diese Frau wichtig zu sein schien? Wieso bohrte er nicht weiter, wieso versuchte er nicht weiter, ihn zu überreden? Er war normalerweise gut darin, sehr gut, und das, was er an Überredungskünsten zu bieten hatte, war noch lange nicht ausgepackt. Wieso brach er ab?

Sollte er gehen? Einfach verschwinden? Den Mann mit seiner inhaftierten Besonderheit in Ruhe lassen, sie vergessen und so tun, als ob das Gespräch nie stattgefunden hätte? Irgendwann würde er kommen, der Wisch, mit der Todesnachricht von Synthia O´Neal. Dessen war er sich sicher.

„Wieso nennt man sie ´Cat`“?

Der Major blieb vor einer Wand stehen und betrachtete mit auf dem Rücken gefalteten Händen ein Bild.

„Wollen Sie das wirklich wissen oder ist es nur die Neugier?“

Es galt vorsichtig zu sein. Diese Frau musste mehr für den Major bedeuten, als bloß etwas Außergewöhnliches zu sein. Irgendwas musste es an ihr geben, was seine Bewunderung hervorgerufen hatte.

„Beides“, antwortete er deshalb wahrheitsgetreu.

„Es ist ein Name. Sie können ihn vergessen.“

Anthony schluckte. So kannte er seinen Major gar nicht.

„Und wie soll ich sie dann anreden? Synthia, Miss O´Neal? Alle haben sie Nicknames. Cat wird der ihre sein. Warum?“

Es dauerte eine ganze Weile, bevor der alte Mann antwortete. Was um alles in der Welt ging in seinem Kopf vor?

„Sie hat“, er stockte kurz, schien sich zu spannen, „einem der Beamten das Gesicht zerkratzt. So sehr, dass er heute noch Narben mit sich herumträgt, die ihn an sein Zusammentreffen mit ihr erinnern. Deswegen nannte man sie ´Cat`“.

„Kratzt sie immer noch?“

„Wollen Sie es herausfinden?“

„Vielleicht!“

Major Tyler trat einen Schritt zur Seite und sah ihn von der Seite her an.

„Cat ist mir wichtig. Sonst würde ich Sie nicht bitten.“

Es war so leicht für ihn. So leicht. Er brauchte nur zu sagen: Das ist ein Befehl! und schon wäre er gezwungen, die Frau mitzunehmen. Auch gegen seinen Willen. Er tat es nicht. Er bat ihn, nun schon zum zweiten Mal. Major Tyler wollte, dass er die Frau aus freien Stücken mitnahm und sich um sie kümmerte. Auf Alkatrass hatten die Häftlinge der Insel keinen Zugriff auf sie. Dort gab es nur vierzig Wildhunde …

„Darf ich sie kennenlernen?“

Anthony hätte sich auf die Zehen treten können. Jetzt bat er darum, diese Frau kennenlernen zu wollen, von der er eigentlich gar nichts wissen wollte. Der Mann kam nicht umhin, als seinem Major einen zerknirschten Blick zuzuwerfen. Irgendwie hatte er das Gefühl, übers Ohr gehauen worden zu sein.

Der alte Mann wartete auch gar nicht lange, sondern war mit zwei Schritten bei seinem Schreibtisch, nahm einen Hörer ab, drückte auf einen Knopf und ließ kurz darauf die Worte „Bringen Sie Cat herein“, hören.

Als er auflegte und aufsah, war Anthony, als könnte er eine gewisse Dankbarkeit in den Augen des alten Mannes erkennen. Verdammt. Der Major hatte ihm etwaige Hindernisse immer aus dem Weg geräumt, ihm immerzu unter die Arme gegriffen, ihn auch in den letzten fünfzehn Jahren nicht allein gelassen. War dieser Blick eine still gestellte Bitte, sich dieser Dame namens Cat anzunehmen?

Er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn die Tür öffnete sich, und ein Wachbeamter trat mit einer Person an seiner Seite ein. Man hatte sie in einen orangefarbenen Overall gesteckt. Auf dem Kopf trug sie eine Schirmkappe. Ihre Hände waren mit Handschellen gefesselt und an einem Fußgelenk befand sich ein silberner Reif. Eine elektronische Fußfessel? Hatte man Angst, sie könnte abhauen? War sie deshalb so schwer gesichert?

Anthony sah die Gestalt nur von der Seite her. Sie war hoch gewachsen, vielleicht etwas kleiner als er. Die Statur war kräftig, aber schlank, besaß eigentlich nichts, was ein Mann nicht auch besaß. Theoretisch hätte es auch ein Mann sein können. Ihre Hände konnte er nicht richtig erkennen und durch den Overall ging jede Art von Weiblichkeit verloren.

Er beobachtete, wie der Major einen sicheren Blick auf die Gestalt warf.

„Nehmen Sie ihr die Handschellen ab.“

Der Beamte tat wie ihm geheißen, zog einen Schlüssel aus einer seiner Taschen und entfernte die Fesseln von den Handgelenken der Gestalt. Ein Nicken des Majors bedeutete ihm, den Raum zu verlassen, was er auch kommentarlos tat. Die Gestalt blieb stehen, genau so, wie man sie hingestellt hatte. Anthony musste etwas schmunzeln. Als ob man einen Roboter hereingebracht und genau an dieser Stelle ausgeknipst hätte, denn als die Gestalt ihre Hände gesenkt hatte, bewegte sie sich um keinen Millimeter, weder einen Finger noch den Kopf, vermutlich bewegten sich noch nicht mal die kleinen Muskeln im Gesicht, die für ein allfälliges Zucken hätten verantwortlich sein können. Sie blickte nur starr geradeaus, wohin, das wusste im Moment niemand.

Anthony sah sich genötigt, etwas an den Schreibtisch heranzutreten, um einen Blick in das Gesicht der Gestalt werfen zu können.

„Cat!“ Der Major trat etwas unsicher von seinem Schreibtisch weg. „Das ist Ex-Sergeant Anthony King. Der Leiter von Alkatrass. Ich habe dir versprochen, dass er herkommen wird. Nun steht er vor dir.“

Anthony warf zuerst seinem Vorgesetzten einen Blick zu, bevor er sich abwandte und nun das weibliche Antlitz vor sich hatte. Was ihm zuerst entgegen stach, waren ihre blitzblauen Augen, die so hell leuchteten, als hätte sie sich fremdartige Linsen eingelegt. Und diese Augen waren umrahmt von nachtschwarzen Wimpern und dunklen Augenbrauen. Man konnte fast nicht anders, man musste eine Zeit lang in diese Augen blicken, die in einem schmalen, feinen Gesicht lagen, welches nur allzu weiche Züge hatte. Bei allen guten Geistern, wie alt war diese Person? Der Major hatte von einer „Frau“ gesprochen, von keinem „Mädchen“. War sie überhaupt schon volljährig? Lieber Himmel, Major Tyler, was soll das?

„Sind Sie Cat?“, fragt er deshalb automatisch, obwohl ihm die Antwort bereits bekannt war.

„Ja, Sir!“

Wow.

Die Stimme hatte etwas Festes, Überzeugendes, war eher dunkel für eine Frau, aber von sicherer Dominanz. Dieses Wesen war wirklich nicht nur anwesend. Sie war präsent.

„Wie alt sind Sie, Cat?“

„Sechsundzwanzig, Sir!“

Aha!

Anthony kam nicht umhin, sie zu mustern. Sechsundzwanzig! Er hätte sie auf siebzehn geschätzt.

„Sie wissen, was wir auf Alkatrass machen?“

„Ja, Sir!“

Nein, sie sah ihn nicht einmal an, stierte geradeaus, beantwortete Fragen. So, wie es den Menschen auf Rikers Island beigebracht wurde.

„Und Sie können sich damit identifizieren?“

„Ja, Sir!“

Eine andere Strategie war notwendig. Sie würde alles mit „ja“ beantworten. Häftlinge auf Rikers Island sagten das, was man hören wollte.

„Sie würden wohl zu allem ´ja` und ´amen` sagen, wenn es dem Willen Major Firestones entspricht, was?“

Ein kurzes Zögern. War das ein Blick, den sie mit dem alten Offizier tauschte, überlegte sie, was sie zu sagen hatte? Anthony glaubte schon an eine Erklärung, an etwas schnell Zusammengezimmertes, wurde aber eines Besseren belehrt. Die Antwort überraschte ihn.

„Ja, Sir!“

Sie log nicht.

„Haben Sie auch eine eigene Meinung?“

„Nein, Sir.“

Entweder sie war gut gedrillt, oder es war tatsächlich ihre Antwort.

„Warum nicht?“

Ja, es war ein Blick, den sie mit dem Major tauschte, denn er konnte sein unmerkliches Nicken erkennen, obwohl dieser etwas hinter ihm stand.

„Eine eigene Meinung ist auf Rikers Island nicht erlaubt, Sir!“

„Darf ich sie wissen?“

„Bitte was, Sir?“

Anthony schmunzelte. Man hatte der guten Frau beigebracht, mit „ja“ und „nein“ zu antworten und dabei jeden Augenkontakt zu meiden. Jetzt fragte er sie um ihre Meinung. Für die Frau eine eher unbekannte Situation.

„Ihre Meinung, Cat! Sie sind mir für das Projekt ´Alkatrass` vorgeschlagen worden. Als einzige Frau. Ich habe verneint, der Major wünscht, dass ich Sie mitnehme. Wie ist Ihre Meinung dazu?“

„Ich tue das, was mir befohlen wird, Sir!“

„Und genau das ist es, was wir auf Alkatrass nicht brauchen können. Ich will keine Maschine, sondern einen denkenden Menschen da draußen, der nicht für alles einen Befehl benötigt. Der liebe Gott hat Ihnen Ihren Verstand nicht gegeben, damit er auf Rikers Island verkümmert. Wir brauchen Leute, die ihn verwenden können, sonst würde Alkatrass nicht funktionieren. Ich würde jetzt gerne Ihre Meinung dazu hören, Miss O´Neal. Können Sie das nicht, dann werden Sie wohl wieder in Ihren Zellenblock gehen müssen, um weiter vor sich hin zu vegetieren.“

Da war doch glatt eine Regung im Gesicht der Frau zu erkennen, die jetzt bewusst den Augenkontakt suchte und nun ihrerseits in seine Augen starrte, ganz gegen das, was ihr beigebracht oder befohlen worden war.

„Ich bin harte Arbeit gewohnt und scheue keinen Schmutz, Sir. Ich werde mitgehen, wenn Sie mich mitnehmen wollen, Sir. Aber seien Sie sich im Klaren, dass ich mich entsprechend zur Wehr setzen werde, wenn jemand seine Finger nicht bei sich behalten kann. Machen Sie das Ihren Männern klar, bevor ich auf sie treffe, Sir. Ich habe kein Problem mit ihnen, aber sie vielleicht bald eines mit mir. Und was Ihren Sohn betrifft, Sir. Es liegt nicht an mir, sondern an ihm. Ich kann nicht von ihm verlangen, mich zu mögen, was er vermutlich auch nicht tun wird, denn ich kann seine Mutter nicht ersetzen, die er vermutlich nicht mehr hat, denn sonst würden Sie kein Kindermädchen für ihn benötigen, das ich überdies auch nicht wirklich bin, Sir!“

Es hatte was, das aus ihrem Mund zu hören. Eine deutliche Ansage. Oh, diese Frau hatte sehr wohl Ahnung von dem, was bevorstand. Man hatte ihr genug Informationen geliefert.

„Und wieso glauben Sie das?“

„Ich habe meinen Bruder getötet, Sir. Lesen Sie meine Akte. Ich bin wegen Mordes auf Rikers Island. Eine Mörderin kann kein gutes Kindermädchen für einen Vierzehnjährigen sein, Sir. Zumal Ihr Sohn sowieso nicht gerade den besten Umgang pflegt.“

Wenn er jetzt gekonnt hätte, wäre ihm ein Pfiff durch die Zähne entwichen. Es war schon beeindruckend, was diese Frau so auf die Schnelle von sich gab. Normalerweise sprachen Gefangene nicht über sich, ließen sich nicht dazu verleiten, ihre Meinung preiszugeben und würden sich niemals über Personen, die im engeren Verhältnis zu Wachpersonal oder Offizieren standen, äußern. Cat schien kein wirkliches Problem damit zu haben. Sie stand da, wie ein Fels in der Brandung, die Arme hängend, die Hände zu Fäusten geballt, starrte ihm in die Augen und erklärte kurz und bündig, was sie sich dachte.

„Wollen Sie nach Alkatrass kommen?“

Diesmal wechselte sie den Blick zwischen dem Major und ihm. Es war unverkennbar, dass sich die beiden abgesprochen hatten. Von wem die Frau ihre Informationen hatte, war unschwer zu erraten.

„Rikers Island ist eine Gefangeneninsel, eine Haftanstalt. Alkatrass eine Resozialisierungsanstalt, wenn ich das so betiteln darf, Sir. Es wäre gelogen zu sagen, Rikers Island wäre schöner. Alles ist besser, als Rikers Island. So ergibt sich die Antwort von selbst, Sir!“

Gepunktet. Wer immer hinter dieser Fassade steckte … Wie hatte der Major gesagt? Intelligent? Das kam nahe an das heran, was sie gerade ablieferte.

„Es wird nicht einfach werden.“

„Sich auf Rikers Island zu behaupten, ist auch nicht einfach, Sir.“

„Nun“, er konnte sich ein Grinsen nun doch nicht ganz verkneifen, „was können Sie für Arbeiten verrichten? Wo kann man Sie einsetzen, Cat?“

Eine Standardfrage, die er jedem anderen Arbeiter auch stellte.

„Überall, wo Hand angelegt werden muss. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, Sir, solange Sie mich nicht zwingen, ein Hausweibchen zu sein.“

Ein Räuspern des Majors. Aha. Diese Meldung war also nicht geplant gewesen. Ein Ausrutscher Cats?

Anthony warf dem alten Mann einen Blick zu.

„Bei allem Respekt, Major Tyler. Sie haben sie gut abgerichtet. Aber die letzte Aussage, war menschlich, nicht antrainiert. Ich brauche keine Marionette auf der Ranch. Wenn Sie wollen, dass Cat mitfährt, dann entbinden Sie sie von ihrem vorgekauten Muster. Meine Meinung habe ich schon. Die wird sie nicht mehr ändern. Aber wie gesagt, Wildhunde … Sie wissen was ich meine. Cat wird genötigt werden ein wahrer ´Mann` zu sein.“

Es dauerte Sekunden, bevor der Major seine Luft ausstieß und der Frau diesmal deutlich zunickte, woraufhin sie ihre Arme vor der Brust verschränkte.

„Sie wären die einzige Frau auf Alkatrass. Sie wissen, was das bedeuten kann?“

„Das ist mir bekannt, Sir. Die Entscheidung, ob ich mitfahre, liegt nicht bei mir, sondern bei Ihnen, Sir. Ich weiß nicht, was Sie sich zumuten können und wollen. Ich habe gelernt, auf mich selbst aufzupassen und weiß durchaus mit harten Jungs umzugehen. Dabei nehme ich auf meine Weiblichkeit wenig Rücksicht. Geht mir jemand an den Rock, er wird es kein zweites Mal versuchen!“

„Harte Worte für ein Mädchen!“

„Auch … Mädchen … wollen überleben, Sir.

„Und“, dabei trat er bedächtigen Schrittes auf die Frau zu, sich wohl im Klaren, seine gesamte männliche Aura über sie zu werfen, die er durchaus mitzubringen imstande war. Dabei blieb er an ihren Augen hängen, fing sie ein, erwartete eigentlich, dass sie sich irgendwann abwenden würde, aber nein. Sie hielt dem Blick stand, wobei ihre hellblauen, unglaublich strahlenden Augen, gefährlich blitzten. Diese Augen. Sie besaßen Feuer, Power, Lebenslust. Sie hatten eine Wirkung … Püüüh, Synthia mitzunehmen, würde ein heißes Thema werden. Wie sollte er seinen Wildhunden beibringen, sich von dieser Frau fernzuhalten, wo ihre Augen eine derart magische Anziehung besaßen? Was hatte sich der liebe Gott dabei gedacht, sie mit einer derart machtvollen Waffe auszustatten?

„Angst?“

Oh nein, sie verzog keinen Muskel, keine Falte bewegte sich in ihrem Gesicht, kein Zucken, kein Blinzeln, nichts. Selbstsicherheit schien nicht ihr Manko zu sein.

„Vor was, Sir?“

„Sie leben im Knast, gute Frau. Sie wissen ganz genau, was passieren kann. Eine Frau, viele Männer. Nicht immer kann einer von uns neben Ihnen stehen.“

„Das ist auch nicht nötig, Sir. Wie Sie treffend bemerkt haben. Ich lebe im Knast. Nun schon seit sechs Jahren. Man lernt so einiges.“

„Ihren Mut in allen Ehren …“

Prompt wurde er unterbrochen. Weder heftig noch aufdringlich noch erregt. Einfach nur unterbrochen.

„Sir, als ich hier eingeliefert wurde, Sir, wurde ich auch nicht danach gefragt, ob ich sowas wie Angst empfinde. Da hatte ich sie noch und es wurde keine Rücksicht darauf genommen. Ich wurde den Menschen hinter den Gittern zum Fraß vorgeworfen, musste ziemlich schnell lernen, mich anzüglichen Beamten gegenüber zur Wehr zu setzen. Major Tyler wird Ihnen sicher erzählt haben, warum ich den Kosenamen ´Cat` trage. Wollen Sie etwas über mich wissen, Sir, dann lesen Sie meine Akte, setzen Sie sich mit meiner Person auseinander. Dann wissen Sie, was ich war und was aus mir bisher geworden ist. Wie ich schon sagte, ich denke, dass jeder Platz besser ist, als Rikers Island. Wenn Sie mich nochmal fragen wollen, ob ich hier weg will.

Hier die Antwort: Jeder will hier weg! Ich bilde da keine Ausnahme, und nichts kann noch schlimmer sein, als das, was ich bereits erlebt habe. Ihre ´Wildhunde`, wie Sie so schön treffend bemerkt haben, können mich nicht schockieren, und, ob Sie mir nun glauben oder nicht, ich bin es gewohnt, mich selbst zu verteidigen, denn ich musste es sechs harte Jahre auf der Insel auch machen, und bin nicht darüber instruiert worden, was mir blühen könnte, sollte ich es nicht tun. Vergessen Sie bitte, Sir, dass ich ein Weibchen bin. Nehmen Sie mich mit, wenn Sie glauben, dass ich in Ihr Team passe, wenn nicht, dann werde ich den Major bitten, mich auf die Insel zurückbringen zu lassen, und wir werden uns dann hoffentlich nie wiedersehen. In weiterer Folge wird mir auch jetzt niemand erklären, wie ich in Zukunft auf Rikers Island zurechtkommen soll, und es wird sich niemand auch nur einen Deut darum scheren, ob ich vielleicht Angst haben könnte, die ich zudem dort nicht brauchen kann, sonst würde ich schon längst nicht mehr leben, denn wie Ihnen der Major auch sicher berichtet haben wird, bin ich sowas wie ein beliebtes Opfer, welches man nur noch nicht erwischt hat.“

Jedes Wort, klar und deutlich, gesprochen, ohne zu stocken, ruhig, ohne Emotion, und trotzdem traf ihn Gesagtes

überdeutlich. Kurze Zeit war es noch, in denen sich die beiden blauen Augenpaare einen unterschwelligen Machtkampf lieferten, den Anthony King nach wenigen Augenblicken beendete, indem er sich dem Major zuwandte. Diesmal war es der Sergeant, der mit den Kopf nickte, was der Major sofort richtig auffasste, zu seinem Telefon griff, sich den Hörer ans Ohr klemmte und eine Taste drückte.

„Bitte holen Sie Cat aus meinem Büro und sorgen Sie dafür, dass sie in normale Zivilkleidung gesteckt wird und ihre privaten Sachen ausgehändigt bekommt. Machen Sie die Papiere fertig. Synthia wird nach Alkatrass gebracht!“

Anthony beobachtete das feine Lächeln, welches über das Gesicht des alten Mannes glitt, während er den Hörer zurücklegte. Sichtbar zufrieden war sein Ausdruck, als sich die Tür öffnete. Das höfliche Straffen seines Körpers war an dieser Stelle nicht nur Gewohnheit, sondern Genugtuung. Er hatte geschafft, was er sich vorgenommen hatte. Jemand kam, hatte die Handschellen in der Hand, doch der Major winkte demonstrativ ab.

„Die sind nicht mehr nötig“, erklärte er ruhig. „Miss O´Neal wird ab jetzt wie eine Zivilistin behandelt. Bringen Sie sie in die Zentrale. Dort wird alles weitere vorbereitet.“

Er sagte das mit einer Ruhe, die es in sich hatte. Anthony kam nicht umhin, als das Gesicht des Alten zu beobachten, welches in allen Schattierungen strahlte. Wie bedeutend doch der Blick war, den er der Frau zuwarf, die nur durch eine Handbewegung gebeten wurde, den Raum zu verlassen, in Begleitung jenes Beamten, der sie auch hereingebracht hatte. War da etwas Stolzes in ihrem Gang zu sehen? Anthony war geneigt, sich genau das einzubilden.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, wandte sich der Major seinem Ex-Sergeant zu.

„Sie wissen, dass Sie mir einen großen Dienst erweisen und mir auch einen dringenden Wunsch erfüllt haben?“

Der Mann griff nach einem Schnellhefter und übergab ihn Anthony.

„Das Notwendigste aus ihrer Akte. Ihr Leben in Kurzfassung. Falls Sie doch irgendwann Lust verspüren, etwas mehr über sie zu erfahren.“

Noch nie hatte sich Anthony King die Lebensgeschichten seiner Jungs angesehen, sondern sich auf das verlassen, was er sah, hörte und fühlte. Doch diesmal nahm er die Mappe an sich, überflog nur kurz das Deckblatt, bevor er sie zusammenrollte, sodass sie besser in seine Hand passte.

„Ich glaube, dass Sie mich überzeugt haben, Major Tyler“, gestand er auf den fragenden Blick des alten Offiziers hin. „Sie ist in der Tat etwas Außergewöhnliches. Korrekt, höflich, aber deutlich. Fast ein wenig zu deutlich. Gewisse Dinge habe ich vielleicht gar nicht so betrachtet, wie sie sie geschildert hat, da ich mit Frauen bisher nie zu tun hatte. Aber vermutlich macht es wirklich keinen Unterschied. Sie scheint sehr von sich überzeugt zu sein.“

Ihm entging das Grinsen des Majors nicht.

„Sie setzt sich auch überzeugend durch, Sergeant. Glauben Sie mir. Normalerweise ist Cat ein unscheinbares Wesen, das nicht auffällt, das man nicht bemerkt und das ihr Leben lebt, damit die Zeit vergeht. Aber man sollte sie nicht ´zünden`. Cat weiß, wie man sich in ernsten Situationen verhält, weiß sich ihrer Haut zu wehren und hat es bisher gut verstanden, sich Respekt zu verschaffen. Mir ist selten jemand begegnet, der so ist wie sie. Menschen wie sie haben in einer Haftanstalt wie Rikers Island nichts verloren. Sie sollten andere Dinge bewegen.“

Die Meinung, die der Major über Synthia O´Neal hatte, war hoch. Fast ein wenig zu hoch, wie Anthony King befand. Doch das musste er dem alten Mann nicht sagen, denn wenn sie so gut war, wie sie glaubte zu sein, hätte sie es vermutlich nicht nötig gehabt, ihren Bruder zu töten und dafür verknackt zu werden.

Es dauerte in etwa eine Stunde, sämtliche Papiere zu unterfertigen und Synthia O´Neal wie ein Stück Ware an Anthony King zu übergeben, der von nun an die Verantwortung für sie trug. Ein Prozedere, welches er nicht zum ersten Mal durchmachte. Der einzige Unterschied. Er nahm zum ersten Mal eine Frau in seinem Auto mit, was ihn dazu veranlasste, zu seinem Handy zu greifen und auf Alkatrass einige gesonderte Vorkehrungen treffen zu lassen.

Seine Jungs wohnten im Grunde zusammen. In einem mächtigen, hallenähnlichen Gebäude gab es fünfundzwanzig Quartiere, die jeweils von zwei Personen bewohnt wurden. Große, geräumige Zimmer, mit Fernseher, Radio, Küchennische, und, und, und. Nicht zu vergleichen mit der kleinen Zelle auf Rikers Island. Major Tyler und auch er hatten dafür gesorgt, diesen hoffnungslosen Fällen menschlichen Ursprungs ein würdiges Dasein zu bieten. Es gab mehrere Waschräume, sodass man sich nicht im Weg stand, eine mächtigen Küche, in denen sechs Köche dafür sorgten, dass die gesamte Truppe nicht zu hungern hatte. In einem riesigen Saal wurde gegessen. Allerdings war der Saal nie komplett besetzt, da sich die Jungs an den verschiedensten Stellen der Ranch aufhielten und oft nicht die Zeit hatten, pünktlich zu erscheinen, weswegen die Köche oft den ganzen Tag damit beschäftigt waren, die Mägen zu füllen. Dabei hatten sie sich ein eigenes System ausgedacht, das Funktionieren der Küche Anthony gegenüber garantiert und dafür Handlungsfreiheit erhalten. Anthony brauchte sich um die Küche nicht zu kümmern. Sie lief, schon seit Jahren, von selbst, durch den Verdienst einiger Verbrecher, die ihre Köpfe benutzt hatten, um ihre Arbeit in den Griff zu bekommen.

Er und seine Watchdogs, jene Männer, die seinem Kommando unterstellt waren, lebten im Haus, in eigenen Bereichen. Getrennt von den Jungs. Sie aßen getrennt und fällten dort Entscheidungen, die niemanden etwas angingen. Von seinem Büro aus leitete Anthony die Ranch, überwachte die Gefangenen und organisierte die tägliche Arbeit.

Der Mann dachte darüber nach, Synthia im Haus unterzubringen und von den Jungs fernzuhalten. Zwar gefiel ihm der Gedanke nicht sonderlich, da Strafgefangene im Haus nichts zu suchen hatten. Aber diesmal ging es nicht anders. Für Frauen besaß er kein eigenes Domizil. Ein Zustand, der geändert werden musste, sollte Major Tyler auf die Idee kommen, ihm noch mehr Frauen zu übergeben.

Zudem musste er seinen Sohn Dolan darauf vorbereiten, dass er bald wieder ein weibliches Wesen um sich haben würde. Kein leichtes Unterfangen, denn seit er wusste, dass seine Mutter durchgebrannt war und ihn zurückgelassen hatte, waren seine Anschauungen dem weiblichen Geschlecht gegenüber äußerst eigen geworden. Zudem trug die Tatsache, dass er auf einem Hof lebte, auf dem lauter Inhaftierte einem Resozialisierungsprogramm unterlagen, nicht unbedingt dazu bei, seine Ansichten zu ändern. Irgendwann hatte er Major Tyler gegenüber erwähnt, eine Art Kindermädchen für seinen Sohn zu benötigen. Jemanden, der für ihn Zeit hatte, seine Fantasien mit ihm durchlebte, zusammen mit ihm seinen Interessen nachhing, ihm vielleicht auch bei der Schule half und stützte, und für ihn ein guter Freund war. Dabei hatte er wahrlich nicht an eine Frau gedacht, die ihm der Major jetzt einfach so untergejubelt hatte.

Beinhart war seine Überzeugung gewesen, niemals einer Frau Zugang zu Alkatrass zu gewähren. Zu gefährlich waren Übergriffe, und wie eine Vergewaltigung der frauenausgehungerten Männer aussah, wollte er sich noch nicht mal im Traum ausmalen, schon gar nicht miterleben oder das Endresultat behandeln müssen.

Jetzt, ja, jetzt hatte er eine, und damit hatte er seine eigenen Vorsichtsmaßnahmen über Bord geworfen. Was hatte ihn eigentlich überzeugt? Die absolut ruhende Selbstsicherheit, ihre Emotionslosigkeit, mit der sie mit ihm gesprochen hatte, oder ihre Bewaffnung im Gesicht? Mein Gott, er hatte noch nie solche Augen gesehen. Wenn Blicke töten könnten. Ein Spruch, dahergesagt, gern verwendet, nie überdacht. Jetzt bekam er eine ganz neue Bedeutung. Synthia war vielleicht nicht imstande mit ihrem Blick zu töten, aber ganz sicher zu entwaffnen. Ihr Blick hatte was, kalt und doch wieder warm, gefährlich, trügerisch, dann doch wieder nicht. Ihn einzuschätzen … konnte man das lernen? Konnte man lernen, sie einzuschätzen?

Schnell holte Anthony sich ihre Gestalt ins Gedächtnis zurück. Sie war nicht schmal, kräftig gebaut, hochgewachsen, und es ließ vermuten, dass diese Frau einiges zu bieten hatte. Antrainiert in einem Gefängnis, in dem sie gelernt hatte, um ihr Leben zu kämpfen? Kämpfen? Männer stritten sich, prügelten sich, bekloppten sich, „kämpften“, um Dominanz und um Grenzen auszutesten, Kräfte zu messen. Passte das zu einer Frau wie Synthia? Wie musste man sich das vorstellen? Ließ sie die Fäuste fliegen? Konnte sie jemanden k.o. schlagen und ins „Out“ kicken?

Er dachte an Bulldog, an Blake, an Piranha. Stählerne Männer, eine Statur, dass jeder Bodybuilder vor Neid erblassen würde. Durchtrainierte Kerle, die ihre ganze Kraft in die Arbeit steckten und sich zuweilen auch schon mal in der Wolle hatten. Wenn sie sich prügelten, ging es hart her. Aber es gab ein Gesetz, welches er erlassen hatte, und an das sich bisher alle gehalten hatten. Er erlaubte Prügeleien, solange es fair zuging. Keine Waffen, nur die Fäuste, und jeder hatte sich zurückzunehmen, wenn der andere zu Boden ging. Es gab immer einen in der Gruppe, der dafür sorgte, dass die Fairness nicht auf der Strecke blieb. Die Drohung? Hielt man sich nicht daran, wurde die gesamte Gruppe entweder bestraft oder lief Gefahr, wieder nach Rikers Island zurückgebracht zu werden. Niemand wollte seine wiedergewonnene Freiheit aufgeben.

Konnte Cat gegen einen Mann wie Bulldog antreten, oder gegen Piranha? Eine Schnapsidee. Völlig verrückt. Fairness! Männer prügelten keine Frauen. Ein neues Gesetz? Durften Frauen auf Männer losgehen, sie schlagen, vermöbeln, sich mit ihnen prügeln?

Anthony musste über sich selbst lachen, als er das Büro des Majors ein weiteres Mal betrat und sein Handy in der Hosentasche verschwinden ließ. Diese Frau würde eine weitere Herausforderung auf der Ranch sein. Eine gewaltige Herausforderung, der man erst mal begegnen musste.

Als Anthony hineinging und auf die Gestalt vor sich blickte, blieb ihm nichts anderes übrig, als kurz zu verhalten. Was war aus dem geworden, was er vorher gesehen hatte? Diese Gestalt in dem orangenen Overall, mit Fußfessel und einer Schirmkappe? Jetzt stand sie vor ihm. Kurze, sehr wirr durcheinandergewirbelte Haare, ein äußerst markantes Gesicht, welches er vorher nur halb wahrgenommen hatte, denn nicht nur ihre Augen hatten etwas Gefährliches, auch die Grübchen um ihren Mund versprachen einiges. Ihr Antlitz hatte etwas Hartes, Unnahbares, Geformtes, und doch konnte man es durchaus als hübsch bezeichnen. In den Ohren blitzten Ohrringe. Dinge aus ihrem privaten Eigentum? Das Tragen von Ohrringen war in der Zelle verboten. Ein Kettchen lag um ihren Hals. Sie trug ein langärmeliges, hellblaues Shirt, hauteng. Okay, jetzt wurde ihm klar, wieso sie erklärte, sich wehren zu können. Piranha würde vor Neid erblassen, wenn er sah, dass auch Mädchen sich körperlich mit ihm messen konnten.

Die Taille war schmal und ihre Beine steckten in einer handelsüblichen Jeans, wie sie gerne von Cowboys getragen wurde. An den Füßen trug sie banale Turnschuhe. Alles in allem machte sie einen … ja, was für einen Eindruck? Hart, trainiert, weiblich, geformt vom Leben … irgendwas würde schon passen. Es galt wohl nicht nur die äußere Hülle zu sehen, sondern auch den Kern, und den hatte sie bisher verborgen gehalten.

Anthony King trat an die Frau heran und musterte sie ganz unverhohlen von oben bis unten. Ohne es zu verschönern. Die Herausforderung nahm gerade mächtige Dimensionen an. Es würde ein harter Job werden, seinen Jungs klarzumachen, dass Synthia kein Freiwild war. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als sie unter seinen persönlichen Schutz zu stellen. Erspart blieb ihm wirklich nichts. „Mrs.O´Neal!“

„Meine Name ist ´Cat`. Daran hat sich nichts geändert, Sir!“

Einmal mehr, emotionslos, ruhig, aber mit einer Härte, die es in sich hatte.

„Wie Sie wünschen, Cat. Vielleicht sollten Sie sich daran gewöhnen, dass der Umgangston auf Alkatrass nicht jenem auf der Insel gleicht. Aber das werden Sie sicher herausfinden. Sind Sie soweit fertig?“

„Gebürstet und gekämmt, Sir. Dann …“

„Sergeant King.“

Anthony sah auf, blickte in das Gesicht seines Vorgesetzten und konnte darin wieder etwas von dieser Wehmut erkennen, welche ihm schon einmal an diesem Tag aufgefallen war.

„Sir?“

„Lassen Sie mich kurz mit Cat allein. Ich brauche noch ein kurzes Gespräch unter vier Augen.“

Es war unverkennbar, dass ihm diese Frau irgendwas bedeutete. In welcher Form auch immer. Seines Wissens war Major Tyler Firestone glücklich verheiratet, liebte seine Familie, seine Kinder, die bereits erwachsen waren, und fuhr jeden Tag gerne nach Hause zurück. Nein, der alte Knabe hatte sich ganz sicher nicht in die junge O´Neal verliebt. Da steckte etwas anderes dahinter. Freundschaft? Major Tyler hielt sehr viel auf Freundschaft, auf Geradlinigkeit, auf Respekt, den er zwar automatisch erhielt, sich aber zuweilen auch formlos erarbeitete. Es gab eine Verbindung zwischen ihm und Cat. Welche … Ging ihn das was an? Welchen Grund Major Tyler auch immer hatte, Synthia nach Alkatrass zu schicken, es musste ein besonderer sein. Vielleicht fürchtete er wirklich um das Leben der hübschen, jungen Frau, die, so wie sie selbst gesagt hatte, zu den beliebten Opfern zählte.

„Natürlich!“, erklärte er, neigte kurz seinen Kopf, streifte Cat mit seinem Blick und wandte sich wieder der Tür zu.

„Ich werde Cat zu Ihrem Auto bringen lassen, Anthony. Darf ich Sie heute Abend anrufen?“

Anthony? Er nannte ihn bei seinem Vornamen? Das kam so in etwa alle hundert Jahre einmal vor und noch nie, absolut noch nie, hatte er angerufen, wenn er einen der Jungs geholt hatte. Wieso tat er es diesmal?

Die Herausforderung begann definitiv interessant zu werden und stimmte Anthony neugierig. Diese hohe Meinung, die der Offizier von dem Mädchen hatte. Steckte vielleicht doch mehr dahinter?

„Aye, Sir!“, antwortete er pflichtgemäß. „Geht in Ordnung.“

Damit verließ er den Raum.

Cat blicke dem Sergeant hinterher, bevor sie ihre Augen auf den alten Mann vor sich richtete, der hinter seinem Schreibtisch hervortrat, auf sie zukam und nach ihren Händen griff.

„Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit helfen, Cat. Nie und nimmer hätte ich es durchgestanden, einen möglichen Mord an Ihrer Person innerhalb der Mauern bearbeiten zu müssen. Es war mir wichtig, Sie aus dem Verkehr zu ziehen.“

Der Ausdruck im Gesicht der Frau änderte sich rapide. Sie griff nach den Fingern des Offiziers, nahm sie in die ihren.

„Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen, Major, und werde sicher auch nicht vergessen, was Sie für mich getan haben. Sie kennen mein Geheimnis, haben es bisher gehütet, mich nie enttäuscht. Wenn ich jemandem vertraue, dann Ihnen.“

„Vertrauen Sie auch Anthony King. Er ist ein guter Kerl. Ich arbeite schon ewig mit ihm zusammen, habe Alkatrass mit ihm aufgebaut, ein Projekt wahr gemacht.“

„Er ist ein harter Mann in einem harten Umfeld, der sich schon jetzt zu viele Sorgen um mich macht. Ich mag das nicht, Major Tyler.“

„Sie sind es nicht gewohnt, Cat.“ Mit einer Hand strich er der Frau über den Oberarm. „Niemand hat bisher auf Sie aufgepasst, sich für Sie eingesetzt, Sie umsorgt. Er wird es tun, mehr noch als ich es tun konnte, da ihm die Hände nicht gebunden sind. Denken Sie an meine Worte, Cat. Anthony mag manchmal ein knochiger, verbohrter Typ sein, aber im Grunde seines Herzens ist er weich, menschlich, fair und er hört hin. Er hört die Sorgen seiner Jungs, erkennt und handelt. Deswegen ist Alkatrass auch das geworden, was es ist, weil er eben mit seinen Jungs gut kann und jeden ebenbürtig behandelt, auch wenn er immer der Boss bleibt. Er wird Sie nicht aus den Augen lassen. Vertrauen Sie sich ihm an, wenn Sie nicht mehr können, Cat, oder wenn Sie es nicht mehr schaffen, sich Ihrer Haut zu erwehren. Er kann dem einen Riegel vorschieben.“

„Major, Sie wissen, dass das nicht mein Stil ist. Ich bleibe mit mir und der Welt allein. Das ist sicherer. Ich brauch weder einen Beschützer noch jemanden, zu dem ich petzen gehe. Sie wissen das. Ich weiß, was ich zu tun habe.“

Es gab Cat einen Stich, als sie sah, wie der alte Mann seinen Kopf senkte. War es nicht recht, was sie ihm gesagt hatte? Er hatte sich so gut es gegangen war, um sie gekümmert, immer und immer wieder die Wogen geglättet, Hindernisse beiseitegeräumt, versucht, den Weg für sie so frei wie möglich zu halten. Er war da gewesen, als sie mit einem Messerstich im Rücken auf der Krankenstation gelegen hatte. Er hatte ihr geholfen, wo er nur gekonnt hatte, denn beide kannten sie das Geheimnis. Nur er und sie.

„Major?“

Sie hob seine Hände, küsste ihn sanft auf die Finger, wodurch er sich veranlasst fühlte, aufzublicken.

„Major, ich verspreche Ihnen, nicht dumm und verbohrt zu sein. Wenn ich wirklich Hilfe brauche, wende ich mich an Sergeant King. Ihnen zuliebe, und vertraue auch diesmal auf Ihr Wort, dass ich diesem Kerl … eh, Mann, vertrauen kann. Ich werde auf Alkatrass nicht untergehen und ganz bestimmt die Augen offen halten.“

Es war ein bescheidenes Lächeln, welches über das Gesicht des Offiziers glitt. Mit einer schnellen Bewegung griff er ihr an den Kopf, fuhr mit den Fingern sanft durch ihr Haar und drückte ihr einen zarten Kuss auf die Stirn.

„Sie sind ein kluges Mädchen, Cat. Ich verlasse mich auf Sie. Vielleicht sehen wir uns nicht mehr. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Aber Anthony wird mir bestimmt sagen, wie es Ihnen ergeht. Eine Verbindung zu erhalten, ist nicht möglich. Man würde Verdacht schöpfen. Leben Sie wohl, Synthia O´Neal. Einen Menschen wie Sie, werde ich wohl auf dieser Insel nicht mehr kennenlernen.“