Immanuel Kant

Schriften zur physischen Geographie

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-2655-9

Inhaltsverzeichnis

Untersuchung der Frage, ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse, wodurch sie die Abwechselung des Tages und der Nacht hervorbringt, einige Veränderung seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe und woraus man sich ihrer versichern könne, welche von der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin zum Preise für das jetztlaufende Jahr aufgegeben worden.
Die Frage, ob die Erde veralte, physikalisch erwogen
Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels
Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens
Fortgesetzte Betrachtung der seit einiger Zeit wahrgenommenen Erderschütterungen
Neue Anmerkungen zur Erläuterung der Theorie der Winde
Entwurf und Ankündigung eines Collegii der physischen Geographie nebst dem Anhange einer kurzen Betrachtung über die Frage: Ob die Westwinde in unsern Gegenden darum feucht seien, weil sie über ein großes Meer streichen
Von den verschiedenen Racen der Menschen
Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace
Über den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie
Über die Vulkane im Monde
Etwas über den Einfluß des Mondes auf die Witterung
Physische Geographie

Untersuchung der Frage,
ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse,
wodurch sie
die Abwechselung des Tages und der Nacht hervorbringt,
einige Veränderung seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe
und woraus man sich ihrer versichern könne,
welche von der Königl.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin
zum Preise für das jetztlaufende Jahr aufgegeben worden.

Inhaltsverzeichnis

Das Urtheil wird in kurzem bekannt werden, welches die Königliche Akademie der Wissenschaften über diejenige Schriften fällen wird, die bei Gelegenheit ihrer Aufgabe auf dieses Jahr um den Preis gestritten haben. Ich habe über diesen Vorwurf Betrachtungen angestellt, und da ich nur die physikalische Seite desselben erwogen, so habe ich meine Gedanken darüber kürzlich entwerfen wollen, nachdem ich eingesehen, daß er seiner Natur nach auf dieser Seite unfähig ist, zu demjenigen Grade der Vollkommenheit gebracht zu werden, welche diejenige Abhandlung haben muß, die den Preis davon tragen soll.

Die Aufgabe der Akademie besteht in folgendem: Ob die Erde in ihrer Umdrehung um die Achse, wodurch sie die Abwechselung des Tages und der Nacht hervorbringt, einige Veränderung seit den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe, welches die Ursache davon sei, und woraus man sich ihrer versichern könne. Man kann dieser Frage historisch nachspüren, indem man die Denkmaale des Alterthums aus den entferntesten Zeiten von der Größe ihres Jahres und den Einschaltungen, deren sie sich haben bedienen müssen, um zu verhindern, daß der Anfang desselben nicht durch alle Jahreszeiten beweglich sei, mit der Länge des in unseren Tagen bestimmten Jahres vergleicht, um zu sehen, ob jenes in den ältesten Zeiten mehr oder weniger Tage oder Stunden in sich gehalten habe als jetzt; in welchem ersten Falle die Schnelligkeit der Achsendrehung verringert, in dem zweiten aber bis anjetzt vermehrt worden. Ich werde in meinem Vorwurfe nicht durch die Hülfsmittel der Geschichte Licht zu bekommen suchen. Ich finde diese Urkunde so dunkel und ihre Nachrichten in Ansehung der gegenwärtigen Frage so wenig zuverlässig: daß die Theorie, die man sich erdenken möchte, um sie mit den Gründen der Natur übereinstimmend zu machen, vermuthlich sehr nach Erdichtungen schmecken würde. Ich will mich also deshalb unmittelbar an die Natur halten, deren Verbindungen den Erfolg deutlich bezeichnen und Anlaß geben können, die Bemerkungen aus der Geschichte auf die rechte Seite zu lenken.

Die Erde wälzt sich unaufhörlich um ihre Achse mit einer freien Bewegung, die, nachdem sie ihr einmal zugleich mit ihrer Bildung eingedrückt worden, fortan unverändert und mit gleicher Geschwindigkeit und Richtung in alle unendliche Zeiten fortdauren würde, wenn keine Hindernisse oder äußerliche Ursachen vorhanden wären, sie zu verzögern, oder zu beschleunigen. Ich unternehme mir darzuthun, daß die äußerliche Ursache wirklich vorhanden sei und zwar eine solche, die die Bewegung der Erde nach und nach verringert und ihren Umschwung in unermeßlich langen Perioden gar zu vernichten trachtet. Diese Begebenheit, die sich dereinst zutragen soll, ist so wichtig und wundersam, daß, obgleich der fatale Zeitpunkt ihrer Vollendung so weit hinausgesetzt ist, daß selber die Fähigkeit der Erdkugel bewohnt zu sein und die Dauer des menschlichen Geschlechts vielleicht nicht an den zehnten Theil dieser Zeit reicht, dennoch auch nur die Gewißheit dieses bevorstehenden Schicksals und die stätige Annäherung der Natur zu demselben ein würdiger Gegenstand der Bewunderung und Untersuchung ist.

Wenn der Himmelsraum mit einer einigermaßen widerstehenden Materie erfüllt wäre, so würde der tägliche Umschwung der Erde an derselben eine unaufhörliche Hinderniß antreffen, wodurch seine Schnelligkeit sich nach und nach verzehren und endlich erschöpfen müßte. Nun ist aber dieser Widerstand nicht zu besorgen, nachdem Newton auf eine überzeugende Art dargethan hat, daß der Himmelsraum, der sogar den leichten kometischen Dünsten eine freie, ungehinderte Bewegung verstattet, mit unendlich wenig widerstehender Materie erfüllt sei. Außer dieser nicht zu vermuthenden Hinderniß ist keine äußere Ursache, die auf die Bewegung der Erde einen Einfluß haben kann, als die Anziehung des Mondes und der Sonne, welche, da sie das allgemeine Triebwerk der Natur ist, woraus Newton ihre Geheimnisse auf eine so deutliche als ungezweifelte Art entwickelt hat, einen zuverlässigen Grund allhier abgiebt, an dem man eine sichere Prüfung anstellen kann.

Wenn die Erde eine ganz feste Masse ohne alle Flüssigkeiten wäre, so würde die Anziehung weder der Sonne noch des Mondes etwas thun, ihre freie Achsendrehung zu verändern; denn sie zieht die östliche sowohl als die westliche Theile der Erdkugel mit gleicher Kraft und verursacht dadurch keinen Hang weder nach der einen, noch der andern Seite, folglich läßt sie die Erde in völliger Freiheit, diese Umdrehung so wie ohne allen äußerlichen Einfluß ungehindert fortzusetzen. In dem Falle aber, daß die Masse eines Planeten eine beträchtliche Quantität des flüssigen Elements in sich faßt, so werden die vereinigte Anziehungen des Mondes und der Sonne, indem sie diese flüssige Materie bewegen, der Erde einen Theil dieser Erschütterung eindrücken. Die Erde ist in solchen Umständen. Das Gewässer des Oceans bedeckt wenigstens den dritten Theil ihrer Oberfläche und ist durch die Attraction der gedachten Himmelskörper in unaufhörlicher Bewegung und zwar nach einer Seite, die der Achsendrehung gerade entgegen gerichtet ist. Es verdient also erwogen zu werden, ob diese Ursache nicht der Umwälzung einige Veränderung zuzuziehen vermögend sei. Die Anziehung des Mondes, welche den größten Antheil an dieser Wirkung hat, hält das Gewässer des Oceans in unaufhörlicher Aufwallung, dadurch es zu den Punkten gerade unterm Mond sowohl auf der ihm zu=, als von ihm abgekehrten Seite hinzuzufließen und sich zu erheben bemüht ist; und weil diese Punkte der Aufschwellung von Morgen gegen Abend fortrücken: so theilen sie dem Weltmeere eine beständige Fortströmung nach eben dieser Gegend in seinem ganzen Inhalte mit. Die Erfahrung der Seefahrenden hat schon längst diese allgemeine Bewegung außer Zweifel gesetzt, und sie wird am deutlichsten in den Meerengen und Meerbusen bemerkt, wo das Gewässer, indem es durch eine enge Straße laufen muß, seine Geschwindigkeit vermehrt. Da diese Fortströmung nun der Drehung der Erde gerade entgegen gesetzt ist, so haben wir eine Ursache, auf die wir sicher rechnen können, daß sie jene, so viel an ihr ist, unaufhörlich zu schwächen und zu vermindern bemüht ist.

Es ist wahr, wenn man die Langsamkeit dieser Bewegung mit der Schnelligkeit der Erde, die Geringschätzigkeit der Quantität des Gewässers mit der Größe dieser Kugel und die Leichtigkeit der ersten zu der Schwere der letztern zusammenhält, so könnte es scheinen: daß ihre Wirkung für nichts könne gehalten werden. Wenn man aber dagegen erwägt, daß dieser Antrieb unablässig ist, von je her gedauert hat und immer währen wird, daß die Drehung der Erde eine freie Bewegung ist, in welcher die geringste Quantität, die ihr benommen wird, ohne Ersetzung verloren bleibt, dagegen die vermindernde Ursache unaufhörlich in gleicher Stärke wirksam bleibt, so wäre es ein einem Philosophen sehr unanständiges Vorurtheil, eine geringe Wirkung für nichtswürdig zu erklären, die durch eine beständige Summirung dennoch auch die größte Quantität endlich erschöpfen muß.

Damit wir die Größe der Wirkung, welche die beständige Bewegung des Oceans von Morgen gegen Abend der Achsendrehung der Erde entgegensetzt, einigermaßen schätzen können: so wollen wir nur den Anfall, den das Weltmeer gegen die morgendliche Küsten des festen Landes von Amerika thut, ausrechnen, indem wir dessen Erstreckung bis zu beiden Polen verlängern, dadurch daß wir, was daran fehlt, durch die hervorragende Spitze von Afrika und durch die orientalische Küsten Asiens mehr als überflüssig ersetzen. Laßt uns die Geschwindigkeit der angeführten Meeres=Bewegung unter dem Äquator 1 Fuß in einer Secunde und nach den Polen eben so wie die Bewegung der Parallelzirkel abnehmend setzen; endlich mag die Höhe derjenigen Fläche, die das feste Land dem Anfalle des Wassers darbietet, in senkrechter Tiefe geschätzt, 100 toises (französische sechsfüßige Ruthen) angenommen werden: so werden wir die Gewalt, womit das Meer durch seine Bewegung diese ihr entgegenstehende Fläche drückt, dem Gewichte eines Wasserkörpers gleich finden, dessen Basis der ganzen gedachten Fläche von einem Pol zum andern, die Höhe aber 1/124 Fuß gleich ist. Dieser Wasserkörper, welcher eilfmal hunderttausend Cubiktoisen begreift, wird von der Größe der Erdkugel 123 Billionen mal übertroffen, und indem das Gewicht dieses Wasserkörpers der Bewegung der Erde immer entgegen drückt, so kann man leicht finden, wie viel Zeit verfließen müßte, bis diese Hinderni der Erde ihre ganze Bewegung erschöpfte. Es würden 2 Millionen Jahre dazu erfordert werden, wenn man die Geschwindigkeit des fluthenden Meeres bis ans Ende gleich und den Erdklumpen von gleicher Dichtigkeit mit der Materie der Gewässer annähme. Auf diesen Fuß würde in mäßigen Perioden, da die gedachte Verminderung noch nicht viel beträgt, z. E. in einer Zeit von 2 tausend Jahren, die Verzögerung so viel austragen: daß ein Jahreslauf nach diesem 8 1/2 Stunden weniger als vorher in sich halten müßte, weil die Achsendrehung um so viel langsamer geworden.

Nun leidet zwar die Abnahme der täglichen Bewegung dadurch große Einschränkungen: daß 1. die Dichtigkeit der ganzen Erdmasse nicht, wie hier vorausgesetzt worden, der specifischen Schwere des Wassers gleich ist; 2. die Geschwindigkeit des fluthenden Meeres in dessen offener Weite ungleich gringer als ein Fuß in einer Secunde zu sein scheint; dagegen aber wird dieser Mangel überflüssig ersetzt, dadurch daß 1. die Kraft der Erdkugel, die hier als in fortschießender Bewegung mit der Geschwindigkeit eines Punkts unter dem Äquator berechnet worden, nur eine Achsendrehung ist, die ungleich gringer ist, über dieses auch die Hinderniß, welche auf der Oberfläche einer sich umdrehenden Kugel angebracht ist, den Vortheil des Hebels durch seinen Abstand vom Mittelpunkte an sich hat, welche beide Ursachen zusammen genommen die Verminderung durch den Anlauf der Gewässer um 5/2 vermehren, 2tens aber, welches das Vornehmste ist, diese Wirkung des bewegten Oceans nicht lediglich gegen die über den Meeresgrund hervorragende Unebenheiten, das feste Land, die Inseln und Klippen, geschieht, sondern auf dem ganzen Meeresgrunde ausgeübt wird, die zwar in jedem Punkte ungleich weniger als beim senkrechten Anlaufe der erstern Berechnung austrägt, dagegen aber durch die Größe des Umfanges, in welchem sie geschieht, der die vorerwähnte Fläche über 1/8 Millionen mal übertrifft, mit einem erstaunlichen Überflusse ersetzt werden muß.

Man wird diesemnach ferner nicht zweifeln können: daß die immerwährende Bewegung des Weltmeeres von Abend gegen Morgen, da sie eine wirkliche und namhafte Gewalt, auch immer etwas zu Verminderung der Achsendrehung der Erde beitrage, deren Folge in langen Perioden unfehlbar merklich werden muß. Nun sollten billig die Zeugnisse der Geschichte herbeigeführt werden, um die Hypothese zu unterstützen; allein ich muß gestehen, daß ich keine Spuren einer so wahrscheinlich zu vermuthenden Begebenheit antreffen kann und andern daher das Verdienst überlasse diesen Mangel wo möglich zu ergänzen.

Wenn die Erde sich dem Stillstande ihrer Umwälzung mit stetigen Schritten nähert, so wird die Periode dieser Veränderung alsdann vollendet sein, wenn ihre Oberfläche in Ansehung des Mondes in respectiver Ruhe sein wird, d. i. wenn sie sich in derselben Zeit um die Achse drehen wird, darin der Mond um sie läuft, folglich ihm immer dieselbe Seite zukehren wird. Dieser Zustand wird ihr durch die Bewegung der flüssigen Materie verursacht, die einen Theil ihrer Oberfläche nur bis auf eine gar gringe Tiefe bedeckt. Wenn sie bis in den Mittelpunkt durch und durch flüssig wäre, so würde die Anziehung des Mondes in gar kurzer Zeit ihre Achsenbewegung bis zu diesem abgemessenen Überrest bringen. Dieses legt uns auf einmal die Ursache deutlich dar, die den Mond genöthigt hat, in seinem Umlaufe um die Erde ihr immer dieselbe Seite zuzukehren. Nicht eine Überwicht der zugekehrten Theile über die abgewandte, sondern eine wirklich gleichförmige Umwendung des Mondes um seine Achse gerade in der Zeit, da er um die Erde läuft, bringt diese immerwährende Darbietung derselben Hälfte zuwege. Hieraus läßt sich mit Zuverlässigkeit schließen: daß die Anziehung, welche die Erde an dem Monde ausübt, zu Zeit seiner ursprünglichen Bildung, als seine Masse noch flüssig war, die Achsendrehung, die dieser Nebenplanet damals vermuthlich mit größerer Geschwindigkeit gehabt haben mag, auf die angeführte Art bis zu diesem abgemessenen Überreste gebracht haben müsse. Woraus auch zu ersehen, daß der Mond ein späterer Himmelskörper sei, der der Erde hinzugegeben worden, nachdem sie schon ihre Flüssigkeit abgelegt und einen festen Zustand überkommen hatte; sonst würde die Anziehung des Mondes sie unfehlbar demselben Schicksale in kurzer Zeit unterworfen haben, das der Mond von unserer Erde erlitten hat. Man kann die letztere Bemerkung als eine Probe einer Naturgeschichte des Himmels ansehen, in welcher der erste Zustand der Natur, die Erzeugung der Weltkörper und die Ursachen ihrer systematischen Beziehungen aus den Merkmaalen, die die Verhältnisse des Weltbaues an sich zeigen, mußten bestimmt werden. Diese Betrachtung, die dasjenige im großen oder vielmehr im unendlichen ist, was die Historie der Erde im kleinen enthält, kann in solcher weiten Ausdehnung eben so zuverlässig begriffen werden, als man sie in Ansehung unserer Erdkugel in unseren Tagen zu entwerfen bemüht gewesen. Ich habe diesem Vorwurfe eine lange Reihe Betrachtungen gewidmet und sie in einem System verbunden, welches unter dem Titel: Kosmogonie, oder Versuch, den Ursprung des Weltgebäudes, die Bildung der Himmelskörper und die Ursachen ihrer Bewegung aus den allgemeinen Bewegungsgesetzen der Materie der Theorie des Newtons gemäß her zu leiten, in kurzem öffentlich erscheinen wird.

Die Frage, ob die Erde veralte,
physikalisch erwogen

Inhaltsverzeichnis

Wenn man wissen will, ob ein Ding alt, ob es sehr alt, oder noch jung zu nennen sei, so muß man es nicht nach der Anzahl der Jahre schätzen, die es gedauert hat, sondern nach dem Verhältniß, das diese zu derjenigen Zeit haben, die es dauren soll. Ebendieselbe Dauer, die für eine Art von Geschöpfen ein hohes Alter kann genannt werden, ist es nicht für eine andere. In derselben Zeit, da ein Hund veraltet, hat der Mensch kaum seine Kindheit überschritten, und die Eichen und Cedern auf dem Libanon sind noch nicht in ihrer männlichen Stärke, wenn die Linden oder Tannen alt werden und verdorren. Am meisten fehlt der Mensch, wenn er in dem Großen der Werke Gottes zum Maßstabe des Alters die Reihe der menschlichen Geschlechter anwenden will, welche in dieser Zeit verflossen sind. Es ist zu besorgen, daß es mit seiner Art zu urtheilen bewandt sei, wie mit der Rosen ihrer beim Fontenelle, welche von dem Alter ihres Gärtners muthmaßten. Unser Gärtner, sagten sie, ist ein sehr alter Mann, seit Rosen Gedenken ist er derselbe, der er immer gewesen, in der That er stirbt nicht, er verändert sich nicht einmal. Wenn man die Dauerhaftigkeit erwägt, die bei den Anstalten der Schöpfung an den großen Gliedern ihres Inbegriffes angetroffen wird, und welche einer Unendlichkeit nahe kommt, so wird man bewogen zu glauben: daß ein Ablauf von 5 oder 6000 Jahren für die der Erde bestimmte Dauer vielleicht noch nicht dasjenige sei, was ein Jahr in Ansehung des Lebens eines Menschen ist.

Die Wahrheit zu gestehen, wir haben keine Merkmale in der Offenbarung, woraus wir abnehmen können, ob die Erde anjetzt jung oder alt, als in der Blüthe ihrer Vollkommenheit, oder in dem Verfall ihrer Kräfte begriffen, könne angesehen werden. Sie hat uns zwar die Zeit ihrer Ausbildung und den Zeitpunkt ihrer Kindheit entdeckt, aber wir wissen nicht, welchem von den beiden Endpunkten ihrer Dauer, dem Punkte ihres Anfanges oder Unterganges, sie anjetzt näher sei. Es scheint in der That ein der Untersuchung würdiger Vorwurf zu sein, zu bestimmen, ob die Erde veralte und sich durch eine allmählige Abnahme ihrer Kräfte dem Untergange nähere, ob sie jetzt in der Periode dieses abnehmenden Alters, oder ob ihre Verfassung annoch im Wohlstande sei, oder wohl gar die Vollkommenheit, zu der sie sich entwickeln soll, noch nicht völlig erreicht und sie also ihre Kindheit vielleicht noch nicht überschritten habe.

Wenn wir die Klagen bejahrter Leute hören, so vernehmen wir, die Natur ältere merklich, und man könne die Schritte verspüren, die sie zu ihrem Verfall thue. Die Witterungen, sagen sie, wollen nicht so gut wie vormals einschlagen. Die Kräfte der Natur sind erschöpft, ihre Schönheit und Richtigkeit nimmt ab. Die Menschen werden weder so stark noch so alt mehr als vormals. Diese Abnahme, heißt es, ist nicht allein bei der natürlichen Verfassung der Erde zu bemerken, sie erstreckt sich auch bis auf die sittliche Beschaffenheit. Die alte Tugenden sind erloschen, an deren statt finden sich neue Laster. Falschheit und Betrug haben die Stelle der alten Redlichkeit eingenommen. Dieser Wahn, welcher nicht verdient widerlegt zu werden, ist nicht sowohl eine Folge des Irrthums als der Eigenliebe. Die ehrliche Greise, welche so eitel sind, sich zu überreden, der Himmel habe die Sorgfalt für sie gehabt sie in den blühendsten Zeiten an das Licht zu stellen, können sich nicht überreden, daß es nach ihrem Tode noch eben so gut in der Welt hergehen solle, als es zuging, ehe sie geboren waren. Sie möchten sich gerne einbilden, die Natur veralte zugleich mit ihnen, damit es sie nicht reuen dürfe eine Welt zu verlassen, die schon selber ihrem Untergange nahe ist.

So ungegründet wie diese Einbildung ist, das Alter und Dauerhaftigkeit der Natur nach dem Maßstabe eines einzigen Menschenalters messen zu wollen, so scheint doch eine andere Vermuthung dem ersten Anblicke nach nicht eben so ungereimt: daß in einigen tausend Jahren vielleicht einige Veränderung in der Verfassung des Erdbodens merklich werden könne. Es ist hier nicht gnug mit Fontenellen anzumerken, daß die Bäume vor Alters nicht größer geworden als jetzo, daß die Menschen weder älter noch stärker gewesen, als sie es jetzt sind, es ist, sage ich, dieses noch nicht genug, um daraus zu schließen, daß die Natur nicht veralte. Diese Beschaffenheiten haben ihre durch die wesentliche Bestimmungen ihnen festgesetzte Schranken, welche auch die vortheilhafteste Beschaffenheit der Natur und der blühendste Wohlstand derselben nicht weiter treiben können. In allen Ländern ist in Ansehung dessen kein Unterschied; die fetten und in den besten Himmelsgegenden liegende Länder haben vor den magern und unfruchtbaren hierin keinen Vorzug; allein ob, wenn man zwischen zuverlässigen Nachrichten alter Zeiten und der genauen Beobachtung der gegenwärtigen eine Vergleichung anstellen könnte, nicht einiger Unterschied in der Fruchtbarkeit derselben würde zu bemerken sein, ob die Erde nicht etwa ehedem weniger Wartung bedurft hat, dem menschlichen Geschlechte den Unterhalt darzureichen, dieses scheint, wenn es entschieden werden könnte, ein Licht in der vorhandenen Aufgabe zu versprechen. Es würde gleichsam die ersten Glieder einer langen Progression vor Augen legen, an welchen man erkennen könnte, welchem Zustande die Erde sich in langen Zeitläuften ihres Alters allgemach nähere. Diese Vergleichung aber ist sehr ungewiß, oder vielmehr unmöglich. Der Menschen Fleiß thut so viel zur Fruchtbarkeit der Erde: daß man schwerlich wird ausmachen können, ob an der Verwilderung und Verödung derjenigen Länder, die vordem blühende Staaten waren und jetzt fast gänzlich entvölkert sind, die Nachlässigkeit der erstern, oder die Abnahme der letztern am meisten Schuld sei. Ich will diese Untersuchung denjenigen empfehlen, die mehr Geschicklichkeit und Neigung haben diese Frage nach beiden Bedingungen in den Denkmalen der Geschichte zu prüfen; ich will sie lediglich als ein Naturkündiger abhandlen, um wo möglich von dieser Seite zu einer gründlichen Einsicht zu gelangen.

Die Meinung der meisten Naturforscher, welche Theorien der Erde entworfen haben, geht dahin, daß die Fruchtbarkeit der Erde allmählig abnehme, daß sie sich dem Zustande mit langsamen Schritten nähere unbewohnter und wüst zu werden, und daß es nur Zeit brauche, um die Natur gänzlich veraltet und in der Ermattung ihrer Kräfte erstorben zu sehen. Diese Frage ist wichtig, und es verlohnt sich wohl der Mühe sich mit Behutsamkeit diesem Schlusse zu nähern.

Lasset uns aber vorher den Begriff bestimmen, den man sich von dem Veralten eines sich durch natürliche Kräfte zur Vollkommenheit ausbildenden und durch die Kräfte der Elemente modificirenden Körpers zu machen hat.

Das Veralten eines Wesens ist in dem Ablauf seiner Veränderungen nicht ein Abschnitt, der äußere und gewaltsame Ursachen zum Grunde hat. Eben dieselbe Ursachen, durch welche ein Ding zur Vollkommenheit gelangt und darin erhalten wird, bringen es durch unmerkliche Stufen der Veränderungen seinem Untergange wiederum nahe. Es ist eine natürliche Schattirung in der Fortsetzung seines Daseins und eine Folge eben derselben Gründe, dadurch seine Ausbildung bewirkt worden, daß es endlich verfallen und untergehen muß. Alle Naturdinge sind diesem Gesetze unterworfen, daß derselbe Mechanismus, der im Anfange an ihrer Vollkommenheit arbeitete, nachdem sie den Punkt derselben erreicht haben, weil er fortfährt das Ding zu verändern, selbiges nach und nach wiederum von den Bedingungen der guten Verfassung entfernt und dem Verderben mit unvermerkten Schritten endlich überliefert. Dieses Verfahren der Natur zeigt sich deutlich an der Ökonomie des Pflanzen= und Thierreichs. Eben derselbe Trieb, der die Bäume wachsen macht, bringt ihnen den Tod, wenn sie ihr Wachsthum vollendet haben. Wenn die Fasern und Röhren keiner Ausdehnung mehr fähig sind,so fängt der nährende Saft, indem er fortfährt sich den Theilen einzuverleiben, das Inwendige der Gänge an zu verstopfen und zu verdichten und das Gewächs durch die gehemmte Bewegung der Säfte endlich absterben und verdorren zu machen. Eben der Mechanismus, wodurch das Thier oder der Mensch lebt und aufwächst, bringt ihm endlich den Tod, wenn das Wachsthum vollendet ist. Denn indem die Nahrungssäfte, welche zu dessen Unterhalte dienen, die Canäle, an die sie sich ansetzen, nicht mehr zugleich erweitern und in ihrem Inhalte vergrößern, so verengen sie ihre inwendige Höhle, der Kreislauf der Flüssigkeiten wird gehemmt, das Thier krümmt sich, veraltet und stirbt. Eben so ist der allmähliche Verfall der guten Verfassung der Erde ebenfalls in die Folge der Abänderungen, welche ihre Vollkommenheit anfänglich bewirkten, so eingeflochten, daß er nur in langen Zeitläuften kenntlich werden kann. Wir müssen daher auf die veränderlichen Scenen, welche die Natur von ihrem Anfange an bis zur Vollendung spielt, einen flüchtigen Blick werfen, um die ganze Kette der Folgen zu übersehen, darin das Verderben das letzte Glied ist.

Die Erde, als sie sich aus dem Chaos erhob, war unfehlbar vorher in flüssigem Zustande. Nicht allein ihre runde Figur, sondern vornehmlich die sphäroidische Gestalt, da die Oberfläche gegen die durch die Kraft der Umdrehung veränderte Richtung der Schwere in allen Punkten eine senkrechte Stellung annahm, beweisen, daß ihre Masse die Fähigkeit gehabt hat sich zu der Figur, die das Gleichgewicht in diesem Falle erfordert, von selber zu bequemen. Sie ging aus dem flüssigen Zustande in den festen über; und zwar sehen wir unverwerfliche Spuren, daß die Oberfläche sich zuerst gehärtet hat, indessen daß das Inwendige des Klumpens, in welchem die Elemente nach den Gesetzen des Gleichgewichts sich annoch schieden, die untermengte Partikeln des elastischen Luftelements unter die gehärtete Rinde immer hinaufschickte und weite Höhlen unter ihr zubereitete, worin dieselbe mit mannigfaltigen Einbeugungen hineinzusinken, die Unebenheiten der Oberfläche, das feste Land, die Gebürge, die geräumige Vertiefungen des Meeres und die Scheidung des Trockenen von dem Gewässer hervorzubringen veranlaßt wurde. Wir haben ebenso ungezweifelte Denkmaale der Natur, welche zu erkennen geben: daß diese Umstürzungen in langen Zeitläuften nicht völlig aufgehört haben, welches der Größe eines flüssigen Klumpens, wie das Inwendige unserer Erde damals war und lange blieb, gemäß ist, in der die Scheidung der Elemente und die Absonderung der im gemeinen Chaos vermengten Luft nicht so bald vollendet ist, sondern die erzeugte Höhlungen nach und nach vergrößert und die Grundfesten der weiten Wölbungen aufs neue wankend gemacht und eingestürzt, eben dadurch aber ganze Gegenden, die unter der Tiefe des Meeres begraben waren, entblößt und andere dagegen versenkt wurden. Nachdem das Inwendige der Erde einen festern Stand überkommen und die Ruinen aufgehört hatten, wurde die Oberfläche dieser Kugel ein wenig ruhiger, allein sie war noch von dem Zustande einer vollendeten Ausbildung weit entfernt; den Elementen mußten noch erst ihre gewisse Schranken festgesetzt werden, welche durch Verhinderung aller Verwirrung die Ordnung und Schönheit auf der ganzen Fläche erhalten könnten. Das Meer erhöhte selber die Ufer des festen Landes mit dem Niedersatz der hinaufgetragenen Materien, durch deren Wegführung es sein eigenes Bette vertiefte; es warf Dünen und Dämme auf, die den Überschwemmungen vorbeugten. Die Ströme, welche die Feuchtigkeiten des festen Landes abführen sollten, waren noch nicht in gehörige Fluthbette eingeschlossen, sie überschwemmten noch die Ebenen, bis sie sich selber endlich in abgemessene Canäle beschränkten und einen einförmigen Abhang von ihrem Ursprunge an bis zu dem Meere zubereiteten. Nachdem die Natur diesen Zustand der Ordnung erreicht und sich darin befestigt hatte, so waren alle Elemente auf der Oberfläche der Erden im Gleichgewichte. Die Fruchtbarkeit breitete ihre Reichthümer auf allen Seiten aus, sie war frisch, in der Blüthe ihrer Kräfte, oder, wenn ich mich so ausdrücken darf, in ihrem männlichen Alter.

Die Natur unserer Erdkugel hat in dem Fortschritte ihres Alters in allen ihren Theilen nicht eine gleiche Stufe erreicht. Einige Theile derselben sind jung und frisch, indessen daß sie in andern abzunehmen und zu veralten scheint. In gewissen Gegenden ist sie roh und nur noch halb gebildet, da andere in der Blüthe ihres Wohlstandes sich befinden und noch andere nach Zurücklegung ihrer glücklichen Periode sich schon allgemach dem Verfall nähern. Überhaupt sind die hohen Gegenden des Erdbodens die ältesten, die zuerst aus dem Chaos erhoben und zur Vollendung der Ausbildung erlangt sind, die niedrige sind jünger und haben die Stufe ihrer Vollkommenheit später erreicht. Nach dieser Ordnung wird daher jene das Loos zuerst treffen sich dem Verderben wiederum zu näheren, indessen daß diese von ihrem Schicksale noch weiter entfernt sind.

Die Menschen haben die höchsten Gegenden des Erdbodens zuerst bewohnt; sie sind nur spät in die Ebenen hinabgestiegen und haben selbst Hand anlegen müssen, die Ausarbeitung der Natur zu beschleunigen, welche für die schnelle Vermehrung derselben zu langsam in ihrer Ausbildung war. Ägypten, dieses Geschenk des Nilstroms, war in seinem obersten Theile bewohnt und volkreich, als das halbe Unterägypten, das ganze Delta und die Gegend, da der Nil durch Absetzung des Schlammes den Boden seines Auslaufs erhöhte und sich die Ufer eingeschränkter Fluthbette aufwarf, noch ein unbewohnterer Morast war. Jetzt scheint die Gegend des alten Thebais wenig mehr von derjenigen ausnehmenden Fruchtbarkeit und Blüthe an sich zu haben, die seinen Wohlstand so außerordentlich machte; dagegen ist die Schönheit der Natur in die niedrige und jüngere Theile des Landes hinabgestiegen, welche anjetzt den Vorzug der Fruchtbarkeit vor den hohen behaupten. Die Gegend von Niederdeutschland, die eine Zeugung des Rheins ist, die plattesten Theile von Niedersachsen, der Theil von Preußen, da die Weichsel sich in so viel Arme theilt und, gleichsam auf ihr ewiges Recht erpicht, die Länder öftermals unter ihrem Gewässer zu bedecken trachtet, die der Menschen Fleiß ihm zum Theil abgewonnen hat, scheinen jünger, fetter und blühender zu sein, als die höchsten Gegenden des Ursprungs dieser Flüsse, die schon bewohnt waren, als die letztere noch Moräste und Meerbusen waren.

Diese Veränderung der Natur ist einer Erläuterung würdig. Die Flüsse fanden nicht gleich anfangs, als das Trockne vom Meere befreiet wurde, fertige Schläuche und einen zubereiteten einförmichten Abhang ihres Laufes. Sie traten noch an vielen Orten über und machten stehende Gewässer, die das Land unbrauchbar machten. Nach und nach höhlten sie sich in dem frischen und weichen Erdreiche Canäle aus, und mit dem weggespülten Schlamme, damit sie angefüllt waren, bildeten sie zu beiden Seiten ihres stärksten Zuges eigene Ufer, welche bei niedrigem Wasser ihren Strom fassen und einschränken konnten, bei stärkerer Aufschwellung aber durch das Übertreten nach und nach erhöht wurden, bis ihre vollkommen ausgebildete Fluthbette in den Stand gesetzt waren, das Wasser, welches die umliegende Länder ihnen lieferten, mit einförmichtem, gemäßigtem Abhange bis ins Meer abzuführen. Die höchste Gegenden sind die ersten, die dieser nöthigen Auswickelung der Natur sich zu erfreuen hatten, und wurden daher auch zuerst bewohnt, indessen daß die niedrige eine Zeit lang mit der Verwirrung stritten und später zur Vollkommenheit gelangten. Seitdem bereichern sich die niedrigen Länder mit dem Raube der hohen Gegenden. Die Flüsse, die zu der Zeit, da sie hoch anschwellen, mit dem abgespülten Schlamme trächtig sind, setzen bei ihren Überströmungen nahe zu dem Ausflusse derselben diesen ab, erhöhen den Boden, über den sie sich ausbreiten, und bilden das Trockene, welches, nachdem der Fluß seine Ufer bis zur gehörigen Höhe vermehrt hat, bewohnbar und, durch die Fettigkeit der hohen Gegenden gedüngt, fruchtbarer als diese wird.

Durch diese fortschreitende Bildung und die Veränderung, die die Gestalt der Erde erleidet, werden die tiefere Gegenden bewohnbar, wenn die Höhen es bisweilen aufhören zu sein. Allein dieser Wechsel betrifft nur vornehmlich einige Länder, die nämlich Mangel an dem Wasser des Himmels erleiden und daher ohne das periodische Überschwemmen der nöthigen Feuchtigkeit entbehren und eine unbewohnte Wüste bleiben müssen, wenn die Flüsse durch eigene Erhöhung ihrer Ufer dieser Überschwemmung Schranken gesetzt haben. Ägypten ist das deutlichste Beispiel von dieser Veränderung, welches so sehr in seiner Beschaffenheit verändert worden: daß, da das ganze Land nach dem Zeugnisse des Herodots 900 Jahre vor seiner Zeit ganz überschwemmt worden, wenn der Fluß nur 8 Fuß angewachsen, er zu seiner Zeit 15 Fuß hochsteigen mußte, um es gänzlich zu bedecken, da nunmehr zu unserer Zeit schon 24 Fuß Anwachs dazu erfordert werden. Woraus das diesem Lande durch eine stetige Annäherung mehr und mehr drohende Verderben zu ersehen ist.

Weil aber diese Abänderung der Natur, in soweit sie an einigen Theilen des Erdbodens allein haftet, unerheblich und gering ist, so muß die Frage von dem Veralten der Erde im Ganzen bestimmt werden, und zu dem Ende sind die Ursachen zuvörderst zu prüfen, denen die meisten Naturforscher diese Wirkung beimessen und daraus den Verfall der Natur dieser Kugel vorher zu verkündigen hinlänglich erachtet haben.

Die erste Ursache fließt aus der Meinung derjenigen, welche die Salzigkeit des Meeres den Flüssen zuschreiben, die das aus dem Erdreich ausgelaugte Salz, das der Regen in ihre Ströme bringt, mit sich ins Meer führen, woselbst es bei der beständigen Abdünstung des süßen Wassers zurückbleibt, sich häuft und auf diese Art dem Meere alle das Salz verschafft hat, das es noch in sich hält. Es ist hieraus leicht abzunehmen: daß, da das Salz das vornehmste Triebwerk des Wachsthums und die Quelle der Fruchtbarkeit ist, nach dieser Hypothese die ihrer Kraft nach und nach beraubte Erde in einen todten und unfruchtbaren Zustand müßte versetzt werden.

Die zweite Ursache ist in der Wirkung des Regens und der Flüsse in Ansehung der Abspülung des Erdreichs und Wegführung desselben in das Meer zu setzen, welches dadurch immermehr und mehr ausgefüllt zu werden scheint, indessen daß die Höhe des festen Landes sich beständig verringert: so daß zu besorgen steht, das Meer müßte, indem es immermehr erhoben wird, endlich genöthigt werden das Trockene wiederum zu übersteigen, welches ehedem seiner Herrschaft entzogen worden.

Die dritte Meinung ist die Vermuthung derjenigen, welche, indem sie gewahr werden, daß das Meer sich von den meisten Ufern in langen Zeiten merklich zurück zieht und große Strecken, die vordem im Grunde des Meeres lagen, in trocken Land verwandelt, entweder eine wirkliche Verzehrung dieses flüssigen Elements durch eine Art der Transformation in einen festen Zustand besorgen, oder andere Ursachen befürchten, die den Regen, der aus dessen Ausdünstungen besteht, hindern wiederum dahin zurück zu kehren, woher er erhoben worden.

Die vierte und letzte Meinung kann derjenigen ihre sein, die einen allgemeinen Weltgeist, ein unfühlbares, aber überall wirksames Principium als das geheime Triebwerk der Natur annehmen, dessen subtile Materie durch unaufhörliche Zeugungen beständig verzehrt würde, daher die Natur in Gefahr stände bei dessen Verminderung in einer allmähligen Ermattung alt zu werden und zu ersterben.

Diese Meinungen sind es, die ich zuvörderst kürzlich prüfen und dann diejenige gründen will, welche mir die wahre zu sein dünkt.

Wofern es mit der ersten Meinung seine Richtigkeit hätte, so würde folgen, daß alles Salz, womit die Gewässer des Oceans und aller mittelländischen Meere geschwängert sind, vordem mit dem Erdreich, welches das feste Land bedeckt, vermischt gewesen und, indem es, durch den Regen aus demselben ausgewaschen, durch die Flüsse dahin abgeführt worden, auch beständig auf die gleiche Art noch hineingebracht werde. Allein zum Glücke für die Erde und zum Widerspiel für diejenige, die vermittelst einer solchen Hypothese die Salzigkeit des Meeres durch eine leichte Erklärung begreiflich zu machen gedenken, findet man bei genauer Prüfung diese Vermuthung ungegründet. Denn vorausgesetzt: daß die mittlere Quantität des Regenwassers, was in einem Jahr auf die Erde fällt, 18 Zoll hoch sei, welches diejenige Menge ist, die in der temperirten Zone beobachtet worden, und daß alle Flüsse von dem Regenwasser entspringen und genährt werden, imgleichen daß von dem Regen, der auf das feste Land fällt, nur zwei Drittel durch die Flüsse wiederum ins Meer komme, ein Drittel aber theils verdunstet, theils zum Wachsthum der Pflanzen angewandt wird, endlich: daß das Meer nur die Hälfte der Oberfläche der Erde einnehme, welches das mindeste ist, das man annehmen kann: so wird man die angeführte Meinung in die vortheilhafteste Bedingungen versetzt haben, und dennoch werden alle Ströme des Erdbodens in das Meer in einem Jahre nur 1 Schuh Wasser hineinbringen und würden es, wenn man die mittlere Tiefe desselben auch nur hundert Klafter annimmt, dennoch allererst in 600 Jahren voll machen, nachdem die Ausdunstung selbiges in eben so viel Jahren völlig ausgetrocknet hätte. Nach dieser Rechnung wäre der Ocean durch den Einfluß aller Bäche und Ströme nun schon seit der Schöpfung zehnmal voll geworden; das Salz aber, das von diesen Flüssen nach der Ausdünstung zurückgeblieben, könnte nur zehnmal so viel austragen, als dasjenige, womit es natürlicher Weise begabt ist; woraus folgen müßte: daß, um den Grad der Salzigkeit des Meeres herauszubekommen, man einen Kubikschuh Flußwasser nur zehnmal dürfe abdünsten lassen, worauf dessen zurückgebliebenes Salz eben so viel, als eine gleiche Quantität Meerwasser nach einer einzelnen Abdünstung zurück läßt, austragen würde; welches gar zu weit von der Wahrscheinlichkeit entfernt ist, als daß es auch nur einen Unwissenden überreden könnte, weil nach Wallerii Rechnung das Wasser in der Nordsee an den Orten, wo wenige Flüsse ins Meer fallen, den zehnten, bisweilen den siebenten, im Bottnischen Meerbusen, wo selbiges sehr mit dem süßen Flußwasser verdünnt ist, dennoch den vierzigsten Theil Salz in sich enthält. Die Erde ist also auf diesen Fuß hinlänglich gesichert, durch den Regen und die Flüsse ihr Salz und Fruchtbarkeit nicht zu verlieren. Es ist vielmehr zu vermuthen, daß das Meer, anstatt das feste Land seiner salzigen Theile zu berauben, selbigem eher von den seinigen mittheile; denn obgleich die Ausdünstung das grobe Salz zurück läßt, so erhebt es doch einen Theil desjenigen, das flüchtig geworden, welches zusammt den Dünsten über das feste Land geführt wird und dem Regen diejenige Fruchtbarkeit ertheilt, dazu dieser selbst vor dem Fließwasser vorzüglich geschickt ist.

Die andere Meinung hat einen größeren Grad der Glaubwürdigkeit und stimmt mit sich selber viel besser überein. Manfred, der sie in dem Commentario des Bologneser Instituts so gelehrt als vorsichtig abgehandelt, und dessen Ausführung in dem allgemeinen Magazin der Natur zu finden ist, mag bei Prüfung derselben ihr allein das Wort reden. Er bemerkt: daß der alte Fußboden der Kathedralkirche zu Ravenna, welcher unter dem neuen, mit Schutte bedeckt, angetroffen wird, 8 Zoll niedriger als die Wasserwage des Meeres sei, wenn selbiges Fluth hat, und daher zu der Zeit ihrer Erbauung, wenn das Meer damals nicht niedriger, als jetzt gewesen, bei jeder Fluth hätte müssen unter Wasser gesetzt werden, weil die alten Zeugnisse beweisen, daß das Meer dazumal bis an diese Stadt gegangen sei. Er führt zur Bestätigung seiner Meinung, daß die Höhe des Meeres beständig zugenommen habe, den Fußboden der St. Markus=Kirche zu Venedig an, der jetzt so niedrig ist: daß, wenn die Lagune angeschwollen, sowohl der St. Markus=Platz bisweilen überschwemmt, als auch er selber unter Wasser gesetzt wird; da doch nicht zu vermuthen steht: daß bei ihrer Erbauung es schon also bewandt gewesen sein werde. Imgleichen beruft er sich auf die marmorne Bank, die um das Rathhaus St. Marci geführt worden vermuthlich den Schifffahrenden zu Gute, um zu Fuße in ihre Fahrzeuge zu kommen, welche zu diesem Zwecke nunmehr beinahe untauglich geworden, weil sie zur Zeit der ordentlichen Fluth einen halben Schuh tief unter Wasser steht: daß also aus den angeführten Merkmalen erhelle, das Meer müsse anjetzt eine größere Höhe als in vorigen Zeiten erlangt haben. Diese Meinung zu erklären, behauptet er: daß die Flüsse den Schlamm, womit sie zur Zeit ihres Anschwellens angefüllt sind, und den die Regenbäche von den Höhen des festen Landes abgespült haben, in das Meer schleppen und dadurch den Boden desselben erhöhen, wodurch dasselbe genöthigt werde sich zu erheben nach dem Maße, als sein Bette allmählig ausgefüllt worden. Um das Maß dieser Erhöhung des Meeres mit derjenigen, die die wirkliche Merkmale an die Hand geben, einstimmig zu machen, suchte er die Quantität des Schlammes zu schätzen, die die Ströme, wenn sie trüb fließen, mit sich führen, indem er gegen das Ende des Hornungs das Wasser des Stroms, der bei Bononien fließt, schöpfte und, nachdem er die Erde sich hatte setzen lassen, sie 1/174 des Wassers, welches selbige in sich gehalten, befand. Hieraus und aus der Menge des Wassers, welches die Ströme in einem Jahre ins Meer führen, bestimmte er die Höhe, auf welche das Meer durch diese Ursache allmählig steigen sollte, so daß es in 348 Jahren auf 5 Zoll müßte höher befunden werden.

Durch die Betrachtung, welche wir von der marmornen Bank um das St. Markus=Rathhaus zu Venedig angeführt haben, und durch das Verlangen ein Maß zu haben, die Größe seiner übrigen Bemerkungen dadurch zu bestimmen, wurde Manfred bewogen, die vorerwähnte Erhöhung der Meeresfläche so weit zu vermehren, daß sie in 230 Jahren einen Fuß austrüge, weil, wie er behauptet, die Flüsse außer der zarten Erde, die ihre Wasser trübe macht, noch viel Sand, Steine u. d. g. mit sich ins Meer schleppen. Auf diesen Fuß würde das Unglück der Erde mit ziemlich schnellen Schritten herbeirücken, obgleich er doch noch mit ihr behutsamer handelt als Hartsöcker, der aus der gleichen Beobachtung beim Rheinstrom der Erde das Schicksal ankündigt, daß innerhalb 10000 Jahren ihr bewohnbarer Theil müsse weggespült sein, das Meer alles bedecken und nichts als die kahle Felsen aus demselben hervorragen; woraus man sich auf den Grad des Verfalls in einer etwas mindern Zeit, z. E. von 2000 Jahren, leichtlich die Rechnung machen kann.

Der wahre Fehler dieser Meinung besteht nur in dem mehr oder Weniger; sonst ist sie im Grunde richtig. Es ist an dem, daß der Regen und die Flüsse das Erdreich abspülen und ins Meer führen; allein es ist weit gefehlt, daß sie es in so großem Grade thun sollten, als der Verfasser vermuthet. Er nahm willkürlich an, daß die Ströme das ganze Jahr über so trübe fließen, als sie es in denjenigen Tagen thun, da der von den Gebirgen abthauende Schnee die heftige Gießbäche verursacht, welche das Erdreich anzugreifen die volle Gewalt haben, und da das Erdreich selber völlig durchnetzt und durch die vorige Winterkälte mürbe genug geworden, um so leicht als möglich weggespült zu werden. Wenn er diese Behutsamkeit zugleich mit der Aufmerksamkeit verbunden hätte, die er auf den Unterschied der Flüsse hätte haben sollen, deren diejenige, die von Gebirgen unterhalten werden, wegen der Gewalt der Gießbäche, welche sich in sie vergießen, mehr geraubte Erde als andere, die von dem platten Lande ernährt werden, in sich halten, so würde sich seine Rechnung so sehr verringert haben, daß er den Anschlag vermuthlich hätte fahren lassen, die Erklärung der beobachteten Veränderungen darauf zu gründen. Wenn man endlich hiebei noch erwägt: daß das Meer durch eben diese Bewegung, weswegen man ihm beimißt, daß es nichts Todtes bei sich leide, nämlich durch die beständige Abführung aller Materie, die nicht gleichen Grad der Beweglichkeit hat, an die Ufer, diesen Schlamm nicht auf seinem Grunde sich häufen lasse, sondern ihn unverzüglich an das feste Land absetze und es damit vermehre: so würde die Furcht, den Schlauch des Meeres damit ausgefüllt zu sehen, sich in eine gegründete Hoffnung verwandelt haben, durch den Raub der hohen Gegenden an den Seeufern beständig neu Land zu überkommen; denn in der That, in allen Meerbusen, z. E. in demjenigen, so den Namen des rothen Meeres führt, imgleichen im Venetianischen Golfo, zieht sich das Meer von der Spitze allmählig zurück, und das trockene Land macht an dem Reiche des Neptuns beständig neue Erwerbungen; an statt daß, wenn die Vermuthung des erwähnten Naturforschers gegründet wäre, sich das Gewässer immer mehr über die Ufer ausbreiten und das trockne Erdreich unter dem nassen Elemente begraben würde.

Was aber die Ursache der Erniedrigung der Gegenden am Ufer des adriatischen Meeres betrifft, so wollte ich (wofern es wirklich damit seine Richtigkeit hat, daß es nicht immer so gewesen) deshalb mich lieber an eine Beschaffenheit des Landes wenden, die Italien vor vielen andern besonders hat. Wir wissen nämlich: daß die Grundfeste dieses Landes untergewölbt sei, und daß die Erdbeben, ob sie gleich vornehmlich in dem untern Italien wüthen, dennoch auch bei dem obern ihre Gewalt auslassen und durch ihre Erstreckung in weite Gegenden, ja sogar bis unter die Meere hinweg die zusammenhängende unterirdische Höhlungen zu erkennen geben. Wenn nun die Erschütterung der unterirdischen Entzündungen die Grundfeste derselben zu bewegen vermögend ist und sie schon oft bewegt hat, ist es nicht zu vermuthen, daß die Rinde nach vielen heftigen Anfällen einigermaßen sich gesenkt habe und in Ansehung der Meeresfläche könne niedriger geworden sein?

Die dritte Meinung, welche die Vermehrung des trocknen Landes und Verringerung der Gewässer auf dem Erdboden als einen Vorboten ihres Verderbens ansieht, hat eben so wohl anscheinende Gründe aus der Beobachtung als die vorige, aber weniger begreifliche Ursache sie zu erklären. Denn es ist gewiß, daß, obgleich es scheinen möchte, das Meer, wenn es an einer Seite das feste Land gleich allmählig trocknen läßt, bemächtige sich dafür wieder anderer Gegenden, in welche es sich hineinarbeitet, und halte sich im Ganzen schadlos, dennoch, wenn man es genau erwägt, weit größere Strecken von dem Meere entblößt werden, als diejenige sind, über die es sich ausbreitet. Vornehmlich verläßt das Meer die niedrigen Gegenden und nagt an den hohen Ufern, weil diese seinem Anfall vornehmlich ausgesetzt sind und die erstern selbigen durch eine gelinde Abschießigkeit vereiteln. Dieses allein könnte einen Beweis abgeben: daß die Meeresfläche sich überhaupt nicht mehr und mehr erhebe; denn man würde den Unterschied am deutlichsten an den Ufern spüren, da das Land mit gringem Abfall sich zum Boden des Meeres allmählig erniedrigt; daselbst würden 10 Fuß Erhöhung des Wassers dem festen Lande viel abgewinnen. Da es sich vielmehr ganz entgegen verhält, und, indem das Meer diejenige Dämme, die es vordem aufgeworfen hat und über die es ohne Zweifel damals Weg gegangen ist, nun nicht mehr erreicht, dies beweiset, daß es seitdem niedriger geworden; wie z. E. die 2 preußische Nehrungen, die Dünen an den holländischen und englischen Küsten nichts anders, als Sandhügel sind, die das Meer ehedem aufgetrieben hat, die aber anjetzt als Schutzwehren wider dasselbe dienen, nachdem solches die Höhe nicht mehr erreicht, sie zu übersteigen.

Soll man aber, um dieses Phänomenon in seiner vollen Gültigkeit zu lassen, zu einer wirklichen Verschwindung des flüssigen Elements und Verwandlung desselben in einen festen Zustand, oder zu einer Versiegung des Regenwassers in das Innere der Erde, oder zu einer stets zunehmenden Vertiefung des Bettes der See durch dessen unaufhörliche Bewegung seine Zuflucht nehmen? Der erstere Grund würde wohl den mindesten Antheil an einer merklichen Veränderung haben, ob er gleich nicht so sehr, wie es scheint, einer gesunden Naturwissenschaft widerstreitet. Denn gleichwie andere flüssige Materien bisweilen einen festen Stand annehmen, ohne dennoch ihr Wesen zu verlieren, z. E. Quecksilber, welches in den Versuchen des Boerhaave die Gestalt eines rothen Pulvers annimmt, die Luft, die Hales in allen vegetabilischen Productis1