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Bita Schafi-Neya

Freiheit

unterm Schleier

Frauen im Iran

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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1. Auflage 2017

Bildnachweis: Archiv Bita Schafi-Neya

ISBN E-Book: 978-3-99100-220-8

Für meine Tochter Mina

Inhalt

Prolog

Mode: Pflicht und Kür

Freiheit unterm Schleier

Kopftuch und Lebenslust

Hundert Jahre Frauenbewegung I (1921–1940)

Mädchenschulen und Kopftuchverbot

Frauen im Alltag

Freiheit hinterm Steuer

Frauen im Untergrund

Flieder für Iran

Deutsche Unternehmerin mit duftender Idee

Hundert Jahre Frauenbewegung II (1941–1960)

Beruf oder Kopftuch

Jung, schön und rebellisch

„Wir nehmen uns die Freiheit“

Oh wie schön

Facebook + Perserteppichsurfen

Liebe und Trennung

Jasmin und Ali

Scheidung auf Persisch

Ehe auf Zeit

Liebe für eine Stunde

Hundert Jahre Frauenbewegung III (1961–1979)

Wahlrecht und weibliche Mullahs

Sport: Tradition und Aufbruch

Laufen nur im Tschador

Wer hat die Fitnessstudios erfunden?

Sport hat im Iran eine lange Tradition

Ohne Kopftuch auf die Piste

Freie Fahrt für mutige Iranerinnen

Behnaz fährt Motorradrennen

Hundert Jahre Frauenbewegung IV (1980–1996)

Islamische Revolution und der Rückschritt

Nicht nur Männer sitzen in Führungspositionen

Die Botschafterin

Die Vizepräsidentin

Die Theaterintendantin

Die Bürgermeisterin

Die Königin der Trucker

Die Schnäppchenjägerin

Die Repräsentantin

Die Weltraumtouristin

Die Spitzen-Mathematikerin

Die Luftfahrtchefin

Die Schachspielerinnen

Deutsche Frauen: Liebe im Iran

Ich heirate einen Iraner

Was fasziniert Sie so am Iran, Frau Neschati?

Kaffeekränzchen in der Deutschen Kirche

Hundert Jahre Frauenbewegung V (1997–2017)

Sittenwächter, Kampf und neue Hoffnung

Epilog

Danksagung

Prolog

Frauen im Iran: Ski fahren auf 4000 Metern, Motorradrennen, Botschafterin oder weltweit einzige Frau an der Spitze einer großen nationalen Luftfahrtgesellschaft – dies alles steht im Zeichen der islamischen Revolution. Andererseits ein miserables Scheidungsrecht, Kopftuchpflicht und Sittenwächter, Gängelung oder Verhaftung von kritischen Iranerinnen. Dagegen erstaunlich: Die staatlich vorgeschriebene Frauenquote von 60 Prozent in manchen Studiengängen. Kopftuch und Lebenslust – geht das für Iranerinnen? Wie ist die Tatsache einzuordnen, dass mehr Frauen in Führungspositionen der Wirtschaft sitzen als in Deutschland? Freiheit von Kunst und Kultur – wo sind die Grenzen? Wie leben Iranerinnen jüdischen und christlichen Glaubens? Gibt es freie Liebe und wie wird sie organisiert und wie gehen die islamischen Machthaber mit dem Thema Prostitution um? Warum lassen sich unglaublich viele Iranerinnen die Nase operieren und wie ist die Stellung der Iranerin in Familie, Beruf und Haushalt? Und natürlich das Thema Steinigung für Ehebruch: Zuletzt nachgewiesen 1991 in einer verlassenen Landregion, aber immer wieder kolportiert und als Beispiel für archaisches Unrecht gegen Frauen angeführt – gibt es das? Genährt vom politisch motivierten medialen Negativ-Trommelfeuer gegen Iran ist auch in vielen Köpfen ein Bild der Lage der Frauen entstanden, welches mit der Wirklichkeit oft nicht übereinstimmt. So schwärmen allein reisende europäische Frauen von der Hochachtung und der Höflichkeit, mit der ihnen iranische Männer begegnen. Westliche Besucher sind vom Selbstbewusstsein der Frauen im Alltag – vor allem in den großen Städten des Landes – überrascht. Vielen ist nicht bewusst: Iran gehört nicht zur arabischen Welt, sondern hat indogermanische (Sprach-)Wurzeln. Dieses Buch schildert den Alltag der Iranerinnen aus verschiedenen Sichtweisen, wirft immer wieder einen Blick auf 100 Jahre Frauenbewegung in Persien und vermittelt darüber hinaus interessante Einblicke in ein faszinierendes Land, in dem Deutsche so willkommen sind wie sonst wohl nirgends auf der Welt.

Mode:

Pflicht und Kür

Freiheit unterm Schleier

Wie geht es frau unter dem Schleier? Millionen von „westlichen“ Beobachtern wissen die Antwort, wenn man die sozialen Medien studiert. Da wird die Nase gerümpft, der Kopf geschüttelt, die Frauen werden bedauert und auf die Männer wird geschimpft, die ihre Gattinnen verstecken und unterdrücken. Die Bilder von scheinbar unterdrückten, tief verhüllten Frauen waren ja überall präsent und bekannt. Ob durch das Buch „Nicht ohne meine Tochter“ auf Iran bezogen, ob durch Geschichten von geflohenen saudi-arabischen Prinzessinnen oder durch Presseberichte über türkische Frauen bei uns. Viele Menschen assoziieren den Islam mit „dem Schleier“ und diesen wiederum mit der Unterdrückung der Frauen.

Doch in der Realität gibt es große Unterschiede in Bezug auf den Begriff „Schleier“, arabisch „Hijab“. Die verschiedenen Kopfbedeckungen und Kleidervorschriften unterscheiden sich nicht nur im Äußeren, sondern auch in ihrer Bedeutung. Die Burka wird hauptsächlich in Afghanistan getragen. Ein meistens blauer Umhang aus schwerem Stoff verdeckt den ganzen Körper wie ein Zelt. Der im Iran übliche Tschador – ein langer schwarzer Umhang – lässt das Gesicht frei. Die langen weißen Kopftücher von muslimischen Frauen in Ägypten oder der Türkei gehen bis über die Schulter. Viele Musliminnen tragen lediglich bunte Kopftücher passend zum eng anliegenden Kleid oder zum Mantel oder zu Jeans.

Wenden wir uns zunächst mal der äußeren Erscheinung zu:

Die Burka ist in Afghanistan und Pakistan weitverbreitet. Meistens ist das Gewand aus einem großen blauen Stoff, mit dem oben eine flache Kappe vernäht ist. Der Umhang wird über den Kopf gezogen. Dabei sind die Frauen bis zu den Zehenspitzen verhüllt. Die Augen sind hinter einem feinmaschigen Gitter versteckt. In Pakistan allerdings lässt die Burka die Augen frei. Diese Form von Ganzkörperschleiern, die das komplette Gesicht verdecken, ist die strengste Form der Verhüllung des weiblichen Körpers im Islam.

Der Burkini ist ein zweiteiliger Schwimmanzug für Frauen. Er hat eine integrierte Kopfbedeckung und erfüllt die Anforderungen des Hijab. Der Begriff „Burkini“ setzt sich aus Burka und Bikini zusammen.

Der Tschador ist ein in aller Regel schwarzes Tuch, das die Form eines Halbkreises hat. Er bedeckt den ganzen Körper. Das Wort „Tschador“ bedeutet im Persischen „Zelt.“ Selten ist er auch farbig oder mit Blumenmustern bedruckt zu sehen. Das Gesicht wird in der Regel freigelassen. Der Tschador ähnelt der Burka, wird aber hauptsächlich im Iran getragen. Das Tuch wird über den Kopf und den Rumpf geschlungen, sodass lediglich das Gesicht frei bleibt. In der Öffentlichkeit wird der Tschador über der eigentlichen Kleidung getragen. Er ist eine Folge der islamischen Revolution, die den Frauen die Verschleierung vorschreibt.

Der Niqab wird hierzulande oft mit der Burka verwechselt. Beim Niqab ist das Gesicht fast vollständig verdeckt, ein schmaler Schlitz lässt die Augen freiliegen. Bei der Burka hingegen sind die Augen hinter einem Netz verborgen. Der Niqab wird häufig in Kombination mit einem Tschador getragen oder einem anderen langen, meist dunkel gefärbten Gewand. Dabei wird der Stoff um den Kopf und Körper gelegt. Er ist vor allem auf der Arabischen Halbinsel verbreitet, wird aber auch von Frauen im Irak, Syrien, Jordanien, Ägypten und in nordafrikanischen Ländern benutzt. Seinen Ursprung hat der Niqab in der Beduinenkultur auf der Arabischen Halbinsel. Er diente in erster Linie als Sonnenschutz.

Der Hijab ist die am weitesten verbreitete Form der Verhüllung unter Muslima. Dabei wird ein Kopftuch um die Haare gewickelt und unter dem Kinn zu einem Knoten zusammengebunden. Haare, Ohren und oft auch die Schultern sind dabei verdeckt. Solch einen Hijab gibt es in den verschiedensten Farben und er ist in vielen muslimischen Ländern Pflicht.

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Burka

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Burkini

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Tschador

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Niqab

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Hijab

Die westlichen Vorurteile über unterdrückte Frauen haben paradoxerweise zur Verbreitung des Hijab mit beigetragen. Für viele Frauen ist der Schleier ein Zeichen von Kultur und Identität geworden: Sie tragen ihn stolz, vor allem in Ländern, in denen sich Musliminnen, wie zum Beispiel Türkinnen in Deutschland, in der Minderheit befinden und Ängste vor dem Islam verbreitet sind. In Ländern mit muslimischer Mehrheit hingegen, wie in Ägypten, spielen auch politische Gründe eine Rolle: Hier ist der Schleier oft eine Reaktion auf kulturelle Verwestlichung im Rahmen der Globalisierung oder symbolische Ablehnung westlicher Politik.

Frauen, die um ihre Rechte kämpfen, gab es schon lange in muslimischen Ländern. Anfangs setzten sie sich Seite an Seite mit Männern für die Unabhängigkeit von Kolonialmächten sowie für Fortschritt und Reformen ein. Später ging es Generationen von muslimischen Frauenrechtlerinnen hauptsächlich um ihr Wahlrecht, um politische Partizipation, das Recht auf schulische wie universitäre Bildung und um das Recht, einen Beruf ausüben zu dürfen. Zu jener Zeit waren sie eher säkular ausgerichtet und haben sich gegen die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts, ausgesprochen. In den vergangenen Jahren haben sich jedoch auch innerhalb der islamischen Bewegungen Frauen stark gemacht und sie fordern ihre Rechte im Rahmen ihrer Religion. Ob säkular begründet oder religiös: Besonders umstritten sind die vom islamischen Gesetz bestimmten Vorschriften, welche Heirat, Scheidung und Kinderversorgung regulieren.

In Afghanistan allerdings war dies nicht der Fall, denn die Frauen haben dort sehr unter dem Talibanregime gelitten. Während der Regierungszeit der Taliban im islamischen Emirat Afghanistan von 1996 bis 2001 wurde das System der Taliban international besonders durch die Misshandlungen von Frauen bekannt. Sie wurden gezwungen, in der Öffentlichkeit eine Burka zu tragen. Außerdem durften sie nicht ohne Erlaubnis alleine das Haus verlassen, nicht arbeiten, ab dem Alter von acht Jahren nicht in die Schule gehen – bis dahin war der Unterricht auf die Lehren des Koran beschränkt gewesen. Frauen, die eine höhere schulische Ausbildung anstrebten, waren gezwungen, Schulen im Untergrund zu besuchen. Sie durften auch nicht alleine zum Arzt gehen, was dazu führte, dass viele Krankheiten unbehandelt blieben. Nach der Zeit der Taliban haben sich die Rechte der Frauen zwar geändert, aber sie werden oft nicht umgesetzt.

Natürlich entscheiden sich Frauen auch aus religiösen Gründen zu einer Kopfbedeckung. Im Koran wird der Schleier jedoch am Rande und nur vage als „Bedeckung“ erwähnt. Außerdem hat sich die Einstellung zum Schleier mit der Zeit gewandelt. Heute ist der Schleier vielfach das Ergebnis von spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Die schlechte wirtschaftliche Lage in vielen muslimischen Ländern ist mit dafür verantwortlich, dass Frauen arbeiten gehen, obwohl sie eigentlich die Rolle als Hausfrau und Mutter vorziehen würden. Sind sie dann gezwungen, sich an Orten mit vielen Menschen aufzuhalten, benutzen sie den Hijab als symbolisches Mittel, sich in der Öffentlichkeit abzugrenzen und ihren guten Ruf zu wahren. Obwohl es für uns paradox klingt, bedeutet der Schleier in solchen Situationen nicht Unterdrückung, sondern mehr Freiheit.

Kopftuch und Lebenslust

In meiner Kindheit kamen mir häufig schwarz vermummte Frauen und streng dreinblickende Sittenwächter in den Sinn, wenn ich an Iran dachte. Doch inzwischen sieht es anders aus. Die Kopftücher sitzen immer lockerer und rutschen weiter nach hinten. Häufig sind sie nur noch ein Modeaccessoire und werden von den Frauen ganz elegant über die hochgesteckten Frisuren gelegt. Die Mäntel werden kürzer, modischer und vor allem bunter. Die Natur hat die Iranerinnen großzügig mit Reizen bedacht und sie verstehen sich zur Schau zu stellen. Röhrenjeans unter hautengen Überwürfen sind keine Seltenheit mehr. Die Kopfbedeckung ist zwar noch Pflicht, aber die Regeln haben sich gelockert. So dürfen die Frauen inzwischen auch Fahrrad fahren, was im Jahre 2002 noch verboten war. Damals flogen mein Mann und ich auf Hochzeitsreise nach Iran. Während dieser Reise lernten wir die Studentin Maryam und ihren Freund Reza kennen. Es war nach langer Zeit wieder meine erste Reise in meine „zweite Heimat“. Damals regierte Präsident Chatami das Land. Ein eher gemäßigtes Staatsoberhaupt, das versuchte, die Islamische Republik liberaler zu gestalten. Zweimal war er Präsident des Landes (1997–2005). Eine überwältigende Mehrheit hatte ihn damals gewählt, 75 Prozent bei der ersten, 60 Prozent bei der zweiten Wahl. Als er 1997 vom Volk gewählt wurde, gaben mehr als 20 Millionen Iraner dem religiösen Reformer ihre Stimme. Chatami sprach von einer modernen Interpretation des Islams und gab das Versprechen von Freiheit und Demokratie im Rahmen der iranischen Verfassung. Jugendliche und besonders Frauen hatten entscheidenden Anteil an seiner Wahl.

Im Westen reagierte man auf die Wahl des Mannes mit Staunen. Die Islamische Republik galt den meisten als ein finsterer Ort, bevölkert von rückständigen Fanatikern, die ein repressives System errichtet hatten. Ganz plötzlich brachte dieses Land einen Reformer hervor, der vor allem von der Jugend wie ein Popstar verehrt wurde. Schließlich war der Wunsch nach Freiheit, Farbigkeit, Freude, Lachen und einer Welt frei von Krieg und Gewalt groß und rief die bekümmerten Herzen wach.

Als ich gegenüber meinem Mann damals den Wunsch äußerte, nach Iran reisen zu wollen, war er gleich Feuer und Flamme. Wir buchten eine organisierte Reise und machten uns auf den Weg. Damals gab es nur wenige Touristen, die es wagten, das Land zu bereisen. So waren wir die einzigen Gäste dieser Reisegruppe:

Maryam ist unsere Reiseleiterin in Teheran. Mit ihrem Job verdient sie sich einen Teil ihres Studiums. Sie stammt aus einer eher einfachen Familie – ihr Vater ist Busfahrer, ihre Mutter ist Hausfrau und kümmert sich überwiegend um Maryam und ihre zwei Geschwister. Manchmal, wenn das Geld nicht reicht, geht sie putzen. Wenn Maryam das Haus verlässt, trägt sie immer einen Hijab – eine Kopfbedeckung, bei der kein einziges Haar herausguckt. „Ich trage das Kopftuch aus Überzeugung und nicht, weil es mir vorgeschrieben wird“, sagt Maryam selbstbewusst. Sie lacht gern. Dann bekommt sie kleine Grübchen und ihre haselnussbraunen Rehaugen mit den fein gezupften, nachgezogenen Augenbrauen strahlen übers ganze Gesicht. Auf den Straßen begegnen uns immer wieder Frauen im Tschador (ein schwarzer, langer Umhang) und mit farblosen Kopftüchern – sie wirken auf mich wie schwarze Raben. Die traditionelle Kleidung überwiegt. Es ist eine Mischung aus Tradition, Religiosität, Anpassung und Druck vom Elternhaus, die viele Frauen nach wie vor zum Tschador greifen lässt. Die Sittenpolizei ist zu dieser Zeit auch noch sehr präsent. In regelmäßigen Abständen geht die Regierung hart gegen Leute vor, die angeblich gegen Sitte und Moral verstoßen.

Man erkennt diese jungen Männer auch heute noch an ihren Flaumbärtchen, Palästinensertüchern und Cargohosen. An den Kreuzungen sitzen sie in ihren Autos. Die Sittenwächter fahren weiße Wagen mit einem grünen schmalen Streifen um die Karosserie. Sie halten Ausschau nach Iranerinnen, die ihrer Meinung nach nicht richtig gekleidet sind. Sitzt vielleicht das Kopftuch nicht richtig, werden sie angesprochen und zur Räson gebracht. Meist bleibt es bei einer Verwarnung. Doch werden die Mädels aufmüpfig, kommt es auch schon einmal vor, dass sie mit auf die Wache müssen. Ich habe es erst kürzlich bei einem meiner Aufenthalte im Iran miterlebt, wie eine junge Frau von Sittenwächtern angesprochen wurde. Ihr Mantel sei zu weit geöffnet und auch ihre langen Haare würden zu sehr rausgucken. Weil sie eine schnippische Antwort gab und frech wurde, nahmen die Beamten ihre Personalien auf und riefen ihre Eltern an. Die mussten sie dann abholen und sich eine Standpauke anhören. Freunde haben mir erzählt, dass in den 80er-Jahren häufig illegale Geburtstagspartys oder Hochzeitsfeiern gesprengt und einige Gäste sogar verhaftet wurden. Das war damals, doch inzwischen kommt für viele junge Frauen der schwarze Schleier nicht mehr infrage. Teheran ist bunt geworden. Wo früher die Iranerinnen fast ausnahmslos wie schwarz-graue Schleier über die Straßen und öffentlichen Plätze huschten, gibt es heute eine Fülle greller Farbkleckse. Wie ein Regenbogen, der den Himmel strahlen lässt. Inzwischen kontrollieren die Sittenwächter auch nicht mehr so viel. Präsident Rohani hat es ihnen sogar zeitweise verboten.

Zu Touristen allerdings waren sie damals schon nett und freundlich. Mein Mann erzählt heute noch gerne mit einem Schmunzeln im Gesicht, wie er von der Polizei angesprochen wurde. Martin spazierte alleine durch die Straßen, weil ich an diesem Abend Kopfweh hatte und im Hotel blieb. Plötzlich kam mein Mann an einer Polizeistation vorbei. Die Beamten sahen gerade irgendein spannendes Fußballspiel. Martin lugte um die Ecke und plötzlich sprachen die Polizisten ihn auf Englisch an: „Hallo, guten Abend, können wir bitte mal Ihren Ausweis sehen?“ Mein Mann zuckte kurz zusammen und bemerkte, dass er seine Papiere im Hotelzimmer gelassen hatte. Die Beamten fingen an zu lachen und meinten, das sei auch gut so. Puh, noch mal Glück gehabt. Touristen gegenüber sind die Iraner alle aufgeschlossen, auch die Polizisten.

Am nächsten Tag treffe ich mich mit unserer Bekannten Maryam zum Tee in unserem Hotelzimmer. Ich möchte sie interviewen, doch auf der Straße hat sie Angst, entdeckt zu werden. Sie öffnet mir somit die Türen und gewährt mir Einblicke in das Leben im Iran, die weit über das hinausgehen, was eigentlich auf „normalen“ Reisen möglich ist.

Heutzutage führe ich meine Interviews übrigens ohne Probleme in der Öffentlichkeit. Die meisten Iraner sind locker geworden und haben keine Angst. Sogar einige Taxifahrer sind sehr redselig und schimpfen laut und ungezwungen über die Regierung.

Maryam erzählt mir ein wenig aus ihrem Leben. Den Job als Reiseleiterin hat sie angenommen, um während ihres Germanistikstudiums ein bisschen Geld zu verdienen und um die deutsche Sprache zu trainieren. Gemeinsam mit ihren Eltern und zwei Geschwistern wohnt die 21-Jährige in einer kleinen Wohnung im Osten von Teheran. Ihre Familie ist eher westlich orientiert, allerdings mit Einschränkungen. „Ich darf mich zwar mit meinen Freundinnen aus der Schule nachmittags in einem Café treffen, aber dass ich einen festen Freund habe, würden sie niemals akzeptieren“, sagt Maryam etwas wehmütig. So trifft sie sich heimlich mit Reza, meist in einem der großen Parks von Teheran.

Dort begegnet man heutzutage übrigens immer mehr Pärchen, die Hand in Hand laufen oder sich auch mal küssen. Die Frauen und auch die Männer missachten in der Öffentlichkeit das Verbot, sich zu berühren. Viele Iranerinnen strecken bei der Begrüßung ihre Hand aus oder umarmen ihre Freunde. Beides ist eigentlich verboten. In den zahlreichen Parks von Teheran konnte man schon damals einen Eindruck von der Aufmüpfigkeit der iranischen Jugendlichen bekommen. Im Mellat-Park – der größten und schönsten Grünanlage der Stadt – treffen sich Menschen jeden Alters, um den Abend ausklingen zu lassen. Familien und Liebespärchen sitzen in Tretbooten auf einem künstlichen See und drehen ihre Runden. Daneben liegt ein Café, ein beliebter Treffpunkt für Teenager, die hier den gleichen pubertären Spielchen nachgehen wie ihre Altersgenossen in Europa. Junge neckt Mädchen, Mädchen neckt Junge. Es sind nicht nur Cousins und Cousinen, die hier anbändeln, sondern wildfremde Kids, die sich über Chatrooms im Internet kennengelernt und verabredet haben. Die Jugendlichen sind ganz unbekümmert und reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Sie hören Popmusik oder rauchen Wasserpfeife – junge Iranerinnen sitzen in den Teehäusern, in der einen Hand das Handy, in der anderen Hand das Mundstück einer Wasserpfeife. Die iranische Jugend hat sich mühsam ihre sozialen Freiheiten erkämpft. In Restaurants und Cafés wird heftig geflirtet, doch junge turtelnde Pärchen haben es schwer im Iran, denn Flirts in der Öffentlichkeit sind von den Sittenwächtern nicht gerne gesehen. Deshalb lassen sich die Jugendlichen einiges einfallen: Während des abendlichen Autokorsos in Nord-Teheran werden Telefonnummern ausgetauscht. Die Jugendlichen fahren mit ihren Autos herum. In den Peugeots oder Paykans sitzen jeweils drei, vier junge Männer oder Frauen, strikt getrennt natürlich. Man überholt sich während der Fahrt gegenseitig ein paarmal und beäugt sich dabei. Bei gegenseitigem Gefallen fährt man nebeneinander her, kurbelt die Scheibe herunter, tauscht Handynummern aus und verabredet sich. Bei Partys hinter verschlossenen Türen werden ohnehin alle Regeln gebrochen. Die intimen Momente finden lediglich in den eigenen vier Wänden statt. Die zahlreichen Einschränkungen in der Öffentlichkeit haben das iranische Wohnzimmer zum Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlichen Lebens gemacht.

Seit Präsident Ahmadinedschad im Jahre 2005 das Amt des Präsidenten übernommen hat, sind die Grenzen des Erlaubten neu gesteckt worden. Die Sittenwächter schauten wieder genauer hin und achteten mit ihren Argusaugen darauf, dass die Kopftücher richtig saßen, die Mäntel nicht zu kurz und die Damen nicht zu stark geschminkt waren. Dieses Spiel kennen die Iranerinnen seit dem Ausbruch der Revolution: Zügel anziehen, Zügel lockern, Zügel wieder anziehen. Manche stört es, doch die meisten haben sich inzwischen an diesen Zustand gewöhnt. Auch heute noch wird dieses Wechselspiel betrieben. So wird im Frühling stärker kontrolliert als im Winter. Denn sobald sich die Sonne am Himmel zeigt, laufen wieder mehr kess gekleidete Frauen durch die Straßen der großen Städte. Die Kopftuchdebatte spielt im Iran kaum eine Rolle. Mit List und Tücke unterlaufen die Frauen die Kleidervorschriften. Wer auf Eleganz Wert legt, der trägt schöne Seidentücher in den verrücktesten Farben und lässt sie nach hinten rutschen.