An meine jungen Leser und Leserinnen.

Inhaltsverzeichnis

Hoffentlich, meine Geliebten, erzeuge ich Euch einen Gefallen mit diesem neuen Robinson; einmal, weil mir fortwährend von vielen lieben Kindern die Versicherung gegeben wird, daß sie meine Jugendschriften gerne lesen; dann aber auch, weil der Titel viel Lockendes für Euch haben wird, indem gewiß Euer junges Herz bei dem Namen Robinson höher schlägt. Ihr werdet also dieses neue Buch Eurer Freundin mit gespannter Erwartung in die Hände nehmen und Euch hoffentlich nicht in derselben getäuscht sehen.

Mein Zweck war, als ich diesen neuen Robinson verfaßte, und in ihm die Schicksale eines zwar armen, aber sinnigen und wackern Knaben mittheilte, Euch zugleich mit einem Welttheile bekannt zu machen, von dem selbst viele gebildete Erwachsene noch wenig wissen: Ihr sollt Australien, den zuletzt entdeckten, nur noch mangelhaft erforschten Welttheil, in seinem Clima, seinem Boden und Pflanzen- und Thierreiche näher kennen lernen; und somit bitte ich Euch, mein Buch nicht bloß zur flüchtigen Unterhaltung, gleichsam um die Zeit, unser Kostbarstes zu tödten, in die Hand zu nehmen, sondern zugleich auch Belehrung, Bereicherung Eures Wissens, daraus zu schöpfen. Daß der Robinson Euch nebenbei auf eine angenehme Weise unterhalten soll, glaube ich Euch versprechen zu dürfen.

Zu dem doppelten Zwecke: zu bilden, zu belehren und Euch frohe Stunden zu bereiten, schrieb ich bisher alle meine Bücher, und da Euch die frühern immer willkommen waren, hoffe ich, wird es auch dieses sein.

Ich grüße Euch sämmtlich mit dem Gruße inniger Liebe. Nicht mehr in dem großen, prächtigen Hamburg, nicht zwischen den Trümmerhaufen dieser mir ewig theuren Stadt, sondern in Jena, dem freundlichen Orte zwischen den Bergen, die das reizende Saalthal rings wie ein Rahmen umfassen, schrieb ich den Robinson für Euch.

Der Geber alles Guten sei mit Euch Allen, meine geliebten Kinder.


Jena, im October 1842.

Eure treugesinnte

Amalia.

Fünftes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Um von Europa nach Asien zu kommen, muß man den ganzen atlantischen Ocean durchschiffen und dann von diesem, indem man um das äußerste südliche Vorgebirge Afrikas, das sogenannte Cap, biegt, in den großen indischen Ocean übergehen. Am Cap oder, wie es auch genannt wird, dem Vorgebirge der guten Hoffnung, mußte man anlegen, um Wasser und Lebensmittel einzunehmen, weil die Vorräthe, die man von Hamburg mitgenommen, nicht weiter reichen wollten.

Wie wohl that es unserm jungen Seemanne, als er, nachdem er so lange nur das bewegliche Element des Wassers unter sich gehabt hatte, endlich den festen Boden wieder betrat! Wie lange hatte er kein grünes Blatt gesehen, keinen Vogelgesang gehört, in kein anderes Menschen-Antlitz geschaut, als in das der Matrosen und des Capitains, die die Reise mit ihm gemacht! Wie ein junges Füllen, das nach langen Wintertagen aus dem Stalle hervorgeholt, zuerst die grüne Weide wieder betritt, sprang er am Ufer umher und jauchzte laut auf vor Freude, als er den ersten, grünen Baum wieder erblickte. Ueberdies bot dieser ihm einen ganz neuen, überraschenden Anblick dar, denn es war eine Palme, die er zwar bereits in Abbildungen, aber noch nie in der Natur gesehen hatte. Er lief in vollen Sprüngen auf den herrlichen Baum zu und umfaßte den knotigen Stamm desselben mit seinen beiden Armen, wie er sonst in der Freude seines Herzens oft bei seiner lieben Mutter gethan hatte. Dabei liefen ihm die hellen Thränen über die Wangen; sie flossen diesmal aber nicht dem Schmerze, sondern dem Entzücken.

Nachdem sich dieses einigermaßen gelegt hatte, sah er sich weiter um und gewahrte in einiger Entfernung eine Gruppe von Bäumen, deren Kronen ziemlich rund, wie die der in seiner Vaterstadt gesehenen Kugel-Akazien, waren. Er eilte darauf zu und wurde schon aus der Ferne durch den lieblichen, fast betäubenden Duft der schneeweißen Blüten auf die Vermuthung gebracht, daß er Orangenbäume vor sich habe. Als er näher kam, sah er an den goldgelben Früchten, womit diese Bäume bedeckt waren, daß er sich in seiner Meinung nicht geirrt habe. Nicht nur die Zweige waren mit Blüten und reifen und halbreifen duftigen Früchten bedeckt, sondern sie lagen auch in Massen abgefallen am Boden, wie bei uns Aepfel und Birnen, wenn der Sturm die Fruchtbäume im Herbste geschüttelt hat. Viele davon waren noch frisch und gut, andere aber schon verfault, weil sich Keiner darum zu bekümmern schien, sie aufzulesen. Unser William hatte zwar großen Appetit, seinen brennenden Durst durch diese eben so duftigen als saftigen Früchte zu löschen; da ihm aber seine Mutter die größeste Ehrfurcht vor dem Eigenthume Anderer eingeflößt hatte, wagte er es doch nicht, sich zu bücken und einige von den herrlichen, am Boden liegenden Orangen aufzuheben, bis andere Matrosen von dem Schiffe sich zu ihm gesellten und, indem sie sich die Taschen und Mützen mit Orangen füllten, ihm sagten: daß es hier Jedem erlaubt sei, so viele Früchte zu nehmen, als ihm beliebe, indem sie wild wächsen und Allen gleichsam zugehörten. Sie konnten das wissen, da sie schon mehrere Male das Vorgebirge der guten Hoffnung besucht hatten und hier eben so gut Bescheid wußten, wie in ihrer Heimath. Er ließ sich das nicht zwei Mal sagen und erquickte sich jetzt auch an den duftigen Früchten.

»Komm nur weiter mit uns,« sagte jetzt Jakob, ein bereits ziemlich alter Matrose, dessen stark gebräuntes Gesicht verrieth, daß er schon lange zur See gefahren; »komm nur, wir wollen Dir etwas noch Besseres zeigen, als diese süßen Orangen. In dieser Gegend wächst eine Rebe, deren Früchte nicht Ihresgleichen in der ganzen übrigen Welt hat. Der davon gewonnene Wein wird, nach dem Weinberge, von dem man ihn erzielt, Constanzia genannt und so theuer in Europa verkauft wie kein anderer Wein; die Trauben aber sind das Köstlichste, was der Mensch nur genießen kann.«

»Gehört denn auch dieser Weinberg Niemanden an und darf man auch von ihm Trauben pflücken, ohne Jemanden nahe zu treten?« fragte William, als man bei demselben angelangt war.

»Das nun wohl nicht,« versetzte Jakob, durch diese unerwartete Frage des Knaben etwas in Verlegenheit gesetzt; »vielmehr würde der Besitzer, ein Holländer, es sehr übel vermerken, wenn er uns dabei ertappte, daß wir von seinen Trauben nähmen, aus denen er einen so großen Gewinn zu ziehen versteht; wer aber würde sich wohl daran kehren, wo es etwas so Gutes zu erhaschen gibt?« fügte er hinzu.

»Ich werde mich wohl daran kehren,« versetzte William; »fern sei es von mir, mir das Geringste mit Unrecht anzueignen. So hat meine brave Mutter es mir gelehrt und dabei will ich, so lange ich lebe, bleiben.«

»Thue das, mein Sohn!« ließ sich jetzt plötzlich eine Stimme vernehmen, die, Allen ganz unerwartet, hinter einer dichten Hecke hervorkam, und zu gleicher Zeit erhob sich ein menschliches Antlitz hinter derselben. Die Andern, welche sich schuldig fühlten – sie hatten ja stehlen wollen – ergriffen erschrocken die Flucht; unser William, dessen Gewissen völlig rein war, blieb aber stehen und sah den alten Mann, der ihr Gespräch belauscht hatte, furchtlos an.

»Ich habe Alles gehört, mein Sohn,« sagte der Besitzer des Weinbergs – denn er war es selbst – »und freue mich, die Bekanntschaft eines so braven jungen Menschen gemacht zu haben. Bleibe bei Deinen guten Grundsätzen und es wird Dir stets wohl ergehen. Warte aber einen Augenblick: ich will Dich für Deine Redlichkeit belohnen, indem ich Dir die sonst fest verschlossen gehaltene Pforte meines Weinbergs öffne und Dich in denselben führe, damit Du Dich nach Herzenslust an meinen guten Trauben sättigest; denn für einen so braven, redlichen Burschen habe ich immer noch einige davon übrig. Den andern aber würde es schlecht bekommen sein, wenn sie, über den Zaun steigend, auf anderm Wege in meinen Weinberg gedrungen wären. Ich muß auf solche ungeladene Gäste gefaßt sein, da Jeder, der hier landet, von meinen weitberühmten Trauben naschen will, und würde wohl schwerlich eine einzige davon in die Kelter bringen, wenn ich nicht die gehörige Vorsicht angewendet hätte. Zu dem Ende ließ ich mir Fußangeln aus Europa herüberkommen und legte sie dicht an der Hecke rund um den Weinberg. Von Zeit zu Zeit habe ich Warnungstafeln aufgestellt, auf denen in allen lebenden Sprachen zu lesen ist, welches Unheil die häßlichen Näscher in meinem Weinberge erwartet; denn ungewarnt sollten selbst diese nicht in ihr Unglück gehen.«

Als er diese Worte geendet hatte, öffnete er mit einem schweren Schlüssel, den er bei sich trug, die große und hohe eiserne Pforte und lud unsern William zum Eintritt, zugleich aber auch zum Genusse seiner herrlichen Trauben ein, wobei er ihm seine Lebensschicksale erzählte, die seltsam genug waren. Als ein armer Knabe war er aus Holland, seinem Geburtslande, auf einem großen Handelsschiffe nach dem Cap gekommen und Krankheits halber daselbst zurückgeblieben. Ein Deutscher nahm sich des Verlassenen an, weßhalb er auch die deutsche Sprache vollkommen gut sprach und verstand. Durch Fleiß und Redlichkeit erwarb er sich im Laufe der Jahre einiges Vermögen, kaufte darauf den Weinberg, dessen Werth man damals noch nicht kannte, für eine geringe Summe an, kultivirte die üppig wachsenden Reben desselben, grub und düngte den sehr steinigten, trockenen Boden gehörig und sah sich nach einigen Jahren in dem Besitze eines Weinbergs, um den jeder ihn beneidete und der ihn nach und nach durch seinen Ertrag zum reichen Manne machte.

Dieses Alles erzählte der freundliche Greis unserm William, während dieser sich, auf seine Einladung, an Trauben sättigte, von deren Köstlichkeit und Würze man in Europa keinen Begriff haben kann. Als William nicht mehr zu essen vermochte, füllte er ihm Mütze, Taschen und sein Sacktuch auch noch mit Trauben an, ermahnte ihn dringend, auch ferner stets auf Gottes Wegen zu gehen, und entließ ihn endlich mit seinem Segen.

Dieses Abentheuer war das angenehmste, das unser junger Freund noch in seinem, freilich kurzen, Leben erlebt hatte und selbst noch als Greis erinnerte er sich desselben mit großer Freude, indem er zugleich behauptete, ihm habe nie wieder etwas so geschmeckt, wie diese ihm mit so großer Liebe und Freundlichkeit geschenkten Trauben.

Als er endlich zu seinen, ihn in einiger Entfernung erwartenden Genossen zurückkehrte, erzählte er ihnen, was ihm begegnet war und vertheilte die ihm mitgegebenen Trauben an sie.

»Wetter!« rief der alte Jakob, als William ihm von den von dem Holländer gelegten Fußangeln erzählte. »Da hätten wir schön ankommen und uns vielleicht für unsere ganze Lebenszeit unglücklich machen können; denn mit den Dingern ist nicht zu spassen und wer zufällig darauf tritt, wird leicht zum Krüppel, weil sie tief in den Fuß eindringen und oft unheilbare Wunden zurücklassen.«

Man hatte wirklich Gott für die Abwendung einer so großen Gefahr zu danken; unser William ging für die Mittheilung seiner auf rechtlichem Wege erworbenen Trauben auch nicht leer an Dank aus und Alle waren höchlichst zufrieden.

Es war bereits ziemlich spät, als man von diesem, mit Erlaubniß des Capitains unternommenen Ausfluge zurückkehrte und Capitain Hansen donnerte und fluchte schon über das allzulange Ausbleiben. Er besänftigte sich indessen, als er William, den er schon gar nicht mehr entbehren konnte, mit zurückkehren sah. Er hatte sich nämlich selbst Vorwürfe darüber gemacht, daß er diesem erlaubt hatte, mit den Andern ans Land zu gehen, da er fürchten mußte, daß der auf so hinterlistige Weise Angeworbene ihm entfliehen und Schutz bei der Behörde gegen ihn suchen würde; er war daher herzlich froh, als er ihn wiederkommen sah. An dergleichen dachte aber Williams redliche, arglose Seele nicht einmal; auch hatte er sich jetzt bereits an das Seeleben gewöhnt, um so mehr, da Capitain Hansen ihn wider seine sonstige Gewohnheit ziemlich gut behandelte.

Für einen jungen, strebsamen Menschen, der sich gern in der Welt umsieht und auf Alles merkt, muß eine Reise in so entfernte Gegenden auch immer einen großen Reiz haben. Jeden Tag, ja jede Stunde, gab es da etwas Neues und die Quelle der Belehrung versiegte keinen Augenblick. Bald war es ein Delphin, der neben dem Schiffe herschwamm, bald ein fliegender Fisch, der sich in seinem silbernen Schuppenkleide aus der grünen Tiefe emporschnellte; bald ein gräulicher Hayfisch, der seinen gestachelten Rachen weit öffnete, um seine Beute zu erhaschen, der seine Aufmerksamkeit und Wißbegierde auf sich zog. Bald sah man in großer Entfernung graue, gezackte Nebelwölkchen am Horizonte aufsteigen und die erfahrenen Seeleute erklärten ihm, daß es die Berge der entfernten Küste wären, die er erblickte, bald ließ sich ein Wandervogel, ermüdet von der weiten Reise über das unendliche Meer, auf die Spitze des Mastes nieder, um auszuruhen und wurde mit lautem Jubel von der Mannschaft begrüßt; bald warf man, bei Windstille, Netze und Angelhacken aus, um die Bewohner der kühlen Tiefe zum leckern Mahle zu fangen; bald schwammen die Trümmer gescheiterter Schiffe an ihnen vorüber und gaben reichlichen Stoff zu Erzählungen von Schiffbrüchen und andern Unfällen zur See; bald endlich theilte der alte Jakob, der ein lebendiges Magazin von Sagen und Mährchen war, der aufmerksamen ihm zuhörenden Mannschaft die allerschönsten Sagen mit; kurz, es fehlte weder an Unterhaltung, noch an Abwechslung an Bord, und so gefiel sich endlich unser William gar sehr in seinen neuen Verhältnissen; ja, hätte der Gedanke an den großen Kummer, den seine gute Mutter erdulden würde, seine Heiterkeit nicht oft getrübt, so würde er sich vielleicht vollkommen glücklich gefühlt haben.

Neuntes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Nicht lange konnte unser junger Freund schlafen, indem ein immer stärker werdendes Aechzen des neben ihm ruhenden Capitains ihn weckte. Er fuhr empor, rieb sich die Augen und sah sich nach allen Seiten um. Die erst anbrechende Morgendämmerung ließ ihn die ihn umgebenden Gegenstände kaum noch erkennen und ein angenehmer Traum hatte überdies seine Gedanken verwirrt. Ihm träumte nämlich, daß er wieder in der geliebten Heimath, im Arme seiner theuren Mutter sei, die ihn unter Freudenthränen willkommen hieß, und ihm das Versprechen abnahm, daß er sie nicht wieder verlassen wolle. Auch er hatte im Traume Thränen der Freude und Rührung vergossen, und seine Augen waren beim Erwachen noch feucht davon.

Das immer lauter und schmerzlicher werdende Aechzen des armen Leidenden neben ihm entriß ihn bald seinen angenehmen Vorstellungen und machte ihn darauf aufmerksam, wo er sich befinde. Er sprang schnell auf und trat zu der über dem Körper des Capitains gemachten Laubhütte, außerhalb deren er geschlafen hatte, weil nur Raum für eine Person darin war. Er machte sich die bittersten Vorwürfe, daß er hatte schlafen können, während ein menschliches Wesen so entsetzlich neben ihm litt, und doch war es, besonders bei seinem Alter, so natürlich, daß er nach den gehabten großen Anstrengungen in Schlaf verfiel.

»Wie ist Ihnen, Herr Capitain?« fragte er mit vor Mitleid bebender Stimme, »und kann ich Ihnen mit irgend Etwas zu Hülfe kommen?« Er vergaß in dem Augenblick seine gänzliche Hülfslosigkeit und daß er dem Leidenden nichts zu bieten habe, als höchstens einen Trunk Wasser aus der entdeckten Quelle.

Er erhielt längere Zeit keine Antwort auf seine Frage; dann sagte der Capitain mit kaum vernehmbarer Stimme:

»Laß mich in Ruhe sterben! – Es ist der Tod, mit dem ich kämpfe – und er ist bitter – bitter, wenn man nicht so gelebt hat, wie man gesollt hätte. O meine arme Frau! – mein liebes Kind! – und auch Du, armer Junge!« Er konnte nicht weiter reden; ein lautes Schluchzen unterbrach seine Worte, und auch William, dem sich das Herz in der Brust krampfhaft zusammenzog, vermochte kein Wort hervorzubringen.

»Ja! Ja!« fuhr der Capitain nach einer ziemlich langen Pause fort; »ja, nun kömmt's! Ich wollte in meinem wüsten Leben immer nicht daran glauben, daß eine Stunde kommen würde, wo ich mit Abscheu auf mich selbst, mit Zittern in die Zukunft blicken würde, und nun ist sie doch da! und nun greift die Furcht vor dem unbestechbaren Richter da oben, vor den Strafen, die mich Jenseits erwarten, nach meinem Herzen und ich zittere wie ein armer Sünder, den man zum Hochgerichte führt. – Ich verspottete früher das Alles – ich glaubte weder an Gott, noch an Tugend! ich sprach der letztern Hohn und fröhnte unbedachtsam meinen wilden Trieben; ich spottete über die, die es anders, besser machten, und nun ist die Hölle in meinem Herzen, und nun, wo ich nichts mehr gut machen, mich nicht mehr bessern, reinigen kann, nun muß ich verzweifeln!« Er verzerrte bei den letztern Worten so grausam die Mienen seines Gesichts, daß William, der in Thränen zerfließend neben ihm kniete, entsetzt aufsprang und gern weit, weit weg geflohen wäre.

Der Sterbende wurde jetzt still und William trat ihm schüchtern wieder näher. Mit andächtig gefalteten Händen stand er neben dem Verzweifelnden und schickte heiße Gebete für sein Seelenheil zum Himmel empor.

Nach einer ziemlich langen Pause rief der Capitain, indem er die Augen weit aufriß und William damit anstarrte.

»Wo bist Du? Ich sehe Dich ja nicht mehr? Hast auch Du mich verlassen, und willst mir in meiner Sterbestunde nicht beistehen?«

»Ich bin hier, Herr Capitain,« antwortete ihm William schluchzend; »ich habe Sie nicht verlassen und werde nicht von Ihnen weichen. O könnte ich doch mit meinem armen Leben das Ihrige retten!« fügte er mit dem Tone der Wahrheit hinzu.

»Guter Knabe!« erwiederte ihm der Sterbende mit einer Stimme, die vor Rührung brach; »guter Knabe, ich habe so viele Liebe und Treue nicht von Dir verdient. Ich handelte auch gegen Dich schlecht – ich war hart, war grausam gegen Dich; das kleinste Versehen brachte mich in Zorn und zog Dir Strafe zu – O!«

»Nein!« rief William, indem er mit seiner heißen Hand nach der bereits erkaltenden des Capitains griff, »nein, Herr Capitain, Sie sind so hart nicht gegen mich gewesen, wie Sie selbst sich jetzt anklagen! Erinnern Sie sich noch, wie Sie mir eins von Ihren Hemden gaben, als Sie entdeckten, daß ich nur das einzige habe, was ich auf dem Leibe hatte? O, das war eine große Wohlthat, die Sie mir erwiesen, und so lange ich lebe, werde ich derselben dankbar gedenken.«

»Das ist ein kleiner Trost,« versetzte der Sterbende; »ich war also doch nicht allzu hart auch gegen Dich? Ich hinterlasse doch ein Herz, das nicht in Haß gegen mich schlägt, sondern mir vielmehr dankbare Gefühle weiht? O, wie süß muß es sein, sich in der Sterbestunde sagen zu können: ich that so viel Gutes, als ich vermochte; ich entpreßte keinem Auge Schmerzens-, vielen aber Freudenthränen; ich freute mich mit den Glücklichen, weinte mit den Kummervollen; ich handelte nach dem Gebot des Evangeliums und war ein guter Christ und Mensch! – Könnte ich nur noch einmal von vorne anfangen, wie ganz anders sollte es werden, welch ein gottgefälliges Leben wollte ich führen!« fügte er nach einer langen Pause hinzu. »Aber nun ist es aus – das Ziel, von dem es keine Umkehr mehr gibt, ist erreicht – ich muß vor meinen Richter da oben treten und die Handlungen meines Lebens verantworten! O!« – –

Seine Stimme brach und Thränen schossen ihm aus den Augen hervor, in denen die Sehkraft bereits erloschen war. Ein Mitleid, wie William es in seinem Leben noch nicht empfunden hatte, ergriff sein Herz; er erfaßte die bereits gänzlich erstarrte Hand des Sterbenden und sagte schluchzend:

»Bedenken Sie, lieber Herr Capitain, daß unsere heilige Religion unsern Gott nicht blos einen gerechten, sondern auch gnädigen Gott nennt und sagt, daß der bereuende Sünder Gnade vor seinen Augen finden werde. Vertrauen Sie diesen tröstenden Worten und sterben Sie in Frieden.«

»Dank! Dank! Dir für diesen tröstlichen Zuspruch,« versetzte der Sterbende; »und nun reiche mir Deine Hand, die ich noch fühlen werde, wenn schon mein Auge Dich nicht mehr sehen kann, weil der herannahende Tod seine Sehkraft gelähmt hat; reiche mir Deine Hand und gib mir auch noch den Trost mit auf die große Reise, daß Du mir vergeben hast, was ich an Dir frevelte; dies wird mir den sonst so schweren Tod doch in Etwas erleichtern.«

»Sterben Sie meinetwegen in Frieden,« versetzte William, indem er seine Hand innig drückte, »und möge Gott Ihnen nicht mehr zürnen, als ich es thue.«

»Du bist ein guter Knabe;« war die gerührte Antwort des Sterbenden; »bleibe wie Du bist, werde immer besser und gedenke so lange Du lebst der Sterbestunde und der Verzweiflung eines sündhaften Menschen. Wenn Du kannst, so sage mir ein Gebet oder ein frommes Lied her, unter dem meine Seele hinüberschlummere in das bessere Jenseits.«

William besann sich einige Augenblicke auf ein passendes Gebet oder ein tröstendes Lied; endlich fiel ihm das herrliche Gedicht von einem großen deutschen Dichter, Klopstock, ein, welches so anfängt:

»Auferstehn, ja auferstehn
»Wirst Du
»Mein Staub nach kurzer Ruh!
»Unsterblich Leben
»Wird der Dich schuf
»Dir geben:
»Gelobt sei Gott!«

und da er es gänzlich auswendig wußte, sagte er es mit gerührter Stimme her. Die eben noch so schmerzlich verzerrten Züge des Sterbenden nahmen nach und nach einen mildern, freundlichern Ausdruck an; die bisher starr vor sich hinsehenden, bereits gebrochenen Augen schlossen sich und die Lippen bewegten sich leise, indem sie das herrliche Gedicht nachsprachen.

Es war ein großer, feierlicher Augenblick. Die Sonne ging blutroth am fernsten östlichen Rande des Horizontes auf und bestreute die Meereswellen mit Gold und Purpur. Die feierlichste Stille herrschte rings umher und nichts wurde gehört, als das Rauschen der Wellen, die, nachdem sich der Sturm gelegt, wie spielend an das Ufer kamen und sich an den Steinen und Muscheln des Strandes brachen.

Endlich war William mit dem Hersagen seines Gedichts und der arme Capitain mit dem Leben fertig: er hatte ausgelitten und es blieb jetzt nichts mehr von dem vor Kurzem noch so thatkräftigen Manne übrig, als eine leblose Hülle. Wohl ihm, wenn der Ruf der Tugend und Frömmigkeit, wenn gute, edle Thaten ihn überlebt hätten! Wie fröhlich und getrost hätte er dann eingehen können in das Reich Gottes, wie zuversichtlich vor den Thron des unbestechlichen Richters treten!

William wußte nicht, daß er todt sei und hielt den Todesschlaf für einen gewöhnlichen Schlummer. Zwar fiel ihm die große Veränderung auf, die mit den Gesichtszügen des Sterbenden seit einigen Minuten vorgegangen war; allein er, der noch niemals einen Todten gesehen hatte, wußte nicht, was dieses zu bedeuten habe, und da er den vermeintlich Schlafenden nicht stören wollte, sich auch das Bedürfniß des Hungers wieder mächtig bei ihm meldete, stand er leise vom Boden auf und entfernte sich von der Leiche, um, wo möglich, irgend einen Gegenstand zu suchen, durch den er sich sättigen könnte.

Er schlug den ihm bereits bekannten Weg zur Quelle wieder ein und kam endlich zu einer Gruppe von Bäumen, die ihm schon aus der Ferne bekannt vorgekommen waren; als er ihnen näher kam, sah er, daß er sich in seiner Voraussetzung nicht geirrt habe: es waren Akazien, die er erblickte.

»Akazien?« höre ich Euch, meine Geliebten, rufen. »So war das Schiff durch den Sturm wohl wieder nach Europa verschlagen worden? Denn in unsern Gärten stehen Akazien und erfüllen im Frühlinge die Luft mit dem Dufte ihrer herrlichen schneeweißen Blüten.«

»Allerdings,« antworte ich Euch auf Eure Frage, »haben wir die Akazie in unsern Gärten; allein sie sind nicht heimisch bei uns, sondern aus andern Welttheilen, namentlich aus Australien, dem fünften Welttheile zu uns herübergebracht. Wir haben auf diese Weise uns eine Menge von Bäumen und schönen Zierpflanzen angeeignet, unter andern auch die segensreichen Fruchtbäume, die größtentheils aus Asien herstammen. Die Akazie verpflanzte man nun zwar nicht ihrer labenden Früchte wegen auf unsern Boden, sondern weil sie ein überaus schönes Ansehen, einen hohen, schlanken Wuchs, eine schön gebildete Krone und ein überaus anmuthig geformtes, hellgrünes, gefiedertes Laub, vor allen Dingen aber köstlich duftende Blüten hat. Sie ist eine Zierde unserer Gärten und öffentlichen Plätze, obgleich sie bei uns die Schönheit und Pracht nicht erreicht, die sie in ihrem heimathlichen Lande zur Schau trägt.«

William war nicht wenig erfreut, auf so gute Bekannte in einer so entfernten Gegend zu stoßen und sah die prächtigen Bäume mit wahrem Entzücken an, obschon er glaubte, daß sie ihm keine Nahrung darbieten würden. Darin aber hatte er sich geirrt, denn als er die vor ihm stehenden Bäume genauer betrachtete, sah er, daß fast aus jedem Zweige ein krystallhelles Gummi hervorgeschwitzt war, das vollkommen dem arabischen glich, und da er sich erinnerte, gehört zu haben, daß ein solches Gummi sehr vielen Nahrungsstoff enthalte, bog er einige Zweige zu sich herab und sammelte eine Handvoll Gummi, das ohne allen Geschmack war und ihm sehr leicht auf der Zunge verging. Zwar konnte er sich an diesem Nahrungsmittel nicht vollkommen sättigen; allein schon nach wenigen Minuten ließen die Schmerzen in seinem völlig ausgehungerten Magen nach und ein Gefühl von Wohlbehagen trat an die Stelle desselben, das noch vermehrt wurde, als er vermittelst seines mitgenommenen Beutels einen frischen Trunk aus der schönen Quelle geschöpft hatte.

Jetzt, wo sein dringendstes Bedürfniß wenigstens einigermaßen gestillt war, dachte er wieder an seinen lieben Kranken und in der Hoffnung, daß auch ihm vielleicht beim Erwachen mit einem Nahrungsmittel gedient sein dürfte, sammelte er noch eine gute Handvoll von dem Gummi, füllte seine Ledertasche mit Wasser an und wanderte dem Strande wieder zu.

Dreizehntes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis

Das Allernothwendigste hatte unser William jetzt: Wasser, um seinen Durst zu löschen, die Pataten, welche seinen Hunger stillten und endlich gar ein schützendes Obdach mit einem guten Lager; selbst an Leckereien fehlte es ihm nicht, da die schönsten Himbeeren, obschon an so niedrigen Sträuchen wie bei uns die Heidelbeeren, in so großer Fülle vorhanden waren, daß er sich vom Morgen bis zum Abende daran hätte satt essen können. Trotz dem aber fehlte ihm nicht nur Etwas, sondern sogar sehr Viel; besonders trug er ein großes Verlangen nach einer animalischen oder thierischen Kost, an die er von frühester Jugend auf gewöhnt worden war. Wie sich aber eine solche verschaffen? Er hatte weder eine Flinte noch Bogen und Pfeile, ja nicht einmal eine Schlinge vermochte er zu machen, weil er sich nicht darauf verstand, um irgend ein Thier darin zu fangen. Zwar hätte er Nachts, wo die wilde Katze oft auf längere Zeit auf Beute ausging, leicht eines der Kätzchen nehmen und es tödten können, dagegen aber sträubte sich sein Gefühl, auch vielleicht ein ihm selbst kaum bewußter Eckel gegen eine so ungewohnte Kost, und so blieben die wilden Kätzchen ungefährdet von ihrem menschlichen Nachbar.

Da das Verlangen nach einer veränderten Nahrung immer stärker wurde, beschloß er, den Weg zum Strande zu suchen. Er hegte die Hoffnung, dort vielleicht eine Schildkröte oder doch Muscheln zu finden, die er dann am Feuer braten und zur Speise bereiten wollte. Da ihm sehr daran gelegen sein mußte, den Rückweg zu seiner Höhle nicht zu verfehlen, ging er erst immer hart am Bache hin, dann aber, als dieser sich nach und nach zwischen dem immer höher und dichter werdenden Grase verlor, schnitt er mit seinem Messer ziemlich große Kerben an die zu Seiten seines Weges stehenden Bäume, wodurch er sich den Rückweg offen erhielt.

Lange wanderte er fort, ohne das Meer zu entdecken; endlich hörte er es, zu seiner nicht geringen Freude, hinter einem Felsen brausen und rauschen. Schnell erklomm er den Felsen und hatte jetzt das unermeßliche Meer vor sich, das an der Stelle, wo er sich befand, einen ziemlich tief in das Land hineingehenden Meerbusen bildete. Erstaunt und entzückt schaute er auf das großartige Schauspiel, das sich seinen Blicken darbot. Durch die lange Fahrt auf dem Ocean war er so vertraut mit dem Meere und dieses ihm so lieb geworden, daß ihm beim Anblick desselben die hellen Freudenthränen über die Wangen schossen. Hatte er doch auch besondere Ursache, es zu lieben, da ihm allein Rettung durch ein etwa an der Insel landendes Schiff kommen konnte. Nachdem er sich längere Zeit an Betrachtungen vergnügt hatte, stieg er den Felsen hinab, um am Strande nach eßbaren Muscheln – er träumte sogar von Austern, die man ihm in Hamburg als große Leckerbissen gerühmt hatte – zu suchen. Er fand zwar eine Menge der allerschönsten, buntesten Muscheln, die er unter andern Umständen gewiß begierig aufgelesen haben würde, jetzt aber unbeachtet liegen ließ, weil sie leer und von ihren frühern Bewohnern sämmtlich verlassen waren.

Statt des vergebens Gesuchten that er aber einen Fund, dessen Wichtigkeit ihm bald einleuchten sollte. Eine ziemliche Strecke vom Wasser entfernt, aber doch an der Grenze des Strandes, sah er einen Stein liegen – wenigstens hielt er eine Zeitlang den ihm auffallenden Gegenstand dafür – dessen regelmäßige Form seine Aufmerksamkeit erregte. Er näherte sich demselben mit eiligen Schritten und wie ward ihm, als er, statt des erwarteten Steins, eine braunroth angemalte Kiste fand! Er erkannte sie auf den ersten Blick für die des Schiffs-Zimmermanns der »Hoffnung«, auch war der Name dieses Mannes, wenn auch die mit weißer Oelfarbe darauf gemalten Buchstaben zum Theil abgerieben waren, noch ganz deutlich darauf zu lesen; über diesem Namen war das ihm so wohlbekannte Hamburger Wappen, die drei Thürme, mit dem sie haltenden Löwen daneben, in bunten Farben abgebildet.

Die hellen Thränen schossen ihm über die Wangen bei dieser unerwarteten Erinnerung an die geliebte Vaterstadt, an das Schiff, auf dem er den weiten Ocean durchschwommen, an die Mannschaft desselben, die jetzt tief im Meeresgrunde lag oder wohl schon die Beute gefräßiger Hayfische geworden war. Mit unaussprechlicher Rührung mußte er in diesem Augenblicke jedes gütigen, freundlichen Worts gedenken, das der Eine oder Andere dieser Männer während seines langen und steten Beisammenseins mit ihnen zu ihm gesprochen hatten, der fröhlichen Gesänge, die sie in ihren wenigen Musestunden erschallen ließen, der Mährchen und Sagen, deren sie eine so große Menge wußten, und mit anmuthiger Einfachheit zu erzählen verstanden; der kleinen Neckereien, die sie sich im harmlosen Scherze gegen einander erlaubten; der Belehrungen, die er von den Aelteren und Ernsteren empfing, wenn er diese oder jene Sache noch nicht anzugreifen verstand. Und das Alles war nun todt und hin; die fröhlichen Laute der bekannten Stimmen waren für immer erstorben; die bald heitern, bald ernsten Blicke erloschen, die Kraft dieser Muskeln gelähmt – todt! todt war so viel Leben und Regsamkeit!

Wer würde in diesem Augenblick wohl ungerührt geblieben sein? wer hätte in demselben wohl an die, unter den gegenwärtigen Umständen unermeßlichen Schätze denken können, die eben diese Kiste, welche unserm William heiße Thränen entlockte, in ihrem Innern barg? Er dachte gewiß im ersten Augenblick nicht daran, sondern kniete neben derselben nieder, küßte sie unter Thränen und nannte mit leiser, von Schluchzen unterbrochener Stimme den Namen des ehemaligen Besitzers. Dieser war, obschon äußerlich ein ernster, fast rauher Mann, doch im Grunde ein vortrefflicher, wohlmeinender Mensch gewesen, der besonders unserm jungen Freunde sehr gewogen war und ihm manchen Liebesdienst erwiesen hatte.

William war so in Schmerz und Erinnerung versunken, daß er nicht bemerkte, daß es bereits Abend geworden war, und zu dunkeln begann. Als er sich endlich aufraffte und an die Rückkehr nach seiner Höhle dachte, war es bereits zu spät dazu und er mußte sich entschließen, die Nacht am Strande zuzubringen, da er, wenn er den Rückweg angetreten, sich leicht hätte verirren können, weil er die an den Bäumen gemachten Einschnitte nicht mehr erkennen konnte. Er bereitete sich daher ein Lager am Strande, indem er sich gewissermaßen in den warmen Sand einwühlte, und lehnte das müde Haupt gegen die geliebte Kiste.

Erst spät, als bereits der Vollmond hoch am Himmel stand, schlief er ein und träumte von der geliebten Heimath, von der theuren, über Alles theuren Mutter, von seinen Gespielen und Schulgenossen. O, er war noch einmal vollkommen glücklich; aber ach! der erste im Osten sich zeigende Strahl der Sonne verscheuchte dieses holde Glück, indem er ihn weckte. Er rieb sich die Augen, seufzte tief auf, indem er um sich blickte, und erhob sich schwankend von seinem beweglichen Lager.

Der Gedanke, wie nützlich ihm der Inhalt der Kiste werden könne, konnte nicht lange ausbleiben; zugleich aber erhoben sich in seiner Seele Bedenklichkeiten über sein Recht, sich die darin enthaltenen Sachen aneignen zu dürfen, und lange kämpfte er mit sich selbst darüber. Endlich sagte er sich, daß einmal der frühere Besitzer dieser Kiste aller Wahrscheinlichkeit nach todt, dann aber für ihn keine Möglichkeit vorhanden sei, selbst wenn er lebte, sie ihm wieder zuzustellen. Ferner war die Noth, in der er sich befand, so groß und er aller sonstigen Hülfe so gänzlich beraubt, daß er meinte, Gott werde es ihm schon vergeben, daß er sich des Inhalts der Kiste bemächtige und zu seinem Besten verwende.

Eine andere Frage, nachdem er diese beseitigt hatte, war nun die, wie er die Kiste öffnen solle? Der Zimmermann hatte sie aller Wahrscheinlichkeit nach selbst und, da er ein tüchtiger Mann in seinem Geschäfte war, gewiß sehr fest gebaut. Zwar hätte er trotz dem den Deckel leicht mit einem großen und kantigen Steine zerschlagen können; allein zu diesem Auswege, der ihm noch übrig blieb, wenn kein anderer sich erdenken ließ, konnte er immer noch greifen und der Gedanke, die Kiste ganz zu erhalten, war ihm so angenehm, daß er lieber erst alles Andere versuchen, als sie zertrümmern wollte. Er hatte bemerkt, daß die Schlosser mit einem an der Spitze etwas krumm gebogenen Instrumente von Eisen leicht zugesprungene Schlösser aufmachten, und da er als ein kluger und aufmerksamer Knabe sich alle dabei angewandten Handgriffe gemerkt hatte, kam es nur darauf an, daß er einen gehörig starken Nagel fände, der dann vermittelst eines statt des Hammers dienenden Steins leicht die gehörige Form erhalten könnte. Er ging also, um einen Nagel zu suchen, noch etwas weiter den Strand hinauf.

Dieser Weg wurde ihm reichlich belohnt, indem er noch eine Menge Schiffstrümmer, sogar den ganzen Spiegel des gescheiterten Schiffs, und einige Tonnen mit Zwieback am Ufer fand. Seine Freude bei diesem unerwarteten Anblick war nicht gering und er machte sich sogleich ans Werk, die Trümmer weiter auf den Strand hinauf zu ziehen, damit nicht etwa eine höher gehende See sie wieder ins Meer zurückführte. Wie vielen Schweiß vergoß er bei dieser, seine Kräfte fast übersteigenden Arbeit; aber obgleich ihn Hunger und Durst nicht wenig bei derselben quälten, versagte er sich doch die Befriedigung dieser dringenden Bedürfnisse, um seinen Schatz erst in Sicherheit zu bringen. Jedes Stückchen Brett, mochte es auch schon halb zertrümmert sein, war ein Schatz für ihn, dem es an allem fehlte. Nur den Spiegel des Schiffs vermochte er, seiner Schwere wegen, nicht von der Stelle zu bringen, und ihn zu zertrümmern, dazu fehlte es ihm an den gehörigen Geräthschaften. Was hätte er nicht jetzt darum gegeben, einen Genossen zu haben, der ihm hülfreiche Hand bei der sauren Arbeit leistete!

Als er das, was ihm möglich gewesen war zu retten, höher auf den Strand und somit in Sicherheit gebracht hatte, dachte er zunächst daran, seinen Hunger und Durst zu stillen und freute sich in seinem Herzen nicht wenig, den ersteren mit dem in den Tonnen enthaltenen Zwiebacke stillen zu können. Er zerschlug daher eine derselben und die Zwiebacke kamen zu Tage; aber ach! sie hatten sich, aufgeweicht durch das Seewasser, in einen Brei verwandelt und dieser schmeckte so salzig und bitter, daß er nicht einen Mund voll davon herunter zu würgen vermochte.

Die Hoffnung, die er auf diesen Fund gesetzt hatte, war also eine vergebliche gewesen, und er mußte sich nach einem andern Nahrungsmittel umsehen. In der Nähe war dieses nicht zu finden, was ihn sehr betrübte, da er mit dem Aufsuchen so viele Zeit verlieren mußte; denn auch mit der Hoffnung, Muscheln am Strande zu finden, war es nichts gewesen. Erst nach langem, fruchtlosen Umherirren fand er einen Baum, der große Aehnlichkeit mit unserm Birnbaume und eine Frucht wie dieser hatte.