Mörderpost: Thriller

Alfred Bekker and Henry Rohmer

Published by BEKKERpublishing, 2017.

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Mörderpost

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Also By Alfred Bekker

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Mörderpost

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Thriller von Alfred Bekker (Henry Rohmer)

Der Umfang dieses Ebook entspricht 140 Taschenbuchseiten.

Attentate mit Sprengstoffbriefen verbreiten Angst und Schrecken. Opfer sind ausschließlich Angehörige der New Yorker Polizei. Für die Ermittler ein heikler Fall. Eine Mauer aus Schweigen und Gewalt begegnet ihnen. Führen die Syndikate einen Privatkrieg gegen missliebige Cops? Oder will sich da jemand für vermeintliches oder tatsächliches Polizei-Unrecht rächen?

Ein packender Action Krimi von Henry Rohmer (Alfred Bekker).

Henry Rohmer ist das Pseudonym eines Autors, der unter dem Namen Alfred Bekker vor allem als Verfasser von Fantasy-Romanen und Jugendbüchern bekannt wurde, sowie historische Romane schrieb. Daneben verfasste er Romane zu Spannungsserien wie Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommisar X, John Sinclair und Ren Dhark.

––––––––

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COVERMOTIV: STEVE MAYER

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Ein CassiopeiaPress E-Book

© 2014 by Author

© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de 

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"Los!", sagte Milo.

Mit einem mächtigen Tritt ließ ich die Tür des Apartments aufspringen. Den Griff meiner Waffe  hielt ich beidhändig und ließ den Blick in Sekundenschnelle durch den Raum schweifen.

Nichts.

Eine Kommode, auf dem ein Telefon stand, eine Garderobe mit zwei Jacken daran und ein fleckiger Teppich, auf dem irgendwann einmal jemand eine halbe Flasche Rotwein vergossen haben musste.

Eine Tür führte in einen Nebenraum.

Sie stand halb offen.

"Vorsicht", raunte mein Freund und Kollege, Special Agent Milo Tucker. Auch er hielt die Waffe im Anschlag.

Mit einem Satz war ich neben der Tür und presste mich gegen die Wand. Gleichzeitig bellte ein Schuss in meine Richtung.

Es war die gewaltige Feuerkraft eines Magnum-Revolvers. Der Schütze feuerte einfach durch die Tür des Nachbarraums hindurch. Das Projektil riss ein faustgroßes Loch in die Tür, ehe es auf der anderen Seite des Raums einen Spiegel in Stücke gehen ließ.

Mit weiten Sätzen durchquerte Milo den Raum und riss die Tür zum Bad auf.

Er schaute in meine Richtung und schüttelte den Kopf.

"Hier ist das FBI!", rief ich indessen laut. "Nunez, wir wissen, dass Sie da drin sind! Geben Sie auf! Das Haus ist umstellt! Sie kommen hier nicht raus!"

Keine Antwort.

Auf der anderen Seite der zerschossenen Tür schien sich nicht das Geringste zu regen und die Stille, die dort herrschte, wirkte unwirklich.

Ich atmete tief durch.

Milo stellte sich auf die andere Seite der Tür.

Wir wechselten einen kurzen Blick.

Unser Gegner saß in der Falle - und das wusste er auch. Er hatte nicht den Hauch einer Chance, dieses Haus auf eine andere Weise zu verlassen, als in Handschellen.

Jeder andere hätte unter diesen Umständen vermutlich aufgegeben und sich lieber auf die Kunst der Anwälte als auf die eigenen Schießfertigkeiten verlassen.

Aber Nunez war ein ganz besonderer Fall...

Der Mann, mit dem wir es zu tun hatten, war eine lebende Kampfmaschine. Ein Mann, der in perfekter Weise zum Töten ausgebildet war und den Mord zu seinem Beruf erkoren hatte.

In Chicago hatte er einen Mann mit einer zusammengerollten Zeitschrift getötet, mit der er seinem Gegner den Adamsapfel eingedrückt hatte. Nunez war ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen musste - genau wie vor jenen, die sich seiner Dienste versichert hatten...

Niemand wusste, wie viele Menschen dieser Kerl umgebracht hatte, der einmal unter dem Namen Gabriel Nunez geboren worden war und seitdem unter Dutzenden von Identitäten gelebt hatte. Zuletzt hatte er eine Stellung als Barmixer gehabt.

Eine Tarnung, sowohl für ihn selbst als auch für jenen Mann, dessen Drecksarbeit Nunez zuletzt vermutlich verrichtet hatte: einen gewissen Ray Tarantino.

Nunez war eine Art Mischung aus Chamäleon und Bluthund. Als Chamäleon verhielt er sich uns gegenüber - den Bluthund spielte er für seine Auftraggeber.

Es war eine Tatsache, dass auch ein vielfacher Mörder nur einmal auf dem elektrischen Stuhl Platz nehmen konnte.

Nunez hatte nichts zu verlieren.

Und das machte ihn unberechenbar.

Er würde buchstäblich über Leichen gehen. In Pittsburgh hatte er sich vor zwei Jahren gegenüber vier G-men, die ihn festnehmen wollten, den Weg freigeschossen. Er kannte keine Rücksicht weder gegen sich selbst noch gegen andere.

Ich packte meine Waffe fester, als ich von der anderen Seite der Tür ein Geräusch hörte. Irgendetwas wurde geschoben...

Dann hörte ich Schritte...

Ich sah Milo an.

Mein Freund nickte.

"Jetzt", zischte ich.

Ein Tritt öffnete die Tür. Ich stürmte vorwärts. Sekunden zwischen Leben und Tod, in denen alles geschehen konnte.

Eine Gestalt kletterte durch das Fenster.

Weit aufgerissene, entschlossen dreinblickende Augen sahen mich an. Das Haar fiel ihm tief in die Stirn. Zwei Reihen makelloser Zähne bleckte er wie ein Raubtier.

Und in der Rechten hielt er den gewaltigen Magnum-Revolver, dessen 45er Kaliber einem den halben Kopf wegblasen konnte.

Nunez war schon halb aus dem Fenster heraus. Er hing noch mit der Kniekehle des rechten Beins auf der Fensterbank.

Seine Muskeln und Sehnen spannten sich. Vermutlich wollte er über die Feuertreppe entkommen.

"Waffe weg, Nunez!", brüllte ich.

Sekundenbruchteile lang hing alles in der Schwebe.

Aber Nunez war in jeder Hinsicht Profi.

Er wusste, dass er seine Waffe nicht mehr hochreißen und abfeuern konnte, bevor ich ihm eine tödliche Kugel in den Oberkörper gejagt hätte.

Er wusste es und deshalb löste sich die Spannung seiner Arm-Muskeln ein wenig. Sein Gesicht verzog sich zu einem hässlichen Grinsen.

Und dann ließ Nunez tatsächlich seine Waffe fallen. Mit einem harten Geräusch kam sie auf den Parkettboden auf.

"Zufrieden, G-man?", knurrte er.

Sein Gesichtsausdruck wirkte wölfisch. Es waren nicht die Züge eines Mannes, der gerade aufgegeben hatte und sich mit dem Gedanken anfreunden musste, sich bald vor einer Geschworenenjury zu verantworten.

"Kommen Sie ganz langsam wieder herein!", forderte ich.

Milo war neben mir und nahm den Walkie-Talkie aus der Manteltasche.

"Hier Agent Tucker. Wir haben ihn."

Ich machte einen Schritt nach vorne und sagte: "Sie sind verhaftet, Nunez. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht..."

"Spar dir die Litanei, G-man!", grunzte er.

Irgendetwas stimmt nicht, ging es mir durch den Kopf. Ich zermarterte mir in diesen Sekunden den Kopf darüber, was es wohl war... Mein Instinkt schlug Alarm und ich war immer gut damit gefahren, auf ihn zu hören. Ich ließ kurz den Blick schweifen.

Die Einrichtung war nichts besonderes. Vermutlich hatte Nunez das Zimmer möbliert übernommen. Kaufhausmöbel, die man selbst zusammenbauen musste. Nachgemachtes Kiefernholz. Die Sessel wirkten schon ziemlich abgenutzt und fast ein bisschen durchgesessen. Auf einem niedrigen Glastisch lagen einige Zeitschriften, deren Titelbilder zumeist nackte Frauen mit riesigen Brüsten zeigten.

Unruhe erfüllte mich.

Ich blickte wieder zu Nunez.

Er bewegt sich zu langsam!, durchfuhr es mich. Aber ich wusste nicht, wie ich das interpretieren sollte. Und dann war da dieses Geräusch...

Ein Ticken.

"Verdammt!", rief Milo.

In derselben Sekunde begriff ich es auch.

Mit einem ohrenbetäubenden Knall schien alles zu explodieren. Glas splitterte. Die Sitzecke flog in Fetzen auseinander.

Ein wahres Inferno brach aus.

Ich fühlte die mörderische Hitze und die Druckwelle. Hart kam ich auf den Boden. Durch das Chaos hörte ich Milos heiseren Schrei.

Nunez hatte uns hereingelegt!

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Ich rollte mich auf dem Boden herum. Ich rang nach Atem.

Beißender Qualm ließ mich würgen. Ich rappelte mich hoch und riss die Waffe in Fensterrichtung.

Von Nunez war nichts mehr zu sehen.

Er hatte uns eiskalt abserviert.

Die kleine Sprengladung mit Zeitzünder hatte es ganz schön in sich gehabt. Nunez hatte sie offenbar einfach in einen Sessel gelegt. Kein Wunder, dass er gezögert hatte, in den Raum zurückzukommen. Er hatte gewusst, dass das Inferno nur noch Sekunden auf sich warten lassen würde...

Ein Schritt weiter und ich wäre zerfetzt worden.

Ich schaute nach Milo.

Er saß auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt.

Blut rann ihm in Strömen über die Stirn. Es tropfte auf sein Jackett und auf den Boden. Er ächzte.

Er sah mich an.

"Das ist nichts!", schrie er. "Irgend so ein verdammter Splitter!"

Er presste den Ärmel seiner Jacke auf die Wunde, um die Blutung zu stillen.

Ich hörte Schritte und wirbelte herum.

Zwei Kollegen kamen mit gezogener Waffe herein. Es handelte sich um Special Agent Medina und seinen Partner Clive Caravaggio.

Milo stand auf.

"Er ist weg", erklärte er.

Mit zwei Schritten war ich beim Fenster. Der Qualm biss in den Augen und ließ sie tränen. Dieser Kerl hatte genau gewusst, was er tat. Alles auf eine Karte. Das sah Gabriel Nunez ähnlich. Ein Killer ohne Pardon.

Ich sah hinaus.

Über den Fenstersims war Nunez offenbar bis zum Balkon der Nachbarwohnung gekommen. Halsbrecherisch!, dachte ich.

Und von dort hatte er die Feuerleiter erreicht.

Ich hörte seine klappernden Schritte auf den Metallrosten, sah ihn wie panisch hinabstolpern.

Nunez hob den Kopf.

Er feuerte ohne zu zielen. Ich duckte mich.

Die Kugel zerfetzte den Fensterrahmen dicht neben mir.

Offenbar hatte Nunez noch eine zweite Waffe dabeigehabt.

Bei einem wie ihm wunderte mich das nicht. Dem Einschussloch im Fensterrahmen nach war es ein kleinkalibrigeres Eisen.

Eine 22er vielleicht. Aber tödlich waren auch diese Projektile.

Ich feuerte zurück. Meine Kugel verfing sich irgendwo zwischen den Metallrosten der Feuertreppe und sorgte dort für einen Funken.

Nunez lief weiter.

Ich stieg auf die Fensterbank.

"Jesse, was hast du vor? Bist die wahnsinnig?"

Das war Agent Medina. Er sah mich ziemlich verwundert an.

Ich kletterte derweil aus dem Fenster und begann, mich den Sims entlangzubalancieren.

Ich sah hinunter.

Die Feuertreppe führte in einen Hinterhof. Ein Durchgang verband diesen mit der Hauptstraße. In diesem Fall war das die Rivington Street in der Lower East Side von Manhattan.

Unsere Leute hatten den Block abgeriegelt. Nunez würde nicht weit kommen.

Hoffte ich.

Ich sprang vom Fenstersims aus auf den Balkon der Nachbarwohnung. Dann war ich mit einem weiteren Satz auf der Feuertreppe. Ich hetzte hinunter, zwei drei Stufen mit einem Schritt. Nunez ballerte ungezielt in meine Richtung. Der Schuss ging ins Leere, kratzte irgendwo an dem ohnehin nicht mehr ganz taufrischen Putz.

Und dann brauste ein Einsatzwagen von der Rivington Street den Durchgang entlang bis in den Hof. Ein zweiter folgte.

Beamte mit Maschinenpistolen sprangen heraus und gingen in Stellung. Sie trugen die blauen Einsatzjacken des FBI und kugelsichere Westen.

"Stehenbleiben, Nunez!", rief ich. "Oder Sie sind ein Sieb.“

Der Killer zögerte.

Eine Treppe noch, dann wäre er unten gewesen.

Aber er wusste, dass das jetzt keinen Sinn mehr machte. Ans Aufgeben dachte er allerdings auch nicht. Nicht im Traum.

Eine schnelle Bewegung, ein Sprung...

Er machte einen Satz durch das nächste Fenster. Das Glas splitterte. Er schützte den Kopf mit dem Arm. Ich wusste, was er vorhatte. Er hoffte, in irgend einer der anderen Wohnungen dieses Blocks eine Geisel zu finden. Das war es.

Seine letzte Chance. Und er war skrupellos genug, sie beim Schopf zu packen.

Ich setzt nach, stolperte die Stufen hinunter. Auch in die Einsatzkräfte, die im Hof in Stellung gegangen waren, kam jetzt Bewegung.

Aber ich hatte das Fenster, durch das Nunez verschwunden war, schneller erreicht. Ich stieg hindurch. Die Wohnung schien verlassen zu sein. Es war kein Mobiliar in dem Raum, den ich betrat. Die Fußbodenbretter knarrten auf eine Weise, die in dieser Situation tödlich sein konnte. Ich schaute zur Tür. Sie stand offen. In dem Flur dahinter herrschte Halbdunkel, aus dem es plötzlich hervorblitzte.

Ein Schuss krachte.

Ich warf mich zur Seite und feuerte zurück. Dann rappelte ich mich auf. Ich spurtete los und presste mich neben der Tür gegen die Wand.

Ich lauschte.

Es war nichts zu hören.

Dann machte es klick.

Der Hahn eine Waffe wurde gespannt.

Ich blickte auf und sah direkt in den Lauf eines Revolvers. Nunez richtete ihn auf mich. Er war blitzschnell durch die Tür gekommen.

Er setzte alles auf eine Karte. Diese Wohnung war unbewohnt. Also war ich die einzige Geisel, die er hier nehmen konnte.

Er grinste wölfisch.

"Dumm gelaufen, was G-man!"

"Geben Sie auf, Nunez!"

"Um auf den Stuhl zu kommen und bei lebendigem Leib gegrillt zu werden? Darauf kann ich verzichten!"

"Es ist aus!"

Er setzte mir den Lauf seiner Waffe an den Kopf.

"Fallenlassen!", zischte er.

Ich ließ die Waffe sinken.

Unsere Leute hatten indessen das zertrümmerte Fenster erreicht. Sie erstarrten.

"Ich habe Ihren Mann!", rief Nunez. "Wenn sich einer von euch rührt, dann hat er keinen Kopf mehr."

Der Lauf seines Revolvers drückte hart gegen meine Schläfe.

Nunez packte mich bei der Schulter und zog mich mit sich hinter die Tür ins Halbdunkel.

Wir waren außerhalb des Schussfeldes der FBI-Leute.

"Keine gute Wahl, einen G-man als Geisel zu nehmen", knurrte ich.

"Ich konnte nicht sonderlich wählerisch sein." Er kicherte wie irre. "Seltsam nicht? Eigentlich hättest du doch gerade schon ins Gras beißen sollen... Wenn du nur einen Schritt weiter nach vorne gekommen wärst..."

Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Es kam von der anderen Seite der Wohnung, auf der sich vermutlich ein Flur befand. Vermutlich arbeiteten sich einige unserer Leute von dort an den Ort des Geschehens heran. Hoffte ich.

"Gib auf!", zischte ich.

Er schwitzte. Angst flackerte in seinen Augen. Er wirkte wie ein in die Enge getriebenes wildes Tier.

"Nimm deine Handschellen vom Gürtel! Aber langsam."

Ich gehorchte.

"Gib sie mir!"

Ich gab sie ihm. Er nahm sie mit der Linken.

"Wie heißt du?", fragt er.

"Trevellian. Jesse Trevellian."

"Ich glaube, ich habe schon von dir gehört!"

"Schon möglich."

"Kannst du was für mich tun, G-man?"

"Ein Deal?"

Er nickte. "Ja."

"Dafür ist es reichlich spät, Nunez. Aber letztlich ist das Sache des Staatsanwalts."

"Und wenn ich euch einen ganz Großen ans Messer liefere?"

"Lass mal hören!"

"Ray Tarantino. Das ist doch eine der großen Nummern, hinter der ihr alle her seid. Ihr seid nur zu dumm, ihm wirklich etwas anzuhängen..."

"So?"

Geschwätz, dachte ich. Nichts als Geschwätz.

Er hatte wirklich Angst. Er sah, wie sich die Schlinge zuzog. Und ich wollte Zeit gewinnen. Meine eigenen Handschellen legte er jetzt mit der Linken um mein rechtes Handgelenk. "Jetzt den anderen Arm!", forderte er.

In dieser Sekunde ließ ich die Linke hervorschnellen. Mit einem gezielten wohl platzierten Hieb schlug ich ihm die Waffe zur Seite. Die darauffolgende Rechte traf ihn mitten ins Gesicht und schickte ihn auf die Bretter. Er taumelte rückwärts und stieß gegen die kahle Wand, von der der Putz blätterte. Schimmel fraß sich in den Stein hinein.

Nunez wollte die Waffe sofort hochreißen, aber ich war schnell genug bei ihm. Meine Hand klammerte sich um seinen Waffenarm und drückte ihn zur Seite. Ich schlug die Hand gegen die Wand, und die Waffe entfiel ihm. Im nächsten Moment bekam ich einen furchtbaren und ziemlich unerwarteten Hieb in die Magengrube. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich taumelte rückwärts und konnte dem nächsten Hieb nur notdürftig ausweichen.

Nunez hechtete zu der am Boden liegenden Waffe.

Er ergriff sie, riss sie herum.

Sein Finger spannte sich um den Abzug.

Er zielte auf meine Augen.

Und drückte ab.

Ich blickte direkt ins Mündungsfeuer, das in diesem Halbdunkel wie ein plötzlicher Blitz wirkte.

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Ein Ruck ging durch Nunez' Körper. Der Lauf seiner Waffe glitt nach oben, seine Augen waren starr. Der Stoff seines Hemds wurde blutrot. Nunez rührte sich nicht mehr. Es war ein glatter Herzschuss, der ihn erwischt hatte. Ich wandte mich herum.

Einer unserer Leute stand in der Tür und senkte die Waffe.

Es war Special Agent Mike Sutter, ein breitschultriger Mann um die fünfzig mit kurzen Haaren und sehr kantigem Gesicht.

Ich kannte ihn gut. Früher war er bei der City Police gewesen. Dort hatte er sich hochgearbeitet. Zeitweilig war er bei der Drogenfahndung, später wurde er von seinen Vorgesetzten für die FBI-Ausbildung vorgeschlagen.

Er schaute mich an.

"Alles in Ordnung, Jesse?"

Ich nickte.

"Ja, mit mir schon", murmelte ich.

Sutter atmete tief durch. Dann stecke er die Waffe ins Halfter zurück und ging auf den toten Killer zu. "Ich hatte keine andere Wahl", sagte er.

"Ich weiß", erwiderte ich. "Du hast mir das Leben gerettet, Mike!"

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"Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen, Agent Sutter", sagte später Jonathan D. McKee, der Chef des FBI-Districts New York, als wir in seinem Büro saßen.

Sutter zuckte die Schultern.

Milo war auch dabei. Ein Wundverband zierte seine Stirn.

Aber es sah viel schlimmer aus, als es war. Ein Glassplitter hatte ihn touchiert. Die Wunde war desinfiziert und genäht worden. Er würde allenfalls eine kaum sichtbare Narbe zurückbehalten. Er hatte Glück gehabt. Das Ding hätte buchstäblich auch ins Auge gehen können.

"Sie haben Gabriel Nunez in einer Notwehr-Situation erschossen", stellte Mister McKee klar. "Er ließ Ihnen keine andere Wahl..."

"Ich weiß", sagte Sutter. "Und trotzdem..."

McKee sah ihn an und nickte verständnisvoll.

"Ich denke, ich weiß, was Sie meinen."

"Jedenfalls habe ich beim letzten Mal eine ganze Weile gebraucht, um darüber hinwegzukommen."

"Du hast schon einmal jemanden erschossen, Mike?", fragte ich.

Er drehte sich zu mir herum. Bevor er sprach, führte er den Becher mit dem dampfenden Kaffee zum Mund. Mandy hatte ihn gekocht, Mister McKees Sekretärin. Ihr Kaffee war zwar nicht weltberühmt, aber diejenigen, die im Hauptquartier des FBI-Districts an der Federal Plaza ihren Dienst taten und schon einmal von diesem dunklen Gebräu gekostet hatten, waren begeistert.

Sutters Augen wurden schmal.

Seine Augen flackerten unruhig.

"Ist schon lange her, Jesse", sagte er dann. "Und ich habe eigentlich auch keine Lust darüber zu reden."

Ich hob die Hände.

"So war das nicht gemeint."

Sutter nickte.

Er wirkte sehr ernst. Nicht erst seit diesem Vorfall. So war er immer schon gewesen, solange ich ihn kannte. Er war einer, der sich von ganz unten hochgearbeitet hatte. Als Streifenbeamter des NYPD hatte er angefangen, hatte Kurse besucht, sich fortgebildet. Seine Vorgesetzten hatten ihn stets für Beförderungen und Zusatzausbildungen vorgeschlagen.

Sutter schien einer der Männer zu sein, die ihr Leben voll und ganz dem Kampf gegen das Verbrechen gewidmet hatten. Ein Eins-A-Cop. Wir waren froh, ihn bei uns zu haben. Ich persönlich hatte noch nicht so viel mit ihm zu tun gehabt.

Aber Medina und Caravaggio arbeiteten öfter mit ihm zusammen.

"Wollen Sie 'nen Tag Urlaub?", fragte McKee.

Sutter zuckte die Achseln. "Wäre vielleicht nicht schlecht"

"Aber grübeln Sie nicht zuviel, Mike."

"Keine Sorge." Er grinste. "Janice wird das schon verhindern."

"Na, dann..."

Ich nippte an meinem Kaffee.

Er war noch ziemlich heiß.

"Seltsam", sagte ich dann nachdenklich.

McKee sah mich aufmerksam an und machte einen Schritt auf mich zu. Ich saß in einem der Sessel, die in Mister McKees Büro standen und hatte die Beine übereinandergeschlagen.

"Worüber denken Sie nach, Jesse?", fragte er.

Ich blickte auf.

"Darüber, dass dieser Nunez mich kurz vor seinem Tod noch bereden wollte..."

"Bereden?" Das was Sutter. Er wirkte plötzlich sehr aufmerksam.

Ich nickte.

"Ja, er wollte einen Deal. Und ich sollte mich dafür einsetzen."

"Nun, es steht fest, dass Gabriel Nunez für die ganz Großen gemordet hat", stellte Mister McKee fest. "Allerdings war er immer sehr diskret, was seine Auftraggeber anging."

"Die dürften gerade diese Seite sehr an ihm geschätzt haben", mischte sich Milo Tucker ein.

"Er sprach von Ray Tarantino", sagte ich.

"Was?" McKee zog die Augenbrauen hoch.

Ich nickte.

"Ja, er wollte ihn ans Messer liefern, wie er sagte... Kurz zuvor hatte er bemerkt, dass sich offenbar auch von der anderen Seite der Wohnung unsere Leute heranpirschten. Er muss geahnt haben, dass selbst für einen eiskalten Haifisch wie ihn jetzt die Felle wegschwimmen..."

Hinter Tarantino waren wir schon lange her. Ihm gehörten einige Nobel-Discos und Nachtlokale, von denen wir vermuteten, dass es sich in Wahrheit um Umschlagplätze für Designer-Drogen handelte. Allerdings hatten diverse Razzien unserer Kollegen der DEA und verschiedener Sondereinheiten zur Drogenfahndung, die die einzelnen Polizeireviere unterhielten, zu keinem Ergebnis geführt.

Caravaggio, ein blondhaariger Italo-Amerikaner, stellte seinen leeren Pappbecher auf den Tisch.

"Würde mich nicht wundern, wenn dieser Nunez auch etwas mit dem Fall Gordon zu tun hätte."

Harry Gordon war Geschäftsführer in einer Tarantino-Discothek gewesen, bis er vor einer Woche in seinem Wagen erschossen wurde.

"Bis jetzt kann das niemand beweisen", meinte Sutter.

Caravaggio hob die Hand. "Aber das ändert sich vielleicht, wenn die Kollegen von der Scientific Research Division die Waffen unter die Lupe genommen haben, die sich in Nunez' Wohnung befanden..."

Während Clive Caravaggio redete, beobachtete ich Sutter.

Seine Augen flackerten immer noch unruhig. Ich fragte mich, was in ihm vorging.

Er stand auf.

Er strich sich mit der Hand über das Gesicht. Als er meinen Blick bemerkte, ging ein verkrampftes Lächeln über sein Gesicht. Irgendetwas machte ihn verlegen und ich fragte mich was es war.

"War ein harter Tag heute, was, Jesse?"

"Allerdings!"

"Wenigstens wird diese lebendige Kampfmaschine jetzt niemanden mehr umbringen können..."

"Ja."

Aber diese Kampfmaschine namens Nunez war lediglich ein Werkzeug, fügte ich in Gedanken hinzu. Eine Waffe in den Händen ganz anderer Leute, die im Hintergrund agierten...

Immer noch.

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Als Mike Sutter am nächsten Morgen neben sich griff, war die andere Betthälfte leer. Vage und etwas verschwommen tauchten die Erinnerungen an eine heiße Nacht in ihm auf, in der er ziemlich wenig geschlafen hatte. Janice war unersättlich gewesen. Und ihm hatte es geholfen, zu vergessen und den Kopf frei zu bekommen.

Sutter schlug die Decke zur Seite und stand auf. Er zog sich einen Morgenmantel über und ging gähnend aus dem Schlafzimmer.

Das Wohnzimmer war ultramodern eingerichtet. Alles war in schwarz und weiß gehalten. Tisch, Sitzecke, Schränke. Janice hatte die Sachen ausgesucht.

"Hallo, Darling", sagte sie mit ihrer säuselnden, sirenenhaften Stimme.

Sie stand da, vollkommen nackt. Ihr Lächeln war verführerisch. Sutter dachte an die vergangene Nacht.

"Hallo", sagte er.

"Du machst dir immer noch Gedanken", meinte sie, während sie sein Gesicht musterte.

"Mache ich nicht."

Sie lachte. "Du lügst, Mike. Und du weißt, dass das völlig sinnlos ist!"

"Ach, ja?"

"Weil ich Gedanken lesen kann. Zumindest deine!"

Mike Sutters Lächeln war dünn. Janice kam auf ihn zu. Ihre schweren Brüste wippten dabei aufreizend auf und nieder. Sie blieb vor ihm stehen, stemmte den schlanken Arm in die geschwungene Hüfte. Dann warf sie das dichte, dunkle Haar zurück.

"Dieser Kerl war es nicht wert!"

"Ich weiß."

"Aber..."

"Es ist seit damals so mit mir, Janice. Verstehst du?"

Sie kam noch etwas näher. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Ihre Brüste drängten sich an ihn. Sie küsste ihn voller Leidenschaft und schließlich zog er sie an sich.

Atemlos löste sie sich von ihm.

In ihren Augen blitzte es herausfordernd. Sie strich mit den Fingerkuppen über seine Schulter und sagte dann. "Ich geh unter die Dusche. Kommst du mit?"

Sutter nickte. "Ja."

Mit katzenhaften Bewegungen ging sie auf die Tür des Bades zu.

In diesem Moment klingelte es an der Wohnungstür.

"Einen Moment", murmelte Sutter an Janice gerichtet. Aber die war schon gar nicht mehr im Raum.

Sutter ging durch einen Flur zur Tür.