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IN DIESER AUSGABE

Editorial

Spaß und Motivation

Versunken im Augenblick

Ganz im gegenwärtigen Tun aufgehen und die guten Ideen einfach kommen lassen – das nennt man neudeutsch »Flow«. Über die Psychologie eines Zustands, der uns Flügel verleiht.

Von Corinna Peifer, Gina Wolters und Nora Hein

Interview

»Vom Wahrnehmen direkt zum Handeln«

Der Neurowissenschaftler Arne Dietrich erklärt, was beim Flow-Erleben im Gehirn geschieht und wie wir solche besonderen Momente fördern können.

Ich bin mit mir zufrieden!

Ein hohes Selbstwertgefühl emp- finden wir nicht nur als angenehm. Laut Persönlichkeitspsychologen hat es für die Betreffenden auch andere Vorteile – im Beruf ebenso wie in der Partnerschaft.

Von Eva Luciano und Ulrich Orth

Interview

»Lachen verrät unsere Gefühle«

Die britische Kognitions- forscherin Sophie Scott weiß, weshalb hinter unserem Hang zum Lachen viel mehr steckt als nur Witz und Humor.

Warum sich Neugier lohnt

»Sei nicht so neugierig!«, bekom- men Kinder häufig zu hören. Doch warum eigentlich? Fünf gute Gründe für mehr Forscher- drang im Alltag.

Von Klaus Wilhelm

Lust und Liebe

Interview

Die Lust auskosten

Liebe geht bekanntlich durch den Magen – und was noch? Für den Lustforscher Morten Kringelbach ist Essen gerade- zu eine Urform der Lebensfreude.

Knips dich glücklich

Oft hebt schon ein Urlaubs- schnappschuss unsere Laune.

Von Corinna Hartmann

Interview

»Es geht nicht darum, immer zu wollen«

Sex gilt vielen als Inbegriff der Lusterfüllung. Dieser hohe An- spruch verdirbt gerade Frauen häufig den Spaß, erklärt die Paar- therapeutin Kirsten von Sydow.

Gute Frage

Warum weinen wir vor Freude?

Der Psychologe Ad Vingerhoets hält Tränen für ein Zeichen von Ohnmacht.

Tu mir weh!

Nicht erst seit dem Bestseller »Fifty Shades of Grey« ist klar: Einigen Menschen bereitet dosierter Schmerz Lust. Müssen wir überdenken, was »normale Sexualität« ist?

Von Theodor Schaarschmidt

Glück und Erfolg

Eine Formel für Glückspilze

Dem Wink des Schicksals kann man nachhelfen, glauben Serendipitätsforscher.

Von Steve Ayan

Interview

»Wir finden oft, was wir nicht suchen«

Kennen Sie »Super-Encounterer«? Diese Geister besitzen die verblüffende Gabe, ihrem Glück auf die Sprünge zu helfen, sagt die Informationswissenschaftlerin Sanda Erdelez.

Geld oder and Glück

Warum wir Reichtum überschätzen und besser auf Erlebnisse statt auf Materielles Wert legen sollten.

Von Miriam Berger

Glück lass nach!

Mancher will sich lieber nicht zu gut fühlen. Aus Sorge, er könnte es nicht verdient haben.

Von Hanna Drimalla

Gute Frage

Warum wollen wir niedliche Wesen kneifen?

Laut der Emotionsexpertin Oriana Aragón zügeln wir auf diese Weise unsere Euphorie.

Sinn und Erfüllung

Sinn schlägt Glück

Ein bisschen Spaß muss schon sein für ein glückliches Leben. Aber seine Wirkung verpufft meist schnell. Wer dauerhaft zufrieden sein will, sollte seinen Fokus eher auf anderes legen – nämlich darauf, was wirklich zählt.

Von Joachim Retzbach

Balsam für Körper und Geist

Wer seine Existenz als kohärent und stimmig empfindet, ist im Schnitt gesünder. Das belegen zahlreiche Studien. Die spannende Frage lautet: Wieso wirkt Sinn eigentlich lebens- verlängernd?

Von Patricia Thivissen

Hilf anderen – das hilft dir selbst!

Leben Sie, um zu arbeiten, oder arbeiten Sie, um zu leben? Zu keinem von beiden raten Zufriedenheitsfor- scher. Vielmehr sei die Arbeit um der Arbeit willen ein hohes Gut – ehren- amtliches Engagement zum Beispiel.

Von Eva Selenko

Bücher

Lob der Leere

Von der schwierigen Kunst abzuschalten

Unter Strom

Die erschöpfende Suche nach intensiven Erfahrungen

Gewusst wie

Ein etwas anderer Glücks- leitfaden

Werden, wer man noch sein kann

Wie können wir unsere ver- bleibende Lebenszeit bewusster gestalten?

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EDITORIAL

Ein Glück kommt selten allein

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Steve Ayan
Redakteur
ayan@spektrum.de

Einen rauschhaften Glücksmoment erlebte ich vor Jahren beim Abhören des Anrufbeantworters. Zwei Wochen zuvor war ich auf einer langen, beschwerlichen Wanderung in Südfrankreich durch ein Zedernwäldchen gekommen, in dem ein ohrenbetäubender Lärm herrschte. Tausende von Zikaden zirpten um die Wette. Ich zückte das Handy, rief zu Hause an, und da niemand abhob, nahm ich einige Sekunden des Konzerts auf Band auf.

Bei meiner Rückkehr in Deutschland hatte ich die Aufnahme längst vergessen. Umso verzückter war ich, als der gleiche flirrende Zikadenchor auf einmal im Wohnzimmer erscholl. Und mir wurde klar: Wie du da in dem Wäldchen standest, durstig und verschwitzt und ehrfürchtig lauschend – da warst du glücklich.

Glück empfindet man eigentlich immer zweimal: zuerst im Moment des Erlebens und dann, teils lange Zeit später, wenn es einem bewusst wird. In der Tatsache, dass glücklich sein und es realisieren auseinanderfallen, liegt zugleich eine bittersüße Ironie. Wir lechzen nach guten Momenten und merken erst hinterher, wann sie sich einstellten.

Dieses Heft präsentiert, was Forscher über Lust, Glück und Sinn herausfanden. Die hier versammelten Beiträge aus »Gehirn&Geist« zeichnen ein facettenreiches Bild: angefangen bei der Frage, wie unser Gehirn in den »Flow« kommt (S. 6), über die ganz handgreiflichen Lüste des Alltags wie Lachen (S. 22), Essen (S. 32) oder Sex (S. 40) – bis hin zu der Kunst, dem Zufall auf die Sprünge zu helfen (S. 56) oder Erfüllung im Leben zu finden (S. 80). Die Wissenschaft der Dinge, die uns antreiben, brachte ein Fülle von Erkenntnissen hervor. Manche davon können helfen, unser eigenes Glück besser zu fassen. Denn oft braucht man es nicht erst zu suchen oder zu erschaffen, sondern muss nur bemerken, dass man es längst gefunden hat.

Viel Freude beim Entdecken des Heftes wünscht Ihr

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SPASS UND MOTIVATION

Versunken im Augenblick

FLOW Jeder kennt das gute Gefühl, wenn ihn das eigene Tun komplett einnimmt. Laut Psychologen können wir sogar einiges dazu beitragen, dass sich solche produktiven Momente öfter einstellen.

VON CORINNA PEIFER , GINA WOLTERS UND NORA HEIN

UNSERE EXPERTINNEN

Corinna Peifer ist Psychologin und Juniorprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum. Dort leitet sie die Arbeitsgruppe »Angewandte Psychologie in Arbeit, Gesundheit und Entwicklung«, in der auch Gina Wolters und Nora Hein forschen.

Auf einen Blick:
Mit Schub zum Höhenflug

1 Menschen, die bei der Arbeit oder in ihrer Freizeit Flow-Zustände erleben, vergessen die Zeit, sich selbst und alles um sich herum.

2 Forschungen zufolge geht dies mit moderat erhöhten Cortisolwerten im Blut einher. Anders als Stress fühlen sich Flow-Momente jedoch gut an und fördern das Wohlbefinden.

3 Flow steigert zudem die Leistungsfähigkeit. Um davon zu profitieren, sollte man unter anderem auf leichte körperliche Aktivierung, die passende Gestaltung der Aufgabe und regelmäßige Pausen achten.

Meine Gedanken sind klar und fokussiert. Ich bin ganz im Hier und Jetzt, versunken in dem, was ich gerade tue. Ich fühle mich gut. Die Welt da draußen ist weit weg. Ich nehme mich und meine Sorgen kaum wahr. Mit solchen Aussagen von Sportlern, Künstlern und Wissenschaftlern beschrieb der Psychologe Mihály Csíkszentmihályi bereits 1975 jene besonderen Momente, in denen Menschen ganz in ihrem Tun aufgehen und alles um sich herum vergessen. Der amerikanisch-ungarische Forscher, der viele Jahre lang an der University of Chicago arbeitete, gab diesem erfüllenden Zustand den Namen »Flow«.

Seither lieferte die psychologische Forschung viele Belege dafür, dass das Flow-Erleben meist nicht nur als unmittelbar belohnend empfunden wird. Es kann, wenn es sich regelmäßig einstellt, auch das allgemeine Wohlbefinden, die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit sowie die Lebenszufriedenheit steigern. Was läge da näher, als nach Wegen zu suchen, um derartige Momente im Alltag zu fördern?

Jeder kennt Flow-Zustände, ob in der Freizeit oder bei der Arbeit, beim Joggen und Spielen, beim Musizieren und Basteln sowie bei herausfordernden Aufgaben im Beruf. Wer »in den Flow kommt«, ist dabei oft zu außergewöhnlichen Leistungen fähig. Woran liegt das?

Eine erste Antwort darauf lautet: Flow fühlt sich einfach gut an! Was uns selbstvergessene Momente beschert, das empfinden wir als schön – folglich suchen wir solche Gelegenheiten vermehrt und verbessern dadurch unser Können. Wie die Psychologen Stefan Engeser und Falko Rheinberg in einer 2008 erschienenen Untersuchung zeigten, schnitten Studierende, die beim Statistik-Pauken in den Flow kamen, bei der Abschlussprüfung besser ab. Offenbar half es ihnen, für die Klausur zu lernen, wenn sich dabei solche besonderen Augenblicke einstellten.

Zu einem ähnlichen Resultat kamen im folgenden Jahr Julia Schüler und Sibylle Brunner, damals an der Universität Zürich, in einer Studie mit Marathonläufern. Je öfter die 65 befragten Hobbysportler Flow-Momente im Training erlebten, desto schneller liefen sie die rund 42 Kilometer lange Strecke. Laut den Forscherinnen befeuerte der Flow den Trainingseifer der Läufer, so dass sie letztlich besser präpariert an den Start gingen. Das Flow-Erleben während des Wettkampfs beeinflusste die Laufzeit dagegen nicht.

Neben dem Motivationseffekt gibt es aber noch einen weiteren Grund, weshalb Flow leistungssteigernd wirkt. Laut den Psychologen Anne Landhäußer und Johannes Keller von der Universität Ulm gründet dies mindestens zum Teil auf einer besonderen Form der Informationsverarbeitung, die einem Tunnelblick gleicht. Im Flow sind wir hoch konzentriert, registrieren Details deutlicher als sonst und blenden andere Dinge wie unser körperliches Befinden oder Sorgen und Nöte eher aus. Auch nehmen wir das Vergehen der Zeit kaum wahr.

Dazu passen die Befunde unserer eigenen Arbeitsgruppe, wonach Flow-Erleben mit einem moderaten Anstieg des Cortisolspiegels einhergeht. Dieses Hormon wird vor allem bei Stress von der Nebennierenrinde in die Blutbahn ausgeschüttet, um dem Organismus zusätzliche Energie etwa in Form von Glukose bereitzustellen. Durch die Aktivierung bestimmter Rezeptoren im Gehirn steigert Cortisol unsere Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft. Gleichzeitig erleichtert der Botenstoff das Ausblenden nebensächlicher Informationen. Der Tunnelblick sorgt ebenfalls dafür, dass wir mit grö-ßerer Ausdauer bei der Sache bleiben.

Ist Flow also im Grunde eine Form von Stress? Jein! Zwar sind wir in diesem Zustand durchaus körperlich und geistig beansprucht und er verbraucht Energie, weshalb wir auch nicht permanent darin verharren können. Allerdings ist die Erregung niedriger als bei negativem Stress. Außerdem ist das subjektive Kontrollerleben beim Flow allgemein hoch. Alles geht leicht von der Hand, wir haben unser Tun vollkommen im Griff – ganz anders als etwa beim chaotischen Treiben im Büro, wenn immer neue, unvorhersehbare Aufgaben über uns hereinbrechen.

Vermutlich ist das starke Kontrollerleben auch einer der Gründe dafür, weshalb Flow-Momente sich gut anfühlen und auf die allgemeine Lebenszufriedenheit ausstrahlen. Wie ein Team um den Psychologen Clive Fullagar von der Kansas State University (USA) 2009 berichtete, sind Menschen, die vermehrt Flow erleben, in der Folge positiver gestimmt. Niederländische Forscher um Evangelia Demerouti zeigten 2012, dass Flow bei der Arbeit sogar eine akti vere Freizeitgestaltung nach Feierabend fördern kann. Dieser Effekt trat jedoch nur dann auf, wenn die Befragten gut von ihrem Job »abschalten« konnten. Am günstigsten erscheint also eine Kombination aus Flow im Beruf und Entspannung danach.

Die Steigerung des generellen Wohlbefindens hält der Psychologe Giovanni Moneta von der London Metro politan University für das Ergebnis eines Übungseffekts. Regelmäßiger Flow lässt uns neue, schwierige Herausforderungen engagierter angehen und erhöht die Chance, dass wir sie meistern. Die persönliche Weiterentwicklung, die damit verbunden ist, erleben wir als sehr befriedigend.

Dies erscheint umso wichtiger, wenn man bedenkt, als wie belastend viele das Arbeitsleben in der globalisierten Gesellschaft empfinden. Immer mehr Menschen leiden unter stressbedingten Erkrankungen, weshalb die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Stress zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärte. Die Flow-Forschung liefert verschiedene Ansatzpunkte dafür, wie wir unsere Arbeit gesünder und förderlicher gestalten können: Sie betreffen unter anderem die jeweilige Aufgabe selbst, die verfügbaren Ressourcen sowie das richtige Maß an körperlicher Aktivierung.

Die Balance zwischen Sollen und Können

Zunächst einmal ist es wichtig, dass die betreffende Aufgabe weder zu leicht noch zu schwer ist. Übersteigen die Anforderungen unsere Fähigkeiten, fühlen wir uns rasch gestresst; sind wir dagegen zu weit mehr in der Lage, als verlangt wird, langweilen wir uns. Es kommt also auf die passende Balance zwischen Sollen und Können an. Flow stellt sich vor allem dann ein, wenn sowohl die eigenen Fähigkeiten als auch die aktuellen Anforderungen hoch sind. Der Motivationsforscher Falko Rheinberg nennt das den Expertise-Effekt: Ein geübter Pianist oder eine erfahrene Lehrerin kommen eher in den Genuss selbstvergessenen Tuns als etwa ein Klavierschüler oder ein Referendar. Wie der Pädagoge Dirk Weimar 2005 in einer Feldstudie an Schulen bestätigte, lösen gerade herausfordernde Unterrichtssituationen bei Lehrern Flow-Zustände aus.

In diesem Zusammenhang ist noch ein Aspekt wichtig: Die Balance zwischen Können und Tun ist nicht starr, sondern verändert sich laufend, indem wir mehr Erfahrung und Wissen sammeln. Zudem konnten die Psychologin Nicola Baumann und ihr Team von der Universität Trier zeigen, dass die aktuelle Anforderung die Fähigkeiten durchaus etwas übersteigen sollte, solange sie sich mit Erholungsphasen abwechselt. Sich realistischen Herausforderungen – aber eben Herausforderungen – zu stellen und zwischendurch immer mal wieder kurz zu verschnaufen, bietet demnach die beste Gewähr für nachhaltiges Flow-Erleben.

Zu den weiteren förderlichen Faktoren zählte bereits Mihály Csíkszentmihályi vor gut 40 Jahren klar definierte Ziele und Feedback. Klare Ziele sorgen dafür, dass wir unser Abschneiden an etwas festmachen und entsprechend würdigen können. Nur dann erhalten wir auch ein hilfreiches Feedback darüber, wie gut wir das Ziel erreicht haben – was wiederum das Gefühl der Kontrolle stärkt. Praktisch gesprochen heißt das: Statt etwa den großen Projektabschluss in drei Monaten anzupeilen, sollte man beispielsweise Tagesoder Wochenziele definieren. So bleibt man leichter auf Tuchfühlung mit dem eigenen Fortschritt.

Zudem helfen abwechslungsreiche Aufgaben mit Handlungsspielräumen dem Flow auf die Sprünge. Nehmen wir einen Büroangestellten, der die immer gleichen Arbeitsschritte in einem vorgegebenen Rhythmus ausführt. Der Betreffende fände eher in den Flow, wenn er verschiedene Tätigkeiten in selbst gewählter Abfolge erledigen könnte. In den meisten Berufen lassen sich die eigenen Aufgaben zu einem gewissen Grad durchaus mitgestalten.

Evangelia Demerouti von der Technischen Universität Eindhoven wies in einer 2006 veröffentlichten Studie auf einen weiteren Flow-Faktor hin: die subjektiv empfundene Bedeutung der Aufgabe. Wer sich den Sinn und Zweck seines Tuns vor Augen führt, erhöht damit die Chance, Flow zu erleben. Wie das Wort »subjektiv« schon andeutet, geht es hier um eine individu elle Bewertung. Eine Reinigungskraft im Krankenhaus kann sich zum Beispiel bewusst machen, wie wichtig Hygiene für die Genesung der Patienten ist.

10 Tipps für mehr Flow

1 Suchen Sie sich Anforderungen, die Ihren Fähigkeiten entsprechen.

2 Legen Sie bei herausfordernden Tätigkeiten immer wieder Pausen ein.

3 Setzen Sie sich klare, erreichbare Ziele, und holen Sie sich regelmäßig Feedback.

4 Schaffen Sie Handlungsspielräume, etwa indem Sie selbst entscheiden, wann und wie Sie eine Aufgabe erledigen.

5 Machen Sie sich die Bedeutung Ihrer Aufgaben bewusst.

6 Holen Sie sich bei schwierigen Problemen Unterstützung von anderen.

7 Bearbeiten Sie wichtige Aufgaben morgens, zirka eine Stunde nach dem Aufstehen.

8 Aktivieren Sie sich mit leichter Bewegung, etwa einem Spaziergang.

9 Wenn Sie gestresst sind, atmen Sie langsam aus oder machen Sie eine Entspannungsübung.

10 Sorgen Sie für Entspannung am Abend, um effektiv abzuschalten.

Zudem erkannte Demerouti in der Unterstützung durch andere eine wichtige Ressource: Freunde, Verwandte, Kollegen und Vorgesetzte. Sie alle können uns helfen, vor anspruchsvollen Aufgaben nicht zu verzagen, sondern sie als Chance zu betrachten. Ob der Chef einen coacht, die Kollegen Schützenhilfe leisten oder Freunde emotionalen Halt geben – schon zu wissen, dass uns jemand unterstützt, stärkt das Gefühl, die jeweilige Sache im Griff zu haben. Was wiederum den Flow fördert.

Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Flow ansteckend ist. So beobachtete ein Team um den Psychologen Arnold Bakker, dass der Grad der Hingabe von Musiklehrern auf ihre Schüler abfärbte: Von je mehr Flow die

Nur wer auch mal Pause macht, kann vom Flow dauerhaft profitieren

Pädagogen selbst beim Musizieren berichteten, desto eher war dies auch bei den jungen Musikussen der Fall.

Last but not least trägt offenbar auch eine Portion körperliche Aktivierung dazu bei, dass wir Flow-Zustände erleben. Bereits in Mihály Csíkszentmihályis erster Beschreibung des Flows ging es um das Klettern am Fels – eine Sportart, die bekanntlich mit einem gewissen Risiko und entsprechender Aufregung verbunden ist. Falko Rheinberg beschrieb ein verstärktes Flow-Erleben unter anderem bei Graffitisprayern, denen ihr illegales Treiben einen Nervenkitzel verschaffte. Gemeinsame Nenner solcher emotionalen Aufreger sind die vermehrte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und die Aktivität des sympathischen Nervensystems (siehe »Was bei Stress und Angst im Körper passiert«, S. 12). Lässt sich mit ihrer Hilfe dem Flow womöglich ein Weg bahnen?

Dieser Frage widmeten Corinna Peifer und ihr Team 2014, damals an der Universität Trier, eine eigene Studie. Die Probanden absolvierten zunächst einen Stresstest, bei dem sie ähnlich wie bei einem Bewerbungsgespräch sich selbst präsentieren und kritische Nachfragen beantworten mussten. Wer nach diesem Aufreger mäßig erhöhte Cortisolwerte und Sympathikusaktivität aufwies, kam bei einem anschließenden Computerspiel eher in den Flow als Teilnehmer mit nur geringer oder sehr starker Erregung. Die Studie ergab außerdem, dass sich eine gleichzeitig erhöhte Aktivierung des Parasympathikus ebenfalls förderlich auf das Flow-Erleben auswirkt. Der Parasympathikus sorgt im Körper für Entspannung – er stellt somit einen Gegenspieler des Sympathikus dar. Wie man heute allerdings weiß, können beide Systeme bis zu einem gewissen Grad auch parallel aktiv sein. Offenbar spielt dies gerade beim Bewältigen herausfordernder Aufgaben eine Rolle.

Dass parasympathische Aktivität mit Flow-Erleben zusammenhängt, unterstreicht abermals die Verbindung mit dem Wohlbefinden, das ebenfalls eng mit dem Parasympathikus verknüpft ist. Dies zeigten Bethany Kok und Barbara Fredrickson, damals an der University of Northern Carolina, im Jahr 2010. Sie bestimmten zunächst bei 73 Probanden ein physiologisches Maß dafür, wie sensibel die Herzfrequenz auf eine veränderte Atmung anspricht – ein Indikator für parasympathische Flexibilität. Verlangsamen wir unsere Atemzüge oder halten einige Sekunden die Luft an, schlägt unser Herz langsamer; umgekehrt erhöht Keuchen (»Hyperventilieren«) den Puls. Da die Verbindung zwischen Atmung und Herzschlag über den Nervus vagus vermittelt wird, bezeichnen Mediziner den besagten Kennwert als Vagus tonus. Er beschreibt die Fähigkeit, sich nach Belastung rasch wieder auf Normalniveau einzupendeln.

Wie Kok und Fredrickson nun durch detaillierte, neunwöchige Protokolle des Wohlbefindens und der Aktivitäten ihrer Studienteilnehmer herausfanden, hängt ein ausgeprägter Vagustonus – sprich: ein besonders anpassungsfähiger Parasympathikus – statistisch eng mit positiven Gefühlen zusammen. Eine gleichzeitige Aktivierung von Parasympathikus und Sympathikus hilft uns in herausfordernden Situationen dabei, die »goldene Mitte« zwischen Anspannung und Relaxtheit zu erreichen und somit besser in den Flow zu kommen.

Dass ein Zuviel an Stresshormonen umgekehrt tatsächlich hinderlich für den Flow ist, zeigten Peifer und ihre Kollegen in einem anderen Experiment. Sie verabreichten Probanden vor einem Computertest 20 Milligramm Hydrocortison. Dies führt zu erhöhten Cortisolwerten im Blut, wie sie sonst nur bei starkem Stress auftreten, zum Beispiel nach einem Fallschirmsprung. Die Studienteilnehmer wussten dabei allerdings nicht, ob sie tatsächlich das Hormonpräparat oder lediglich ein Placebo erhielten. Schon diese rein körperliche, von den Probanden unbemerkte Manipulation veränderte die Flow-Wahrscheinlichkeit: Sie fiel bei deutlich erhöhten Cortisolwerten geringer aus als bei den Personen aus der Placebogruppe.

Was lernen wir daraus? Typisch für Flow ist ein gesundes Maß an körperlicher Aktivierung. Sowohl leicht erhöhte Cortisolwerte und Sympathikusaktivität wie auch das Ankurbeln des Parasympathikus scheinen ihn zu fördern. Um den Sympathikus anzuregen, eignen sich etwa ein Spaziergang oder leichte Gymnastik; der Parasympathikus hingegen lässt sich am besten über die Atmung steuern. Bei Stress hilft es daher, mehrmals tief ein- und auszuatmen. Meditation oder autogenes Training erhöhen ebenfalls die parasympathische Aktivität. Nimmt sie dagegen überhand, etwa nach einer deftigen Mahlzeit, fallen wir in ein Tief. Essen Sie in den Arbeitspausen also nicht zu reichlich, und gehen Sie ein wenig spazieren! Und weil der natürliche Cortisolspiegel am Morgen zirka eine Stunde nach dem Aufstehen am höchsten ist, bearbeitet man am besten um diese Zeit Aufgaben, bei denen sich der Flow einstellen soll. Bei alldem sollte man nicht vergessen: Flow fördert zwar das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit, dennoch ist er ein Zustand erhöhter Erregung. Und so gilt: Die Dosis macht das Gift! Nur wer auch einmal Pause macht, kann vom Flow dauerhaft profitieren. ★

Die Flow-Kurzskala

Um zu bestimmen, wie stark jemand bei seinem Tun in den Flow kommt, setzen Forscher zum Beispiel einen Fragebogen namens Flow-Kurzskala (FKS) ein. Er wurde von den Psychologen Falko Rheinberg, Regina Vollmeyer und Stefan Engeser entwickelt und besteht aus zehn Aussagen zu einer aktuellen Tätigkeit, denen je ein Wert zwischen 1 (»trifft nicht zu«) und 7 (»trifft zu«) zugeordnet wird. »Ich war ganz absorbiert von dem, was ich tat« und »Ich hatte überhaupt keine Probleme, mich zu konzentrieren« sind zwei Beispielsätze aus der FKS.

Näheres unter: www.psych.uni-potsdam.de/people/rheinberg/messverfahren/index-d.html

Was bei Stress und Angst im Körper passiert

Psychische Belastungen lösen im Organismus die so genannte Kampfoder Flucht-Reaktion (»fight or flight«) aus – der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt. Das ist ablesbar an einer Reihe physiologischer Reaktionen wie der Weitung der Pupillen, beschleunigter Puls- und Atemfrequenz sowie Schwitzen. Zudem schüttet die Nebennierenrinde vermehrt Cortisol ins Blut aus. Dieses Hormon hilft, die Aufmerksamkeit länger aufrechtzuerhalten und nebensächliche Informationen auszublenden.

Solche Anpassungen an akuten Stress werden unwillkürlich, also ohne bewussten Entschluss, vom autonomen Nervensystem (ANS) gesteuert, genauer gesagt vom Sympathikus. Sein Gegenspieler, der Parasympathikus, sorgt nach dem Stress für Entspannung. Lange Zeit glaubten Forscher, die Aktivität des Sympathikus gehe stets mit einem gedämpften Para-sympathikus einher und umgekehrt. Inzwischen weiß man jedoch, dass beide Systeme in gewissem Maß auch gleichzei-tig (»synergetisch«) aktiv sein können – was insbesondere die Bewältigung hoher Anforderungen unterstützt.

QUELLEN

Demerouti, E. et al.: Work-Related Flow and Energy at Work and at Home: A Study on the Role of Daily Recovery. In: Journal of Organizational Behavior 33, S. 276–295, 2012

Peifer, C. et al.: Cortisol Effects on Flow-Experience. In: Psychopharmacology 232, S. 1165–1173, 2015

Peifer, C. et al.: The Relation of Flow-Experience and Physiological Arousal under Stress – Can U Shape it? In: Journal of Experimental Social Psychology 53, S. 62–69, 2014

Mehr Literaturhinweise im Internet: www.spektrum.de/artikel/1437609

SPASS UND MOTIVATION

»Vom Wahrnehmen direkt zum Handeln «

GEHIRN IM FLOW Besondere Bewusstseinszustände sind ein Lieblingsthema des Neurowissenschaftlers Arne Dietrich.
Ihm zufolge erleben wir ein Flow-Gefühl, wann immer die wichtigste Kontrollinstanz im Kopf die Zügel schleifen lässt.

ARNE DIETRICH

wurde 1968 in Hamburg geboren. Er studierte Psychologie und kognitive Neurowissenschaften an der Univer sity of Georgia in Atlanta (USA), wo er 1996 auch promovierte. Seit 2004 ist er Professor für Psychologie an der American University of Beirut (Libanon). Im Bild entspannt Dietrich während einer Indienreise auf dem Ganges nahe Allahabad.

Herr Professor Dietrich, was passiert bei Flow-Zuständen im Gehirn?

Das lässt sich nicht so einfach beantworten, weil man es mit neurowissenschaftlichen Methoden nur schlecht untersuchen kann. Erstens ist es extrem schwierig, Menschen im Labor gezielt in Flow-Zustände zu versetzen. Und zweitens erleben wir diese ja nur dann, wenn wir aktiv sind, uns einer bestimmten Tätigkeit hingeben. Beim Neuroimaging aber dürfen sich die Probanden im Hirnscanner so gut wie gar nicht bewegen. Schon ein Wackeln von wenigen Millimetern verdirbt die Messung des BOLD-Signals, anhand dessen man Rückschlüsse auf die Hirnaktivität zieht. Man kann jedoch einiges darüber sagen, was nach allem, was wir wissen, höchstwahrscheinlich bei Flow im Gehirn passiert. Zu den Kennzeichen solcher Zustände zählen ja das mentale Versinken im eigenen Tun, das Gefühl, dass einem alles mühelos von der Hand geht, sowie das Ausblenden der Zeit und der Umgebung. All das setzt voraus, dass Teile des Frontalhirns ihre Aktivität zeitweise vermindern. In der Fachsprache wird das »transiente Hypofrontalität« genannt.

Aber ist das Frontalhirn nicht gerade für die Handlungssteuerung wichtig?

Ja, allerdings nur, wenn wir bewusste Kontrolle über unser Tun ausüben. Um das zu erläutern, muss ich ein bisschen ausholen. Unser Gehirn verfügt grob über zwei verschiedene Modi, Wissen und Fähigkeiten zu speichern und abzurufen: ein explizites und ein implizites System. Manche nennen diese beiden auch »bewusst« versus »unbewusst« oder »deklarativ« versus »nicht deklarativ«; aber ich finde explizit/implizit treffender. Ersteres basiert auf formulierbaren Regeln und erfordert unsere bewusste Aufmerksamkeit, zum Beispiel, wenn wir Schachspielen lernen oder die ersten Fahrstunden nehmen. Implizit hingegen agieren wir, wenn wir Dinge tun, ohne darauf zu achten: Das passiert beim Wissenserwerb – durch automatisches Learning by Doing etwa –, vor allem aber beim Abruf gelernten Wissens. Mit zunehmender Übung gehen die meisten Fertigkeiten nämlich vom expliziten in den impliziten Modus über. Im Flow-Zustand übernimmt, kurz gesagt, das implizite System die Regie. Hierfür muss das explizite gleichzeitig herunterfahren. Dann haben wir subjektiv den Eindruck, wir würden alles um uns herum vergessen und mit unserem Tun verschmelzen.

Und was heißt das auf neuronaler Ebene?