Robert Menasse

Permanente Revolution
der Begriffe

Vorträge zur Kritik
der Abklärung

Suhrkamp

Inhalt

Arbeit

1. Vortrag: Arbeit, Freiheit und Wahn

Religion

2. Vortrag: Landnahme und Erlösung.
Die Kapitalismusreligion

Europa

3. Vortrag: EUtopia

Demokratie

4. Vortrag: Die Durchflutung aller Lebensbereiche
mit Demokratie, die versickert

Öffentlichkeit

5. Vortrag: Strukturwandel der Innerlichkeit
der Öffentlichkeit

Kultur

6. Vortrag: Kultur und Barbarei oder
Wovon wir reden und nicht reden, wenn wir von Kultur reden

Sucht

7. Vortrag: (Kunst und) Sucht

Kritik

8. Vortrag: Kritik der Sonntagsrede

Arbeit, Freiheit und Wahn

Sehr geehrte Damen und Herren!

Arbeit ist ein Verhängnis.

Diesen ersten Satz, der noch nicht unbedingt etwas bedeuten muss, brauchte ich aus zwei Gründen: erstens, weil man immer einen ersten Satz braucht, und zweitens, weil ich seit Stunden einen zweiten Satz habe, der aber leider nicht als erster Satz taugt. Ich brauchte also nicht nur wie immer einen ersten Satz, was schon kompliziert genug ist, sondern einen, der zu einem ganz bestimmten zweiten Satz hinführt. Nun führt allerdings jeder erste Satz zum zweiten Satz, zumindest erscheint uns das im Normalfall so, aber ich glaube mit einigem Recht vermuten zu dürfen, dass Sie sich noch nie mit der Frage auseinandergesetzt haben, was es bedeutet, die Arbeitslogik auf den Kopf stellen zu müssen: also einen ersten Satz zu finden, der dem zweiten so entspringt, dass er ihm vorangestellt werden kann, auf eine Weise, dass Sie dann glauben, dass es der zweite ist, der logisch dem ersten entspringt.

Ich habe – wie gesagt – Stunden damit zugebracht, Arbeitsstunden, nach denen ich aber kein Arbeitsprodukt vorweisen konnte.

Ist das korrekt? Kann man all die Stunden als Arbeitsstunden bezeichnen, in denen nicht einmal das Produkt »erster Satz« hergestellt wurde? Man kann diese Stunden zweifellos im vordergründigen Sinne meines ersten Satzes als »Verhängnis« bezeichnen, aber nicht als Arbeit. Warum? Nicht deshalb, weil nichts produziert wurde, sondern deshalb, weil man diese Stunden nicht einrechnen kann in die Zeit, die es im gesellschaftlichen Durchschnitt braucht, einen Satz zu schreiben oder schreiben zu lassen, der einigermaßen im Kontext von Ort, Zeit und Anlass funktioniert. Kein Mensch, der eine wichtige und richtige Arbeit hat, kann es sich leisten, einen halben Tag mit nichts anderem zuzubringen als damit, keinen ersten Satz zu schreiben, nur deshalb, weil er eingeladen wurde, »ein paar Worte zu sagen«.

Aus diesem Grund gilt in der Arbeitstheorie nicht die Zeit, die man für eine Arbeit benötigt hat, sondern nur die dafür »gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit« als Arbeitszeit. Was natürlich heißt, dass die vielen Stunden, die ich nun gearbeitet habe, ohne dass sie gesellschaftlich notwendig waren, keine Arbeit darstellen. Wenn dieser Text im Netz erscheint, werden spätestens jetzt, also nur wenige Minuten nach Beginn der Lektüre, die ersten Poster erste Posting-Sätze mit einer Leichtigkeit, die sich von selbst versteht, schreiben können, etwa »Richtig: Menasse gesellschaftlich nicht notwendig!« und dergleichen. Und sie werden in ihrem glücklichen Hohn natürlich nicht begreifen, dass sie sich selbst dabei verhöhnen, weil sie damit hinausposten in die Welt, dass sie selbst nur ihre eigene verblödende Fronarbeit in braver Unterwürfigkeit unter die Marktgesetze für gesellschaftlich notwendig halten, also ihre Unfreiheit, und dass sie, wie schon oft beschrieben, aber von ihnen nicht gelesen, die freiwillige Zustimmung zu ihrer Unfreiheit mit Freiheit verwechseln. Oder es wird ein katholischer Pater aus einem berühmten österreichischen Stift, also ein Prediger der Liebesreligion, wieder einmal einen hasserfüllten Leserbrief schreiben, weil ich seine Schäfchen verwirre, statt sie, so wie er, zu scheren. Oder es wird ein berühmter Anwalt mit einer noblen Anwaltsadresse in Wien seine Sekretärin zum Diktat rufen und ohne Umschweife in wenigen Sekunden, die Fingerkuppen seiner Hände bedächtig aneinandergelegt, die Formulierung finden, dass er sich in der von ihm abonnierten Zeitung Artikel von mir verbiete, und die Sekretärin wird das tippen, ohne seine unfreiwillig komische Formulierung (»sich« kann er ja »verbieten«, was er will, ohne einen Leserbrief zu schreiben) zu korrigieren, weil er hat es so gesagt und dann hat er es auch unterschrieben, er hat ja sehr viel zu unterschreiben, der Herr Doktor, er ist ja geradezu ein Unterschriftsteller. Es werden also nur wegen meiner vielen Stunden des Nicht-Schreibens viele Sätze produziert werden – und auch hier: weit und breit niemand, der gearbeitet hat. Mit einer einzigen Ausnahme. Die Sekretärin. Sie ist die einzige in diesem Feld, in dem wir uns jetzt bewegen, von der wir ohne Zweifel sagen können, dass sie, als sie schrieb, gearbeitet hat. Und dann geht sie nach Hause, und ihr Mann oder ihre Freundin fragt sie, wie ihr Tag gewesen sei, und sie sagt: Scheiße! Was ein Indiz dafür wäre, dass das Denken, wenn überhaupt, tatsächlich erst nach der Arbeit einsetzt.

Oder aber das Denken ist vor der Arbeit oder statt der Arbeit möglich – wie eben in meinem Fall: Ich habe jetzt also doch einen ersten Satz geschrieben, ich habe den bereits angekündigten zweiten Satz vorbereitet, dabei habe ich, wie wir gesehen haben, nicht gearbeitet (nicht im Sinn des Begriffs »Arbeit«), aber ich habe mir schon einiges dabei gedacht. Und zwar so, dass der nun folgende zweite Satz nicht nur gut abgeleitet, sondern gleich auch formal und inhaltlich bestätigt ist. Er lautet: »Noch das äußerste Bewusstsein vom Verhängnis droht zum Geschwätz zu entarten.«

Was könnte nun also das äußerste Bewusstsein vom Verhängnis sein, das die Arbeit darstellt? Man kann die Frage auch so stellen: Was ist das äußerste Verhängnis, das uns im Zusammenhang mit Arbeit bewusst ist? Das ist zweifellos (behaupte ich) der Satz »Arbeit macht frei« über den Toren der nationalsozialistischen Konzentrationslager (mit Ausnahme des KZ Buchenwald). Und was ist nun das äußerste Bewusstsein, das wir in Hinblick auf dieses äußerste Verhängnis haben können? Erstens: Dieser Satz war, entgegen den landläufigen Vorstellungen, von den Nazis nicht zynisch gemeint. Und zweitens: Wir Nachgeborenen haben uns, entgegen allen Geschwätzes in den Sonntagsreden, noch immer nicht von diesem Satz befreit, von seiner Bedeutung und seinen Konsequenzen – und zwar deshalb, weil wir nicht diesen Satz, sondern allein die vermeintlich zynische Verwendung dieses Satzes durch die Nazis als Skandal ansehen.

Ideologiegeschichtlich taucht dieser Satz erstmals bei den frühen Therotikern des Sozialismus auf, mit ihm die Vision einer Gesellschaft, in der die Arbeit nicht Fron, sondern selbstbestimmt und dadurch die notwendig produktive Seite der Freiheit ist. Karl Marx machte aus dieser Vision ein Geschichtsziel: Wird die Arbeiterklasse sich ihrer selbst bewusst, wird sie die Freiheit aller herstellen. Arbeit im Bewusstsein ihrer selbst, also Arbeit an und für sich, ist nicht-entfremdete Arbeit, und diese – lesen Sie Marx, etwa die Stelle »Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert« in den Pariser Manuskripten von 1844 – macht frei.

Diese Utopie wurde bald von völkischen Ideologen übernommen und uminterpretiert: etwa 1872 vom deutschnationalen Autor Lorenz Diefenbach, der einem Roman diesen Titel gab, in dem er eben nicht klassen-, sondern rassenbewusstes Schaffen als die Voraussetzung dafür preist, die Anlagen eines Volkes zu entfesseln und damit jeden einzelnen zu befreien. 1922 druckte der antisemitische »Deutsche Schulverein Wien« Beitrittsmarken mit der Aufschrift »Arbeit macht frei« – die sich aber keineswegs zynisch an die Juden, sondern tatsächlich emphatisch als Versprechen an die eigenen Volksgenossen richtete. Man muss ja nur die Broschüren des Schulvereins nachlesen, in denen immer wieder das Hohelied nicht-entfremdeter Arbeit gesungen wurde: »nicht-entfremdete Arbeit« wurde als jene Arbeit definiert, die im Bewusstsein der rassischen Vorzüge die objektiven Erfordernisse der Nation erfüllt. Das mit der Rasse ist »typisch für den damaligen Zeitgeist«, aber so richtig bedrückend ist erst die Tatsache, dass diese Idee, es könne eine Form der Arbeit geben, die in gesellschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen besteht und dabei nicht-entfremdet ist, heute ungebrochen weiterlebt und Grundlage von moderner Arbeitsmarktpolitik ebenso wie von zeitgeistigen individuellen Lebensentwürfen ist. Denn nichts anderes glaubten und glauben heute anständige Sozialisten, die Alternativen ebenso wie moderne Bobos (bourgeoise Bohemiens), aber nichts anderes glaubten eben auch die SS-Kommandanten, die den Satz »Arbeit macht frei« über den Toren der Konzentrationslager anbringen ließen.

Es ist lehrreich, die autobiografischen Aufzeichnungen des ersten Kommandanten des KZ Auschwitz, Rudolf Höß, zu lesen. Doppelt lehrreich: erstens im Hinblick darauf, wie er selbst seine »Arbeit« erklärt und wie er seinen »Leitspruch«, nämlich »Arbeit macht frei«, in einem eigenen Kapitel seiner Autobiografie interpretiert. Und zweitens, im Hinblick darauf, wie wir damit umgehen und aus der Wahrheit, die er ganz bereitwillig gesteht, eine ganz andere Wahrheit machen, mit der erst wir leben können. »Rudolf Höß war nicht zu stoppen«, berichteten die Männer, die ihn nach seiner Verhaftung verhörten. Er, der für das Priesteramt ausersehen gewesen war, stand unter Beichtzwang. Seine Aufzeichnungen schrieb er in der Zelle, wissend, dass er gehenkt werden wird, er machte sich nichts vor und schrieb ohne Zynismus. Das und nichts anderes ist so unerträglich, wenn wir dieses Kapitel lesen, in dem der Auschwitz-Kommandant den Satz »Arbeit macht frei« erklärt. Ohne den Zynismus des entmenschten Massenmörders und hier auch ohne die Larmoyanz des um Verständnis bettelnden »Opfers« von Milieu, Zeitgeist und Befehlsstruktur erklärt er, was er wirklich und wahrhaftig geglaubt hatte: Arbeit macht frei. Ja! Ehrlich! Wirklich! Wenn sich individuelle Fähigkeiten, die Ansprüche und Sehnsüchte jedes Einzelnen mit übergeordneten sozialen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten (diesfalls: Volk, Nation und Reich) bündeln, dann ist Freiheit und Selbstbestimmung möglich. Wenn sich ein gleichsam naturgeschichtlicher Zwang (diesfalls: der Kampf der Rassen um die Ressourcen der Welt) mit der Selbsterkenntnis der menschlichen Natur verbündet, dann ist die Resultante die Freiheit in der Herrschaft über Welt und Natur. Diese Arbeit fordert Opfer, aber am Ende ist nur dies geopfert: das Art- und Wesensfremde, und errungen ist: die Freiheit. Diese ist auch die Freiheit, am Ende des Tages »Scheiße« sagen zu können. Nüchtern und gewissenhaft beschreibt Höß seine Karriere innerhalb der SS und seinen »Arbeitsalltag« in verschiedenen Konzentrationslagern. Er erwähnt Probleme mit seinem »Arbeitgeber«, kritisiert unfähige Vorgesetzte und erfährt Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung. Aber es ist Arbeit. Normale Arbeit. Mit einer ganz normalen fixen Idee: der selbstbestimmten Arbeit.

Höß zu lesen ist deshalb so unerträglich, weil er, der in seinem Prozess natürlich auch wie jeder andere auf »Befehlsnotstand« plädiert hatte, in diesen abgeklärten Aufzeichnungen vor seinem Tod die Apotheose des Gehorchens in eine Utopie der Freiheit kippen lässt. In eine Freiheit, die nur durch blinde Bejahung seiner Arbeit hergestellt werden kann. Die von Hannah Arendt im Eichmann-Prozess diagnostizierte »Banalität des Bösen« ist diesfalls kein Produkt bloß der Mechanismen einer Bürokratie, die jeden Einzelnen von der Verantwortung befreit, die am Ende doch alle gemeinsam haben. Sondern Folge einer grundsätzlichen »Theorie der Arbeit«, die, mit etwas anderen Variablen in derselben Gleichung, auch unsere heutige Theorie der Arbeit ist. Sie wissen sehr genau, was Sie heute bei »übergeordneten sozialen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten« statt »Volk, Nation und Reich« einsetzen müssen, Sie wissen natürlich, was heute bei »naturgeschichtlicher Zwang« in der Gleichung eingesetzt werden muss, es ist ziemlich unerheblich – solange es die Höß’sche Formel bleibt. Und es ist unerheblich, dass Sie sich von historischen Verbrechen distanzieren, solange Sie mit den Verbrechern die Utopie teilen, nämlich dass das, was Sie Arbeit nennen, Sie zu einem Mitglied einer Gesellschaft macht, die sich frei nennt. Es ist unerträglich, Stunden und stundenlang sich auszumalen, was es bedeutet, dass die Mehrheit der Menschen auch und erst recht heute bedingungslos bereit ist, sich den Zwängen und Anforderungen eines Systems zu unterwerfen, um eine Freiheit zu erlangen, die dann selbst auch wieder nur ein ideologisches Produkt dieses Systems darstellt. Und ich stelle mir vor, dass es der unbewusste Wunsch war, dieses Spiegelbild zu zerstören, der die Herausgeber der autobiografischen Schriften von Rudolf Höß dazu bewogen hat, den Titel, den Höß seinen Aufzeichnungen gegeben hat, zu ändern. Höß hatte seine Autobiografie »Meine Psyche« genannt, erschienen ist sie aber unter dem Titel »Kommandant in Auschwitz«. Wenn die Wahrheit das Ganze ist, dann wird wohl jeder Leser diese Frage für sich beantworten müssen, ob das die Wahrheit ist, der ganze Titel: »Meine Psyche ist Kommandant in Auschwitz«.

Vor einiger Zeit hat Hermann Beil im Berliner Theater am Schiffbauerdamm eine Lesung aus diesem Buch gegeben. Ein Besucher der Veranstaltung berichtete im Netz: »Das Publikum lauschte gespannt – und war unterhalten. So muss man das nennen. Ich hatte den Eindruck, dass Herr Beil selbst am Ende etwas überrascht darüber war.«

Es war dies vielleicht die kleine Überraschung, die immer möglich ist, wenn die große nicht stattfinden kann, nämlich die grundsätzliche, wenn wirklich ein Epochenbruch passiert. Aber das zeitgenössische Leben setzte bruchlos fort, wo vor dem Bruch geendet wurde. Eigentlich müsste man mit Adorno sagen: wo vor dem Bruch geendet ward. Denn heute sind alle politischen, betriebs- und volkswirtschaftlichen sowie philosophischen Debatten über Wesen, Wandel und Zukunft der Arbeit, alle gewerkschaftlichen Kämpfe zur Verteidigung von Arbeitsplätzen, alle Arbeitsmarktservice-Aktivitäten und die Produktion aller westlichen und fernöstlichen Ideologien von neuen Arbeitsformen in der globalisierten Welt nur möglich unter der Voraussetzung, die Verwendung des Satzes »Arbeit macht frei« durch die Nazis als »Zynismus« abzutun, statt sich die Frage zu stellen, ob es nicht barbarisch sei, nach Auschwitz noch immer von der Arbeit das Wohl der Menschen abzuleiten. Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Hier wird nicht unser politisches und gesellschaftliches System mit dem von Nazi-Deutschland gleichgesetzt, sondern bloß unser Begriff von »Arbeit« diskutiert, der bekanntlich nach 1945 keine Neudefinition, keine »Arbeitsstunde Null« erlebte. Ich kann verstehen, dass die Menschen nach 1945 nicht alles neu erfinden wollten, die Arbeit so wenig wie den Sonnenaufgang. So hielten sie eben für ein Naturgesetz, was in konkreter Organisationsform als Menschenwerk schon einmal ins Verderben geführt hat.

Keiner wird Theodor W. Adorno der Sympathie für den NS-Staat zeihen, keiner wird ihm vorwerfen können, dass er die Bundesrepublik mit dem Dritten Reich gleichsetzte. Dennoch: Mein »zweiter Satz«, Sie erinnern sich, ist ein Adorno-Zitat, und darin verwendet Adorno das Nazi-Verbum »entartet«. Sehen Sie, so ist das mit den Kontinuitäten.

Das jedenfalls ist daher die Frage: Ist es nicht barbarisch, nach Auschwitz Arbeit als Grundlage von Freiheit zu setzen?

Leider kann ich meine Zeitgenossen nicht erlösen. Die Zyniker leben und wirken nach Auschwitz. In Auschwitz gab es keinen Zynismus, da gab es Arbeit und Tod – also das, was heute im globalen Maßstab wieder eine Tautologie darstellt. Damit, mit der Formulierung »Heute im globalen Maßstab«, meine ich zum Beispiel Folgendes: Selbst wenn »bei uns« das Wahlalter noch weiter gesenkt wird, werden die Kinder der Welt, deren Arbeit einen Teil unserer »Freiheit« produziert, eher den Tod finden als Mitbestimmung in unserer Welt, die wir die »freie« nennen.

Ist dieser Gedanke zu kompliziert? Dann arbeiten Sie weiter!

Jedenfalls: eben deshalb, weil der Satz »Arbeit macht frei« über dem KZ-Tor keinen Zynismus darstellte, konnte Jura Soyfer das »Dachau-Lied« dichten, und ebendieser Sachverhalt, leider nur dieser Sachverhalt, dass das Opfer diesen Satz genauso ernst nahm wie die Täter, dass also dieser Satz in der vorhin erwähnten Formel den gemeinsamen Nenner von Faschisten und Antifaschisten ausdrückt, macht aus Soyfers Dachau-Lied ein so bestürzendes Dokument. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es keiner zugeben will, aber unfreiwillig doch zeigt: wer Jura Soyfers Dachau-Lied hört oder liest, fühlt sich dazu verpflichtet, »betroffen« zu sein. Dann aber ist er es nicht – und ist es doch: deswegen, weil er es nicht ist.

Denn die Beschreibung des KZ-Alltags (»… Himmel ohne Gnaden / sendet Frost und Sonnenbrand / Fern von uns sind alle Freuden / Fern die Heimat und die Fraun …«) könnte genauso von den Soldaten Rommels in Afrika oder von den Soldaten der US-Army in Irak oder so ähnlich im letzten Sommer von einem depressiven Kroatien-Touristen gesungen worden sein. Entsetzlich, bestürzend, bedrückend für uns Heutige ist nur der Refrain und die Conclusio des Lieds: dass es wahr ist, ja, dass es stimmt: Arbeit macht frei! »Wir haben die Losung von Dachau gelernt / Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad: / denn Arbeit, denn Arbeit macht frei«. Selbst die Arbeit im KZ wird sich also am Ende nur als Abhärtung erweisen, »… und im eigenen Schweiße werde / Selber du zu Stahl und Stein«, und geschichtslogisch zur Freiheit führen: »Und die Arbeit, die wir machen / Diese Arbeit, sie wird gut.«

Das bleibt offenbar das Problem: dass selbst die »gute Arbeit« den Verblendungszusammenhang reproduziert, aus dem sie befreien will. Denn nicht die Arbeitsbedingungen, sondern die Arbeit selbst in egal welchen Bedingungen ist das Verhängnis, ist auch und erst recht in den heutigen Bedingungen die Vernichtungsmaschinerie von allem, was uns