Cover
Werner D’Inka
Peter Lückemeier
„Ich will jeden Tag die Welt ein bisschen besser machen“
Volker Bouffier im Gespräch
Alle Rechte vorbehalten • Societäts-Verlag
© 2017 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Julia Desch, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Julia Desch, Societäts-Verlag
Umschlagsabbildung: Wonge Bergmann
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
ISBN 978-3-95542-279-0

Inhalt

Kapitel 1
Ich gehe ja in der Staatskanzlei keinem Hobby nach
Einsame Entscheidungen, Aufstieg aus dem Tal der Tränen, Wesenskern der Parteien
Kapitel 2
Ein echt interessantes Paar
Eltern, Großeltern, Kindheit
Kapitel 3
Ich bin bei denen immer noch der Volker
Jobs, Junge Union, Tankstelle, Dregger, Wallmann, Papst, Feldmann
Kapitel 4
Einmal bin ich sehr deutlich geworden
Unter Ministerpräsidenten. Und warum Opel ein anderer Fall ist
Kapitel 5
Sie müssen jetzt entscheiden, was Sie wollen
Wie es zur Koalition mit den Grünen kam
Kapitel 6
Diesen Moment habe ich nicht vergessen
Der Unfall, der Sport
Kapitel 7
Finde ich eine tolle Idee
Die Wahl der Bundespräsidenten. Und selbst im Gespräch
Kapitel 8
Ja, das macht mir Sorgen
Postfaktisches Zeitalter, Trump, Schulz. Und noch einmal?
Die Autoren
KAPITEL 1
Ich gehe ja in der Staatskanzlei keinem Hobby nach
Einsame Entscheidungen, Aufstieg aus dem Tal der Tränen, Wesenskern der Parteien
Als Sie vor einiger Zeit der früheren Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth das Bundesverdienstkreuz überreichten, sprachen Sie davon, dass man als Politiker oft sehr allein sei. Nennen Sie uns ein paar Beispiele?
An erster Stelle denke ich dabei an Personalentscheidungen. Die können Sie im Vorfeld – sagen wir: einer Kabinettsbildung – kaum mit jemandem besprechen.
In der Tat ist es Ihnen gelungen, vor dem 18. Januar 2014 den Mantel des Schweigens über die personelle Zusammensetzung der neuen schwarz-grünen Landesregierung zu breiten. Es gelangten wirklich keine Gerüchte nach außen. Konnten Sie sich mit jemandem beraten, auf dessen Diskretion Sie hundertprozentig bauen durften?
Ja und nein. Ich will damit nicht sagen, dass ich niemandem Diskretion zutraue. Aber am Ende habe ich die Angelegenheit tatsächlich nach sehr, sehr gründlichem Nachdenken mit mir selbst ausgemacht. Was überhaupt nicht geht, ist, vorab Betroffene einzuweihen.
Weder Kandidaten, die gewinnen werden, noch solche, die ihren Posten verlieren?
Richtig.
Warum?
»Ich will da auch gar nicht drüber reden.«
Schauen Sie, die Menschen sind, wie sie sind. Wenn ich jemandem sagen würde, er könne dem Kabinett künftig nicht mehr angehören, dann würde er das vielleicht nicht herumerzählen. Aber vielleicht würde er ein Gesicht aufsetzen, bei dessen Anblick andere Personen hoffen, dass in seiner Familie kein Trauerfall eingetreten sei. Vielleicht geht er nach unserem Gespräch in die Cafeteria des Landtags, wo er den Abgeordneten Meier trifft. Der fragt ihn, was denn los sei. „Och nix“, sagt der künftige Ex-Minister. Aber er spüre doch, dass ihn etwas bewege, sagt Meier. „Ach nein“, sagt der Minister. Um dann fortzufahren: „Ich will da auch gar nicht drüber reden.“
 
Und dann fragt Meier: „Worüber denn?“
Ganz genau. Und der Minister sagt dann: „Na, ich habe meine Arbeit gut gemacht, aber das wird von hoher Warte vielleicht anders gesehen.“ Wenn Meier jetzt nicht blöd ist, dann weiß er, dass der Herr Minister einen Grund hat, traurig zu sein. Und er wird mit dieser Ahnung nicht hinterm Berg halten.
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Und im anderen Fall? Wenn Sie jemanden befördern wollen?
Im anderen Falle sagen Sie jemandem: „Pass‘ auf, Junge, ich setze auf dich, du wirst in meinem neuen Kabinett eine Rolle spielen. Das darfst du auch deiner Frau erzählen, falls du sicher bist, dass sie es nicht ihrer Nachbarin weitersagt. Aber wehe, du sagst es sonst jemandem.“ Und was ja nur menschlich ist: Der Mann geht mit strahlendem Blick in die Cafeteria und trifft wieder auf den Abgeordneten Meier. Der fragt: „Na, Sie wirken ja heute ganz besonders gut gelaunt?“ Und der Minister in spe sagt vielleicht: „Das stimmt, aber ich darf noch nicht darüber sprechen.“ Es dauert keine Stunde, da hat die Flüsterparole des Abgeordneten Meier sich weit herumgesprochen, denn der weiß ja alles „aus sicherer Quelle“.
Gäbe es vielleicht externe Ratgeber, die sachkundig genug für guten Rat, aber auch diskret wären?
»Ich habe da einen ganz tollen Mann für Sie.«
Ja. Aber da müssen Sie lange suchen, um beurteilen zu können, ob dieser potentielle Ratgeber die wesentlichen Züge der Landespolitik einordnen und beurteilen kann. Natürlich kommt es auch vor, dass ausgesprochen wohlmeinende Personen außerhalb der Politik jemanden für die Politik empfehlen: „Ich habe da einen ganz tollen Mann für Sie.“ Aber da muss ich natürlich Fragen stellen wie: „Weiß derjenige auch, dass er als Minister nichts mehr hinzu verdienen darf? Ist ihm auch klar, dass er künftig fast alle Wochenenden in den Wind schreiben kann? Hat er verinnerlicht, dass er dauernd die Zeitung in der Furcht aufschlägt, kritisiert zu werden?“ Derjenige müsste auch wissen, dass er in der Politik eine öffentliche Person geworden ist. Da gibt es keinen Urlaub, keinen Ausflug, bei dem er nicht angesprochen wird. Er muss sich ständig rechtfertigen. Kurzum, wenn Sie sich von einem Außenstehenden beraten lassen, muss es jemand sein, der die systemischen Bedingungen der Politik kennt. Um auf die Regierungsbildung zurückzukommen: Da bin ich keineswegs beratungsresistent, aber ich bin sehr sorgfältig vorgegangen und habe lange nachgedacht. Am Ende aber muss ich entscheiden, und das sind die einsamen Momente.
 
Einsame Momente gibt es freilich nicht nur in der Politik. Eine der schrecklichsten Entscheidungssituationen hat sicherlich im Jahr 2002 Wolfgang Daschner durchgemacht. Sie waren damals hessischer Innenminister, Wolfgang Daschner stellvertretender Frankfurter Polizeipräsident. Er drohte damals dem Mörder und Entführer Magnus Gäfgen Gewalt an, um so von ihm das Versteck des entführten kleinen Jakob von Metzler zu erfahren. Hätten Sie an seiner Stelle auch so entschieden, um das Leben eines Kindes zu retten?
Das hat mich noch nie jemand gefragt. Aber ich habe mir selbst diese Frage oft vorgelegt. Die Antwort lautet: Ich weiß es nicht. Ich kannte und schätzte Herrn Daschner. Ich habe ihn als außergewöhnlich korrekten Mann kennengelernt. Er war die Inkarnation der Genauigkeit, sehr zurückhaltend, sehr formal. Deshalb war ich auch nicht überrascht, dass er selbst den Vermerk machte über sein eigenes Vorgehen. Wäre jemand nicht zutiefst von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt gewesen, hätte er das nicht getan. Das finde ich wichtig für die Beurteilung, denn dieser Vermerk beweist die Ernsthaftigkeit seines Handelns. Das hat mich dazu bewogen zu sagen, dass der Mann es verdient, dass man sich differenziert mit seinem Handeln auseinandersetzt.
Sie haben ihn versetzt.
Insbesondere, als das Verfahren gegen ihn eröffnet wurde, stand für mich fest, dass er den Posten des Polizeivizepräsidenten in Frankfurt nicht mehr ausüben konnte. Das ist eine Position, in der er dauernd mit der Staatsanwaltschaft zu tun hätte, das wäre für den einen wie für die anderen nicht angenehm gewesen. Ich habe deshalb entschieden, dass Herr Daschner ins Innenministerium abgeordnet wurde und dass er seinen Status behielt. Später habe ich ihn dann an anderer Stelle noch zum Präsidenten gemacht. Wir haben nie mehr darüber gesprochen. Mein Eindruck ist, dass er bis heute der Auffassung ist, ihm sei Unrecht widerfahren. Das muss man akzeptieren. Das Gericht hat gegen Herrn Daschner eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen festgelegt. Wenn ein Gericht entscheidet, haben wir das zu akzeptieren.
Aber noch einmal: Wie hätten Sie sich an Daschners Stelle verhalten? Hätte der Umstand, dass Sie Jurist sind, Ihr Tun beeinflusst?
Ich weiß es nicht. Wenn mir einer gesagt hätte: „Der Junge lebt wahrscheinlich noch. Und wenn der Gäfgen uns jetzt einen Hinweis gibt auf das Versteck, dann können wir diesen Jungen retten“, dann hätte ich Gäfgen wahrscheinlich angebrüllt.
Es gibt Karrieren, die man relativ gut planen kann, wenn man sich sehr anstrengt, viel Kompetenz erwirbt und ein bisschen Fortune hat. Wie lebt es sich mit dem Umstand, dass man in der Politik so gut wie nichts planen kann?
Damit muss man sich einfach abfinden, das ist sozusagen eine der Grundbedingungen politischer Existenz. Schauen Sie: Ich kam 1982 in den Landtag. Damals hatten wir eigentlich gedacht, wir würden die Wahl mit Alfred Dregger gewinnen, davon konnte man auch ausgehen. Aber dann kam der sogenannte Verrat in Bonn, als am 17. September die vier FDP-Minister aus der Regierung Schmidt/Genscher zurücktraten. Die Wähler empfanden das als Verrat, die FDP in Hessen wurde wenige Tage danach, am 26. September, bestraft und kam nicht mehr in den Landtag. Wir waren zwar die stärkste Partei geworden, aber Ministerpräsident Börner von der SPD blieb geschäftsführend im Amt und ging ja später die erste Koalition mit den Grünen ein. Das alles war nicht vorhersehbar.
Würden Sie eigentlich von sich sagen, dass Sie in Personaldingen eher hart oder eher weich sind?
»Ich bin ein Mensch, der gern in Harmonie lebt.«
Ich bin ein Mensch, der gern in Harmonie lebt. In der Familie sowieso, aber auch in der Politik. Gerade in meiner engen Arbeitsumgebung, im Umgang mit den Abgeordneten und dem Kabinett möchte ich freundlich und kollegial sein, vielleicht auch ironisch, aber nicht ätzend ironisch. Ich will auch kein Chef sein, vor dem alle zittern und sich morgens angstvoll fragen, wie gut oder schlecht er heute wohl gelaunt ist. Andererseits: Ich gehe ja in der Staatskanzlei keinem Hobby nach, sondern bekleide ein öffentliches Amt mit einem Auftrag – da muss ich auch einmal eine harte Entscheidung treffen und mich notfalls unbeliebt machen. In Sachen Regierungsbildung hat Helmut Kohl das ja einmal sehr klar gesagt: Von drei Persönlichkeiten, die in Frage kämen, kann er nur einen zum Minister machen. Die beiden anderen werden ihm das übelnehmen, vor allem aber lebenslang deren Ehefrauen. Ich will jedoch auch gern zugeben, dass es jemandem in meiner Lage leichter fällt, eine harte Entscheidung zu fällen als anderen.
 
Was meinen Sie damit?
Ich muss nicht darauf achten, ja niemanden zu verprellen, damit ich noch etwas werden kann. Ich habe Spitzenämter erreicht, die ich gewissenhaft ausübe, und ich strebe nicht nach neuen Ämtern. Ich möchte auch nicht Minister für Batik und Angelkunde in Berlin werden. Ich habe viel Vertrauen geschenkt bekommen von den Wählern, von politischen Mitstreitern; dieses Vertrauen nehme ich ernst. Ich will hier in Hessen jeden Tag die Welt ein bisschen verändern, also verbessern, das ist meine Aufgabe.
Immerhin fiel Ihr Name, als Ende 2016 ein Nachfolger für Bundespräsident Gauck gesucht werden musste. Aber darauf kommen wir später noch zu sprechen. Bleiben wir jetzt bitte noch einmal bei den Personalentscheidungen. Nehmen wir einmal an, Sie befinden sich in der Vorbereitung der Kabinettsbildung. Ein verdienter, langjähriger Minister besucht Sie und sagt: „Volker, ich gehe davon aus, dass ich wieder dabei bin.“ Sie haben eigentlich andere Pläne. Sagen Sie ihm das?
»Das ist ja kein Holzklotz, sondern ein Mensch.«
Irgendwann ja. Vielleicht nicht im ersten Gespräch, weil mich das sehr bedrückt, sehr mitnimmt. Das wird ja nicht nur mir so gehen: Es gibt Dinge, die nehmen Sie mit in den Schlaf und mit denen wachen Sie morgens wieder auf. Weil Sie einen Weg suchen, wie Sie Ihre Entscheidung und die Enttäuschung eines anderen Menschen, die mit dieser Entscheidung einhergeht, miteinander in Einklang bringen können. Vielleicht machen Sie innerlich sogar einen kleinen Rückzieher und überlegen: Geht es nicht doch? Kann ich ihm diese Enttäuschung ersparen? Das ist ja kein Holzklotz, sondern ein Mensch. Ich spreche dann mit ihm vielleicht zwei Mal, vielleicht drei Mal. Das sind Gespräche, die beide Kraft kosten. Ich könnte es ja auch telefonisch machen, das ist leichter. Und noch einfacher wäre es, solche Gespräche an Dritte zu delegieren, etwa an Mitarbeiter, aber das ist nicht meine Art.
 
Kann es sein, dass Sie am Ende Ihrer Überlegungen ein anderes Kabinett haben, als Sie es sich ursprünglich gewünscht hatten?
Eher nein.
Kann es denn sein, dass Sie Männer zu Ministern machen, von denen Sie zuvor intern geäußert hatten, dass Sie diese Herren nicht so schätzen?
Es ist wie überall. Es gibt Starke und weniger Starke. Es gibt aber vor allem Leute, die für bestimmte Aufgaben nicht gut geeignet sind, die aber an anderer Stelle plötzlich hervorragende Arbeit leisten. Es gibt natürlich auch politische Aufgaben, bei denen Sie mit allgemeinen Feststellungen ganz gut zurechtkommen. Aber denken Sie im Gegenzug mal an einen Finanzminister. Ein Finanzminister, der nicht jederzeit voll im Bilde ist, der wird sich nicht lange halten können. Und natürlich sind auch Politiker unterschiedlich belastbar, körperlich wie psychisch. Ein negativer Kommentar in der Zeitung oder im Fernsehen: Den einen berührt das wochenlang, der andere schüttelt sich kräftig und hat’s im nächsten Augenblick vergessen. Wenn Sie in der Politik Ämter vergeben, müssen Sie auch wissen, wen Sie ins Feuer schicken können und wen nicht.
Nennen Sie bitte noch einmal die Kriterien, die nichts mit der fachlichen Eignung zu tun haben, die bei der Personalauswahl aber dennoch eine Rolle spielen?
Männer und Frauen, Jung und Alt, regionale Rücksichten.
Spielt die Konfession noch eine Rolle?
Schon lange nicht mehr. Aber wenn Sie führen, müssen Sie eine andere Frage beantworten: Wer ist ein Talent? Wer könnte sich entwickeln? Wem müsste man mal eine Chance geben?
Das Kriterium der Belohnung haben Sie jetzt ausgelassen.
»Viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt.«
Weil es keine große Rolle spielt. Wenn jemand sich verdient gemacht hat, dann reicht eine solche Leistung noch nicht für ein Ministeramt. Die erste Frage muss doch lauten: Kann er oder sie das? Wenn diese Frage positiv beantwortet wird, dann mag eine Belohnung für treue, langjährige Leistungen vielleicht ergänzend hinzukommen.
 
Wie viele sehen Sie denn, an die Sie eines Tages Ihr Amt abtreten könnten?
Viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt. Unabdingbar ist, dass so jemand das Vertrauen der Partei und der Fraktion genießt. Das ist zwar die wichtigste Voraussetzung, aber es reicht noch nicht. Die Frage ist doch: Wie kann jemand den Laden zusammenhalten? Was bringt er mit an intellektueller Kompetenz, an Visionen, an Kraft, an politischem Geschick, an Gestaltungswillen? Und dann gibt es noch etwas Wichtiges. Dass nämlich wie eine Art geheimer Comment ganz unausgesprochen jedem in der Partei klar ist: Der oder die wird es. Und da sind wir wieder bei einer der Besonderheiten der an Besonderheiten ja nicht armen hessischen CDU. Bei uns war immer klar: Wenn der geht, dann kommt der. Als Alfred Dregger ging, war uns allen klar, jetzt schlug die Stunde Walter Wallmanns. Als Wallmann ging, kam Kanther. Als Kanther ging und nachdem Roland Koch und ich uns verständigt hatten, war klar: Es kam Koch. Und jeder wusste, wie es weitergehen würde, wenn Koch einmal aufhören würde. Wir mussten keine Mitgliederbefragungen machen. Ob sich wieder eine solche Situation ergeben wird, weiß ich nicht. Aber wir haben ja auch noch ein bisschen Zeit.
Es stimmt tatsächlich, dass, wenn man jemanden fragte in der hessischen CDU, auch Jahre zuvor, wer nachfolgen würde, wenn Koch einmal ginge, unisono der Name Bouffier fiel. Wie schafft man so etwas?
»Wir waren bis zu Alfred Dregger die Dauerverlierer.«