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Horst Kuß

Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen

Außergerichtliche Beilegung

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© 2017 Horst Kuß

Verlag und Druck: tredition GmbH, Grindelallee 188, 20144 Hamburg

ISBN 
Paperback:978-3-7345-8610-1
Hardcover:978-3-7345-8611-8
e-Book:978-3-7345-8612-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Allgemeiner Hinweis

Die im Schlichtungswesen handelnden Personen können stets sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlechts sein. Der besseren Lesbarkeit wegen wird einheitlich und gleichwertig die männliche Bezeichnung verwendet.

Vorwort

Ein effektiver Verbraucherschutz zeichnet sich auch dadurch aus, dass Konflikte zwischen Verbrauchern und Unternehmern möglichst einfach und kostengünstig gelöst werden können.

Dazu tragen schon seit längerer Zeit die neutral geführten Institutionen bei, die zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern nach dem Motto „Schlichten statt Richten“ von vielen Wirtschaftszweigen grundsätzlich auf deren Kosten betrieben werden. Hinzu kommt als besonderes Schlichtungsverfahren die seit 26.07.2012 gesetzlich geregelte Mediation, die in zunehmendem Maße genutzt wird.

Zuletzt sind verbindliche Vorgaben des Europäischen Parlaments und des Rates, die in der Europäischen Union (EU) und in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten einheitlich regeln, mit dem „Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (Verbraucherstreitbeilegungsgesetz – VSBG)“ in deutsches Recht umgesetzt worden.

Das Buch soll sowohl Verbrauchern als auch Unternehmern einen umfassenden Überblick über die möglichen Verfahren der außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten geben.

Für Anregungen und konstruktive Kritik bin ich dankbar.

Freiburg, im August 2017 Horst Kuß

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Angaben zu Quellen

Einführung

Kapitel 1: Verbraucherstreitbeilegungs gesetz (VSBG)

1. Allgemeine Vorschriften

2. Private Verbraucherschlichtungsstellen

3. Streitbeilegungsverfahren

4. Anerkennung privater Verbraucherschlichtungsstellen

5. Behördliche Verbraucher schlichtungsstellen

6. Universalschlichtungsstellen der Länder

7. Zentrale Anlaufstelle für Verbraucherschlichtung

8. Informationspflichten des Unternehmers

9. Grenzübergreifende Zusammenarbeit

10. Bußgeldvorschriften

11. Verjährung

Kapitel 2: Nach anderen Rechtsvorschriften anerkannte, beauftragte oder eingerichtete Schlichtungsstellen

1. Kommunales Schlichtungswesen

1.1 Allgemeines

1.2 Freiwillige Schlichtung

1.3 Obligatorische Schlichtung

2. Finanzdienstleistungssektor

2.1 Behördliche Verbraucherschlichtungsstellen

2.1.1 Deutsche Bundesbank
2.1.2 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin)
2.1.3 Schlichtung
2.1.4 Anerkennung privater Schlichtungsstellen
2.1.5 Sonstige Regelungen der Finanz schlichtungsstellenverordnung (FinSV)

2.2 Bauparkassen

2.2.1 Allgemeines
2.2.2 Private Bausparkassen
2.2.3 Landesbausparkassen

2.3 Schlichtung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)

2.3.1 FIN-NET
2.3.2 Schlichtung mit luxemburgischen Unternehmen

3. Rechtsanwaltschaft

4. Elektrizitäts- und Gasversorgung

5. Private Versicherungswirtschaft

6. Post

7. Telekommunikation

8. Öffentlicher Personenverkehr

8.1 Verbraucherrechte

8.1.1 Bahnreisende
8.1.2 Fernbusreisende
8.1.3 Flugreisende
8.1.4 Schiffsreisende

8.2 Schlichtung

8.2.1 Allgemeines
8.2.2 Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp)
8.2.3 Sonderfall öffentlicher Personennahverkehr
8.2.4 Behördliche Schlichtungsstelle Luftverkehr

9. Staatlich anerkannte Gütestelle

9.1 Begriffsbestimmung

9.2 Güteantrag

9.3 Güteverfahren

9.4 Kosten

Kapitel 3: Schlichtungsstellen ohne Bindung an das VSBG

1. Allgemeines

2. Private Kranken- und Pflegeversicherung

3. Verband unabhängiger Vermögens verwalter Deutschland e. V. (VuV)

4. Bundesvereinigung Kreditkauf und Servicing e. V. (BKS)

5. Inkassounternehmen

5.1 Allgemeines

5.2 Bundesverband deutscher Inkassounternehmen e. V. (BDIU)

5.3 Bundesverband für Inkasso und Forderungsmanagement e. V. (BfIF)

5.4 Bundesverband Deutscher Rechtsbeistände/Rechtsdienst leister e. V. (BDR)

6. Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (Schufa)

6.1 Organisation und Arbeitsfeld

6.2 Ombuds(mann)verfahren

7. Immobilienverband Deutschland e. V. (IVD)

8. Ärztekammern

8.1 Allgemeines

8.2 Landesärztekammern

8.3 Landeszahnärztekammern

9. Handwerk

10. Kraftfahrzeuggewerbe

10.1 Mitglieder der Kfz-Innung

10.2 Bundesverband freier Kfz-Händler (BVfK)

10.3 Allgemeine Verbraucher schlichtungsstelle Kehl

Kapitel 4: Mediation

1. Allgemeines

2. Mediationsgesetz

3. Kosten

4. Verjährung

5. Beschwerden

Anhang: Liste der qualifizierten Einrichtungen

Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O. am angegebenen Ort
ABl. Amtsblatt (der EG/EU)
Abs. Absatz
ADAC Allgemeiner Deutscher Automobilclub
ADR Alternative Disput Resolution = Alternative Streitbeilegung
AG Amtsgericht
AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen
AGG Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
AktG Aktiengesetz
Az. Aktenzeichen
Amtsbl. Amtsblatt
Bafin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BfJ Bundesamt für Justiz
BGB Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGH Bundesgerichtshof
BMJV Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
bzw. beziehungsweise
CD-Rom Compact Disc-Read Only Memory (Permanentspeicher für digitale Daten)
DAT Deutsche Automobil Treuhand
DEKRA Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs- Verein
d. h. das heißt
ec electronic cash
EG Europäische Gemeinschaft
EGBGB Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch
einschl. einschließlich
EU Europäische Union
evtl. eventuell
EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
EWR Europäischer Wirtschaftsraum
f. folgende
ff. fortfolgende
FIN-NET Cross-border Out-of-Court Complaints Network for Financial Services
Fn. Fußnote
GBl. Gesetzblatt
ggf. gegebenenfalls
GV/GVBl./  
GVOBl. Gesetz- und Verordnungsblatt
Kfz Kraftfahrzeug
km Kilometer
KWG Kreditwesengesetz
LSA Land Sachsen-Anhalt
lt. laut
LuftSchlichtV Luftverkehrsschlichtungsverordnung
Nds. Niedersachsen
NJW Neue Juristische Wochenschrift
Nr(n). Nummer(n)
NRW/NW Nordrhein-Westfalen
ODR Online Dispute Resolution = Online Streitbeilegung
PDLV Postdienstleistungsverordnung
Randnr. Randnummer/n
S. Seite/n
SGB Sozialgesetzbuch
SMS Short Message Service
sog. sogenannte/r/s
TÜV Technischer Überwachungsverein
Tz. Textziffer
u. a. unter anderem
UklaG Unterlassungsklagengesetz
USB(-Stick) Universal Serial Bus(-Stecker) (transportabler Datenspeicher)
vgl. vergleiche
VSBG Verbraucherstreitbeilegungsgesetz
VVG Versicherungsvertragsgesetz
ZAG Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz
z. B. zum Beispiel
ZPO Zivilprozessordnung
ZPOEG Einführungsgesetz, betreffend die Zivilprozessordnung

Angaben zu Quellen

Den Erläuterungen zum Verbraucherstreitbeilegungsgesetz – VSBG (Kapitel 1) und zum Mediationsgesetz – MediationsG (Kapitel 4) liegen im Wesentlichen die Inhalte der Bundestagsdrucksachen 18/5089 und 18/6904 bzw. 17/5335 und 17/8058 sowie der Bundesratsdrucksache 258/15 zugrunde. Im Interesse des durchgängigen Lesens sowie aus Platzgründen wird auf die Bezeichnung der konkreten Fundstellen in den genannten Gesetzesmaterialien verzichtet.

Die Ausführungen in den Kapiteln 2 und 3 beruhen hauptsächlich auf Angaben der jeweiligen Schlichtungsstellen auf ihren Webseiten, bezüglich der allgemeinen Angaben zu Bausparkassen (Kapitel 2 Ziffer 2.2) auf den Erläuterungen von Wikipedia sowie hinsichtlich der söp-Schlichtung (Kapitel 2 Ziffer 8.2.2) zusätzlich auf dem Aufsatz von Isermann in „Reiserecht aktuell“ 2016, Seiten 106 ff.

Erläuterungen zu den zitierten BGB-Paragraphen: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Auflage 2017, Verlag C.H. Beck, München.

Einführung

1 Beurteilen in verbraucherrechtlichen Angelegenheiten die Parteien einen Sachverhalt unterschiedlich und finden keine einvernehmliche Lösung, bestehen für die Erledigung des Konflikts zwei Möglichkeiten: Entweder ein Verfahren vor einem staatlichen Gericht oder eine außergerichtliche Beilegung der Streitigkeit.

2 Gerichtliche Verfahren dauern in der Regel relativ lange und erfordern bis zu einer Entscheidung bei den beteiligten Parteien einen nicht unerheblichen Aufwand an Zeit und Geld. Auf Grund ihrer typischerweise grundsätzlich schwächeren Position gegenüber Unternehmen und wegen zumeist unzureichender Rechtskenntnisse verzichten Verbraucher daher immer wieder darauf, ihr Recht auf dem Gerichtsweg einzufordern, insbesondere auch im Hinblick auf das Risiko, auf Kosten sitzen zu bleiben.

3 Gerade bei Auseinandersetzungen mit relativ niedrigen Streitwerten bietet sich die Möglichkeit an, Konflikte durch außergerichtliche Schlichtungsverfahren beizulegen. Im Unterschied zum Gerichtsprozess ist die alternative Erledigung von Streitigkeiten flexibler ausgestaltet und passt sich den Interessen der Parteien an. Darüber hinaus sind Schlichtungsverfahren für Verbraucher in aller Regel – von eigenen Aufwendungen für Porti, Telefon und Kopien abgesehen – kostenfrei. Am Ende entscheiden die Parteien selbst, ob sie die vorgeschlagene Lösung annehmen; wenn nicht, steht immer noch der Gerichtsweg offen.

4 Schlichtung ist ein Verfahren, bei dem Verbraucher und Unternehmen versuchen, eine zwischen ihnen bestehende Streitigkeit gütlich zu lösen. Dabei tritt ein Dritter auf, der sog. Schlichter, oft auch Ombudsmann genannt. Diese Person versucht gemeinsam mit den Parteien, einen Weg zu finden, der unter Berücksichtigung der Rechtslage den beiderseitigen Interessen am ehesten gerecht wird; dies gerade auch dann, wenn die Parteien darauf angewiesen sind oder beabsichtigen, weiter miteinander geschäftlich verbunden zu bleiben.

5 Die Schlichtungsstellen sind in der Wahl ihrer Verfahren frei und legen diese in ihrer Verfahrensordnung fest. Beim Schlichtungsverfahren unterbreitet der Schlichter aktiv einen Vorschlag, der nicht nur das geltende Recht, sondern auch wirtschaftliche, finanzielle und/oder persönliche Interessen der Parteien berücksichtigt.

6 Gemäß Artikel 25 der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten sowie zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG sind die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet worden, dafür zu sorgen, dass Verbrauchern bei Streitigkeiten mit Unternehmern aus Kauf- oder Dienstleistungsverträgen außergerichtliche Streitbeilegungsstellen mit bestimmten Mindestanforderungen zur Verfügung stehen. Außerdem müssen Unternehmer ab einer bestimmten Größenordnung seit Februar 2017 in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen und/oder auf ihrer Internetseite Verbraucher grundsätzlich über die zuständige Streitbeilegungsstelle informieren und sich bei der Ablehnung einer Verbraucherbeschwerde dazu erklären, ob sie zur Durchführung eines Streitbeilegungsverfahrens verpflichtet oder bereit sind.

7 Darüber hinaus sind nach Artikel 7 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 22 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet worden, eine Kontaktstelle zu benennen, die als innerstaatliche Anlaufstelle für Verbraucher, Unternehmer und Streitbeilegungsstellen in grenzübergreifenden Konflikten aus Kauf- oder Dienstleistungsverträgen zur Verfügung steht. Diese Institution hilft Verbrauchern weiter, die keinen Erfolg dabei hatten, ihr Recht gegenüber einem Händler oder Dienstleister aus einem anderen EU-Land zur Geltung zu bringen. Genauso hilft sie Verbrauchern aus anderen EULändern, wenn diese im Streit mit einem deutschen Unternehmer sind.

8 Die Vorgaben der Richtlinie 2013/11/EU, auch als ADR-Richtlinie bezeichnet, und der Verordnung (EU) Nr. 524/2013, auch ODR-Verordnung genannt, hat der deutsche Gesetzgeber in das der Gerechtigkeit im Alltag dienende, am 03.12.2015 beschlossene und am 01.04.2016 in Kraft getretene „Gesetz über die alternative Streitbeilegung in Verbrauchersachen (Verbraucherstreitbeilegungsgesetz – VSBG)“ aufgenommen. Zu Einzelheiten bezüglich Streitbeilegungsverfahren bei anerkannten privaten sowie behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen siehe Kapitel 1.

9 In jedem EU-Mitgliedstaat führt die Zentrale Anlaufstelle für Verbraucherschlichtung eine nationale Liste der Verbraucherschlichtungsstellen und veröffentlicht diese im Internet. Die Liste wird in Deutschland im Auftrag des Bundesamtes für Justiz (BfJ) beim Europäischen Verbraucherzentrum (EVZ) in Kehl am Rhein als Zentrale Anlaufstelle für Verbraucherschlichtung erstellt. Die Europäische Kommission fasst die Listen der in den Mitgliedstaaten der EU und den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums anerkannten Verbraucherschlichtungsstellen zu einer Gesamtliste zusammen, die Verbrauchern und Unternehmern in den vorgenannten Staaten zur Verfügung steht, um sich über die Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung zu informieren. Diese Gesamtliste wird auf einer Webseite der Europäischen Kommission öffentlich zugänglich gemacht.

10 Vor Inkrafttreten des VSBG bestanden in Deutschland bereits nach anderen Rechtsvorschriften anerkannte, beauftragte oder eingerichtete Schlichtungsstellen. Diese sind zum einen auf der Basis von Landesgesetzen bei den Gemeinden der meisten Bundesländer als Schiedsämter oder Schiedsstellen eingerichtet und sowohl für die freiwillige als auch für die obligatorische Schlichtung von bürgerlichen Streitigkeiten zuständig. Zum anderen handelt es sich um vornehmlich sektorspezifische Schlichtungsstellen, die von Unternehmern bzw. ihren Verbänden getragen werden. Deren Schlichtungsvorschriften sind in der Regel in Bundesgesetzen festgelegt, die bestimmte Branchen regulieren, wie z. B. das Versicherungsvertragsgesetz (VVG), das Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) oder das Luftverkehrsgesetz (LuftVG). Die einzelnen Institutionen und die jeweiligen einschlägigen Regelungen sind in Kapitel 2 aufgeführt.

11 Neben den nunmehrigen Verbraucherschlichtungsstellen auf der Basis des VSBG und den spezialgesetzlich anerkannten, beauftragten oder eingerichteten Institutionen gibt es zahlreiche weitere Schlichtungsstellen und sonstige Einrichtungen, die – ohne Bindung an das VSBG – außergerichtliche Streitbeilegung betreiben. Diese Institutionen haben sich über die Jahre bewährt und vereinen branchenspezifisches Know-how mit hoher Schlichtungskompetenz. Zu Einzelheiten siehe Kapitel 3.

12 In neuerer Zeit begann in den 70-er Jahren zunächst in den USA eine intensive Beschäftigung mit alternativen Formen der Konfliktregelung. Dabei wurde auch das Instrument der Mediation wieder aufgegriffen. Diese Art der Konfliktlösung fand ab Mitte der 80-er Jahre auch in Europa zunehmend Beachtung.

13 Nach mehrjährigen Beratungen verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat am 21.05.2008 die Richtlinie 2008/52/EG (sog. Mediationsrichtlinie), die allerdings nur für grenzübergreifende Streitigkeiten in Zivil- und Handelssachen gilt. Gleichzeitig wurden in den Artikeln 4 und 5 dieser Richtlinie die Mitgliedstaaten aufgefordert, mit allen ihnen geeignet erscheinenden Mitteln die Qualität der Mediation sowie deren Inanspruchnahme zu fördern.

14 Weil das Instrument der Mediation in Deutschland größtenteils gesetzlich nicht geregelt war, ist nach intensiven Diskussionen das Mediationsgesetz am 21.07.2012 vom Bundestag beschlossen worden und am 26.07.2012 in Kraft getreten.

15 Die Grundzüge des außergerichtlichen Streitbeilegungsinstruments der Mediation (Vermittlung) als freiwilliges, flexibles, vertrauliches und interessenbezogenes Verfahren werden in Kapitel 4 vorgestellt.

16 Im Anhang sind die qualifizierten Einrichtungen gemäß den §§ 3 und 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) aufgeführt, die zur Verfolgung von Verbraucherrechts- und Wettbewerbsverstößen befugt sind. Diese Institutionen sind – von Beteiligungsrechten bei der Strukturierung und Festlegung der Arbeitsweise von Verbraucherschlichtungsstellen in besonderen Fällen abgesehen – nicht unmittelbar in Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten einbezogen; sie können jedoch Verbraucher in derartigen Verfahren beraten und unterstützen.

17 Das abschließende detaillierte Stichwortverzeichnis führt schnell zur gesuchten Thematik.

Kapitel 1: Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG)

Vorbemerkung

18 Der Zielsetzung dieses Buches entsprechend werden allein die Vorschriften zitiert und erläutert, die für die Durchführung von Streitbeilegungsverfahren bei anerkannten privaten sowie bei behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen von Bedeutung sind. Somit bleiben folgende (Teil-)Bereiche des VSBG unberücksichtigt:

Anerkennung privater Verbraucherschlichtungsstellen (§§ 25 bis 27),

mangels (derzeitiger) praktischer Relevanz: Universalschlichtungsstellen der Länder (§§ 29 bis 31),

Mitteilungspflichten der zuständigen Behörden und Aufsichtsbehörden (§ 32 Absätze 2 bis 5 sowie §§ 34 und 35),

Verordnungsermächtigung (§ 42) und

Projektförderung, Forschungsvorhaben, Bericht (§ 43).

Zu diesen Vorschriften wird z. B. auf die im Verlag C. H. Beck erschienene Kommentierung des VSBG von Roder/Röthemeyer/Braun verwiesen.

1. Allgemeine Vorschriften

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für die außergerichtliche Beilegung von Streitigkeiten durch eine nach diesem Gesetz anerkannte private Verbraucherschlichtungsstelle oder durch eine nach diesem Gesetz eingerichtete behördliche Verbraucherschlichtungsstelle unabhängig von dem angewendeten Konfliktbeilegungsverfahren. Dieses Gesetz gilt auch für Verbraucherschlichtungsstellen, die auf Grund anderer Rechtsvorschriften anerkannt, beauftragt oder eingerichtet wurden, soweit diese anderen Rechtsvorschriften keine abweichende Regelung treffen; von den §§ 2 und 41 darf nicht abgewichen werden.

(2) Dieses Gesetz ist nicht anwendbar auf Kundenbeschwerdestellen oder auf sonstige Einrichtungen zur Beilegung von Streitigkeiten, die nur von einem einzigen Unternehmer oder von mit ihm verbundenen Unternehmen getragen oder finanziert werden oder die nur im Auftrag eines solchen Unternehmers oder von mit ihm verbundenen Unternehmen getragen werden.

Erläuterungen:

Zu Absatz 1

19 Mit dieser Vorschrift wird klargestellt, dass das VSBG kein generelles Streitbeilegungsgesetz ist und auch nicht allgemein die Zulässigkeit außergerichtlicher Streitbeilegung im Verbraucherbereich regelt.

20 Das VSBG gilt ausschließlich für die außergerichtliche Streitbeilegung. Folglich sind etwa Bemühungen eines Richters im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur einvernehmlichen Beilegung eines rechtshängigen Prozesses z. B. in Form eines Vergleichsvorschlags nicht erfasst. Auch auf unmittelbare Verhandlungen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer über eine gütliche Einigung ist das VSBG nicht anwendbar.

21 Über den Bereich der vertraglichen Streitigkeiten hinaus kann eine Verbraucherschlichtungsstelle (Definition siehe § 2 Absatz 1) ihre Zuständigkeit auch auf Ansprüche aus gesetzlichen Streitigkeiten erstrecken; dies gilt aber nur, wenn sie mindestens für vertragliche Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern zuständig ist.

22 Wer Verbraucher ist, bestimmt § 13 BGB. Dabei handelt es sich – unabhängig von der Staatsangehörigkeit – um jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Darüber hinaus gilt auch eine Wohnungseigentümergemeinschaft als Verbraucher, wenn ihr wenigstens ein Verbraucher angehört und der Vertrag, wegen dem es zum Streit kommt, der privaten Vermögensverwaltung dient, wie z. B. ein Energieversorgungsvertrag. Keine Rolle spielt, ob die Eigentümergemeinschaft von einem gewerblichen Verwalter vertreten wird (BGH, VIII ZR 243/13 vom 25.3.2015).

23 Bei Rechtsgeschäften, die sowohl zu gewerblichen als auch zu privaten Zwecken geschlossen werden, kommt es auf den maßgeblichen Zweck an. Entscheidend ist dann nicht der innere Wille des Handelnden, sondern der durch Auslegung zu ermittelnde Inhalt des Rechtsgeschäfts (BGH, NJW 2008 S. 435 Randnr. 7). Im Übrigen gilt: Wer sich auf seine Verbraucher-Eigenschaft beruft, muss im Zweifel darlegen und beweisen, dass er mit dem Geschäft tatsächlich objektiv einen privaten Zweck verfolgt hat; andernfalls sind Schutzvorschriften des Verbraucherrechts nicht anwendbar (BGH, NJW 2007 S. 2619 Randnr. 13).

24 Nach § 14 BGB ist Unternehmer jede natürliche oder juristische Person, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. „Unternehmer“ ist der Gegenbegriff zum Verbraucher. Der Unternehmer-Begriff ersetzt im Verbraucherrecht den Begriff des Kaufmanns sowie des Gewerbebetriebs.

25 Unternehmer bieten am Markt planmäßig und dauerhaft Leistungen gegen Entgelt an. Dazu gehören auch Freiberufler wie etwa Rechtsanwälte, sowie Handwerker, Landwirte und nicht im Handelsregister eingetragene Kleingewerbetreibende, selbst wenn sie nur nebenberuflich tätig sind. Darüber hinaus zählen zu den Unternehmern nach § 14 Abs. 2 BGB rechtsfähige Personengesellschaften, wenn sie Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen können, wie z. B. Offene Handelsgesellschaften (OHG) und Kommanditgesellschaften (KG).

26 Das VSBG schreibt kein bestimmtes Streitbeilegungsverfahren vor. So kann die Verbraucherschlichtungsstelle einen Vorschlag zur Beilegung des Streits machen, eine verbindliche Entscheidung für die Streitparteien treffen oder diese mit dem Ziel einer gütlichen Einigung zusammenbringen. Neben dem Schlichtungsverfahren kommt z. B. auch eine Mediation (siehe Kapitel 4) in Betracht; außerdem ist eine Kombination von Verfahren mit Schlichtungs- und Mediationselementen möglich.

27 Nach anderen Rechtsvorschriften als nach denen des VSBG anerkannte, beauftragte oder eingerichtete Verbraucherschlichtungsstellen müssen zumindest die Standards des VSBG erfüllen, dürfen aber über dessen Anforderungen hinausgehen. Zu diesen Schlichtungsstellen im Einzelnen siehe Kapitel 2.

28 Den Vorrang der auf spezialgesetzlicher Grundlage tätigen Schlichtungsstellen vor privaten oder behördlichen Verbraucherschlichtungsstellen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 bestimmt § 4 Absatz 2 Satz 2 Nr. 2.

Zu Absatz 2

29 Diese Vorschrift schließt Kundenbeschwerdestellen und sonstige Einrichtungen, die faktisch nur einem einzigen Unternehmen zuzurechnen sind, vom Anwendungsbereich des VSBG aus. Der Begriff des „verbundenen Unternehmens“ entspricht demjenigen des § 15 des Aktiengesetzes (AktG). Dabei handelt es sich um rechtlich selbständige Unternehmen, die

im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende oder mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16 AktG),

abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17 AktG),

wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19 AktG) oder

Vertragsteile eines Unternehmens (§§ 291, 292 AktG)

sind.

30 Beschwerdestellen eines Unternehmers können dazu geeignet sein, um Kundenbeschwerden frühzeitig und verbraucherfreundlich abzuhelfen und damit die Einschaltung weiterer Stellen wie z. B. staatlich anerkannte Gütestellen (siehe Kapitel 2 Ziffer 9.) oder Gerichte zu vermeiden. Diese Funktion darf aber nicht vermengt werden mit der Aufgabe einer staatlich anerkannten Schlichtungsstelle.

§ 2 Verbraucherschlichtungsstelle

(1) Verbraucherschlichtungsstelle ist eine Einrichtung, die

1.Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten durchführt, an denen Verbraucher oder Unternehmer als Antragsteller oder Antragsgegner beteiligt sind, und

2.nach diesem Gesetz oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften als Verbraucherschlichtungsstelle anerkannt, beauftragt oder eingerichtet worden ist.

(2) Eine Einrichtung, die nicht nach diesem Gesetz oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften als Verbraucherschlichtungsstelle anerkannt, beauftragt oder eingerichtet ist, darf sich nicht als Verbraucherschlichtungsstelle bezeichnen. Sie darf von ihrem Träger nicht als Verbraucherschlichtungsstelle bezeichnet werden. Das Verbot in den Sätzen 1 und 2 gilt nicht, wenn die Einrichtung in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum nach der Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ABl. L 165 vom 18.06.2013, S. 63) anerkannt und in die von der Europäischen Kommission geführte Liste aller im Europäischen Wirtschaftsraum anerkannten Streitbeilegungsstellen aufgenommen worden ist.

Erläuterungen:

Zu Absatz 1

31 Diese Vorschrift definiert den Begriff der Verbraucherschlichtungsstelle. Um eine solche Einrichtung handelt es sich, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Absatz 1 erfüllt.

32 Anders als die Bezeichnung auf den ersten Blick vermuten lassen könnte, ist eine Verbraucherschlichtungsstelle keine Einrichtung, die einseitig Verbraucherinteressen vertritt. Vielmehr handelt es sich um eine unabhängige und unparteiische Institution (vgl. § 6 Absatz 1 und § 7).

33 Stets müssen Verbraucherschlichtungsstellen mindestens dafür zuständig sein, auf Antrag eines Verbrauchers ein Verfahren zur Beilegung einer zivilrechtlichen Streitigkeit gegen einen Unternehmer zu betreiben; siehe auch die Erläuterungen zu § 4 Absatz 1. Darüber hinaus können sie befugt sein, Anträge

von Unternehmern gegen Verbraucher,

von Unternehmern gegen Unternehmer oder

von Verbrauchern gegen Verbraucher

zu bearbeiten.

34 Sowohl Antragsteller als auch Antragsgegner müssen Verbraucher oder Unternehmer sein. Deshalb sind Verbraucherschlichtungsstellen z. B. nicht für erbrechtliche oder familienrechtliche Streitigkeiten zuständig; die daran beteiligten Parteien handeln nicht in ihrer Eigenschaft als Verbraucher oder Unternehmer im Sinne des VSBG.

Zu Absatz 2

35 Satz 1 und 2 dieser Vorschrift sind gemäß § 2 Absatz 2 Satz 1 Nr. 12 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) Verbraucherschutzvorschriften.

36 Zur eindeutigen Abgrenzung dürfen Einrichtungen, die die Voraussetzungen der §§ 1 und 2 sowie 24 oder andere einschlägige Rechtsvorschriften (siehe Kapitel 2) nicht erfüllen, nicht die Bezeichnung „Verbraucherschlichtungsstelle“ führen. Dadurch wird abgesichert, dass im Rechtsverkehr eindeutig unterschieden werden kann, welche Einrichtung den Anforderungen der ADR-Richtlinie entspricht. Für den Fall eines Verstoßes gilt § 41.

37 Mit Satz 3 wird klargestellt, dass in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und sonstigen Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (Island und Norwegen) als richtlinienkonform anerkannte Streitbeilegungsstellen ebenfalls als Verbraucherschlichtungsstellen bezeichnet werden dürfen.

2. Private Verbraucherschlichtungsstellen

38 Dieser Abschnitt regelt die Anforderungen, die eine private, keine wirtschaftlichen Interessen verfolgende Einrichtung und die dort tätigen Personen für die Anerkennung als Verbraucherschlichtungsstelle erfüllen müssen.

§ 3 Träger der Verbraucherschlichtungsstelle

Träger der Verbraucherschlichtungsstelle muss ein eingetragener Verein sein. Nimmt der Träger Unternehmerinteressen oder Verbraucherinteressen wahr, oder wird der Träger von einem Verband, der Unternehmerinteressen oder Verbraucherinteressen wahrnimmt, finanziert, so muss für den Betrieb der Verbraucherschlichtungsstelle ein vom Haushalt des Trägers getrennter, zweckgebundener und ausreichender Haushalt zur Verfügung stehen.

Erläuterungen:

39 Die Forderung, dass ein eingetragener Verein Träger einer Verbraucherschlichtungsstelle sein muss, entspricht der aktuellen Praxis der bestehenden Schlichtungsstellen in Deutschland, deren Träger (gemeinnützige) Vereine gemäß § 21 BGB sind. Diese Rechtsform des Trägers fördert eine dauerhafte und qualitätvolle Arbeit der Schlichtungsstelle.

40 Nach der Vorgabe des § 3 ist es nicht möglich, dass eine Einzelperson eine Verbraucherschlichtungsstelle betreibt.

41 Die zwingende Vorschrift des Satzes 2 soll die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit auch einer solchen Verbraucherschlichtungsstelle gewährleisten.

§ 4 Zuständigkeit von Verbraucherschlichtungsstellen

(1) Die Verbraucherschlichtungsstelle führt auf Antrag eines Verbrauchers Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten aus einem Verbrauchervertrag nach § 310 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder über das Bestehen eines solchen Vertragsverhältnisses durch; arbeitsvertragliche Streitigkeiten sind ausgenommen.

(2) Die Verbraucherschlichtungsstelle kann ihre Zuständigkeit auf bestimmte Wirtschaftsbereiche, Vertragstypen oder Unternehmer beschränken. Hat die Verbraucherschlichtungsstelle keine einschränkende Zuständigkeitsregelung getroffen, führt sie die Bezeichnung „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“ und ist für Anträge nach Absatz 1 zuständig, mit Ausnahme von

1.Streitigkeiten aus Verträgen über

a)nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse

b)Gesundheitsdienstleistungen,

c)Weiter- und Hochschulbildung durch staatliche Einrichtungen,

2.Streitigkeiten, für deren Beilegung Verbraucherschlichtungsstellen nach anderen Rechtsvorschriften anerkannt, beauftragt oder eingerichtet werden.

Die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle kann ihre Zuständigkeit auf in einem Land niedergelassene Unternehmer beschränken; in diesem Fall führt sie die Bezeichnung „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“ mit einem Zusatz, der das Land angibt, für das sie zuständig ist. Eine solche Zuständigkeitsbeschränkung kann sich auf mehrere Länder beziehen und muss dann dementsprechend angegeben werden.

(3) Die Verbraucherschlichtungsstelle kann ihre Tätigkeit auf die Beilegung sonstiger zivilrechtlicher Streitigkeiten, an denen Verbraucher oder Unternehmer als Antragsteller oder Antragsgegner beteiligt sind, erstrecken; arbeitsvertragliche Streitigkeiten sind ausgenommen.

(4) Die Verbraucherschlichtungsstelle kann ihre Zuständigkeit ausschließen für Verbraucher, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, oder für Unternehmer, die nicht im Inland niedergelassen sind.

Erläuterungen:

42 Absatz 1 enthält die Mindestanforderung an eine Verbraucherschlichtungsstelle. Sie kann gemäß den Absätzen 2 bis 4 ihre Zuständigkeit begrenzen oder ausdehnen; sie ist aber dazu nicht verpflichtet.

Zu Absatz 1

1. Allgemeines

43 Diese Vorschrift legt den Zuständigkeitsbereich fest, den eine Einrichtung mindestens – und zwar als Haupttätigkeitsfeld – abdecken muss, um als Verbraucherschlichtungsstelle anerkannt werden zu können. So wäre es beispielsweise nicht zulässig, wenn eine solche Stelle die Beilegung von Streitigkeiten auf Antrag von Unternehmern betreibt und dabei insbesondere die sachliche Zuständigkeit für Streitigkeiten auf Antrag von Unternehmern weiter fasst als die für entsprechende Verbraucherbeschwerden.

44 Die Verbraucherschlichtungsstelle wird nur auf Antrag tätig; dafür hält sie ein Formular bereit.

45 Den Inhalt eines Antrags gibt die Verfahrensordnung der jeweiligen Verbraucherschlichtungsstelle gemäß § 5 vor. Stets erforderlich sind die zur zweifelsfreien Identifikation notwendigen Angaben zur Person des Antragstellers und zum Antragsgegner, zum Streitgegenstand und dem ihm zugrundeliegenden Vertrag sowie zum Ziel des Antrags. Bei Unklarheiten kann der Streitmittler (§ 6) auf die notwendige Ergänzung hinwirken.

2. Verbraucherverträge

46 Verbraucherverträge nach § 310 Absatz 3 BGB bieten bezüglich des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) einen höheren-Schutz für Verbraucher.

47 Die Vorschrift des § 310 Absatz 3 BGB lautet:

Bei Verträgen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (Verbraucherverträge) finden die Vorschriften dieses Abschnitts (Anmerkung: BGB, Buch 2 Abschnitt 2) mit folgenden Maßgaben Anwendung:

1.Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten als vom Unternehmer gestellt, es sei denn, dass sie durch den Verbraucher in den Vertrag eingeführt wurden;

2.§ 305c Absatz 2 und die §§ 306 und 307 bis 309 dieses Gesetzes sowie Artikel 46b des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch finden auf vorformulierte Vertragsbedingungen auch dann Anwendung, wenn diese nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind und soweit der Verbraucher auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte;

3.bei der Beurteilung der unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Absätze 1 und 2 sind auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen.

48 Nach dieser Vorschrift unterliegen auch Dritt- und Einzelvertragsklauseln einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB, sofern sie nicht vom Verbraucher in den Vertrag eingebracht wurden oder es sich um eine im Einzelnen ausgehandelte Vereinbarung handelt. Die Beweisführung für die Ausnahmetatbestände obliegt jeweils dem Unternehmer (BGH, NJW 2008 S.2250).

49 Mit § 310 Absatz 3 BGB soll der Verbraucher in seiner rollenspezifischen Unterlegenheit geschützt und ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes gewährleistet werden.

50 Nach Artikel 2 Absatz 1 der ADR-Richtlinie sind Schlichtungsstellen zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern aus „Kaufverträgen“ oder „Dienstleistungsverträgen“ einzurichten. Diese Verträge sind in Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben c) und d) der vorgenannten Richtlinie wie folgt definiert:

51 Kaufvertrag ist jeder Vertrag, durch den der Unternehmer das Eigentum an Waren an den Verbraucher überträgt oder deren Übertragung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt, einschließlich von Verträgen, die sowohl Waren als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben.

52 Dienstleistungsvertrag ist jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt.

53 Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen können sowohl Rechte und Pflichten sowie Verzugsschäden nach § 286 BGB aus dem Vertragsverhältnis betreffen als auch die Frage, ob ein solches Vertragsverhältnis besteht. Nicht erfasst sind aber z. B. Streitigkeiten über die Gültigkeit von Beschlüssen der Wohnungseigentümer.

54 Arbeitsverträge zählen nicht zu den Dienstleistungsverträgen, weil Arbeitnehmer keine Unternehmer sind.

3. Online-Geschäfte

55 Derartige Geschäfte im hier maßgeblichen Sinne umfassen Online-Kaufverträge und Online-Dienstleistungsverträge. Dabei handelt es sich um Verträge, bei denen der Unternehmer oder dessen Vermittler Waren oder Dienstleistungen mit Ausnahme von Finanzdienstleistungen (siehe Kapitel 2 Ziffer 2.1.2.1) über eine Webseite oder auf anderem elektronischem Weg angeboten hat und der Verbraucher die Waren oder Dienstleistungen auf dieser Webseite oder auf anderem elektronischem Weg – auch über ein mobiles elektronisches Gerät – bestellt hat.

56 Vor der Bestellung hat der Unternehmer den Verbraucher klar und verständlich insbesondere zu unterrichten

über die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen,

über den Gesamtpreis der Waren oder Dienstleistungen bzw. die Preisgestaltung einschl. aller Steuern und Abgaben sowie Nebenkosten,

bei einem unbefristeten Vertrag oder einem Abonnement-Vertrag über die Gesamtkosten pro Abrechnungszeitraum bzw. die Art der Preisberechnung,

ggf. über die Laufzeit des Vertrages oder die Bedingungen der Kündigung eines unbefristeten oder sich automatisch verlängernden Vertrages,

ggf. über die Mindestdauer der Verpflichtungen, die der Verbraucher mit dem Vertrag eingeht,

über die einzelnen technischen Schritte, die zu einem Vertragsschluss führen,

darüber, wie mit den zur Verfügung gestellten technischen Mitteln Eingabefehler vor Abgabe der Vertragserklärung erkannt und berichtigt werden können,

über die akzeptierten Zahlungsmittel.

57 Nach § 312j Absatz 3 BGB hat der Unternehmer die Bestellsituation so zu gestalten, dass der Verbraucher mit seiner Bestellung ausdrücklich bestätigt, dass er sich zu einer Zahlung verpflichtet. Erfolgt die Bestellung über eine Schaltfläche, muss diese gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „Zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet sein. Andernfalls kommt der Vertrag nach Absatz 4 a. a. O. nicht zustande.

58 Schließlich hat der Unternehmer nach § 312i Absatz 1 BGB dem Verbraucher

den Zugang von dessen Bestellung unverzüglich auf elektronischem Weg zu bestätigen und

die Möglichkeit zu verschaffen, die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss abzurufen und in wiedergabefähiger Form zu speichern.

Zu Absatz 2

59 Nach dieser Vorschrift kann eine Verbraucherschlichtungsstelle die Zuständigkeit nach Absatz 1 auf ihre Besonderheiten ausrichten; eine umfassende persönliche, sachliche oder örtliche Zuständigkeit ist nicht erforderlich.

60 Eine Beschränkung der Zuständigkeit entspricht der Praxis bei den bestehenden Schlichtungsstellen im Verbraucherbereich. Viele Stellen führen nur Verfahren für Streitigkeiten aus bestimmten Wirtschaftsbranchen, für bestimmte Vertragstypen oder nur bei Beteiligung eines Unternehmers durch, der Mitglied des Trägervereins der Schlichtungsstelle ist.

61 Hat eine Verbraucherschlichtungsstelle keine einschränkende Zuständigkeitsregelung getroffen, führt sie gemäß Satz 2, 1. Halbsatz die Bezeichnung „Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle“. Dies gilt auch dann, wenn sie lediglich von einer der nach Absatz 3 oder 4 zulässigen Möglichkeiten zur Gestaltung der Zuständigkeit Gebrauch macht, aber ihre Zuständigkeit im Übrigen nicht beschränkt. Auch in diesem Fall stellt sie für alle nach der ADR-Richtlinie geforderten Konstellationen ein ausreichendes Schlichtungsangebot zur Verfügung.

62 Unabhängig vom Umfang ihrer Zuständigkeit gehören außer arbeitsvertraglichen Streitigkeiten auch Auseinandersetzungen über folgende Verträge nicht zum Aufgabenbereich von Verbraucherschlichtungsstellen:

63 Nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse. Dabei handelt es sich um staatliche oder im Namen des Staates erbrachte Dienstleistungen, die zwar auf vertraglicher Grundlage, aber ohne eine wirtschaftliche Gegenleistung des Leistungsempfängers erbracht werden. Dazu zählen typischerweise Tätigkeiten in Ausübung öffentlicher Befugnisse, in den Bereichen der sozialen Sicherheit, der Gesundheitsfürsorge oder des Bildungswesens. Entscheidend für die Abgrenzung ist grundsätzlich das Bestehen eines Marktes für bestimmte Dienstleistungen. Wenn hingegen der Staat in Erfüllung seiner Aufgaben bestimmte Tätigkeiten übernimmt, ohne dass eine Gegenleistung von den Nutzern dieser Leistungen erbracht wird, liegt eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit nahe;

64 Gesundheitsdienstleistungen in Form von Dienstleistungen, die von Angehörigen der Gesundheitsberufe gegenüber Patienten erbracht werden, um deren Gesundheitszustand zu beurteilen, zu erhalten oder wiederherzustellen, einschließlich der Verschreibung, Abgabe und Bereitstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten.

65 Hingegen fallen Verträge nach dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) auf Grund der besonderen Verbundenheit von Wohnraumüberlassung mit Pflege- und Betreuungsleistungen sowie unter Aspekten des Verbraucherschutzes ebenso in die Zuständigkeit von Verbraucherschlichtungsstellen nach diesem Gesetz wie Verträge zwischen dem Träger einer zugelassenen stationären Pflegeeinrichtung außerhalb des Anwendungsbereichs des WBVG und dem pflegebedürftigen Bewohner (§ 119 SGB XI – Soziale Pflegeversicherung). Davon ausgenommen sind andererseits Versorgungsverträge mit zugelassenen Pflegeeinrichtungen (Pflegedienste und Pflegeheime) gemäß §§ 71, 75 SGB XI und Pflegesatzvereinbarungen nach § 85 SGB XI, für die gemäß § 76 SGB XI Landes-Schiedsstellen eingerichtet sind, sowie Vereinbarungen nach § 75 SGB XII – Sozialhilfe – mit Trägern von stationären und teilstationären Einrichtungen, die Sozialhilfeleistungen erbringen, für die nach § 80 SGB XII ebenfalls Landes-Schiedsstellen gebildet sind.

66 Nach der neuen Nr. 4 des § 6 Absatz 3 des WBVG muss der Unternehmer bei nach dem 31.03.2016 abgeschlossenen Verträgen dem Verbraucher stets mindestens die Informationen nach § 36 Absatz 1 VSBG geben. Unerheblich ist, ob der Unternehmer Allgemeine Geschäftsbedingen verwendet oder eine Webseite unterhält. Im Übrigen findet auch die Ausnahmeregelung des § 36 Abs. 3 VSBG keine Anwendung.

67Weiter- und Hochschulbildung durch staatliche Einrichtungen. Dabei handelt es sich um Einrichtungen der Weiter- und Hochschulbildung in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft wie z. B. Universitäten, staatliche oder kommunale Schulen, Musikschulen oder Volkshochschulen.

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