Toni der Hüttenwirt – 172 – Vom Glück, dir zu begegnen!

Toni der Hüttenwirt
– 172–

Vom Glück, dir zu begegnen!

Die Liebe verändert Tanjas Leben

Friederike von Buchner

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-362-4

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Es war später Abend. Toni versorgte die Hüttengäste. Anna saß im Wohnzimmer und bastelte. Nach einiger Zeit kam Toni herein.

Anna lächelte ihm zu.

»Ich bin bald fertig, dann komme ich.«

»Du musst net, lass dir Zeit! Es regnet immer noch. Die meisten Hüttengäste sind schon schlafen gegangen. Nur noch eine Handvoll sitzt mit dem Alois am Feuer und lauscht seinen Geschichten. Es ist schon sonderbar, wie selbst mich die Geschichten immer wieder packen, obwohl ich sie schon so oft gehört habe.«

»Mir geht es genauso. Ich höre ihm gern zu. Jedes Wort ist erlebtes Wort und kommt aus dem Herzen.«

»Das hast du schön gesagt, Anna. Das trifft es genau.«

Anna drehte die Tube Klebstoff zu.

»So, fertig!«

»Schaut gut aus! Ich bin gespannt, was Lars dazu sagt.«

»Ich hoffe, der Kalender erfüllt seinen Zweck. Er ist eben noch so klein. Kinder in dem Alter haben noch kein richtiges Zeitgefühl. Ich hoffe, meine kleine Bastelei hilft ihm.«

»Wenn ein Adventskalender Kindern hilft, die Tage bis Weihnachten zu verstehen, dann wird das jetzt auch helfen. Es sind nur noch acht Türchen zu öffnen, bis seine Mutter wiederkommt.«

»Ja«, seufzte Anna. »Melanie wollte Lars eine Freude machen, als sie anrief und ihm sagte, sie käme bald. Ich verstehe, dass sie ihn deshalb anrief. Ich wusste nicht, dass sie es ihm sagt. Seither ist er …«, Anna lächelte, »er ist sehr anstrengend, Toni. Ich glaube, er fragt mich am Tag fünfzigmal und mehr, wann seine Mutter kommt.«

»Nicht nur dich, Anna! Ich hoffe auch, dass der ›Mama-kommt-bald-Kalender‹ hilft. Er ist sehr schön. Was für Bilder hast du drin?«

»Es sind Bilder von Bello und ein paar Fotos von Max und von den Ziegen auf der Oberländer Alm.«

»Er wird ihm bestimmt gefallen.«

»Warten wir es ab!«

Anna legte den Kalender zur Seite und räumte den Tisch auf. Dann ging sie hinaus in die Wirtsstube. Toni spülte die letzten Gläser. Der alte Alois saß im Schaukelstuhl vor dem Kamin und trank einen Kräutertee. Toni und Anna setzten sich noch eine Weile dazu und tranken auch einen Tee. Dann gingen sie schlafen.

Der kleine Lars schlief am nächsten Tag etwas länger. Es war schon gegen neun Uhr, als er, den Teddybär unter dem Arm, in die Küche kam.

»Hallo, Lars, hast du gut geschlafen? Hast du schön geträumt?«

Er zuckte mit den Achseln und rieb sich die Augen.

»Kommt heute Mama?«

Anna lächelte.

»Nein, heute noch nicht, Lars. Aber sie kommt bald. Am nächsten Montag.«

Anna stellte Lars das vorbereitete Frühstück hin. Lars aß zum Frühstück gern ein Käsebrot und trank Kakao. Sie setzte sich neben ihn.

»Sieh mal, Lars. Das ist für dich. Es ist ein Kalender. Jeden Tag nach dem Frühstück machst du ein Türchen auf und wenn alle Türen offen sind, dann kommt deine Mama.«

»Das ist ein Adventskalender«, sagte Lars.

»So ähnlich, es ist ein ›Mama-kommt-bald-Kalender‹. Adventskalender gibt es nur im Winter, wenn Schnee liegt. Das Türchen mit der ›Eins‹, das ist für heute.«

»Kann ich es aufmachen?«

»Du bist noch nicht mit dem Frühstück fertig. Iss dein Brot auf und trinke deinen Kakao!«

Bello hatte gehört, dass Lars aufgestanden war. Der junge Neufundländer kam in die Küche und begrüßte ihn. Lars hatte ein Käsebrot in der Hand. Er verfütterte es an Bello und trank schnell seinen Becher leer.

»Fertig!«, rief er.

Anna lachte laut.

»Du bist mir schon ein kleiner Schelm. So habe ich es nicht gemeint. Aber für heute lasse ich es gelten. Doch wenn du Hunger bekommst, dann sagst du es mir, versprochen?«

Lars nickte artig.

Anna half Lars, das erste Türchen zu öffnen.

»Das ist Bello!«, rief Lars aus. »Das ist Schnee! Sein ganzes Fell ist voller Schnee.«

»Das Bild hat Franzi geknipst. Das war im letzten Winter. Wir waren alle rodeln. Hast du auch einen Rodelschlitten?«

»Ja, aber es gibt keine richtigen Berge in der Stadt.«

»Weißt du was? Dann kommst du im Winter einige Tage nach Waldkogel. Dann sind wir unten im Tal bei Tonis Eltern, wie jeden Winter. Du kennst sie, Großmutter und Großvater Baumberger. Dann gehen wir alle zusammen los und rodeln am Hang. Bello wird dich auf deinem Schlitten ziehen.«

Lars strahlte. Er nickte eifrig.

»So, jetzt gehst du dich waschen und putzt dir die Zähne!«

Lars wollte den Kalender mitnehmen.

»Nein, der bleibt hier. Schau, den hängen wir hier an das Merkbrett.«

»Da hängen alle wichtigen Sachen dran, hat Toni gesagt.«

Anna schmunzelte.

»Genau, das ist richtig und deinen Kalender hänge ich jetzt dort auf.«

Lars sah zu, wie Anna den Kalender mit einer Reißzwecke befestigte.

»Alles gut so, Lars?«, fragte Anna.

Lars nickte. Er nahm seinen Teddybär und ging ins Bad.

*

Toni und Anna saßen auf der Terrasse und gönnten sich die vormittägliche Pause. Die erste Morgenarbeit war getan. Alle Hüttengäste hatten gefrühstückt, waren weiter gewandert oder zu Klettertouren aufgebrochen. Es hatte zwei Tage geregnet. Jetzt schien die Sonne von einem wolkenlos blauen Himmel. Toni trank einen Schluck Kaffee. Anna warf ihm einen Seitenblick zu.

»Du bist in Gedanken, Toni. Verrätst du mir, über was du nachdenkst? Ist es Lars?«

Toni lächelte.

»Du kennst mich gut und siehst es mir an, wenn ich mir über etwas Gedanken mache. Nein, ich habe nicht an Lars gedacht. Er scheint heute ganz zufrieden zu sein. Er ist mit Bello oben am Gebirgsbach.«

Anna und Toni sahen über das Geröllfeld den Hang hinauf. Der kleine Lars saß neben Bello auf dem Boden und lauschte dem Gemurmel des Bergbachs.

»Ich musste gerade an Tanja denken, Anna. Du hast sie nicht gekannt, wie sie damals war. Sie war ein junges, temperamentvolles, fröhliches Madl. Sie kam lange Jahre mit ihren Eltern auf die Berghütte. Später, als sie in die Oberstufe ging, kam sie allein. Sie machte ihr Abitur. Das war in dem Jahr, als die Berghütte geschlossen war und Alois sich bemühte, sie zurückzubekommen. Es war das Jahr, in dem wir heirateten und die Berghütte übernahmen. In dem Jahr sah ich Tanja nicht. Sie kam erst im nächsten Jahr wieder. Ich war sehr erschrocken, als ich sie sah.«

»Ich erinnere mich daran, Toni. Du warst richtig erschüttert.«

»Ja, das war ich. Auf den ersten Blick hatte ich sie nicht erkannt. Sie war nur zwei Jahre älter geworden, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, aber sie sah aus, als sei sie um zwanzig Jahre und mehr gealtert. Sie sah so ernst aus. Sie lachte nicht. Jede Freude war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie wollte mit niemanden reden und zog sich oft in ihre Kammer zurück.«

»Das stimmt. Du warst überzeugt, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Du sprachst sie darauf an, aber sie schwieg. Sie sagte nur, sie sei überarbeitet. Dir kam das damals schon seltsam vor.«

»Das war mehr als seltsam. Tanja war früher eine begeisterte Bergsteigerin. Aber sie kletterte nicht mehr und schlug jede Einladung aus, sich einer Seilschaft anzuschließen. Sie war sehr verändert. Anna, ich dachte, ich lasse sie gehen. Wenn sie ihr Herz nicht ausschütten will, dann hat sie vielleicht etwas schwer getroffen und sie kann noch nicht darüber reden. Doch Tanja schwieg sich auch bei ihren nächsten Besuchen aus. Sie war noch genauso verschlossen und so blieb es auch.«

»Ich erinnere mich. Es wurde noch sonderbarer mit ihr, nachdem wir Franziska und Sebastian aufgenommen hatten. Seit damals übernachtet sie kaum mehr auf der Berghütte. Sie macht große Wanderungen und kommt nur jeweils im Abstand von drei oder vier Tagen vorbei, um frischen Proviant zu holen. Ich glaube, sie geht besonders den Kindern aus dem Weg.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen. Vielleicht kann sie keine Kinder bekommen? Vielleicht hat ihr deshalb ein Bursche einen Korb gegeben?«

»Was du immer denkst, Toni!«

»So seltsam ist der Gedankengang nicht. Tanja ist jetzt bald Mitte zwanzig. Sie scheint allein zu sein. Jedenfalls hatte ich nicht den Eindruck, dass sie verliebt ist, im letzten Jahr so wenig wie die Jahre davor. Kann doch sein, dass sie verliebt war und dann erfahren hat, sie kann keine Kinder bekommen. Sie hat es ihm gesagt und daran ist die Liebesbeziehung zerbrochen. Es gibt solche dummen Mannsbilder, die in einem Madl nur die Zuchtkuh sehen.«

»Toni, wie du dich ausdrückst!«, tadelte ihn Anna.

»Ist doch wahr, oder? Mich regt so etwas auf. Ein Bursche liebt doch in erster Linie das Madl und sucht es net danach aus, ob es auch Kinder bekommen kann, oder? Die Liebe hört doch nicht damit auf.«

Anna streichelte Tonis Wange. Sie wusste genau, wie er es meinte. Leider war ihre Ehe bisher kinderlos geblieben.

Keiner konnte ihnen sagen, warum es so war, noch an wem es lag, an Anna oder an Toni. Sie waren sich einig, dass der Herrgott es so wollte und sie fügten sich. Ihr ganzer Trost waren ihre Adoptivkinder Franziska und Sebastian. Sie liebten sie von Herzen und vergaßen oft, dass sie nicht ihre leiblichen Kinder waren.

»Anna, was auch immer hinter Tanjas Veränderung steckt, es muss ein sehr traumatisches Erlebnis gewesen sein, einen großen, gewaltigen Schock muss das Madl erlebt haben. Nur ein dramatisches Geschehen kann das Lächeln einfrieren.«

»Und das Herz«, sagte Anna leise. »Manche Erlebnisse brauchen länger, bis sie überwunden werden.«

»Sicher, aber es sind schon Jahre vergangen, seit sich Tanja verändert hat, Anna! Es kommt mir vor, als sei sie eine andere Person.«

»Stimmt, Toni! Was sind schon einige Jahre? Denke an meine Großmutter! Omi Zwirner war, solange ich denken kann, voller Angst vor allem, was sie an Berge erinnert. Das blendete sie aus. Sie wollte nicht daran erinnert werden, dass meine Eltern, ihr Sohn und ihre Schwiegertochter, in den Bergen verunglückt sind. Sie schaltete im Fernsehen einen Film aus, wenn die Handlung in den Bergen spielte oder wenn Luftaufnahmen von einem Gebirge zu sehen war. Ihre Ängste hatten großen Einfluss auf mich. Berge, das war gleichbedeutend mit Gefahr und Verlust.«

Toni legte den Arm um Anna.

»Und du hast dich in mich verliebt. Welch ein Wunder!«

»Ja, das war ein Wunder, Toni. Ich war überzeugt, dass die Berge gefährlich sind und man sie meiden muss. Trotzdem verliebte ich mich in dich.«

Toni küsste Anna. »Du hast dich in mich verliebt und in die Berge und die Berghütte.«

»Ja! Meine Eltern liebten die Berge. Vielleicht haben sie mir diese Liebe mitgegeben, auch wenn sie schon lange im Himmel sind. Es war gut und wunderbar und ein Geschenk. Ich habe dich gefunden, eine Heimat und eine Aufgabe, die mich glücklich macht, die mich erfüllt. Die Berge hier sind für mich der schönste Ort auf Erden. Ich möchte nirgendwo anders sein. Es ist das Paradies.«

Toni lachte laut.

»Es gibt einen winzigen Unterschied. Im Paradies muss man nicht arbeiten.«

»Dann muss es ziemlich langweilig sein.«

Sie lachten und gaben sich einen Kuss.

»Dort kommt Tanja«, rief Alois, der abseits an einem Tisch saß.

Tanja kam mit einem großen Rucksack über das Geröllfeld. Sie ging die wenigen Stufen zur Terrasse hinauf und warf den Rucksack ab.

»Das ist heute eine Schwüle! Wo bleibt die schöne klare und erfrischende Bergluft?«

»Grüß Gott, Tanja!«

»Hallo, Toni! Hallo, Anna!«, sagte Tanja knapp.

»Magst du dich setzen?«

»Nur für einen Moment. Der Aufstieg war wirklich anstrengend.«

»Was magst du trinken?«

»Wasser!«

Toni führte Tanja an den Tisch, an dem der alte Alois saß. Sie gaben sich die Hand. Tanja setzte sich.

»Geht es dir gut?«, fragte Alois.

»Ja, es geht mir gut. Jedem geht es gut, wenn er Urlaub hat.«

Anna brachte einen Krug mit Quellwasser. Tanja schenkte sich das Glas ganz voll und trank es in einem Zug aus. Sie schenkte sich nach und trank noch ein halbes Glas.

»So, jetzt geht es wieder. Es ist wirklich ungewöhnlich schwül, Toni.«

»Das stimmt. Es hat die letzten Tage fast ununterbrochen geregnet. Felder, Wiesen und der Waldboden – alles ist total durchweicht. Jetzt scheint die Sonne und sie trocknen. Da wird es schwül. Feuchte Luft steigt nach oben und bildet neue Wolken. Aber einige Tage wird der Sonnenschein schon halten, denke ich. Was sagst du, Alois, mit deiner langjährigen Wettererfahrung?«

»Es wird keinen Regen geben, Toni. Der Wind ist zu stark. Es wird sonnig bleiben.«

»Das ist gut. Dann werde ich schönes Wetter haben auf meinen Bergwanderungen«, sagte Tanja. »Könnt ihr mir Proviant geben, dann gehe ich gleich los.«

Toni sah sie verwundert an.

»Mei, hast du es eilig! Fast könnte man denken, du willst uns aus dem Weg gehen.«

»Rede keinen solchen Unsinn, Toni!«, erwiderte Tanja.