Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?

Ich würde mich als Feministin bezeichnen, wobei ich sozusagen „Old-School-Feministin“ bin. [lacht] Der Feminismus heute kennt eine Menge unterschiedlicher Varianten und Schulen. Ich bin neben der Friedens- und Antiapartheidbewegung besonders mit dem Feminismus erwachsen geworden. Als ich in Göttingen ­studiert habe, war ich oft im Frauenbuchladen und ­natürlich gehöre ich zu den Frauen, die Alice Schwarzers Bücher wie „Der kleine Unterschied“ verschlungen haben. Das waren echte Eye Opener für mich. Dieses und ähnliche Bücher haben meine Sicht auf die Welt verändert. Gerade die feministischen Klassiker stehen immer noch in meinem Bücherregal. Wir haben eben über Othering gesprochen. Simone de Beauvoir kannte diesen soziologischen Begriff sicherlich nicht, aber in „Das andere Geschlecht“ hat sie schon 1949 genau das messerscharf erkannt: Männer werden als gesellschaftliche Norm betrachtet und Frauen als das Andere ab­gewertet. Ich habe alle ihre Bücher, auch die dicken Bände ihrer Memoiren, verschlungen. So eine kluge und schöne Frau und dann diese komplizierte, manchmal fast selbstzerstörerische Liebesgeschichte mit Jean Paul Sartre, das habe ich beim Lesen kaum ausgehalten. Dass das Geschlecht lediglich eine soziale Konstruktion ist, habe ich damals zum ersten Mal begriffen. Ich habe reichlich politische und philosophische Literatur ge­lesen. Aber erst durch die Feministinnen habe ich verstanden, dass die Herrschaft von Männern über Frauen quer zu allen politischen Strukturen steht und die patriar­chale Ausbeutung in allen Gesellschaftsschichten und in allen Syste­men existiert. Macht und Ohnmacht, Gewalt und Unterdrückung waren mit einem Mal nicht mehr nur Fragen des Kolonialismus oder der Apartheid, sondern existenzielle Fragen meines eigenen Lebens.

Das hat meine Sicht auf die Dinge, auf Beziehungen, Partnerschaft und Familie, Gesellschaft und Kirche, aber auch auf Forschung und Sprache für immer verändert. In diesem Sinne bin ich lebenslang Feministin geblieben und habe den Frauen der Generationen vor mir so viel zu verdanken. Das gilt auch für die Vorkämpferinnen in der Kirche. Die wenigen Theologinnen, die es da gegeben hat, haben sich ihren Weg unter so ungleich komplizierteren Bedingungen bahnen müssen als ich selbst. Feministische Theologie habe ich mit Interesse verfolgt, aber meinen neuen Blick auf die Welt und meine eige­ne Geschichte habe ich besonders den säku­laren politischen Feministinnen zu verdanken.

Angela Merkel wurde vor kurzem auch gefragt, ob sie sich als Feministin versteht – zusammen mit Ivanka Trump und Christine Lagarde. Christine Lagarde war die Einzige, die Ja gesagt hat. Das fand ich überraschend. Warum fällt es Frauen noch immer so schwer, dieses Attribut auf sich anzuwenden?

Mir fällt das nicht schwer, der Begriff ist für mich mit tiefer Wertschätzung verbunden. Der Feminismus hat so viele tapfere Kämpferinnen hervorgebracht, denen ich so unendlich viel verdanke! Bei Gesprächen aber hat es leider oft den Klang eines Schimpfwortes oder eines stumpfen Herrenwitzes.

Mussten Sie dahingehend selbst viel aushalten?

Ich war oft im Leben irgendwo die erste Frau in einer Position. Damit konnten nicht alle gut umgehen. In der Neuen Kirche war ich die erste Pfarrerin, da blieben aus der reformierten Gemeinde tatsächlich Leute weg, meldeten sich um und gingen in andere Gemeinden. Ein katholischer Kollege hat sich geweigert, mit mir eine ökumenische Trauung zu gestalten, weil ich schwanger war. Der hat mir wirklich ins Gesicht gesagt, dass Geschlechtlichkeit und Fruchtbarkeit Sünde seien und nicht vor den Altar gehörten. Eine schwangere Frau im Talar würde seinen Altar entweihen. Solche Geschichten könnte ich zuhauf erzählen. Die hat es immer wieder gegeben, und die kann nicht nur ich, sondern vermutlich jede Frau meiner Generation erzählen.

Trifft Sie so etwas noch?

Es ärgert mich. Als ich jünger war, habe ich es persön­licher genommen und war oft sprachlos. Ich habe inzwischen gelernt, dass das der harte Kern der Genderproblematik ist, und kann damit professioneller um­gehen. Ich habe mir ein spezielles Repertoire von soften und harten Verhaltensweisen für Verbalattacken oder Anzüglichkeiten zurechtgelegt, auch um nicht ver­sehentlich in die weibliche Nettigkeitsfalle zu tapsen: Nur bei Kleinigkeiten ignoriere ich das Ganze, manchmal thematisiere ich es möglichst schlagfertig, nur selten mache ich auf dem Absatz kehrt. Ich kann aber auch mit harten Bandagen kontern oder eine offizielle Beschwerde einreichen. Mich verblüfft dennoch, wie lange solche frauenfeindlichen Muster überdauern und dass nun Ihre Generation wieder mit dem Monster Alltagssexismus konfrontiert ist. Als ich jünger war, dachte ich, so viel Dummheit stirbt aus. [lacht]

Die unverfrorene Dummheit scheint aber ziemlich zäh zu sein. Die Dinosaurier sind ausgestorben, aber diese Geschlechterklischees entstehen ständig neu und zeigen sich von ihrer schäbigsten Seite. Das ist zum Teil brandgefährlich. Jungen Frauen würde ich sagen: Du, nutze die Fülle der Lebenswirklichkeiten! Entscheide dich nicht zwischen Familie und Beruf. Das wäre zu schade, man verpasst zu viel. Es geht viel mehr, als du selbst für möglich hältst. Natürlich hat das einen Preis. Meiner Mutter waren die Lebensentscheidungen, die mein Mann und ich gefällt haben, lange Zeit unbegreiflich. Sie selbst hatte mit Hingabe und Liebe die klassische Frauenrolle ihrer Generation als Hausfrau und Mutter gelebt. Umso schöner war es für mich, Jahre später von ihr zu hören, wie freundlich und liebevoll unsere Kinder doch seien, und dass sie offensichtlich nichts an Nestwärme entbehrt hätten. Besonders rührt mich heute an, welchen Respekt meine Mutter meinem Mann für sein Familienengagement entgegenbringt und dass diese alte Frau es ihm gegenüber auch ausspricht.

Obwohl sich meine Eltern wahrscheinlich nie als Feministen bezeichnen würden, waren sie ganz praktisch gute Vorbilder. Sie waren beide arbeiten, weil es sonst nicht gereicht hätte. Dennoch erfüllen sie auch ganz viele Rollenklischees und ­tradieren die jetzt auch an ihre Enkel, was ich manchmal ganz schrecklich finde. Trotzdem war für mich immer klar, dass meine Schwestern alle genauso alles werden können, dass
sie so viel wert sind wie ich. Woher also kommt dieser patriarcha­le Rollback?

Das ist die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit: einfache politische Lösungen, schlichte Rollenvorstellungen, blinde Nostalgie.

Und warum tun sich selbst die Kirchen so schwer?

Weil sie ein wenig schmeichelhaftes Spiegelbild unserer Gesellschaft sind. Es sind die gleichen Leute. Wir können uns nicht heraushalten aus der Zeit, in der wir existieren. Wir können nur versuchen, wenn wir Giftiges oder Schädliches entdecken, alle unsere Ressourcen da­ge­gen zu aktivieren. Der Ratsvorsitzende sagt manchmal, wir Kirchenleute müssten mit gutem Vorbild voran­gehen. Da bin ich skeptischer. Ich glaube, wir ­blicken häufig nicht weiter über den Tellerrand hinaus als der Rest der Bande um uns herum. Es steht uns auch gut an, das manchmal mit einer gewissen Demut und mit selbstkritischer Nüchternheit einzugestehen. Was uns wirklich unterscheidet von anderen, ist nicht unsere eigene moralische Qualität, sondern die Botschaft des Evangeliums. Wenn wir uns selbst in das Rampenlicht stellen oder die vermeintlich vorbildliche Kirche in den Mittelpunkt rücken, ist das ein hoch­riskantes Unterfangen. Ich wüsste zumindest nicht, worauf ich da mein Vertrauen bauen sollte. [lacht]

Der Katholizismus oder die orthodoxe Kirche würden natürlich auf die ewige Gestalt der Kirche setzen, aber das gehört nicht zu meinem theologischen Vorstellungsgut. Die Energie der christlichen Botschaft überlebt, da habe ich überhaupt keine Bange. Das zeigen die Bilder aus der weltweiten Ökumene und die vielen Orte, wo Kirchen wachsen. Wobei man die expandierenden pfingstlerischen und charismatischen Gemeinden weltweit leider nicht als feministisch bezeichnen kann.

Interessieren Sie die aktuellen feministischen Debatten noch?

Die Debatten interessieren mich, ich nehme daran auch teil und lasse mich etwa von feministischer Forschung oder Theologie inspirieren. Feministische Spiritualität finde ich anregend. Mich interessiert heute in der Genderdebatte, was wir über das soziale und das biologische Geschlecht überhaupt wissen und davon verstehen. Dazu gehört auch die Frage, welche histo­rische Rolle die Kirche dabei gespielt hat, etwas, was heute unter dem Stichwort „Doing Gender“ diskutiert oder auch heftig bestritten wird. Da ist wissenschaftlich eine Menge passiert in den letzten 20 Jahren. Mich interessiert aber auch, wie die Kirchen transsexuellen oder intersexuellen Menschen Schutz und Unterstützung anbieten können, anstatt ihr Leid durch Un­wissenheit oder mangelnde Sensibilität noch zu verschärfen. Ich versuche auch mit ihren Augen die Bibel zu lesen. Da finden sich Geschichten, die genau für dieses Feld taugen, theologisch aber überhaupt noch nicht bearbeitet sind. Leider gibt es außer in bestimmten therapeutischen Fachzirkeln dazu keinerlei kirch­liche Debatte. Vielleicht, das hatten wir eben schon einmal, zeigt das aber auch nur, wie mächtig das Tabu rund um sexualethische Fragen ist.

Interessanterweise wird der Feminismus durch die Gender­debatten aktuell wieder politischer, wo er lange sehr wissenschaftlich-intellektuell war. Was ich total spannend finde, ist, dass es über die Schnittmenge zwischen Feminismus und Religion wieder Gesprächsmöglichkeiten in links-atheistische Kreise gibt, weil die sich mit der Religion als Unterdrückungsmarker auseinandersetzen, mit der Verfolgung von Muslimen, Christen, Buddhisten et cetera. In linken Milieus kann man plötzlich über Religion sprechen, was Jahrzehnte absolut tabu war. Und mit Muslimen verhält es sich ähnlich. Ich habe tolle Kontakte zu muslimischen Feministinnen. Wir reden plötzlich nicht mehr über diese klassischen theologischen Fragen: War Jesus jetzt Gottes Sohn und wie das für Muslime geht? Sondern man fragt sich, warum eigentlich weltweit Frauen unterdrückt werden, ob es Christinnen sind oder Musliminnen? Diese Schnittmenge auszuloten, finde ich total spannend.

Das ist interessant, weil diese brennenden Fragen so ­unterschiedliche Menschen zusammenführen. Ich halte viele fundamentaltheologische Fragen auch schlicht für unlösbar. Die mögen für einen geschlossenen wissenschaftlichen Zirkel einen hohen Diskurswert haben, aber für alle anderen ist das eine unfruchtbare und anstrengende Zeitvergeudung. Wenn ich mich aber auf einem Niveau bewege, wo es um gemeinsame Interessen und Erfahrungen geht, tun sich mit einem Mal Möglichkeiten der Zusammenarbeit oder Begegnung auf. Das ist das wirklich Aufregende an der ökume­nischen und interreligiösen Arbeit.

Leider bilden reaktionäre Gruppen längst Koalitionen über die Konfessionen hinweg. Die liberalen Kräfte haben das irgendwie noch nicht für sich erschlossen.

Den Eindruck habe ich auch. Wir sprachen ja eben kurz über Kairo. Wir denken im Westen, dass es in Ägypten vor allem ein unterdrückerisches System gibt. Wenn man aber dort an die Uni geht und sieht, wie viele Professorinnen es in Kairo gibt, schämt man sich für die Frauenquoten an deutschen Universitäten.

Auch die evangelische Welt bewegt sich rückwärts, obwohl inzwischen genug erfahrene Frauen da wären, die jüngere Frauen stark machen und ihnen anbieten könnten: „Ich bin deine Mentorin! Ich unterstütze dich! Ich stehe hinter dir und halte dir den Rücken frei.“ Ich selbst habe solches Coaching für Jüngere übernommen. Aber ich verstehe auch jede jüngere Frau, die sagt: Ach, muss das sein? Will ich das wirklich? [lacht]

Würden Sie sich von jungen Frauen wünschen, dass sie sich mehr einbringen?

Ich kenne die Zögerlichkeit, die ich bei manchen jüngeren Frauen beobachte, auch von mir selbst. Frauen haben das über die Generationen eingeübt, erst alles genau abzuwägen, alle anderen nach ihrer Meinung zu fragen und nichts allzu Riskantes zu wagen. Ihnen würde ich zurufen: „Ich verstehe euch, aber nehmt dennoch euer Herz in beide Hände! Was soll schon passieren? Was kann schiefgehen?“ Wie viel schöner und reicher wäre unsere Kirche, unsere Gesellschaft, wenn mehr Frauen auch in den Leitungsetagen ihre Klugheit, Fantasie und Erfahrungen einbrächten und sichtbar würden! Nur Mut! Mehr Schmackes, bitte! [lacht]

Und was sollen die Männer machen?

Die Männer sollten mit Lust die sozialen Rollen der ­Elternschaft und der Pflege für die Alten auskundschaften und dort viel mehr Verantwortung übernehmen. Dass die Familienfrage noch immer als Frauenfrage diskutiert wird, regt mich maßlos auf. Sind wir denn nicht 30 Jahre weiter als damals, als wir junge Eltern wurden? Haben wir nicht irgendwie zwei, drei entscheidende Dinge begriffen im Leben? Also die Ermutigung an die Männer, selbstbewusst solche Fürsorgerollen zu ergreifen und dann die Elternzeit auch stolz in die ­eigene Erwerbsbiografie hinein zu schreiben.

Ich würde jeden Mann, der sich bei der EKD bewirbt und seine Fami­lienverantwortung im Bewerbungsschreiben dokumentiert, sollte er fachlich gut sein, mit Kusshand nehmen und denken: Wie schön, dass du das ­erstens gemacht hast, zweitens sichtbar machst, und drittens diese Erfahrungen jetzt in deinen Beruf einbringen kannst.

Aber es ist auch hier im Kirchenamt trotz aller Anstrengungen noch immer die Ausnahme. Die meisten Männer machen nur den kurzen Schnupperkurs. Wir bleiben weit hinter unseren Möglich­keiten zurück, und zwar bei den Frauen wie bei den Männern.

Haben Sie noch Vorbilder?

In unserer Küche hing viele Jahre bis zu einem Wasserrohrbruch ein Porträt von Virginia Woolf. Sie war eine wunderbare Dichterin. Ihr polemischer Essay 1929 „Ein Zimmer für sich allein“ war ein Durchbruch in der weiblichen Vorstellungskraft. Virginia Woolf hatte den Mut, Dinge zu denken und zu schreiben, die vorher niemand gedacht hat. Solche Menschen bewundere ich sehr.

Dorothee Sölle schätze ich. Ihre schönen Texte reizen mich, meine eigene Sprache noch anschaulicher und flüssiger werden zu lassen. Aber es gibt auch Kolleginnen heute, die ich für ihre Predigtsprache bewundere, etwa Annette Kurschus oder Kirsten Fehrs, um nur zwei der Wortmagierinnen zu nennen. Vorbilder sind für mich Menschen, die meine eigene Messlatte ein Stück hochlegen und mir helfen, mich nach der Decke zu strecken.

Sie haben sich in Ihrer Bewerbungsrede um das Präsesamt als Brigitte-Leserin geoutet. Wie geht BrigitteLesen mit Feminismus zusammen?

[lacht] Ich kaufe mir nie eine Brigitte, insofern darf man das jetzt nicht überstrapazieren. Aber wenn bei der Ärztin oder beim Friseur zwischen vielen Zeitschriften eine Brigitte liegt, würde ich sie mir schnappen. Das ist eine Zeitung, die sich an wache und kluge Frauen richtet, ihnen hätte ich gerne etwas zu sagen. Frauen, die mitten im Leben stehen, die eine Menge wuppen und hinkriegen, die Verantwortung tragen und den Alltag gestalten. Wenn das, was ich theologisch zu sagen und zu predigen habe, relevant für solche Frauen wäre, dann wäre ich glücklich.

Dieses Buch erscheint ja in einer Reihe von Büchern, die evangelische Frauen vorstellen. Dieses Feld ist extrem übersichtlich, selbst nach so vielen Jahren Feminismus. Warum kommt da niemand nach?

Wir haben tolle ehrenamtliche Frauen in Leitungs­gremien oder leitende Juristinnen, aber bei den Theologinnen wird es richtig mau. Warum? Ich kann das nur für die EKD und für die rheinische Kirche halbwegs beurteilen, die wollen tatsächlich gerne leitende Frauen. Oder sie wollen sie zumindest nominieren, denn wer gewählt wird, ist hinterher Entscheidung der Gremien. Aber ja, die leitenden Frauen in der ­Kirche sind eine übersichtliche Gruppe. Ich kenne sie fast alle sehr gut. Mit Ellen Ueberschär habe ich im Kirchentagspräsidium zusammengearbeitet und wir haben auch einmal um das Präsesamt gegeneinander kandidiert. Später ist uns dann aufgefallen, dass es keine allzu gute Idee war, uns als Frauen gegenseitig schachmatt zu setzen. Mit Margot Käßmann habe ich zusammen in Göttingen studiert, unsere Wege haben sich immer wieder gekreuzt und wir haben eine gemeinsame sehr gute Freundin. Die Zahl der leitenden Geistlichen in den Landes­kirchen ist übersichtlich. Die evangelische Frauenwelt ist eine kleine Welt. Allerdings glaube ich nicht, dass ­irgendjemand aktiv verhindert, dass wir leitenden Frauen mehr werden. Männerbünde sehe ich da nicht. Aber was wir eben besprochen haben, spielt eine große Rolle: Will ich als Frau überhaupt dahin? Ist das attraktiv für mich? Das hat viel mit Vorbildern zu tun. Geben mir andere Frauen das Gefühl, dass es sich lohnen würde, an so einem Platz zu sein, so zu leben und zu arbeiten? Dass Karriere vielleicht gut sein könnte und nicht nur Verzicht und Kampf bedeutet?

Vielleicht sagen sich junge Frauen auch: So abkämpfen wie meine Mutter will ich mich nicht. Hat der Kampf dazu geführt, dass ihn niemand mehr kämpfen will?

Das meinte ich, als ich sagte: Ich habe Verständnis für die Frauen, die sich gegen die Karriere entscheiden, weil sie ihre Lebensqualität nicht einbüßen wollen oder weil die Arbeitsqualität nicht stimmt, die Konkurrenz zu groß ist, zu viel Ellbogen gefragt ist oder sie die Öffentlichkeit scheuen. Es gibt aber auch eine Frauenfalle, die da heißt: Perfektion. Wenn manche Frauen nicht alles allein stemmen können, lassen sie es. Dabei ist die Entscheidung zwischen Familie und Karriere wirklich traurig und überflüssig. Die wird so auch nur an wenigen Orten der Welt gefordert. An anderen Orten ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf selbstverständlich und die Familien deshalb viel kinderreicher, etwa in Skandinavien.

Bei uns denken Frauen zu oft, sie müssen alles alleine hinbekommen und das dann noch perfekt. Gebt ­Sachen ab! Wenn ihr das Glück habt, jemanden für ­bestimmte Aufgaben bezahlen zu können, tut es! Gebt einen Teil der Kinderbetreuung ab, damit ihr auch noch als Paar existiert, ins Theater, zum Sport oder ins Kino gehen könnt! Lasst jemand anderen putzen oder bügeln, wenn ihr schon den ganzen Tag herumrennen müsst. Bittet andere um Hilfe, nehmt Unterstützung an. Man muss nicht alles selbst machen. Ich habe in meinem Leben so viele völlig erschöpfte Frauen erlebt. Das hat mit ihrem Selbstbild zu tun – und natürlich damit, dass gute Vorbilder fehlen. Die Frage ist: Was ist wirklich wichtig?