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Originalcopyright © 2017 Südpol Verlag

Corinna Böckmann und Andrea Poßberg GbR, Grevenbroich

Autorin: Stephanie Polák

Illustrationen: Corinna Böckmann

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-943086-57-7

Alle Rechte vorbehalten.

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Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

»Das ist ja wohl ein schlechter Scherz!« Fassungslos sehe ich meine Mutter an. Ich möchte ihr meine Zim­mertür vor der Nase zuknallen, aber das geht leider nicht. Im Türrahmen steht ein riesiger weißer Schmink­tisch mit Spiegel und hässlichen Holz­ver­zie­rungen.

»Aber Schnuppelchen«, sagt sie und versucht mir über den Schminktisch hinweg die Schulter zu streicheln. Schnell weiche ich ein Stück zurück.

»Nenn mich nicht so! Ich bin 14 und nicht vier! Und das hier …«, ich gebe dem Schminktisch einen Tritt, »hat in meinem Zimmer nichts zu suchen!«

»Theo«, versucht Mom es erneut. »Die Zeiten sind schlecht, da müssen wir alle ein wenig zusammenrücken.«

»Die Zeiten waren schon immer schlecht. Solange ich mich erinnern kann. Das hast du mir auch erzählt, als ich zehn war und Britta bei uns eingezogen ist.« Mit den Fingern male ich Gänsefüßchen in die Luft. »Nur für ein paar Wochen.« Fakt ist, dass meine Tante Britta bis heute bei uns wohnt. Auf der Ausziehcouch im Wohnzimmer – und das schon über vier Jahre, seit sie ihren Job verloren hat.

Meine Mutter, die bis eben noch im Flur stand, quetscht sich nun an dem Schminktisch-Monster vorbei in mein Zimmer und lässt sich auf mein Bett fallen. »Du weißt doch, dass es damals nicht leicht war. Dein Vater hatte sich aus dem Staub gemacht und ich musste den ganzen Tag arbeiten. Da war ich froh, dass Britta sich ein wenig um dich kümmern konnte. Und ihr versteht euch doch gut, oder?«

Ich seufze tief. Klar, ich mag meine Tante, aber sie ist kein Ersatz für einen Vater. Und als Junge in einem reinen Weiberhaushalt aufzuwachsen, kann übelst nerven. So wie jetzt, wenn Mutter und Tante auf die total bescheuerte Idee kommen, ein Kosmetikstudio in unserer Wohnung zu eröffnen – genauer gesagt in meinem Zimmer!

»Na ja, seit ich nur noch halbtags bei Regina arbeiten kann, muss ich eben sehen, wie ich uns über die Runden kriege. Ich habe schon mit einigen Kundinnen gesprochen. Die wären bereit, auch zu uns nach Hause zu kommen. Augenbrauen zupfen, schminken, Frisuren stecken, Pediküre – das können wir alles hier machen. Britta überlegt sogar, ob sie einen Kurs zur Nageldesignerin macht, das würden wir dann auch noch anbieten. Wär doch toll, oder?«

Mom schaut mich hoffnungsvoll an, aber ich kann diese Begeisterung nicht teilen.

»Und wie soll das dann ablaufen? Wie soll ich hier meine Hausaufgaben machen, wenn du einen Meter neben mir alten Frauen die Hornhaut vom Fuß hobelst?« Alleine bei der Vorstellung krieg ich die Krise.

»Schau mal.« Meine Mutter erhebt sich wieder und schreitet eine imaginäre Linie in meinem Zimmer entlang. Mit den Armen fuchtelt sie in der Luft herum. »Wir trennen hier einen kleinen Bereich ab. Deinen Bücherschrank schieben wir einfach ein bisschen mehr in den Raum rein, dann ist Platz für den Schminktisch und unser ganzes Zubehör. Da kommt noch ein Vorhang hin und schwupp, ist von unserem kleinen Kosmetikstudio nichts mehr zu sehen. Warte, ich zeige dir mal den Stoff, den ich dafür gekauft habe.« Wieder schiebt sie sich an dem Schminktisch vorbei und läuft ins Wohnzimmer. Keine fünf Sekunden später ist sie zurück. Mir fallen beinah die Augen aus dem Kopf, als ich den Fetzen sehe, den sie stolz in die Höhe hält.

»Ich hatte mir das so gedacht.« Sie faltet den Stoff auseinander, greift mit jeder Hand ein Ende und zieht die Arme so hoch und so weit auseinander, wie es nur geht.

Ich schüttele den Kopf. Das sieht Mom natürlich nicht, weil sie hinter diesem Stofffetzen steht, und so plappert sie munter weiter: »Wir machen oben an der Decke eine Leiste dran und dann kann man den Vorhang ganz praktisch beiseite schieben. Den Stoff nähe ich nachher noch um. Ich borge mir Frau Kowalskis Nähmaschine und dann …« Endlich lässt sie die Arme samt Stoff wieder fallen und sieht mein entsetztes Gesicht. »Theo? Was ist? Gefällt es dir nicht?«

»Mom«, schnaube ich, »der Stoff ist gelb!«

»Ja, den habe ich extra für dich ausgesucht. Britta wollte einen rosafarbenen Stoff kaufen. Wegen dem Ambiente, du weißt schon, aber da habe ich gesagt, das können wir dir nicht antun und so haben wir Gelb genommen. Wenn wir die Wand hier noch Blau streichen und eine Zimmerpalme hinstellen, bekommt die Ecke so richtiges Karibikflair. Ist doch schön, oder?«

»Nein!«, ist alles, was ich über die Lippen bringe.

Meine Mutter sieht mich verständnislos an. »Aber Gelb ist doch deine Lieblingsfarbe.«

»Siehst du hier irgendwo …«, ich breite die Arme aus und drehe mich einmal um mich selbst, »siehst du hier auch nur einen einzigen Flecken Gelb außer meinem Biobuch?«

Mom schaut sich um und schüttelt niedergeschlagen den Kopf.

»Gelb war vielleicht meine Lieblingsfarbe, als ich fünf war!« Damit schiebe ich mich an ihr und dem monströsen Tisch vorbei und verlasse das Zimmer, das mal meins gewesen ist und jetzt zu einem Beauty­tempel umgebaut werden soll. Ich will nur noch weg hier. Obwohl Mom mir irgendwas hinterherruft, schnappe ich mir meine Jacke und den Schlüssel und haue ab.

Klar, dass genau jetzt Britta nach Hause kommt. Ein Stockwerk tiefer treffen wir aufeinander.

»Hey, wohin geht’s?«, fragt sie fröhlich, aber ich funkele sie nur böse an.

»Weg!« Ich will mich an ihr vorbeidrängeln, doch sie hält mich auf.

»Was für ’ne Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«

»Eine große gelbe und dann noch eine verschnörkelte weiße mit Namen Schminktisch«, schleudere ich ihr entgegen. Britta bleibt der Mund offen stehen und ich schiebe mich endlich an ihr vorbei. Erst als ich einen Absatz weiter unten bin, findet sie ihre Stimme wieder und ruft mir hinterher: »Jetzt warte doch mal, Theo! Wir können doch darüber reden. Wir …«

Ich halte kurz an und schaue noch einmal nach oben. Erst jetzt sehe ich, dass Britta eine große rosa-weiß gestreifte Tüte in der Hand trägt, auf der groß Kosmetikzubehör Fries steht. Das gibt mir den Rest. Überflüssiges Tussizeug!

»Vielleicht habt ihr es vergessen, aber ich bin ein Junge und steh auf BMX-Räder und Basketball! Ich will mit Lockenstäben, Nagellack und Hornhauthobeln nichts zu tun haben!« Damit renne ich weiter die Treppen hinunter und lasse Britta einfach stehen.