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Bastian Reitze

Der Chor in den Tragödien des Sophokles

Person, Reflexion, Dramaturgie

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Inhalt

Fußnoten

II. Meinungen zum Chor: Forschungsabriss

Die Forschungsliteratur zum (tragischen) Chor ist ebenso unüberschaubar wie die zu Sophokles. Hier kann daher nicht der Versuch unternommen werden, eine umfassende Würdigung aller Beiträge und Forschungsrichtungen oder auch nur eine annähernd vollständige Bibliographie zu geben.

KITZINGER (2008). The choruses of Sophoklesʼ Antigone and Philoktetes: a dance of words, Leiden, S. 110.

GRUBER (2009). Der Chor in den Tragödien des Aischylos: Affekt und Reaktion, Tübingen, S. 143.

GOLDHILL (1997). „Modern critical approaches to Greek tragedy.“ in: The Cambridge Companion to Greek Tragedy, hrsg. v. EASTERLING (1997), Cambridge, S. 324347.

SILK (1998 b). „‘Das Urproblem der Tragödie’: notions of the chorus in the nineteenth century.“ in: Der Chor im antiken und modernen Drama, hrsg. v. RIEMER und ZIMMERMANN (1998), Stuttgart und Weimar, S. 195226.

Mit KRANZ (1933). Stasimon: Untersuchungen zu Form und Gehalt der griechischen Tragödie, Berlin, beginnen sowohl GRUBER (2009) S. 1ff. als auch RUTHERFORD (2012). Greek Tragic Style: form, language and interpretation, Cambridge, S. 223f.

KRANZ (1933) S. 171; MÜLLER (G.) (1967). „Chor und Handlung bei den griechischen Tragikern.“ in: Sophokles, hrsg. v. DILLER (1967), Darmstadt (Wege der Forschung Band XCV), S. 212283.

Eine besonders eingehende Beschäftigung mit der Nachwirkung der funktionalen Dreiteilung des Chors durch KRANZ findet sich zudem bei GRUBER (2009) S. 116.

Einen konzisen Überblick über generelle Tendenzen und Entwicklungen innerhalb der (angelsächsischen) Sophokles-Forschung bis in die neueste Gegenwart gibt DAVIDSON (2014). „Scholarship on Sophoclean Drama, Eighteenth Century to the Present.“ in: The Encyclopedia of Greek Tragedy III, hrsg. v. ROISMAN (2014), Malden (MA), S. 12231230.

Die entsprechenden Zitate sowie eine ausführlichere Diskussion (die sich mutatis mutandis von Aischylos auch auf Sophokles übertragen lässt) finden sich bei GRUBER (2009) S. 2ff.

So bereits MUFF (1877). Die chorische Technik des Sophokles, Halle. COLEMAN (1972). „The Role of the Chorus in Sophoclesʼ Antigone.“ in: PCPS 18, S. 427. ESPOSITO (1996). „The Changing Roles of the Sophoclean Chorus.“ in: Arion 4.1, S. 85114. SCHWINGE (1971). „Die Rolle des Chors in der sophokleischen Antigone.“ in: Gymnasium 78 (1971), 294321.

Poetik 1456 a 25; siehe unten Seite 38f.

Vgl. SEGAL (1995). Sophoclesʼ Tragic World: Divinity, Nature, Society, Cambridge (Mass.) S. 184: „In the case of Sophocles there has been a fairly general agreement, supported by the judgement of Aristotle, that the chorus is an integral part of the action. It is also agreed that the Sophoclean chorus does not speak out of character and has a fairly consistent role as an actor“.

GARDINER (1987). The Sophoclean Chorus: A Study of Character and Function, Iowa City.

PAULSEN (1989). Die Rolle des Chors in den späten Sophokles-Tragödien: Untersuchungen zu „Elektra“, „Philoktet“ und „Oidipus auf Kolonos“, Bari.

GARDINER (1987) S. 4. Eine ganz ähnliche Entwicklung konstatiert HOSE (1990) für die Beschäftigung mit Euripides im zwanzigsten Jahrhundert: „[…] teilte sich die Forschung über den Chor in zwei Richtungen: die eine konzentrierte sich auf den Chor als dramatis persona, die andere auf das Chorlied“ (HOSE (1990/1). Studien zum Chor bei Euripides, Stuttgart, S. 13).

A.a.O. S. 5. Bereits KIRKWOOD (1958) bemerkt: „It will be necessary to consider what the chorus is, as well as what it says or sings – the personality and the words – together as often as they belong together“ (KIRKWOOD (1958). A Study of Sophoclean Drama, Ithaca (NY), S. 186).

PAULSEN (1989) S. 19.

MÜLLER (G.) (1961). „Überlegungen zum Chor der Antigone.“ in: Hermes 89 (1961) S. 398422, S. 422.

„Wenn dies richtig ist, dürfen wir uns der Übereinstimmung mit Aristoteles freuen“ a.a.O. Inwieweit MÜLLERs strenge Auffassung des Chors als eines Akteurs der Tragödie und ihrer Struktur gerecht wird, bleibt zu fragen; in ihrer letzten Konsequenz scheint er eher zu versuchen, die Richtigkeit der aristotelischen Aussage zu bestätigen und so mehr Aristoteles verteidigen als die Dichtungen des Sophokles in ihrer je eigenen Komposition als dramatische Werke nachvollziehen zu wollen.

A.a.O.

MÜLLER (1961) S. 7: „Über das anerkannte Maß hinaus wird in den Worten des Textes Doppelsinn gefunden, der es erlaubt, hinter die Meinung der handelnden und irrenden Personen die Aussage des Dichters zu hören“.

MÜLLER (1967) S. 227 im Speziellen zum Chor des Oidipus Tyrannos: „Es muß gesagt werden, daß jedes Wort, das aus dem Munde des Chors kommt, […] weit entfernt davon ist, eine Deutung des Geschehens vom Dichter aus zu geben, sondern nur eine Beurteilung von irrenden Menschen, irrenden Mitspielern gibt“.

MÜLLER (1961) S. 7: „Der Doppelsinn ist vor allem konstitutiv für die Chorlieder, die vordergründig niemals das Urteil des Dichters wiedergeben, sondern es in einem zweiten oder öfter sogar dritten Sinn durchhören lassen“.

Vgl. dafür die Untersuchung der Antigone ad locum, im Besonderen seine Analyse des vierten Standliedes.

KIRKWOOD (1958). „4. The Role of the Chorus.“ in: A Study of Sophoclean Drama, ders., New York. S. 181250.

„But it is a dangerous, though easy, step to assume therefore that these reflections are intended to represent Sophoclesʼ reflections on the action in which they occur and to treat them as clues provided by the poet for the understanding of his play“ S. 183, sowie „[…] to accept choral reflections as the poet’s reflections with respect to the drama is not a universally safe procedure“ S. 184.

Ders. S. 186.

A.a.O.

Ders. S. 201.

A.a.O.

Zur Auseinandersetzung siehe unten.

BURTON (1980). The Chorus in Sophoclesʼ Tragedies, Oxford. Sein methodischer Zugang sowie sein grundlegendes Verständnis des Chors bzw. der chorischen Partien und ihrer so umrissenen „Funktion“ sind für die vorliegende Arbeit zentral; BURTON bleibt trotz des Alters seiner Ausführungen gerade auf Grund der textnahen Herangehensweise so ein wichtiger Referenzpunkt.

BURTON (1980) S. 1.

Ders. (1980) S. 3.

Ders. (1980) S. 4.

Ders. S. 3.

Vgl. dazu exemplarisch die Behandlung des Stasimons des Philoktet durch BURTON (1980) S. 238. Damit steht er letztlich in der Tradition, die Tycho von WILAMOWITZ (1917) in Opposition zur psychologisierenden Deutung seiner Zeit begründet hatte und die den Fokus der Betrachtung weniger auf die Zeichnung der Charaktere als auf die formalen Zusammenhänge, den Aufbau der einzelnen Szenen, ihre Komposition, kurz: auf die „dramatische Technik“ des Dichters legte. Inkonsequenzen und Widersprüche in Charakterzeichnung und Handlung nahm WILAMOWITZ dabei nicht nur in Kauf, er scheint sie teilweise regelrecht gesucht zu haben (WILAMOWITZ, Tycho von (1917). Die dramatische Technik des Sophokles, Berlin.). Man wird sich DAVIDSONs Urteil über (den viel gescholtenen) WILAMOWITZ anschließen („While his thesis clearly went too far, […] he nevertheless created the platform for a more nuanced appreciation of Sophoclesʼ art“ S. 1226) und trotz aller teilweise berechtigten Kritik die Bedeutung seines Ansatzes für eine Würdigung der Tragödien als literarischer Kompositionen wertschätzen.

So u.a. DAVIES (1991). Sophocles Trachiniae with introduction and commentary, Oxford; MARCH (2001). Sophocles Electra edited with introduction, translation and commentary, Warminster; FINGLASS (2007). Sophocles Electra edited with introduction and commentary, Cambridge; SCHEIN (2013). Sophocles: Philoctetes, Cambridge.

RIEMER ((1998). „Chor und Handlung in den Tragödien des Sophokles.“ in: Der Chor im antiken und modernen Drama, hrsg. v. RIEMER und ZIMMERMANN (1998), Stuttgart und Weimar, S. 89111.) konzentriert sich im Wesentlichen auf die Aussagen des Chorführers innerhalb der Sprechpartien der Tragödien. Für die vorliegende Arbeit, die sich besonders den lyrischen Partien widmet, ist er daher von untergeordneter Bedeutung. Einen „Rückgriff“ auf die Betrachtung formaler Momente stellt RUTHERFORD (2012) dar.

Einen ebenfalls konzisen Überblick über generelle Tendenzen der Tragödienforschung des zwanzigsten Jahrhunders mit besonderem Blick auf diesen „performative turn“ gibt RADER (2014). „Scholarship on Greek Tragedy, Twentieth Century to the Present.“ in: The Encyclopedia of Greek Tragedy III, hrsg. v. ROISMAN (2014), Malden (MA), S. 12181223. Vgl. HALL (1999). „Actor’s song in tragedy.“ in: Performance culture and Athenian democracy, hrsg. v. GOLDHILL/OSBORNE (1999), Cambridge, S. 96122, S. 101f.: „The German-speaking philological tradition has produced important books about the formal and metrical elements of tragedy […] The French and Americans (at least since the 1960s), on the other hand, have written about gender, polis group identity, democracy, myth, and the interpenetration of cultural artefacts such as plays and vase-paintings with the more civic discourses. In Britain until recently scholars at Oxford largely read the analytical Germans, while those at Cambridge preferred the synthetic French“. So verallgemeinernd ihre Zuweisung ist, trifft sie doch eine gewisse Tendenz; die klare Trennung zwischen „deutscher“ und „französischer“ Schule ist allerdings nach dem „performative turn“ nicht mehr durchzuführen. Vgl. darüber hinaus u.a.: HENRICHS (19945). „‘Why should I dance?’ The Chorus in Greek Tragedy and Culture.“ in: Arion 3.1, S. 56111; LONSDALE (1993). Dance and Ritual Play in Greek Religion, Baltimore; NAGY (1994/5). „Transformations of Choral Lyric Traditions in the Context of Athenian State Theater.“ in: Arion 3.1 (1994/5), S. 4155; eine Gegenposition bietet ROSENMEYER (1993). „Elusory Voices: Thoughts about the Sophoclean Chorus.“ in: Nomodeiktes: Greek Studies in Honor of Martin Ostwald, hrsg. v. ROSEN und FARRELL (1993), Ann Arbor, S. 55771, „The new orthodoxy, with its sights trained in the community and its rituals and institutions, glances away from the author and his idiosyncratic and unwelcome authority. […] On this view poetry loses its privileged status as literature and is collapsed into the reservoir of communication by which the group talks to itself. The concern with institutions, social stratification, and tribal poetics has swamped our ability to submit to the poetry as poetry and as a very special artifact“ (S. 563).

WINKLER/ZEITLIN (edd.) (1990). Nothing to do with Dionysos? Athenian Drama in Its Social Context, Princeton (NJ). Im Besonderen hat WINKLERs eigene These, die Chöre der Tragödienaufführungen seien von Epheben gebildet worden, nachgewirkt (S. 2062); vgl. GOULD (1996). „Tragedy and Collective Experience.“ in: Tragedy and the Tragic Greek Theatre and Beyond, hrsg. v. SILK (1996), Oxford, S. 217243 und GOLDHILL (1996). „Collectivity and Otherness – The Authority of the Tragic Chorus: Response to Gould.“ in: Tragedy and the Tragic Greek Theatre and Beyond, hrsg. v. SILK (1996), Oxford, S. 244256.

GOULD (1996) S. 217:„Aristotle (notoriously) could define ‘tragedy’ without reference to the chorus, but we can hardly do so. […] [I]f we are trying to clarify for ourselves the notions of ‘tragedy’ and ‘the tragic’, in their fifth-century Greek context at least, we must inevitably come to grips with the essential and distinctive part played by the chorus in our construction of such terms“.

GOULD (1996) S. 234: „But however we read it, the role of the chorus remains a distinctive and necessary part of the tragic perception in ancient Greek culture. It cannot be discarded, and we diminish our understanding of ‘the tragic’ if we allow ourselves to overlook it“.

Ders. S. 224. Kritisch dazu GRUBER (2009), der besonders das dem Chor eigene Identifikationspotential gegenüber dem Rezipienten herausstellt (vgl. S. 55ff. sowie S. 65: „Schon allein durch seine Existenz als χορός der song-and-dance culture dürfte der Chor der Tragödie beim Zuschauer einen Vertrauensvorschuss haben“).

GOULD (1996) S. 233: „a social group which roots in a wider community“.

GOULD (1996): „to ‘contextualiseʼ the tragic“ a.a.O.

GOULD (1996): „the inherited stories and the inherited, gnomic wisdom of social memory and of oral tradition“ a.a.O.

GOULD (1996) S. 233.

GOULD (1996) S. 231: „We misread them [d.h. die Äußerungen des Chors] as soon as we think of them as in any sense a privileged presence within the tragic fiction“ sowie: „We must read each choral utterance as the response of this chorus, at this point in the tragic fiction, to what has occured, a response which is no more protected from fallibility than any other“.

GOULD (1996) S. 231: „The chorusʼs voice is not ‘the poetʼs voice’“.

GOULD (1996) S. 232: „[…] equally of the essence of the chorusʼs role is the theatrical and dramatic fact of its collective presence. […] The continuity of fictional experience […] is powerfully enacted in this continuous massed presence of the chorus“.

Die Behandlung der „Ausnahmen“ von GOULDS Diktum „the dramatic space is never empty“ (S. 232) – in unserem Kontext v.a. der Ab- und Wiederauftritt im Aias – in Anm. 86 (S. 242) kann nicht überzeugen. Inwieweit es ein Aspekt der Andersartigkeit („aspect of its ‘othernessʼ“) ist, dass der Chor – anders als die Akteure – innerhalb der tragischen Erfahrung („tragic experience“) verbleiben müsse und eben nicht abtreten könne („it cannot exit“), erschließt sich so nicht.

GOULD (1996) S. 232.

So besonders in der Elektra, in der die Situation Chor-Prot­agonist nicht nur konstitutiv für die emotionale Ausleuchtung der Prot­agonistin ist, sondern auch wesentliche dramaturgische Funktionen übernimmt.

GOLDHILL (1996).

Ob die Wahl der Identität des Chors sich tatsächlich, wie GOLDHILL S. 247f. ausführt, so eng an rituell-kultische Gruppen der Polis Athen (junge Mädchen, alte Männer…) anlehnt und somit ganz wesentlich von außerdramatischen Faktoren bestimmt ist, bleibt fraglich.

GOLDHILL (1994) S. 252f. sowie im Besonderen S. 253: „[…] while Gould is certainly right not to cede the chorus the authority of the poet’s voice or of a simple, privileged, determinative view of the action, his rejection of any authority or privileged presence inevitably distorts the way that tragedy engages with the question of authority and the collective“.

GOLDHILL (1994) S. 255.

SILK (1998 a). „Style, Voice and Authority in the Choruses of Greek Drama.“ in: Der Chor im antiken und modernen Drama, hrsg. v. RIEMER und ZIMMERMANN (1998), Stuttgart und Weimar, S. 126.

SILK (1998 a) S. 24: „[…] the different varieties of choral lyric style that a given chorus presents, even perhaps within a single ode, themselves constitute different voices, de facto. These ‘different’ voices are the chorus“ (Hervorhebungen im Original durch Kursivdruck).

SILK (1998 a) S. 25.

So z.B. Abtritt des Chors im Aias gegen GOULDs These von der Dauerpräsenz des Chors (GOULD (1996) S. 242) oder die Erwähnung einer (chorischen) Gruppe alter Frauen in Aischylosʼ Eumeniden v. 1027 gegen die These, es habe solche Gruppen nicht gegeben (GOLDHILL (1994) S. 247f.).

GOLDHILL/OSBORNE (edd.) (1999). Performance culture and Athenian democracy, Cambridge.

HALL (1999).

HALL (1999): „Tragic song and metre, therefore, are not to be separated from the sociology of tragedy, and what is relevant to the sociology of tragedy is relevant to the sociology of the polis“ S. 121.

Inwieweit angesichts des rudimentären Überlieferungsstands der attischen Tragödie auf der einen, der teils nur wenig gesicherten Kenntnis der „Soziologie“ antiker Gesellschaften auf der anderen Seite eine solchermaßen sozio-historische Analyse der Tragödien zu tragfähigen und allgemeingültigen Ergebnissen kommen kann, bleibt allerdings fraglich.

Zu Schlegel und der Überwindung der These vgl. u.a. HOSE (1990) I S. 32f.

CALAME (1999). „Performative aspects of the choral voice in Greek tragedy: civic identity in performance.“ in: Performance culture and Athenian democracy, hrsg. v. GOLDHILL/ OSBORNE (1999), Cambridge, S. 125153.

CALAME (1999) S. 130.

Vgl. u.a.: ESPOSITO (1996). „The Changing Roles of the Sophoclean Chorus.“ in: Arion 4.1, S. 85114; LADA-RICHARDS (1998). „Staging the Ephebeia: Theatrical Role-Playing and Ritual Transition in Sophoclesʼ Philoctetes.“ in: Ramus 27.1 (1998), S. 126.

KITZINGER (2008) S. 2.

KITZINGER (2008) S. 3.

KITZINGER (2008) S. 1.

KITZINGER (2008) S. 8: „But these moments do not dissolve the fundamental difference between the two, which is visible and audible in the alternation of episode and stasimon and also, as we shall see, in the shared song of a kommos […]“. Dass dieses auf einem nachvollziehbaren Gedanken fußende theoretische Konstrukt allerdings in der konkreten Überprüfung an den Texten problematisch wird, zeigt bereits die Beschäftigung mit dem Aias, in dessen zweiten Kommos sich Chor und Prot­agonist in ganz eigener Form zueinander verhalten. Siehe die Diskussion ad locum.

KITZINGER (2008) S. 10: „In Sophocles these differences are indicative of fundamentally different ways of seeing the world“.

KITZINGER (2008) S. 10: „The division between chorus and actors […] exists vividly in the different modes of their expression“.

GOWARD (1999). Telling Tragedy: Narrative Technique in Aeschylus, Sophocles and Euripides, London.

MARKANTONATOS (2002). Tragic Narrative: A Narratological Study of Sophoclesʼ Oedipus at Colonus, Berlin, New York.

Vgl. die Verweise in der Einzelanalyse ad locum.

Vgl. MARKANTONATOS (2002) „Time Games“ S. 7ff.

V.a. bei der Behandlung des zweiten Standliedes S. 100ff.

GRUBER (2009) S. 11.

HOSE (1990/1).

GRUBER (2009).

GARDINER (1987) und PAULSEN (1989) verfolgen, wie gezeigt, mit ihren Arbeiten andere Ziele.

1. Sitz im Leben: song-and-dance culture, Kult, Polis

GRUBER (2009) S. 2843 bzw. 4470.

Zur Erwähnung „chorlyrischer“ Gattung bereits in den homerischen Epen vgl. GRUBER (2009) S. 28f.

SWIFT ((2010). The Hidden Chorus: echoes of genre in tragic lyric, Oxford, S. 36): „Choral performance permeated every aspect of Greek life, whether private or public, religious or secular“; sowie LEY (2014). „Chorus.“ in: The Encyclopedia of Greek Tragedy I, hrsg. v. ROISMAN (2014), Malden (MA), S. 220224: „The chorus is […] a defining feature of ancient Greek society“.

Vgl. GRUBER (2009), der konzise zusammenfasst: „Dieser Sitz im Leben kann näher definiert werden als eine prinzipielle Gebundenheit von Chor und chorischer performance an Kult und Fest“ S. 29; sowie ZAMINER (1997). „Chor.“ in: DNP Band 2, Sp. 11411144: „Im Leben gehörten chorische Gesänge und Tänze zu Kult und Fest (Götter- und Heroenfeste, Totenkult, Hochzeit, sportliche und musische Wettkämpfe, Festmahl, Weinlese)“.

Vgl. KAIMIO (2014). „Chorus and Citizenship.“ in: The Encyclopedia of Greek Tragedy I, hrsg. v. ROISMAN (2014), Malden (MA), S. 224225, S. 224: „Choral performance is by nature a social act and flourished in the context of occasions emphasizing community feeling, like religious ceremonies and initiatory rites“.

Vgl. GRUBER (2009): „Innerhalb von Kult und Fest dient der Chor insbesondere der Erziehung der Jugendlichen, die an der Schwelle zum Erwachsenenalter und somit vor dem Eintritt in die Gemeinschaft stehen, welche sie als Männer und Frauen, durch Kriegsdienst und Kindergeburt, fortan erhalten sollen“ S. 31 sowie die folgenden Ausführungen im Einzelnen. Vgl. auch WINKLER/ZEITLIN (1990).

GRUBER (2009) S. 43.

Zur Institutionalisierung des Chorwesens in Athen vgl. im Besonderen WILSON (2000). The Athenian Institution of the Khoregia: The Chorus, the City and the Stage, Cambridge.

Vgl. dazu ZIMMERMANN (2011). „Drama: 1. Einleitung und 2. Die attische Tragödie.“ in: Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit, hrsg. v. ZIMMERMANN (2011), München, S. 451610, S. 462ff.

Vgl. SWIFT (2010): „The role of the chorus in Athenian life is not in doubt“ S. 39. Zum Chorwesen vgl. u.a. ZARIFI (2007). „Chorus and dance in the ancient world.“ in: The Cambridge Companion to Greek and Roman Theatre, hrsg. v. MCDONALD und WALTON (2007), Cambridge, S. 227246.

2. Chor und Dichtung: Chorlyrik und Tragödie

Vgl. zu den einzelnen Autoren die konzisen Überblicke sowie die Literaturangaben bei ZIMMERMANN (2011). Die Literatur der archaischen und klassischen Zeit, München, S. 180ff.

Vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 231ff.

Vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 223ff.

Vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 458: „Er [Aristoteles] definiert demnach, wie dies im offiziellen athenischen Sprachgebrauch üblich war, Komödie und Tragödie als chorische Gattungen, in denen das tänzerische Element im Lauf der Entwicklung zugunsten des sprachlichen an Bedeutung verlor“ (in leichter Oppostion zu GOULD (1996), hier zitiert S. 24, Anm. 43). GRUBER (2009) bezeichnet den Chor im gleichnamigen Kapitel dementsprechend als „Boden der Tragödie“ S. 44ff.

Arist. Poetik 1449 a 2ff. Vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 458: „Den Sitz im Leben und den Ursprung der beiden dramatischen Hauptgattungen sieht Aristoteles im Dionysoskult und den mit ihm verbundenen, ursprünglich improvisierten chorischen Formen, im Dithyrambos und in den Phallika“.

Vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 451: „Die Entstehung der dramatischen Gattungen Tragödie, Komödie und Satyrspiel gehört seit der Antike zu den mit großem spekulativen Aufwand äußerst kontrovers diskutierten Fragen“; sowie RUTHERFORD (2012) S. 39: „Evidence for the original form of Greek tragedy as developed in the sixth century is in­adequate“.

Vgl. dazu im Besonderen GRUBER (2009) „Entstehungsfragen“ S. 4449.

Thespisʼ erste „Tragödien“-Aufführung fand nach allgemeiner Meinung zwischen 535 und 533 statt. Zur Datierung sowie der Kritik daran vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 484.

Folgen wir der konventionellen Datierung (vgl. LATACZ (2003). Einführung in die griechische Tragödie, Göttingen, S. 79), dann fand der erste Tragödien-Agon unter der Mitwirkung des Thespis um das Jahr 534 statt.

Dass damit gerade die Rolle des Chors einer fundamentalen Wende unterzogen wurde, betont zu Recht ZIMMERMANN (2011), der von einem „radikalen Bruch mit chorischen Traditionen“ spricht. Vgl. unten 3.1.

Aristoteles Poetik 1449 a 15ff.; vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 499.

Die beiden Pole, zwischen die für ZIMMERMANN (1993). „Das Lied der Polis: Zur Geschichte des Dithyrambos.“ in: Tragedy, comedy and the polis: papers from the Greek Drama Conference, Nottingham, 1820 July 1990, hrsg. v. SOMMERSTEIN et alii (1993), Bari, S. 3954 die Gattung des Dithyrambos „eingespannt“ ist („[…] auf der einen Seite steht der Kult, auf der anderen die Ästhetik und das Bestreben des Dichters, das Kultlied in eine künstlerische, ansprechende Form zu bringen“ S. 53), wird man mutatis mutandis auch für die Tragödie annehmen dürfen. Angesichts ihrer mit großem Aufwand rekonstruierten Vorgeschichte, Entstehung und gesellschaftlichen Verankerung darf nicht vergessen werden, dass ihre uns vorliegende Gestalt auch von literarischen, damit formalästhetischen Kriterien bedingt ist, zu deren Betrachtung ein werkimmanenter Ansatz eingenommen werden muss.

Zu den besonderen Implikationen dieser Komposition in Tetralogien vgl. den entsprechenden Abschnitt dieser Einleitung IV. 4 (S. 62).

Zur Festgeschichte und den diesbezüglichen Fragestellungen vgl. PICKARD-CAMBRIDGE (21968). The Dramatic Festivals of Athens, Oxford.

Vgl. GRUBER (2009) S. 62f.

Vgl. WILSON (2000) S. 50ff., PICKARD-CAMBRIDGE (21988) S. 79ff.

Vergleiche dazu die Tabelle bei LATACZ (2003) S. 45.

Attischer Bürger zu sein, war Voraussetzung für die Mitwirkung in den tragischen Chören; vgl. dazu und zu anderen juristischen Begleitumständen KAIMIO (2014). Zur These, die tragischen Chöre seien von Epheben gestellt worden, vgl. den bereits zitierten maßgeblichen Beitrag von WINKLER/ZEITLIN (1990) S. 57: „[…] the chorus members were young men in (or viewed in relation to) military training“. Kritisch dazu KAIMIO (2014). Trotz dieser Differenzen kann man sich GRUBER (2009) S. 64 anschließen: „[D]er Zuschauer kann aus unmittelbarer eigener Erfahrung wissen, was es heißt, als Choreut zu singen und zu tanzen“.

Die Information gibt die Vita des Sophokles (TrGF IV, T1, S. 30, Abschnitt 4): Der Dichter habe wegen seiner schwachen Stimme mit der Konvention gebrochen, selbst als Schauspieler aufzutreten. Vgl. KOVACS (2014). „Actors and Acting.“ in: The Encyclopedia of Greek Tragedy I, hrsg. v. ROISMAN (2014), Malden (MA), S. 37.

Vgl. ZIMMERMANN (1992) Dithyrambos: Geschichte einer Gattung, Göttingen, im Besonderen S. 117ff.

Vgl. GRUBER (2009) S. 53: „Gebunden ist jeder Tragödiendichter zunächst an die anscheinend unbedingte Konvention der Homogenität und inneren Geschlossenheit des Chores, in dem das Individuum keine Rolle spielt“.

ZIMMERMANN (2011) S. 551.

Ähnlich GRUBER (2009), der festhält, dass auch der tragische Chor die von ihm ausgemachten „drei Merkmale […] des prädramatischen χορός, nämlich Gemeinschaft, Ordnung, Emotionen“ behält und „in den Erwartungshorizont des Tragödienzuschauers“ integriert (S. 53).

Vgl. LEY (2014).

Vgl. im Besonderen „Identifikation durch Performativität“ S. 5765.

GRUBER (2009) S. 65.

ZIMMERMANN (2011) S. 551.

3.1 Spektrum I: der tragische Chor als (kollektive) dramatis persona

Vgl. ZIMMERMANN (2011) S. 467: „[D]ie Choreuten treten nicht mehr als Repräsentanten einer Gemeinschaft auf, die zur aitiologischen Erinnerung einer Konfliktbeseitigung einer Gottheit singen und tanzen, sondern sind Akteure in einem mythischen Spiel mit wechselnden Inhalten, deren Charakter zwischen dionysischem Chor und dramatischer Rolle oszilliert“.

Im Besonderen zu dieser Identität des Chors sowie zum „Ich“ des tragischen Chors im Vergleich zum Dithyrambos und anderen Gattungen der Chorlyrik vgl. GRUBER (2009) S. 49ff.

Übersetzung: SCHMITT (2008). Aristoteles Poetik übersetzt und erläutert, Darmstadt, S. 26. Von besonderem Wert sind die Erläuterung und Diskussion der Stelle S. 568576, in der SCHMITT u.a. festhält, dass es Aristoteles „nicht um das quantitative Verhältnis von Chor- und Schauspielerpartien, sondern um die funktionale Integration des Chors in die Handlung“ geht (S. 569). Im Sinne der aristotelischen Zielbestimmung der Tragödie, Furcht und Mitleid zu erregen (vgl. Poetik 1449 b 25ff.), skizziert SCHMITT darüber hinaus, welchen Beitrag der Chor in seiner „vermittelnde[n] Funktion zwischen den tragischen Hauptpersonen und den Zuschauern“ (S. 572) zur Erreichung dieses Ziels leistet. Darüber hinaus erweist SCHMITT, warum der Chor im aristotelischen Sinne ein ‚Handelnder‘ genannt werden kann, und sucht so zu erweisen, ob Aristoteles „dem ‚lyrischen‘ Charakter der Chorpartien gerecht“ wird (S. 573ff.).

Generelle Erwägungen zur „Dramatisierung“ eines Mythos durch den Dichter bietet FÖLLINGER (2003). Genosdependenzen: Studien zur Arbeit am Mythos bei Aischylos, Göttingen, S. 25ff. im Anschluss an Aristoteles sowie unter Einbeziehung neuerer Literatur; zum komplexen Verhältnis von (allgemeinem) Mythos und (konkretem) Plot vgl. zudem ihre (an Aischylos gewonnenen) allgemeingültigen Erkenntnisse S. 303, „daß jede dichterische Aneignung eines Mythos einen neuen Mythos schafft“, sowie, „daß man einen Mythos nicht von der erzählerischen Gestalt, in der er erscheint, trennen kann“.

Neben den uns erhaltenen Persern des Aischylos können wir insbesondere in zwei Werken des Phrynichos Bearbeitungen zeitgenössischer Stoffe greifen: Wir besitzen Kenntnis von seinen Tragödien Einnahme Milets (492) sowie Phoinissen (476) (die Testimonien und Fragmente finden sich TrGF vol. 1, IV, 3; vgl. zur Einnahme Milets im Besonderen T 2, die Fragmente aus den Phoinissen tragen die Nummern F812). Möglicherweise kann man in der Abkehr von zeitgenössischen und der Fokussierung auf mythologische Stoffe eine Entwicklung sehen, die die Gattung der Tragödie in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz besonders geprägt hat. Zu den Persern als einem „historischen Drama“ bzw. einem „Geschichtsdrama avant le lettre“, den damit zusammenhängenden Fragen sowie weiteren Dramen zeithistorischen Inhalts vgl. FÖLLINGER (2003) S. 241ff., die zum Schluss kommt, dass angesichts der durch Aischylos geleisteten „Mythisierung der jüngsten Geschichte“ (S. 246) auch die vorliegende Tragödie in Analogie zu Dramen mythischen Inhalts behandelt werden könne.

Vergleiche dazu die Bemerkung des Aristoteles zu einer Tragödie des Agathon, deren Handlung weder aus dem Mythos noch aus der Zeitgeschichte geschöpft wurde (Poetik 1451 b 21ff.). Nach unserer Kenntnis hat Sophokles einzig Tragödien mythologischen Inhalts geschrieben.

Vgl. BURIAN (1997). „Myth into muthos: the shaping of tragic plot.“ in: The Cambridge Companion to Greek Tragedy, hrsg. v. EASTERLING (1997), Cambridge, S. 178208, S. 198: „The choice of a chorus is one obvious way for the poet to articulate his approach to a legendary subject“.

HOSE (1990) S. 16f.

Ders. S. 17.

So bildeten bei Aischylos und Euripides in ihren Philoktetdramen die Einwohner der Insel Lemnos den Chor, bei Sophokles sind es die Schiffsleute des Neoptolemos; vgl. die Ausführungen im entsprechenden Kapitel ad locum S. 82ff.

Vgl. BURIAN (1997) S. 198: „Sophoclesʼ choice of Theban elders for the chorus of Antigone, rather than companions or servants of the heroine, initially furthers her isolation but then permits a dramatically crucial shift in their understanding and sympathy“.

So zu Aischylos auch GRUBER (2009) S. 52: „Was die Rollenidentität selbst betrifft, mit der der Chor für jede Tragödie neu ausgestattet wird, so steht es dem Dichter zunächst völlig frei, welche Personengruppe und welches Segment der Polisgemeinschaft, innerhalb derer der dargestellte Mythos spielt und die Einzelfiguren agieren, den Chor bildet – die Wahl steht aber in engster Verbindung mit der Gestaltung des Plots, so dass im Einzelfall unter Umständen Gedankenexperimente helfen können, die Besonderheit gerade des gewählten Chores zu erklären“.

GRUBER (2009) weist darauf hin, dass „junge Männer im wehrfähigen Alter, die dem athenischen Zuschauer als unmaskierte Choreuten der vielen Dithyramben- und sonstigen Chöre offenbar sattsam bekannt waren und […] wohl auch als Chorsänger für die Tragödien herangezogen wurden, im Gesamtspektrum der Tragödienchöre eine seltene Ausnahme sind“ S. 53. Vor diesem Hintergrund ist bei den beiden derartigen Chören im überlieferten Werk unseres Autors im Besonderen zu fragen, was Sophokles mit dieser Rollenzuweisung intendiert hat.

Die in Prosa verfasste Hypothesis zum Philoktet gibt an, der Chor bestehe „aus den mit Neoptolemos segelnden Greisen“ (ὁ δὲ χορὸς ἐκ γερόντων τῶν τῷ Νεοπτολέμῳ συμπλεόντων, PEARSON (1924), zweite Hypothesis). Dieser wohl aus den Anreden des Neoptolemos als τέκνον (v. 141) und παῖ (v. 201) geschlossenen Annahme folge ich mit JEBB (2004) und KAMERBEEK (1980) ausdrücklich nicht. Ich teile dagegen KAMERBEEKs Einschätzung: „the sailors were presumably Achillesʼ companions“ (S. 45). Dass sie älter als der jugendliche Neoptolemos sind, steht dabei zwar außer Frage (auch wenn sich der Altersunterschied nicht konkret angeben lässt); in ihnen allerdings Greise zu sehen, verkennt meines Erachtens zum einen die vom Dichter als zentrales Moment der Charakterzeichung seines Helden lancierte Jugend des Neoptolemos (vgl. JEBB (2004) S. 31: „As he [Neoptolemos] is so youthful […], they can adress him as τέκνον (141), παῖ (201). It does not follow that they were actually γέροντες, as the author of the prose Argument […] calls them“). Zum anderen scheint mir die Annahme, solchermaßen nicht mehr wehrfähige Männer seien auf einer so wichtigen Mission wie der Rückholung des Philoktet Bestandteil der Schiffsbesatzung gewesen, geradezu widersinnig.

Vgl. dazu innerhalb dieser Einleitung den Abschnitt V. 2 (S. 68ff.).

3.2 Formale Gegebenheiten: Konventionalität – Dualismus Sprechpartien-lyrische Partien – Erscheinungsbild des Chors

So RUTHERFORD (2012): „Greek tragedy is a hybrid form, and the different parts of the drama are differentiated in form and style“ S. 29; vgl. zudem HALL (1997). „The sociology of Athenian tragedy.“ in: The Cambridge Companion to Greek Tragedy, hrsg. v. EASTERLING (1997), Cambridge, S. 93126, S. 100: „An inclusive genre, it [die Tragödie] absorbed multifarious metrical forms originating in places across the Greek-speaking world, such as Doric choral lyric and Aegean monody“.

Vgl. EASTERLING (1997). „Form and performance.“ in: The Cambridge Companion to Greek Tragedy, hrsg. v. EASTERLING (1997), Cambridge, S. 151177, die in einer Leitfrage bereits einige entscheidende und für das moderne Verständnis besonders fremde Konventionen aufzählt (S. 152): „How could a genre as novel and sophisticated as tragedy have been hedged about by every kind of rule and restriction, with limits on the number of speaking actors, the showing of violent events on the stage, the relation of the chorus to the stage action, the distribution of spoken and sung parts, and even, perhaps, the choice of subject-matter, which must surely have been a deterrent to creative talent?“

Vgl. EASTERLING (1997) a.a.O.: „[…] there is no evidence surviving from the fifth century which suggests that the dramatists were inhibited from experimentation, and plenty to indicate the opposite“.

Zum Begriffspaar vgl. FÖLLINGER (2003) S. 12, die ihre Studie der Untersuchung des Spannungsverhältnisses von Tradition und Innovation bei der „Arbeit am Mythos“, d.h. seiner „Dramatisierung“ widmet.

Vgl. LATACZ (2003) im Besonderen zur Vertrautheit des attischen Publikums mit den einzelnen Gattungen der Chorlyrik, besonders ihrer metrischen Gestaltung: „Da der Chorgesang in Griechenland eine uralte Tradition hatte […], mußten die unterschiedlichen Rhythmen und Melodien des Chores innerhalb der Tragödie für die athenischen Theaterbesucher des 5. Jh. bereits verschiedene Ausdruckswerte repräsentieren (an Rhythmus, Bauart, Melodieführung, aber auch an der gewählten ‚Tonart‘ konnten z.B. Gebetslieder, Trauergesänge, Hymnen, Hochzeitslieder usw. erkannt werden). Dadurch waren besonders eindringliche Assoziationseffekte zu erzielen“ (S. 69). Für uns sind diese „Assoziationseffekte“ nicht mehr greifbar. Vergleichbar sind allerdings verschiedene Phänomene innerhalb der Musik der Barockzeit bzw. der Klassik: So sind die den höfischen Tänzen und ihren stilisierten Formen (Allemande, Courante, Sarabande, Gigue, Menuett usw.) eigenen Rhythmen fest mit dem jeweiligen Charakter des Tanzes verknüpft; dies prägt schließlich ihre Verwendung in umfassenderen Gattungen wie der Suite und, im Fall des Menuetts (sowie seiner „Umdeutung“ ins Scherzo), der Symphonie. Dabei waren gewisse Rhythmen durchaus mit Bedeutung aufgeladen: So ist der „Siciliano-Rhythmus“, ein fließender, punktierter 12/8 (bzw. 6/8)-Rhythmus, gegebenenfalls mit einem Holzblasinstrument als melodieführender Stimme (vgl. Vivaldi Magnificat RV 589, Aria „Domine Deus“ (Sopran mit Oboe), Händel „Der Messias“ Nr. 13 „Pifa“, Haydn „Die Schöpfung“, Teil I, Nr. 8, Arie „Nun beut die Flur das frische Grün“), in solchem Maß mit pastoralen, oft idyllischen Inhalten assoziiert, dass bereits der Beginn eines entsprechenden Instrumental- oder Vokalstücks beim zeitgenössischen Hörer dementsprechende Assoziationen hervorgerufen haben muss. Entsprechendes gilt für die Verwendung gewisser Tonarten, so d-Moll als geradezu „typische“ „Requiemtonart“ sowie das heroische Es-Dur aus Beethovens dritter Symphonie. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Auch wenn die Vergleiche nicht in allen Punkten mit den antiken Gegebenheiten übereinstimmen, lässt sich die grundlegende Vertrautheit des Publikums mit gewissen Kompositionsmomenten auf diese Weise zumindest ansatzweise nachvollziehen.

Als besonders eindrückliches Beispiel bietet sich der Abgang und Wiederauftritt des Chors an, wie ihn Sophokles in seinem Aias inszeniert; angesichts des uns vorliegenden Überlieferungsstands wird man davon ausgehen können, dass dieser besonders effektvolle Bruch mit der Konvention auch dem Publikum aufgefallen sein wird. Aber auch formale Eigenheiten wie die Komposition lyrischer Großpartien (so z.B: im Eingang der Elektra) oder der Verzicht auf die regelmäßige Einschaltung „konventioneller“ Stasima (Philoktet) werden ihre dramaturgische Wirkung nicht zuletzt auf Basis der Vertrautheit des Publikums mit den Formteilen der Tragödie erreicht haben.

Vergleichbar ist bereits Aristotelesʼ Aufzählung der quantitativen Teile der Tragödie (Poetik 1452b1427). Einen besonders konzisen Überblick über verschiedene Formkonstituenten der griechischen Tragödie im Allgemeinen gibt ZIMMERMANN (2011) S. 516ff.

Auch hier ist keine Vollständigkeit angestrebt; es soll vielmehr das kurz entfaltet werden, was zum Verständnis der Einzelinterpretationen nötig ist.

So im Besonderen die sogenannten Marschanapäste, die den Auftritt des Chors begleiten können und dabei entweder einer lyrischen Par­odos vorangehen (Aias) oder zwischen die Strophen des Auftrittsliedes gesetzt sind (AntigoneOidipus Tyrannos1515Philoktet1402ZIMMERMANN2011531