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Fred McMason

Jäger und Gejagte

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Kanonendonner rollte pausenlos über die See.

Es war die Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1594. Immer wieder stachen gewaltige Feuerlanzen durch die Nacht und zerhackten die Finsternis. Der brüllende und grollende Donner folgte sofort danach. An der Kimm waberte es blutrot auf.

Der Bund der Korsaren rupfte einen spanischen Geleitzug, der von Havanna ausgelaufen war, und hier ereilte ihn sein Schicksal.

Ein Teil des Geleitzuges war schon kräftig gerupft. Den Mannschaften war nichts geschehen. Der Bund der Korsaren hatte es nur auf die Gold-, Silber- und Perlenladungen abgesehen.

Die „Isabella“ unter Philip Hasard Killigrew nahm an dem Gefecht nicht mehr teil. Hasard hatte eine spanische Galeone geentert und zu seinem Entsetzen entdeckt, daß die Dons menschliche „Fracht“ an Bord hatten, Männer und Frauen aus dem Stamm der Mixteken. Diese etwa siebzig Indianer sollten zur „Schau und Belustigung“ nach Spanien verschleppt und dort dem königlichen Hof vorgeführt werden.

Seitdem hatten die Arwenacks sich zurückgezogen und überlegten, ob sie die bedauernswerten Indianer auf einer Insel oder an der Küste Floridas absetzen sollten.

Jetzt sägten noch vier Schiffe Brocken aus dem Geleitzug heraus.

Thorfin Njals „Eiliger Drache über den Wassern“, die „Le Vengeur“, die „Caribian Queen“, unter Siri Tong und die „Tortuga“ nahmen einen Don nach dem anderen aus und erleichterten ihn um seine Schätze.

Old O’Flynn war die Aufgabe zugefallen, „Fühlungshaltermelder“ zu spielen und die Schiffe, die in alle Himmelsrichtungen verstreut waren, aufzuspüren und sie durch drei Böllerschüsse den Galeonen des Korsarenbundes zu melden.

Jetzt standen Jäger und Gejagte etwa sechzig Meilen nordöstlich des Ausgangs der Florida-Straße.

Einige Dons hatten entnervt die nächtliche Szene verlassen und waren in wilder Panik davongesegelt, nachdem sie um ihre Ladungen erleichtert worden waren.

Wenn es die Zeit zuließ, dann hetzte Old O’Flynn sie mit seinem kleinen Dreimaster „Empress of Sea“ noch ein bißchen und verscheuchte sie damit endgültig.

Der aus achtzehn Handels-Galeonen und zwölf Handels-Karavellen bestehende Geleitzug war bis jetzt um neun volle Ladungen erleichtert worden. Auf den vier Schiffen waren die Ladekapazitäten fast erschöpft. Unter Deck stapelten sich Eisentruhen mit Gold- und Silberbarren, Perlen, indianischem Goldschmuck und Edelsteinen. Der Wert war nicht einmal annähernd abzuschätzen.

Der Wikinger war mit seinen Mannen gerade beim „Hühnchenrupfen“, wie er das nannte. Sie trieben langsam vor dem Wind, Seite an Seite mit einer spanischen Galeone, die geentert worden war.

Die verängstigten Spanier schufteten bis zum Umfallen, schleppten das Zeug kistenweise aus ihren Laderäumen und brachten es auf den Schwarzen Segler. Dort verstauten es andere Dons, die der Wikinger zur unbezahlten Arbeit herangezogen hatte.

Thorfin Njal humpelte noch etwas. Sein linker, vor einigen Wochen gebrochener Knöchel war straff bandagiert. Wenn die schwitzenden Dons ihn sahen, zuckten sie jedesmal verstört zusammen, denn der Riese, der aus grauer Vorzeit zu stammen schien, flößte ihnen Furcht ein. Sie hatten Angst, nach getaner Arbeit an die Rahen gehängt zu werden.

Thorfin befahl dem Stör, eine der Eisenkisten zu öffnen, sozusagen zur Stichprobe.

Während er sich darüberbeugte und der Stör mit einer Laterne leuchtete, krachte es weiter östlich bestialisch laut. Siri-Tong hatte einem Don den Großmast weggeschossen, und der zerschlug jetzt im Fallen fast das ganze Deck und die Schanzkleider. Weitere Blitze zuckten durch die Nacht.

Thorfin störte sich an dem Donnern und Rumpeln nicht. Er fischte in der Eisenkiste und hob einen Gegenstand hoch. Sehr andächtig betrachtete er ihn.

„Hm, eine Platte zum Gemüsesehneiden“, sagte der Stör, „oder eine Art Teller aus Metall.“

„Du abgelaichter Stint!“ grollte Thorfin. „Soviel habe ich davon auch schon verstanden. Das ist ein goldener Kalender, den die Indianer gefertigt haben, um die sich der Seewolf kümmert. Gemüseplatte! Du spinnst ja. Das Ding ist ganz aus Gold und zeigt die Gestirne des Himmels.“

Vorsichtig legte er die dicke goldene Platte wieder zurück.

Die letzten Kisten und Truhen stapelten sich an Deck.

„Unten ist alles voll“, sagte der Stör, „da geht nicht mal mehr ein goldener Ring in die Laderäume. Wir müssen das an Deck festzurren.“

„Ich weiß, wir sind fast überladen. Schade, dabei laufen noch ein paar ungerupfte Hühnerchen herum, und alles ließ sich so gut an, seit wir die Kriegs-Galeonen erledigt hatten. Die Dons haben uns wirklich einmalig gut beschenkt.“

„Gut beschenkt“, echote der Stör, „einmalig gut beschenkt. Wie zu Weihnachten“, setzte er schnell hinzu, als er den drohenden Blick des Wikingers sah, der es auf den Tod nicht ausstehen konnte, wenn der Stör ihm immer alles nachquasselte.

„Eiliger Drache“ lag sehr tief im Wasser. Thorfin sah ein, daß er beim besten Willen nichts mehr an Bord nehmen konnte, ohne bei ruppiger See sein Schiff zu riskieren.

Er blickte die Spanier an, die schwitzend und verängstigt an Deck standen und nicht wußten, was dieser unheimliche Kerl jetzt mit ihnen vorhatte.

„Ihr habt das alles zusammengeklaut!“ rief er mit seiner Donnerstimme. „Und ihr habt dabei Unschuldige getötet, Männer, Frauen und Kinder. Jetzt klauen wir euch das Zeug, und ihr habt nur ein bißchen arbeiten müssen. Verzieht euch jetzt, schießt in den Wind oder Thors Hammer wird euch ins Kreuz fahren. Bei Odin und seinen Raben Hugin und Munin – haut bloß ab!“

Die verdatterten Spanier verstanden nichts. So obskure Dinge wie Thors Hammer oder Odins Raben waren ihnen kein Begriff. Sie kapierten erst, als der in Felle gehüllte Riese brüllend auf sie losging und so laut mit seiner Donnerstimme schrie, daß er mühelos das Donnern der Kanonen übertönte.

Da rissen sie aus und sprangen auf ihre Galeone, total verunsichert, was jetzt wohl folgen würde.

„Löst die Enterhaken und laßt den Torfkahn treiben, wohin er will“, befahl der nordische Gigant. Er klopfte nachdrücklich mit der Faust auf seinen Helm, was die Dons wiederum vor Schreck zusammenzucken ließ.

Eike und Arne lösten die Haken und grinsten die Dons an. Die Galeone war beschädigt. Ihr Backbordschanzkleid eingedrückt, ein Mast zersplittert, und dicht über der Wasserlinie wies sie drei große Löcher auf, die Thorfins Eisenkugeln hineingeschlagen hatten. Im Rigg sah es auch ein bißchen wüst aus. Der Takelmeister brauchte sich während der nächsten Zeit keineswegs um Arbeit sorgen.

Die ausgenommene Galeone trieb langsam davon. Die Spanier ließen sie treiben. Sie trauten sich nicht einmal, die Segel zu setzen und blieben untätig und hilflos an Deck stehen. Allerdings hatten sie auch nicht mehr viel Tuch an den Rahen, das noch gesetzt werden konnte.

Thorfin schenkte den Kerlen keinen Blick mehr. Er drehte sich um und starrte in die Nacht, aus der immer noch lange Flammenblitze stachen.

Die „Tortuga“ hatte sich in eine Galeone verbissen und räumte sie aus. Siri-Tong übernahm die Ladung einer anderen Schatzgaleone, während die „Le Vengeur“ gar nichts mehr unternahm, denn ihre Laderäume waren ebenfalls zum Bersten voll.

An der Kimm waren, undeutlich die Silhouetten flüchtender Galeonen zu erkennen. Nach allen Himmelsrichtungen flüchteten sie voller Panik in die schützende Nacht.

Der Wikinger lachte dröhnend. Er war guter Stimmung, denn dieses Unternehmen war das reinste Zuckerlecken gewesen. Aber auch an Bord der anderen Schiffe herrschte Prachtstimmung. Was sie diesmal an Beute auf die Schlangen-Insel einbrachten, übertraf alle ihre Erwartungen. Durch diesen Raid war den Spaniern ein unermeßlicher Schaden entstanden.

Old O’Flynn kurvte mit der „Empress“ in einer Kabellänge Entfernung vorbei und wollte nach Süden laufen.

Der Wikinger pfiff grell auf den Fingern. Das alte Rauhbein O’Flynn drehte bei und hielt auf „Eiliger Drache“ zu.

„Im Nordosten segelt ein dicker Brocken!“ schrie er zum Schwarzen Segler hinüber. „Soll ich dich hinlotsen, Thorfin?“

„Mann, mir säuft der Kahn gleich unter dem Hintern ab. Wir sind bis obenhin beladen. Wenn nur noch ein Mann mehr bei mir an Deck steht, dann blubbern wir ab.“

„Schade!“ rief Old O’Flynn. „Dann müssen wir die Kerle abzittern lassen. Das tut mir in der Seele weh.“

„Mir auch. Aber mir bleibt nichts anderes übrig, ich muß die Heimreise antreten.“

„Bei den anderen sieht es ähnlich aus“, versicherte der Alte, der mit seiner „Empress“ dicht neben dem Schwarzen Segler dümpelte. „Soll ich zum großen Sammeln blasen, Thorfin?“

Der Wikinger blickte auf die Schaluppe, hob ganz langsam den rechten Zeigefinger und kratzte seinen Helm. Das tat er meist, wenn er über etwas nachdachte.

Old O’Flynn nervte das sichtlich, denn er preite Thorfin ungeduldig an: „Was nun, verdammt! Deinen Nachttopf kannst du später kratzen.“

„Ja, wir sammeln, wenn die anderen auch soweit sind, und gehen dann auf Südkurs.“

„Daß der immer an seinem lausigen Helm kratzen muß“, sagte Old O’Flynn, „das ist nicht zum Aushalten. Da steckt doch etwas dahinter. Vielleicht hat er wieder diese nordischen Riesenläuse.“

Er zeigte verstanden und lief ab. Sein nächstes Ziel war der düstere Zweidecker der Roten Korsarin.

Auch bei Siri-Tong waren die Spanier am Arbeiten und wurden noch durch den Boston-Mann angetrieben.

„Eine halbe Stunde noch“, rief die Rote Korsarin, „dann ist die Beute verstaut!“

Old O’Flynn segelte zur „Tortuga“ und überzeugte sich auch dort von dem Fortgang des Umstauens. Nichts ging mehr in die Laderäume hinein, wie er erfuhr. Sie mußten die letzte Galeone noch ausräumen, dann war auch ein Teil der Decks beladen.

Das Donnern war verstummt. Es zuckten auch keine Blitze mehr auf, als die „Empress“ zur „Le Vengeur“ segelte. In ihrer unmittelbaren Nähe trieb eine Galeone, die beim. Entern heftigen Widerstand geleistet hatte. Dementsprechend sah sie auch aus. Jean Ribault hatte ihr die Masten weggeschossen. An Deck standen nur noch drei armselige Stümpfe, und die Dons wußten nicht, was sie tun sollten. Also ließen sie sich einfach treiben.

Ribault war in Hochstimmung. Im Widerschein der Laternen blitzten seine weißen Zähne, als er lachte.

„Das war der letzte!“ rief er Old O’Flynn zu. „Meinetwegen können wir die Heimreise antreten. Der Wind steht gut aus Nordnordost. Sage den anderen Bescheid, Donegal!“

„Hab ich schon. Alles klar. Achteraus liegt Thorfin, er wartet, daß wir sammeln.“

Ribault zeigte ebenfalls verstanden. Ganz langsam nahm die „Le Vengeur“ Kurs auf den Schwarzen Segler. Auch sie lag tief im Wasser und bewegte sich nur schwerfällig.

Nach insgesamt einer weiteren Stunde formierte sich der Verband. Was er zurückgelassen hatte, sah schrecklich aus. In der See trieben entmastete, zerschossene und gerupfte Galeonen. Auf einer großen Fläche bewegten sich Holztrümmer in der Dünung, Fässer und Kisten.

Auf einer der Galeonen brannte das Achterdeck. Die verstörten Dons hatten schon Boote ausgebracht und enterten ab, weil der Brand sich auszuweiten begann und nicht mehr zu löschen war.

Langsam und tief in der See liegend, gingen die vier Schiffe des Korsarenbundes auf Südkurs. Ihr Ziel war die Schlangen-Insel, wo die ungeheuren Schätze in den unterirdischen Kavernen verschwinden würden.

Die „Empress of Sea“, die wesentlich schneller lief als die vier schwerbeladenen Schiffe, spielte Aufklärer und umkreiste die kleine Flotte.

Ein reicher Beutezug war beendet. An Bord gab es überall zufriedene Gesichter, und dem Raid würde ein großes Fest folgen.

2.

Nacht, Dunkelheit und Entfernung hatten die zweimastige Schaluppe Don Juans verschluckt. Aber der heimliche Beobachter der Enterkämpfe war noch da und keinesfalls verschwunden.

Hasard hatte ihn bereits am Vortag als kleinen Strich an der Kimm gesehen und war mißtrauisch geworden, als die Schaluppe jeden Kreuzschlag der „Isabella“ nachvollzog. Er hatte den alten O’Flynn gebeten, auch die anderen Kapitäne zu warnen, weil ihm die Schaluppe nicht geheuer erschien. Als er einmal auf sie zusegelte, zog sie sich schnell zurück und verschwand achteraus an der Kimm.

Don Juan de Alcazar hatte am Vortag bereits beobachten können, wie die fünf Kriegs-Galeonen, die den Geleitzug zum Schutz begleiteten, in einem heftigen Gefecht vernichtet wurden. Er war immer eisern auf Tuchfühlung geblieben.

Als er dann die „Isabella“ erkannt hatte, wußte er, daß er sich wieder auf der Spur Philip Hasard Killigrews befand.

Seine Kalkulation war damit aufgegangen und seine Ahnung zur Gewißheit geworden, daß die Engländer bei den nördlichen Bahamas ihr Unwesen trieben. In diesen Gewässern war ihnen auch die Perlen-Galeone „Santa Clara“ in die Hände gefallen.

Was Don Juan bis in die Tiefen seiner Seele erschütterte, war die unglaublich scheinende Tatsache, daß außer der „Isabella“ vier weitere schwer armierte Galeonen die fünf spanischen Kriegsschiffe so mir nichts, dir nichts von der See gefegt hatten. Eine kleine dreimastige Karavelle hatte ebenfalls eingegriffen.

Don Juans schiefergraue Augen durchbohrten die Dunkelheit. Alles in ihm kochte und brodelte vor Wut, als er den pausenlosen Kanonendonner hörte und die Blitze sah, die scheinbar aus der See stachen. Mitunter war das berstende Krachen von Schiffsplanken oder Masten bis hierhin zu hören.

Jetzt wurden die spanischen Galeonen kräftig ausgenommen und gerupft wie fette Weihnachtsgänse. Die Weltmacht Spanien verlor unermeßliche Reichtümer an die englischen Piraten.

Don Juan ballte die Hände zu Fäusten und starrte mit brennenden Blicken in das Chaos an der Kimm. Da flogen nur so die Fetzen, da wurde ein Schatzschiff nach dem anderen geentert, und die Reichtümer aus der Neuen Welt verschwanden in den Bäuchen der englischen Galeonen, statt am spanischen Hof zu landen.

Natürlich mußte Don Juan hilflos zusehen, was sich da abspielte. Er konnte nichts ausrichten – noch nicht. Aber daß er hier ungestört den Beobachter spielen konnte, war Gold wert. Er würde herausfinden, wohin dieser schwarze Satan segelte. War sein Versteck erst einmal bekannt, war alles andere ein Kinderspiel. Eine ganze Armada würde aufkreuzen und das Piratenversteck ausräuchern. Dem konnte auch Philip Hasard Killigrew nichts entgegensetzen.

In dieser Nacht gingen Don Juan die Augen über, denn wie dort gekämpft wurde, war einfach unglaublich. Einerseits ärgerte er sich grün und blau, andererseits faszinierte ihn die Taktik, die Strategie und der unglaubliche Angriffsgeist dieser englischen Höllenhunde.

Er haderte mit sich. Er konnte schließlich diese Kerle, die sein Land gehörig rupften, schlecht bewundern, oder? Auch wenn der Killigrew ihm das Leben gerettet hatte. Das ging dann doch wohl etwas zu weit.

Schon einmal war er diesem Seewolf mit widerstreitenden Gefühlen gegenübergetreten und hatte sich anhören müssen, was der von der „sehr fragwürdigen“ spanischen Krone hielt. Er hatte ihm eine Art Spiegel vorgehalten und ihn mit Worten fast gedemütigt.

„Näher dranbleiben!“ fuhr er den Bootsmann plötzlich an.

Ramón Vigil, ein sechs Fuß großer Riese mit kantigem Gesicht, ausgeprägtem Kinn und blauen Augen, war Katalonier. Seinem Aussehen nach war der Bootsmann der Nachfahre eines Gotenstammes.

Er zuckte leicht zusammen. Mit Don Juan war in dieser Nacht nicht gut Kirschen essen, der hatte eine recht miese Laune. Das hatte auch die übrige Mannschaft schon zu spüren gekriegt.