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Martin Pabst

Der Nahostkonflikt

Eine Einführung

Verlag W. Kohlhammer

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Umschlagbild: Raik Weber

1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031856-4

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-031857-1

epub:   ISBN 978-3-17-031858-8

mobi:   ISBN 978-3-17-031859-5

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Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. 1 Vorbemerkung
  2. 2 Komplexe Konfliktkonstellation
  3. 3 Palästina vom Altertum bis zum Ersten Weltkrieg
  4. 4 Zunehmende Spannungen unter britischer Mandatsherrschaft
  5. 5 Vom UN-Teilungsplan bis zur israelischen Besetzung von Restpalästina
  6. 6 Besatzung, Konfrontation und wenig politische Bewegung
  7. 7 Der Oslo-Friedensprozess – ein gescheiterter Lösungsversuch?
  8. 8 Jüngste Entwicklungen
  9. 9 Optionen einer Lösung des Nahostkonflikts
  10. 10 Ausblick
  11. 11 Anmerkungen
  12. 12 Anhang
  13. 13 Literatur
  14. 14 Personenregister

 

1          Vorbemerkung

 

 

 

Im Nahostkonflikt prallen unterschiedliche politische und religiöse Weltbilder aufeinander. Dies wirkt sich auf den Sprachgebrauch der Konfliktparteien aus, der von unterschiedlichen historischen Erfahrungen und politischen Sichtweisen geprägt ist. So sind die »Freiheitskämpfer« der einen Seite nicht selten die »Terroristen« der anderen Seite. Geografische und historische Bezeichnungen sind nicht neutral, sondern beinhalten häufig politische Konnotationen.

»Palästina«

Bereits der Begriff »Palästina« wird unterschiedlich verwendet bzw. interpretiert. Er kann eine in seinen Grenzen nicht genau definierte historische Region bezeichnen, ein territorial nicht definiertes jüdisches Staatsgründungsprojekt, das britische Mandatsgebiet in seinen Grenzen von 1920 bis 1922 (inklusive Ostjordanien) bzw. von 1922 bis 1948 (ohne Ostjordanien), den in diesen Grenzen von den arabischen Palästinensern beanspruchten palästinensischen Staat oder das nach 1967 faktisch verbliebene Rest-Palästina (Gazastreifen und Westjordanland, inklusive oder exklusive Ostjerusalems). Letzteres Territorium wird häufig auch als »die besetzten Gebiete« bezeichnet, wozu im Prinzip auch die israelisch okkupierten syrischen Golanhöhen zählen. Für viele Israelis sind es freilich nicht die »besetzten«, sondern die »umstrittenen Gebiete« oder sogar die »befreiten Gebiete«, wie Premierminister Menachem Begin zu sagen pflegte. Rechtsgerichtete Israelis pflegen das Westjordanland mit biblischem Bezug als »Judäa und Samaria« zu bezeichnen, was eine historisch begründete Zugehörigkeit zum Staat Israel postuliert.

Manche Zionisten suchten die Bezeichnung »Palästina« zu vermeiden. Sie sprachen bereits vor der Gründung des Staats Israels davon, nach »Eretz Israel« (dem Gelobten Land) einzuwandern. Mit der biblischen Bezeichnung suchte sie einen jüdischen Eigentumsanspruch zu dokumentieren.

Wer wie die palästinensische Hamas, die libanesische Hisbollah oder die Islamische Republik Iran den Staat Israel grundsätzlich ablehnt, spricht ihn ersatzweise als »Zionistisches Gebilde« (Zionist Entity) an. Das gesamte Palästina in den Grenzen von 1947 gilt ihnen derzeit als »Besetztes Palästina«. So wird es auch auf vielen arabischen und iranischen Karten dargestellt. Hingegen ist auf israelischen Karten die östliche Staatsgrenze nicht selten der Jordan.

»Israel«/«Israeli«

Der Begriff »Israeli« kann sich auf den israelischen Staatsbürger beziehen (jedweden Glaubens oder ethnischer Zugehörigkeit), gemeint sind aber häufig nur die Bürger jüdischen Glaubens/jüdischer Nationalität. Der Begriff »Jude« verweist zunächst auf eine Religionszugehörigkeit, wird im zionistischen und damit staatlich-israelischen Verständnis aber auch als Nationalität angesehen. In der Unabhängigkeitserklärung und in diversen grundlegenden Gesetzen wird Israel als »jüdischer Staat« definiert (eine geschriebene Verfassung hat der Staat nicht). Andererseits wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht soziale und politische Gleichberechtigung verbürgt. Kritiker der israelischen Politik sehen einen Widerspruch zwischen der Privilegierung von jüdischen Israelis in bestimmten Fragen, z. B. bei Immigration und Landnutzung, und dem demokratischen Prinzip der Gleichbehandlung aller Staatsbürger.

»Palästinenser«

Als »Palästinenser« wurden zwischen 1920 und 1948 alle Einwohner des britischen Mandats Palästinas muslimischer, christlicher und jüdischer Religionszugehörigkeit bezeichnet. Seit 1948 versteht man darunter die arabischen Palästinenser. Doch herrschte in Israel lange die Meinung vor (und wird mitunter auch heute noch vertreten), dass es keine Palästinenser als gesonderte Nationalität gäbe, sondern nur »Araber«, womit eine Identität mit den Bewohnern der Nachbarländer postuliert wird. Die in Israel lebenden Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft werden in Israel denn auch durchweg als »Israelische Araber« bezeichnet, obwohl es sich zweifelsohne um Palästinenser handelt. Dies ist auch ihre bevorzugte Eigenbezeichnung.

»Jerusalem«

Jerusalem wird auf Hebräisch als Jeruschalajim bezeichnet. Wahrscheinlich bedeutet dies »Stadt des (kanaanitischen Gottes) Schalim«. Rabbiner erklärten die Bedeutung später als »Stadt des Friedens«, angeblich abgeleitet vom hebräischen Wort Schalom. Die Muslime nennen die Stadt al Kuds (Die Heilige, die Reine). Für das Altstadtplateau oberhalb des Kidrontals ist die biblische Bezeichnung Moria überliefert: Dort sollte Abraham seinen Sohn Isaak opfern. Die Juden bezeichnen ihn auch als »Tempelberg«, bezogen auf den im Jahr 70 von den Römern zerstörten zweiten Tempel. Muslime sprechen hingegen von »al-Haram asch-Scharif« (der heilige Bezirk), da sich auf dem Plateau die islamischen Heiligtümer Felsendom und al-Aksa-Moschee befinden. Die erhaltene Westmauer des Tempelplateaus (es ist nicht, wie oft fälschlicherweise zu lesen, die Westmauer des Tempels) wird von den Juden als »Mauer« (kotel), von den Muslimen als »Burak-Mauer« bezeichnet, mit Bezug auf das geflügelte Reittier al-Burak, auf dem Mohammed der Legende nach von Mekka nach Jerusalem reiste und von dort zum Himmel aufstieg. Die umgangssprachliche Bezeichnung »Klagemauer« wird von jüdischen Gläubigen abgelehnt.

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Der Felsendom und die Altstadt von Ostjerusalem, dahinter Westjerusalem, das Israel 1949 zu seiner Hauptstadt erklärte (Martin Pabst)

Weitere Begriffe

Die ab 2002 von Israel errichteten Sperranlagen werden von den Palästinensern als »Mauer« bezeichnet, mitunter auch pejorativ als »Apartheidmauer«. Israelis bevorzugen die Begriffe »Zaun« oder »Barriere«, häufig auch in der Verbindung »Sicherheitszaun« bzw. »Sicherheitsbarriere«. Der überwiegende Teil der Sperranlagen ist ein schwer gesicherter Metallzaun, bei anderen Abschnitten handelt es sich um bis zu acht Meter hohe Stahlbetonmauern mit Wachttürmen.

Israelis sprechen von jüdischen »Siedlungen« oder »Gemeinden« in den besetzten Gebieten, während die Palästinenser neben »Siedlungen« Begriffe wie »Siedlerkolonien« oder »Kolonien« verwenden, um damit einen Bezug zu Kolonialismus und Imperialismus herzustellen. Nicht genehmigte Siedlungen werden von siedlerfreundlichen Israelis als »Außenposten«, von siedlerkritischen Israelis und von Palästinensern als »illegale Siedlungen« tituliert.

Die palästinensische Revolte von 1929 mit Hunderten Todesopfern ist in der Erinnerung der Israelis das »Massaker von 1929«, während die Palästinenser vom »Burak-Aufstand« sprechen. Der »Große Arabische Aufstand« von 1936–39 wird auf israelischer Seite zum »Arabischen Aufruhr«.

Den Ersten Nahostkrieg (1948–1949) bezeichnen Israelis als »Unabhängigkeitskrieg«, die Palästinenser als »Nakba« (Katastrophe), da er zur Flucht und Vertreibung von mindestens 700 000 Landsleuten führte. Den Zweiten Nahostkrieg (1956) kennt man auch als »Suezkrieg«, in der arabischen Welt spricht man von der »Drei-Parteien-Aggression«. Der Dritte Nahostkrieg (1967) wird von den Israelis mit biblischer Anspielung als »Sechstagekrieg«, von den Palästinensern/Arabern als »Junikrieg« oder »Naksa« (Rückschlag) bezeichnet, der Vierte Nahostkrieg (1973) von den Israelis als »Jom-Kippur-Krieg«, von den Palästinensern/Arabern als »Oktoberkrieg« oder »Ramadan-Krieg«.

»Nahostkonflikt«

»Nahostkonflikt« hat sich als Bezeichnung für den israelisch-palästinensischen Konflikt eingebürgert, da er jahrzehntelang der zentrale politische Konflikt im Nahen Osten war und Nachbarstaaten involviert. Im Englischen und US-Amerikanischen wird der Begriff »Middle East Conflict« verwendet, da die deutsche Unterscheidung zwischen Nahem und Mittlerem Osten in diesen Sprachen nicht mehr vorgenommen wird. Der Begriff »Near East« ist nahezu ausgestorben.

Inzwischen sind in der Region weitere bewaffnete Konflikte ausgebrochen. Man kann den Nahostkonflikt daher auch nach seinen Protagonisten benennen. Die Israelis bevorzugen dabei den Begriff »Israelisch-Arabischer Konflikt«, womit sie die Rolle der Palästinenser minimieren, während letztere den Begriff »Israelisch-Palästinensischer Konflikt« vorziehen.

Neutrale Bezeichnungen

Dieses Buch sucht möglichst neutrale Bezeichnungen zu verwenden; sie sollen keine politische Aussage implizieren.

Mit dem Begriff Palästina wird bis 1920 eine territorial nicht exakt definierte historische Region innerhalb Syriens bezeichnet, dann das Mandat Palästina in seinen definierten Grenzen. Nach 1967 werden das Westjordanland und der Gazastreifen als »besetzte Gebiete« angesprochen. Außerdem werden die ab 1994 bzw. 2013 verwendeten Eigenbezeichnungen »Palästinensisches Autonomiegebiet« bzw. »Staat Palästina« übernommen.

Bis 1947 gebraucht dieses Buch die Begriffe »Juden« und »Araber« (ggf. in Abgrenzung zu sonstigen Arabern auch als »palästinensische Araber« bezeichnet). Ab 1948 werden die Begriffe »Israelis« und »Palästinenser« verwendet, wobei letzter Begriff auch die in Israel lebenden Palästinenser mit israelischer Staatsangehörigkeit einschließt.

 

2          Komplexe Konfliktkonstellation

 

 

 

Der Nahostkonflikt ist einer der langwierigsten der jüngeren Geschichte. Spannungen zwischen Juden und Arabern in Palästina setzten in den 1920er Jahren ein. Seit Mitte der 1940er Jahre wird der Konflikt immer wieder mit bewaffneten Mitteln ausgetragen: viermal als konventioneller Krieg unter Mitwirkung arabischer Staaten (1948/49, 1956, 1967, 1973) wie auch als asymmetrischer Krieg (Soldaten versus Freischärler). Nahost-Friedenspläne sind eine Chronologie des Scheiterns und der Enttäuschung – vom Plan der Vereinten Nationen über die Teilung Palästinas (1947) und die Camp-David-I-Abkommen zwischen Israel und Ägypten (1979) bis zu den Oslo-Abkommen zwischen Israel und der PLO (1993/95) und den Camp-David-II-Verhandlungen unter Schirmherrschaft von US-Präsident Bill Clinton (2000).

Ein Charakteristikum ist die Komplexität des Konflikts: Unvereinbare politische Ziele der Konfliktparteien werden durch konträre religiöse und kulturelle Bezüge emotional aufgeladen. Der Nahe Osten liegt im Schnittpunkt von drei Weltreligionen, die Jerusalem als heiligste Stätte (Judentum und Christentum) bzw. als eine ihrer drei heiligsten Stätten (Islam) betrachten. Der Großteil der Israelis versteht sich als Vorposten und Teil des Okzidents (Europa/Nordamerika), während sich die Palästinenser dem Orient zugehörig fühlen.

Religiöse und kulturelle Unterschiede werden durch nationale Antagonismen verstärkt: die Palästinenser sehen sich als eine arabische Nation, die Teil der panarabischen Sprach- und Kulturgemeinschaft ist. Sozialisiert in der Ideologie des Zionismus, sieht die Mehrheit der Israelis das Judentum nicht nur als Religion, sondern ebenfalls als Nation mit Anspruch auf einen exklusiven Nationalstaat.

Unterschiedliche Konfliktcharakterisierungen

Im Nahostkonflikt konkurrierten immer wieder konträre Ideologien miteinander, was die Lösung komplizierte: jüdischer versus arabischer Nationalismus, Nationalismus versus Kolonialismus/Imperialismus, Kapitalismus vs. Sozialismus, Säkularismus versus religiöser Fundamentalismus. Mitunter verschwimmen die Konfliktlinien, so konkurrieren heute sowohl unter Israelis wie unter Arabern säkulare mit religiös-fundamentalistischen Strömungen.

Die Charakterisierung des Konflikts ist umstritten. Eher selten wird die Meinung vertreten, dass es sich um einen religiösen oder einen ideologischen Konflikt handelt. Beide Aspekte spielen zwar eine Rolle, doch werden sie nicht als konstitutive Elemente angesehen. Am verbreitetsten ist die Charakterisierung als ein nach dem Ersten Weltkrieg einsetzender Konflikt zwischen zwei unvereinbaren Nationalismen auf demselben Territorium mit beschränkter Fläche und Ressourcen. Befürworter der Zweistaatenlösung neigen dieser Ansicht zu und plädieren für einen durch bilaterale Verhandlungen zu erzielenden territorialen Kompromiss, der zwei Nationalstaaten auf jeweils einem Teil des historischen Palästinas beinhaltet.

Dem gegenüber steht die Charakterisierung als ein im 19. Jahrhundert auf dem Höhepunkt des Imperialismus begonnener Konflikt zwischen kolonialistischen euro-amerikanischen Siedlern und einer indigenen arabischen Bevölkerung. Demnach bezweckte die zionistische Bewegung die Inbesitznahme, Judaisierung und Verwestlichung eines möglichst großen Teils von Palästina, mit der erforderlichen Konsequenz der Marginalisierung bzw. Vertreibung der ansässigen Palästinenser. Vertreter dieser Einschätzung neigen der Einstaatenlösung zu. Sie argumentieren, dass ein gleichberechtigtes Zusammenleben von Israelis und Palästinensern in einem gemeinsamen Staat möglich sei, wenn die Israelis die kolonialistische, tendenziell auch rassistische Ideologie des Zionismus aufgäben – ähnlich wie in Südafrika nach der Abschaffung der Apartheid die Errichtung eines demokratischen Staates möglich war.

Externe Akteure

Erschwerend kommt hinzu, dass der Nahostkonflikt auch eine regionale und eine globale Dimension hat. Geostrategische und ökonomische Interessen von Regional- und Globalmächten sind wesentliche Determinanten.

Regionale Dimension

Nach 1945 haben sich die arabischen Staaten zu Fürsprechern und Schutzherren der Palästinenser erklärt. Wichtigste Gegenspieler Israels waren jahrzehntelang Ägypten, Jordanien, Syrien und der Irak. Nach der Islamischen Revolution im Jahr 1979 positionierte sich die Islamische Republik Iran als weitere palästinensische Schutzmacht, in jüngster Zeit trat auf Betreiben von Tajip Recep Erdoğan die Türkei hinzu. Das politische und militärische Engagement dieser Staaten zugunsten der Palästinenser ist auch vom Streben nach regionaler Machtausweitung bestimmt. Hinzu kommen innenpolitische Motive: Die Unterstützung der Palästinenser dient der Herrschaftslegitimation. Eine Verschärfung des Nahostkonflikts war auch stets ein probates Mittel zur Ablenkung von inneren Krisen.

Insbesondere Jordanien, der Libanon und Syrien sind Aufnahmeländer von palästinensischen Flüchtlingen und Vertriebenen. Deren Wunsch nach Gründung eines palästinensischen Staates bzw. Rückkehr in die Heimat ist damit ein innenpolitischer Faktor in diesen Staaten.

Globale Dimension

Ergänzt wird die regionale durch eine globale Dimension. Denn der Nahe Osten hat eine hohe geopolitische Bedeutung. Israel/Palästina befindet sich im Schnittpunkt von drei Kontinenten (Europa, Asien, Afrika). Das Gebiet wird von Welthandelsstraßen zwischen Europa, Asien und Afrika tangiert. So führte im Altertum und Mittelalter die »Seidenstraße« von Fernasien zum Mittelmeer, ihr südwestliches Ende verlief von Damaskus über Gaza nach Kairo und Alexandria. Die Verkehrsdrehscheibe Palästina wurde ab dem Ende des 19. Jahrhunderts durch moderne Straßen und Eisenbahnen mit Ägypten, Ostjordanien, Syrien, der Türkei und Mesopotamien verbunden. 1935 wurde die Ölpipeline vom irakischen Kirkuk über Ostjordanien in das palästinensische Haifa eröffnet, der dortige Hafen wurde zum Handels- und Kriegshafen ausgebaut. Aufgrund des andauernden Nahostkonflikts sind heute freilich wichtige Verbindungen sowie Pipelines unterbrochen.

Ebenso bedeutsam sind Schifffahrtsstraßen. Im Einzugsbereich von Israel/Palästina verläuft der Welthandelsweg vom Mittelmeer über den Suezkanal und das Rote Meer zum Indischen Ozean bzw. Persischen Golf.

Gemäß dem British Petroleum Statistical Review of World Energy 2016 sind 47,3 Prozent der nachgewiesenen Ölreserven und 42,8 Prozent der nachgewiesenen Erdgasreserven im Nahen/Mittleren Osten, insbesondere am Persischen Golf, beheimatet.1 Israel/Palästina ist ein strategischer Anrainer dieser Energieregion, im Fall von Erdgas inzwischen auch ein Produzent. 2009 bzw. 2010 wurden die Erdgasfelder Tamar und Leviathan vor der Mittelmeerküste entdeckt, sie bergen aufgrund schwieriger Abgrenzung mit Nachbarn (insbesondere Libanon) aber auch Konfliktstoff. Israel konnte Gasimporte aus Ägypten ersetzen, 2017 soll mit dem Export von Gas begonnen werden.2

USA und Russische Föderation

Es überrascht nicht, dass globale Mächte wie Großbritannien und Frankreich, nach 1945 auch die USA und die Sowjetunion bzw. Russische Föderation im Nahen Osten strategische Interessen verfolgten und verfolgen.

Das Verhalten der globalen Mächte wird auch von innenpolitischen Faktoren bestimmt. US-Bürger jüdischen Glaubens sind in großer Zahl nach Israel eingewandert, z. T. haben sie eine doppelte Staatsbürgerschaft, die persönlichen Verbindungen sind eng. Zwischen 6 bis 8 Mio. Bürger jüdischen Glaubens leben in den USA, die große Mehrheit davon steht dem Staat Israel nahe. Große Sympathien genießt Israel auch bei christlichen, insbesondere evangelikalen US-Amerikanern, die die Juden als das Volk des Alten Testamentes und den Staat Israel als Schutzmacht der Heiligen Stätten bis zur Wiederkunft Christi sehen. Beide Gruppen verfügen über einflussreiche und finanzstarke Lobbyorganisationen wie das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), das American Jewish Committee (AJC) und Christians United for Israel (CUFI).

Auch wenn die USA im 2011 einsetzenden »Arabischen Umbruch« zurückhaltend auftreten, verfolgen sie im Nahen und Mittleren Osten weiterhin ihre strategischen Ziele: Zugang zu den Energieressourcen, Sicherung von Welthandelswegen, Garantie der Existenz Israels, Eindämmung der Islamischen Republik Iran und Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

In der Nahostpolitik der Russischen Föderation spielen ebenfalls innenpolitische Einflüsse eine Rolle. Russische Juden gehörten im 19. Jahrhundert zu den ersten Einwanderern in Palästina, und seit dem Ende der Sowjetunion ist über eine Million russischer Juden nach Israel eingewandert. Nicht zuletzt auf diesem Fundament haben sich die Beziehungen zwischen Russland und Israel in den letzten Jahren intensiviert. Ein anderer Faktor ist christliche Verbundenheit: Russland sieht sich seit dem 19. Jahrhundert als Schutzmacht der christlich-orthodoxen Minderheiten im Nahen Osten. Die Russisch-Orthodoxe Kirche, die auch an den Heiligen Stätten Anteil hat, befürwortet eine aktive Nahostpolitik.

Die Schlüsselrolle kommt den USA zu. Sie lösten Großbritannien nach 1945 als zentrale Einflussmacht im Nahen Osten ab, seit den 1970er Jahren auch am Persischen Golf. Die Nahostpolitik Washingtons wird einerseits von geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen, andererseits von innenpolitischem Lobbyismus bestimmt. Washington ist der wichtigste Verbündete Israels und finanziert mit seiner jährlichen Militärhilfe von derzeit ca. 3,8 Mrd. US-Dollar etwa ein Fünftel des israelischen Verteidigungshaushaltes. Politisch schirmen die USA das wegen seiner Politik in den besetzten Gebieten zunehmend isolierte Israel bei den Vereinten Nationen zuverlässig ab, so hat Washington von 1972 bis 2016 nicht weniger als 83 Sicherheitsratsresolutionen, die Israel verurteilt haben oder Israel-kritisch formuliert waren, durch sein Veto verhindert. Nur ein anderes Land wurde von den USA entsprechend abgeschirmt: die Republik Südafrika während der Apartheidzeit mit 25 Vetos zwischen 1974 und 1988.

Andererseits bemühen sich die USA auch um die Palästinenser und haben die Autonomieregierung zwischen 1990 und 2016 mit beträchtlicher Entwicklungsunterstützung und Aufbauhilfe für Polizeikräfte unterstützt. Seit Mitte der 1970er Jahre haben US-Regierungen immer wieder Anstrengungen zur Lösung des Nahostkonflikts unternommen.

Europäische Union

Die Europäische Union war stets kritischer gegenüber Israel als die USA, kann freilich im Nahen Osten nur begrenzten Einfluss ausüben und findet nicht immer zu einer gemeinsamen Position. Bereits 1973 erkannten die EU-Außenminister »die legitimen Rechte der Palästinenser« an, 1980 sprach die EU in der Erklärung von Venedig vom Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und erkannte die PLO als Vertreterin der Palästinenser an. In der Erklärung von Berlin propagierte sie 1999 noch vor den USA einen palästinensischen Staat und sprach sich gleichzeitig für das Existenzrecht Israels aus.

Deutschland

Deutschland pflegt aufgrund der historischen Belastung des Holocaust eine besonders enge Beziehung zu Israel, das Hunderttausende NS-Verfolgte aufgenommen hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte in ihrer Rede vor der Knesset am 18. März 2008 die historische Verantwortung für die Sicherheit Israels sogar zur deutschen »Staatsräson«. Bundesdeutsche Wiedergutmachungsleistungen summierten sich gemäß dem Bundesfinanzministerium bis 2015 auf ca. 73 Milliarden Euro. Sie trugen erheblich zum israelischen Wirtschaftsaufschwung bei und führten zu einer ökonomischen Vernetzung beider Länder. Deutschland verfolgt aber auch signifikante Interessen in der arabischen Welt, die ein wichtiger Energielieferant sowie Absatzmarkt und Investitionsstandort ist. Es etablierte gute Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde, fördert zahlreiche Entwicklungsprojekte in den besetzten Gebieten und setzt sich für eine ausgehandelte Friedenslösung auf der Basis zweier Staaten ein.

Die Überlagerung der lokalen, regionalen und globalen Dimension erschwert eine Lösung des Nahostkonflikts. Nur wenn die Schlüsselakteure auf allen Ebenen an einem Strang ziehen, unparteilich agieren und Störer neutralisieren, kann ein Kompromiss gelingen.

Internationale »Großwetterlage«

Stets war der Nahostkonflikt abhängig von der internationalen »Großwetterlage«: Regionale und globale Krisen haben ihn beeinflusst, nicht selten kompliziert. Erleichtert wurden Friedensbemühungen von Phasen regionaler und internationaler Entspannung, wie z. B. dem Ende des »Kalten Kriegs« Anfang der 1990er Jahre.

Derzeit fördert das instabile regionale Umfeld nicht den Friedenswillen bei der stärkeren Konfliktpartei Israel. Die 2011 einsetzende arabische Protestbewegung drängt den Nahostkonflikt in den Hintergrund. Die meisten arabischen Staaten sind mit ungelösten inneren Konflikten beschäftigt und haben mit ökonomischen Problemen zu kämpfen. Staaten wie Syrien und der Irak sind kaum mehr handlungsfähig, sondern zu Schauplätzen von Stellvertreterkriegen und expandierendem Dschihadismus geworden. Der Gegensatz Saudi Arabien vs. Iran und der dadurch mobilisierte konfessionelle Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten überlagert inzwischen den Nahostkonflikt. Aber auch innerhalb der sunnitischen Staaten der Region brechen zunehmend Gräben auf, wie die 2017 eskalierten Spannungen zwischen Saudi-Arabien, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten einerseits und Katar und der Türkei andererseits zeigen.

Israel ist skeptisch gegenüber einer Demokratisierung der arabischen Staaten und hat sich mit dieser Haltung dem Königreich Saudi-Arabien und anderen Golfmonarchien angenähert, die auch die israelische Feindschaft gegenüber dem Iran und der Hisbollah teilen. Konzertierter Druck der arabischen Staaten auf Israel zugunsten nachhaltiger Konzessionen ist daher nicht zu erwarten, im Gegenteil könnte es Israel in der momentanen Konstellation gelingen, seine jahrzehntelange Isolation in der arabischen Welt aufzubrechen. Doch würde es sich auch keine arabische Regierung auf Dauer innenpolitisch leisten können, die Nöte der Palästinenser zu ignorieren. Sollte es in der gesamten Region zu einer Demokratisierung kommen, würde um so mehr von den Regierungen eine propalästinensische Politik eingefordert.

 

3          Palästina vom Altertum bis zum Ersten Weltkrieg

 

 

 

Die unterschiedliche erlebte bzw. tradierte Geschichte prägt das individuelle und kollektive Bewusstsein von Israelis und Palästinensern. Darüber hinaus wird Geschichte auf beiden Seiten zur Legitimierung von politischen Zielen in Dienst gestellt und nicht selten verfälscht. Tendenziell wird versucht, den Beitrag der jeweils anderen Seite zur Entwicklung Palästinas zu minimieren oder gar in Abrede zu stellen. So ergab 2017 eine im Auftrag von Bundestagsabgeordneten erstellte Studie des »Mideast Freedom Forum Berlin«, dass in den Schulbüchern der Palästinensischen Autonomiebehörde 2000 Jahre jüdische Kultur und Religion ebenso wenig vorkämen wie der Holocaust. Juden würden nur selten erwähnt, und wenn, dann als Widersacher Mohammeds und des Islams. Die regierungskritische israelische Professorin für Komparatistik Nurit Peled-Elhanan kam in ihrer Studie Palestine in Israeli School Books: Ideology and Propaganda in Education (2012) zu einem ähnlichen Ergebnis: Schulbücher rechts- wie linksgerichteter israelischer Regierungen würden die Geschichte und Kultur der Palästinenser weitgehend ausblenden und diese fast durchweg als »Araber« bezeichnen. Es falle auf, dass Palästinenser immer wieder mit orientalistischen Stereotypen des 19. Jahrhunderts, häufig auch mit negativen Eigenschaften versehen würden. Die Ereignisse seit 1947 würden selektiv geschildert und zur Legitimation der Expansion Israels herangezogen.

Im Folgenden soll ein Überblick über die Geschichte Palästinas bis zum Ersten Weltkrieg gegeben und der Forschungsstand zu kontrovers diskutierten Themen aufgezeigt werden.

Der griechische Historiker Herodot prägte im 5. Jahrhundert v. Chr. die Bezeichnung »Syria palaistine« für den Küstenstreifen zwischen Libanon und Gaza. Sie ist vom dort lebenden Volk der Philister abgeleitet. Daraus wurde im Lateinischen »Palaestina«, im Arabischen »Falastin«. Bis in das frühe 20. Jahrhundert war Palästina, das auch Südsyrien genannt wurde, Bestandteil der historischen Region Großsyrien (arabisch: Bilad asch-Scham), die auf die römische Provinz Syria zurückgeht und wesentlich größer als die heutige Arabische Republik Syrien ist. Der libanesische Autor Farid Georges Kassab bezeichnete 1909 als erster die Bewohner von Palästina als »Palästinenser«. Zum politischen Begriff wurde die geografische Bezeichnung Palästina 1920 mit der Erklärung des Völkerbundsmandats Palästina.

Das älteste bekannte Volk: die Kanaaniter

Die ersten Besiedlungsspuren finden sich in der Altsteinzeit (70.000 – 14.000 v.Chr.). In der Bronzezeit (3000 – 1200 v.Chr.) entstand ein Gemeinwesen »Kanaan«, das eine erste städtische Kultur an der Küste herausbildete. Die semitischen Kanaaniter sind die ältesten bekannten Bewohner und machten sich als Händler einen Namen. Im Lauf der Zeit erfolgte eine Vermischung mit benachbarten Ethnien, wie aramäischen Stämmen, Edomitern und Ammonitern. Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts v. Chr. kontrollierten die ägyptischen Pharaonen Teile des strategisch bedeutsamen Durchgangslandes Kanaan.

Gemäß der Bibel wanderten im 13. Jahrhundert v. Chr. die semitischen Hebräer aus Ägypten ein. Sie glaubten, dass ihnen als Belohnung für den unter Abraham geschlossenen Bund mit Gott das gelobte Land Israel (»Eretz Israel«) verheißen wurde. Urvater Abraham zog demnach von Mesopotamien über Anatolien nach Kanaan. Von dort musste er mit seiner Sippe aufgrund einer Hungersnot nach Ägypten ausweichen. Später erhielt Moses die göttliche Weisung, sein vom Pharao unterdrücktes Volk aus Ägypten in das Land Kanaan hinaufzuführen, in dem »Milch und Honig fließen«. Über den Berg Sinai, wo er von Gott Jahwe die Zehn Gebote erhielt, führte er sein Volk schließlich in das »verheißene Land«. Dessen genaue Grenzen sind in der Bibel nicht klar definiert. Gemäß dem 4. Buch Moses (Numeri) 34, 1-12, beschränkte es sich auf das Land Kanaan, gemäß dem 1. Buch Moses (Genesis) 15, 18–21 erstreckte es sich vom Strom Ägyptens (gemeint ist wohl der Wadi al-Arisch auf dem Sinai, nicht wie häufig angenommen der Nil) bis zum Euphrat in Mesopotamien. Das verheißene Land ist nach jüdischer Glaubensauffassung den Juden exklusiv zugewiesen.

Die Aussagen in der Bibel sind freilich vage und widersprüchlich. Möglicherweise hat Moses überhaupt nicht existiert und ist eine mythische Gestalt. Interessant sind einige archäologische Belege. Aus der Regierungszeit von Pharao Merenptah (1213–1203 v. Chr.) stammt eine Stele mit der Inschrift »Israel liegt wüst und hat keinen Samen«. Es ist die älteste Nennung des Namens Israel, wohl abgeleitet aus »isra« (kämpfen bzw. herrschen) und »el« (Gott), das heißt »Gott kämpft/herrscht«. Eine ägyptische Inschrift aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. weist darauf hin, dass Nomaden den Wind- und Wettergott Jahwe verehrten. Manche Forscher vermuten, dass die Israeliten im Wüstenland Midian südöstlich von Kanaan Jahwe kennenlernten und zu ihrem alleinigen Gott machten.

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Die Merenptah-Stele steht heute im Ägyptischen Museum in Kairo und wurde vom Briten Flinders Petrie entdeckt (Wikimedia Commons)

Historisch unzweifelhaft ist, dass sich um 1200 v. Chr. eine folgenschwere, von Dürren und Erdbeben begleitete Zeitenwende vollzog. Das Hethiterreich in Anatolien wie auch das Mykene-Reich in Griechenland brachen zusammen, und auch Ägypten verlor seinen Einfluss über Kanaan. Aus der Ägäis oder aus Kleinasien wanderte ein neues Volk ein: die indoeuropäischen Philister. Sie gründeten an der Mittelmeerküste die »Pentapolis«, bestehend aus den fünf Stadtstaaten Aschdod, Aschkelon, Akkaron (heute: Akir), Gat und Gaza. Die »Straße der Philister« verband das altägyptische Reich über die Küstenebene, das Karmelgebirge und die Golanhöhen mit Syrien. Güteraustausch fand mit so entfernten Regionen wie Persien und Jemen statt. In der römischen Zeit erhielt der Handelsweg den Namen Via maris.

Die von der Küste vertriebenen Völker besiedelten das Hügelland von Kanaan und gründeten dort über 300 Siedlungen. Auch stießen Nomaden aus der Wüste hinzu, die um 1200 v. Chr. begannen, mit Kamelen weite Entfernungen zurückzulegen. Hinzu kamen auch »hapiru« (rechtlose Menschen).

Manche Historiker halten es für möglich, dass im 13. Jahrhundert v. Chr. ein semitisches Volk aus Ägypten floh und im hügeligen Binnenland von Kanaan siedelte. Andere Forscher zweifeln den Auszug aus Ägypten an und erklären die Entstehung der Israeliten mit der Verschmelzung der ins Hügelland geflüchteten Kanaaniter und sonstiger Zuwanderer und deren Konversion zur neuen Religion des Judentums. Möglicherweise entwickelte sich aus dem Wort hapiru der Begriff »Hebräer«.

Zu erwähnen ist darüber hinaus das wahrscheinlich aus Kanaanitern hervorgegangene Handels- und Seefahrervolk der Phönizier, das zwischen 1200 und 800 v. Chr. mächtige Stadtstaaten an der Küste errichtete und ein Mittelmeerimperium begründete. Der Schwerpunkt lag im heutigen Libanon (Byblos, Sidon, Tyros), doch die Ausläufer reichten weiter nach Süden (Akkon und Dor südlich von Haifa).

Israelitische Königreiche

Gemäß der Bibel emanzipierten sich die Israeliten um 1000 v. Chr. von externer Herrschaft und gründeten ein Königreich Israel unter Saul. Außerbiblische Belege für seine Existenz gibt es nicht. Unter seinen Nachfolgern David und Salomo sollen die Grenzen des Reiches in der Tat vom Nil bis zum Euphrat gereicht haben. Salomo soll in Jerusalem auf dem Hügel Moria den ersten jüdischen Tempel errichtet haben, daneben seinen Palast. In der Geschichtswissenschaft ist umstritten, ob die in der Bibel beschriebene Machtfülle wirklich bestanden hat.

Im Jahr 928 kam es infolge von innerjüdischen Kriegen zur Teilung. Zehn jüdische Stämme bildeten das nördliche Königreich Israel mit der Hauptstadt Samaria, zwei weitere Stämme das südliche Königreich Juda mit der Hauptstadt Jerusalem. Das Königreich Juda unterwarf sich 721 freiwillig den Assyrern, das benachbarte Königreich Israel wurde zwischen 732 und 721 v. Chr. von diesen erobert. Es kam zu ersten Zwangsumsiedlungen von Juden (»Erste Babylonische Gefangenschaft«). In den Jahren 614/612 wurde das Assyrische Reich von den Babyloniern erobert. Sie zerstörten den Tempel in Jerusalem und deportierten weitere Juden (»Zweite Babylonische Gefangenschaft«). Israel und Juda wurden zur babylonischen Provinz Syrien geschlagen.

Die Babylonier wurden 539 v. Chr. von den persischen Achämeniden besiegt. Der Perserkönig Kyros II. der Große erlaubte den Juden die Rückkehr. Unterstützt durch persische Gelder, durften sie den zerstörten Tempel in Jerusalem wiederaufbauen. Ein Teil der babylonischen Juden blieb freiwillig im Persischen Reich und breitete sich dort aus. Auch heute leben in der Islamischen Republik Iran noch 25 000 Juden, die ihren Glauben frei ausüben können, sich allerdings jeglicher Unterstützung des Staates Israel enthalten müssen.

Im Jahr 332 v. Chr. eroberte Alexander der Große das persische Palästina. Nach seinem Tod im Jahr 323 v. Chr. in Babylon stritten sich die griechischen Dynastien der Ptolemäer mit Sitz in Ägypten und der Seleukiden mit Sitz in Syrien um Palästina. Gegen den Versuch der Seleukiden, einen Kult zur Verehrung des Gottes Ba'al Schamem einzuführen, erhoben sich die Israeliten 167/166 v. Chr. unter Judas Makkabäus. Zwischen 141 und 63 v. Chr. umfasste das Makkabäerreich (auch Hasmonäerreich genannt) ein Gebiet, das von Dan im Norden bis Berscheba im Süden reichte, weite Teile der Mittelmeerküste und auch Gebiete östlich des Jordans einschloss.

Dieser wiedergewonnenen israelitischen Selbständigkeit setzten die Römer ein Ende, als Ptolemäus nach der Eroberung des Seleukidischen Reichs (64 v. Chr.) auch das Makkabäerreich eroberte (63 v. Chr.). Palästina wurde zur römischen Provinz Judäa; die griechischen Städte an der Mittelmeerküste unterstanden der Provinz Syria. Rund 700 Jahre lang war Palästina nun römisch bzw. byzantinisch. Ein bedeutender Wirtschaftsaustausch erfolgte mit dem benachbarten Händlerreich der Nabbatäer, dessen Zentrum Petra im Ostjordanland lag.

Im Auftrag der Römer durfte der Idumäer Herodes, der den jüdischen Glauben angenommen hatte, Judäa als Unterkönig von 37 v. Chr. bis zu seinem Tod 4 v. Chr. regieren. Er erneuerte den Tempel in Jerusalem, baute sich einen prächtigen Königspalast, errichtete eine Wasserleitung, legte am Mittelmeer zwischen den heutigen Städten Haifa und Tel Aviv die Stadt Caesarea Maritima an und erbaute die Festungen Herodeion südlich von Jerusalem und Massada am Toten Meer. Das Neue Testament schreibt ihm den »Bethlemischen Kindermord« zu, um seinen mutmaßlichen Rivalen Jesus Christus zu beseitigen. Ob die Legende wahr ist, ist nicht bewiesen, doch als brutal galt der trotz seiner wirtschaftlichen Erfolge unbeliebte Herrscher allemal.

Titus schlägt den Aufstand der Israeliten nieder

Ab dem Jahr 6 n. Chr. wurde Judäa zusammen mit Samaria und Idumea direkt von Rom verwaltet. Als der römische Prokurator Gessius Florus wegen angeblicher Steuerschulden seine Soldaten im Mai 66 in den Tempel einzudringen ließ, kam es zu einem großen israelitischen Aufstand. Der römische Feldherr Titus, Sohn des Kaisers Vespasian, eroberte im Jahr 70 Jerusalem und zerstörte den Tempel. Gläubige Juden gehen davon aus, dass am Ende der Tage ein Messias (»Erlöser«) zurückkehrt und den Tempel wiederaufbaut. Am Eingang zum Forum Romanum in Rom steht bis heute der 14,5 Meter hohe Titusbogen, der den Triumph über die jüdischen Rebellen feiert. Große Bildtafeln im Innern zeigen, wie ein erbeuteter siebenarmiger Leuchter aus dem Tempel getragen und jüdische Sklaven abgeführt werden. Der Titusbogen feierte nicht nur den Sieg über die Juden, sondern sollte als Warnung an alle potenziellen Reichsfeinde dienen.

Die letzten israelitischen Kämpfer begingen um das Jahr 73 auf der Festung Massada Suizid, um der Gefangennahme zu entgehen – heute ein heroischer Mythos in Israel. Die israelische Armee führt auf Massada regelmäßig Vereidigungen von Soldaten durch.

Aus Jerusalem wurden die Juden vertrieben und durften die Stadt bis zum Erscheinen der Osmanen nicht mehr betreten. Viele von ihnen flohen in den Mittelmeerraum oder nach Persien. Nach einem weiteren niedergeschlagenen Aufstand gegen die Römer, dem Bar-Kochba-Aufstand in den Jahren 132–135, wanderten zahlreiche Juden aus. Im Gegenzug siedelten die Römer Nichtjuden in Palästina an. Um das Jahr 300 machten die Juden nur noch ein Viertel der Bevölkerung aus und lebten vorwiegend in Galiläa.

Die kollektive Vertreibung der Juden im 1./2. Jahrhundert und das dauernde Streben nach Rückkehr war die Gründungslegitimation des 1948 gegründeten Staat Israels. Doch haben der Judaist Israel Yuval und der israelische Historiker Shlomo Sand das zionistische Argument relativiert, Sand spricht in seinem umstrittenen Buch Die Erfindung des jüdischen Volks (2009) gar von einem Mythos. Die Juden hätten sich im Wesentlichen im Zuge natürlicher und freiwilliger Migrationen verstreut, und die jüdische Diaspora sei durch freiwillige Konversion vermehrt worden. Sand dementiert damit die These einer »ethnisch-kulturellen Einheit« der Juden: Sie seien vielmehr eine aus unterschiedlichen Ethnien und Kulturen zusammengesetzte Religionsgruppe. Angezweifelt wird auch der Rückkehrwunsch: Die jüdische »Zionssehnsucht« sei in erster Linie spiritueller Natur gewesen.

Unter dem zum Christentum übergetretenen Kaiser Konstantin der Große (reg. 306–337) wurden die erste Grabeskirche und die erste Auferstehungskirche in Jerusalem sowie die erste Geburtskirche in Bethlehem errichtet. Kaiser Theodosius I. machte 380 das Christentum zur Staatsreligion. Der Status von Jerusalem als Patriarchat wurde 451 beschlossen. Nun breitete sich das Christentum rasch aus, und gläubige Römer wanderten in das »Heilige Land« ein.

Seit der Reichsteilung von 395 gehörte Palästina zum Oströmischen Reich. Die Provinzen Palästina prima, secunda und tertia schlossen das Ostjordanland ein. Klöster wurden gegründet, die Städte wuchsen, neue Ländereien wurden kultiviert, und ein schwunghafter Handel entwickelte sich mit den Provinzen Ägypten und Syrien.

Von 614 bis 628 besetzten die persischen Sassaniden Palästina. Sie eroberten Jerusalem, massakrierten viele Christen, zerstörten Kirchen und raubten Reliquien. Im Jahr 630 marschierte Kaiser Herakleios nach Jerusalem ein und brachte das entwendete Heilige Kreuz wieder zurück. Der Krieg zwischen Byzantinern und Persern schwächte beide Reiche. Dies war ein Grund, warum die muslimischen Araber unter Führung von Mohammed und seinen Nachfolgern so schnell in diese Reiche eindringen konnten.

Die ersten Araber waren bereits ab dem frühen 3. Jahrhundert Richtung Syrien vorgedrungen. Die Banu Ghassan waren bereits Christen bzw. vermischten sich dort mit griechischen Christen und konvertierten zu deren Glauben. Sie bildeten einen von Byzanz abhängigen Pufferstaat auf den Golanhöhen, der die Grenze gegen die Perser und gegen räuberische arabische Beduinen sicherte. Bis heute führen sich manche arabisch-orthodoxe Christen in Syrien und Palästina auf die Ghassaniden zurück.

Palästina wird Teil des arabisch-islamischen Großreichs

Der Religionsstifter Mohamed übernahm auch die politische Führung des neuen arabisch-muslimischen Reiches. Bei seinem Tod im Jahr 632 hatte es sich schon auf den größten Teil der arabischen Halbinsel ausgedehnt. Unter seinem zweiten Nachfolger (»Kalif«) Umar wurde Palästina dazugewonnen. Im Februar 638 reiste Umar in das im Vorjahr eroberte Jerusalem. Demonstrativ steckte er sein Schwert in die Scheide und befahl, die christlichen Kirchen unversehrt zu lassen. Auf dem Felsen As-Sahra errichte Umar eine erste Moschee.

Al-Kuds (Jerusalem) gilt den Muslimen als drittheiligste Stätte nach Mekka und Medina. Hier haben jüdische Propheten gewirkt, die auch im Islam als solche anerkannt werden. Auch Jesus Christus wird von den Muslimen als letzter Prophet vor Mohamed verehrt, jedoch nicht als Sohn Gottes und Erlöser. Gemäß muslimischer Überlieferung reiste Mohamed zusammen mit Erzengel Gabriel auf dem geflügelten Engel-Tier al-Burak von Mekka nach Jerusalem und betete dort auf dem entferntesten Felsen (al-Aksa) zusammen mit Abraham, Moses und Jesus, bevor er »in die sieben Himmel« entrückt wurde. Auf dem von den Muslimen al-Haram asch-Scharif genannten Altstadtplateau wurde um 690 der Felsendom errichtet, das älteste erhaltene Monument islamischer Baukunst. Hier soll nach einer Legende Abraham seinen Sohn Ismael zum Opfer angeboten haben (bei den Muslimen ist es nicht Isaak, sondern sein Bruder Ismael, der Stammvater der Araber). Am Gebetsort Mohammeds wurde zwischen 706 und 717 die al-Aksa-Moschee errichtet. Nach der al-Haram-Moschee in Mekka und der Prophetenmoschee in Medina ist es die drittwichtigste Moschee im Islam. Jerusalem gilt im Islam auch als Ort des Jüngsten Gerichts und Tor zum Paradies. Wichtige muslimische heilige Stätten sind ferner die Patriarchengräber in Hebron, sie genießen auch bei Juden und Christen hohe Verehrung.

Der Islam verdankt Palästina bedeutende Gelehrte. Mohamed Ibn Idriz al Schafii aus dem prophetischen Stamm der Kuraisch wurde 767 in Gaza geboren. Er studierte Theologie in Medina, Bagdad und Kairo und begründete eine der vier anerkannten sunnitischen Rechtsschulen. Die schafitische Schule ist weit verbreitet in Ostafrika, Unterägypten, dem Süden Ägyptens, Palästina, Jordanien sowie Südostasien. Bei der Rechtsfindung hat hier nach dem Koran und der Sunna (Vorbild des Propheten) der Analogschluss eine besondere Bedeutung.

Auf die vier »Rechtgeleiteten Kalifen« mit Sitz in Medina folgten die Dynastien der Omajaden (661–750; Sitz in Damaskus) und Abbasiden (750–1258; Sitz in Bagdad). Palästina gehörte zur Provinz asch-Scham (Groß-Syrien). Es erfolgte eine arabische Einwanderung nach Palästina. Da der Islam gemäß Koran keinen Zwang im Glauben kennt, kam es zu keiner Zwangsbekehrung. Doch erfolgten freiwillige Konversionen. Denn Christen und Juden mussten als dhimmi (»Schutzbefohlene«) höhere Steuern zahlen, Kleidervorschriften hinnehmen und waren von höheren Staatsämtern ausgeschlossen.

Israelis neigen dazu, die Palästinenser als »Araber« zu bezeichnen und damit als Zuwanderer des 7. Jahrhundert zu kennzeichnen. Doch handelt es sich um ein Mischvolk. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Alan Dowty schreibt: »Palästinenser sind die Nachkommen aller indigenen Völker, die im Laufe der Jahrhunderte in Palästina lebten. Seit dem siebten Jahrhundert waren sie überwiegend muslimisch in der Religion und fast zur Gänze arabisch in Sprache und Kultur.«1 »Arabisch« heißt in Palästina also in erster Linie »arabischsprachig«. Abstammungsaraber sind wahrscheinlich nur die Angehörigen bestimmter städtischer Honoratiorenfamilien und die Beduinen. Ansonsten dürfte der arabische Blutsanteil eher gering sein. Die 1964 gegründete Palestine Liberation Organization (PLO) definierte in ihrer Charta die Palästinenser als sprachlich-kulturelle, territorialbezogene Nation und schloss die vor der zionistischen Einwanderung ansässigen Palästinenser jüdischen Glaubens darin ein (Artikel 6).

Unterbrochen wurde die arabisch-muslimische Herrschaft durch die Kreuzzüge. Auslöser war die vernichtende Niederlage der Byzantiner gegen die Seldschuken 1071 im ostanatolischen Manzikert (heute Malazgirt). Am 15. Juli 1099 eroberte ein Kreuzritterheer unter Gottfried von Bouillon Jerusalem. Von Toleranz war sein Verhalten nicht geprägt, zerstörten die Kreuzritter doch zahlreiche Moscheen und veranstalteten ein Blutbad unter Muslimen und Juden. Das christliche Königreich Jerusalem reichte vom Mittelmeer im Westen bis zum Jordan und Toten Meer im Osten. Im Norden erstreckte es sich bis nach Beirut, im Süden bis zum Golf von Akkaba.

Der kurdischstämmige Wesir Salah ad-Din (Saladin), der 1171 in Kairo die vom Bagdader Kalifat weitgehend unabhängige Dynastie der Fatimiden gestürzt und die Dynastie der Ajubiden begründet hatte, eroberte 1187 Jerusalem. Kurzzeitig kam die Stadt noch einmal unter die Herrschaft der Kreuzritter, als der Stauferkaiser Friedrich II. 1229 die Kontrolle durch Verhandlungen erstritt und den Titel eines Königs von Jerusalem annahm. Im Jahr 1291 eroberte das Heer des Mameluckensultans

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Gewölbe unter der Burg von Akko – Überbleibsel der Kreuzritterzeit in Palästina (1099–1291) (Martin Pabst)