Ludwig Huna

 

Der Wolf im Purpur

 

Historische Ereignisse, die die Geschichte berühren, mussten mit Rücksicht auf die geschlossene Gestaltung des Stoffes chronologisch verschoben werden.

Der Verfasser

 

 

Impressum

Covergestaltung: Gunter Pirntke

Digitalisierung: Gunter Pirntke



2018 andersseitig.de

ISBN

9783961187096 (ePub)

9783961187102 (mobi)




andersseitig Verlag

Dresden

www.andersseitig.de


info@new-ebooks.de


(mehr unter Impressum-Kontakt)

 

Inhalt

Impressum

I. Kapitel

II. Kapitel

III. Kapitel

IV. Kapitel

V. Kapitel

VI. Kapitel

VII. Kapitel

VIII. Kapitel

IX. Kapitel

X. Kapitel

XI. Kapitel

XII. Kapitel

XIII. Kapitel

XIV. Kapitel

XV. Kapitel

XVI. Kapitel

XVII. Kapitel

XVIII. Kapitel

XIX. Kapitel

XX. Kapitel

XXI. Kapitel

XXII. Kapitel

XXIII. Kapitel

XXIV. Kapitel

XXV. Kapitel

XXVI. Kapitel

XXVII. Kapitel

XXVIII. Kapitel

XXIX. Kapitel

XXX. Kapitel

XXXI. Kapitel

XXXII. Kapitel

XXXIII. Kapitel

XXXIV. Kapitel

XXXV. Kapitel

XXXVI. Kapitel

XXXVII. Kapitel

XXXVIII. Kapitel

XXXIX. Kapitel

XL. Kapitel

XLI. Kapitel

XLII. Kapitel

XLIII. Kapitel

XLIV. Kapitel

Nachwort des Herausgebers

 

I. Kapitel

 

 

Herr Taurer von der Tann trabte durch den schweigenden Herbstwald nach Süden. Goldgrün wölbte sich der Dom der Buchen über dem Reiter, und die knorrigen Säulenschäfte standen feierlich Spalier. Noch blutete nicht das Laub, aber es ging ein Hauch von Müdigkeit durch die Waldstille, und selbst das Lied der Bergquelle, die ihre silbernen Sprünge über das Wurzelgewirr machte, klang trüb an des Reiters Ohr. Und wenn sich der Wald lichtete, sah der Taurer durch die grünen Fensterlein über den Halden die Dunstschleier des Herbstes lagern. In des Schecken Mähne verfing sich das wehende Marienfädchen und flocht glitzernden Zierat hinein, und die Goldfliegen summten dem Gaul die letzten Sommerlieder ins gereizte Gemüt. Der Weg ging bergab. Ein Häher krächzte sich von Wipfel zu Wipfel. Der wies dem Taurer den Weg zum Waldrand. Bald hellte sich der grüne Dämmer auf, das sanfte Blau riß Lücken in die Kronen, zwischen den Stämmen lächelte der Wiesengrund sonnengolden herein und an einem Hang bog sich ein Stoppelfeld in die Tiefe, wo der Hennedorfer Wald seine letzten Schatten verstreckte.

Der Reiter hielt frohe Schau ins Land. Der Heimatgrund lag reichgesegnet vor ihm, der Gau, in dem einst der Frankenbischof Hruodbert über eingeäscherten Römeraltären die Heillehre des Nazareners in die Herzen wilder Bajuvaren senkte. Wo sich die Fluten der Salz-Ache zwischen Bergwänden gelassen dahinwälzten, um ins fruchtreiche Land der Agilolfen zu verströmen, hatte des Kreuzboten heiliger Stab das Land zur Urbarmachung gesegnet. Die Urstätte frommer Saat lag den Augen des Taurer noch verborgen, Höhen schoben sich dazwischen. Gegen Nordwest lagen die silbernen Schleier über dem Chiemgau. Bis in die grünen Seetiefen reichte die nicht immer sanfte Gewalt der Erzbischöfe auf Sankt Ruperti Stuhl. Von da stieg mählich das Land gegen Süden an und formte sich zu blaugrauen Höhenrücken, hinter denen der von Gott gemeißelte Obelisk des Hohenstaufen seine Spitze gegen den Himmel stieß. Dann dunkelten die gestreckten Forste der Reichenhaller Sudherren herüber, die jetzt dem Bayernherzog Max die Taschen füllten, und aus dem Fichtenkranz wuchs der Sockel des Untersbergs heraus, in dessen Innern der große Karl mit seinen zwolf Paladinen des weckenden Posaunentons harrete. Und davor schimmerten die Äcker und Moorbrüche, dehnten sich Wälder und Auen, duckten sich anmutige Dörfer ins satte Grün fruchtschwerer Gärten und blinkten einsame Gehöfte auf welligen Hügeln im Sonnenglanz.

 

Nach siebenjähriger Kriegsfahrt sog der Ritter die Schönheit der Heimat in sein dürstendes Gemüt. Nun mußte er in die Moosgründe hinab, die die Stadt nach Norden begrenzten, und dann hinein in die alten Gassen, die er, fast noch ein Knabe, zum letztenmal durchstöbert hatte, als des Erzbischofs strenges Mandat die Lutheraner verjagt hatte und als die würdigsten Patrizierhäuser niedergerissen wurden, um den stolzen Prunkbauten des Erzbischofs Platz zu machen.

 

Wolfgang Theodor von Raittenau, Legat des heiligen Stuhls zu Rom! Die Salzburger und er selbst wandelten den Namen in einen gut deutschen Wolf Dietrich um.

 

Wolf Dietrich! Klang wie eine Parole an den Lagerfeuern der Kriegsfähnlein vor den Türkennestern, und kein milder Strahlenkranz schlang sich um den Namen. Die Salzburgischen Hauptleute der Türkenkontingente prahlten bei Wein und Weib von ihrem geistlichen Herrn als von einem Sardanapal und Nebukadnezar, der das ganze Erzbistum des friedsamen, einfältigen Rupert in ein Klein-Rom verwandeln wollte, in welchem der leviathanische Geist dieses kleinen Papstes, der unter der Mitra mit Schwertgedanken spielte, mit mediceischer Großzügigkeit und Skrupellosigkeit seine Tyrannis ausübte.

 

An seinem Hofe wollte Herr Taurer von der Tann morgen seinen Einzug halten.

Böse Mär hatten ihm die Herren von Uiberracker heute ins Ohr geraunt, die da drüben jetzt auf seiner Urväter Burg Altentann saßen und die er heute besucht. Er sah jetzt noch das Zinnenkränzlein der Burg über Fichtenkronen herausragen. Und auch die Haunsperger, bei denen er gestern auf seinem Heimritt zu Gast gesessen war, hatten ihm das Herz schwer gemacht. Saßen mehr gegen Westen zu, wo sich der Waldrücken wie eine Bärentatze in die Ebene verkrallte. Der alte Haunsperger hatte dem Junker von der Vertreibung der Landstände erzählt, von der ungnädigen Behandlung der Pfleger, von denen einige an den Pranger gestellt wurden, von der Drangsalierung der Kapitulare und von dem Dombrand, den der Erzbischof mit neronischer Zerstörungsgier entfacht haben sollte. Und von der bildschönen, geistvollen Salome, der Aspasia Salzburgs, hatte der alte Pflegerritter geschwärmt, von ihr, die halb Frau, halb Konkubine des Metropoliten, ihm jährlich als »obligate Donation« ein Kindlein auf den Familienaltar legte. Sieben Storchgeschenke tummelten sich in der alten Münze, wo die Salome im Winter wohnte, herum, und das Volk bezeichnete sie als die einträglichste Kundschaft des braven Sumpfvogels. Und von der Ketzerverfolgung plauderte der Haunsperger mit vergnügtem Gesicht, denn da tat er weidlich mit.

 

Gerade bei der letzten Berichterstattung spitzte der Taurer die Ohren. Verbarg er doch in seiner Brust ein gar gefährlich Geheimnis, das für Ohren, so da die Messe zu hören gewohnt waren, nicht taugte.

 

Seinen Knecht hatte der Taurer schon nach Salzburg vorausgeschickt, damit er das Quartier bei seinem Freunde, dem Herrn von Welsperg, bereite. Das Wiedersehen sollte ihm eine rechtschaffne Herzensfreude werden.

 

Die Höfe der erzstiftischen Grundholden rückten inmitten fruchtstrotzender Gärten an die Straße heran, weite Wiesen, vom Amethyst der Herbstzeitlosen gesprenkelt, dehnten sich bis an die rotgoldnen Buchenhügel aus, die nach Süden zu den Blick hemmten, und aus dem Gehölz der Salzachauen schlang sich zuweilen das Rauchgekringel lagernder Störzer in die Luft. Eben als die Sonnenkugel wie ein strahlendes Diadem über der Spitze des Hohenstaufen saß, überschritt der Taurer die Grenze der Bannmeile und vor seinen froherstaunten Augen schimmerte im Dunst des nahenden Herbstabends das Bild der geliebten Heimatstadt auf: um Kirchtürme und ragende Kuppeln drängte sich das dunkle Dächergeschiebe Salzburgs, eingeengt von den grünen Wachten des Mönchs- und Imbergs, von deren Hängen die Zinnen der Wehrmauern zur Stadt herabstiegen. Aus dem Häusergewirr zwängte sich trotzig wie flüssiger Stahl, der aus des Ofens glühender Enge in die Freiheit treibt, die im Sonnenfeuer blitzende Salzach. Und hinter dem ineinander gewürfelten Häuserklumpen, über den die zarten Rauchschleier grauten, türmte sich das Wahrzeichen Klein-Roms auf: die Feste Hohensalzburg, Gebhards stolzer, gigantischer Bau, mit dem mächtigen Gezinne und Gemäuer, in drohender Wucht auf dem Mönchsbergriegel hingelagert wie ein memphischer Sphinxkoloß.

Der Taurer spannte die Augen weit bei dem ernsten Gruß der Heimat. Aus dem Grau der Erinnerung löste sich die Kindheit los. Er sah sich als Knaben auf den Zinnen des Reckturms stehen, ins verschneite Bergland blickend, er hörte die Orgelschalmei, die der gewaltige Leonhard von Keutschach in einer wilden Laune ersonnen, von der Burg über die Dächer brausen, und das Tonwogen der hellen und dunklen Glocken der Metropole. Zu seinen Füßen die geschlängelten Gassen, in denen die buntschillernde Pracht der Prozessionen flimmerte, und aus dem Trompeterschlößchen am Imberg dröhnte der Fanfarenschall ins Gepränge hinab, während die schweren Falkaunen der Burg aus dem Schlangenrondell ihre dumpfen Grüße hinabdonnerten. Und wenn der Frühling blühte, ging’s mit dem Flurschütz vom Nonnbergkloster zum weidmännischen Vogelfang, und im Maien auf die Stachelwiese zum Armbrustschießen. Und wie hatte er der Mär gehorcht, die der Burgwart von dem Drachen erzählte, der zum Johannisschnitt übers Untersberger Moor geschlichen kam.

 

So goldete aus dem Abendnebel, der über der Stadt geisterte, die Knabenzeit hervor. Wie würde er die Stadt wiederfinden? Eines wußte er: frank und frei durfte er vor den Mann, dessen Hirtenstab ihn einst gesegnet, nicht mehr hintreten. Die Segenssprüche von den geweihten Lippen mußten sich in Flüche wandeln, wenn er seines Herzens tiefe Inbrunst vor ihm ergießen wollte.

 

Die weiten Moore versanken mählich in graue Melancholie.

Da schreckte der Gaul auf. Seitab im abendlichen Feld gewahrte der Reiter eine heftig gestikulierende und schreiende Gruppe von Leuten. Mitten unter den erhitzten Leibern balgte sich ein Kapuziner mit einem gartierenden Landsknecht. Ein Weibsbild in bunten Röcken lachte sich den Hals voll über die Angst des Kuttenbruders, der sich nun losgerissen hatte und querfeldein auf den Reiter losstürmte, von den Störzern mit Hohnlachen verfolgt.

 

Da zog der Taurer vom Leder. »Hand ab, so euch euer Hirn lieb ist!« schrie er in den Haufen hinein.

 

Die Betrunknen gröhlten heran, sechs Männer und ein paar Weibsleut. Ein Kriegknecht bellte heiser zum Junker hinauf: »Bist du ein gemein Reiterlein, steck dein Gewaff in die Scheiden, wo nicht, sollst du mit Geldkatz und Flamberg herhalten für den braunen Floh.«

 

»Lottergesell – gib Raum!« Des Junkers Schwert setzte sich in Schwung.

Da warfen sich die Knechte von rück- und seitwärts aufs Roß und rissen den kecken Reiter herab. Das Pferd kam zu Fall und schlug mit den Hufen um sich. –

Durch den Abend klang scharfes Gepolter. Die Störzer stoben auseinander. »Weg! Die Stadtwacht!«

 

Drei Reiter sprengten heran und hielten vor dem dunklen Knäuel. Im Nu war die Straße von dem Gesindel frei, das sich in die Büsche geschlagen hatte. Zwei der Wachknechte galoppierten in die Felder. Der dritte half dem Junker auf die Beine. »Habt Ihr arg Schaden erlitten?«

 

»Nur der Fuß ist gequetscht. Muß bei Sankt Georgen einen Stein im Brett haben, daß ich so glimpflich davongekommen. Habt Dank. Wer seid Ihr?«

»Rottmeister Hans Reittenegger der Stadtwache. Hielt Euch zuerst für einen Gartierenden, der sich die Ritterzehrung beim Wolf Dietrich holen will. Verzeiht, Junker.«

 

Der Gaul stand auf allen Vieren, aber er hinkte. Drum führte ihn der Junker am Zügel weiter.

 

Der Rottmeister pfiff nach seinen Gesellen. Bald schälten sich ihre Gestalten aus der Dunkelheit heraus. Ihre Rosse waren im Moor nicht weitergekommen.

»Laßt die Kerle laufen!« lachte der Taurer. »Schad um die Beine eurer Rosse.«

 

Ein Schatten humpelte heran. »Deo gratias!« Es war der Bruder. »Das Bettelgeld meiner armseligen Därmanthey haben sie mir weggeschnappt und mir den Rosenkranz von den Hüften gerissen, wollten mit den Küglein ein Scharfschießen nach meinem Bäuchlein veranstalten. O Soldatenpack! Der Schwefelgestank von Gomorrha konnte, mein ich, das Passauer Gezücht nit umbringen. Schlägt lieber mit dem Degen an die fremde Brust als mit dem Daumen an die eigne. Deo gratias, Herr Ritter!«

 

Der Taurer reichte ihm lachend die Hand. »Euer Bäuchlein ist freilich verlockend für die hungrige Brut.«

 

Allerlei Volk häufte sich jetzt auf der Straße an. Der Rottmeister jagte die Neugier auseinander. »Ist heute die Vigilie von Sankt Rupertus. Treibt sich verwegen Gesindel herum, das der morgige Festtag anlockt wie die Leber den Krebs. Ist ein unsicher Fahren heut, Herr Ritter. Die Stadt ist voll von fremdem Volk und in den Weinhuben geht’s heiß zu. Haben heut schon einen Knecht erschlagen, der von draußen kam, voll bepackt mit der Fahrhab seines Herrn. –«

 

»Wo kam er her?« horchte der Taurer bestürzt auf.

 

»Aus dem Österreichischen. Hätt’ Quartier machen sollen für einen Herrn Taurer von der Tann. –

 

Dem Edelmann fuhr’s durch alle Glieder. »Herrgott – den Martin haben sie mir –?«

»War’s der Eure?«

 

»War fünf Jahre bei mir besoldet, hat drei Scharmützel mitgemacht – den Martin haben sie mir erschlagen? Weh ihnen!« Selbst der Gaul wieherte laut auf, als hätt er’s verstanden.

 

»Ging um ein Fahrweibel«, meldete der Reittenegger Hans. »Hat sich das Ding von einem Schwertfeger zum Tänzlein weggerissen, der wird wild und jagt ihm im Weindunst das Messer in den Leib.«

 

Der Ritter lächelte wehmütig in den Schreck hinein. »Um ein Weibel! Hab’s ihm immer prophezeit, wird so enden. Muß nun bei den Englein anklopfen, wenn er ein verliebt Ringelreia haben will. Wo ist’s geschehn?«

 

»Gleich hinterm Ostertor in der Herberg zum halben Mondschein. Roß und Fahrhab sind geborgen in der Herberg.«

»O mane nobiscum, Domine!« seufzte der Mönch mit einem Kreuzzeichen.

 

Der Ost fuhr kühl in die Glieder. An der Seite des Weges lagerten Plankarren, Männer, Weiber, Rosse und Rinder um kleine Feuer, die einen gespenstischen Schein um die verknäulten Schatten warfen. Jetzt dunkelte die Stadtmauer heran, Wachen kamen und musterten das Volk. Die Steilwand des Imbergs stieg empor. Dann streckte der Galgen seinen kahlen Arm in die Luft, an dem des Teufels verhätschelte Schoßkinder zu baumeln pflegten, während die »bessern« Leute auf der Scharte unter des Freimanns Schwert kamen, hoch oben auf dem Mönchsberg. Der Taurer dachte an den Schwertfeger, der seinen Martin erstochen und wohl demnächst hier durch das hänfne Gitter gucken mußte. Der Mönch murmelte ein Armsündergebetlein vor sich hin.

 

Nun standen sie vor dem Sebastianitor, wo die Windlichter der Wachen schwelten. Das Gitter in dem mächtig gequaderten Turm stand weit offen. Der Torwart nahm, da der Rottmeister dabei war, eine gelinde Prüfung der Papiere vor, wie er überhaupt über des Erzbischofs Befehl vornehme Wandrer mit »gutem Glimpf« zu behandeln hatte. Das gemeine Volk mußte sich mit dem Marktschilling zur Messe vorweisen.

 

»Meld Euch morgen beim Stadthauptmann an, Junker«, sagte der Pförtner, »ist strenges Geheiß des Hofmarschalls.« Damit riß er die wegsperrende Partisane aus dem Ring.

 

Das Volk scharte sich in der Sebastianigasse um eine schwelende Fackel zusammen. Ein Ausrufer schrie mit heisrer Stimme das erneuerte Religionsmandat des Erzbischofs in die Menge. Nur einzelne Brocken flogen den stillhaltenden Wegfahrern ans Ohr: … sollen nicht mehr zum Genuß Salzburgischer Gerechtsame und Freiheiten gelangen … Durchreise durch unser Fürstentum gestattet, so sie sich unärgerlich betragen … in den Herberg nit länger als drei Tag verweilen dürfen … reisefertigen Sektierer … vierzehn Tagen das Land verlassen … die sich Bekehrenden sollen als Büßer mit Kerzen … während der Meß … ist unser endlicher Will und Meinung und Befehl, darnach sich wonniglich … geben in unsrer Stadt Salzburg … nach Christi unseres Herrn und Seligmachers Geburt …

 

»Platz dem Junker!« drängte der Rottmeister die Haufen auseinander.

 

Sie standen vor der Herberge zum halben Mondschein. Der vom Wetter zerzauste Satellit hing an einem schmiedeeisernen Tragwerk über dem breiten Eingangstor.

 

»Gott leit Euch!« verabschiedete sich der Bruder. »Kann Euch die Guttat nit vergelten. Aber so Ihr vorsprechet bei den seraphischen Brüdern in der Pfarrgassen, laßt Euchs nit verdrießen und holet Euch ein Trosttraktätlein beim Prior Pater Magnus. Ist der Kirchenväter wohl beflissen und steht in Seiner Hochfürstlichen Gnaden hoher Gunst. Deo gratias!« Das Gewühl verschluckte seine Gestalt.

 

Der Taurer folgte, das Roß an der Hand führend, dem jungen Rottmeister, der ihm den Stall im Hof zeigte, wo er dem Herbergsknecht das Pferd übergab und zu seiner Freude sein zweites Tierlein erblickte, das herren- und knechtlos am Halfter seines weitern Schicksals harrte. Laut wieherte es, als es seinen scheckigen Bruder eräugte. Der Junker streichelte ihm zärtlich über die fettgepolsterte Flanke.

 

»Möcht bei Herrn Welsperg zu Nacht fahren«, sagte der Taurer.

 

»So in der Festungsgasse sein schmuck Häuslein hat? Ei, der Herr ist über Land gefahren nach Taxenbach, ein feist Rindlein einzuhandeln, wird vor drei Tagen nit zurück sein.«

 

Der Taurer machte ein länglich betrübt Gesicht. »Dann heißt’s in den sauern Apfel hier beißen und den vielleicht noch saurern Wein hier trinken.«

 

»Für ein gut Quartier wird die Margaret sorgen«, sagte der Reittenegger mit einem pfiffigen Lächeln.

 

Der Junker blickte mit Wohlgefallen den saubern Gesellen an. War sehnig wie ein Berberfüllen und kein Falsch saß in seinem Aug. Das derbe Kamisol legte sich wohl geschnitten um seinen schlanken Oberleib und die hohen Stulpenstiefel gaben seinem kerzengeraden Wuchs einen stattlichen Sockel. Ist wohl Euer Liebgesell, die Margaret?« fragte der Taurer mit einem Schalk im Auge.

 

Des Rottmeisters Auge blitzte die Antwort. »Dienet zeitweis beim alten Ameysl hier in der Huben.« Er öffnete die Tür der Herberge.

 

Aus der vollgepfropften Stube schlug ihnen stickiger Schweißgeruch entgegen. Das Volk pferchte sich an drei langen Tischen zusammen und machte einen ohrenbetäubenden Lärm. Es herrschte ein Gedrücke und Geschiebe, ein Scherzen und Fluchen und Streiten, ein gärendes Gewimmel wie beim babylonischen Turm.

 

Die Ankömmlinge zwängten sich in eine Ecke zwischen bürgerliches Volk, das sie neugierig beguckte. Der Junker bestellte beim alten Ameysl die Zehrung, Brot, eine Plempersuppe und ein mächtiges Pöckelfleisch mit beißender Kräuterwürze.

 

»Meine Rond ist zu End, steh Euch gern zur Verfügung, Junker«, sagte der Reittenegger. »Ei, da kommet mein Mädel.«

 

Ein rankes Dirndel drückte sich mit goldnem Kaltenhauser Bräu, das sie über die Köpfe schwenkte, durchs Gewühl. Aalgleich wich sie den Zudringlichkeiten der Landsknechte aus und ihre Augen, funkelnd wie Holunderbeeren, in denen sich die Sonne verfängt, drohten die dreistesten Burschen an. Prall saß ihr das schlohweiße Leibchen um die Hüften und ihre jungen Brüste gingen hoch. Als sie den Reittenegger erblickte, lachte sie ihm über die Krüge hinweg den Willkomm mit blitzenden Zähnchen entgegen.

 

»Ist Herr Taurer von der Tann, der seinen Knecht verlor«, stellte der Rottmeister seinen edlen Gast vor, während er das birkenschlanke Maidlein um die Hüften faßte. »Weis ihm ein Quartier und schaff ihm die Fahrhab hinauf.«

 

»Will mit Euch guten Glimpf gebrauchen, Herr Ritter«, lachte sie und stellte die Krüge hin.

 

»Soll mich recht erquicken, Maidlein.«

Im Nu schlüpfte der Aal zu ein paar Wolf Dietrichschen Trabanten hinüber, die mit einigen Laufner Naufergen, so die Salzfuhren von Hallein zu Wasser nach Bauern besorgten, schlampampten und pokulierten.

 

Der Rottmeister äugte ihr wohlgefällig nach. Dann stellte er dem Junker die bunte Gesellschaft vor, die die Vigilie des Rupertifestes ohne sonderliche Versenkung in die apostolische Missionskraft des alten Frankenbischofs beging.

 

Da saßen die Stromer und »unkonditionierten« Menschlein dicht neben ehrsamen Bürgern. Die Gesichter der erstern bildeten allein schon das Aushängeschild ihrer beschädigten Seele. Alle waren pfiffige Partitenmacher, die mit der Keuche, dem Gefängnis, Bekanntschaft gemacht hatten. Den heiligen Ivo, den Patron der Juristen, ließen sie nicht gerade hochleben, sondern schäkerten mit den Fahrdirnen, so von Markt zu Markt zogen, allerhand Zierat durch kurzlebige Liebe zu erlisten. Auch aus dem Haus der »gelüstigen Fräulein« hatte sich manche Teufelinne in die Weinhube verirrt, um an dem Hals eines fahrenden verkommenen Klerikers den Mirakeln zu lauschen, so er von der Abenteuerwelt seines Herzens mitbrachte. Dann saßen die in der Seele bresthaften Schüler beieinander und stopften sich paracelsische Weisheiten ins Gehirn und schwärmten von der schwarzen Kunst des Gewaltigen, dessen Geist in Salzburg noch immer seine Wunder wirkte und dessen Leib ganz in der Nähe auf dem Sebastianifriedhof seit einem Menschenalter moderte, noch immer verflucht von den galenischen Doktoren, die seine »substanzbildenden Qualitäten des Lebens« verhöhnten und an seinem Todestag beschwörend Sulfur, Merkur und Salz auf sein Grab streuten. Und die Poeten saßen da mit der ewig grünen Minne im Herzen und dem Ariel im Beutel, allerhand Meisterschulen entlaufen, ohne je wo anders Meister zu werden als in der Kunst des verliebten Galanisierens. Sie machten sich gut Freund mit den gemeinen Spielleuten und Stadtpfeifern, die zu ihren Liedlein eine borstige Melodei ersannen. Da klang’s dann allabendlich zu Frau Venus Ehren:

 

Drei Würfel, eine Karte,

Das ist mein Wappen frei,

Sechs hübsche Fräulein zarte

An jeder Seite drei,

Komm her, du schönes Weib,

Mein Herz freut sich im Leib,

Du mußt heut auf mich warten,

Der Wein ist Zeitvertreib.

 

Aber auch ehrlich Volk schob sich zwischen das Gesindel hinein, um den sauertöpfigen Alltag zu vergessen. Da lümmelte ein ehrsamer Rosenkranzmacher und handelte mit einem Barchenter, dessen Zunftgenossen in der Steingasse hauseten. Beim Würfeltisch drängten sich die Halleiner Sudknechte zusammen und gerieten meist mit den Harnischern in Streit, die ihr eisern Handwerk rauh und widerhaarig gemacht hatte, und waren gar gefürchtete Leute auf der Dult. Dagegen saßen die lammfrommen Skripturaler im schwarzen Habit seitab von den lauten Leuten und träumten in den Veltliner Wein hinein von Pergament und Urbar.

 

So saßen des Herrgotts unvollkommne Kreaturen in vielen Exemplaren bei den Freuden des Nektars und priesen den Herrn auf recht irdische Weise.

 

Aber auch vornehme Gäste saßen da. »Die da drüben –« der Rottmeister wies auf vier Herren in ernster, schwarzer Tracht mit roter Verbrämung – »sind Gasteiner Leut, aus den Goldgruben des Weitmoser. Ist der reichste Gewerke im dortigen Gebirg.«

 

»Kenn sie wohl«, lachte der Taurer. »Sind die einzigen, scheints, die der Erzbischof nicht verdonnert wegen ihrer ketzerischen Seel.«

 

Der Reittenegger nickte. »Zinsen ihm zu reichlich, die Gasteiner. Und haben die Knappen sogar ihren eignen luthrischen Friedhof. Hier lasset der Erzbischof alles austreiben, was auf die Bibel schwört, dort drückt er mehr als zwei Augen zu. Kenn einer unsern Herrn!«

 

Aus dem Lärmen ringsum löste sich eine Singstimme los, helfer und rauh. War der Kufenmacher Brechtl, der ein holperig Lied heruntergröhlte, während die Spielleute ihre Hölzer strichen und die Pfeifer den Diskant flöteten:

 

Denn Gott hat den Regenten geschlagen

Mit Unverstand, das darf ich sagen,

Der die alten Ratsherren nit gelten läßt

Und weiß es selbst aufs allerbest …

Das ist der unweise Regent,

Der in Sund und Laster geblendt

Ich befehl –

 

Da sprang ein Landsknecht in die Höhe. »Das ist dem Wolf Dietrich vermeinet! Lotterbub, willst du unsre Messer verspüren?« Und die Trabanten streckten aufspringend ihre Fäuste zum Bürgertisch hinüber, wo der Sänger abgebrochen hatte. Im Nu begann ein wildes Wortgefecht.

 

»Lasset unsern Herren ungeschoren!«

 

»Ungnädigkeit ist ein schlimm Herrschaft!«

 

»Reiß dein Maul auf, Hundsfott, und lästere noch einmal den Wolf Dietrich!« Ein Landsknecht sprang auf den Tisch und machte sich angriffsbereit.

 

»Zahlet keiner den Sold so fein wie der Salzburger Herr!« half ein zweiter Recke in der buntschillernden Tracht der Burgjäger.

 

»Vivat der Erzbischof!« krähte ein dritter. Da fiel der Soldatenhaufe ein.

 

»Zerreißet unsre Gerechtsame!« schrillte der Kufenmacher dazwischen. Und die Bürger klatschten und brüllten: »Ist kein Herr für uns!«

 

»Hoffart ist er vom Wirbel bis zur Zeh!« schrie ein Glasermeister.

 

»Hoffart ist Hofart!« mischte ein Skripturaler seinen Witz hinein.

 

»Hat uns immer ein gemein Wesen gezeigt!« verteidigte ein Spitalsbruder den heftig attackierten Landesherrn.

Die Gruppen hetzten aufeinander los. In der Tür blitzten die Hellebarden der Stadtwächter. Heiß brannte der Wein in den Köpfen, der dicke Ameysl warf seine Arme zwischen die Streitenden, aber schon hatten sich ein paar Fäuste ineinander verkrallt. Teller flogen, Krüge folgten, Stühle krachten auf den Stierschädeldecken, und mit einem wilden Gewoge von Leibern, über denen die Eisenspieße der Wache flitzten, setzte die Rupertusschlacht ein.

 

Der Rottmeister drängte den Taurer zur Tür. »Es kann mehr als einen Daumen kosten«, sagte er lachend.

 

Der Junker stand im dunklen Gang. »Wird eine feine Nachtruh werden«, meinte er.

»Die Musika wird Euch wach erhalten. Seid froh, Herr Ritter, daß Ihr keinen zweiten Knecht zu verlieren habt. Aber so Ihr einen brauchen solltet, wär gern zur Stell, auf daß ich Euch Roß und Hab rechtschaffen verwahr. Und jetzt schick ich Euch die Margaret.« Er stapfte in die Stube zurück.

 

Der Taurer tastete sich die Treppe hinauf. Da hörte er das Maidlein hinter sich lachen. Sie wies ihm die Holzkammer an, aus der sie kurzerhand Sack und Pack eines Theriakkrämers auf den Gang warf.

 

»Macht nit viel Federlesens mit Euren Gäst«, lachte der Junker breit.

 

»Ist nur gemein Fahrvolk. Und hat der heilige Josef noch ein schlechter Dach zur Herberg gehabt.«

 

»Habt ein flink Mäulchen, Margaret. Seid Ihr ein Stadtkind?«

 

»In Anif steht meiner Mutter Hube. Vater war Salzfertiger in Hallein. So Ihr einmal nach Anif kommet, fraget nach der Rabin. Wird Euch die fetteste Butter auftischen.«

 

Sie war mit der Lagerbereitung fertig und schlüpfte mit einem »Gut Nacht!« aus der Stube.

 

Der Taurer warf sich schwermüd aufs Ruhelager hin. War ein einfach Stroh und ein Linnen. Zu Häupten lag ihm griffbereit der treue Flamberg, an der Seite Mantelsack, Halfter, Schuppenhemd und Barett. Durch das kleine Fenster dunkelte die Imbergwand herein. Über ihr schimmerten helle Sterne, die nun des Taurer Auge herzlichst grüßte als goldne Weiser zum Vaterthron, vor dessen Stufen auch seine Zukunft vertrauensvoll des gnädigen Segens harren durfte. Und während unter ihm Wildheit und Rausch ihre blutigen Orgien feierten und die Vigilien des heiligen Rupert durch Laster und Leidenschaft entweiht wurden, versenkte sich Herr Taurer von der Tann in die sehnsüchtige Bewegtheit eines Gebetes, das ihm vor nicht allzu langer Zeit in der Stille einer Sommernacht von frommen Lippen gelehrt wurde, als die heimlichen Höhlenfeuer glosten und die mit Schwert und Lanze gehetzten Ketzer im Konventikel bei Sankt Nikolai im wilden Sölktal mit hochschlagenden Herzen das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfingen.

 

Erhalt uns Herr bei deinem Wort,

Und steure des Papst und Türken Mord,

Die Jesum Christum, deinen Sohn,

Wollen stürzen von seinem Thron.

Und des Taurer Herz entzündete sich an der Glut dieser Worte. Seine Hand griff nach dem Panzerhemd und holte aus einem Eisenschuppentäschchen eine verknüllte Postille hervor: war des Lutherprediger Spangenberg tröstlicher Psalter für ein teutsch Gemüt.

 

Bei der Kerze Schein hob er seine Sehnsucht aus der tiefen Inbrunst der Hosiannapsalmen zu seinem Gott empor.

 

 

II. Kapitel

 

Zwölf goldbetreßte Karabinieri in gelbledernen Beinkleidern, Kanarienwämsern und gewichtigen Spornstiefeln, die Kartusche mit dem Wappen des Erzstiftes umgehängt, standen wie eiserne Palisaden vor dem Wartezimmer des Kirchenfürsten. Die schwere Portiere vor der Eichentür hielten zwei Edelknaben in den Fäusten gerafft. Vier Kammerräte in Brokat schritten unter dem strahlenden Kronleuchter flüsternd auf und nieder. Vor der Korridortür hielten vier Türhüter mit Partisanen eiserne Wacht. Auf samtnen Stühlen, die an den damastbehangenen, marmornen Wänden angeschmiedet waren, saßen mit sphinxähnlicher Unbeweglichkeit vier Kammerdiener, zwei Läufer und drei Lakaien. In den gespannten Gesichtern aller Hofleute lag ein kühler Ernst. Es war, als wehte der Eishauch aus dem Zimmer ihres Herrn durch die Türen herüber bis ins Mark der Höflinge. Auch die dekorative Pracht des Saales, die scharlachnen Tapeten und Ornamente, der Schimmer der Marmorwände, die silberumrahmten Hochspiegel, die das Licht der Kerzen in blendender Fülle zurückfluten ließen, die bunte Freskenmalerei und die Girlandenstukkatur der Architrave und Pilaster konnten die Frostigkeit, die alle in Bereitschaft harrenden Diener des Erzstiftes ergriffen hatte, nicht mildern.

 

Zur selben Stunde, da der Taurer durchs Ostertor in die Stadt geritten kam, um dem fürstlichen Souverän seine Dienste anzubieten, erwartete dieser die Ankunft des bayrischen Gesandten.

 

Die Zobelschaube auf dem Haupte, saß der Erzbischof Wolf Dietrich von Raittenau an dem mit Schriften übersäten Riesentisch. Die schmächtige Gestalt versank in die rote Polsterweichheit, der ovale Kopf mit dem assyrischen Spitzbart drückte sich tief in ein Urbarienfaszikel hinein, die im Ärmelbausch halb verdeckten Arme lehnten an den silberbeschlagnen Randleisten des Tisches, die schmalen, blutleeren Finger verkrallten sich in die Blätter eines Manuskriptes und die stechenden Schwarzaugen liefen mit nervöser Hast über die Zeilen. Auf der bleichen Stirn, die von des Lebenssommers Niedergang deutlich Kunde gab, spiegelte sich die Unruhe des Geistes ab, der unter ihr rastlos arbeitete. Der Kerzenglanz zeichnete darauf eine fast silberne Blässe, die noch durch das kurzgeschorene tiefschwarze Haar gesteigert wurde, in dem die Herbstreife graue Streifen gemalt hatte.

 

Aus der Tiefe seiner prunkliebenden Seele schuf sich der Fürst die Gestalt seiner äußern Welt, die mit der Unruhe seiner innern harmonierte. Nicht in der Schlichtheit eines Studierzimmers, sondern nur in der Prachtentfaltung eines Tuskulums konnte sich sein im Renaissancegeist aufgewachsener Schönheitssinn behaglich fühlen. Durch die eigentümlichen Reize einer sinnlich bewegten Welt wurde sein schöpferischer Geist zu immer neuer Tätigkeit befruchtet. So sammelte er mosaikartig Schätze um sich auf.

 

Wenn er das Auge hob, leuchtete ihm das Gold eines meterhohen Kruzifixes entgegen, einer kostbaren Rielloarbeit der Prager Goldschmiedschule, die des Kaisers Liebling Antonio Abbondio ausgeführt hatte. Dahinter wölbte sich tabernakelartig ein Florentiner Schrein, der dem Finiguerra zugeschrieben wurde und in dem Wolf Dietrich die Tabellen der Fixsterne des Tycho de Brahe aufbewahrte, mit dem der Erzbischof in wissenschaftlichem Briefwechsel stand. Um das Fenster gruppierte sich eine Last von Draperien und Brokatgehängen, deren Farben keine einheitliche Stimmung aufkommen ließen. An den mit kostbaren Arrazzigeweben überspannten Wänden hingen die Bilder Florentiner Meister, darunter ein Sebastian, sein Lieblingsheiliger. Auf einem Ebenholzregal, das als Aufsatz einen schweren Silbergiebel trug, in dem die Allegorie eines Totentanzes ziseliert war, lagen die Bullarien der Päpste neben den Gesetzbüchern Justinians in der Aldinischen Ausgabe, in der Wolf Dietrich gerne in der Siesta blätterte. Auf den Türflügeln eines großen Schrankes leuchteten anmutig die vier Jahreszeiten in wundersamem Limosiner Email, und wenn sich die Tür öffnete, spielte ein im Schrank verborgenes Uhrwerk einen Choral des berühmten Orgelmeisters Hofhainer, der unter Kaiser Max des Ruhmes voll war. Im Schrank hingen des Erzbischofs hermelinverbrämte Gewänder. Und auf dem mit Intarsien geschmückten Tischchen neben dem Arbeitstisch standen Muschelschalen, Figürchen aus Chrysolith, Malachit und Granat, Dosen und allerhand Zierat aus Jaspapath, alles wie in einem Schauladen ausgestellt, so daß der Erzbischof, wenn ihn die Laune überfiel, stückweise die seltenen Schönheiten genießen konnte.

 

Aber heute erregte sein Gemüt das Aktenbündel des Salzhandels, das er mit Gier und Ärger durchschnüffelte. Plötzlich riß er die Tür auf und rief hinaus ins Vorzimmer: »Was ist das für Gebelfer im Hof?«

 

Der Kammerherr des Tages sprang empor, Herr von Roland. »Ist des Domprobsten Anton Grafen von Lodron ungebildete Hundsbestie, so da lärmet –.«

 

»Soll morgen der Hundeschlager alle Hund, so frei in der Nähe der Residenz herumlaufen, einfangen und schlagen. Wollen nit inkommodieret sein im Studium.«

 

Im Karabinierisaal schnarrten Kommandorufe. Die Tür flog auf. Ein Kammerherr meldete: »Doktor Jocher, Seiner Durchlaucht des Herzog Maxen von Bayern Gesandter.« Der Erzbischof atmete auf. »Endlich! Lasset sich Zeit!«

 

Der Gesandte stand im Zimmer. Ein vierschrötig Männlein mit struppigem Kopf und einem verbißnen Juristengesicht. Der Erzbischof lud ihn zum Sitzen ein.

 

»Meines durchlauchtigsten Herrn freundlichen Gruß zuvor«, begann der Ambassadeur.

 

»Den ich ebenso erwidre«, sagte Wolf Dietrich mit etwas ruppiger Kürze. »Was will der Herzog?«

 

»Möchte um alles in der Welt gern den Salzvertrag revidiert sehen –.«

 

»Schon wieder?« fuhr der Erzbischof empor. »Will Seine Durchlaucht die Hallfahrten –«

 

»Reduziert haben«, fiel Doktor Jocher rasch ein. »Es ist sein innigster Wunsch.«

 

Der Erzbischof rückte ungeduldig im blutroten Sessel hin und her. »Schon wieder?! Fünf wurden ausgemacht. Hat dafür 1032 Gulden gezahlt, konnte für Schärding und Passau mein Halleiner Salz beziehen –«

 

»Wir bringen soviel Salz nit an den Mann, maßen wir aus unsern eignen Berchtesgadner Werken und zu Reichenhall genugsam versorget sind«, rapportierte Doktor Jocher mit säuerlicher Miene.

 

»Hätte sich der Herzog vor Jahren überlegen sollen. Will immer seinen Beutel füllen wie der Petrus sein Netz. Ich muß auf des Kaisers Bergwerk in Ischl auch Rücksicht nehmen, kann der Max auch bei meinem tun.«

 

»Möchten gern auf drei Hallfahrten herabsehen«, bestand der Bayer etwas bockbeinig.

 

»Glaub’s schon!« lachte der Erzbischof verärgert. »Geht nit. Kann nit immer zu Kreuz kriechen vor dem Willen Seiner Durchlaucht, die mir Ungelegenheiten bereitet. Schüret doch der Herzog gegen mich, wo er kann, bei Papst und Kaiser –«

 

»Hochfürstliche Gnaden –«

 

»O, ich kenn das Füchslein von Ingolstadt. Er kann mir’s nit verzeihen, daß ich die Jesuiten, so er mir empfohlen, nit im Land sitzen haben will. Ist’s nit gnug, daß der Schwarzenberg mit dem Pater Cavaillon über, all an der Grenze herumschnüffelt, um sich ein behaglich Plätzchen für sein Kollegium auszusuchen? Soll ich selbst den schwarzen Herren die Erde für ihre Maulwurfsarbeit lockern?«

 

Der gelehrte Staatsmann runzelte die Stirn. »Eure Hochfürstliche Gnaden ist doch selbst auf dem jesuitischen Kollegium in Rom erzogen –«

 

»Ein Grund mehr, daß ich von den Schwarzen nichts wissen will. Wer einmal in der Herren Hände gerät, hat kein eignen Willen mehr, denket an den bayrischen Ernst, so vor mir da saß, hat als Puppe tanzen müssen, wie’s der Jesuit Jajus wollte. Nein, Doktor, hier soll’s hell bleiben im Land. Soll der Herzog den Überschuß an Finsternis dem Erzherzog Ferdinand nach Graz abgeben, der noch Platz hat für des Aquaviva dunkle Gesellen.«

 

Doktor Jocher raschelte verlegen mit den Salzakten in den Händen. »Wollen pardonieren, Hochfürstliche Gnaden, aber ich kam nit der Jesuiten wegen, sondern –«

 

»Der Salzhandel ist ebenso unerquicklich«, schnitt ihm der Erzbischof das Wort ab. »Der Herzog belastet meine Salzfertiger mit doppelter Maut, die können nit aus eigner Tasche zahlen, muß ich’s tun. Tu’s aber nit. Sehet Euch die Urkund mit Bedacht an und erstattet mir Mittwoch Bericht, wenn des Kaisers Gesandter vorgesprochen.« Er reichte dem Kanzler das mächtige Faszikel hin. »Mein Protonotarius Doktor Kurz weiß Bescheid.«

 

Die Verabschiedung begriff der Gesandte. Er machte seinen tiefsten Bückling.

 

Wolf Dietrich blickte ihm hämisch nach. Die Salzfehde wurde ihm schon ungemütlich. Hatte freilich dabei dem Herzog, dem geldgierigen, borstigen Max, schon an die zweihunderttausend Gulden aus dem Beutel gezogen. Da ließ sich das übrige Ungemach verschmerzen.

Ihn gelüstete, Schluß zu machen. Er schellte nach dem Kammerherrn. »Alles entlassen. Pater Magnus mag unangemeldet eintreten.«

 

Die Karabinieri rasselten ab. Bald langweilten sich in dem weiten Vorsaal nur mehr ein Edelknabe und zwei Trabanten.

 

Wolf Dietrich räumte das Schriftwerk zusammen. Sein Auge ruhte mit Wohlgefallen auf einem eleganten Cicero aus der venezianischen Offizin des Regensburger Buchdruckers Valdarfer. Das Buch hatte er vor nicht allzu langer Zeit von seinem Vetter, dem Domherrn Markus Sittikus von Hohenems, als Geschenk erhalten. Wolf Dietrichs Gedanken streiften flüchtig den unscheinbaren Geber, der, aus mediceischem Blut stammend, einen gleichnamigen Kardinal in Rom zum Oheim hatte. Wolf Dietrich wußte mit dem beschränkten Geist des Domherrn nicht viel anzufangen. Zudem mißfiel ihm auch dessen frömmelndes Gemüt, das ihn bei ernsten Menschen ebensowenig empfahl wie seine Galanterie gegenüber schönen Frauen. Der Erzbischof wollte demnächst dem Domherrn auf die Finger sehen.

Er klingelte.

 

»Der Stabellmeister soll mir ein paar abgesottne Berchtesgadner Saibling und ein Dattelndorten auftragen lassen. Dann richt mir der Kredenzier zwei Silberbestecke her und eine Flasche Istrianer Raifel.«

Der Edelknabe sauste ab.

 

Gleich darauf öffnete sich sanft die Flügeltür und in die Helle schob sich die Patriarchengestalt eines Franziskaners herein. Hochgewachsen, ungebückt, trotz des eisgrauen Scheitels, mit einem milden, von keiner Leidenschaft gezeichneten Gesicht, glich er der ehrwürdigen Apostelgestalt eines heiligen Severin.

 

Wolf Dietrich schritt ihm bewegt entgegen, als empfände er augenblicklich die wohltuende Kraft und Reinheit einer gottgebundnen Natur, die aus dem Wesen dieses Mannes ausströmte und ihm das vom Geschäftsunmut erregte Herz mit Bethesdaflut kühlte. Er drückte den Mönch, den Prior des Franziskanerklosters, in den silberbeschlagnen Lehnstuhl nieder. »Das Herz ist mir voll und dränget nach Euch, sintemalen Ihr nach Rom ziehet dieser Tage –«

 

»Und nach Florenz!« fügte der Pater lächelnd hinzu. Er kannte die Wirkung dieses Namens auf den Erzbischof.

 

Der strahlte in Erinnerungsfreude. »Florenz!« Wenn er den Namen hörte, war ihm immer, wie wenn Veilchen und Rosen zu klingen begönnen. »Das waren Knabenjahre, Magnus! Roß auf, Roß ab! Durch die blinkenden Straßen von Florenz! Über den Arno hinüber, durch die dunklen Tore nach den Blumenhainen, wo die schönen Frauen ihre Bälle warfen. Mit der Althäa, der Tochter meines wilden Kardinal-Oheims, bin ich stundenlang im Gras gelegen und hab ihr von andern Dingen in die blauen Augen geschwärmt als von Kirchenvätern und Theologie.«

 

Pater Magnus kribbelte mit den Fingern verlegen an seiner Kutte herum.

»Daß meine Florentiner den Savonarola verbrannten, mag hingehen, aber daß sie mir den Dante vertrieben, verzeih ich ihnen nit.« Er lächelte schalkhaft, als er des Paters betrübtes Gesicht sah. »Tut’s Euch weh, daß ich dem armseligen Asketen das höllische Feuer gönn? War ein erdfremder Kauz, hat nichts anzufangen gewußt mit den Schönheiten der Welt und hätt mir auch keine Indulgenz gewähret und meinen Pomp angezündet auf dem Scheiterhaufen. Und mich dazu, mein ich.«

 

Der Prior räusperte sich. »Muß ihm doch als Franziskaner die Hand drücken, Hochfürstliche Gnaden –«

 

»Weg mit dem Titel, Magnus!« zürnte der Erzbischof mit einer wegwerfenden Gebärde. »Wenn ein Mensch einem so tief ins Herz geblickt wie Ihr mir, will man nit von ihm getrennet sein durch äußerliche Veneration.« Er senkte die Stimme. »Ist heut der Jahrestag – Ihr wißt – da Ihr mich eingesegnet mit der Salome auf der Blühnbacher Alm –«

 

Der Pater senkte den Kopf. Das Erinnern drückte ihm schwer aufs Herz, denn er hatte doch Schuld auf sich geladen, als er dem Kanoniker und Domherrn Wolfgang Theodor von Raittenau vor dem Felsenaltar Gottes, auf dem die Königskerzen leuchteten und statt des Weihrauchs der goldne Herbstnebel zur Sonne dampfte, und der wunderschönen Patrizierstochter Salome Alt zum heimlichen Ehebund den Segen gab, während die Spechte im Wald das Gloria in excelsis Deo schnatterten. Waren keine Trauzeugen dabei, nur die drei Menschen, vom Atem Gottes umweht, und der feurige Wolfgang mit der stürmenden Liebe im Herzen wußte gar wohl, daß sein inbrünstig Gelöbnis vor dem kanonischen Recht eine Riesennull und nur in das Blau des Herbsthimmels geschworen war in der sichern Zuversicht, daß ein Gott den Bund segnen werde, den die Menschen in ihrer Formgebundenheit nicht billigen konnten. Hatte auch ohne Priesterweihe nicht das Recht, ein liebreizendes Bürgerkind ans Herz zu drücken. Und war doch geschehen und die Welt war darüber nicht in Trümmer gegangen, aber des Erzbischofs Gewissensehe hatte die Mäuler zum Klappern gebracht. Am Jahrestag der Einsegnung beschied der Erzbischof immer den alten Freund und Segner seines Glücks zu sich und drückte ihm für sein Kloster ein wertvolles Angebinde in memoriam in die Hand.

Diesmal war’s ein silberbeschlagner Foliant. »Das Gold Eures Fleißes muß erst diesen Band mit Inhalt füllen«, sagte er. »Ist ein Chronikbuch und Diarium für Euer Kloster.«

 

Pater Magnus zitterte und glänzte. »Deo gratias! O, o! Nun kann ich’s dem Abt von Sankt Peter nachtun! Kann aus meinen Schriften ein reich Traktätlein ziehen für die Historie des Klosters.« Seine Augen erquickten sich an dem harten Pergament, der bunten Heiligenmalerei einer Hildesheimer Mönchshand und an der feinen Klausur, die eines Nürnberger Goldschmieds Meisterschaft verriet.

 

Der Erzbischof wehrte den Dank ab. »So Ihr nach Rom kommt, erinnert den päpstlichen Nuntius Portia, daß der Kardinalshut, der mir versprochen, noch immer auf der Reise zu sein scheint, wiewohl man von Rom nach Salzburg gemeiniglich weniger als zwanzig Jahre zu fahren pflegt.«

 

Der Pater runzelte die Stirn. »Man ist Euch wenig hold im Vatikan, seit Ihr etwas lässig geworden im Dienste der mater ecclesia. Seid auch saumselig in der Bekehrung der Ketzer. Item habt Ihr Euch mit des Papstes getreuester Stütze, dem Herzog Max, Überworfen wegen des Salzes –«

 

Wolf Dietrich lachte ärgerlich. »Stärket Euch vor der Bußpredigt am Saibling und ölet Eure Kehle mit dem Raifler, auf daß das Wort feiner über Eure Lippe fließe.«

 

Der Edelknabe hatte auf silbernen Schüsseln die feinen Fischlein serviert und daneben die Torte gereicht. In hohen Stengelgläsern perlte der dunkle Istrianer, den der Erzbischof öfters den seraphischen Brüdern ins Kloster schicken ließ, um ihre frommen Gedanken von den Blümlein des heiligen Franz nach der nicht minder duftenden Blume des Istrianers abzulenken. Sie waren ihm ohnehin zu sehr versonnen und verschwärmt, diese Jünger von Assisi, verstrickten sich zu sehr in die Gefühlsverworrenheit ihrer Mystik, anstatt mit scholastischer Lehremsigkeit hübsch erdenständig zu bleiben und den Leuten den Katechismus des Pater Canisius einzutrichtern, wie es die Herren Kapuziner so trefflich verstanden, denen Wolf Dietrich ein beschaulich Klösterlein auf dem Imberg errichtet hatte.

 

Während des Mahles hielt der Erzbischof dem Gast eine tüchtige Strafpredigt. »Lässig nennet Ihr mich? Ei, hat mir’s der heilige Stuhl gedankt, daß ich die Wiedertäufer zur Buß gebracht, die Schulmeister für den Kirchendienst mit Müh präparierete, daß ich auf den Reichstagen den protestantischen Fürsten mein Wolfsgebiß zeigte, den Stadträten das Trientiner Glaubensbekenntnis aus der Seele zapfte, daß ich das ketzerische Gesindel vor Jahren aus der Stadt trieb? Hat er mir’s gedankt? Nein, der Papst läßt sich von dem bayrischen Weihrauch so die Augen vernebeln, daß er die Taten seines getreuen Erzbischofs nit sehet. Drum bin ich’s müd, des Papstes Alleluja anzustimmen.«

 

Der Greis setzte ein Sorgengesicht auf. »Wolf Dietrich! Solltet Euch mit einem einfältig Hirtenamt begnügen.«

 

»Ist eine Devise für einen Zellenbruder, nit für einen Erzbischof, der nur mit einem Kardinalshut und goldnen Monstranzen dem Salzburger Volk imponieren kann.«

 

»Wenn nur der Glaube golden ist, mag die Monstranz immerhin aus Holz sein«, wagte der ehrwürdige Pater bescheiden einzuwenden.

 

»Werdet anders reden, wenn Ihr einmal Erzbischof werdet –« Der Bruder machte eine abwehrende Gebärde und lachte herzlich. »Genügt mir ein auferbaulicher Wandel und ein andächtiglich Betrachten der fünf Wundmale des Herrn.« Er ließ die Rosenkranzküglein leise spielerisch über die verdorrten Finger klirren.

 

Von der Festung drang deutlich der Burgwächterruf herab, der alle Viertelstunden der Zeit eine tönende Kerbe schnitt. Der Erzbischof hatte sich erhoben. »Geleit Euch Gott und die Jungfrau! Wird Schnee auf dem Tauern liegen, wenn Ihr zurückkommt.«

Pater Magnus drückte das kostbare Geschenk unter seine Kutte und verneigte sich tief. Wolf Dietrich legte ihm sanft die Hand auf den Scheitel.

 

Als sich des Mönches Schatten ins Licht des Vorzimmers schob, trat ein Edelknabe eilig ins Zimmer und reichte dem Erzbischof ein Brieflein. Er riß es hastig auf. »Eberhard liegt im Fieber. Mein Herz in Ängsten. Deine Salome.«

 

Wolf Dietrich verkrampfte den Zettel in der Faust. Seine Gänsefeder kritzelte gleich darauf ein paar Zeilen an den Hofapotheker Onuphius Mony aufs Papier. Aber er zerriß den Zettel wieder, denn er erinnerte sich plötzlich eines wunderlichen Troglodyten, der droben am Imberg in einer Steinzelle hauste wie einst der heilige Maximus in der Felswand des Mönchsberges. Das war der in Galenus’ Künsten wohlerfahrne Chunradt vom Stein, so in Latwergen und Mixturen rechtschaffen Bescheid wußte und in seiner Jugend beim Wundermann Bombastus Theophrastus Paracelsus als wißbegieriger Famulus laboriert haben sollte. War in der Wissenschaft ebenso zu Hause wie in der Vulgata. Hatte es im Kloster nicht ausgehalten und sich in der Imbergwand eingegraben, wo er auf seinem Höhlenaltar neben den Schriften des heiligen Hieronymus auch das Paragranum des Paracelsus liegen hatte und über einem nie verlöschenden Herdfeuer die Laudanumpillen erzeugte, so in den von Schlaflosigkeit gepeinigten Gliedern trostsame Betäubung schufen.

 

»Spannet den Wagen ein«, befahl Wolf Dietrich, »und holet den Chunradt vom Stein ins Haus der Salome Alt. Dann löschet das Licht und machet Nacht.«

 

Er warf seinen einfachen Taftmantel um und schritt gesenkten Hauptes an den leise zitternden Leibwachen vorbei.

 

 

III. Kapitel

 

In der Münze, gleich neben der Residenz, ging Frau Sorge um. Wandelte durch Prunk und Pracht, so allda der Erzbischof für Frau Salome aufgehäuft hatte.

 

Der kleine Eberhard von Raittenau-Alt fieberte. Über dem kleinen Leib lag das gebeugte Haupt der Mutter. Sie erzählte dem Knaben von der lichten Feier des Adventspiels, bei der der Kleine ein Hirtenbüblein spielen sollte. Dann tasteten ihre Worte leise in alte Märchen hinüber.

 

»Wenn du gesund wirst, Bübl, und die Kirschen blühen, fahren wir in den Blühnbacher Wald, sechsspännig, und hinten und vorn zwei Zwerglein als Anhalter.«

Der Knabe lauschte auf. »Hinten und vorn?«

 

»Vier winzig-winzig kleine Zwerglein aus der Schneewitte Reich.«

 

»Und Putzigauch?« lechzte der Knabe nach einem Märchen.

 

»Ist ein eisgrau Männlein mit einem grünen Kleid, so grün wie das Fröschlein im Petersbrunner Karpfenteich.«

 

»Ja, Mammi –«