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Karin Kneissl

WACH
ABLÖSE

Auf dem Weg in eine
chinesische Weltordung

„Das Konzept ‚Ein Gürtel und eine Straße‘,
genauer gesagt der Aufbau des Wirtschaftsgürtels entlang
der Seidenstraße und der maritimen Seidenstraße
des 21. Jahrhunderts,
verspricht eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.“

Chinas Staatspräsident Xi Jinping

Inhalt

Vorwort

Von der Werkbank der Welt retour zum Reich der Mitte

G2 oder doch Weltpolitik „Made in China“?

Als Wissenschaftsmacht läuft China den USA zunehmend den Rang ab

Der Verlust der Glaubwürdigkeit

Die Seidenstraße mit vielen Landrouten und einer Perlenkette an Häfen

Vom harmonischen Aufstieg zur Mission für die Menschheit

Die chinesisch-russische Kooperation ist mehr als ein Erdgasgeschäft

Der Geopolitiker Putin und die chinesische Allianz

China und Russland sehen sich als Faktoren der Ordnung

China benützt und nützt Afrika

Die schöne neue Welt der Süd-Süd-Kooperation

Die Seidenstraße führt in den Nahen Osten

Bewahrung und Neuordnung in der nahöstlichen Welt

Chinesische Balance zwischen Arabischer Halbinsel und Persischem Golf

China als regionaler Hegemon

Die überlegene Zivilisation des Reiches der Mitte

Xi Jinping als Wegbereiter des neuen alten Reiches der Mitte

Vom chinesischen Paradoxon und dem Risiko des Zerfalls

Empfehlungen für mögliche politische Maßnahmen in Österreich und eventuell auf europäischer Ebene

Die Autorin

Literaturverzeichnis

Impressum

Vorwort

Die Ausrichtung der weltweiten Handelsströme, der Pipelines und der Airlines dreht sich. Von West nach Ost. China hat mit seinem Seidenstraßenplan „One Belt, One Road“ das weltweit größte Infrastrukturprojekt der letzten Jahrzehnte gestartet und engagiert sich verstärkt in Afrika und dem Nahen Osten. Die Europäer spielen bei diesen zukunftsweisenden Vorhaben, bei der Verschiebung der globalen Machtverhältnisse und Einflusssphären nur noch eine Nebenrolle. Europäische Verantwortungsträger und Meinungsführer sind oftmals sogar mit der richtigen Beurteilung dieser historischen und politischen Entwicklungen überfordert.

Auch die USA ziehen sich – nicht erst seit Donald Trump - aus immer mehr Weltregionen zurück, konzentrieren sich wieder auf ihr eigenes Land. In dieses machtpolitische Vakuum stößt das immer selbstbewusster werdende China vor. Ohne Peking geht nichts mehr. Europa steht am Abstellgleis. Im 19. Jahrhundert bestimmten die europäischen Kolonialmächte die Weltpolitik, das 20. Jahrhundert war jenes der Amerikaner. Nun stehen wir erneut vor einem Zeitenwechsel, befinden uns auf dem Weg vom transatlantischen ins pazifische Zeitalter. Die neue Ära ist längst angebrochen. Diese Wachablöse findet von der europäischen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt statt. Sowohl Politik als auch Medien sind mit den Krisen innerhalb und an den Rändern der EU, mit der politischen Durchdringung und Reglementierung aller Lebensbereiche der Bürger und der permanenten Beobachtung Washingtons dermaßen ausgelastet, dass man darüber hinaus ganz auf den Blick über den westlichen Tellerrand Richtung Osten und Süden vergessen hat. Erst jetzt, angesichts des sich aufbauenden Migrationsdruckes, begreift Europa, welche Bedeutung die Entwicklung Afrikas für seine eigene Zukunft hat, zu einer Zeit, da China längst erfolgreich seine Interessen in dieser Region vertritt und dabei ist, Afrika zu seiner verlängerten Werkbank zu machen. Nicht europäische Entwicklungshelfer, sondern chinesische Investoren und Firmen modernisieren den afrikanischen Kontinent. Auch im arabischen Raum gibt China zunehmend den Ton an, wenn auch diskret und im Hintergrund.

Dass die europäischen Politiker von diesen Entwicklungen kaum etwas mitbekommen, sie unterschätzen, ignorieren bzw. ihnen konzept- und tatenlos zusehen, liegt unter anderem daran, dass in Brüssel und vielen europäischen Hauptstädten geopolitisches Denken kaum eine Rolle spielt. Während europäische Politiker bestenfalls bis zum nächsten Wahltermin planen, denkt man in Peking in völlig anderen zeitlichen und geographischen Dimensionen. Das ist einer der Gründe, warum Europa zunehmend ins Hintertreffen gerät.

All diese Entwicklungen beschreibt und analysiert Karin Kneissl in diesem Buch. Sie will die Leser sensibilisieren, dass wir längst auf eine neue, eine chinesische Weltordnung zusteuern. Mit ihrem Buch will die Autorin ein Bewusstsein auch in unseren Breiten dafür schaffen, welch bedeutende Rolle China auf der politischen Weltbühne künftig spielen wird, was das für Europa, für unsere Zukunft bedeutet und wie wichtig geopolitisches Denken und Handeln sind.

Karin Kneissl, die den meisten Menschen im deutschsprachigen Raum vor allem als Nahost-Expertin aus Zeitungen und Rundfunk bekannt ist, beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit den Rohstoffen Erdöl und Erdgas und mit ihrer geopolitischen Dimension. Dabei wurde sie immer öfter mit der Rolle Chinas konfrontiert, das im Zuge seines rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs zum weltweit größten Erdölimporteur wurde. Seit Mitte der 1990er Jahre hat Peking unbemerkt aber erfolgreich rund um den Globus Konzessionen erworben und bestimmt nunmehr den weltweiten Rohstoffhandel. Ohne China geht in der internationalen Energiepolitik nichts mehr. So wuchs auch das Interesse Kneissls an der Rolle Chinas, so entstand die Idee zu diesem Buch.

Auf den folgenden Seiten beschreibt sie kenntnisreich und kompakt den Aufstieg Chinas und die von Peking angestrebte weltweite Führungsrolle, sie analysiert die globalen machtpolitischen Verhältnisse ohne eurozentristische Filter und europäische Selbstüberschätzung. Karin Kneissl hilft dem Leser mit Blick auf den Fernen Osten die tatsächliche Bedeutung und die Zukunft der EU innerhalb eines neuen, größeren Bezugsrahmens einzuordnen, rückt das von Hypermoral, Weltrettungsphantasien und missionarischem Eifer verzerrte europäische Selbstbild wieder zurecht. Denn die Weichen für die globale Zukunft werden künftig nicht in Brüssel, Washington, Berlin oder Paris, sondern in Peking gestellt. Die vorliegende Analyse birgt für viele eine schmerzhafte Erkenntnis: Europa hat seine Führungsrolle abgegeben und ist vom Zentrum an die Peripherie abgedrängt worden, ist nur noch das westliche Anhängsel Eurasiens.

Werner Reichel

Verlag Frank&Frei

Von der Werkbank der Welt retour zum Reich der Mitte

Will man die Position Chinas in der Weltwirtschaft begreifen, dann gilt der Spruch des chinesischen Staatsmannes Deng Xiaoping in aktueller Version: „Alles wird viel, wenn man es mit 1,4 Milliarden multipliziert und alles wird wenig, wenn man es durch 1,4 Milliarden dividiert.“1 Zwar ist China in absoluten Zahlen der wichtigste Erdölimporteur, doch der Pro-Kopf-Verbrauch von Treibstoff fällt niedrig aus. Ist China ein Entwicklungsland, wie manche Statistik vermuten lässt, oder aber der große Investor, gar die neue Kolonialmacht auf dem afrikanischen Kontinent? Angesichts des außenpolitischen Engagements, vor allem im Namen des Energiebedarfs, ist China nicht mehr bloß die verlängerte Werkbank der Welt. Selbstbewusst tritt Peking als Finanz- und Machtzentrum auf, das Gipfelkonferenzen ebenso ausrichtet wie diskret im Hintergrund die Strippen zieht.

Die Wirtschaftskraft verleiht der chinesischen Diplomatie neues Gewicht. Gegenwärtig orientiert sich das Riesenreich wirtschaftlich neu. Demnach soll die industrielle Produktion dem Sektor Dienstleistung, v. a. auch der Hochtechnologie, den Vortritt geben. Ob alles nach Plan des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei verläuft, hängt letztlich auch von der inneren sozialen Ruhe ab. Denn 1,4 Milliarden Menschen benötigen Perspektiven und soziale Absicherung, dann hat China den Rücken frei und kann weltpolitisch mitgestalten.

Das Projekt der neuen Seidenstraße, das China auch seine „Go West“-Strategie nennt, ist jedenfalls mehr als die Summe gewaltiger Investitionen. Es handelt sich um ein sorgsam geplantes geopolitisches Vorhaben. Denn die Wirtschaftsmacht China sieht sich zusehends wieder in der Rolle des imperialen „Reichs der Mitte“, das zivilisatorisch dem Rest der Welt überlegen ist. Die Chinesen besitzen für ihr Land keinen eigenen Namen. Sie sprechen nur von „Zhong Guo“, dem „Reich der Mitte“. Das halten sie für eine vollendete Zivilisation. Die Bezeichnung „China“ erfanden Europäer, sie leiteten ihn lautmalerisch von der Herrscherdynastie der Qin (246 bis 207 v. Chr.) ab.

Die Frage lautet: Wird sich China damit zufriedengeben, eine einflussreiche Macht in einer multipolaren Welt zu sein, oder strebt China nach Hegemonie? Gab es einst pro-britische, später pro-US-amerikanische Regierungen versus Pro-Moskau-treue Vasallen, so könnte vielleicht in absehbarer Zukunft ein pro-chinesischer Oberst auf der Arabischen Halbinsel Politik und Erdölallianzen bestimmen. Die These dieses Essays lautet also: China entscheidet die geopolitischen Umbrüche unserer Zeit mit. Auch wenn China keine weltpolitische Verantwortung anstrebt – den USA fiel diese Rolle 1945 ebenso eher zu – so scheinen doch immer mehr Hebel der Diplomatie, ob es um den Aufstieg Afrikas, Krieg in Syrien oder die Ausrichtung internationaler Organisationen geht, in Peking angesiedelt zu sein.

Das 19. Jahrhundert war ein europäisches. Um 1900 lag der Anteil Europas an der Weltbevölkerung bei 25 Prozent. Die Welt wurde auf den Kabinettstischen der europäischen Kolonialmächte aufgeteilt. Menschen, Waren und Ideen, wie den Nationalstaat, exportierte Europa in den Rest der Welt. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs begann der dramatische Abstieg Europas, die USA füllten langsam das Vakuum auf, das die Europäer vom Suezkanal bis Indochina und in Subsahara Afrika als Kolonialerbe mit viel historischem Ballast und bis heute teils andauernden Grenzkonflikten hinterlassen hatten. Nach 1945 rückten die USA definitiv in die Position der neuen Ordnungsmacht ein, wobei mit dem Fortschreiten des Kalten Kriegs Washington und Moskau gleichsam die Welt untereinander in Einflusszonen aufteilten. Die Zerstörung Europas übertraf jene von 1918. Mit dem Aufbau der NATO, des Nordatlantikpaktes, begann das transatlantische Zeitalter, in dem die USA den Takt vorgeben und bis heute die wesentliche Last tragen, und von dem die NATO-Verbündeten profitieren. US-Präsident Trump formuliert nur härter, was seine Vorgänger diskreter ansprachen: Die Europäer müssen ihren Anteil übernehmen. Die Wehretats der Europäer, v. a. Deutschlands, werden kaum in dem Umfang wachsen, wie dies von Washington gefordert wird. Und mit dem Brexit verabschiedet sich ein Staat, der nicht nur über Seestreitkräfte, sondern auch über relativ effektive Nachrichtendienste verfügt. Großbritannien streckt indes seine Fühler konsequent nach Asien aus, wobei die diplomatischen und wirtschaftlichen Strukturen des Commonwealth, also des einstigen britischen Kolonialreiches, sich neuerlich als nützlich erweisen.

Dass die Zukunftsmusik nicht in der Europäischen Union spielt, hat sich herumgesprochen. Denn nach diversen Erweiterungsrunden und einer Dekade Euro-Krise sowie vielen inneren Gräben ist die EU permanent mit sich selbst beschäftigt und vergisst den Rest der Welt. Der Aufstieg Chinas als geopolitischer Akteur wurde aus europäischer Sicht, mit Ausnahme Londons, der Schweiz und auch Ungarns, kaum beachtet. Die drei letztgenannten spielen im aktuellen Verlauf der Seidenstraße jeweils eine wichtige Rolle. Im Juli 2014 trat das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China in Kraft. Die Schweiz ist das erste kontinentaleuropäische Land, das mit China über ein solches Abkommen mit privilegiertem Zugang zum chinesischen Markt verfügt. Dies könnte ein Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten aus der EU und den USA sein. Der Schweizer Unternehmerverband sieht das Abkommen gemeinsam mit dem Renminbi-Hub als Meilenstein für Schweizer Firmen.2 Der Rohstoffhandel, in dem der Schweizer Finanzplatz eine wichtige Rolle spielt, ist hierbei ein wesentliches Geschäftsfeld, denn die Nachfrage aus China ist die weltweit wichtigste für Rohstoffe aller Art.

Auf EU-Ebene hadern die Europäische Kommission als Beamtenapparat und der Europäische Rat als politisches Organ, wie man mit China umgehen möchte. Allein die offizielle Einladungsliste zum Seidenstraße-Gipfel am 14./15. Mai 2017 zeigt deutlich, welche Regierungen aus Europa eingebunden sind. Hierbei führen die Schweiz, Ungarn, Tschechien, Spanien, Italien und Großbritannien mit ihren Delegationen. Die österreichische Bundesregierung ließ sich kurzfristig entschuldigen.3 Chinesische Gastgeber merken sich unhöfliche Akte. Die Bedeutung Chinas als geopolitischer Akteur wird von Regierungen auf der südlichen Halbkugel verstanden, nicht aber auf gesamteuropäischer Ebene. Denn Afrika-China-Gipfeldiplomatie ist seit bald zehn Jahren nicht mehr die Ausnahme, sondern politische Praxis. Aus europäischer Warte hingegen hat man den Eindruck, dass erst aufgrund der massiven Migrationsbewegungen vom afrikanischen Kontinent in Richtung Europa über die vielen Mittelmeer-Routen das Bewusstsein der geographischen Nähe zwischen den Küsten Afrikas und jene Europas entstanden ist.