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I luoghi del cuore, Neapel für Verliebte

CHIAIA, MERGELLINA, POSILLIPO

Die befreite Uferpromenade

Der Feuerberg

Das Ei im Kastell

500 Jahre Geschichte unter der Erde. Der bourbonische Tunnel

Piazza dei Martiri

Eine noble Residenz für Wagner: Villa Doria d’Angri

Palazzo Donn’Anna

Auf den Wellen: Marechiaro

Für Verliebte und Archäologen: Wo der Sonnenuntergang am schönsten ist

Postkarte mit Pinie und Umweltsünden: Parco Virgiliano

ZENTRUM

Acht Könige erzählen einen Witz

Maradona murales. I Quartieri Spagnoli

Largo Baracche

Profanes und Heiliges in der Fastenzeit

Da ’Ntretella: Pizza

Palazzo delle Poste

I friarielli. Grüne Blätter für die Leidenschaft

ALTSTADT

Ein grässlicher Mord an der Piazza San Domenico

Der Majolika-Kreuzgang von Santa Chiara

Der Teufel des Palazzo Penne

Via Pino Daniele

Eine sehr antike Dame in der Krippenstraße

Ein kleines, geräuschloses Eden: der Klostergarten San Gregorio Armeno

Drei von zweiundfünfzig (Stadtheiligen)

La mamma – Eine moderne Votivtafel

Farmacia storica degli Incurabili

Die Straße der bouquinistes

Un gelato al limone auf der Piazza Dante

Sprachlos! Linguine im Mantel

Kunstraub. Nur ein Beispiel … San Giuseppe delle Scalze

Salumeria Russo. Eine Heldengeschichte

Die Bibliothek im Archäologischen Nationalmuseum

Die neue Grand Tour. Auf den Spuren von Elena Ferrante

Ich bin die Sirene. Ein Brunnen und ein Symbol

PORTA CAPUANA, MERCATO

Caravaggio lebt. Die sieben Werke der Barmherzigkeit

Cartastorie und das historische Archiv Banco di Napoli

Schmelztiegel mit Schirmpinien: Porta Capuana

Ein Rosengarten

Konradin

MATERDEI, SANITÀ, CAPODIMONTE

Gegenwartskunst in der Casa Morra

Gegen die Camorra. La paranza – das Schleppnetz der Kulturprojekte

Eine Hymne an das Leben: Totò

Ein Tag in Capodimonte

VOMERO

Gioacchino Rossini

Neapels Treppen: Il Petraio und die Pedamentina

Villa Floridiana

Klein und anmutig: die Stadtdarstellung der Tavola Strozzi

FUORIPORTA: AUSFLÜGE

Endstation Meer. Das Eisenbahnmuseum in Pietrarsa

Die Nacht in Pompeji

Trentinara – Eine Terrasse über dem Nationalpark Cilento

Ein Wanderweg auf Capri

Pool mit Aussicht: Ischia

BILDNACHWEIS

REGISTER

Impressum

I luoghi del cuore, Neapel für Verliebte

Neapel, Ziel aller Hochzeitsreisenden. Ist das so? Zumindest war der französische Romancier Gustave Flaubert im 19. Jahrhundert davon überzeugt. Auch im dritten Jahrtausend lohnt es sich für Verliebte und alle, die es werden wollen, nach Neapel zu reisen. Das Mindeste, was einem passieren kann, ist, dass man sich unsterblich in die Stadt verliebt. Nicht zufällig sagt man, dass Neapel auf dem Grab einer Verführerin, der Sirene Parthenope entstanden ist.

Napoli ’e mille culure, Neapel besteht aus tausend Farben, sang der Musiker Pino Daniele. Neapel hat auch tausend Gesichter, und tatsächlich kann jeder Reisende seine eigene Lieblingsfacette entdecken: in den Prachtvillen am Meer, auf den lavaverkrusteten Pfaden des Vesuvs, im Boot oder im Kanu auf den Wellen, am Hügel unter Pinien, in den Gassen der Altstadt, in den unterirdischen Grotten oder während der heidnisch-katholischen Rituale im Spanischen Viertel. Oder lieber quer durch die Stadt auf den literarischen Fußstapfen der Bestseller-Autorin Elena Ferrante?

Meine Lieblingsorte habe ich hier zusammengestellt. »Hoffentlich hast du aber … nicht vergessen …?«, haben mich meine Freunde während der Vorbereitung dieses Buches immer wieder auf Geheimtipps hingewiesen. Ich kann sie alle beruhigen: Ich habe nichts vergessen, habe nur ausgewählt, was mein Herz jeden Tag mit großer Freude erfüllt – ich bin mir sicher, dass auch die Leser einige meiner luoghi del cuore in ihr Herz schließen werden. Und wer weiß … vielleicht wird mancher sogar unter dem neapolitanischen Himmel einen neuen Freund bzw. eine neue Freundin kennenlernen oder sich in ihren Liebsten / ihre Liebste neu verlieben. Wollen wir wetten?

PS: Schreiben Sie mir im unwahrscheinlichen Fall, dass ich die Wette verloren habe …

Chiaia, Mergellina, Posillipo

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Die befreite Uferpromenade

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Man war nicht in Neapel, wenn man den lungomare nicht gesehen hat. Buchstäblich »am Meer entlang« läuft man von der zentral gelegenen Piazza del Plebiscito aus bis Mergellina, dort, wo die Straße in Richtung Posillipo-Hügel leicht ansteigt. Immer am Meer. Und das sechs Kilometer lang!

Der klassische Spaziergang beginnt an der Via Cesario Console. Die Statue des Augustus salutiert … nein, nicht uns, sondern seiner Majestät, dem Vesuv. Unsere Blicke richten sich nun auf eines der schönsten Panoramen, die Italien zu bieten hat. Die Aussicht auf die Bucht mit dem Vulkan im Hintergrund hat die Stadt weltweit bekannt gemacht. Besonders herrlich ist es hier eine Stunde vor Sonnenuntergang, wenn der Vesuv sich ein Kleid aus rosafarbener und violetter Seide anzieht. Eine unbeschreibliche Sanftheit liegt in der Luft, und man versteht, warum Männer wie Giacomo Casanova oder Alexandre Dumas hier ihr Domizil bezogen. Ein paar Segelboote gleiten auf den Wellen. Eine Katze miaut, wir schauen nach unten, und zwischen den weißlichen Wellenbrechern entdecken wir eine getigerte Schlawinerin mit ihren entzückenden Katzenbabys.

Wie lange verweilen wir jetzt schon hier? Fünf Minuten? Oder ist es bereits eine halbe Stunde? Nach den obligatorischen Selfies kommt man nicht umhin, alle zwei Schritte voll der Bewunderung stehen zu bleiben. Wissen Sie was? Uns Neapolitanern geht es genauso: Am Meer kann man sich nie sattsehen!

Seit einigen Jahren ist die Uferpromenade zwischen Via Santa Lucia und Piazza Vittoria Fußgängerzone: lungomare liberato – eine der ersten Amtshandlungen von Oberbürgermeister Luigi De Magistris, der sich damit viel Kritik der verärgerten Autofahrer einhandelte. Aber vom Frühjahr bis spät in den Herbst herrscht seither an jedem Wochenende auf der stillgelegten Fahrbahn ein großer Menschenandrang. Die Tische der Restaurants sind vollbesetzt. Man hört Teller und Besteck klirren und das Gewirr der Stimmen. Es duftet nach gegrilltem Fisch und frittiertem Oktopus. Brautpaare kommen mit ihren Familien hierher, um sich vor der schönsten Kulisse der Stadt fotografieren zu lassen. Ein Bad im neapolitanischen Leben – am Sonntag. Denn nur die Touristen haben die Uferpromenade die ganze Woche über für sich, während die Neapolitaner im Büro oder in der Schule schuften.

Und jetzt, wie wäre es mit einem Aperitif? Die günstigste Variante gibt es an der Rotunde zwischen Via Nazario Sauro und Via Partenope. Zwei Kioske verkaufen taralli (Gebäckkringel mit Mandeln und Pfeffer) sowie die üblichen Chips und Getränke. Für die Mutigen gibt es trippa (Pansen) mit Zitronen. Zwar sitzt man auf Plastikstühlen, aber wenn man Glück hat, ergattert man einen Platz in der ersten Reihe und kann den besten Blick der Stadt genießen. Für Studenten mit kleinem Budget: Hinter den Kiosken führen zwei Steintreppen direkt ans Meer. Ausgerüstet für ein Picknick saß ich selbst vor 25 Jahren mit meinen Studienkommilitonen auf den Treppenstufen und schaute zu, wie Jugendliche, moderne Tritonen in Unterhose, von den Felsen ins Wasser sprangen. Sehr edel geht es dagegen auf den Terrassen der luxuriösen Hotels Excelsior und Vesuvio zu. Wer weder für einen einfachen Aperitif noch für das dekadente Dolce Vita etwas übrighat, dem empfehle ich die Bars und Restaurants des Borgo Marinari. Meine Lieblingsbar befindet sich allerdings in der Via Santa Lucia: Im Ba-Bar ist es an heißen Sommertagen wunderbar, weil immer eine kühle Meeresbrise weht.

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BUSVERBINDUNGEN ZUM VESUV WWW.VESUVIOEXPRESS.INFO

Der Feuerberg

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DER DOKUMENTARFILM NEAPEL ’44 DES REGISSEURS FRANCESCO PATIERNO ZEIGT EINDRÜCKLICHE VESUVBILDER AUS DER ZEIT DER ALLIIERTENLANDUNG.

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Montagna fatta ’e lava ’e cient lengue / tu tiene in mano a te sta vita mia. Lavaberg mit hundert Feuerzungen, mein Leben liegt in deiner Hand. Diese emotionalen Zeilen eines Songs der Gruppe Spaccanapoli besingen den Vesuv. Den zornigen Zeus, den schlafenden Giganten. Es stimmt! Unser Leben am Fuße des Vulkans ist eng mit ihm verbunden. Wenn wir morgens aufstehen, halten wir stets Ausschau nach ihm: Wie geht es ihm heute? Mancher behauptet, aus seinen Farben schließen zu können, wie das Wetter werden wird. Während ich diese Zeile schreibe, wütet ein verheerender Waldbrand, der Flora und Fauna im Nationalpark am Vesuv fast vollständig zerstört hat. Kriminelle haben Feuer angesteckt, angeblich um den Staat zu zwingen, größere Aufträge für die Sanierung und den Waldschutz zu vergeben.

In den Rauchschwaden, die im Sommer 2017 aufstiegen, wollten einige Tiere, Totenschädel oder sterbende Löwen darin erkennen. »Wenn er sich eines Tages an uns rächt, dann, weil er zu viel ertragen musste«, sagten andere.

Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Generationen von Künstlern, Dichtern und Wissenschaftlern mit dem Vulkan, sie sind hierhergereist, um sich den rauchenden Feuerberg aus der Nähe anzuschauen. Durch die Grand Tour ist ein eigenes Genre entstanden: die Vesuv-Veduten. Wie viele Maler haben den Lava und Feuer spuckenden Berg gemalt? Sehr viele. So viele, dass vor allem sie – die Ausländer, die Grand-Touristen – den Vulkan zur Ikone Neapels gemacht haben.

»Es gibt keine Trennung zwischen Mensch und Vulkan. Wir sind eins«, erklärt die Regisseurin Sara Sole Notarbartolo, die von ihrer kleinen Terrasse aus eine unverstellte Sicht auf den Vulkan hat. Man ist vom Vesuv stets fasziniert, von der Schönheit seiner Flanken, die sanft in Richtung Meer gleiten. Wenn man von einer langen Reise wieder in die Stadt kommt, blickt man zu ihm hinauf und seufzt erleichtert: Ich bin zurück, alles ist an seinem Platz. Sein Anblick gibt einem einerseits Sicherheit. Andererseits betrachtet man ihn mit Ehrfurcht. Man hat Angst vor seiner Unberechenbarkeit. Wer weiß, wann er wieder ausbrechen wird?! Und die Vulkanologen haben schon vorausgesagt: Der nächste Ausbruch wird verheerend sein. Der letzte war 1944. Auch mein Vater und meine Mutter – beide waren damals nicht einmal acht Jahre alt – mussten mit ihren Familien fliehen.

Direkt betroffen war jedoch nicht Pompeji, sondern der Ort San Sebastiano. Da standen plötzlich die Einwohner des Städtchens vor einem unlösbaren Dilemma. Wen sollten sie nun anbeten – den mächtigen Widersacher des Vesuvs, San Gennaro, oder ihren eigenen Stadtheiligen und Namensgeber? Sie entschieden sich für den zweiten. Heimlich hatten sie aber die Statue vom heiligen Januarius aus Neapel kommen lassen, die sie in einer Nebengasse unter einem Bettlaken versteckt hielten. Sollte der heilige Sebastian es nicht schaffen, die Lava zu halten, würden sie eben auf San Gennaro zurückgreifen. Aber Sebastian vollbrachte das Wunder.

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BUS 151 BIS PIAZZA VITTORIA

Das Ei im Kastell

VIA ELDORADO 3

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PIZZA IM RESTAURANT TRANSATLANTICO. VON DEN TISCHEN IN DER LINKEN ECKE HAT MAN EINE SCHÖNE AUSSICHT AUF DEN YACHTHAFEN UND AUF DEN VESUV.

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Kein Mensch in Neapel weiß, dass die Adresse Via Eldorado lautet. Jeder sagt einfach Castel dell’Ovo. Jeder kennt die Befestigungsanlage auf dem Felsvorsprung, der durch einen steinernen Steg mit der Uferpromenade verbunden ist. Und jeder kennt die Restaurants, die die kleine Insel umsäumen.

Das Castel dell’Ovo ist von vielen Sagen umwoben. Angeblich gingen ausgerechnet an dieser Stelle drei VIPs der hiesigen Geschichte an Land. Verschmäht und verärgert vom listigen Odysseus, der ihrem betörenden Gesang getrotzt hatte, ließ sich die Sirene Parthenope auf diesem Tuffsteinfelsen, der kleinen Insel Megaride, nieder, um zu sterben. In Erinnerung an sie gründeten griechische Handelsleute im 8. Jahrhundert genau auf dem Grab der Meerjungfrau die Stadt Neapolis. Und nach zweitausend Jahren sind dort nun schlaue Süditaliener zu Hause. Das Geschäft der Restaurants am Fuße der Festung boomt. Leider nicht die Sirenen, sondern die Kellner sollen die Kunden mit Werbeprospekten und flotten Sprüchen locken. Trotz der ein bisschen zu touristischen Kulisse ist die Abendstimmung sensationell.

Verrät mir jetzt jemand, wo das Ei im Kastell ist? Auch das weiß kein Mensch. Angeblich soll Vergil in einem Bergtunnel unter der Burg das ovo (Altitalienisch für uovo) versteckt haben. In die Stadtgeschichte ist der wichtigste Dichter der römischen Antike als Zauberer und Heiler eingegangen. Solange das Ei unversehrt bleibt, ist Neapel vor jeglichen Schicksalsschlägen sicher, sei es eine Fliegenplage oder vergiftetes Wasser. Na ja, ob das alles stimmt? –, fragt man sich, wenn man auf die Wellen schaut und überlegt, wie sauber das Meer tatsächlich ist. Mit der realen Person von Publius Vergil Maro (70–19 v. Chr.) haben die Legenden wenig zu tun, aber wir Neapolitaner erzählen sie einfach so gern (siehe auch Kapitel 10). In der mittelalterlichen Burg findet man nicht einmal ein kleines Osterei, sondern wechselnde Kunstausstellungen des Kulturdezernats.

Die letzte Legende für heute: Nach der Sirene Parthenope soll auch die heilige Patricia (664–685 n. Chr.) an dieser Stelle gestrandet sein, als sie auf dem Weg ins Heilige Land Schiffbruch erlitt. Die Nachfahrin des Kaisers Konstantin macht seit einigen Jahrhunderten dem Stadtheiligen San Gennaro Konkurrenz. Denn ihr Blut verflüssigt sich einmal die Woche, statt zwei Mal im Jahr wie bei ihm … (Kapitel 24)

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500 Jahre Geschichte unter der Erde. Der bourbonische Tunnel

WWW.GALLERIABORBONICA.COM

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AUCH IN GROTTEN DER ALTSTADT WERDEN ENTDECKUNGSTOUREN ANGEBOTEN, ZUM BEISPIEL UNTER DEM DOM VON SAN LORENZO ODER UNTER DEM SPANISCHEN VIERTEL.

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Blaue und grüne Glasflaschen, in denen einmal Sodawasser war, geblümte Keksdosen, abgenutzte Ledertaschen, Schwarzweißfotografien mit Straßenszenen aus dem Jahr 1943: Ein kleiner Flohmarkt lässt schon vor dem Beginn der Führung durch die unterirdischen Mäander des bourbonischen Tunnels ahnen, dass während des Zweiten Weltkrieges die Menschen an dieser Stelle Zuflucht fanden. Als 2005 zwei Geologen im Auftrag der Gemeinde unter dem Pizzofalcone-Hügel Nachforschungen anstellten, stießen sie in den schattigen Kavernen auf ein offenes Geschichtsbuch. Unter einer Menge von Unrat und Schlamm lagen 500 Jahre historischer Schichten. Nach den Bombardements von 1943 hatte man die zurückgelassenen Gegenstände in den Luftschutzkellern vergessen. Aus dem Gedächtnis verschwunden war auch ein Auto- und Motorradfriedhof. Die Geologen fanden fahrbare Untersätze verschiedener Art und Größe, die in der Nachkriegszeit von der Polizei beschlagnahmt, aber vom rechtmäßigen Besitzer nie mehr abgeholt worden waren.

In einer Tiefe von 40 Metern entdeckte man Grotten, hoch wie Kathedralen. Sie wurden im 16. und 17. Jahrhundert für die Wasserversorgung der stets wachsenden Bevölkerung benutzt. Während man aus dem Bauch des Hügels den gelben Tuffstein entnahm, um die Palazzi über der Erde zu bauen, legte man darunter gleichzeitig Zisternen an. Durch enge Schächte, kaum breiter als die Länge eines Unterarms, mussten die pozzari, die Brunnenputzer, kriechen, um das Wasserreservoir sauber zu halten. Die Wohnungen der herrschaftlichen Häuser waren durch hohe Schächte direkt mit den Wasserspeichern verbunden. An den Zisternenmauern sind noch die dunklen Vertiefungen zu sehen, an denen die Brunnenmänner von der Unter- in die Oberwelt und wieder zurück klettern konnten. Daraus entstand die Legende vom monaciello, dem neapolitanischen Poltergeist, der böse Streiche spielt, Gegenstände und Geld verschwinden lässt oder hervorzaubert.

Der Architekt Enrico Alvino musste die vielen Zisternen vorsichtig umgehen, als der Bourbonenkönig Ferdinand II. ihn 1853 mit dem Bau eines Tunnels beauftragte. Nach den blutigen Aufständen 1848 wollte Seine Majestät für den Schutz des Hofes sorgen. Durch die 430 Meter lange Galerie konnten die Soldaten von den Kasernen an der Riviera di Chiaia schnell zum Königshaus an der Piazza del Plebiscito gelangen.

Das jüngste Kapitel dieser spannenden, unterirdischen Stadtgeschichte spielt im Jahr 1985. In Vorbereitung auf die Fußballweltmeisterschaft (1990) wurde mit dem Bau einer Tramlinie begonnen. Als aber 1993 das FIFA-Turnier längst vorbei und von der stolzen Schnellbahn linea tramviaria veloce (LTV) mehr schlecht als recht nichts als ein Baustollen gegraben worden war, ließ man das kostspielige Bauprojekt plötzlich fallen. Indes stieg an dieser Stelle der Wasserspiegel zu einem unterirdischen See an. Natürlich kann man ihn besuchen, geführt von den Geologen der Associazione Galleria Borbonica. Wie die toten Seelen von Charon wird man auf einem Floß durch die absolute Dunkelheit gefahren. Taschenlampe und Schutzhelm sind im Ticket inklusive.

Wer weiß, wie viele Geheimnisse Neapels dunkler Schoß behütet! Noch gibt es Ausgrabungen in den modrigen Galerien. Wer will, kann sich als freiwilliger Ausgräber melden. Jeden Sonntag wird weiter gebuddelt.

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BUSSE 151 / 140 BIS PIAZZA VITTORIA
ODER U-BAHN-LINIE 1 BIS PIAZZA AMEDEO (CA. 10 MINUTEN FUSSWEG)

Piazza dei Martiri

TIPP FÜR HUNGRIGE

ZWEI RESTAURANTS IN DER VIA ALABARDIERI. BEI HAUSNUMMER 34–36 DAS HAMBURGER-RESTAURANT 12 MORSI UND BEI HAUSNUMMER 30 EINE INSTITUTION: DA UMBERTO. SCHON DOMENICO MODUGNO ALIAS »MISTER VOLARE« LIEBTE DIESEN ORT.

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Neapel ist so reich an Sehenswürdigkeiten, dass man an manchen Orten vorbeigeht, ohne Notiz von ihnen zu nehmen. Und doch gibt es unzählige Ecken voll stiller Poesie. Um sie herum wimmelt die neapolitanische Lebendigkeit – Motorroller rechts und links, hupende Autos, laut palavernde Passanten vorn und hinten –, aber manchmal stellt sich ganz unvermutet ein Moment intensiven Innehaltens ein. Einer dieser für mich besonderen Orte befindet sich an der Piazza dei Martiri, dem Herz des bürgerlichen Lebens im Viertel Chiaia. Wer hier wohnt oder in den Geschäften in den kleinen Straßen rund um den Platz einkaufen geht, ist entweder wohlgeboren oder hat es einfach geschafft.