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Ashley Carrington

Jessica

Die Insel der verlorenen Liebe

Roman

hockebooks

13

Mitchell konnte mit dem Ergebnis seiner Zeichnung zufrieden sein, denn sie gab die armselige Heimstatt des Töpfers sehr gut wieder. Doch das Gefühl der Genugtuung, das man gewöhnlich empfindet, wenn man eine Arbeit nach besten Kräften und mit sichtlich gutem Erfolg abgeschlossen hat, stellte sich bei ihm nicht ein.

Er hockte am Waldrand auf einem Baumstumpf, starrte auf die Bleistiftzeichnung und grübelte darüber nach, warum er nicht zufrieden war. Dem Bild fehlte etwas. Dabei waren das Haus und die schäbigen Nebengebäude, die sich unter den dunklen Wolken einer heranziehenden Regenwand wie geprügelte Hunde zu ducken schienen, sehr genau getroffen. Getreulich hatte seine inzwischen geübte Hand mit dem Graphitstift wiedergegeben, was seine Augen sahen. Dennoch erschien es ihm unvollständig. Irgendetwas, das nicht vordergründig war und sich nicht in Linien fassen ließ, fehlte.

Und dann wusste er auf einmal, was ihn so irritierte und ungehalten stimmte: Diese Zeichnung hatte ein fehlerloses Gesicht, doch ihr fehlte die düstere Seele, die sich hinter den sichtbaren Dingen verbarg! Sie gab einfach nicht die tiefe Trostlosigkeit und Niedergeschlagenheit wieder, die er in seinem Innern empfand, wenn er von seinen täglichen Spaziergängen zurückkam und die Heimstatt erblickte. Um diesem Gefühl zeichnerisch Ausdruck zu verleihen, bedurfte es jedoch eines wahren Künstlers.

Mitchell schlug das Skizzenbuch zu, und seine Gedanken verließen diesen beklemmenden Ort. Sie erhoben sich von der abgelegenen Lichtung und kehrten zurück zur sonnenüberfluteten Bucht, zurück zu jenen Tagen des Glücks, die er dort mit Jessica verbracht hatte.

Er sah sie wieder vor sich, wie sie im warmen Licht der Abendsonne aus dem Wasser kam und ihm entgegenlief, lachend, den Kopf zurückgeworfen und in atemberaubender Nacktheit. Er sah, wie ihre Brüste im Rhythmus ihrer Schritte auf und ab tanzten und wie sich die Muskeln geschmeidig unter ihrer feuchten, glänzenden Haut bewegten. Und dann schob sich ihr verklärtes Gesicht vor sein geistiges Auge, das vom schwachen Schein des heruntergebrannten Feuers aus der Dunkelheit des Zeltes gehoben wurde, während sie sich mit einem letzten Seufzer der abklingenden Lust auf seine Brust sinken ließ.

Das Schlagen einer Tür verjagte den Tagtraum, in den er sich geflüchtet hatte, und er blickte auf. Er sah Sarah aus dem Werkstattschuppen kommen. Sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als würde sie Tränen wegwischen, atmete tief durch, schüttelte sich die Haare aus und blickte zum Himmel hoch, wo sich im Nordwesten die dunklen Wolken auftürmten. Dann senkte sie den Kopf wieder, und er sah, wie auch ihre schmalen Schultern heruntersackten, als wollte sie nicht länger gegen die Müdigkeit ankämpfen, die sie nach dem langen Arbeitstag an der Seite ihres Vaters von Kopf bis Fuß erfüllte. Gut eine geschlagene Minute stand sie so da. Dann straffte sich ihre zarte Gestalt, und sie verschwand in dem schmalen Durchgang zwischen Werkstatt und Wohnhaus.

Mitchell ahnte, wohin sie ging. Einen Augenblick zögerte er. Dann aber erhob er sich von seinem Sitzplatz unter den hohen Bäumen und überquerte forschen Schrittes das freie Feld zwischen Waldrand und Heimstatt. Erst als er die Töpferei erreicht hatte, verlangsamte er seinen Schritt.

Als er den Durchgang hinunterging, hörte er das rhythmische, hölzerne Geräusch des Fußpedals, mit dem Cedric Blunt den Riemen für die Töpferscheibe antrieb. Er sah ihn im Geiste vor sich, wie er stumm und mit verschlossenem Gesicht über die Scheibe gebeugt saß, während sich der Ton unter seinen rot gefärbten Händen formte und sich aufwärts wand, als würde er unter seinen Fingern zum Leben erweckt. Wie gerne hätte auch er sich dort im Schuppen nützlich gemacht!

Er trat hinter dem Schuppen hervor. Sarah hielt sich, ganz wie er es vermutet hatte, in der hölzernen Einfriedung auf, die das Grab ihrer Mutter umgab. Sie kniete vor dem aufgeworfenen Erdwall, an dessen Kopfende das schlichte Holzkreuz aufragte. Davor stand eine wunderschöne, goldbraun glasierte Tonvase auf einem flachen, polierten Feldstein von der Größe eines Esstellers. Weiße Blumen mit sterngleichen Blüten, die dem Edelweiß ähnlich waren und Flanellblumen hießen, ragten aus der Vase und gaben dem ansonsten schmucklosen Grab etwas Würdevolles. Mitchell konnte sich nicht erinnern, in den Monaten seines Aufenthalts bei den Blunts diese Vase auch nur einen Tag ohne frische Blumen gesehen zu haben. Und er hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Sarah auch im Winter etwas Schmückendes finden würde. Denn sie allein sorgte für die Blumen und hielt die Grabstelle frei von Unkraut.

Er hatte plötzlich Gewissensbisse, da er drauf und dran war, die stumme Zwiesprache mit ihrer verstorbenen Mutter zu stören, nur weil er das Verlangen hatte, mit ihr zu reden. Er hatte außer ihr niemanden, mit dem er ein Gespräch führen konnte, da Cedric bis auf seine abendlichen Bibellesungen ja kaum den Mund aufmachte. So blieb ihm meist nur der frühe Morgen, wenn Sarah in der Küche Feuer machte, und der Abend, wenn sie mit den Essensvorbereitungen begann, während ihr Vater noch eine knappe Stunde allein in seiner Werkstatt arbeitete, um sich mit ihr ungestört zu unterhalten.

›Ich werde im Haus auf sie warten. Sie wird bestimmt bald kommen‹, sagte er sich und wollte sich schon zurückziehen, doch da sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen: »Bleiben Sie nur. Sie stören mich nicht!«

»Oh!« Er hatte geglaubt, sie hätte ihn nicht bemerkt. Etwas verlegen, doch erfreut, dass sie ihn zu bleiben bat, trat er durch die kleine Pforte im Zaun und setzte sich rechts von ihr ins Gras. »Ich sah dich aus der Werkstatt kommen. Ich habe drüben am Wald gesessen und eine Zeichnung von dem Haus und der Töpferei angefertigt.«

»Es ist ein großes Geschenk, wenn man mit einem solchen Talent gesegnet ist«, sagte sie, den Blick auf das Kreuz gerichtet.

Er lachte leise auf. »Oh, ein großes Talent kann man meine Kritzeleien bestimmt nicht nennen, Sarah. Ich vertreibe mir damit doch nur die Zeit. Zu einem wirklichen Künstler habe ich nicht das Zeug.«

»Machen Sie Ihre Zeichnungen nicht schlechter, als sie sind! Sie können sehr wohl zeichnen. Ich habe Ihre Bilder gesehen. Blumen, Bäume, Landschaften – alles habe ich wiedererkannt. O ja, es ist eine große Gabe, all die schnell vergänglichen Dinge mit ein paar genialen Strichen auf dem Papier festzuhalten«, sagte sie nachdrücklich. »Eine Blume, die vielleicht schon morgen verblüht ist, blüht auf ewig in Ihrem Skizzenbuch. Das ist etwas sehr Kostbares.«

Sie hatte einen merkwürdigen Ernst, der ihn immer wieder rührte, wenn er mit ihr sprach. Sie war dankbar für die kleinsten Geschenke der Natur. Das Glitzern des Morgentaus an einem sonnigen Tag konnte sie ebenso in andächtiges Staunen versetzen wie die Schönheit eines bunten Schmetterlings. Und wie sehr hatte sie sich über seine eigentlich doch recht bescheidenen Geschenke gefreut, über die paar Längen Stoff, die Bänder und den Kamm. Sie war erst ganz fassungslos gewesen und hatte dann still geweint. So groß war die Freude gewesen. Es war das erste Mal gewesen, dass ihr jemand ein Geschenk gemacht hatte, seit ihre Mutter gestorben war, wie sie ihm später erzählt hatte.

»Nun ja, auch Bilder halten nicht ewig«, wandte er ein, da er sich wahrlich nicht für einen begabten Zeichner hielt. Er konnte recht gut wiedergeben, was er sah. Aber die Beherrschung des Handwerklichen machte noch lange keinen Künstler. Dazu fehlte ihm der Impetus, das Kreative und Schöpferische, das etwas Neues erschaffen konnte und nicht nur eine Kopie des Bestehenden lieferte.

»Aber doch sehr lange. Ich wünschte, meine Mutter wäre jemandem wie Ihnen begegnet. Vielleicht hätte ich dann ein Bild von ihr«, sagte sie verträumt. »Das wäre doch schön, nicht wahr? Ich könnte es mir dann immer ansehen, wenn mir danach ist. Wissen Sie, meine Mutter war eine schöne Frau. Ich kann mich nach den vielen Jahren nicht mehr genau an sie erinnern, ich meine, an ihre Gesichtszüge. Doch ich erinnere mich noch daran, dass ich sie schon als kleines Kind wegen ihrer Schönheit bewundert habe.«

»Das will ich dir gerne glauben. Kein Wunder, dass du so hübsch bist. Du schlägst offensichtlich deiner Mutter nach«, sagte er leichthin, um sie aufzumuntern.

Ihre Wangen röteten sich. »Ja, finden Sie, dass ich ein wenig hübsch bin?«, fragte sie verlegen und doch begierig darauf, sein Kompliment noch einmal bestätigt zu bekommen.

»Ein wenig? Nein! Du bist sogar ausgesprochen hübsch«, tat er ihr den Gefallen, und es wurde ihm bewusst, dass er übertrieb.

»Das hat noch niemand zu mir gesagt.«

Er seufzte. »Tja, viel Besuch bekommt ihr hier ja wirklich nicht. Dein Vater sollte dich mal in die Stadt mitnehmen, wenn er seine Waren liefert …«

Sie presste die Lippen aufeinander und fixierte die weißen Flanellblumen in der Vase. »Ja, manchmal sehne ich mich danach, mal etwas anderes zu sehen als dies hier«, sagte sie dann und machte eine Geste, die die Heimstatt und die nähere Umgebung einschloss. »Aber er will es nicht. Seit Mutter tot ist, meidet er die Menschen und ist so verschlossen geworden. Er hat … ihren Tod nicht verkraftet, bis heute nicht.«

»Woran ist sie denn gestorben?«, fragte er mitfühlend.

Sie schien ihm die Antwort schuldig bleiben zu wollen. »Es war ein Unfall. Ja, es war ein Unfall«, kam es dann leise über ihre Lippen. Sie wiederholte den Satz so nachdrücklich, als müsste sie sich das selbst noch einmal bestätigen.

»Und was war das für ein Unfall?«, fragte er nach.

»Es war ein schrecklicher Unfall. Es ist einfach passiert. Schuld hatte keiner, und wenn einer Schuld hatte, dann ist diese Schuld längst bezahlt. Jeder hat auf seine Weise gebüßt, und ich weiß nicht, welche schrecklicher ist«, murmelte Sarah scheinbar konfus.

Mitchell spürte einen kalten Schauer über seinen Körper laufen. Er ahnte, dass der mysteriöse Tod von Sarahs Mutter der Schlüssel zu Cedrics Einsiedlerleben und seiner Verschlossenheit war, und er hätte das Geheimnis gern gelüftet, das er schon vom ersten Tag an gespürt hatte, ohne es jedoch beim Namen nennen zu können. Irgendetwas Schreckliches lastete auf Cedric Blunt und damit auch auf Sarah. Doch was war es nur, was ihr Leben so freudlos machte?

»Von welcher Schuld sprichst du?«, fragte er sanft. »Sarah, du kannst es mir ruhig anvertrauen. Ich verspreche dir, dass niemand von mir etwas erfahren wird. Vielleicht tut es dir gut, wenn du einmal darüber reden kannst. Weißt du, es tat mir ungeheuer gut, als ich mich nicht länger vor dir verstellen musste und ich dir anvertrauen konnte, dass mein wirklicher Name Mitchell Hamilton ist und nicht James Prescott. Ich kann mir denken, dass es zu einer schrecklichen Last werden muss, wenn man jahrelang mit niemandem über das sprechen kann, was einen bedrückt und immer wieder beschäftigt. Jeder muss einen anderen Menschen haben, bei dem er sich aussprechen kann. Wenn du mir vertraust, möchte ich gern dieser Mensch für dich sein, Sarah. Doch wenn du nicht darüber reden willst, werde ich dich auch nicht mehr danach fragen.«

Sie sah ihn nun zum ersten Mal an, und er stellte fest, dass er sich vorhin auf dem Baumstumpf nicht getäuscht hatte. Sie hatte geweint und sich tatsächlich Tränen vom Gesicht gewischt, als sie aus der Werkstatt gekommen war. Ihre stark geröteten Augen verrieten das deutlich.

»Danke, das ist sehr nett von Ihnen«, sagte sie, und nun trat ein feuchter Schimmer in ihre Augen. »Ich werde es Ihnen erzählen, aber nicht jetzt. Ich habe schon zu lange hier verbracht. Vater wird schimpfen, wenn er sich an den Tisch setzt und das Essen dann noch nicht fertig ist.« Sie erhob sich.

Auch Mitchell stand auf. Jetzt, wo er wusste, dass sie ihm ihr Geheimnis anvertrauen würde, konnte er warten. »Ich werde dir zur Hand gehen, wenn du nichts dagegen hast.«

Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Oh, nein. Nur darf Vater es nicht wissen!«

»Ich denke, das werden wir beide schon hinkriegen, oder?« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

Sie gingen ins Haus. Als er das Feuer neu entfachte und Holz auflegte, hatte er plötzlich einen Einfall. Er drehte sich zu Sarah um, die Kartoffeln schälte.

»Mir ist gerade etwas eingefallen«, sagte er. »Du hast völlig recht: Es ist schade, dass niemand deine Mutter gezeichnet hat, denn dann hättest du heute eine schöne Erinnerung an sie. Leider ist daran nichts zu ändern. Aber meinst du nicht, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen sollte?«

»Das verstehe ich nicht«, sagte sie mit einem verwirrten Lächeln auf dem Gesicht.

»Nun, ich denke, dass deine Kinder sich später bestimmt darüber freuen werden, wenn sie sich eine Zeichnung ansehen können, die ihre Mutter zeigt, als sie noch gar nicht auf der Welt waren«, sagte er mit einem breiten Lächeln, und er beglückwünschte sich im Stillen zu seiner Idee. Sarah hatte es wirklich verdient, dass man ihr eine Freude machte. »Du wirst mir Modell sitzen, und ich fertige ein Porträt von dir an.«

Ihre Augen wurden groß, und sie öffnete den Mund, legte ihren Zeigefinger auf die Unterlippe, während sie die Luft einsog. »Ein Porträt?«, wiederholte sie dann ungläubig.

»Ja! Es wird mein erstes sein und deshalb bestimmt kein Meisterwerk. Aber ich verspreche dir, dass ich mir größte Mühe geben werde!« Er lachte.

»Und das würden Sie wirklich tun?«, fragte sie.

»Aber ja doch! Wenn du dir nicht zu schade bist, dass ich mich an dir als Porträtzeichner versuche«, scherzte er.

»O mein Gott, ein Porträt!«, stieß sie aufgeregt hervor, und ihre Augen sprühten vor Freude. »Ein richtiges Porträt von mir! Ich kann es gar nicht glauben! Das wäre wunderbar! Aber Vater darf nichts davon wissen. Er würde es nicht billigen, verstehen Sie?«

»Keine Sorge, dein Vater wird nichts davon erfahren, geschweige denn es zu sehen bekommen!«, versprach er.

Sie schenkte ihm ein warmes, glückliches Lächeln, das ihm zu Herzen ging. Und als sie nachher bei Tisch so gut wie nichts zu sich nahm, sondern nur in ihrem Essen stocherte und recht blass im Gesicht war, führte er das auf ihre übergroße Freude zurück. »Ich hol’ noch etwas trockenes Holz ins Haus, bevor es zu regnen anfängt«, murmelte sie dann, schob den noch fast vollen Teller von sich und eilte hinaus. Niemand sah, dass sie sich im Schutz eines Gebüsches erbrach.

14

»Als ich Ihnen riet, Glenn Pickwick ins Geschäft zu nehmen, damit er Deborah Simonton auf die Finger guckt und Sie vor erheblichen finanziellen Verlusten bewahrt, wusste ich, dass er seinen Beruf versteht und Ihr Vertrauen verdient. Er ist dieser durchtriebenen Frau ja auch auf die Schliche gekommen und hat ihre Betrügereien zum Glück noch frühzeitig aufdecken können«, sagte William Hutchinson nicht ohne Stolz, nachdem er sich angehört hatte, weshalb Jessica zu ihm gekommen war. »Aber dass er nicht mit Gold aufzuwiegen ist, ahnte ich damals leider noch nicht. Dann hätte ich Ihnen nämlich ein bedeutend höheres Honorar berechnet!«

Jessica lächelte. »Sie meinen also nicht, dass sein Vorschlag mit der Geschäftsraumerweiterung zu weit geht und seine Verkaufserwartungen unrealistisch sind?«

Der Anwalt lehnte sich in seinem alten, knarrenden Lehnstuhl zurück und hakte die Daumen in die kleinen Seitentaschen seiner grauseidenen Weste. Er war ein hagerer Mann von zweiundfünfzig Jahren und wenig ansprechendem Äußeren. Blass und schlaff wie Hamsterbacken hing die Haut an seinem Gesicht herab. Wer ihn nicht kannte, musste ihn für einen müden, kraftlosen Mann halten, dessen verschleierte Augen kaum noch etwas wahrnahmen und dessen Urteil so viel wert war wie die arg ramponierte, nachlässig gepuderte Perücke, die sein schütteres Haar verbarg.

Doch dieser Eindruck hätte trügerischer nicht sein können. William Hutchinson mochte zwar den verschleierten Blick einer Eule haben, die eine Maus nur noch erspäht, wenn man sie ihr direkt vors Gesicht hielt, doch in Wirklichkeit entging seinen Augen nichts. Kein noch so kleiner Hinweis auf menschliche Regungen blieb ihnen verborgen. Hinter der Maske des Mannes, der sich aufgegeben zu haben schien, verbargen sich ein wacher, regsamer Geist, scharfe Beobachtungsgabe, fachliches Können und Geschäftstüchtigkeit.

»Robert Campbell ist Ihnen doch ein Begriff, nicht wahr?«, antwortete er mit einer Gegenfrage, die nichts mit den Überlegungen zu tun zu haben schien, die Jessica ihm vorgetragen hatte.

»Wer kennt ihn nicht, Mister Hutchinson? Robert Campbell gehört zu den erfolgreichsten und vermögendsten Kaufleuten der Kolonie«, sagte sie und war gespannt, wie er den Bogen von Robert Campbell zurück zu ihr schlagen würde. Denn dass er irgendeinen inneren Zusammenhang zwischen einem Kaufmann wie Campbell und ihr sah, daran zweifelte sie nicht eine Sekunde. William Hutchinson war kein Mann, der sich über Dinge ausließ, die nichts mit dem Thema zu tun hatten.

Er nickte nachdrücklich. »Das stimmt, obwohl Simeon Lord meint, dass er Robert Campbell noch den Rang abläuft. Aber das weiß unsereins natürlich nicht zu beurteilen. Sicher ist jedoch, dass Simeon Lord an der Bridge Street das stattlichste Haus der ganzen Kolonie besitzt und dass Robert Campbell sein Warenlager in letzter Zeit beachtlich aufgestockt hat. Möchten Sie wissen, was allein sein Zuckervorrat wert ist?«

Jessica hatte an solchen Informationen stets ein reges Interesse. »Aber sicher! Ich hätte auch nichts dagegen, wenn ich mal eine Stunde in seinem Hauptbuch blättern könnte«, gab sie ehrlich zu. »Das würde ich mir sogar etwas kosten lassen.«

Die Andeutung eines Lächelns hob Hutchinsons schlaffen Mundwinkel. »Sie würden dann die Eintragung finden, dass sich der Wert des augenblicklichen Lagerbestandes an Zucker auf fünftausend Pfund Sterling beläuft«, sagte er mit der genüsslichen Miene eines Mannes, der sich der Wirkung seiner Worte sicher ist. »Und das ist nur ein Lagerposten.«

»Fünftausend Pfund? Unglaublich!«, rief Jessica. »Er könnte den Ankauf des Grundstücks, den Neubau und die Erweiterung meines Lagerbestandes allein mit seinem Zucker finanzieren.«

»Richtig, er könnte sogar sehr leicht ein paar tausend Pfund nehmen und in bester Lage ein Geschäft wie Brading’s eröffnen – nur dann mit Sicherheit gleich dreimal so groß, denn mit Brosamen gibt sich Mister Campbell im Geschäftsleben nicht ab«, erklärte er sarkastisch.

»Heißt das, ich soll besser die Finger davon lassen, weil Mister Campbell mir in die Quere kommen könnte und ich keine Chance hätte, in großem Stil mit ihm zu konkurrieren?«, fragte sie ein wenig verwirrt.

»Ja und nein.«

»Das nennt man wohl die Antwort eines Anwalts, der sich seiner Sache nicht allzu sicher ist und es vermeiden will, sich in die Nesseln zu setzen«, spottete sie.

Er verzog das Gesicht nun zu einem amüsierten Lächeln. »Es gibt nur einen sicheren Weg, die Nesseln zu meiden, Missis Brading: Man muss sein Handwerk verstehen und die richtigen Entscheidungen treffen. Robert Campbell gehört zu den wenigen Geschäftsleuten, die dem Sprössling schon ansehen, zu welcher Stärke er heranwachsen wird – und Glenn Pickwick! Beide erkennen ganz klar die ungeheuren Gewinnchancen, die sich auf fast allen Gebieten in unserer Kolonie bieten. Wenn man nur die Augen offen hält, arbeitsam ist – und zu den Ersten gehört, die diese Chance mit dem richtigen Elan wahrnehmen. Sie selbst haben in der Vergangenheit ja schon mehrfach bewiesen, dass auch Sie es ausgezeichnet verstehen, die Witterung eines guten Geschäftes aufzunehmen, beherzt Herausforderungen anzunehmen und sie zu Erfolgen zu machen.«

Sie nahm sein Kompliment mit einem kaum merklichen Neigen ihres Kopfes zur Kenntnis. Den Respekt, den er ihr entgegenbrachte, erwiderte sie uneingeschränkt. »Sie sagten ja und nein. Ich nehme an, diese Ausführungen eben bezogen sich auf das Ja. Ich bin gespannt, was Sie zu dem Nein zu sagen haben«, forderte Jessica ihn auf, ihr auch seine Vorbehalte darzulegen.

»Um es gleich vorwegzunehmen: Glenn Pickwick ist auf diesem Gebiet der Fachmann. Sein Rat soll bei Ihnen mehr Gewicht haben als das, was ich dazu zu sagen habe. Im Großen und Ganzen stimme ich mit ihm überein. Sie sollten die Gelegenheit wirklich nutzen und expandieren. Doch wenn Sie das tun – und das ist mein einziger Vorbehalt –, dann sollten Sie nicht auf halber Strecke stehen bleiben, sondern beherzt das einzig wahre Ziel ins Auge fassen, nämlich das erste Geschäft dieser Art in Sydney und damit in der ganzen Kolonie zu werden.«

»Ich höre Pickwick sprechen«, sagte sie mit freundschaftlichem Spott.

»Ich meine, eine mittelmäßige Erweiterung lohnt den ganzen Aufwand nicht«, erläuterte der Anwalt seine Ansicht. »Jetzt ist Ihr Geschäft eine Goldgrube, wie Sie sagen. Wenn Sie den Verkaufsraum nur verdoppeln und noch jemanden anstellen, ohne aber sonst grundlegende Änderungen vorzunehmen, machen Sie gewiss mehr Umsatz, doch ob dabei auch mehr unter dem Strich für Sie herauskommt, ist noch längst nicht gesagt. Wenn Sie dagegen wirklich ein prächtiges Geschäftshaus mit stattlichen Räumen errichten lassen und Brading’s in Ausstattung und Angebot zum exklusivsten Geschäft in New South Wales machen, dann dürfte sich der Einsatz lohnen. Das sollten Sie sich gut überlegen, bevor Sie eine Entscheidung treffen. Ich jedenfalls bin nicht für halbe Sachen.«

Sie überlegte einen Moment. »Das würde mich einige tausend Pfund kosten.«

Er nickte. »Die Sie nicht bereuen werden, wenn Sie sie richtig einsetzen. Richten sie die Räume so elegant und kostbar wie möglich ein, mit Seidentapeten an den Wänden und weichen Teppichen auf dem Boden, dazu gemütliche Sitzmöbel, die zum Verweilen einladen. Gelingt Ihnen das, dann werden Sie für Ihre Waren stolze Preise nehmen und sich dennoch vor Kundschaft nicht retten können.«

Jessica fand die Vorstellung berauschend, Brading’s in einem ganz neuen Glanz erstrahlen zu lassen. Und warum sollte sie es nicht wagen? Sie hatte das Geld dazu. Seven Hills warf genug Erträge ab, um dieses kostspielige Unternehmen zu finanzieren. Das Geschäft selber und die Comet brachten ja auch noch einiges ein.

»Also gut, ich werde es wagen!«, entschied sie. »Ich werde Mister Bailey einen angemessenen Preis für sein Anwesen zahlen und das Haus niederreißen lassen. Brading’s wird das erste Geschäft am Ort sein, und niemand wird unser exklusives Angebot übertreffen. Das wird unsere Geschäftsmaxime sein!«

»Das ist die Missis Brading, die ich kenne und schätze«, sagte William Hutchinson mit unverhohlener Bewunderung, »und wenn es meine finanziellen Mittel zuließen, würde ich Sie fragen, ob Sie Interesse an einem stillen Teilhaber hätten. Aber leider … Außerdem würden Sie sicher nicht den Kuchen mit jemandem teilen, wenn Sie ihn ganz für sich haben können.«

»Das will ich nicht leugnen«, stimmte sie fröhlich zu. »Aber wie ich Sie kenne, finden Sie auch noch andere lukrative Geschäftsbeteiligungen.«

»In der Tat«, bestätigte er und rieb sich die Knöchel seiner Hand. »Im Augenblick habe ich jeden Penny, den ich auftreiben konnte, in die Pacific investiert.«

Sie sah ihn überrascht an. »Seit wann investieren Sie denn in Schiffe?«

»Seit ich erfahren habe, dass Captain Samuel Morgan in arger finanzieller Bedrängnis ist. Ihm gehört die Pacific ein Walfänger von dreihundertfünfzig Tonnen in erstklassigem Zustand.«

»Im Hafen habe ich einen Walfänger vor Anker liegen sehen. Ist das die Pacific

Er nickte. »Seit drei Wochen liegt sie schon hier fest. Sie kann erst auslaufen, wenn Captain Morgan seine Schulden beglichen hat. Wenn ich könnte, würde ich sie ganz übernehmen. Doch von den viertausend Pfund, die er braucht, konnte ich nur zweitausend aufbringen.«

»Spielschulden?«, fragte Jessica.

Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Spielkarten fasst Morgan nicht an. Nein, er hat sich ganz einfach übernommen, als er den Walfänger auf Kiel legen ließ. Sein Vater hatte ihm eine beachtliche Summe vererbt, aber dennoch war die Pacific für seine finanziellen Möglichkeiten von Anfang an einige Nummern zu groß, oder aber er hätte sich einen längerfristigen Kredit besorgen müssen. Doch statt das zu tun oder sich einen Teilhaber zu nehmen, verschuldete er sich kurzfristig bis zum Hals und spekulierte darauf, vom Erlös der ersten beiden Fahrten seine Schulden begleichen zu können. Doch der Gewinn reichte dazu bei Weitem nicht aus. Und nun droht er die Pacific zu verlieren, weil seine Gläubiger nicht länger warten wollen, dabei könnte Captain Morgan ihnen die Restschuld nach seiner dritten Reise gewiss mit Leichtigkeit bezahlen. Aber das wollen sie natürlich nicht. Sie geben sich auch mit extrem hohen Zinsen nicht zufrieden.«

»Und da sehen Sie Ihre Chance und wollen nun das Schiff, nicht wahr?«, mutmaßte Jessica.

»Nicht ganz, aber so ähnlich verhält es sich schon. Denn wenn Captain Morgan nicht innerhalb der nächsten Tage die restlichen zweitausend Pfund zusammenbekommt, werden die Wechsel fällig. Dann muss er sich ihren halsabschneiderischen Forderungen beugen und sich verpflichten, ihnen nicht nur vierzig Prozent am Schiff zu überschreiben, sondern ihnen auch noch zusätzlich einen zwanzigprozentigen Bonus vom Gewinn der nächsten beiden Fahrten zu zahlen.«

»Damit bekämen sie dann ja sechzig Prozent bei zwei Fahrten! Das ist ja die reinste Erpressung!«, empörte sich Jessica.

Er zuckte die Achseln. »Mag sein, aber Captain Morgan ist kein dummer Ladenjunge. Er hat zwar gewusst, mit wem er sich da eingelassen hat, aber geglaubt, ihnen einen Strich durch die Rechnung machen zu können. Dabei hat er nun den Kürzeren gezogen, und jetzt muss er sehen, wie er seinen Hals wieder aus der Schlinge herausbekommt, ohne dabei alles zu verlieren. Sagen Sie, hätten Sie nicht Interesse, für zweitausend Pfund zwanzig Prozent an einem Walfänger zu erstehen, der gut und gerne sechzehn-, siebzehntausend Pfund wert ist?«

»Das klingt wirklich nach einer guten Investition. Nur verstehe ich nichts vom Walfang, um beurteilen zu können, ob es sich auch wirklich um eine gute Geldanlage handelt«, sagte Jessica zurückhaltend.

»Es ist sogar eine erstklassige Anlage, Missis Brading!«, versicherte der Anwalt. »Nur eine gute Fahrt, und Sie haben Ihre zweitausend Pfund und mehr wieder heraus, bleiben jedoch auch weiterhin mit Ihren zwanzig Prozent beteiligt.«

»Was bringt denn so ein Wal?«

»Man rechnet immer in Fass«, erklärte William Hutchinson bereitwillig. »Die größten Wale entsprechen rund sechzig Fass, wobei man für jedes Fass etwa hundert Pfund Erlös rechnet. Ein großer Wal bringt also an die sechstausend Pfund Sterling, und wenn man das Glück hat, während einer Reise mehrere von diesen Riesen des Meeres zu erlegen, dann können Sie sich ja ausrechnen, wie gewinnbringend so eine Beteiligung sein kann.«

»Und wo liegt der Haken? Denn wenn es keinen gäbe, hätten Sie oder Captain Morgan doch bestimmt schon jemanden gefunden, der sich auf dieses erstklassige Schiff, wie Sie behaupten, gestürzt hätte«, machte sie aus ihrem Misstrauen kein Hehl.

Er seufzte scheinbar betrübt. »Wie schade, Ihnen kann man wirklich nichts aufschwatzen. Sie sind so skeptisch wie die Versicherungsbrüder in London, die auch nicht eher Ruhe geben, bis sie nicht alles in Erfahrung über Schiff, Fracht und Mannschaft gebracht haben, was ein Sterblicher nur herausfinden kann, ehe sie eine Versicherungspolice mit ihrem Namen versehen«, klagte er und wurde dann wieder ernst. »Sie haben vollkommen recht: Jedes Geschäft, das auf außergewöhnlichen Gewinn spekuliert, hat einen Haken. Bei der Pacific ist es folgendes: Die Reise eines Walfängers muss nicht, kann aber manchmal doch recht lange dauern, nämlich bis zu drei Jahren.«

»Gibt es dafür einen besonderen Grund?«

»Walfang ist ein hartes Geschäft, und wer darin bestehen will, braucht eine gute Mannschaft und ein paar ausgezeichnete Harpunierer, die den Wal auch erlegen, wenn sie ihn gesichtet haben, und ihm in ihren kleinen Booten nachjagen«, führte der Anwalt aus, der sich intensiv mit der Materie beschäftigt hatte. »Doch auch die besten Harpunierer nützen nichts, wenn das Schiff in den falschen Gewässern kreuzt und keine Wale gesichtet werden. Eine gute Portion Glück entscheidet daher auch mit darüber, wie lange eine Walfangreise dauert. Denn erst wenn der Laderaum mit Walfässern gefüllt ist, nimmt ein Walfänger Kurs auf den nächsten großen Hafen, wo er seine Fracht verkaufen kann. Wer sein Geld also in ein Schiff wie die Pacific investiert, darf nicht mit schnellen Profiten rechnen, sondern muss sich darauf einstellen, unter Umständen eine hübsche Weile warten zu müssen, ehe er seine Ernte einbringen kann. Ich bin gewillt, dieses Risiko einzugehen, weil ich weiß, dass es sich in jedem Fall auszahlen wird. Ich hätte Sie eigentlich gern mit dabei, Missis Brading. Eine zwanzigprozentige Beteiligung an einem Walfänger wie die Pacific für nur zweitausend Pfund bietet sich einem vermutlich nur einmal im Leben. Und denken Sie an die Comet, wie gut Sie da mit Ihrer Beteiligung fahren. Sie haben in solchen Dingen eine glückliche Hand.«

Jessica war nicht abgeneigt. Hutchinson war kein Hasardeur, der sich in riskante Spekulationen einließ. Dafür war er viel zu intelligent. Er hätte beim Kartenspiel nicht einmal zehn Pfund auf ein verdecktes Blatt gesetzt, geschweige denn sein ganzes Vermögen riskiert. Wenn er also alles auf die Pacific setzte, dann war das ein Grund zu überlegen, ob sie sich nicht mit derselben Summe beteiligen sollte. Es war ein verlockendes Angebot, das sie reizte, je länger sie darüber nachdachte.

»Ehrlich gesagt, ich könnte mich schon dafür erwärmen, und ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen, Mister Hutchinson. Wie viel Zeit bleibt mir dazu?«

Er zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Jemand kann in diesem Moment schon die Zwanzig-Prozent-Beteiligung gezeichnet haben. Aber wenn Sie möchten, suche ich Captain Morgan unverzüglich auf und lasse mir eine Option geben. Damit wahren Sie Ihre Chance, ins Geschäft einzusteigen, auch wenn ein anderer Interesse an der Zwanzig-Prozent-Beteiligung zeigt. Doch wenn ein solcher auftaucht, müssen Sie sich entscheiden, ob Sie von der Option Gebrauch machen oder zurücktreten. Vorerst jedoch verpflichtet Sie das zu nichts.«

Dieser Vorschlag fand ihre Zustimmung. »Ja, damit bin ich einverstanden. Und sollte ich mich entschließen, mich gemeinsam mit Ihnen in das Abenteuer Walfang einzulassen, dann möchte ich, dass Sie meine Interessen gegenüber Captain Morgan vertreten. Es dürfte ja wohl nicht nötig sein, persönlich in Erscheinung zu treten, oder?«

»Keineswegs. Das lässt sich alles sehr diskret regeln. Captain Morgan wird mir die zwanzig Prozent zugunsten meines Klienten überschreiben, ohne zu wissen, wen ich vertrete. Es wird ihn auch nicht interessieren, wenn er das Geld nur rechtzeitig zusammenbekommt, diese Halsabschneider auszahlen und die Anker lichten kann«, versicherte der Anwalt.

»Ich lasse Sie wissen, wie ich mich entschieden habe, bevor ich aus Sydney abreise.«

»Und wann wird das sein?«

»Ich hoffe, in drei Tagen. Gestern habe ich einen berittenen Boten nach Seven Hills geschickt. Meine Kutsche müsste bei diesem trockenen Wetter morgen Abend, spätestens aber übermorgen hier eintreffen. Tags darauf gedenke ich dann aufzubrechen.«

Er neigte bedächtig den Kopf wie eine Schildkröte. »Das gibt Ihnen Zeit genug, zu einem wohl durchdachten Entschluss zu kommen.«

Jessica erhob sich, und er ließ es sich nicht nehmen, ihr den leichten Umhang aus dunkelbraunem Kaschmir umzulegen. »Es war mir, wie stets, ein außerordentliches Vergnügen, Sie beraten zu dürfen, Missis Brading, und ich sehe Ihrem nächsten Besuch schon jetzt mit freudiger Erwartung entgegen.«

»Ein außerordentliches Vergnügen, das Sie gewiss auch beim Abfassen Ihrer Rechnungen empfinden, wenn ich an die Höhe Ihrer Honorare denke«, frotzelte sie.

Sein Gesicht nahm einen fast herzzerreißend hilflosen Ausdruck an, als wüsste er nicht, womit er diese Schelte verdient hatte. Doch seine schlagfertig selbstbewusste Antwort strafte seine Nachsicht heischende Miene Lügen. »Würden Sie sich denn mit weniger als dem Besten zufriedengeben, wenn es um Belange von solcher Tragweite geht, Missis Brading? Na, sehen Sie! Und das Beste hat nun mal einen höheren Preis als das Mittelmäßige. Das ist zwar auf den ersten Blick sehr billig zu haben, kostet Sie aber im Endeffekt ein Vielfaches von dem, was Sie für das Beste hätten zahlen müssen.«

Sie lachte. »Besorgen Sie mir einen Baumeister, der meinen Ansprüchen gerecht wird, ohne sich jedoch an Ihren Honoraren zu orientieren.«

»Ich werde unverzüglich für Sie tätig werden, Missis Brading, und Sie auf dem Laufenden halten. Grüßen Sie Mister Pickwick.«

Jessica trat auf die Straße und atmete die milde Luft tief ein. Dann machte sie sich auf den Weg zum Geschäft. Man würde sie dort bestimmt schon ungeduldig erwarten. Ihre Unterredung mit dem Anwalt hatte sie doch länger in Anspruch genommen, als sie gedacht hatte.

Ihr schwirrte der Kopf von all den Dingen, die es zu überlegen und entscheiden galt. Sie blieb kurz stehen, wandte sich zur Bucht hin um und suchte die Pacific. Der Walfänger, ein stolzer Dreimaster, ankerte vor Point Bennilong, der äußersten Spitze der östlichen Landzunge von Sydney Cove.

›Ein schönes Schiff‹, ging es ihr durch den Kopf, als sie den Dreimaster eingehend musterte. Deutlich waren die langen, schlanken Walfangboote zu erkennen. Jeweils drei hingen an Backbord und Steuerbord ein gutes Stück über der Reling an ihren Davits. Die Boote zeigten einen frischen weißen Anstrich und bildeten so einen starken Kontrast zum Rumpf des Walfängers, der bis auf einen weißen Streifen auf halber Höhe zwischen Reling und Wasserlinie in einem Nachtblau schimmerte, das fast schon schwarz war. ›Und ein Fünftel davon könnte mir gehören – für zweitausend Pfund.‹

Sie ermahnte sich, ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zunächst einmal dem Geschäft und der jungen Frau zu widmen, auf die Glenn Pickwicks Auge gefallen war, und sie riss sich vom Anblick der Pacific los.

Als sie wenig später ihr Geschäft betrat, fand sie einen aufgeregten Glenn Pickwick vor, wie sie ihn bisher noch nie erlebt hatte. Er gab sich zwar alle Mühe, seine Nervosität vor ihr zu verbergen, doch es gelang ihm nicht. Der Grund war natürlich Constance Marlowe, die artig auf einem Schemel in der Ecke des Geschäftes gesessen, gewartet und sich bei ihrem Eintritt sofort erhoben hatte.

Glenn Pickwick hatte Schweißperlen auf Stirn und Oberlippe, als er ihr Constance Marlowe vorstellte, die vor ihr einen höflichen Knicks machte.

Sie war eine mittelgroße Frau von schlanker Gestalt und gefälligem Äußeren. Ihr Gesicht hatte einen offenen, sympathischen Ausdruck, der Vertrauen erweckte. Der Blick ihrer Augen war bescheiden, doch fest. Unter ihrer weißen Haube zeigte sich dunkelbraunes Haar, das so sauber war wie ihr schlichtes Kleid aus flaschengrünem Kattun. Ruhig stand sie da, die Hände vor der gestärkten Schürze. Ihre ganze Haltung drückte eine bescheidene Zurückhaltung aus, der jedoch nichts Unterwürfiges anhaftete.

»Du möchtest also bei Brading’s als Verkäuferin arbeiten?«, fragte Jessica.

»Ja, sehr gern sogar, Missis Brading«, gab die junge Frau mit ruhiger, angenehmer Stimme zur Antwort.

»Bisher warst du bei Missis Darcy beschäftigt, wie mir Mister Pickwick erzählt hat.«

Constance Marlowe nickte. »Das ist richtig. Ich bin seit fast anderthalb Jahren bei ihr.«

»Und warum willst du von ihr weg? Sie hat doch einen guten Ruf als Putzmacherin«, wollte Jessica wissen.

»Das hat sie wohl, und ich habe bei ihr auch eine Menge gelernt.«

»Und doch willst du von ihr weg?«

»Vor meiner Deportation war ich Verkäuferin, Missis Brading, und das Verkaufen liegt mir mehr als die Arbeit bei einer Putzmacherin.«

»Missis Darcy ist dafür bekannt, dass sie nur einen sehr geringen Lohn zahlt«, sagte Jessica, gespannt, was Constance Marlowe darauf antworten würde. »Willst du deshalb die Stellung wechseln?«

Constance zögerte kurz. Dann schaute sie Jessica gerade in die Augen und sagte: »Es ist wenig mehr als ein Hungerlohn, den Missis Darcy zahlt. Aber da ich keine Familie zu unterstützen habe, fällt das bei mir nicht so sehr ins Gewicht. Außerdem weiß ich ja noch gar nicht, ob Sie Ihrer neuen Verkäuferin mehr zahlen wollen, als Missis Darcy mir bisher an Lohn gezahlt hat.

Ich möchte das machen, was ich gelernt habe und was mir mehr Freude macht, und hier bei Ihnen zu arbeiten würde mir bestimmt mehr Freude machen als das, was ich bei Missis Darcy tun muss.«

»Und wenn ich dir zwei Shilling weniger Lohn biete, als du bisher bekommst? Wirst du dann bei mir arbeiten, Constance?«

Glenn Pickwick machte ein verständnisloses Gesicht. Sie wollte noch weniger zahlen als Missis Darcy? Das begriff er nicht. Jessica hatte sich bisher doch stets von einer sehr großzügigen Seite gezeigt. Und jetzt bot sie Constance eine Entlohnung an, die wirklich beschämend war.

Constances Gesicht zeigte unverhohlene Enttäuschung, doch ihre Stimme klang fest, als sie erwiderte: »Nein, dann werde ich nicht die Stellung wechseln, auch wenn Sie ein sehr schönes Geschäft haben. Dann ist es mir doch wichtiger, mich anständig kleiden zu können und nicht hungern zu müssen.« Sie atmete tief durch. »Ich danke Ihnen, dass Sie mich empfangen haben.« Sie wandte sich zum Gehen.

»Nicht so eilig, Constance«, sagte Jessica. Es gefiel ihr, wie Constance Marlowe sich verhalten hatte. Es lag nichts Unterwürfiges in ihrem Wesen und ihrem Blick, aber auch keine Überheblichkeit. Sie strahlte vielmehr eine natürliche Ruhe und Gelassenheit aus, und sie hatte ihre Fragen mit einer Offenheit und einem gesunden Stolz beantwortet, die Respekt verdienten. Sie hatte nicht einmal versucht, mit ihr über ein paar Shilling mehr Lohn zu feilschen.

Sie blieb stehen, wandte sich um und sah Jessica abwartend an.

»Du gefällst mir.«

Constance lächelte höflich und wartete.

»Mister Pickwick hat wirklich nicht zu viel versprochen. Ich verstehe, warum er so große Stücke auf dich hält. Du passt bestimmt gut in dieses Geschäft.«

»Das ist sehr nett von Ihnen, Missis Brading, aber ich sagte Ihnen doch, dass ich für weniger Lohn, als ich bei Missis Darcy bekomme, nicht arbeite«, antwortete sie ohne Vorwurf, aber bestimmt.

Jessica lächelte sie an. »Das sollst du auch nicht. Du bekommst bei mir erst einmal vier Shilling mehr. Wenn du dich gut machst und das Geschäft gut läuft, ist eine weitere Erhöhung nicht ausgeschlossen.«

Verblüffung zeigte sich auf Constance Marlowes Gesicht. »Das verstehe ich nicht. Erst wollen Sie mir weniger bezahlen als Missis Darcy, und jetzt bieten Sie mir auf einmal vier Shilling mehr.«

»Das war eine Frage, Constance, und kein Angebot«, erklärte Jessica. »Ich wollte nur wissen, wie du darauf reagieren würdest.«

»Ja, das hätte ich mir denken können«, stieß Glenn Pickwick mit einem Seufzer der Erleichterung hervor und tupfte sich mit dem Taschentuch die feuchte Stirn ab. Sein Lächeln fiel noch etwas verkrampft aus, als Jessica ihn anblickte.

»Ich … ich bin also eingestellt?«, fragte Constance.

Jessica nickte. »Ja, von mir aus kannst du morgen schon anfangen, wenn du mit Missis Darcy keine andere Vereinbarung getroffen hast.«

»Oh, das geht schon in Ordnung, Missis Brading!«, versicherte Constance mit freudestrahlendem Gesicht. »Ich danke Ihnen vielmals. Das hatte ich wirklich nicht erhofft.«

Sie war auch in ihrer Freude von angenehmer Zurückhaltung, was sie Jessica noch sympathischer machte. Glenn Pickwick hatte mit ihr eine ausgezeichnete Wahl getroffen, soweit sie das jetzt schon beurteilen konnte – sowohl privat als auch geschäftlich.

»Gut, dann ist das also erledigt«, sagte Jessica und fragte Glenn Pickwick: »Hat Captain Rourke Ihnen gestern noch wie versprochen die Kisten gebracht?«

Er nickte, und in seinen Augen leuchtete die Freude, dass sie Constance eingestellt hatte – und dann auch noch mit diesem guten Lohn. »Er brachte sie keine halbe Stunde später. Ich habe mich sofort an die Arbeit gemacht und ein buntes Sortiment von Waren zusammengestellt, von dem ich annehme, dass es bei den Farmern Anklang finden wird.«

Jessica ging mit ihm ins Lager hinüber und ließ sich von ihm zeigen, was er ausgewählt hatte. Sie war mehr als zufrieden. Das Angebot in den beiden Kisten war wohl durchdacht und ausgewogen. Es befriedigte den konservativen, sparsamen Kunden ebenso, wie es die Wünsche eines jungen Mädchens erfüllen konnte, das mehr auf die Schönheit eines bunten Tuches gab als auf seine Nützlichkeit.

»Zwei prächtige Schatzkisten«, urteilte sie. »Captain Rourke wird von nun an auf den abgelegenen Farmen noch willkommener sein, als er es jetzt schon ist.«

»Davon bin ich auch überzeugt«, stimmte er ihr zu.

Jessica sah ihm an, dass er darauf brannte, zu erfahren, was denn ihr Anwalt zu seinen Vorschlägen gesagt hatte und ob sie schon zu einem Entschluss gekommen war. Doch er beherrschte seine brennende Neugier und schnitt das Thema, das sie am Vortag so ausführlich erörtert hatten, mit keinem Wort an.

Sie hatte sich von ihm verabschiedet und stand schon in der Tür, als sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. »Ach, das hätte ich ja beinahe vergessen, Ihnen zu sagen, Mister Pickwick. Wir bauen das neue Haus und machen Brading’s zum ersten Laden von Sydney, wo es vom Kerzenleuchter bis zu schottischen Pantoffeln alles zu kaufen gibt.«

Er riss den Mund auf. »Wirklich?«, stieß er dann hervor.

»So wirklich wie ich vor Ihnen stehe, Mister Pickwick. Aber Sie werden eine Menge Arbeit bekommen, das kann ich Ihnen jetzt schon versichern. Also beschweren Sie sich später nicht, wenn Sie in der Arbeit, die so eine Geschäftsausweitung unweigerlich mit sich bringt, ersticken.«

»Das tue ich bestimmt nicht!«, versicherte er lachend.

»Gut, dann dürfen Sie Ihrer geheimen Leidenschaft, nämlich Listen anzufertigen, jetzt auch mit meiner Billigung frönen. Ich brauche eine detaillierte Aufstellung all jener Waren, die wir Ihrer Meinung nach in unser Angebot aufnehmen sollen, sowie eine entsprechende Kostenrechnung.«

»Mit Vergnügen, Missis Brading! Sie haben sie in ein paar Tagen.«

»Schicken Sie mir Ihre Aufstellung nach Seven Hills, und bewahren Sie absolutes Stillschweigen darüber. Das gilt auch für Miss Marlowe!«

»Sie haben mein Ehrenwort! Und für Constance lege ich meine Hand ins Feuer.«

»Das will ich nicht hoffen. Ich brauche Ihre Hände für wichtigere Dinge, wo ich mich nun mal entschlossen habe, mich in dieses kostspielige Abenteuer einzulassen.«

Als sie die Tür hinter sich zuzog und noch einen Augenblick im warmen Sonnenschein dastand, drang ein lauter Jubelschrei aus dem Geschäft zu ihr auf die Straße. Jessica lächelte über Glenn Pickwicks Begeisterung und ging dann die paar Schritte die Straße hinunter, wo der Eingang von John Baileys Werkstatt war.

Es war so, wie Glenn Pickwick gesagt hatte. Der Kerzenzieher wollte zu seinem Sohn auf die Farm ziehen und sein schäbiges Anwesen samt Grundstück verkaufen.

Sie wurden sich schnell handelseinig. Jessica hätte ihm das Fell über die Ohren ziehen können, machte ihm jedoch ein Angebot, mit dem sie beide zufrieden waren. Am nächsten Tag wurden die Dokumente im Büro von Mister Hutchinson unterzeichnet. John Bailey bekam die Kaufsumme in solider Goldwährung ausgezahlt, wie er es verlangt hatte, und Jessica hatte damit ihren Grundbesitz in Sydney verdreifacht.

»Sind Sie wegen der Pacific schon zu einem Entschluss gekommen?«, fragte der Anwalt, als der Kerzenzieher die Kanzlei verlassen hatte und sie unter sich waren.

»Zweitausend Pfund«, sagte Jessica versonnen.

»Für ein Fünftel an einem fast brandneuen Walfänger«, fügte Hutchinson hinzu.

Jessica überschlug im Geiste ihre Ersparnisse und die Ausgaben, die für die Geschäftserweiterung und das zu errichtende Gebäude zu veranschlagen waren. Ihre finanziellen Reserven waren zwar recht beachtlich, doch bei der Größe ihres geschäftlichen Vorhabens würde ihr Geld wie Schnee auf einer heißen Ofenplatte dahinschmelzen. Gewiss, völlig entblößen musste sie sich nicht, und von ihren Ersparnissen würde schon noch einiges übrig bleiben. Genug, um sich an der Pacific beteiligen zu können. Aber dann blieb ihr gerade noch genug Geld, um die laufenden Kosten von Seven Hills bestreiten zu können. Vernünftig wäre es nicht. Andererseits kannte sie niemanden, der mit reiner Vernunft sein Glück gemacht hatte. Manchmal musste man auch etwas wagen und eine Gelegenheit beim Schopfe fassen …

»Wenn Sie Glück haben, finanziert Ihnen die Pacific die Geschäftserweiterung«, meinte William Hutchinson und warf ihr einen verschleierten Blick zu.

»Oder auch nicht«, erwiderte sie trocken.

Er zuckte scheinbar gleichgültig die Achseln. »Oder auch nicht«, pflichtete er ihr bei. »Wie auch immer, morgen Abend brauche ich Ihre Entscheidung. Dann läuft die Option ab.«

»Morgen Mittag haben Sie meine Entscheidung.«

Am nächsten Morgen verließ Jessica Sydney und machte sich auf die zweitägige Reise zum Hawkesbury River, denn Craig war am Vortag mit der Kutsche aus Seven Hills eingetroffen. Doch bevor sie die Stadt verließ, schickte sie ihrem Anwalt noch ein Schreiben, in dem sie ihm mitteilte, dass sie ihre Schwäche für Schiffsbeteiligungen schlecht verleugnen könne und zweitausend Pfund in die Pacific investieren wolle. Sie hoffe jedoch, dass Captain Morgan bei der Auswahl seiner Harpunierer eine glücklichere Hand beweise als bei der Wahl seiner bisherigen Finanziers.

15

Die Fahrt führte sie wie immer über Parramatta, das um vieles sauberer und geordneter angelegt war als Sydney. Die blühende Siedlung, der das überaus fruchtbare Weide- und Ackerland der Umgebung sowie zahlreiche Werkstätten im Ort einen sichtbaren Wohlstand gebracht hatten, lag in einem sanft geschwungenen Bogen am Fuße eines Hügels, auf dessen Kuppe sich die Sommerresidenz des Gouverneurs erhob. Weinberge und gepflegte Obstplantagen bedeckten einen Teil der Hänge. Die Häuser der Bürger, ja sogar die einfachen Lehmhütten der Sträflinge und Emanzipisten standen ordentlich ausgerichtet und hatten zumeist noch einen sorgfältig umzäunten Vorgarten, in dem sie Kartoffeln und Gemüse zogen und damit ihre kargen Rationen aufbesserten.

Zahlreiche öffentliche Gebäude, Kornspeicher und Lagerhäuser, die sich größtenteils am Ufer um die Anlegestelle drängten, verrieten zudem, dass Parramatta schon immer die Sympathie und tatkräftige Unterstützung der Gouverneure genossen hatte. Es hatte sogar einmal eine Zeit gegeben, wo man ernstlich überlegt hatte, diese Siedlung zum Hauptsitz der Verwaltung und damit zum Zentrum der Kolonie zu machen. Doch letztlich hatte das betriebsame Sydney, die unbestrittene Hauptschlagader des Handels von New South Wales, dann doch über das ruhige Parramatta obsiegt.

Es war erst früher Nachmittag, als Jessica in Parramatta ankam. Am liebsten wäre sie weitergefahren, denn sie konnte es nicht erwarten, nach Seven Hills zu kommen. Sie wusste jedoch, dass sie es mit der Kutsche vor Einbruch der Dunkelheit nie und nimmer bis zum Hawkesbury schaffen würden, und es wäre sträflicher Leichtsinn gewesen, die restlichen Meilen bei Nacht zurückzulegen. Zu viel konnte passieren. Die Straße zur Farm bestand nur aus zwei Spurrillen, die die Räder von Kutschen und schwer beladenen Ochsenkarren in die rotbraune Erde geschnitten hatten. Wie leicht konnte man da vom Weg abkommen oder ein Achsenbruch passieren. Nein, das konnte sie dem alten Craig, der treuen Seele von einem Kutscher, der es sich nicht hatte nehmen lassen, seine Mistress höchstpersönlich aus Sydney abzuholen und zur Farm zurückzubringen, wahrlich nicht zumuten.

Jessica zügelte ihre Ungeduld und nahm für die Nacht Quartier in einem Gasthof, dessen Zimmer so sauber waren wie die Bedienung freundlich und das Essen in der Schankstube schmackhaft. Sie nutzte die freie Zeit, um sich einen Überblick über die Waren zu verschaffen, die in den Geschäften der Ortschaft angeboten wurde. Hier und da verwickelte sie den Ladeninhaber in ein scheinbar beiläufiges Gespräch und erhielt dabei immer wieder die Bestätigung, dass es wirklich so war, wie Glenn Pickwick gesagt hatte: Die Nachfrage nach vielen Haushaltsgegenständen aus England überstieg das gegenwärtige Angebot bei Weitem.

»Kerzenleuchter? Richtige Kerzenleuchter aus gutem Sterlingsilber wollen Sie?«, fragte der Inhaber eines der besseren Geschäfte von Parramatta.

»Ja, ich suche zwei dreiarmige Leuchter.«