Ashley Carrington
Die Sehnsucht im Morgenrot
Roman
Anne legte die Brennschere aus der Hand, zupfte ein wenig in den letzten frisch gedrehten Locken und sagte dann abschließend: »Besser kriege ich es beim besten Willen nicht hin, Ma’am.«
»Ich wüsste auch nicht, was du noch besser machen könntest, Anne«, erwiderte Jessica und war mehr als zufrieden mit dem, was sie im dreiteiligen Frisierspiegel sah. »Mit der Brennschere kann dir keine andere Zofe etwas vormachen. Und auch sonst bin ich überaus zufrieden mit dir.«
Anne errötete vor Freude. »Danke, Ma’am.«
»Verstehst du dich immer noch so gut mit Phyllis?«
»O ja! Wir beide kommen blendend zurecht«, versicherte sie, und der fröhliche Ausdruck ihrer Augen deutete auf das Vergnügen hin, dass Phyllis und sie bei ihrem Zusammensein hatten. »Ich mag sie sehr. Es tut mir schon jetzt leid, wenn wir Sydney verlassen müssen und ich sie für lange Zeit nicht mehr sehen werde.«
»Dann gefällt es dir also noch immer in Sydney?«
»Sehr! Es gibt hier so unglaublich viel zu sehen, und es ist ein Leben und Treiben auf den Straßen, dass ich beim ersten Mal ganz wirr im Kopf war, als Phyllis mich herumgeführt hat«, gestand Anne lachend. »Und dann der Hafen und das geschäftige Hin und Her, besonders wenn ein Schiff angekommen ist.«
»Ja, der Hafen hat auch für mich immer etwas Faszinierendes«, pflichtete Jessica ihr bei und schlüpfte in den Unterrock, den Anne ihr reichte.
»Und erst die merkwürdigen Gestalten, die man da zu sehen kriegt. Obwohl es einem schon ganz anders zumute werden kann, wenn man plötzlich einem Chinamann gegenübersteht. Vor zwei Tagen habe ich mich richtig zu Tode erschrocken, als ich mit Phyllis um die Ecke kam und fast mit einem Mohren zusammengestoßen wäre. Er war von Kopf bis Fuß schwarz, Ma’am«, fuhr Anne in einem Tonfall fort, als hätte sie diesen Schrecken mit einem aufregenden Prickeln genossen. »Phyllis hat nur gelacht. Sie hat solche Schwarzen schon öfter gesehen. Sie sagte, es wären meist amerikanische Seeleute. Aber einen Indianer habe ich mir anders vorgestellt.«
»Es war wohl auch kein Indianer, Anne, sondern ein Neger«, erklärte Jessica amüsiert. »Na, wenn du dich so sehr in das Stadtleben verliebt hast, dann wirst du dir das mit der Farm jenseits der Blue Mountains bestimmt noch gut überlegen, nicht wahr?«
Anne machte eine unschlüssige Miene. »Ich mag auch das Leben auf der Farm, Ma’am. Eigentlich sogar sehr. Es sind einfach so völlig verschiedene Welten. Am liebsten würde ich beides haben«, gab sie ehrlich zu.
»Solange du bei mir Zofe bist, kannst du das haben, denn ich werde in Zukunft doch viel öfter als früher nach Sydney kommen müssen. Während der Bauzeit mindestens einmal im Monat und später dann gut und gern viermal im Jahr.«
»Wirklich?« Anne strahlte voller Freude.
»Ich fürchte, ich werde nicht darum herumkommen«, bestätigte Jessica. Das neue Geschäft war einfach zu groß, als dass sie die Kontrolle wie bisher von Seven Hills aus mit links ausüben konnte. Das hatte mit Misstrauen nichts zu tun. Dass Glenn Pickwick sie nicht enttäuschen würde, stand für sie außer Zweifel. Aber auch wenn sie ihm einen großen Spielraum für eigenständige Entscheidungen zubilligte, wie sie es beabsichtigte, würde es doch immer wieder Angelegenheiten von besonderer Bedeutung geben, die nicht über den langwierigen Botenweg zu klären waren, sondern die sie zusammen besprechen mussten. »Du kannst dich also darauf einstellen, dass du Phyllis so schnell nicht aus den Augen verlieren wirst.«
»Da wird sie sich aber genauso freuen wie ich, Ma’am! Ich kann es gar nicht erwarten, ihr davon zu erzählen. Werden wir dann über dem neuen Geschäft wohnen?«
»Allerdings«, sagte Jessica und freute sich schon darauf, in ein paar Monaten eine eigene Wohnung in Sydney zu besitzen. So herzlich die Keltons ja waren, aber Marthas Redseligkeit und bestimmendes Wesen stellten ihre Geduld jetzt schon manchmal auf eine harte Probe, und dabei war sie erst acht Tage Gast bei ihnen und davon noch die meiste Zeit außer Haus gewesen.
Jessica hörte die Stimmen ihrer Kinder. Es klang, als hätten sie sich in den Haaren. Doch dann war Martha Keltons respektheischende Stimme zu vernehmen, und das Gezanke brach augenblicklich ab.
»Wir sollten uns wohl ein bisschen beeilen, sonst sitze ich noch später am Frühstückstisch als meine Kinder«, sagte sie.
»Ihr Kleid liegt bereit, Ma’am.«
»Dann hilf mir hinein«, sagte Jessica, raffte ihre Unterröcke zusammen und stieg in das indigoblaue Taftkleid. Es hatte lange Ärmel, die an den Schultern leicht gebauscht waren und an den Handgelenken, wo sie mit perlgrauer Spitze paspeliert waren, eng anlagen. Der Ausschnitt hatte eine rechteckige Form, ließ jedoch nicht die nackte Haut ihrer Brüste sehen, sondern war von einem dünnen, gleichfalls perlgrauen Spitzeneinsatz bedeckt. Der durchbrochene Stoff ließ nur hier und da ein wenig Haut durchschimmern. Den Saum des Kleides, das ihre schlanke Taille gut zur Geltung brachte, sonst aber zurückhaltend im Schnitt war, zierte dieselbe Art Spitze wie an Ärmeln und im Ausschnitt.
Anne richtete Jessicas Unterröcke, kontrollierte noch einmal den Sitz des Leibchens und des Mieders und schnürte das Kleid dann geschwind zu.
»Danke, Anne.«
Als Jessica ins Esszimmer kam, saßen Edward und Victoria schon am Tisch und auch die Keltons wollten gerade Platz nehmen. »Ich hoffe, angesichts dieses fast schon frühlingshaften Morgens wird es euch leichterfallen, meine Verspätung zu entschuldigen.«
Roberts Blick lag mit unverhohlener männlicher Bewunderung auf ihr. »Bei deiner bezaubernden Erscheinung könnte es auch regnen und stürmen, meiner wohlwollenden Nachsicht wärst du immer gewiss, Jessica.«
»Wohlwollende Nachsicht! Das sieht dir ähnlich, Robert!«, meinte Martha in ihrer temperamentvollen Art und winkte Jessica an ihre Seite. »Spielt den großzügig Nachsichtigen, wo es gar nichts nachzusehen gibt! Schon auf nüchternen Magen gehen ihm die Komplimente so glatt über die Lippen, als hätte er sie die ganze Nacht vorm Spiegel geübt. Da kann der Tag ja noch viel bringen! Doch aus dem Füllhorn seiner Schmeicheleien wird für mich kaum etwas abfallen. Findest du es nicht auch höchst merkwürdig, dass Ehemänner immer nur dann Phantasie entwickeln, wenn es darum geht, einer anderen als ihrer eigenen Frau Komplimente zu machen?« Sie gab Jessica jedoch keine Gelegenheit, ihr darauf zu antworten, denn im selben Atemzug fuhr sie schon fort: »Ach, Männer! Wie Rauch im Wind. Man muss ihnen ihren Willen lassen und sich als Frau in Bescheidenheit und Demut üben. Man muss sein Schicksal mit Würde tragen, sage ich mir immer und tröste mich damit, dass andere noch ganz anderes erdulden müssen.«
Jessica konnte sich nur mit Mühe ein schallendes Lachen verkneifen. Von Demut und Bescheidenheit konnte bei Martha wahrlich nicht die Rede sein, und in irgendetwas geschickt, was ihr nicht passte, hatte sie sich auch noch nicht. Wer in diesem Haus sein Schicksal mit Würde trug, war vielmehr ihr Mann.
Edward grinste breit, und Jessica sah, wie er mit Robert ein verschwörerisches Augenzwinkern unter Männern austauschte, als wollten sie sagen: Sollen die Frauen nur reden! Victoria dagegen hatte von Marthas Wortstrom gar nichts mitbekommen, denn sie spielte mit ihrer Serviette, die sie immer wieder neu zusammenlegte. Phyllis hatte ihr gezeigt, wie man eine Serviette zu einer Muschel, einem Hasenkopf und einem Vogel falten konnte. Seitdem war sie von Servietten und ihrer unglaublichen Verwandlungsfähigkeit fasziniert.
Als Phyllis nun den Tee brachte, flüsterte Martha Jessica schnell zu: »Der Gute hat schon recht, du siehst heute wieder mal hinreißend aus. Diese Farbe steht dir ganz ausgezeichnet.«
»Das Kompliment kann ich nur erwidern. Ich wünsche mir sehr, dass ich in deinem Alter so gut aussehe wie du«, sagte Jessica, die fand, dass Martha trotz ihrer korpulenten Figur noch ein sehr attraktives Bild abgab. Sie achtete sehr auf geschmackvolle Kleidung und ein rundum gepflegtes Äußeres.
»Fang du jetzt bloß nicht an, es meinem Mann nachmachen zu wollen«, wehrte Martha fast ungehalten ab, doch ihr strahlender Blick strafte ihre zurückweisenden Worte lügen. »Phyllis, du hast den Kuchen vergessen. Allmählich müsstest du doch wissen, dass unser junger Herr nichts dabei findet, eine Scheibe Schinken zusammen mit einem saftigen Stück Kuchen auf dem Frühstücksteller zu haben.«
»Ich finde, diese Eigenart könntest du dir mal langsam abgewöhnen«, meinte Jessica ein wenig peinlich berührt, dass ihr Sohn einfach kein Gefühl für bessere Tischmanieren zeigte.
Edward reckte keck das Kinn. »Warum denn, Mom? Tee ist bitter, Zucker ist süß – und zusammen schmeckt es gut. Genau wie bei Schinken und Kuchen«, erwiderte er.
Robert und Martha lachten.
Jessica verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln. »Was soll man dazu noch sagen?«
»Ich finde, der Junge hat ein Argument vorgebracht, das man gelten lassen muss«, ergriff Robert die Partei ihres Sohnes. »Und warum soll er auch nicht das essen, was ihm schmeckt? Es ist doch nur eine Frage der persönlichen Präferenzen. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass Kuchen und Schinken zusammen einen recht interessanten Geschmack abgeben. Ich glaube, ich werde es heute auch mal probieren.«
Edward warf ihm einen dankbaren Blick zu.
»Aber jetzt erzähl uns, wie dein Plan für heute aussieht«, fuhr Robert fort. »Ich hatte gestern Abend ja keine Gelegenheit mehr, mit dir zu sprechen.«
»Weil du und deine Freunde mal wieder kein Ende finden konntet!«, warf Martha ein und fügte zu Jessica gewandt hinzu: »Alles Ehemänner, mit denen er sich getroffen hat! Das Sitzfleisch, das sie an den Tag beziehungsweise an die Nacht legen, wenn sie unter sich sind und für genug Wein und Tabak gesorgt ist, ist unglaublich!«
Robert schmunzelte. »Ein paar Geschäftsleute, die sich regelmäßig treffen, um Informationen und Meinungen auszutauschen, was stets für alle Beteiligten sehr nützlich ist«, erklärte er Jessica.
»Ja, ganz besonders für den Wirt, bei dem ihr euch trefft«, stichelte Martha und legte eine dicke Scheibe Käse auf ihr Brot.
»Das Übliche«, antwortete Jessica nun auf seine Frage. »Es gibt noch eine Menge mit Mister Pickwick zu besprechen. Dann werde ich wohl mit Mister Talbot zur Schreinerei fahren, die er unter Kontrakt genommen hat, um mir einige Muster für die dekorativen Holzarbeiten anzusehen und natürlich um den Preis zu feilschen. Das wird mich bestimmt viele Stunden aufhalten. Am Nachmittag habe ich dann noch eine Besprechung mit Mister Hutchinson.« Sie seufzte. »Ich hätte nie gedacht, wie viel an so einer Geschäftserweiterung dranhängt, ein wahrer Rattenschwanz von Dingen, die zu überlegen, abzuwägen und zu entscheiden sind. Und die Kosten laufen einem davon wie… wie eine Kreuzung aus Känguru und Tausendfüßler!«
Robert lächelte verständnisvoll. »Eine ausgezeichnete Beschreibung. Es wird immer teurer als geplant. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich mich entschloss, aus der primitiven Sägegrube unter freiem Himmel mit zwei Arbeitern ein richtiges Sägewerk zu machen. Das war ein enormer finanzieller Kraftakt, und ein paar Jahre mussten wir jeden Penny umdrehen, aber es hat sich gelohnt.«
Sogar Martha nickte bestätigend. Was seine Leistungen und Fähigkeiten als Geschäftsmann betraf, machte sie noch nicht einmal im Spaß eine kritische Bemerkung über ihren Mann.
»Ja, ich weiß, die Anstrengungen werden sich auch mit dem Geschäft lohnen«, sagte Jessica zuversichtlich, dachte aber an das Problem mit dem zu geringen Warenbestand. Ihre Entscheidung dazu stand noch offen.
»Davon bin auch ich felsenfest überzeugt«, pflichtete Robert ihr bei. »Du hast überhaupt eine sehr glückliche Hand mit deinen Unternehmungen.«
»Das ist das Glück des Tüchtigen«, sagte Martha anerkennend.
»Ich glaube, Jessica weiß schon, wie es gemeint war.«
»Natürlich, Robert«, lachte sie.
Robert lehnte sich zurück, tupfte seine Mundwinkel mit der Serviette ab und sagte nachdenklich: »Die Preise, die für wirklich gutes Holz bezahlt werden, sind anständig. Du weißt ja selbst, was dein Captain für die Ladung aus Van Diemen’s Land erzielt hat. Gute Holzsorten, die gut zu schneiden, dauerhaft und zudem auch noch gut zu formen sind, gibt es hier in New South Wales leider nur sehr wenige. Da sieht es auf Van Diemen’s Land schon anders aus.«
»Worauf willst du hinaus, Robert?«, fragte Jessica.
»Auf die Frage, wie man daraus einen beständigen geschäftlichen Nutzen ziehen kann«, erwiderte er. »Ab und zu mal eine Schonerladung mag ja einen netten Profit bringen, aber was sind schon ein paar gelegentliche Goldflocken, wenn man eine solide kleine Goldader direkt vor der Nase hat?«
Jessica hob lächelnd die Augenbrauen. »Willst du damit sagen, dass du dich mit dem Gedanken trägst, die goldene Holzader von Van Diemen’s Land ausbeuten zu wollen?«
»Es wäre zumindest einer genauen Prüfung wert«, sagte er. »Ich könnte mir gut vorstellen, dass man unweit des Hafens ein Lagerhaus bis unter das Dach mit bestem Holz füllen könnte, ohne den Bedarf damit jedoch zu decken. Ein kontinuierlicher Import aus Van Diemen’s Land wäre garantiert ein gutes Geschäft.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, sagte Jessica. »Aber dafür bräuchte man eben nicht nur diese Lagerhalle am Hafen, sondern auch ein Schiff, das allein diese Route Hobart–Sydney befährt. Immerhin sind es von hier bis nach Van Diemen’s Land mehr als sechshundert Meilen. Ein Schiff, das für dieses Geschäft eingesetzt wird, wäre damit gänzlich ausgelastet.«
»Und du könntest dir nicht vorstellen, die Comet für diesen dauerhaften Handel einzusetzen?«, fragte Robert. »Für die Lagerhalle und die Abwicklung des Geschäfts auf dieser Seite würde ich schon sorgen.«
»Leider nein«, seufzte Jessica. »Die Comet ist zwar ein solide gebautes und seetüchtiges Schiff, wie du weißt, aber für ein ständiges Hin- und Herpendeln doch wohl ein wenig zu klein, besonders für die stürmischen Jahreszeiten auf See. Für den Holzhandel wäre eine größere Ladekapazität vonnöten, wollte man ihn wirklich optimal betreiben. Das Holz, das die Comet mitbringt, ist für uns ein nettes Zusatzgeschäft, kann jedoch die Gewinne, die auf dem Hawkesbury anfallen, bei Weitem nicht erreichen.«
Robert nickte nachdenklich. »Man brauchte also ein etwas größeres Schiff, was natürlich eine beachtliche Investition nötig machen würde.«
»Setz Jessica bloß keine neuen Ideen in den Kopf!«, mischte sich Martha nun ins Gespräch. »Sie hat mit ihrem Geschäft schon genug am Hals!«
»Es ist nie falsch, ein bisschen weiter zu denken und zu planen als andere«, entgegnete ihr Mann. »Den dicksten Rahm schöpft immer nur der ab, der früh aufsteht und die Kuh zuerst melkt, meine Liebe.«
»Der Meinung bin ich auch«, stimmte Jessica ihm zu. »Ich könnte es mir schon sehr gut vorstellen, mich an so einem Geschäft zu beteiligen. Doch im Augenblick gestatten es meine finanziellen Verhältnisse nicht, dieser Idee auch handfeste Taten folgen zu lassen. Ich halte es aber für möglich, im nächsten Jahr, wenn das Geschäft erst angelaufen ist und ich einen Überblick über die Höhe der Gewinne habe, noch einmal konkret mit dir und Captain Rourke diese Angelegenheit zu besprechen. Falls du es nicht vorziehst, schon eher etwas zu unternehmen.«
»Ganz und gar nicht. So eilig ist es mir damit nicht, Jessica. Die Sache hat gut Zeit bis zum nächsten Jahr«, versicherte er. »Immerhin geht es ja nicht um ein paar Wagenladungen Dachschindeln.«
»Wahrlich nicht«, meinte Martha. »Und jetzt solltest du ihr von Mister Whitman erzählen.«
»Whitman?«, fragte Jessica.
Robert Kelton hob die Hand. »Ja, richtig. Gut, dass du mich daran erinnerst, Frau. Allan Whitman ist der Name des Hauslehrers, der sich dir heute Abend vorstellen möchte.«
Jessica sah ihn freudig überrascht an. »Du hast wirklich einen gefunden?«
»Ja, ich kenne ihn selbst nicht, doch er ist mir von einem Geschäftsfreund wärmstens empfohlen worden. Er hat seine beiden Söhne bisher unterrichtet. Da er sie aber jetzt nach England aufs College schickt, bedarf er eines Hauslehrers nicht mehr.«
Edward horchte auf. »Hauslehrer?«, fragte er argwöhnisch. »Für wen soll denn der gut sein?«
»Für dich und deine Schwester, mein Junge«, antwortete Jessica.
Edward setzte eine abweisende Miene auf. »Ich brauche keinen Hauslehrer!«, erklärte er energisch. »Tim, der alte Baker und Mister McIntosh bringen mir schon alles bei, Mom!«
Jessica schüttelte den Kopf. »Sie bringen dir gewiss eine Menge bei, aber eben doch nicht alles, was ein junger Mann wie du wissen muss!«
»So? Was denn nicht?«, fragte er aggressiv.
»Zum Beispiel Geschichte, Literatur, Geografie, eine andere Sprache, Mathematik und …«
»Den ganzen Kram brauche ich nicht!«, fiel Edward seiner Mutter ins Wort. »Ich brauche keine Geschichte und Literatur, um auf Seven Hills die Ernte einzubringen und Schafe zu scheren, und die Sprache, die die Pferde und Ochsen verstehen, beherrsche ich.«
»Du brauchst erst gar nicht mit mir debattieren zu wollen, mein Junge«, sagte Jessica nun mit scharfer, zurechtweisender Stimme. »Und diesen aufsässigen Ton will ich nicht wieder hören!«
Er schluckte.
»So spricht man wirklich nicht mit seiner Mutter«, bemerkte auch Martha missbilligend.
»Du und Victoria, ihr werdet einen Hauslehrer bekommen, ob es euch nun passt oder nicht«, fuhr Jessica energisch fort. »Es reicht eben nicht, ein Pferd reiten, Schafe scheren und die Ernte einbringen zu können! Jeder einfältige Farmer kann das! Nichts gegen das, was der alte Baker und Tim Jenkins dir beibringen, Edward. Aber das ist nur ein Teil von dem, was du zu lernen hast. Von euch verlange ich einiges mehr, wie es auch euer Vater getan hätte! Ihr werdet euch die Bildung aneignen, die es euch später ermöglichen wird, bei jedem Gespräch mitreden zu können, statt dumm und ohne den Schimmer von Verständnis dabeizustehen, wenn es sich mal nicht um Schafe und Farmarbeit dreht!«
»Eure Mutter hat völlig recht«, unterstützte Robert sie. »Ihr seid nicht irgendwelche Kinder, die in einer Lehmhütte aufwachsen und froh sein können, wenn sie einmal Arbeit finden, die sie und ihre Familie ernährt. Nein, ihr seid die Bradings von Seven Hills. Und vor allem du, Edward, wirst eines Tages doch große Verantwortung tragen müssen, die weit darüber hinausgeht, eine Farm bestmöglich zu führen. Es werden noch andere Aufgaben auf dich warten. Und dafür musst du ordentlich gerüstet sein, wenn dir die Fußstapfen deiner Mutter nicht zu groß sein sollen, nämlich mit so viel Wissen, wie man sich nur aneignen kann! Oder möchtest du, dass man einmal sagt: ›Ja, seine Mutter, die wusste ihren Verstand zu nutzen und hat es weit gebracht. Doch ihr Sohn wird ihr nie das Wasser reichen können. Er ist zwar ein großer, aber dummer Farmer. Kein wirklicher Brading!‹ Ich glaube nicht, dass dir das gefallen würde.«
Edward machte ein verdrossenes Gesicht, zog es jedoch vor, sich einer trotzigen Bemerkung zu enthalten. Es hätte der Worte von Mister Kelton gar nicht bedurft, um ihm klarzumachen, dass er sich der lästigen Pflicht eines schulmäßigen Unterrichts nicht würde entziehen können. Denn wenn seine Mutter diesen harten, schneidenden Ton anschlug, wusste er aus leidvoller Erfahrung, dass jeder Protest und jedes Sträuben sinnlos war.
Victoria zuckte die Achseln, als verstünde sie die ganze Aufregung nicht. »Ich habe überhaupt nichts gegen einen Hauslehrer…«
»Bist ja auch ein … Mädchen!«, zischte Edward wütend und konnte sich gerade noch das »blödes« verkneifen, das er dem Mädchen hatte voransetzen wollen.
»Gibt es auch Unterricht im Zeichnen, Mom?«
»Ich nehme es an, mein Kind. Noch habe ich ja selbst nicht mit ihm gesprochen. Aber heute Abend kann ich dir mehr erzählen.«
»Oh, fein!«, freute sie sich.
Robert hob die Frühstückstafel auf. »Ich glaube, es wird Zeit für dich, Jessica«, sagte er und fügte zu Edward, der mit griesgrämigem Gesicht am Tisch saß, hinzu: »Und für uns auch, junger Freund. Es wartet Arbeit auf uns im Sägewerk. Oder hast du es dir inzwischen anders überlegt und willst jetzt gar nicht mehr mitkommen?«
Edwards Gesicht hellte sich wieder auf. »Doch, natürlich komme ich mit, Mister Kelton!«, versicherte er eilig. Mit ihm im Sägewerk zu sein war fast so gut wie zu Hause auf der Farm.
Da gab es wenigstens etwas zu tun, und die Männer dort behandelten ihn nicht wie einen kleinen Jungen, der eigentlich auf die Schulbank gehörte.
»Na, wunderbar, dann sieh zu, dass du dir festes Schuhwerk anziehst und deinen Mantel holst!«
Edward eilte aus dem Zimmer.
»Ich werde mit Victoria eine gute Freundin besuchen, die selbst großen Spaß am Malen hat«, sagte Martha zur Freude von Victoria. »Ihre Aquarelle sind gar nicht mal so schlecht – wenn auch nicht so gut, wie sie meint.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich euch für all eure Mühe und Aufmerksamkeit danken soll«, sagte Jessica, wieder einmal berührt, wie sehr die beiden sich darum bemühten, ihren Kindern den Aufenthalt nicht langweilig werden zu lassen und ihr Kopf und Zeit für ihre Geschäfte freizuhalten.
»Indem du jetzt machst, dass du zu dem Halsabschneider von Baumeister kommst, ihm anständig auf die Finger siehst und einmal nicht so spät und müde zurückkehrst, damit du Mister Whitmans Tauglichkeit auf Herz und Nieren prüfen kannst«, antwortete Martha auf ihre energische Art und rief Phyllis, damit sie Craig Bescheid gab, dass er nun mit der Kutsche vorfahren konnte.
Der Tag erwies sich anfangs als wenig erfreulich für Jessica. Es begann damit, dass sie von Talbot erfuhr, dass über Nacht Balken und fast eine ganze Pyramide Ziegelsteine gestohlen worden waren.
»Das muss man in Kauf nehmen«, versuchte Talbot abzuwiegeln. »Quasi natürlicher Schwund beim Bauen. Habe keine Baustelle gekannt, auf der nicht gestohlen worden wäre.«
»Darf ich Sie daran erinnern, dass es mein Geld ist, das da nachts von meiner Baustelle verschwindet?«, fragte sie mit kühlem Zorn.
»Sie dürfen, Missis Brading«, sagte er gelassen. »Aber damit ändern Sie auch nichts.«
Sie stemmte die Fäuste in die Hüfte. »Wie hoch beziffern Sie den sogenannten natürlichen Schwund, Mister Talbot?«
Er fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über die Oberlippe. »Meiner Erfahrung nach dürfte er bei einem solch großen Bauvorhaben bei etwa fünf Prozent liegen.«
»Plus oder minus?«, fragte sie argwöhnisch.
»Eher plus.«
Fünf Prozent mehr Kosten! Das waren etliche Pfund, die sie zusätzlich zahlen musste – und zwar in die Taschen von Dieben! Fünf Prozent von der Bausumme waren genug, um drei Hauslehrer für ein ganzes Jahr bezahlen zu können! Und dieses Geld sollte sie achselzuckend abschreiben? Sie dachte gar nicht daran, sich mit seinem »natürlichen Schwund« abzufinden! Jessica beherrschte ihre Wut und zwang sich zu einem Lächeln.
»Nun, ich an Ihrer Stelle würde mir doch etwas einfallen lassen, wie man diese Diebstähle verhindern kann, Mister Talbot. Es sei denn, Ihnen macht dieser Verlust nichts aus.«
Er stutzte. »Ich verstehe nicht, was das mit meinem Geld zu tun haben soll, Missis Brading.«
»Dann werde ich es Ihnen gerne erklären«, erwiderte sie freundlich, doch ihre Augen blickten kühl. »Sie haben mir eine sehr detaillierte Kostenrechnung vorgelegt. Dann haben Sie sich wirklich als sehr gewissenhafter Baumeister erwiesen. Manche Posten haben wir zwar noch nicht auf das Pfund genau festgelegt, weil dafür noch einige Angebote ausstanden wie die des Schreiners, den wir nachher aufsuchen werden. Aber ansonsten ist sie komplett. Doch an einen Posten mit der Rubrik ›Natürlicher Schwund‹ kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern. Ich glaube auch nicht, einen solchen übersehen zu haben, oder sollte ich mich da täuschen?«
»Nein, Ihr Erinnerungsvermögen trügt Sie nicht«, pflichtete er ihr säuerlich bei.
»Nun, dann verstehe ich Ihre Frage, was Sie dieser Schwund angehen soll, nicht. Denn da das Geld, das nötig ist, um diese Diebstähle zu kompensieren, mit Sicherheit nicht aus meiner Tasche fließen wird, werden Sie diesen Verlust wohl tragen müssen.«
Er starrte sie an, und zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, war ihm jegliche huldvolle Art abhandengekommen. »Das zählt aber nicht zu der Art Geschäfte, die ich gewohnt bin, Missis Brading!« Er klang hörbar verärgert, aber auch verunsichert.
Jessica lächelte. »Nun, ich habe heute von Ihnen etwas über natürlichen Schwund gelernt und Sie von mir, wie ich Verträge zu lesen und auch einzuhalten verstehe. Die Bauaufsicht gehört nun mal zu Ihren Aufgaben, für die ich Sie bezahle, und das wahrscheinlich nicht schlecht, wenn ich das betonen darf.«
»Hören Sie, fünf Prozent sind eine Menge Geld …«
»Es freut mich, dass Sie das auch so sehen«, warf Jessica nicht ohne Süffisanz ein.
»Das kann ich unmöglich von meinem Honorar zahlen!«, protestierte er.
»Also gut, ich bin kein Unmensch«, gab sie sich großzügig. »Ich biete Ihnen einen fairen Kompromiss an.«
»Ich höre«, sagte er steif.
»Ich zahle die Kosten für eine entsprechende Nachtwache hier auf dem Grundstück, und Sie kommen für den Ersatz von entwendeten Baumaterialien auf, falls dann immer noch Diebstähle geschehen«, schlug sie vor. »Doch wie ich Sie einschätze, werden Sie schon Sorge dafür tragen, dass die Nachtwächter nicht schlafen werden.«
Er machte ein grimmiges Gesicht, sah jedoch ein, dass er mehr Entgegenkommen von ihrer Seite nicht erwarten konnte.
»Einverstanden.«
Arthur Talbot grollte ihr noch den ganzen Tag, doch Jessica kümmerte es nicht. Es würde ihm eine Lehre sein und ihn von dem Irrglauben befreien, sie würde sich von irgendjemandem übervorteilen lassen. Wenn es um Geschäfte ging, kannte ihre Freundlichkeit sehr enge Grenzen.
Das bekam auch George Freckle zu spüren, der bullige Schreiner, der seine Werkstatt am Rande der Stadt an der Landstraße nach Parramatta hatte. Er hatte offenbar einen überaus gewinnträchtigen Auftrag gewittert, und nachdem Jessica ihr Wohlgefallen an seiner Arbeit kundgetan hatte, glaubte er wohl, seinen Profit noch etwas höher schrauben zu können, denn auf einmal war alles ein wenig teurer.
»Sie verstehen sich ausgezeichnet darauf, mit Holz umzugehen«, sagte Jessica scharfzüngig zu ihm, »doch was das Kalkulieren Ihrer Preise betrifft, scheinen Sie ein weniger gesundes Augenmaß zu besitzen, Mister Freckle.«
Der Schreiner polterte sofort los. »Das sind ganz reelle Preise, die ich Ihnen da genannt habe, Missis Brading! Für einen Hungerlohn arbeite ich nicht! Sind ja nicht die billigsten Hölzer, die Sie sich ausgesucht haben. Und das, was Sie an Verzierungen haben wollen, lässt sich auch nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln. Ich kann da keinen meiner Handlanger dransetzen.«
»Und ich habe nicht die Absicht, mir Theken und Regale und Treppen ins Haus einbauen zu lassen, die so viel kosten, als wären sie mit Blattgold überzogen!«, war Jessica um eine zurechtweisende Antwort nicht verlegen.
»Sie unterstellen mir, dass ich Sie übers Ohr hauen will!«, erregte sich der Schreiner.
»Nichts dergleichen tue ich.«
»So? Was denn?«
»Dass Sie sich verrechnet haben«, sagte Jessica, um ihm eine goldene Brücke zu bauen.
Arthur Talbot stand nur daneben und dachte nicht daran, sie zu unterstützen. Aber das störte Jessica nicht. Sie würde auch so mit dem Schreiner klarkommen.
»Ich kann verdammt gut rechnen, Missis Brading, und da ist kein Fehler drin!«, blieb George Freckle stur. »Wenn Sie erstklassige Arbeit haben wollen, müssen Sie schon die entsprechenden Preise zahlen.«
Sie bedachte ihn mit einem herzlichen Lächeln. »Natürlich, Sie müssen das nehmen, was Sie brauchen«, gab sie zu.
Er grinste und glaubte schon, seine Preise durchgesetzt zu haben. »Sie sagen es.«
»Nur werden Sie das von mir nicht bekommen, Mister Freckle. Ich bedaure sehr, dass ich den Auftrag dann an einen anderen vergeben muss. Ich bin sicher«, sagte sie zu Arthur Talbot gewandt, »dass die anderen Schreiner, die auf unserer Liste stehen, einen weniger aufwendigen Betrieb unterhalten als Mister Freckle.«
»Möglich«, brummte Talbot.
»Dann sollten wir Mister Freckles Zeit nicht unnötig in Anspruch nehmen, da sie ja kostbar ist«, sagte Jessica spitz und wandte sich zur Tür.
»Zehn Prozent, die kann ich gerade noch runtergehen, ohne dass ich zubuttern muss«, bot der Schreiner hastig an.
»Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, aber ich möchte Sie doch nicht um die Früchte Ihrer Arbeit bringen«, erwiderte Jessica mit vorgetäuschtem Verständnis. »Außerdem sind zehn Prozent für mich völlig indiskutabel. Unter zwanzig Prozent Nachlass von den von Ihnen genannten Preisen können wir nicht ins Geschäft kommen.«
»Das ist ja lächerlich«, ärgerte sich George Freckle. »Mit Ihren Preisvorstellungen werden Sie keinen finden, der Ihnen solche Arbeit liefert!«
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein«, antwortete sie gelassen. »Bei Ihren hohen Kosten haben Sie gewiss schon Sorgen genug. Aber besten Dank für Ihre Zeit. Ich glaube, wir sollten jetzt fahren, Mister Talbot.« Sie wandte sich in der Tür noch einmal zum Schreiner um. »Oh, sollten Sie doch noch zu dem Ergebnis kommen, dass zwanzig Prozent Nachlass Sie nicht an den Rand des Ruins bringen, geben Sie nur Mister Talbot Bescheid. Er wird den Auftrag morgen vergeben. Selbstverständlich genießt Ihr Angebot, wenn es sich in dem von mir erwähnten Rahmen hält, Vorrang vor allen anderen. Ich halte das für ein Gebot der Fairness. Einen guten Tag noch.«
Wortlos und verkniffenen Gesichts blickte der Schreiner ihr nach.
»Zwanzig Prozent!«, sagte Arthur Talbot, als sie in der Kutsche saßen. »Sie sind wahrlich nicht zimperlich.«
»Ich passe mich meinen Geschäftspartnern an.«
»Freckle wird Ihnen sonst was an den Hals wünschen. Sie haben ihn ganz schön heruntergeputzt.«
Sie zuckte die Achseln. »Er hat es herausgefordert. Die Preise waren unverschämt überzogen, sagen Sie doch selbst!«
»Nun ja, einiges draufgeschlagen hat er in der Tat«, gab er zu. »Aber nicht zwanzig Prozent.«
»Ja, nur achtzehn oder neunzehn«, sagte sie grimmig. »Aber dieses Spiel mache ich nicht mit! Wenn er den Auftrag haben will, wird er mir zwanzig Prozent gewähren müssen, oder er ist aus dem Rennen. Und es ist ein großer Auftrag. Er wird es sich zehnmal überlegen, ob er mir eine Absage erteilt.«
»Warten wir es ab.«
»Spätestens morgen früh werden Sie sein Angebot in der Hand haben«, sagte Jessica zuversichtlich. »Und Ihnen wird er mitteilen, dass Sie sich mit einer geringeren Provision werden abfinden müssen.«
»Wie bitte?«, fragte Talbot pikiert.
Jessica lachte. »Nun spielen Sie vor mir nicht den Ahnungslosen, Mister Talbot. Sie haben Freckle ausgewählt, und ich müsste Sie schon für einen sehr unerfahrenen Baumeister halten, wenn ich glauben sollte, dass Sie nicht auch Ihr Schäfchen ins Trockene bringen. Wenn es nicht so wäre, hätte Mister Hutchinson mir den falschen Mann empfohlen. Nur diesmal haben Sie sich Ihren Groll wegen der Sache mit dem natürlichen Schwund ein paar Prozente Provision kosten lassen. Denn hätten Sie rechtzeitig eingegriffen und Freckle zu verstehen gegeben, dass ich keine dumme Gans bin, die sich ausnehmen lässt, hätten Sie Ihre Provision vielleicht noch vollständig retten können. Ich denke, bei unseren nächsten gemeinsamen Verhandlungen werde ich wieder auf Ihre volle Unterstützung rechnen können, nicht wahr?«
Arthur Talbot war so verblüfft über ihre unverblümte Art, dass er im ersten Moment sprachlos war. Dann lachte er schallend auf. »Missis Brading! Entschuldigen Sie, aber Sie sind ein verdammtes Schlitzohr! Bitte nehmen Sie es als Kompliment unter Geschäftsleuten.«
»Akzeptiert.«
»Mein Gott, dass ich das noch auf meine alten Tage erleben muss, dass eine Frau mich um meine Provision bringt. Denn die kann ich jetzt in der Tat abschreiben. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass sich das nicht wiederholen wird«, versicherte er, noch immer erheitert.
»Dann ist der Tag ja jetzt schon ein voller Erfolg, auch wenn der Schreiner sich aus Trotz nicht dazu entschließen sollte, für mich zu arbeiten.«
»Oh, das wird er!«
»Umso besser. Und nun wollen wir doch mal sehen, was uns der Schlosser vorrechnet«, sagte Jessica und lehnte sich zufrieden in die Polster zurück.
Am Nachmittag hatte sie noch ein Gespräch mit Glenn Pickwick und anschließend mit ihrem Anwalt, der ihr mitteilte, dass er jemanden an der Hand hätte, der ihr einen Kredit einzuräumen gewillt war.
»Vereinbaren Sie einen Termin mit ihm für morgen«, bat sie ihn und kehrte dann ins Haus der Keltons zurück.
Nach dem Essen empfing sie Allan Whitman im Salon. Sie hatte sich keine besondere Vorstellung von ihm gemacht, doch als er in den Raum trat, war sie doch überrascht, denn er war bedeutend jünger, als sie unbewusst angenommen hatte. Er konnte nur ein paar Jahre älter sein als sie, schätzte sie, etwa Ende zwanzig, und machte so gar nicht den Eindruck eines Mannes, der sich in Bücher vertiefte und sein halbes Leben hinter dem Katheder zu verbringen gedachte.
Allan Whitman war von kräftiger, mittelgroßer Gestalt mit breiten Schultern und einem prägnanten Gesicht, das sie irgendwie ein wenig an Patrick Rourke erinnerte, obwohl er keinen Bart trug und seine dunkelbraunen Haare auch keinen Stich ins Rötliche besaßen. Doch es war ein offenes männliches Gesicht mit braunen Augen, das ihr vom ersten Moment an gefiel und ihr Zutrauen weckte.
»Mister Whitman, ich freue mich, dass Sie kommen konnten«, begrüßte Jessica ihn.
Er schaute ihr fest ins Gesicht, während sie auf dem seinen eine Spur von Überraschung festgestellt zu haben glaubte, als er sie erblickt hatte. »Ich muss vielmehr danken, dass Sie mich zu einem Vorstellungsgespräch gebeten haben, Missis Brading«, erwiderte er mit vollendeter Höflichkeit. Seine Stimme war fest und offen wie der Ausdruck seiner Augen, und sein ganzes Auftreten hatte etwas in sich Ruhendes, für sich Einnehmendes.
Jessica bat ihn, doch Platz zu nehmen, und warf Edward einen zurechtweisenden Blick zu, als er die Treppe heruntergeschlichen kam und sich an der Tür herumdrückte.
»Sei doch bitte so gut und schließ die Tür!«, forderte sie ihn auf.
Allan Whitman drehte sich kurz um und schaute zu Edward hinüber, der seinen Blick mit einer grimmigen Miene erwiderte, als wolle er ihm schon sogleich den Krieg erklären, bevor noch entschieden war, ob er überhaupt ihr Hauslehrer werden würde. Nur widerwillig kam er der Aufforderung seiner Mutter nach, und er hätte die Tür auch bedeutend leiser schließen können, als er es tat.
»Ihr Sohn, Missis Brading?«, fragte er mit einem leichten Anflug von Belustigung.
Sie nickte. »Edward, mein Ältester. Er ist sechs, Victoria, seine Schwester, nicht ganz zwei Jahre jünger. Können Sie Zeichenunterricht geben?«
Ihre Frage, ganz ohne Zusammenhang, verblüffte ihn. »Sicher, wenn ich auch gewiss mit meinen Arbeiten nie in einer halbwegs anspruchsvollen Provinzgalerie hängen werde«, fügte er selbstkritisch hinzu.
Sein Humor passte zu seiner Erscheinung »Nun, dann hätten Sie immerhin schon Victoria auf Ihrer Seite, falls wir zu einer Übereinkunft kommen sollten. Mit Edward dagegen werden Sie Schwierigkeiten haben.«
Er lächelte. »Ich kenne keinen Sechsjährigen, der nicht Schwierigkeiten mit seinem Lehrer hätte«, sagte er gelassen und zog Papiere aus seiner sandbraunen Jacke. »Darf ich Ihnen meine Empfehlungsschreiben geben?«
Jessica nahm sie entgegen. Das erste Schreiben war von einem Offizier des New South Wales Corps. Captain Heatherby attestierte dem Hauslehrer seiner beiden Töchter, zwölf und vierzehn, nur allerbeste Noten. Dasselbe traf auf Robert Keltons Geschäftsfreund zu, der bestätigte, dass Allan Whitman seinen beiden Söhnen vier Jahre lang eine ausgezeichnete Ausbildung hatte angedeihen lassen, und er hatte hinzugefügt, dass er Allan Whitman jedem empfehlen könne, der den Unterricht seiner Kinder in kompetenten Händen wissen wolle.
»Bessere Empfehlungsschreiben kann man sich wohl kaum wünschen«, sagte Jessica und reichte sie ihm wieder zurück. »Sie sind also schon sechs Jahre in Australien.«
Er nickte.
»Und was hat Sie hierhin verschlagen?«
»Ich habe mich dem Wunsch des Volkes und des Königs gebeugt, in deren Namen das Urteil erging, doch das Land zu verlassen und sieben Jahre in dieser Kolonie zu verbringen«, erklärte er.
Sie schmunzelte. »Das trifft wohl auf neun von zehn Bewohnern der Kolonie zu, mich eingeschlossen. Darf ich auch den Grund dieses… nachdrücklichen Wunsches wissen?«, ging sie auf seinen humorvollen Ton ein.
»Gewiss. Ich stamme aus einer kleinen Ortschaft an der Küste von Cornwall. Meine Eltern besaßen einen kleinen Hof. Meine Ausbildung verdanke ich der Förderung des örtlichen Pfarrers, der meinte, ich wäre für ein Leben hinter dem Pflug zu schade, worüber man im Nachhinein sicherlich geteilter Ansicht sein kann«, berichtete er ohne Scheu, sein Leben vor ihr auszubreiten. »Bedauerlicherweise fand ich nach dem Abschluss nur kurzzeitig eine Anstellung. Die Deportation verdanke ich jedoch weniger meiner Arbeitslosigkeit als vielmehr meiner Schwäche für die Jagd. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, dass damit keine hochherrschaftlichen Jagden gemeint sind, sondern die bei Nacht und auf fremdem Land, genau genommen auf Lord Lexintons ausgedehnten Ländereien. Es gibt auch nichts zu beschönigen. Meinem Wildern lag keine existenzielle Notlage zugrunde, denn im Haus meiner Eltern brauchte niemand zu hungern. Es war vielmehr jugendliche Dummheit und wohl auch der Nervenkitzel – und eben die Freude an der Jagd. Nun, sie brachte mir nicht nur Freude und Nervenkitzel, sondern eben auch das Urteil der Deportation ein. Denn als mich die Wildhüter stellten, zeigte Lord Lexinton wenig Verständnis für meine nächtlichen Ausflüge auf sein Land. So bin ich nach New South Wales gekommen. Captain Heatherby verpflichtete mich schon auf der Überfahrt, sodass ich mich glücklich schätzen konnte, auf diese Weise dem gewöhnlichen Sträflingsalltag keinen Tribut zollen zu müssen. Er war es auch, der nach den drei Jahren meine Begnadigung veranlasste. Anschließend war ich dann, wie Sie gelesen haben, bei Mister Granway als Hauslehrer angestellt. Seine beiden Söhne gehen diesen Monat nach England, um dort ein College zu besuchen. Ich bin sicher, sie gut darauf vorbereitet zu haben.«
»Das will ich Ihnen gerne glauben«, sagte Jessica, die sich sehr gut vorstellen konnte, dass dieser Mann vor ihr aus purer Freude an dem Verbotenen zu nächtlicher Jagd auf fremdem Land aufgebrochen war. Irgendwie passte es zu ihm, und es erschreckte sie nicht, dass sie es überhaupt nicht verwerflich fand. Das mochte mit ihrer eigenen Aversion gegen englische Großgrundbesitzer zusammenhängen.
»Gibt es sonst noch etwas über meine Vergangenheit in England oder hier in Australien, das ich zu erwähnen vergessen habe und Sie zu erfahren wünschen?«, erkundigte er sich.
»Nein, Ihre Auskünfte waren mehr als erschöpfend, und Ihre Empfehlungsschreiben sprechen für sich – und für Sie«, antwortete sie. »Das reicht, um mir ein Bild von Ihnen zu machen, Mister Whitman.«
»Ein hoffentlich positives«, sagte er, um ein höfliches Lächeln bemüht. Doch die Erwartung und Anspannung, ob er die Anstellung erhalten würde, zeigte sich auf seinem Gesicht und im Ernst seiner Augen.
»Soweit man anhand von ein paar Zeugnissen und einem kurzen Gespräch einen Menschen einzuschätzen vermag«, erwiderte Jessica mit nüchterner Sachlichkeit, »kann ich Ihre Frage mit einem Ja beantworten.«
Sein höfliches Lächeln entspannte sich zu einem natürlichen, freudigen Ausdruck. »Das freut mich zu hören, Missis Brading. Wenn Sie mir eine Bemerkung zur Einschätzung fremder Personen erlauben …«
»Bitte.«
»Wer über eine gesunde Menschenkenntnis verfügt, bedarf meiner Erfahrung nach zumeist nur eines Blickes und einer kurzen Unterhaltung, um ein treffsicheres Urteil abgeben zu können, für das andere Jahre brauchen.«
In seinen Worten steckte eine Spur von Vorwitz, gepaart mit einem unterschwelligen Kompliment. Eine nicht ungefährliche Mischung für einen Mann in seiner Situation, aber es passte zu ihm und seiner ganzen Art, die man als ernsthaft mit einem Schuss humorvoller Unbekümmertheit bezeichnen konnte.
Jessica ließ sich ihre Belustigung nicht allzu deutlich anmerken, sondern erlaubte sich nur ein nachsichtiges Lächeln. Es war merkwürdig. Er war wohl an die vier, fünf Jahre älter sie. Und doch hatte sie das Gefühl, die ältere und reifere Person von ihnen beiden zu sein. Vielleicht hing das damit zusammen, dass er als Bittsteller um eine Anstellung gekommen war und sie die Macht besaß, pro oder kontra zu entscheiden. Macht war etwas, fuhr es ihr durch den Sinn, das vielen natürlichen Beziehungen die Unschuld nahm und sie auf den Kopf stellte.
»Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie sich ganz ohne falsche Bescheidenheit dieser Menschenkenntnis sicher sind«, sagte Jessica mit leicht spöttischem Tonfall. »Da Sie ja einen Blick auf Edward geworfen und einen von ihm erhascht haben, würde mich Ihr Urteil über meinen Sohn doch sehr interessieren, Mister Whitman.«
»Mit Vergnügen, Missis Brading.«
Ihr fiel auf, dass er völlig ruhig ihr gegenüber im Sessel saß. Die ganze Zeit über hatte er weder nervös die Beine vor- und zurückbewegt, wie sie das von vielen Menschen gewohnt war, mit denen sie irgendeine Art von Geschäft tätigte, noch hatten seine Hände, deren Zartgliedrigkeit sie fast an die einer Frau ohne Verpflichtung zu harter körperlicher Arbeit erinnerten, seine innere Anspannung durch unruhiges Spiel verraten.
Allan Whitman hob sie jetzt auch nur kurz in einer etwas unbestimmten Geste, als er seine Meinung über ihren Sohn abgab.
»Ihr Sohn hat mir soeben den Krieg erklärt«, stellte er mit beiläufigem Tonfall fest, »und wetzt in Gedanken schon die Waffen, von denen er sicherlich ein ganzes Arsenal zu seiner Verfügung hat, wenn er seiner Mutter nachschlägt, was ich nicht bezweifle.«
»Was Sie aber nicht im Mindesten schreckt«, sagte sie mit nun unverhohlener Belustigung.
»Wer Pulverdampf nicht verträgt, sollte nicht den Soldatenrock anziehen, oder wie meine Mutter zu sagen pflegte: Wem es in der Küche zu heiß ist, hat am Herd auch nichts zu suchen«, erwiderte er.
»Ich fürchte, mit Edward könnte es Ihnen doch sehr heiß werden. Er ist draußen auf meiner Farm groß geworden und hat noch nie die Schulbank gedrückt, und er ist entschlossen, Sie in kürzester Zeit dazu zu bringen, sich nach einer anderen Anstellung umzusehen.«
»Ich bin überzeugt, dass Ihr Sohn sich tapfer zur Wehr setzen wird, Missis Brading, doch ebenso sicher bin ich mir, dass seine Kapitulation im Guten nur eine Frage von wenigen Tagen ist.«
»Von Prügel halte ich gar nichts, um Ihnen das gleich vorweg zu sagen.«
Er nickte. »Nur einen dummen Ochsen oder Esel lässt man den Stock spüren«, stimmte er ihr zu. »Ich baue mehr auf seine Intelligenz, Missis Brading. Und da ich annehme, dass ich Ihre Kinder gemeinsam unterrichten werde, wird das Selbstbewusstsein Ihres Sohnes es kaum ertragen zu sehen, dass seine Schwester ihm den Rang abzulaufen droht.«
»Ich hoffe in unser aller Interesse, dass Sie recht bekommen, Mister Whitman«, sagte Jessica, war aber angesichts seiner Ruhe und Selbstsicherheit voller Zuversicht, dass er auch mit einem Trotzkopf wie Edward fertigwerden würde.
»Das werde ich«, sagte er schlicht.
»Gut, das ist geklärt. Hat Ihnen Mister Granway auch mitgeteilt, dass meine Kinder nur ein paar Monate hier in Sydney bleiben und dann wieder nach Seven Hills am Hawkesbury zurückkehren werden?«
»Ja, das hat er, und ich werde den Unterricht dort gerne fortsetzen.«
»Es könnte etwas einsam für Sie werden da draußen«, gab sie zu bedenken.
»Ich bin auf einem Hof groß geworden, und Einsamkeit schreckt mich nicht, Missis Brading. Ganz im Gegenteil. Ich liebe die freie Natur.«
»Richtig, Ihre Schwäche für die Jagd«, konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen.
Er lächelte. »Zum Beispiel.«
Fast hatte sie das Gefühl, als flirtete er mit ihr. Aber das war natürlich lächerlich. »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie dieser Schwäche bei uns frönen, Mister Whitman, nur werden Sie sich statt mit Rotwild mit Kängurus zufriedengeben müssen.«
»Ich muss nicht immer etwas erlegen, wenn ich jage«, erwiderte er doppeldeutig.
Sie ging nicht darauf ein, sondern brachte das Gespräch auf sein Gehalt. Sie hatten sich schnell geeinigt. Er freute sich, dass er mehr bekam als erwartet, und sie, weil es weniger war, als sie insgeheim veranschlagt hatte. Dann fragte sie: »Wann können Sie mit dem Unterricht beginnen?«
»Wann immer es Ihnen recht ist.«
»Morgen.«
Er zeigte nicht die geringste Spur von Überraschung, sondern fragte nur: »Wann?«
»Um acht?«
Er nickte. »Ich werde um acht hier sein.«
Jessica erhob sich, und er folgte augenblicklich ihrem Beispiel.
»Ich freue mich sehr, Sie als Hauslehrer für Edward und Victoria gewonnen zu haben, Mister Whitman, und setze große Hoffnungen in Sie«, verabschiedete sie ihn.
»Sie werden sich nicht als unbegründet erweisen, Missis Brading«, versicherte er mit heiterem Ernst. »Und ich danke für Ihr Vertrauen.«
Jessica sah ihm noch kurz hinterher, wie er ohne Hast und doch zielstrebig die Straße hinunterging, und lächelte zufrieden. Allan Whitman besaß ihre Sympathie – und ihr Interesse. Er war ein ungewöhnlicher Mann mit einer besonderen Ausstrahlung. Und irgendwie freute sie sich, ihn um sich zu haben. Dass er auf einem Hof aufgewachsen war, würde ihm bei Edward bestimmt helfen, mit ihm fertigzuwerden.
Sie begab sich nach oben, um ihren Kindern mitzuteilen, dass der Unterricht schon am kommenden Morgen beginnen würde.
Victoria war voller Begeisterung, als sie hörte, dass ihr Hauslehrer auch Unterricht im Zeichnen gab, und konnte den nächsten Tag nicht erwarten. Edward dagegen saß mit abweisendem Gesicht auf seinem Bett.
»Ich mag ihn nicht!«
»Er ist auf einem Hof aufgewachsen und versteht bestimmt eine Menge von der Landwirtschaft.«
»Dafür brauche ich keinen Hauslehrer!«, erwiderte Edward bockig.
»Aber für vieles andere, wie zum Beispiel Manieren zu lernen«, beschied Jessica ihn, als sie ihm einen Gutenachtkuss geben wollte und er sein Gesicht wegdrehte.
Punkt acht Uhr am nächsten Morgen stand Allan Whitman vor der Tür. Victoria, die darauf bestanden hatte, eines ihrer besseren Kleider anzuziehen, begrüßte ihn mit einem freudigen, erwartungsvollen Strahlen. Ihr Kinderherz verliebte sich auf den ersten Blick in ihren Lehrer. Edward hatte dafür nur Verachtung übrig. Sein Gesicht war verschlossen, und er behandelte Allan Whitman, als wäre dieser für ihn Luft. Zu seiner Überraschung, die er sich aber anmerken ließ, machte der Lehrer es ihm nach. Auch er ignorierte ihn! Das war unfair, wie er fand, und entfachte seinen Zorn noch mehr. Doch wohin damit? Wie sollte er dem Lehrer bloß beikommen? Ihm würde schon noch etwas einfallen!
Jessica tauschte nur ein paar freundliche Worte mit Allan Whitman und sah zu, dass sie aus dem Haus kam. Sollte es gleich am ersten Tag Ärger geben, wollte sie erst gar nicht in die Versuchung kommen, einzuschreiten, wenn sie erregte Stimmen aus dem kleinen hinteren Salon vernahm, den Martha und Robert ihnen als vorläufiges Schulzimmer zur Verfügung gestellt hatten. Und die Keltons hatten von ihr die strikte Bitte zu hören bekommen, sich bloß nicht einzumischen. Arthur Talbot, der das Hinterzimmer des kleinen Geschäfts zu seinem Büro gemacht hatte, empfing sie mit einem spöttischen Lächeln. »Mister Freckles Angebot liegt vor, Missis Brading.«
Sie hob die Augenbrauen. »Zwanzig Prozent Preisnachlass?«
»Satte zwanzig Prozent!«
Sie lachte. »Und nichts für Sie.«
»Keinen Penny! Es wird Zeit, dass Sie nach Seven Hills zurückkehren und mich alle weiteren Verhandlungen alleine führen lassen. Sonst muss ich die Kutsche, die ich in Auftrag gegeben habe, wieder abbestellen.« Er seufzte gequält, doch seine Augen zeigten Belustigung.
»Bewegung hält jung«, flachste sie.
»Das trifft auch auf Pferde zu«, erwiderte er.
Sie verbrachte den Vormittag zusammen mit dem Baumeister und Glenn Pickwick. Kurz vor Mittag hatte sie dann das Treffen mit Mister Clive Jarway im Büro ihres Anwalts.
Clive Jarway war ein kleiner, schwergewichtiger Mann mit einem runden fleischigen Gesicht und lebhaften Augen. Er war in unauffälliger Eleganz gekleidet und für seine beachtliche Körperfülle sehr behände.
»Es ist mir eine Ehre, Ihre Bekanntschaft zu machen, Missis Brading, und Ihnen mit meinen bescheidenen Diensten zu Ihrer Verfügung zu stehen«, begrüßte er sie mit der routinierten Vollmundigkeit eines Mannes, der sich im Kreditgewerbe so sicher wie der Fisch im Wasser bewegte und sich eine entsprechend einnehmende Umgangsart angeeignet hatte.