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Die weltweite Vernetzung von Computern, Institutionen, Menschen ist längst Realität. In seinem Film Das Netz, der 2004 auf dem »european media art festival« ausgezeichnet wurde, hat Lutz Dammbeck den Ursprüngen dieser Entwicklung nachgespürt. Seit den 1940er Jahren entstand aus Kybernetik, Multimediakunst, LSD-Versuchen und Systemtheorie die faszinierende Vision einer offenen, globalen und vernetzten Weltgesellschaft.

Einer der bekanntesten Gegner dieser technologischen Gesellschaft ist der sogenannte Unabomber, der von 1978 bis 1995 durch eine Serie von Bombenanschlägen auf namhafte Wissenschaftler die USA erschütterte.

Dammbeck hat beeindruckende Dokumente zu Tage gefördert und Interviews mit den Protagonisten der Cyber-Elite geführt: dem Verleger John Brockman, den Informatikern Stewart Brand und David Gelernter, dem Physiker Heinz von Foerster u. a. Diesen Stimmen stellt er Briefe des hochbegabten ehemaligen Harvard-Mathematikprofessors Ted Kaczynski entgegen, der 1996 als mutmaßlicher Unabomber verhaftet und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Im Anhang des Buches ist zum ersten Mal in deutscher Übersetzung das sogenannte Unabomber-Manifest abgedruckt, das Ted Kaczynski im Jahr 2003 Lutz Dammbeck zur Verfügung gestellt hat.

Lutz Dammbeck, geb. 1948 in Leipzig. Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. 1986 Übersiedlung nach Hamburg. Maler und Filmemacher, seit 1999 Leiter einer Medienklasse an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Das Netz ist Teil der künstlerischen Auseinandersetzung Dammbecks mit den Zusammenhängen von Kunst, Macht, Wissenschaft und Philosophie, die er seit 1983 in einer Art Gesamtkunstwerk mit dem Titel HERAKLES KONZEPT reflektiert.

Die Website zu Film und Buch ist: www.t-h-e-n-e-t.com

Lutz Dammbeck

DAS NETZ –

die Konstruktion des
Unabombers

und:
Die industrielle
Gesellschaft und ihre Zukunft
(Unabomber-Manifest)
von FC

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Editorische Notiz: Fotonachweis: Alle Abbildungen sind Szenenfotos aus dem Dokumentarfilm Das Netz von Lutz Dammbeck.

Das Interview mit Heinz von Foerster und die Briefe Ted Kaczynskis sind Bearbeitungen der deutschsprachigen Originalfassungen. Die Interviews mit John Brockman, Stewart Brand, Chris Garcia (Computermuseum), Robert Taylor, Butch Gehring, Chris Waits und David Gelernter sind Bearbeitungen der für die Untertitelung des Films Das Netz hergestellten Rohübersetzung der englischen Originalfassung von Lucinda Rennison und Edna McCown. Die deutsche Übersetzung der von Ted Kaczynski zur Verfügung gestellten englischen Fassung von Industrial Society And Its Future ist von Katharina Picandet.

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Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg
Schützenstraße 49 a · D - 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2004
Umschlaggestaltung: Maja Bechert, www.majabechert.de
Print ISBN 978-3-89401-453-7
E-Book ISBN 978-3-86438-001-3

Inhalt

Der Film DAS NETZ

Chronologie

Lebenslauf Theodore John Kaczynski

Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft (Unabomber-Manifest) von FC

Der Film
DAS NETZ

»Unser Leben entkam wie ein Vogel dem Netz der Jäger. Das Netz ist zerrissen, und wir sind frei!«

Psalm 124,7

»I visualize a time when we will be to robots what dogs are to humans, and I’m rooting for the machines.«

Claude Shannon in ›Omni‹, August 1987

PROLOG

1930 erschüttert der Wiener Mathematiker Kurt Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen die Grundlagen der Mathematik. Er weist nach, dass es in jedem formal-logischen System Probleme gibt, die nicht lösbar und entscheidbar sind. Die Wahrheit ist der Beweisbarkeit überlegen.

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FLUG LH 404 FRANKFURT/MAIN–NEW YORK

Mit diesem Film bin ich in eine seltsame Sache geraten, einen der spektakulärsten Kriminalfälle der USA. Angefangen hatte es harmlos. Mir war aufgefallen, dass es im Umfeld meines neuen Computers von Begriffen wimmelte, die ich schon aus anderen Zusammenhängen kannte: »Multimedia«, »Virtualität«, Grenzüberschreitungen und Revolutionen aller Art, das gehörte auch zum Programm einer in den 60er Jahren revoltierenden Kunst-Avantgarde, die alle Grenzen zwischen Kunst und Leben auflösen wollte: CHANGE NOW!

Pop- und Op-Art, Situationismus, Happenings, Künstler wie John Cage, Nam June Paik oder Andy Warhol, Bands wie Grateful Dead und Velvet Underground – das war ein Cocktail aus Revolte, Rock und Pop, der mich faszinierte. Die Botschaft war: Alles ist möglich, Realität ist beliebig veränderbar, du bist, was du sein willst!

Merkwürdig, wie sich diese beiden Welten berührten, Computer und Kunst. Wieso verwendeten Künstler und Wissenschaftler beim Bau ihrer Maschinen anscheinend ähnliche Muster und Begriffe? Gab es ein geheimes Grundmuster oder System?

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Bei der Recherche stoße ich auf den Verleger John Brockman. 1963 kommt er nach New York und startet eine Karriere als Investmentbanker. Doch abends verlässt er sein Büro in der Park Avenue und besucht die kleinen Avantgardetheater und Musikclubs rund um Saint Marks. Zusammen mit Charles Mingus Jr. und Sam Shepard arbeitet er nachts im kleinen Off-Theater Geneses als Assistent, stellt Stühle auf, kehrt den Saal und übernimmt andere Hilfsarbeiten. Doch er interessiert sich mehr für Film und Kybernetik als für Theater. So sucht und findet Brockman bald Kontakt zur New Yorker Multimediaszene um Dick Higgins, Jonas Mekas und Andy Warhol und gehört bald zu einer Gruppe junger Künstler und Intellektueller, die der Komponist John Cage regelmäßig zum Dinner einlädt. Reich und berühmt wird Brockman in den 80er Jahren, als sich der Mix aus Multimediakunst und neuen Technologien zu einem Geschäftsfeld entwickelt. Brockman wird Agent für die Bücher von Physikern, Genforschern und Computerwissenschaftlern, die er wie Popstars vermarktet. Sein Verlag ist in den 90er Jahren Zentrum eines globalen Netzwerks von Wissenschaftlern, Künstlern und Medienmanagern, die er »Digerati« nennt – eine Cyberelite, die erfolgreich Multimedia, Computer und Geschäft miteinander verbindet. 1993 wird John Brockmans Netzwerk mit einem Bombenanschlag attackiert. Das Opfer ist der Computerwissenschaftler David Gelernter. Als Täter verhaftet das FBI drei Jahre später den ehemaligen Mathematikprofessor und Absolventen der Harvard-Universität Ted Kaczynski.

Warum wird ein Mathematiker zum Terroristen?

5 EAST 59TH STREET, MANHATTAN, NEW YORK

John Brockman ist mein erster Gesprächspartner. Er empfängt mich und das Filmteam in seinem Verlag im obersten Stockwerk eines Penthouses in Midtown Manhattan in der Nähe des Central Parks.

Vom Balkon aus hat man einen Panoramablick über den Trump-Tower, das Plaza Hotel und die Wolkenkratzer Manhattans.

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Bei der Kontaktaufnahme zu Brockman hilft mir die Empfehlung eines Berliner Verlegers, der ein Geschäftsfreund von John Brockman ist. Als er hört, dass ich mich für die frühen Zusammenhänge von Kunst und Technologie interessiere, ist Brockman sofort zu einem Interview bereit.

An den Wänden des Büros hängen Plakate und Fotos, die seine Zugehörigkeit zur New Yorker Kunstszene in den 60er Jahren dokumentieren. Auf einem der Fotos sieht man ihn mit Bob Dylan und Andy Warhol in dessen Factory. Ein Assistent Brockmans hat eine kleine Videokamera neben unserer Kamera aufgebaut und schneidet parallel das Interview mit. Auch wir drehen auf Videomaterial, statt wie ursprünglich geplant auf 35mm-Film. Wegen der verschärften Sicherheitsbedingungen und Kontrollen auf allen amerikanischen Flughäfen in Folge der Anschläge vom 11. September wird der Transport von belichtetem und unbelichtetem Filmmaterial innerhalb der USA von keiner Versicherung mehr gedeckt. Niemand kann garantieren, dass nervöse Zollbeamte nicht die Filmdosen öffnen würden, um den Inhalt zu kontrollieren.

Brockman: Eines Tages gehe ich im Central Park spazieren und spiele auf meinem Banjo, da läuft mir Jonas Mekas mit seiner 8mm-Kamera über den Weg und fängt an, mich zu filmen. Wir unterhielten uns, und einen Tag später war ich der neue Leiter der Filmmakers’ Cinematheque und kündigte meinen Job als Banker. Mekas wollte ein Festival machen, wo der Film im Mittelpunkt stand, das aber auch andere Künste einbeziehen würde. Er machte ein paar Vorschläge, wir dachten darüber nach, und ich sollte es dann organisieren. Ich nannte es das Expanded Cinema Festival. Und ich ging zu Rauschenberg, Oldenburg, Nam June Paik, der Usco-Gruppe, Carolee Schneemann, ging zu Tänzern, Malern, Dichtern und Klangkünstlern. Die einzige Bedingung war, dass Film irgendwie im Kunstwerk vorkommen musste. Das Ergebnis war eine totale Neuordnung der Sinne. Du wusstest nicht genau, was du eigentlich gerade sahst.

Und all diese Leute experimentierten mit Medien, sie beschäftigten sich mit technologischem Zeugs. Wissen Sie, niemand sprach damals von Kybernetik, aber alle lasen McLuhan. Rauschenberg erzählte mir von McLuhan und: John Cage gab mir eine Ausgabe des Buchs Cybernetics von Norbert Wiener und sagte: »Das ist etwas für dich!« Weil er wusste, dass ich mich sehr für Theorien von Feedback und Nonlinearität interessierte.

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Dann bekam ich einen Anruf von A. K. Salomon, der war damals Leiter der Biophysikalischen Fakultät in Harvard. Er hatte über das Expanded Cinema Festival gelesen und sagte: »Wissen Sie, wir haben hier diesen Haufen von Wissenschaftlern in Harvard und am M.I.T., und einige von uns würden gerne eine Gruppe Künstler einladen, ein paar Tage mit uns im Seminar zu verbringen und über gemeinsame Interessen zu sprechen.«

Er lud mich ein, das zu organisieren, was ich auch tat. Und dann nahmen sie uns mit, um den Computer zu besichtigen! Da war ein großer Raum, und alle in dem Raum trugen weiße Kittel, ihnen war kalt, und uns war kalt, und wir betrachteten den Computer. Mit all diesen Karten, Sie wissen schon, diesen Lochkarten. Und ich stand da wie ein kleines Kind, das die Nase gegen die Scheibe drückt. Und es war so aufregend, und ich hatte keine Ahnung wieso.

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John Z. Young, ein Biologe aus Oxford, schrieb in seinem Buch Zweifel und Gewissheit in der Wissenschaft: »Wir schaffen uns Werkzeuge, und indem wir sie benutzen, formen wir unsere Sicht der Welt.«

Ich las das 1964, und ich erkannte plötzlich, dass Realität nicht das ist, was wir glauben wie auf einer Bühne vor uns zu sehen, sondern diese Realität erfinden wir selbst. Wir erfinden Technologien, und dann verwandeln wir uns in diese Technologien. Das heisst: Dein Herz ist nicht WIE eine Pumpe, dein Herz IST eine Pumpe! Dein Gehirn ist nicht WIE ein Computer, dein Gehirn IST ein Computer! Und das geht noch weiter, dann bist du ein neuronales Netz, oder du bist ein Informationssystem!

Und bald erweiterten sich die Kreise. Also, da war Heinz von Foerster, der Sekretär der Weltvereinigung der Kybernetiker, da war Gregory Bateson, da war Stewart Brand. Alle diese Leute waren Autoren, so wie ich, und ich las ihre Bücher. Keiner in New York hatte eine Ahnung, dass da etwas im Gange war, dass da ein neues Bewusstsein und eine neue Geisteshaltung aufkamen. Und ich fragte mich, wie man diese Leute zusammenbringen konnte, verstehen Sie, um sie als Teile eines kollektiven Bewusstseins zu sehen.

Und das waren Bestsellerautoren, die vom Verlagswesen betrogen wurden. Also wurde ich von denen als Agent angeheuert, weil ich was von Geschäften verstand, und sie sagten: »Warum kümmerst du dich nicht um unsere Interessen? Das wird dich höchstens eine Stunde pro Tag kosten.«

Und ich dachte, ja, das wäre eine nette Art, ein bisschen Geld zu verdienen, während ich selbst Bücher schrieb. Und fand ziemlich schnell heraus, dass ich auf einer Ölquelle saß, die ich nicht mehr abstellen konnte. Das ist jetzt dreißig Jahre her.

Dammbeck: Und wie kam es später zu Ihren berühmten »Millionärs-Dinners«?

Brockman: 1983 fuhr ich nach Las Vegas zur Comdex Convention, einer der wichtigsten Computermessen der Welt. Dort brodelte es vor Aufregung, nur trugen all diese Leute graue Anzüge und waren völlige Nerds, also Leute, mit denen ich eigentlich bisher nichts zu tun hatte – meine Welt waren die sogenannten Revolutionäre aus der Gegenkultur und Künstler gewesen. Aber es war außergewöhnlich, und diese Leute dort waren dabei, die Welt zu verändern. So um 1984 oder ’85 herum gab ich ein Dinner auf der Comdex, und irgendein Reporter sagte: »All Ihre Kunden hier, diese Hardware-Entwickler, die werden bald alle Millionäre sein.« Also nannte er es das Millionärs-Dinner, das stand auf der Titelseite des Wall Street Journal und blieb so haften, und so gab ich jedes Jahr meine Millionärs-Dinners. Vor drei Jahren wurde uns bewusst, dass ungefähr zehn der Leute, die kamen, schon Milliardäre waren! Sie flogen alle ihre eigenen Jets, nicht kleine Jets, sondern große Jets, und so nannten wir es das Milliardärs-Dinner. Es war ein Ereignis, so etwas hatte ich noch nicht gesehen! Jeff Bezos kam rein, seine Aktien waren 19 Milliarden Dollar wert. Steve Case saß neben Nathan Myrvold – AOL/Microsoft –, die waren Erzrivalen zu der Zeit. Jeder hatte ein Dot.com-Unternehmen, und ein Jahr später war schon alles ganz anders. Wissen Sie, diese Dinge kommen und gehen, man sollte sich davon nicht verrückt machen lassen. Aber die Wissenschaft wird bleiben, die Wissenschaft wird nicht verschwinden. Und die Wissenschaft hat unser ganzes Leben revolutioniert, wissen Sie, und das wird noch lange nicht aufhören.

Dammbeck: 1993 wurde Ihr Netzwerk, über das wir gerade sprachen, angegriffen. David Gelernter, einer Ihrer berühmtesten Autoren, erhielt eine Briefbombe des sogenannten Unabombers.

Brockman: Richtig.

Dammbeck: Was denken Sie, weshalb wurde Gelernter als Ziel ausgewählt?

Brockman: Dieser kriminelle Verrückte las wahrscheinlich die New York Times. Eine Menge Leute, die er als Angriffsziele aussuchte, waren Leute, die John Markoff dort portraitiert hatte. Von Gelernter gab es 1991 eines der größten Portraits, die je in der New York Times veröffentlicht wurden, und ich bin sicher, das hatte etwas damit zu tun.

Dammbeck: Aber der Unabomber studierte in Harvard und war ein Mathematiker…?

Brockman: Ja, und er ist ein kranker Krimineller. Ich möchte keine ernsthafte Diskussion über diesen Kerl führen. Wissen Sie, er ist es nicht wert.

Ich denke, er ist ein Typ, der so ein Manifest geschrieben hat, das kein Verlag veröffentlichen wollte, weil es so schlecht und so platt geschrieben ist. Und um es in die Öffentlichkeit zu bringen, hat er Leute umgebracht – Ende der Geschichte. Man kann über Umwelt und Wissenschaft diskutieren, aber man muss niemanden umbringen, um seinen Standpunkt zu vertreten. Ich möchte ihn nicht aufwerten, indem wir weiter darüber sprechen. Lassen Sie uns das Thema wechseln.

EASY INTERNET CAFÉ, 234 WEST 42ND STREET, MANHATTAN, NEW YORK

John Brockmans harsche Reaktion auf meine Frage nach Ted Kaczynski überrascht mich. Was ist das für ein Manifest, das er erwähnt?

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Bei der Recherche in einem der vielen Internetcafés NewYorks finde ich bei Google neben unzähligen Beiträgen zum Suchbegriff »Ted Kaczynski + Manifest« auch Hinweise auf eine Serie von Bombenanschlägen, die zwischen 1978 und 1995 die USA erschüttert.

Drei Menschen sterben und 23 werden zum Teil schwer verletzt. Ziel der Bomben sind Manager großer Fluggesellschaften und Wissenschaftler verschiedener Eliteuniversitäten. Die Fahnder des FBI gehen von einem intelligenten Einzeltäter aus, dem sie den Codenamen »Unabomber« geben, das Computerkürzel aus »Universities« und »Airlines«. 1995 erhalten die New York Times und die Washington Post Briefe, in denen eine bisher unbekannte Terrorgruppe »FC«, die Abkürzung für »Freedom Club«, die Veröffentlichung eines Manifests fordert und dafür die Einstellung der Anschläge anbietet.

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Mit Genehmigung des FBI erscheint am 2. August 1995 der Vorabdruck des 56-seitigen Manifests mit dem Titel Industrial Society And Its Future und führt zur Verhaftung des ehemaligen Mathematikprofessors Ted Kaczynski. Dessen Bruder David glaubt, nach der Lektüre Zitate seines Bruders Ted zu erkennen und verständigt auf Drängen seiner Frau das FBI. 1996 verhaftet das FBI Ted Kaczynski in der Wildnis Montanas, wo er 25 Jahre in einer selbst gebauten Hütte gelebt hatte.

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3E GATE FIVE ROAD, SAUSALITO, KALIFORNIEN

Mein nächster Gesprächspartner ist John Brockmans Freund und Klient Stewart Brand. Wir treffen uns in Sausalito, einem ehemaligen Fischerdorf in der Nähe San Franciscos. Stewart Brand gehört in den 60er Jahren zu einer Szene von Hippies und Künstlern, die auf einer Hausbootsiedlung am Rande Sausalitos leben. Eine zentrale Figur dieser Szene ist der Schriftsteller Ken Kesey. 1960 ist Kesey eines der studentischen Versuchskaninchen, an denen im Auftrag der amerikanischen Regierung LSD getestet wird. Später ist er mit Musikern und der Theatergruppe Merry Prankster »on the road«, um bei sogenannten »Acid Tests« für LSD und andere Drogen zu werben, die das Bewusstsein in ein offenes System verwandeln – eine alternative Form von Kybernetik. Stewart Brand war einer dieser alternativen Kybernetiker und hat noch heute in Sausalito ein kleines Büro und Atelier. Das Atelier ist ein kleines ebenerdiges Gartenhaus, vor dem ein altes Hausboot steht, in dem Brand seine Computer installiert hat. Brand ist der Erfinder des Begriffs »Personal Computer« und in den 60er Jahren Herausgeber des Whole Earth Catalog, eines Versandkatalogs für alternative Lebensweise. In den 80er Jahren installiert er auf einem Hausboot im Hafen Sausalitos das erste alternative Computernetzwerk der Welt, The Well. In den 90er Jahren ist er Berater für die kalifornische Computerindustrie. Wie kommen Computer, LSD und Hippies zueinander?

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Brand: 1960 und ’61 war ich Leutnant der US Army in Fort Dixon in New Jersey. An den Wochenenden ging ich oft zur Lower East Side von New York und traf mich mit Künstlern. Ich hatte schon zwischen 1959 und ’60 in San Francisco angefangen, mit Künstlern zu verkehren. John Brockman gehörte dazu, ein Typ namens Steve Durkey, der Dichter Gerd Stern und eine Gruppe von Künstlern und Ingenieuren, die sich gerade gegründet hatte und Usco nannte, das stand für »US company«. Es war die Zeit von Kunst und Technologie, es gab Pop-Art und Op-Art und solches Zeugs. Künstler und Wissenschaftler beobachteten einander und guckten, ob sie nicht Dinge zusammen tun könnten, die Spaß machen würden. Es gab mehrere Museen, von denen wir eingeladen wurden, das Jüdische Museum in New York gehörte dazu, und schließlich haben wir im Riverside Museum eine sogenannte »environmental art«-Show eingerichtet. Ich habe ein Musik-Tape dafür gemacht, das war wohl so um 1963. Darüber gab es eine Titelgeschichte im Life Magazine, die nannten es »LSD-Art«. Das war so eine kurze tolle Zeit, als Ingenieure, ein paar Wissenschaftler und junge Künstler Spaß daran hatten, Dinge zusammenzumachen.

Ken Kesey lernte ich durch Indianer kennen. Ich war zu der Zeit Fotojournalist, und durch einen Freund erhielt ich den Job, Indianer in der Warm Springs Reservation in Oregon zu fotografieren. Also fotografierte ich diese Typen und dachte, das ist ein wirklich interessantes, anderes Amerika, das ich bisher nicht kannte und das mich sehr bewegte.

Dann erschien Keseys Buch Einer flog über das Kuckucksnest, in dem eine Figur vorkommt, die Häuptling Broom heißt. Und Häuptling Broom wurde als ein Indianer aus dem Reservat dargestellt, wo ich fotografiert hatte. Das berührte mich sehr und bestätigte mir, was ich schon selbst gefühlt hatte, nämlich dass Indianer wichtig waren. Durch einen gemeinsamen Freund bekam ich Keseys Adresse und schickte ihm meine Fotos. Und er antwortete mit einer Notiz: Komm vorbei! Das tat ich und wurde ganz selbstverständlich willkommen geheißen und mit einbezogen.

»Being on the bus«, das hieß von Acid-Test zu Acid-Test zu fahren, was Keseys Form von Performance-Kunst war. Eine Band war mit dabei, die Warlocks, die späteren Grateful Dead. Einige Leute der Gruppe waren ehemalige Army-Angehörige, so wie ich, einige von ihnen waren Künstler. Und alles war extrem improvisiert.

Dammbeck: War es ein mobiles Laboratorium?

Brand: Ja. Für Kesey war es das sicher. Er sagte, die Wissenschaftler sprechen davon, »Versuche« zu machen, aber wir betreiben »Suche«. Und wenn wir nicht Steine kochen und dann dieses Wasser trinken, woher sollen wir wissen, ob uns das nicht stark macht? Und wir kochten Steine, das heißt, wir probierten jedes verdammte Ding aus. Und da waren ziemlich interessante Experimente dabei. Eins davon zum Beispiel war: einen Gartenschlauch zu nehmen – also da saßen ungefähr 15 Leute rum, hauptsächlich stoned –, also einen Gartenschlauch zu nehmen, ihn in Stücke von je drei bis vier Metern zerschneiden, alle zu einem Knoten zusammenzubinden, zwei Enden nehmen, in eines der Enden zu sprechen, und in ein anderes hineinzuhören. Du hörtest was, aber wusstest nicht, mit wem du sprichst. Und das passierte mit einer Gruppe von fünfzehn Leuten. Nur um zu sehen, was passiert. Das war »Suche«.

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Dammbeck: Und wie kam es dann zum Whole Earth Catalog?

Brand: Das Whole Earth Catalog-Projekt hatte eindeutig diesen Bezugsrahmen, aber konkret entstand es durch einen LSD-Trip. Ich hing mit etwa 200 Mikrogramm LSD intus auf einem Hausdach rum, weil ich nichts Besseres zu tun hatte, und dachte über eine Vorlesung von Buckminster Fuller nach, die ich kurz vorher gehört hatte. Fuller, wie McLuhan, gehörte zu den Leuten, denen wir damals zuhörten. Ich war also oben im zweiten Stock – körperlich, chemisch sicher noch höher – und schaute auf die Innenstadt von San Francisco. Ich hatte eine Wohnung in North Beach und glaubte zu sehen, dass die Gebäude in San Francisco nicht parallel zueinander standen, sondern leicht auseinandergingen, weil sie auf der gewölbten Erdoberfläche stehen. Und ich dachte, wenn ich höher gehe, wird das deutlicher werden, und wenn ich noch höher gehe, noch deutlicher, bis man hoch genug ist, um zu sehen, wie sich die Erdoberfläche wieder schließt, und dann würde man sehen, dass die Erde keine Insel ist. Denn Buckminster Fuller hatte gesagt: Jeder glaubt, dass die Erde flach und unendlich ist und wir unbegrenzt Rohstoffe verwenden können und unbegrenzte Reserven haben, aber das stimmt nicht. Und dort, in diesem Augenblick, habe ich mir diese Idee mit den Ansteckbuttons ausgedacht, die die ganze Erdkugel zeigen – die wir dann für 25 Cent das Stück verkauften. So wurde »the whole earth« für mich eine Referenz, im Frühling 1966, und als ich ab Herbst 1967 oder Frühling 1968 an einem Versandkatalog arbeitete, kam eines Tages der Typ, der mein komisches Projekt gewissermaßen beschützte, Dick Raymond, vorbei und fragte mich: »Wie willst du das Ding nennen?« Und ich sagte: »Ich weiß nicht, Whole Earth Catalog oder so«, weil ich immer noch auf diesem Trip war, dass ich diese NASA-Fotos von der Erde im Weltall haben wollte, die damals noch nicht öffentlich zugänglich waren. Und so ist der Whole Earth Catalog gewissermaßen ein gemeinsames Produkt von Buckminster Fuller und LSD.

Also, wir hatten »the whole earth«, wir hatten Leute wie Buckminster Fuller und später Gregory Bateson oder Marshall McLuhan … Norbert Wiener war im Heft, auch von Cage war ein bisschen was drin. Die ersten Leser und Kunden kamen aus Kommunen, das waren also Leute, die eine neue Gesellschaft aufbauen wollten. Und ich versuchte, dafür das Werkzeug bereitzustellen. Und es stellte sich heraus, dass eine Menge Leute daran interessiert war.

Diese Kommunen, die versuchten, zu den Ursprüngen zurückzukehren, Sie wissen schon, Landwirtschaft und solche Sachen, die hatten damit wirklich gute Erfolge. Sie lernten ernsthaft, Landwirtschaft zu betreiben.

Ein Buch, das wir über den Whole Earth Catalog vertrieben, hieß Ziegenhaltung, und war ein sehr beliebtes Buch. Hol dir das Buch, hol dir ein paar Ziegen und mach es einfach – Milch und was immer du willst. Aber das führte dann nicht sehr weit. Es war im Grunde eine Art Sackgasse wie Drogen. Während manche Technologien, zum Beispiel die zur alternativen Energiegewinnung, sehr vielversprechend waren. Langsam ging es mit Solarenergie los, das wächst ja heute noch, ebenso mit Computertechnologie. Und weil der Gegenkultur-Hippie-Bezugsrahmen für alle möglichen Außenseiter offen war, zog das auch die Computerfreaks und Hacker an und wurde zu deren Bezugsrahmen.

Und dann wurde das in einer wirtschaftlich erfolgreichen Variante auch die Basis für PCs und für jedermann zugängliche Software, dann für das Internet und das World Wide Web und so weiter und so fort. Und deshalb ist für mich das Haupterbe der Sechziger: alles, was mit Computern zu tun hat, als offenes System zu begreifen.

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Dammbeck: Sie boten in Ihrem Katalog zwei sehr unterschiedliche Wege an. Zum einen, wie benutze ich einen Computer, und zum anderen, wie baue ich mir eine Hütte in der Wildnis im Stile Thoreaus, einer der amerikanischen Ikonen. Das hieß, Konzepte sowohl für Technologie wie für Antitechnologie in einem Buch anzubieten. Gab das nicht Konflikte, auch mit Ihren Lesern? Was war damals Ihre Position?

Brand: Wir landeten auf einer Seite des Konflikts zwischen Technologie und Antitechnologie, wir landeten auf der Seite von Technologie. Hauptsächlich wegen der Theorie, dass Technologie einzusetzen heißt: greif zu, lass es einfach laufen, und tu, was immer du willst, mit dieser Technologie. Tu damit, was du für richtig hältst. Wenn es so läuft und diese Technologien grundsätzlich demokratisiert werden, werden sie okay sein. Wenn man aber nur sagt: oh, sie sind sehr, sehr böse, und deswegen rühre ich sie nicht an, dann lässt man Technologien die totale Freiheit, so böse zu sein, wie sie wollen.

Sie wissen sicher, einer der Thoreaus Hütte nachbaute, war der Unabomber, Ted Kaczynski. Der sagte: Technologie ist böse, böse, böse, und ich werde das beweisen und einige der Leute umbringen, die so etwas erfinden. Das führt uns dann zu Bill Joy, der sagt: Moment mal, Ted Kaczynski hat in einigen Dingen Recht! Man liest seine Sachen, und die enthalten manche vernünftige Kritik, die wir ernst nehmen sollten. Was ist denn, wenn wir Waffen und Massenvernichtungswaffen demokratisieren? Ist das eine gute Sache? Es ist okay, PCs und das Internet zu demokratisieren, aber was ist mit Waffen und Massenvernichtungswaffen? Das ist eine gute Frage, die uns am Anfang des 21. Jahrhunderts beschäftigt. Ich denke, wir werden das irgendwann regeln, aber es ist eine wichtige Frage.

Kaczynski sagte einfach: Die Gesellschaft geht hier in eine gefährliche Richtung, und ich will alles tun, um das zu verhindern. Und er hat sich Gehör verschafft. Durch Gewalt zwar, aber er wurde gehört.

BOUND TOGETHER BOOKSTORE, SAN FRANCISCO, KALIFORNIEN

Unabomber, Thoreau, eine selbst gebaute Hütte, antitechnologischer Fundamentalismus, Bill Joy, die Entwicklung von Computern – offensichtlich gibt es zwischen all diesen auf den ersten Blick so disparaten Dingen einen Zusammenhang, der mich mehr und mehr interessiert.

Bei der Rückfahrt vom Interview mit Stewart Brand entdecke ich am unteren Ende von Haight-Ashbury, dem ehemaligen Mekka der LSD- und Hippiekultur, zwischen Tattoostudios und heruntergekommenen Rock-Cafés einen Buchladen mit vorwiegend anarchistischer Literatur.

An der Wand hängt eine DDR-Fahne mit der Signatur: Gruß von den Anarchisten aus Weimar! Neben Büchern von Noam Chomsky, Henry David Thoreau, Peter Kropotkin und Ausgaben der Zeitschrift Green Anarchy finde ich auch, wonach ich suche: Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft von »FC«.

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»Die industrielle Revolution und ihre Folgen sind katastrophal für die Menschheit. … Deshalb treten wir für eine Revolution gegen das industrielle System ein. Anhaltender wissenschaftlich-technischer Fortschritt wird die Freiheit des Individuums vernichten. Es wird bald keinen Ort mehr geben, wo sich ein Individuum vor der Überwachung durch Supercomputer und Bewusstseinssteuerung verstecken kann. … Es wäre hoffnungslos, das System anzugreifen, ohne selbst moderne Technologie einzusetzen. Wir müssen alle Medien nutzen, um unsere Botschaft zu verbreiten: Natur ist der Technologie entgegengesetzt und die perfekte Alternative zu diesem System. … Je eher dieses System zusammenbricht, desto besser für die Menschheit.«

Der Text ist spannend, wirft aber viele neue Fragen auf. Was bringt einen Wissenschaftler dazu, Technologie als eine tödliche Gefahr für die Menschheit zu betrachten? Als in Harvard ausgebildeter Mathematiker ist Kaczynski Insider und sicherer Anwärter für einen Aufstieg im wissenschaftlichen Establishment. Was ist der Grund, dass er in den siebziger Jahren die Seite wechselt und aussteigt? Im Internet finde ich die Adresse von Ted Kaczynski. Er sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe der Kleinstadt Florence im Bundesstaat Colorado. Ich beschließe, ihm zu schreiben.

FLORENCE, COLORADO

Sehr geehrter Herr Dammbeck,

vielen Dank für Ihren Brief und Ihre Fragen, die ich versuchen werde zu beantworten. Ich nutze diese Gelegenheit, um meine Kenntnisse der deutschen Sprache zu verbessern. Ich bin kein Wissenschaftler. Vor dreißig Jahren war ich Mathematiker, aber ich habe den größten Teil von dem, was ich über die Mathematik wusste, vergessen.

Ich meine, dass Utopien wahnsinnig und gefährlich sind, besonders die von einer technologischen Gesellschaft. Die Technologie ist eine ganz eigenwillige und äußerst gefährliche Macht, die uns dahin führt, wohin sie uns führen muss.

Das wird weder durch den Zufall noch die Willkür arroganter Bürokraten, Politiker oder Wissenschaftler bestimmt, sondern das technologische System muss einfach menschliches Verhalten seinen eigenen Erfordernissen anpassen. Das ist notwendig, damit es funktionieren und sich immer weiter ausdehnen kann.

Sie fragen mich auch einiges zum Manifest. Alle veröffentlichten Versionen des Manifests sind unrichtig, denn sie enthalten schwerwiegende Fehler. Wenn Sie eine richtige Version des Manifests bekommen wollen, kann ich sie Ihnen liefern. Sie können mir auch weiter auf Deutsch schreiben.

Ihr ergebener Ted Kaczynski

M.I.T. ARCHIV, CAMBRIDGE, MASSACHUSETTS

Wie entsteht eine Utopie? Entsteht so etwas zufällig, gibt es einen oder mehrere Erfinder, oder gibt es einen Plan?

Recherche und Drehplan führen mich nach Cambridge. Hier residieren mit dem M.I.T. und der Harvard University zwei mächtige und einander ergänzende Teile einer Wissenschaftsmaschine, die neue Technologien sowohl entwickelt als auch von ihnen angetrieben wird.

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Am M.I.T. wird die Elite amerikanischer und internationaler Ingenieure und Wissenschaftler ausgebildet. Das M.I.T. ist auch Vorreiter für eine enge Partnerschaft zwischen dem Militär und den Universitäten. Diese Zusammenarbeit beginnt im Ersten Weltkrieg und setzt sich im Zweiten Weltkrieg fort, als Technologie kriegsentscheidend wird.

Am 13. August 1940 eröffnet die deutsche Luftwaffe die Schlacht um England. Kurz nach Beginn der deutschen Angriffe bietet der 1886 in Chicago geborene Mathematiker und Physiker Norbert Wiener der US-Regierung sein Wissen für den Abwehrkampf gegen den Faschismus an.

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Wiener lehrt am M.I.T. als Professor für Mathematik und hatte sich schon im Ersten Weltkrieg mit Fragen der Ballistik und Artillerie beschäftigt: Wie kann man eine Maschine bauen, die Bewegungen von Jagdfliegern im Voraus berechnet, um diese dann abschießen zu können?

Wiener muss dabei das Wesen des technisierten Krieges berücksichtigen, wo Menschen, Schiffe und Flugzeuge auf dem Radarschirm nur mehr abstrakte weiße Punkte und Zeichen sind: Der Pilot verschmilzt mit seiner Maschine, die Grenze zwischen Mensch und Maschine verwischt, und es entsteht ein anonymes, mechanisiertes Gegenüber, dessen Handlungen nun in den Kriegslaboratorien modelliert und berechnet werden.

Obwohl Wieners Maschinen bis Kriegsende nicht einsetzbar sind, entwickelt er davon ausgehend das Modell einer neuen Wissenschaft, die als Kybernetik bekannt wird.

Kybernetik beschäftigt sich mit der Frage, wie Nachrichtenübertragung in Maschinen und Lebewesen funktioniert. Basis der Kybernetik ist die Annahme, dass das menschliche Nervensystem Realität nicht abbildet, sondern errechnet. Der Mensch erscheint nun als ein informationsverarbeitendes System, das Denken als Datenverarbeitung und das Gehirn als eine Fleischmaschine. Das Gehirn ist nicht mehr der Ort, an dem sich auf geheimnisvolle Art und Weise das »Ich« und »Identität« durch Erinnerung und Bewusstsein bilden. Es ist eine Maschine, die aus Schalt- und Regelkreisen, aus Rückkopplungsschleifen und Kommunikationsknoten besteht. Eine Black Box, in der in einem Kreislauf die Ursache Wirkung und die Wirkung Ursache ist. Ein geschlossenes Rückkopplungssystem mit In- und Output, den man berechnen und kontrollieren kann. Nicht mehr wie bisher ausgehend von Naturanschauung, sondern von unbezweifelbarer Mathematik und Logik.

Wieners Zukunftsvision von einer kommenden kybernetischen Gesellschaft liefert für den neuen politisch-militärischen Status der USA als Supermacht die wissenschaftliche Legitimation. Kybernetik wird zur neuen globalen Leitwissenschaft, die fortan unter wechselnden Etiketten weiterentwickelt wird. Aus einer Theorie wird weltweite Praxis.

FLORENCE, COLORADO

Sehr geehrter Herr Dammbeck,

weil ich jetzt ein wenig mehr Zeit habe, setze ich meine Antwort auf Ihren Brief fort. Sie fragen, »Wie soll eine nach-technologische Gesellschaft aussehen?« Nun, wenn alle moderne Technologie abgeschafft ist, wissen wir nur, dass es keine Biotechnologie, keine Computer, keine Atombomben usw. mehr gibt. Bleiben wir bei dem, was praktisch und konkret ist. Gefiele es Ihnen, wenn die Menschen in einer virtuellen Welt leben? Dass Maschinen klüger sind als Menschen?

Dass Menschen, Tiere und Pflanzen künftig Produkte von Technologie sind? Wenn Ihnen das nicht gefällt, ist für Sie die Computer- und Biowissenschaft offensichtlich gefährlich. Das ist sehr einfach und steht nicht in Beziehung zur Moral, zum Unvollständigkeitssatz von Gödel oder anderen abstrakten philosophischen Fragen.

Sie haben angeboten, etwas zu schicken, was mir Freude macht. Dieses Angebot nehme ich gerne an. Mein deutsches Wörterbuch ist klein, schlecht und zerlumpt. Es würde mir Freude machen, ein gutes deutsch-englisches Wörterbuch zu erhalten. Aber Sie dürfen keines mit hartem Einband schicken.

Ihr ergebener Ted Kaczynski

COMPUTERMUSEUM IM NASA AMES RESEARCH CENTER MOUNTAIN VIEW, KALIFORNIEN

Fahrt auf der Bundesstraße No. 101 durch das Silicon Valley, von San Francisco über San Mateo an Palo Alto vorbei nach Mountain View. In der kargen, braun verbrannten Landschaft funkeln die silbern glänzenden Industrieviertel der Hightech-Industrie in der kalifornischen Sonne. Nächster Drehort ist eines der größten Computermuseen der Welt. Hier werden die historischen Computer-Maschinen gesammelt und restauriert, die nach den Blaupausen von Norbert Wiener und anderen Visionären einer kybernetischen Gesellschaft entwickelt und gebaut wurden. Der eigentliche Vater dieser Maschinen ist der Krieg, zunächst der »heiße«, später dann der »kalte« Krieg.

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Nach dem Zweiten Weltkrieg erleben die USA einen Schock, als ihre Aufklärungsflugzeuge Atombombenversuche in der UdSSR entdecken.