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Walter Schmidt

Das neue Geld-Bewusstsein

Warum wir einen anderen Umgang mit Geld und Preis lernen müssen

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WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA

»Das eigentliche Mysterium der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare.«

Oscar Wilde

Vorwort

Am 06. Januar 2017 meldete das Handelsblatt unter der Überschrift »Starke Selbstkritik von Andrew Haldane, Chefvolkswirt der Bank of England«: »Der Top-Ökonom hat eingeräumt, dass seine Spezies in Verruf sei, weil sie nicht vor dem Crash 2008 gewarnt und auch die Wachstumseinbußen durch den Brexit überbetont habe. Die Modelle der Wirtschaftswissenschaftler würden nun mal ›irrationales Verhalten‹ nicht berücksichtigen. Haldane: Die Wetterprognosen seien inzwischen verbessert, die Vorhersagen der Ökonomen aber nicht.«

Es ist ein tiefes Misstrauen gegenüber den Wirtschaftswissenschaften entstanden. Gegenüber der Art und Weise, wie wir mit dem Geld umgehen. Das hat wie immer viele Ursachen. Aber es liegt wohl auch an den Strukturen unseres Denkens. An den grundlegenden Ideen, die wir mit Geld verbinden. Manchmal sehen wir ja das Offensichtliche nicht, weil wir von Glaubenssätzen ausgehen, die wie Filter wirken. Das kennt wohl jeder, der schon einmal verliebt war und sich später wieder »entliebte«. Mit einem Mal sieht er am Partner Eigenschaften, die er vorher durch seine »rosarote Brille« nicht bemerkte. Die er ausgeblendet hatte.

Beim Geld ist es nicht anders. Es gilt als ein objektives Maß für den Wert einer Sache. Als ein Tauschmittel von Dingen. Von Objekten. Deshalb erscheinen Geldbeziehungen auch als objektiv. Sie unterliegen sogenannten Sachzwängen. Und die lassen sich mithilfe der Mathematik tiefer ergründen. Auf diesen und ähnlichen Denkstrukturen beruhen die »Liebesbeziehungen« der meisten heutigen Ökonomen zum Geld.

Es ist eine leidvolle Liebesbeziehung. Denn sie stürzt uns immer wieder in Krisen. Wir ahnen inzwischen, dass es so nicht weitergehen kann. Aber wie soll es dann weitergehen?

Vielleicht versuchen wir es einmal damit, uns zu »entlieben«. Indem wir die rosarote Brille alter Glaubenssätze ablegen. Vielleicht gelingt es uns dann zu erkennen, dass es für die Denkstrukturen der Ökonomen keinen einzigen Beweis gibt. Alle historischen Befunde zeigen uns anderes. Zum Beispiel, dass Geld schon vor mehr als zehntausend Jahren nicht als Tauschmittel, sondern als ein autorisiertes Dokument zum Besiegeln von Kaufverträgen entstanden ist. Dass Geld nicht Dinge den Besitzer wechseln lässt, sondern in erster Linie dazu dient, die Zusammenarbeit von Menschen auf vertraglicher Grundlage zu gestalten. Sowohl bei der Erzeugung von Gütern, als auch beim Kaufen und Verkaufen. Denn immer müssen wenigstens zwei Menschen aufeinander zugehen, wenn Geld im Spiel ist. Sie müssen sich auf einen Vertrag verständigen. Der Preis eröffnet dabei die Verhandlung, und das Geld besiegelt die Einigung. Das kann mündlich erfolgen wie beim Kauf eines Brotes. Oder schriftlich wie beim Verkauf eines Teils unserer Lebenszeit als Arbeitszeit. Aber die Kooperation geht dem Vertrag immer voraus. Und jedem Vertrag folgt erneute Kooperation, wenn Geld im Spiel bleibt.

Vielleicht können wir mit dieser anderen Sicht eine Reihe verhängnisvoller Illusionen ablegen. Vielleicht erschließen sich uns dann auch konkrete Ideen für Maßnahmen, um die gegenwärtige Fragilität und Gefährlichkeit zu beseitigen oder wenigstens einzudämmen.

Indem wir die Mystifizierung des Geldes als »Objekt« überwinden und die Kooperation von Menschen an die Stelle des Tausches von Dingen setzen. Indem wir die sachliche Sicht auf das Geld ersetzen durch die menschliche. Eine menschliche Sicht aber schließt Moral und Verantwortung ein.

Darum dieses Buch. Um den Einstieg zu erleichtern, sollen kurz einige mir wichtige Begriffe erläutert werden:

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Dazu kommen ein Prolog sowie ein kurzer Epilog.

Der Prolog gibt einen knappen historischen Abriss, wie das Geld »moralfrei« und die den Preisen zugrundeliegenden Fakten »verantwortungslos« wurden. Und wie sich beides verschränkt hat. Außerdem versuche ich zu zeigen, dass Geld nicht aus dem Tausch, sondern als autorisiertes Dokument für die Besiegelung von Kaufverträgen entstanden ist. Und ich versuche anzudeuten, welche Rolle Kredit und Darlehen dabei gespielt haben.

Teil I befasst sich mit den Illusionen, die das klassische Geldbewusstsein hervorgerufen hat im Zusammenhang mit Geld, Wert und Besitz. Um anschließend zu zeigen, zu welchen problematischen Dimensionen diese Illusionen führen. In Bezug auf Vermögen, Schulden und Macht.

Teil II versucht, eine Strategie zu skizzieren, wie wir ein neues Geldbewusstsein entwickeln und praktisch umsetzen können. Durch eine neue Form der Marktwirtschaft. Eine demokratische Marktwirtschaft. Eine Strategie, die auf ein konkretes Aktionsprogramm hinausläuft, das in sieben Punkte gegliedert ist:

  1. die Staaten vollkommen entschulden,
  2. den Staatshaushalt stabilisieren,
  3. den Menschen helfen, ihren Platz zu finden,
  4. die Erzeugung von Einkommen fördern,
  5. soziale Verantwortung durchsetzen,
  6. die Geldschöpfung auf die Entwicklung von Einkommen und die Einhegung von Risiken fokussieren,
  7. dem Wettvermögen Grenzen setzen.

Teil III schaut auf den Alltag. Wie das Geld die Selbstverständlichkeiten unseres Lebens, unsere Kultur beeinflusst. Welche Verwerfungen wir beobachten können. Und welche Chancen entstehen, wenn wir uns auf ein neues Geldbewusstsein einlassen.

Der Epilog schließlich rundet die Reise ab. Um doch nur darauf zu verweisen, dass dieses Buch nicht mehr als ein Anfang sein kann. Der Diskussionen anregen soll. Wie wir die Zerbrechlichkeit unserer heutigen Geld- und Währungssysteme überwinden können.

Zur besseren Lesbarkeit habe ich auf Fußnoten verzichtet. Dafür erläutere ich im Anhang, auf welche Autoren sich meine Aussagen insbesondere stützen. Dabei ist mir bewusst, dass ich Ihnen nur eine subjektive Auswahl vorstellen kann, da die Einflüsse, die meine Positionen geprägt haben, sich aus weit mehr Quellen speisen: aus den vielen Begegnungen mit Unternehmern, Führungskräften, Controllern, Kommunikatoren, Technikern, Bankern, Wirtschaftsprüfern, Natur- und Geisteswissenschaftlern. Ich hatte in meinem Leben das Glück, mit diesen so interessanten Menschen mit so unterschiedlichen Sichtweisen diskutieren und oft auch streiten zu dürfen. Vielfalt ist ein großer Reichtum, wenn man sich respektiert. Drei Freunde möchte ich hervorheben: Herwig Friedag, Christopher Storck und Rainer Vieregge, die mir Impulse und Anregungen gegeben und mich vor manchen Irrwegen bewahrt haben. Ein großer Rückhalt waren und sind mir meine Familie, meine Frau Barbara und meine Kinder Anne und Gregor. Ohne ihre Geduld und Rücksichtnahme, ohne die vielen Diskussionen mit ihnen hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Und ich möchte meine Eltern erwähnen. Sie haben mich zu Neugier erzogen und mir eine Erkenntnis mit auf den Weg gegeben, die Sokrates zugeschrieben wird: Stehe zu deiner Wahrheit im Bewusstsein, dass es nicht die Wahrheit der anderen ist.

Zum Schluss hoffe ich, Ihnen bei der Lektüre auch ein wenig Vergnügen zu bereiten. Es ist ein Gedankenspiel. Und ich würde mich freuen, wenn es Sie reizt.