Cover

Jacqueline F. Eckert

 

Der Fluch der Mondsklaven

Band 1

Verrat

Inhalt

Titel

Der Fluch der Mondsklaven

Impressum

Über die Autorin:

Über das Buch:

Widmung

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Danksagung

Jacqueline F. Eckert

Der Fluch der Mondsklaven – Verrat

ISBN Print: 978-3-946376-43-9

ISBN eBooks: 978-3-946376-44-6 (ePub), 978-3-946376-45-3 (mobi)

 

© 2018 Lysandra Books Verlag (Inh. Nadine Reuter),

Overbeckstraße 39, 01139 Dresden

www.lysandrabooks.de

 

Coverdesign:

© Takezo Design Dirk Schröck, www.takezo-design.de

Stockfotos Cover via http://de.depositphotos.com/ 8936783 (val_th), 9432552 (danielkrol85), 11564498 (clearviewstock), 42315313 (heckmannoleg)

Lektorat/Layout/Satz: Lysandra Books Verlag

Die Karte zum Buch und die Symbole der Mondsklaven sind nur in der Printausgabe enthalten.

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Lysandra Books Verlags ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für die mechanische, fotografische, elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung - auch auszugsweise – durch Film, Funk, Fernsehen, elektronische Medien und sonstige öffentliche Zugänglichmachung.

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Über die Autorin:

 

Jacqueline F. Eckert, 1993 geboren, stammt aus einer deutsch-kroatischen Familie und studiert in Frankfurt am Main die Fächer Deutsch und Kunst für den Studiengang: Lehramt.

Wenn sie nicht gerade versucht, ihren stetig höher werdenden Lesestapel zu bewältigen oder mit Schreibprojekten beschäftigt ist, lebt sie sich auf die verschiedensten Arten künstlerisch aus. Für ihre Inspiration greift sie hierbei immer wieder auf ihr breit gefächertes Repertoire zurück – seien es Animes und Mangas, isländische Musik oder ganz klassische Fantasy-Filme wie „Der Hobbit“.

 

 

Über das Buch:

 

Hell und dunkel, zwei Seiten einer jeden Seele. Eine Handvoll auserwählter Menschen, die sich bei Vollmond in Bestien verwandeln. Mittendrin eine junge Frau, die alles verändert:

An ihrem siebzehnten Geburtstag wird Thyra-Fiah Cerrejonensis offiziell als Zofe in den Palast der héronischen Königsfamilie Aronos aufgenommen. Allerdings ist sie keine normale Angestellte – als Nachkommin der Basilisken soll sie den kostbarsten und zugleich meist gefürchteten Besitz des Königs mit ihrem Leben schützen: seinen jüngsten Sohn Prinz Joseph, den einzigen Genträger der schwarzen Magie. Lange bemerkt Thyra-Fiah nicht, dass weitaus mehr hinter der Fassade des Prinzen steckt, als es den Anschein hat – so vehement verleugnet er sein Wesen. Doch dann zwingt ein feiger Verrat die beiden, ihre Seiten zu wählen.

 

Bibliografie “Der Fluch der Mondsklaven”

Band 1 - Verrat (ET 2018)

Band 2 - Verbannung (ET 2019)

Band 3 - Vergeltung (ET 2020)

 

Für meine Eltern Štefica und Thomas

und meinen Bruder Maximilian

1

 

Der Mensch ist ein Seil,

geknüpft zwischen Tier und Übermensch

– ein Seil über dem Abgrunde.

Ein gefährliches Hinüber,

ein gefährliches Auf-dem-Wege,

ein gefährliches Zurückblicken,

ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben.

(Nietzsche)

 

Man nannte uns Fehler. Fehler der menschlichen Entwicklung. Bestien in harmloser und unscheinbarer Gestalt. Fremdgesteuert durch eine höhere Macht besaßen wir Sklaven des Mondes nicht einmal einen eigenen Willen.

Zumindest dachten das die anderen Bewohner Hérons über uns. Diejenigen, die sich selbst als eine Verbesserung der menschlichen Entwicklung ansahen. Die sich über unsereins stellten. Nicht zuletzt deshalb, weil die meisten von ihnen die Elemente kontrollieren konnten. Selbst die Zeit schien für sie lediglich eine Zahl zu sein.

Ich betrachtete mich im Spiegel und seufzte, wandte dann meinen Blick wieder ab. Selbst wenn ich mit meinen langen, dunkelbraunen Haaren zumindest das schlangenartige Mal an meiner linken Schläfe verdecken konnte, so verrieten mich nach wie vor meine Augen. Augen, die so tief und schwarz waren, als wollten sie jegliches Sonnenlicht verschlucken. Meine Augenringe verstärkten die Illusion von schwarzen Löchern, bewiesen gar damit, dass selbst wir Sklaven des Mondes schlafen mussten.

Allerdings war seit vorgestern alles anders. An Schlaf vermochte ich zu jenem Zeitpunkt nicht zu denken, ich erinnerte mich nicht einmal daran. Aber ich wusste, dass solche Gedächtnislücken ab sofort meine ewigen Begleiter werden würden. Das, was ich von nun an in Vollmondnächten tat, würde ich weder wissen noch kontrollieren können.

Vorgestern Abend hatte ich mich zum ersten Mal in einen gefallenen Drachen verwandelt – viel zu spät, denn normalerweise setzte die erste Verwandlung schon mit Vierzehn ein. Doch für mich konnte es gar nicht spät genug beginnen. Denn von nun an galt ich als potenzielle Gefahr, sofern ich meine Emotionen nicht unter Kontrolle hatte.

Mit hämmernden Kopfschmerzen drehte ich mich zum Fenster um. Meine Augen folgten dem Weg der Sonnenstrahlen: wie sie die einzelnen Dächer der Behausungen des ersten Rings liebkosten und in goldenes Licht hüllten. In dem Bereich, den normalerweise nur Adelige bewohnten – und die Diener des Palastes.

Ausgerechnet jenes Bauwerk schien das Licht nicht durchdringen zu können. In seiner violett-schwarzen Erscheinung warf es einen viel zu dunklen Schatten auf das Land. Das Wort des Königs besaß höchste Priorität – Andersdenkende wurden ausnahmslos verbannt.

Oder seinem jüngsten Sohn ausgeliefert.

Dem einzigen Genträger der schwarzen Magie.

Augenblicklich fröstelte es mich, sodass ich die Arme um mich schlang und mich wegdrehte. Nur um wieder meinem Spiegelbild zu begegnen, dass ich mindestens ebenso verabscheute wie die Regeln und Gesetze dieses Landes. Gesetze, die Empfindungen und Gefühle als menschliche Schwäche ansahen und jegliche Zurschaustellung untersagten. Denn laut den Elfen – den obersten Regenten und dem Hochadel – führten Emotionen zwangsläufig zu Krieg. Selbst Liebe würde nur zu Eifersucht führen und diese sich schnell in Hass wandeln, wodurch ein Krieg nicht mehr zu verhindern wäre.

Auf Héron – dem geheimen sechsten Kontinent der Erde – sollten die Bewohner wie ein präzises Uhrwerk funktionieren, um ihren Aufgaben gerecht zu werden. Freizeitaktivitäten wie Kunst, Musik und Literatur waren nur in zensierter Form erlaubt und mussten vor ihrer Veröffentlichung vom König höchstpersönlich für „unschädlich“ erklärt werden.

Ich schüttelte den Kopf und wanderte durch mein spärlich eingerichtetes Dachbodenzimmer. Dass in meinen Schränken etliche Zeichnungen versteckt lagen, deren Inhalte äußerst emotionsgeladen waren, wusste nur ich.

Es klopfte an der Tür.

„Thyra?“, hörte ich die Stimme meiner Mutter Salra. „Bist du bereit für die Zeremonie?“

Stöhnend warf ich meinen Kopf in den Nacken und kniff angestrengt die Augen zusammen. Am liebsten würde ich mich wieder zurück ins Bett verkriechen, um von all den missgünstigen Blicken verschont zu bleiben, die sich heute auf mich richten würden. Bei einem Spektakel, das die Feen auf die Kristallkugeln sämtlicher Haushalte Hérons übertrugen, weil ich nun eine von ihnen wurde – eine Dienerin des Palastes.

Noch immer sah ich vor meinem inneren Auge, wie sie die Köpfe zusammengesteckt und flüsternde Worte ausgetauscht hatten, als ich gestern in der Frühe in der königlichen Kutsche meinen Weg vom dunklen Wald Tenerest zurückgelegt hatte. Unmittelbar nach meiner Verwandlung. Und mit Blut befleckt. Die Zeugnisse meiner Tat standen mir wie ins Gesicht geschrieben, auch wenn ich mich nicht selbst daran erinnerte. Sie sahen es in meinen Augen. Es waren die Augen einer Bestie.

Die Worte der Bürger Hérons wollten nicht mehr aus meinen Gedanken verschwinden. Sie verachteten mich für das, was ich war. Für etwas, über das ich nicht selbst bestimmen konnte.

Inzwischen war meine Mutter in mein Zimmer getreten und drückte mich an sich. „Du schaffst das“, beteuerte sie. „Ich weiß das.“

Mühevoll schluckte ich den Kloß in meinem Hals hinunter und hob meinen Kopf, als meine Mutter wieder von mir abließ: Eine Frau, die von außen betrachtet nichts mit mir gemein hatte außer vielleicht den äußerst weiblichen Körperbau. Ihr schulterlanges Haar schimmerte in einem dunklen Rot, das mich an Weinreben erinnerte. Ihre wachen und aufmerksamen Augen hingegen strahlten eine Nuance heller; selbst an verregneten Tagen schien es, als hielten ihre Iriden Licht gefangen. Ihrem jungen Aussehen nach zu urteilen käme kaum einer auf die Idee, dass sie bereits zwei Kinder geboren hatte. Allgemein wirkten alle Mitglieder unserer Familie jünger als sie tatsächlich waren. Doch besonders einprägsam war für mich Salras Geruch: ein Gemisch aus Sandelholz, Jasmin und Waldbeeren.

„Danke, Mama“, murmelte ich und versuchte zu lächeln.

Allerdings war ich nicht sonderlich überzeugend.

Ich sollte von heute an ein Mitglied der Königsfamilie bewachen und ihm oder ihr zugleich als Zofe dienen? Nicht im Entferntesten glaubte ich daran, dass ich dieser Aufgabe gewachsen sein könnte. Ich hatte mich in meinem Leben noch nie derart unvorbereitet gefühlt.

Ich hörte die schweren Schritte meines Vaters Thassillo auf der Treppe, lange bevor ich ihn sah. Eine Gestalt, groß und mit derart breiten Schultern, dass sie gerade so den Türrahmen passieren konnte, tauchte in meinem Blickfeld auf. Der Farbton der raspelkurzen Haare erinnerte an feuchte Erde oder Baumrinde, so wie der meine. Auch unsere Gesichtszüge ähnelten sich.

Charakterlich hatten mein Vater und ich ebenfalls viel gemeinsam.

Bis auf eine einzige Sache.

Er verfluchte weder seine leeren schwarzen Augen noch das Schlangenmal auf seiner linken Schläfe. Ganz im Gegenteil: Er trug die offensichtlichen Merkmale seiner Abstammung mit Stolz. Als ein Nachfahre der Basilisken war er schon in jungen Jahren dazu auserkoren worden, den König höchstpersönlich zu bewachen, ja sogar die gesamte königliche Armee anzuführen – sein Vater verschwand an jenem Tag und wurde seither nie wieder gesehen. Niemand wusste, ob er tatsächlich freiwillig gegangen war.

Und trotz dass die Bewohner Hérons ihm gegenüber eine gewisse Verachtung hegten, so hielt sich diese mit der Ehrfurcht, die ihm seine Soldaten entgegenbrachten, in der Waage.

In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher als den Mut meines Vaters zu besitzen. Seinen Stolz und seine Ehrenhaftigkeit. Ich sah ihn mit großen Augen an. Natürlich trug er auch heute die schwarze Uniform als Diener des Palastes. Sie bestand aus einer Jacke mit einer Vielzahl von violetten Knöpfen und Streifen und einer ebenso schwarzen Stoffhose. Auf dem Rücken und seiner linken Brusttasche, genau über dem Herzen, war das Zeichen der Königsfamilie abgebildet: Ein verschnörkeltes „A“ für den Familiennamen „Aronos“, das von den vier Naturgeistern umgeben war, gekennzeichnet durch die universellen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft – als hätten die Naturgeister höchstpersönlich König Askeelan Aronos zum rechtmäßigen Herrscher auserkoren.

Alle Diener des Palastes trugen sein Zeichen. So auch meine Mutter Salra, die in der Küche aushalf und für den Nachmittagstee verantwortlich war. Jede süße Speise musste zuerst von ihr vorgekostet und als „perfekt“ deklariert werden, bevor sie den Weg zur Königsfamilie fand.

Mein Vater Thassillo grinste verschmitzt. „Hübscher Bademantel“, tat er kund. „Wem der wohl gehört?“

Ich blinzelte, bewegte meinen Kiefer von rechts nach links und verschränkte mit hochgezogenen Brauen meine Arme. „Das ist eine Robe“, verbesserte ich ihn und wies auf den seidenen, rauchblauen Stoff, dessen Ränder von silbernen Fäden durchzogen waren. „Um genau zu sein, ist es deine.“

Aus diesem Grund war sie mir auch viel zu lang und zu groß. Einzig und allein die silberne Kordel hielt notdürftig alles zusammen. Aber es war die offizielle Robe unserer Familie: Auf dem Rücken erstrahlte die sichelförmige, silbrige Abbildung des Mondes in Kombination mit unserem Schlangenmal. Es war eine Pflicht, sie zu solch einem Anlass zu tragen. Zumindest bis ich sie gegen meine offizielle Zofenuniform austauschte.

Allerdings konnte ich mein Grinsen nicht unterdrücken – mein Vater verstand sich ausgezeichnet darin, meine Laune zu heben. Wir teilten eben den gleichen albernen Humor.

Ich ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er drückte mich fest an sich. Es kam so selten vor, dass ich meinen Vater sah. Als persönliche Leibwache des Königs war es ihm nicht vergönnt, bei uns zu nächtigen oder gar mit uns zusammenzuwohnen. Nur ein paar Ausnahmen, wie Geburtstage oder einige freie Tage, befreiten ihn hin und wieder für kurze Zeit von seiner Pflicht.

„Ich habe dich vermisst“, flüsterte ich, während ich das Gesicht an seine felsenharte Brust drückte. „So sehr.“

„Ich dich auch, mein Kind“, entgegnete er mit belegter Stimme.

Leider mussten wir uns gleich wieder trennen, da die Zeit nicht auf uns wartete. Die Zeremonie begann schon bald.

Meine Mutter lächelte mich an und fuhr mit ihren Fingern durch meine Haare, fasste sie zu einem Knoten zusammen. „Schatz, möchtest du nicht lieber deine Haare hochstecken? Die verdecken doch dein schönes Gesicht.“

Aber davon wollte ich nichts hören. Das Wort schön hatte ich nie mit mir in Verbindung gebracht, schon gar nicht mit meinem Gesicht.

„Nein“, gab ich kleinlaut von mir. „Ich möchte nicht, dass sie mich anstarren.“ Denn das würden sie unweigerlich tun, vor allem, weil sich mein Mondsklaven-Mal an der Schläfe ständig veränderte. Sie würden sofort erkennen, dass ich meine Bestie nicht unter Kontrolle hatte. Dass ich nichts anderes war als eine tickende Zeitbombe.

Meine Mutter blinzelte. „Wer? Wer starrt dich an?“

„Die anderen.“

„Das ist doch Unsinn!“

„Das ist alles andere als Unsinn!“, brachte ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Du weißt ebenso gut wie ich, dass uns sogar die anderen Mondsklaven ausgrenzen.“

Wesen, die uns so ähnlich und doch so fremd waren.

Weil wir anders waren.

Gefährlicher.

Unberechenbar.

Zwar hatten alle Mondsklaven eines gemeinsam: Wir verwandelten uns bei Vollmond - allerdings war jeder von ihnen durch gewöhnliche Waffen verwundbar und halbwegs zu kontrollieren.

Nicht so wir.

Wir waren gefallene Drachen, Basilisken, gigantische Schlangenbestien. Durch unsere panzerharten Schuppen vermochte kaum ein Speer oder Schwert zu dringen und unsere Zähne glichen messerscharfen Klingen. Ganz zu schweigen von unserer enormen Größe, aufgrund derer Basilisken-Angriffe erschienen, als wäre ein Tornado durch die Landschaft gebraust.

Basilisken mordeten grundlos, ohne Rücksicht auf Verluste. Die emotionsgeleitete Kontrolle über unsere Bestien erlangten wir nur unter schwersten Bedingungen: Waren die anderen Sklaven des Mondes, wie beispielsweise Nebelwölfe, Schattenkatzen und Dunkelphönixe, leichter zu besänftigen, versuchte der Basilisk in uns immer wieder aufs Neue die Oberhand zu gewinnen.

Sogar bevor wir uns das erste Mal verwandelten.

Schon von Kindesbeinen an hatte ich damit zu kämpfen, dass sich bei jeder noch so kleinen Gefühlsregung meine Schuppen gezeigt hatten. So schwarz wie Pech und so finster wie die tiefste Nacht – eine Nacht ohne Sterne. Sie überzogen meine Arme, meine Beine, mein … Gesicht.

So kannte ich bisher nur Einsamkeit, sobald ich diese vier Wände verlassen hatte. Niemand traute sich in meine Nähe.

In unsere Nähe.

Und sie verachteten uns.

Uns alle.

Denn obwohl meine Mutter eine Magierin war, hielt es die anderen Bewohner Hérons nicht davon ab, sie ebenfalls zu verachten. Weil sie sich mit einem „Cerrejonensis“ eingelassen hatte, um die Blutlinie fortzuführen.

Zwar wurden diese speziellen Gene bei Mondsklaven immer nur an das erste Kind weitervererbt, wodurch sich bei meinem zwei Jahre jüngeren Bruder Maykil nur die Magier-Gene zeigten. Doch war es trotzdem ein Kind, ein Leben, zu viel.

Ich war zu viel.

Inzwischen machte sich ein Ziehen an meiner menschlichen Haut bemerkbar. Als würde sie nicht genug gepflegt werden und deshalb eine juckende Trockenheit an den Tag legen. Aber dies war nur der Hinweis darauf, dass sich aufgrund übermäßiger Gefühlsregungen mein Basilisk wieder Zugang zu meinem Kopf verschaffen wollte. Dass nun aber auch meine Zähne spitzer und schärfer wurden und sich ein Knurren nach außen stahl, war mir neu. Davon war ich bisher immer verschont geblieben. Dies nun inmitten wachsamer Elfenaugen in den Griff zu bekommen, würde mir eine Menge Kraft und Konzentration abverlangen.

Kurzum, es war mir ein Rätsel, wie ich diesen Tag überstehen sollte.

Gleich einer Antwort griff mein Vater nach meiner Hand und drückte sie fest. Als ich meinen Blick auf ihn richtete, erwiderte er ihn bestimmt. Er musste es nicht aussprechen: Ich wusste, welche Gedanken in ihm verborgen waren.

Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und versuchte, mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Wie er in meine Lunge strömte, meine Brust weitete und dann wieder entwich. Es schien, als würde meine Schuppen ebenfalls atmen – ich spürte, wie sie sich aus meiner Haut hervorschoben und wieder zurückzogen, ohne eine einzige Wunde zu hinterlassen.

Aber meine Mutter ließ mir nicht genug Zeit, um mein schnell schlagendes Herz zu besänftigen. Stattdessen erinnerte sie mich daran, dass es längst Zeit zum Aufbruch war. Hektisch stürmte sie aus dem Raum zum gegenüberliegenden Badezimmer, in dem Maykil sich noch immer befand. Kurz darauf wechselten sich die Stimme meiner Mutter und das tiefe Brummen meines jüngeren Bruders ab.

Mein Vater und ich tauschten wissende Blicke aus, wussten wir doch, dass Maykil großen Wert auf Perfektion legte und er dementsprechend längere Zeit im Bad verbrachte.

Lächelnd hob mein Vater eine Augenbraue. „Lass uns lieber nach unten gehen. Wenn hier die Feuerbälle herumfliegen, will ich nicht in ihrem Angriffsfeld stehen“, witzelte er.

Ich nickte grinsend und folgte ihm in den unteren Bereich des Hauses, während ich mich fragte, wie wohl mein Leben verlaufen würde, wenn ich als Magierin geboren worden wäre. Der richtige Umgang mit der Bändigung des Feuers wäre wahrscheinlich mein einziges Problem gewesen.

Doch jeder Schritt, der mich näher zur Eingangstür – und somit näher zum Palast – führte, schien schwerer und schwerer zu werden. Alles in mir sträubte sich dagegen, auch nur einen einzigen Fuß dort hineinzusetzen.

Ich blieb mitten im Hausflur stehen, als ich die Wand mit unseren Familienfotos sah. Unscheinbare Aufnahmen. Lächelnd schwelgte ich in Erinnerungen. Meine Familie war der einzige Halt in meinem Leben. Ohne sie, vermutete ich, würde ich aufhören zu existieren.

Leider holte mich mein Vater viel zu schnell wieder in die Realität zurück. „Thyra, du solltest etwas essen. Du bist ganz blass.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Mir ist schlecht.“

„Ich weiß“, beteuerte er und seufzte. „Ich weiß.“

2

 

Kurze Zeit später stießen meine Mutter und mein Bruder zu uns. Selbst unseren Vater überragte Maykil um einen ganzen Kopf – es gab nur wenige Türschwellen, die er übertreten konnte, ohne sich ducken zu müssen. Seine dunkelroten, kurzen Haare waren perfekt frisiert und seine Schuluniform saß wie angegossen – wenn er etwas hasste, dann waren es magische Wesen oder Menschen mit einer mangelnden Hygiene und die Anwesenheit von Schmutz. Noch etwas, das er und meine Mutter Salra gemeinsam hatten.

Unwillkürlich fiel mein Blick auf seine schwarze Hemdtasche, auf der das violette „A“ prangte. Eine schwarze Stoffhose und eine ebenfalls violette Krawatte rundeten die Schuluniform im Stil der Aronos-Familie ab. Die der Mädchen beinhaltete einen langen Rock, keine Hose – meine Schuluniform verstaubte nun in meinem Kleiderschrank.

„Bereit für deinen großen Tag, Schwester?“

Ich sah in die Augen meines Bruders, dessen Blick aufgrund der roten Farbgebung ein wenig zu forsch wirkte – als loderte in ihnen ein Feuer.

„Nicht ein bisschen“, antwortete ich ein wenig geistesabwesend.

Doch meine Mutter schien voller Zuversicht. „Als stärkste Mondsklavin wirst du bestimmt Königin Susanna zugeteilt, da bin ich mir sicher.“

„Ich bete zu den Naturgeistern, dass es so kommt“, entgegnete ich, während wir uns die Mäntel überwarfen und in die Frühjahrs-Kälte hinausgingen.

Schweigsam liefen wir nebeneinander her, den Blick nach vorne gerichtet. Unweit von uns erstreckte sich der alles überragende Palast; unser kleines Haus war nur wenige Gehminuten von der königlichen Mauer entfernt. So wie die anderen Bediensteten der Familie Aronos wohnten auch wir im ersten Ring, obwohl wir längst nicht zu den Elfen, dem Adel, gehörten. Die normalen Bürger Hérons, die Magier, Zwerge und Feen, lebten im zweiten Ring.

Und außerhalb der beiden Ringe? Das kümmerte den König nicht. Offiziell hieß es, dass die Mauern, die die Ringe und das Königshaus voneinander trennten, lediglich dem Schutz und der Ordnung dienten – und je nach Abstammung waren die Ringe ebenfalls noch einmal aufgeteilt.

Wir liefen den gepflasterten Weg entlang durch den Bereich der Mondsklaven, der wie all die anderen Wege von den Dunkelelfen-Soldaten des Königs bewacht wurde. Sie neigten ihre Köpfe, als mein Vater an ihnen vorbeischritt.

Es dauerte nicht lange, bis wir im Viertel der Lichtelfen waren. Sie verfügten über Heilfähigkeiten und galten als besonders einfühlsame und wohlwollende Wesen. Allerdings vermochten nicht einmal sie, ihre verachtenden Blicke zu verbergen. Ich spürte sie in meinem Nacken.

Nervös versuchte ich, mich auf die Pflastersteine vor mir zu konzentrieren und begann, sie zu zählen. Allerdings kam es mir so vor, als hörte ich ihre Gedanken, die über mich hereinstürzten und mich tiefer, immer tiefer, Richtung Boden drückten. Stimmen, die fragten, welches Recht wir besaßen, hier unter Ihresgleichen zu leben, gar zu atmen. Stimmen, die verlangten, dass König Askeelan uns in unsere angeblich rechtmäßigen Lebensräume verbannte: In den dunklen Wald Tenerest – das einzige Gebiet Hérons, das von einer unüberwindbaren Mauer umschlossen war, um die Bewohner vor den Angriffen der dort lebenden Wesen zu schützen.

Aber ich wusste, dass diese Mauer nicht umsonst derart hoch und bis zum unsichtbaren Rand erbaut worden war, innerhalb dessen uns das sogenannte „Bermudadreieck“ einschloss. Sie war nicht für die Kristallspinnen, nicht für die Skorpixe oder die Rauchbären. Nicht einmal für die Dunkelphönixe, noch weniger für die Nebelwölfe oder die Schattenkatzen.

Sie wurde einzig und allein für die Schlimmsten aller Bestien errichtet.

Für die Basilisken.

Obwohl die Sonne ihre Strahlen ungehindert auf uns hinabwarf, da keine Wolken sie verdeckten, machte es mir der beißende Wind indes schwer, nicht mit den Zähnen zu klappern. Der wechselwarme Körper meines anderen Ichs war extrem von äußeren Einflüssen abhängig. Es war nur meinem menschlichen Ich zu verdanken, dass ich nicht an Ort und Stelle festfror. Meine Finger und Zehen spürte ich trotzdem nicht mehr.

Unweigerlich schlang ich die Arme fester um mich und rückte näher an meinen Bruder heran, der inzwischen eine kleine, schwebende Flamme in seiner Hand vor sich hertrug. Maykil ergriff auch als Erster wieder das Wort. „Ich kann das Tor sehen!“ Er wies in Richtung der Palastmauer, die von Dunkelelfen regelrecht umzingelt wurde. Elfen, deren Haut in der Sonne wie Vulkangestein schimmerte und eine perfekte Ergänzung zu ihren ebenso dunklen Haaren bildete, die jedoch meist unter den Helmen verschwanden. Allerdings beunruhigten mich ihre violetten Iriden wesentlich mehr – sie wirkten wie Aufzeichnungen des Alls, das einen mit seiner unendlichen Tiefe für immer verschlucken konnte.

Automatisch ergriff meine Mutter meine rechte Hand und drückte sie fest. „Wir schaffen das. Wir überstehen diese Zeremonie und du wirst Königin Susanna zugeteilt.“ Sie sah mich an und lächelte. „Du wirst schon sehen.“

Auch mein Vater beugte sich zu mir herüber. „Sieh mich an, wenn du merkst, dass dein Basilisk dich ärgern will“, raunte er mir mit einem Augenzwinkern zu. „Ich werde sowieso direkt beim König stehen.“

Ich drückte die Hand meiner Mutter und nickte beiden zu. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass mein Bruder grinste. „Du bist eine Cerrejonensis, große Schwester, vergiss das nicht!“

Kurz darauf erreichten wir das Palasttor. Augenblicklich löschte Maykil die Flamme in seiner Hand; mögliche Waffen durften nur von Soldaten getragen werden. Als mein Vater voranging und wir ihm folgten, salutierten die sechs Soldaten mit ihren Speeren, Hellebarden und Schwertern. Sie trugen die typisch violett-schwarze Rüstung und auf den Helmen, die freie Sicht auf ihre Gesichter zuließen, prangten die Zeichen des Königs.

Einer von ihnen war allerdings kein Dunkelelf, sondern ein Sklave des Mondes: Soldat Eion Crassas. Bei Vollmond verwandelte er sich in einen Skorpix: in einen dreimannslangen, rußschwarzen Skorpion. Sein Rang befand sich unmittelbar unter dem meines Vaters. So wie alle anderen Mondsklaven besaß auch er dunkles Haar und dieselben alles Licht verschlingenden Augen. Allerdings war sein Mal ein anderes: Ein kleiner Skorpion zierte seine linke Schläfe.

Wortlos öffnete Soldat Crassas den Eingang und ließ uns passieren. Natürlich nicht, ohne mich und meinen Vater von Kopf bis Fuß zu mustern. Mit völlig ausdruckslosem Gesicht verfolgte er unsere Schritte, bis er das Tor wieder verschloss.

Kaum waren wir hindurch, hefteten sich weitere Soldaten an unsere Fersen. Sechs Mann begleiteten uns nun durch den gigantischen und prachtvollen Garten bis zum Eingang des Palastes. Wieder gehörte einer von ihnen der Gruppe der Mondsklaven an: Nole Lupus. Ein schlaksiger, junger Mann, ungefähr in meinem Alter, der sich bei Vollmond in einen Nebelwolf verwandelte: Die Farbe seines Fells war silbrig-grau wie das des Mondes, und er konnte auf zwei Beinen laufen. Auf der linken Schläfe von Soldat Lupus heulte ein kleiner Wolfskopf.

Die Männer führten uns durch einen von Birken gesäumten Kieselweg. Vorbei an farbenfrohen Blumenbeeten, die eher an einen Regenbogen als an Gewächse erinnerten. Vorbei an abstrakt geformten Büschen und marmornen Brunnen, auf deren Rändern in Stein gemeißelte Naturgeister saßen. Solche Geister hatten ähnlich menschliche Formen wie wir oder die Elfen, doch laut den Legenden und Sagen waren sie jeweils nur aus einem einzigen Element geschaffen.

Kurz blendete mich das Licht der morgendlichen Sonne, als meine Augen automatisch zu der Empore über dem Eingang wanderten. Hoch oben saßen die beiden Geister des Mondes und der Sonne und schimmerten in Silber und Gold. Nach dem, was ich in der Schule gelernt hatte, hatten diese beiden den sechsten Kontinent und dessen Bewohner kreiert. Es war kaum zu übersehen, dass sie ganz besonders von der Königsfamilie verehrt wurden.

Ich erinnerte mich an das letzte Mal, als ich hier gewesen war. Vor gut einem halben Jahr wurde ganz Héron zur Hochzeit des ältesten Prinzen eingeladen. Damals hatte ich mich bloß aus dem Ballsaal zurückziehen wollen, hatte schon nach wenigen Minuten die Einsamkeit der Empore gesucht und mich neben die Statue des Mondgeistes gesetzt. Und ihn gefragt, warum er mir das antat, womit ich diesen Fluch verdient hatte?

Als ich den Blick wieder senkte, entdeckte ich einige Waldelfen und Familienmitglieder der Mondsklaven, die über die saftig grünen Rasen huschten und sich um die Pflanzen kümmerten.

Der schöne Schein trog, das ahnte ich.

Viel zu schnell erreichten wir die Treppe zum Eingang des Palastes. Meine Hände fühlten sich klamm an und jede weitere Treppenstufe schien meine Lunge stärker zuzuschnüren. Die Verwandlung und der Schlafentzug der letzten beiden Nächte forderten ihren Tribut. Schwindel ereilte mich. Nur mit Mühe schleppte ich mich hinauf.

Ich betrat die Eingangshalle wie betäubt. Mein Herz klopfte so wild, dass ich das Gefühl hatte, die anderen Anwesenden konnten es unmöglich überhören. Ich versuchte mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Ich durfte keine Gefühle zeigen. Nicht hier. Nicht jetzt.

Eilig riss ich mich zusammen und lief neben den Soldaten her, die uns nun innerhalb des Palastes begleiteten. Wir erklommen Treppenstufen aus schwarzem Marmor, die vorbei an dicken Säulen mit goldenen Schnitzereien führten. Immer weniger spürte ich meine Füße, meine Finger wurden auch nicht wieder warm. Im Gegenteil, es schien, als herrschten im Palast weitaus eisigere Temperaturen als draußen.

Wir schritten über dicke Teppiche und an wandfüllenden Gemälden vorbei, die die Ahnenreihe der Königsfamilie zeigten. Fünftausend Jahre Herrschaft blickten auf mich herab. So viele Dunkelelfen.

Bis vor einigen hundert Jahren. Als mit König Askeelans Vater neue Arten hinzugeboren wurden.

Die reich verzierten, violett-schwarzen Flügeltüren des Thronsaals wurden aufgestoßen und gaben den Blick frei auf die Königsfamilie: Askeelan Aronos, der König selbst, war ein Hybrid, wodurch ihm die Fähigkeiten, die Elemente Wasser und Luft zu kontrollieren, vergönnt waren. Seine graue Haut, die langen, seidenschwarzen Haare und das spitz zulaufende Kinn ließen ihn finster erscheinen, so als würde ihn eine dunkle Wolke von negativer Energie umgeben. Einzig und alleine seine Augen – ein helles Blau, das an einen kristallenen Bergsee erinnerte und von silbernen Sprenkeln durchsetzt war – hatten etwas an sich, das ich nicht ganz einzuordnen vermochte.

Seine Frau Susanna hingegen wirkte wie eine blühende Sommerwiese. Ihre leicht gebräunte Haut und ihr goldenes, lockiges Haar schimmerten im Licht der Sonne, die durch die deckenhohen Fenster schien; ihre grünen Augen erinnerten an ein junges Laubblatt, das im frühmorgendlichen Tau das Licht der Welt erblickte.

So wie ihr äußeres Erscheinungsbild waren auch die Kleider unterschiedlich auf das Königspaar abgestimmt. Während der König selbst ein schwarzes Gewand trug, welches zu seiner spitzzackigen, dunkelvioletten Krone passte, hatte sich die Königin in ein hellgrünes Kleid gehüllt und eine Blumenranke schmückte ihr Haar.

Mit Prinz Steven, dem ältesten Sohn und Thronfolger, führte sich die „Anschauung“ der schlichtweg perfekten Familie fort. Er schien ganz und gar das männliche Pendant der Königin zu sein: dieselben goldenen Locken, dieselben grünen Augen und das freundliche Lächeln … Mich verwunderte es nicht im Geringsten, dass er von der Frauenwelt verehrt wurde.

Doch sein Herz gehörte längst einer ganz bestimmten Frau: Der Lichtelfe Inura, einer leichtfüßigen und sanften Person, die weder durch Arroganz aufgrund ihres hohen Status noch durch andere Unannehmlichkeiten auffiel. Stattdessen machte sie ihrer Art alle Ehre und kümmerte sich um verlorene Kinderseelen. Inura sah wunderschön aus mit ihren hellblonden Haaren, die ihr bis zu den schmalen Hüften reichten. Die goldenen Iriden strahlten Freundlichkeit aus. Auffällig an ihr war jedoch ihre Größe, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Elfen reichte sie mir gerade einmal bis zu den Schultern.

Eine Person fehlte.

Ich starrte auf den leeren Stuhl, auf dem normalerweise Prinz Joseph saß. Hatte er verschlafen oder empfand er meine Zeremonie gar als zu unwichtig, um sie mit seiner Anwesenheit zu beehren?

Unmerklich ballte ich die Fäuste.

Mit geradezu einstudierter Eleganz erhob sich König Askeelan von seinem dunklen Thron. „Willkommen, Familie Cerrejonensis“, tat er laut kund. Sein schmales Gesicht zeigte ein Lächeln, das Freundlichkeit und Aufrichtigkeit ausstrahlen sollte, aber in mir lediglich Übelkeit auslöste. Ein Lächeln gehörte zu den Gefühlsregungen, die eine Ausnahme darstellten und erlaubt waren. Freundlichkeit war sogar Teil des Gesetzes.

So wie die Hinrichtungen unlauterer Bürger und willenloser Menschen. Für den König stellten diese jedoch keinen Akt der Boshaftigkeit dar, sondern zeichneten Gerechtigkeit aus.

Erneut schmeckte ich Magensaft.

„Lang lebe König Askeelan!“, sprachen wir schließlich synchron, fielen ohne Zögern auf die Knie und verbeugten uns tief.

Es dauerte einen Moment, bis uns der König erlaubte, wieder aufzustehen und uns mit einer Handbewegung dazu aufforderte näherzukommen. Sofort umschwirrten uns unzählige Feen, die die Zeremonie samt Bild und Ton in sämtliche Haushalte übertrugen. Die gerade einmal handtellergroßen Wesen dienten nicht nur zur Film– und Tonübertragung oder zur Kommunikation, sie überwachten auch sämtliche Bereiche Hérons.

Aus dem Augenwinkel erkannte ich rechterhand die Berater des königlichen Rates. Acht magische Wesen, die je nach Abstammung einen bestimmten Bereich und Aufgaben repräsentierten: ein Dunkelelf in der schwarz-violetten Kleidung der Palastbediensteten, ein Lichtelf – der Vater von Prinzessin Inura – dessen goldgelbe Robe ihn als Heiler auswies, ein Waldelf in Dunkelgrün als Hüter von Pflanzen und Tieren, eine Himmelselfe mit regengrauen Augen, daneben eine Nachtelfe in dunkelblauem Gewand, ein Magier in leuchtend roter Robe, ein dunkelhäutiger Zwerg und als Achte im Bunde eine der Feen.

Meine Mutter, mein Bruder und ich blieben nur wenige Meter vom König entfernt stehen. Zwei Soldaten markierten eine unsichtbare Linie, die nur in absoluten Ausnahmefällen von anderen als der Königsfamilie selbst oder ihren Leibwächtern übertreten werden durfte. Lediglich mein Vater schritt zielstrebig auf den Herrscher zu, um sich direkt neben ihm zu positionieren. Exakt zu dieser Uhrzeit begann sein offizieller Dienst; nach der Zeremonie würden meine Mutter Salra und Maykil ebenfalls ihren Alltag weiterführen.

Ausnahmsweise durfte auch ich heute die Linie überschreiten. Erst kurz vor dem Treppenabsatz, auf dem die Königsfamilie saß, blieb ich stehen. Und ging förmlich unter den starrenden Blicken der Anwesenden ein. Ich schaffte es kaum, Familie Aronos anzusehen, geschweige denn meine Augen auf die anderen Leibwächter zu richten.

Aber das brauchte ich auch nicht. Ich wusste, dass eine Arachnida – eine Nachfahrin der Kristallspinnen – die Königin bewachte, während neben dem Thronfolger eine Ursidae – Abkömmling der Rauchbären – und neben Prinzessin Inura eine Lupus – eine Nachfahrin der Nebelwölfe – standen. Lediglich der König selbst ließ sich vom Anführer seiner Armee höchstpersönlich beschützen.

„Nun“, ergriff König Askeelan wieder das Wort, „da jeder von euch selbst mit einem nur halbwegs funktionierenden Auge erkennen kann, dass eine ganz bestimmte Person fehlt, wird sich die Zeremonie ein wenig verzögern. Erst kürzlich passierte ein Schiff mit neuer Ware unser Portal – Joseph wird wohl noch ein wenig Arbeit mit der Besatzung haben.“

Es schauderte mich, wie der König über die Menschen sprach. Für ihn waren sie nichts anderes als Mittel zum Zweck. Aufgrund der mittels schwarzer Magie ausgeübten Manipulation gehorchten sie ihm bedingungslos und verrichteten all die Arbeiten, um die sich kein anderes magisches Wesen kümmern sollte – oder wollte – wie beispielsweise die Bepflanzung der außerhalb der geschützten Mauern liegenden Felder oder die Reinigung der Bezirke.

Stille kehrte ein.

Niemand sprach auch nur ein Wort.

Ich versuchte den Kloß, der sich inzwischen in meinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken. Aber es misslang mir. Nervös kniff ich die Augen zusammen; ich spürte nur allzu vertraut das Ziehen unter meiner Robe und flehte die Naturgeister um ein Stück Selbstbeherrschung an.

Mit einem Mal sprangen die Türen zum Thronsaal auf.

Sämtliche Anwesenden drehten sich um.

Und dort stand er.

Prinz Joseph.

3

 

Mein Herz setzte für einen Moment aus. Nicht weit von mir entfernt stand ein Elf, von dem mich einhundertdreiundachtzig Jahre trennten. Äußerlich wirkte er jedoch kaum älter als Zwanzig. Ich kniff die Augen zusammen und hoffte, dass die Zeremonie schnell vonstattenging. Aber mein flatterndes Herz und der flache, schnelle Atem machten es mir indes schwerer, meine Schuppen unter Kontrolle zu halten.

Und da spürte ich sie wieder.

Die Blicke.

Erneut mussten sich die Adeligen in ihrer Politik und ihren Gesetzen bestätigt fühlen, erkannten sie doch in meiner Person den Beweis für die Notwendigkeit ihrer Verbote. Ich war einer der vielen, vielen Gründe, warum sich sämtliche Elfen als etwas Besseres ansahen. Denn trotz der Tatsache, dass auch sie in den tiefsten Tiefen ihrer Seelen und den hintersten Winkeln ihrer Herzen Emotionen besaßen, zählte es zu den obersten Tugenden des Adels, schon von Kindesbeinen an die völlige Kontrolle über diese zu besitzen. Zumal sie sich längst über die menschliche Lebenserwartung hinweggesetzt hatten: Elfen alterten wesentlich langsamer und erreichten auf diese Weise ein Alter von ungefähr eintausend Jahren – ein weiterer Grund, der ihre überhebliche Arroganz rechtfertigte.

Prinz Joseph und ich konnten gar nicht weiter voneinander entfernt sein.

Plötzlich schaute er zu mir. Sein Blick legte sich wie blaues Feuer über mich. Es loderte auf, umfing mich mit heiß-kalten Krallen, versengte mich. Schweiß perlte von meiner Stirn; warum war es nur so heiß hier drinnen? Mich drängte es, mir die Robe vom Leib zu reißen und den Nachtelf des königlichen Rates – den Gebieter über die Wasserversorgung und Beschaffer des lebenswichtigen Rohstoffes Serpium – um einen Schwall eiskalten Wassers zu bitten, mit dem er mich übergießen sollte.

Fast mechanisch fiel ich mit allen anderen Anwesenden vor der nun vollständigen Königsfamilie auf die Knie. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwamm meine Sicht, klarte jedoch sogleich wieder auf. Das Kratzen in meinem Hals verstärkte sich, als hätte ich einen Eimer Sand verschluckt. Es war mein Basilisk, der versuchte, eine Lücke in meinem Widerstand zu finden – im denkbar ungünstigsten Moment.

Die Worte des Königs drangen nur gedämpft an meine Ohren. „Mein Sohn!“, rief er aus. „Endlich beehrst auch du uns mit deinem Besuch. Komm und setze dich zu meiner Linken – wir wollen sogleich beginnen. Ihr anderen könnt euch wieder erheben.“

Ich stand auf und beobachtete, wie der schwarze Prinz mit seiner Zofe, der ersten Tochter der Arachnida-Familie, zu seinem Platz schritt. Unter einer großen und schlanken Silhouette trafen steinerne Muskeln auf scharfe Wangenknochen, eine vornehme Blässe und ein kantiges Kinn. Glattrasiert, wie er war, wirkte er wie eine Statue, direkt aus Marmor gehauen. Und inmitten dieses ebenmäßigen Gesichtes befanden sich zwei Augen, deren blau-silberne Iriden schimmerten wie ein kristallener Bergsee. Die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes waren aufgeknöpft und erlaubten einen Blick auf die makellose Haut seines Halsansatzes. Die marineblaue Hose passte ihm wie auf den Leib geschneidert.

Erneut suchten seine Augen die meinen. Ich drohte, unter seinem Blick einzubrechen. Und verfluchte im gleichen Moment meine geringe Selbstpräsenz, beabsichtigte ich doch gerade vor ihm stark zu sein. Oder zumindest nach außen hin so zu erscheinen.

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Regung meines Vaters wahr. Ich drehte meinen Kopf leicht in seine Richtung. Ein winziges Lächeln umspielte seine Mundwinkel, während er kurzzeitig seine Augenlider senkte und so tief einatmete, dass sich sein Brustkorb merkbar dehnte. Ich tat es ihm gleich und rief mir seine Worte vom Morgen in Erinnerung.

Allerdings ließ mir der König kaum Zeit, mein rebellierendes Inneres zu besänftigen. Stattdessen lenkte er die gesamte Aufmerksamkeit wieder auf mich, indem er lediglich die rechte Hand hob und sich daraufhin Schweigen einstellte. „Bürger von Héron! Ihr werdet hier und heute Zeuge davon, wie nach einer langen Zeit endlich wieder ein weibliches Mitglied der Cerrejonensis-Familie den Dienst in unserem mächtigen Herrscherhaus antritt.“ Seine Stimme hallte durch den Raum, verstärkte seine einschüchternde Präsenz. „Es mussten erst acht Generationen vergehen – Sohn um Sohn wurde geboren und für eine lange Zeit keine Tochter mehr. Bis vor siebzehn Jahren. Und diese Tochter steht heute in unserer Mitte.“

Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.

König Askeelan fuhr unbeirrt fort: „Vor zwei Nächten erblühte der Mond in seiner vollen Pracht und warf sein silbernes Licht auf unsere Dächer. Und während wir allmählich in den Schlaf glitten, wurde sie, Thyra-Fiah Cerrejonensis, auserwählt. Um eine weitere Sklavin des heiligen Mondgeistes zu werden. Ein weiteres Schild, ein weiteres Schwert seiner Armee, das er uns zur Verfügung stellt. Um Héron vor all den Ungläubigen zu schützen.“

Natürlich meinte er damit die Menschen.

Prinz Joseph wandte nach wie vor nicht den Blick von mir ab. Er saß derart angespannt auf seinem Stuhl, als wäre er in Stein gemeißelt und genau an ebendieser Stelle platziert worden. Er blinzelte nicht einmal.

Es war beunruhigend.

Etwas juckte mich in den Beinen. Ich wollte mich unter seinem Blick winden, und doch zuckten bloß meine Finger. Wieso sah der Prinz nicht woanders hin, wieso war sein Blick so intensiv, so durchdringend? Als könnte er dadurch meine größten Geheimnisse durchforsten und abwägen, inwieweit ich eine Gefahr für ihn und seine Familie darstellte.

Aber die Frage konnte ich ihm leicht beantworten. Ich traute mir ja nicht einmal selbst über den Weg.

Obwohl mir der Schweiß von den Schläfen rann, wollte ich dem Prinzen keinerlei offenkundige Aufmerksamkeit mehr schenken. Vielmehr konzentrierte ich mich auf die freundlichen Gesichter von Königin Susanna und dem Thronfolgerpaar.

„Tritt vor, Tochter Hérons!“, verlangte der Herrscher dann und ich tat, wie mir befohlen. „Du wirst nun mit den vier universellen Elementen gesegnet. Anschließend sollst du den Eid verkünden, der dich Zeit deines Lebens an den Palast binden wird.“

Ich schluckte, als er seine Rechte hob und sie über meinen Kopf hielt. Es war, als würde von ihr ein zentnerschweres Gewicht ausgehen und mich niederdrücken. Gleich würde es so weit sein. Gleich würde ich das letzte Quäntchen Freiheit verlieren, dass ich jemals besessen hatte.

Die Hohepriesterin der Himmelselfen – deren Art für Bildung und Festivitäten zuständig war – stand von ihrem Platz neben den anderen königlichen Beratern auf und glitt förmlich über die dunklen Marmorfliesen. Ihre fast bodenlangen weißen Haare und das rosafarbene, bauschige Kleid waren perfekt aufeinander abgestimmt. Die Grazie und Eleganz ihrer Bewegungen brachten mich zum Staunen.

Kaum war sie bei mir angekommen, entfernte der König seine Hand und wich ein Stück zurück, um der Himmelselfe Platz zu machen. Sie reichte mir ein Lederband, an dem ein tropfenförmiges Gefäß hing, das mit einem Korken verschlossen war. In dem gläsernen Tropfen befand sich eine blutrote Flüssigkeit.

Ein Trank.

Speziell für uns Mondsklaven.

Ein Gift, das alle Sklaven des Mondes mit ihrem Dienstantritt an sich nehmen mussten, um sich im Notfall selbst auszuschalten – falls die Kontrolle der eigenen Emotionen nicht mehr gewährleistet werden konnte. Der Trank kappte für vierundzwanzig Stunden die Verbindung zwischen unseren zwei Seelen und machte uns in ebendieser Zeit handlungsunfähig. Die Langzeitfolgen des Gifts waren nicht absehbar, und ich hatte auch nicht vor, es herauszufinden.

Dass sich die Größe des Tropfens merklich von denen der anderen abhob, zog mich erneut in die Tiefen meiner seelischen Abgründe. Denn je unberechenbarer, je gefährlicher, je fehlerhafter die Bestie, desto mehr benötigte sie von der Flüssigkeit.

Zögernd nahm ich das Gefäß entgegen und legte mir das Lederband um. Dass meine Hände dabei zitterten, versuchte ich zu ignorieren.

Danach überreichte mir die Hohepriesterin drei zusammengelegte Stoffbündel – das Zofengewand in dreifacher Ausführung. Mein Zofengewand.

Ich machte einen kurzen Knicks als Zeichen der Dankbarkeit.

„Du sollst nun mit den vier universellen Elementen gesegnet werden“, ergriff die Himmelselfe das Wort, „und dich somit in die schicksalhaften Hände der Naturgeister begeben.“

Drei weitere Räte erhoben sich von ihren Plätzen und reihten sich neben mir auf: der glatzköpfige Magier mit seinem grauen Vollbart, die Nachtelfe mit den königsblauen Augen und der dunkelhäutige Zwerg, dessen braune Haare zu einem aufwändigen Zopf geflochten waren. Sie alle waren Teil der Zeremonie und würden nun ihre Fähigkeiten demonstrieren.

Ich hoffte, dass ich genug Kraft besaß, um meinen gefallenen Drachen in Zaum zu halten – allerdings fühlte er sich nicht sonderlich wohl, als die vier königlichen Räte mich in eine Art Kreis einschlossen, und antwortete mit einem Magenknurren. Ich versteifte, während sich ihre Blicke auf mich hefteten. Doch dann fassten sie sich an den Händen und blickten an die Decke. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass auch die restlichen Anwesenden – sogar die Königsfamilie – nach oben schauten.

Alle.

Bis auf einen.

Prinz Joseph schien jedes Ein- und Ausatmen von mir zu verfolgen. Und das gefiel meinem Basilisken ganz und gar nicht. Inzwischen kratzte es in meiner Kehle: Ein Knurren, das nur darauf wartete, befreit zu werden.

Ich schluckte den unwahrscheinlich großen Kloß hinunter und blickte ebenfalls nach oben. Meine Hände fühlten sich klamm an. Ich unterdrückte den Drang, sie an meiner Robe abzuwischen.

„Verehrter Geist der Sonne und des Mondes, verehrte Naturgeister“, hörte ich die Himmelselfe predigen. „Wir verneigen uns mit Ehrfurcht vor eurer Heiligkeit und danken euch aus tiefster Inbrunst für das unglaubliche Geschenk unserer Fähigkeiten. Mit der Integration einer Mondsklavin und dem Beweis, dass wir zu einer einzigen gemeinsamen Gesellschaft gehören, wollen wir uns erkenntlich zeigen und werden sie hier und heute mit euren helfenden Händen segnen.“

„Héron!“, ertönte es im Chor, doch ich brachte nur ein lautloses Wispern zustande. Meine Nervosität stieg und stieg und ich konnte nichts gegen die aufkeimende Hitze unternehmen, die sich in meinem Magen staute.

Und noch weniger konnte ich gegen den Blick von Prinz Joseph unternehmen, der meinen kreuzte. Ich hielt ihm stand, während ich mit Wasser bespritzt und von Erdstaub bedeckt wurde. Auch dann, als mich ein heftiger Windstoß traf, der meine Haare aufwirbelte.

Ich verlagerte erst meine Aufmerksamkeit, als ich aus dem Augenwinkel die lodernde Flamme entdeckte, die auf der Hand des alten Magiers schwebte – ich drehte meinen Kopf und blies einmal kräftig. Natürlich würde das noch lange nicht ausreichen, um ein magisches Feuer erlöschen zu lassen. Doch der Magier drehte blitzschnell seine Hand und die Flamme war verschwunden.

Niemand von ihnen lächelte mich an.

Außer die Himmelselfe.

„Herzlichen Glückwunsch, Thyra-Fiah Cerrejonensis!“ Das helle Grau ihrer Augen schien durch das Licht des Raumes beinahe völlig zu verblassen. „Um die Zeremonie abzuschließen, musst du nun den Eid aufsagen. Danach bist du offiziell Teil des Königshauses.“

Stille herrschte im Saal. Schon wieder spürte ich dieses seltsame Kratzen in meinem Hals. Sämtliche Anwesenden warteten auf die Worte, die nun meine Lippen passieren würden. Sätze, die ich bereits seit dem Kindesalter auswendig konnte, weil sie mir dauernd und unaufhörlich vorgesagt wurden. Meine Mutter hatte mir prophezeit, dass dies meine Zukunft sein würde. Dass ich nun tatsächlich hier stand, konnte ich allerdings noch immer nicht begreifen. Ich fühlte mich wie in Trance.

Mit leiser Stimme setzte ich zum Eid an: „Ich, Thyra-Fiah Cerrejonensis, Erstgeborene der Cerrejonensis-Familie, der Familie der gefallenen Drachen, der Basilisken, schwöre bei den heiligen Naturgeistern des Feuers, der Erde, des Wassers und der Luft meine ewige Treue zum Königshaus Aronos. Ich verspreche, Euch, verehrter König, und Eure Familie unter dem Einsatz meines Lebens zu beschützen. Im Besonderen die mir zugeteilte Person.“ Ich hielt inne, stockte. Der nächste, abschließende Satz ging mir weniger leicht über die Lippen. „Sollte ich jedoch meinen … Eid missachten oder … gar die hochehrwürdigen héronischen Gesetze … dann werde ich mit sofortiger Wirkung … exekutiert.“

Abrupt krampfte sich mein Herz zusammen. Es schien, als wollte es sich verabschieden. Von meinem früheren Ich, meiner Vergangenheit, dem Hauch von Entscheidungen, die ich als Unbeteiligte machen durfte, und war es nur die freie Wahl meiner Kleidung gewesen.

Meine innere Stimme lachte verächtlich auf. Hätte ich tatsächlich jemals so etwas wie eine Wahl gehabt, stünde ich jetzt nicht hier inmitten von Personen, die in mir nichts weiter sahen als einen Fehler. Eine Abscheulichkeit.

Ich richtete meine Konzentration auf die Stoffbündel in meiner Hand. Blinzelte jedoch, da ich glaubte, nicht richtig zu sehen: In den Hemdkragen standen normalerweise die Initialen der zu bewachenden Person. Aber dort standen nicht die Buchstaben S und A, für Susanna Aronos.

Mondsklavin