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Über dieses Buch:

1728, Britische Antillen: Lord Quentin Rucksingford benötigt dringend einen neuen Buchhalter für seine Plantagen. Da kommt ihm Dianna Carstair wie gelegen – eine ehrbare Lady mit einer außergewöhnlichen Begabung für Zahlen. Doch sie entpuppt sich alsbald als scharfzüngige Schönheit, die außerdem mit seinem Erzfeind – dem berüchtigten Piraten Kincaid – gemeinsame Sache macht. Quentin sieht nur eine Lösung: Er muss Diannas Herz für sich gewinnen! Doch dafür müsste er seinen Schwur brechen, nie wieder zu lieben …

„Dieser Roman ist ein Glanzstück romantischer Unterhaltung – fesselnd, leidenschaftlich und mit herzerfrischendem Humor!“

Das amerikanische Literaturmagazin „Affaire de Coeur“

Über die Autorin:

Olga Bicos wurde in Havanna geboren, studierte Jura in Berkley und arbeitete als Firmenanwältin in einem Medienunternehmen in Los Angeles, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Abenteuerlustig und weit gereist, lebt sie heute mit ihrer Familie in Kalifornien. Für ihre gefährlich-charmanten Helden wurde Olga Bicos für den begehrten K.I.S.S. Award der Romantic Times nominiert.

Von Olga Bicos erscheinen bei venusbooks auch die Romantic-Thriller Fever – Zärtlicher Tod, Fever – Eiskalter Kuss und Passion – Süßes Verlangen.

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eBook-Neuausgabe März 2018

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2001 unter dem Titel Süßer als ein Kuss im Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1995 bei Olga Gonzales-Bicos

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel Sweeter than Dreams in der Kensington Publishing Corp., New York

Published by Arrangement with Olga Gonzalez-Bicos

Copyright © der deutschen Ausgabe 2001 bei Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Belozorova Elena, Eva Bidiuk, MaxFrost

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95885-606-6

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Olga Bicos

Die Liebe des Lords

Roman

Aus dem Amerikanischen von Sabine Ivanovas

venusbooks

ERSTER TEIL

Ohne Fleiß kein Preis

Wie alles anfing ...

1

St. Kitts, Insel der Britischen Antillen, April 1728

Die Liebe spielte in Quentins Plänen nie eine Rolle.

Ganz im Gegenteil. Als Geschäftsmann hatte Quentin Alexander Rucksingford, der Viscount Belfour, zukünftiger Nachfolger des Grafen von Carrick und Erbe aller dazugehörigen Ländereien, solche romantischen Ideen längst hinter sich gelassen. Lust war akzeptabel. Dieses Gefühl hatte er ein paar Jährchen seiner etwas über dreißig in London ausgekostet, als er in seiner Jugend mit seiner damaligen Clique die Stadt unsicher machte. Aber Liebe? So eine zarte Empfindung gab es nur in den Herzen von Dichtern – jenen, die das Leben lieber in Träume verpackt haben wollten als in jener rauen Wirklichkeit, die es Quentin serviert hatte. Die Schwachen, die Jungen, die Fantasievollen ... zu denen gehörte der Viscount Belfour nicht.

Doch als er jetzt die goldgerahmte Einladung in seiner Hand sah, kam Quentin der Gedanke, dass es wohl doch noch jemanden in seinem Haushalt gab, der die Hoffnung hegte, die Liebe in sein Leben zu bringen.

»Stevenson«, murmelte er und tippte sich mit dem Büttenpapier an die bloße Brust. Es sah ganz so aus, als hätte sich sein Verwalter dazu entschlossen, den Vermittler zu spielen.

Quentin lag nackt auf seinem Himmelbett, mit nichts neben sich als Stapel von unbeantworteter Korrespondenz, die weiß im Licht des silbernen Leuchters neben seinem Bett schimmerte. Er fuhr sich mit der Hand durchs schattendunkle Haar und las, was höchstwahrscheinlich Stevensons breite Lettern waren: sie versicherten der Lady Godrich, dass der Viscount Belfour gern zu ihrer Soiree kommen werde – einem Abend, der bestimmt die höchst heiratsfähige Tochter der Lady groß damit herausbrächte, wie sie die Tasten eines Klaviers malträtierte.

Quentin warf die Karte zur Seite und legte sich den Unterarm über die Augen. »Sentimentaler alter Narr!«

Er schaute hinüber zum bleiverglasten Fenster, wo das Licht von ein paar Sternen am Horizont funkelte. Da er an chronischer Schlaflosigkeit litt, war das ein vertrauter Anblick, und in dieser Nacht hatten ihn seine schlimmen Träume sogar der wenigen Stunden beraubt, die er sich sonst doch an Ruhe ertrotzte.

»Und nicht einmal eine Spur von Morgengrauen«, murmelte er.

Keine Chance! Er würde heute überhaupt nicht schlafen. Die Monotonie seiner Korrespondenz hatte ihn nicht so schläfrig gemacht, wie er gehofft hatte. Vielleicht war das auch besser so, denn zu viele Albträume lauerten in den Winkeln seines Gehirns, bereit, ihn bei den ersten Anzeichen von Schlummer zu überfallen.

Nun schob er das weite, lose Moskitonetz zurück, das sein Bett wie ein Vorhang umgab. Dieses monströse Möbel war wie ein Wald aus dunklem Walnussholz. Gewundene Bänder von Blättern, Beeren und Blüten sprossen aus den Pfosten und rankten hinauf über den Betthimmel, sodass Quentin jeden Morgen das Gefühl hatte, er müsse sich mit einer Machete den Weg freihacken. Doch das grandiose Stück hatte damals, als er es mitsamt den dazugehörigen Teilen kaufte, zu seiner Stimmung gepasst. Weil er darauf baute, sich in diesem Dschungel verlieren zu können.

Als er aufstand, strich angenehm warmes Fell um seine Knöchel. Ein rotbrauner Schwanz glitt an seiner Wade entlang. Quentin hob Aloysius hoch, und beinah fünf Kilo Kater breiteten sich auf seinen Fingern und seiner Handfläche aus. Das dazugehörige Miauen ertönte nur als leises Fiepen, denn die Anstrengung einer richtigen Begrüßung war dem übergewichtigen Tier einfach zu viel.

»Du musst lernen, dir deinen Lebensunterhalt zu verdienen, Aloysius«, flüsterte er in das orangefarbene Fell hinein. »Die Mäuse tanzen in meinen Zimmern auf den Tischen, und du machst es dir nur in meinem Bett gemütlich.«

Der Kater schnurrte, zufrieden ob der Aufmerksamkeit, die man ihm schenkte.

Quentin schob sich Aloysius unter den Arm und ging hinüber zu dem Fenster, das vom Boden bis zur Decke reichte und von einem Wasserfall aufwendiger Chintzvorhänge umgeben war. Er schauderte angesichts des nächtlich kühlen Atems des Passats und überlegte, ob er sich anziehen sollte. Dann könnte er hinuntergehen und die Verträge studieren, die Arnolds Bote am vergangenen Nachmittag abgegeben hatte, sich die Erinnerung an seine Albträume vielleicht vom Hals schaffen, indem er sich ganz auf den Irrgarten der Zahlen darin konzentrierte. Doch stattdessen berührte er mit den Fingern die kühle Scheibe aus Bristoler Glas, weil er es einfach nicht schaffte, die Spinnweben des Traums ganz zu vertreiben.

Natürlich wusste er, was den Albtraum von Clarice und dem Baby hervorgerufen hatte. Die unerwartete Ankunft des Grafen. Sein Vater war nach St. Kitts gekommen.

»Mistkerl«, flüsterte Quentin dem Kater ins Ohr.

Dessen allzu vertraute Stimme war ihm immer noch gegenwärtig.

Verdammt, Quentin, ich verlange wenigstens die Höflichkeit, dass du mir zuhörst! Es drang wie ein Echo aus seinem Kopf, sickerte in sein Schlafzimmer mit der Kraft eines unerträglichen Gestanks.

Sieben Jahre. Sieben lange Jahre.

Gerade als in ihm die Überzeugung Fuß fasste, dass sein Vater niemals hier aufkreuzen würde ...

Quentin schloss die Augen. Der Rückblick auf den katastrophalen vergangenen Nachmittag wühlte in seinen Gedanken, sodass ihm der Schädel brummte. Er sah seinen Vater so vor sich, wie er vor einigen Stunden dort gestanden hatte an der mit Blattgold überzogenen Tür zum Empfangssalon. Der Graf hatte gewirkt wie ein Schatten in der weiten Öffnung, bis er mit schwingendem Rock aus reichem Samt, verziert mit viel Spitze, ins Zimmer gerauscht war und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gezogen hatte.

Es überraschte Quentin, dass ihm die alten Geschichten immer noch Schmerz bereiten konnten. Er hatte geglaubt, über gefühlsselige Familienvorstellungen inzwischen erhaben zu sein.

Mit einem Seufzer lehnte er eine Schulter ans Fenster und gab den Widerstand auf, ließ sich von seiner Vergangenheit überwältigen. Ihn umgab nicht mehr das dunkle Walnussholz seines Schlafzimmers, sondern er sah sich in der vergoldeten Pracht des Empfangssalons, der in den vergangenen Monaten zu einer Wirrnis von Verträgen und Akten geworden war. Noch deutlicher sah er sich neben Stevenson, über irgendein Papier gebeugt, als die Stimme seines Vaters ertönte ...

»Bei Gott, Mann, ich werde nicht an der Tür stehen bleiben wie ein Aussätziger!«

Der Graf von Carrick, Vertrauter von Königen und Herr von wer weiß wie vielen Besitzungen, stolzierte über die Schwelle, ein Bild pompöser Künstlichkeit. Wie gewöhnlich trug er die neueste Mode, bis hin zum Stöckchen aus Bernstein mit der goldenen Spitze und dem kastanienbraunen Dreispitz in seiner Hand. Die reiche Brokatweste in Rotkehlchenblau und der perfekt geschneiderte Rock zeigten deutlich, dass er trotz fortgeschrittener Jahre seine Schlankheit bewahrt hatte. Natürlich war sein Vater wie stets stilvoll bis ins Letzte gekleidet. Offensichtlich hatte das erdrückende Klima der Tropen seinen Appetit auf Mode nicht eingeschränkt, obwohl die feuchte Hitze drohte, den Grafen im eigenen Saft zu schmoren wie Muscheln im Topf.

Quentin, der hinter seinem Schreibtisch saß, verschränkte die Arme über der Brust und lehnte sich in seinen türkischen Sessel zurück.

»Sieh mal einer an, was uns die Flut da angespült hat«, sagte er gedehnt zu Stevenson neben sich.

Der Graf von Carrick schritt vorwärts, seine Schuhe mit den roten Absätzen erzeugten auf dem französischen Wollteppich keinerlei Geräusch. Sein Blick wanderte über den Inhalt des Raums, der von Papier überquoll und strotzte vor vergoldeten Reichtümern. Es war ihm nicht anzusehen, was er persönlich davon hielt. »Ich hatte eine höllische Überfahrt von England auf einem Handelsschiff, Quentin. Wie wäre es, wenn du wenigstens die Freundlichkeit besäßest, mit mir zu reden? Oder hast du vor, mich regelrecht hinauswerfen zu lassen? Denn darum kommst du nicht herum, wenn du mich loswerden willst.«

Quentin lehnte die Hand mit der Feder auf das Büttenpapier vor sich. »Die Versuchung ist groß, das kann ich dir versichern.«

Die Brust des Grafen blähte sich, eine Geste, die früher dem kindlichen Quentin seines Vaters Ärger ankündigte. Selbst dieses kleine Detail schmerzte ihn, verspottete ihn mit seiner unmissverständlichen Botschaft: Du kennst mich. Du kannst deine Vergangenheit nicht so einfach loswerden, Mensch.

Quentin saß einen Augenblick reglos da. »Verschwinde aus meinem Haus, zum Teufel«, flüsterte er und verzichtete darauf, sich weiter unbeteiligt zu geben.

»Das ist zweifellos eine seltsame Begrüßung nach sieben Jahren!«

»Es ist überhaupt keine Begrüßung, Mylord – adieu und gute Reise!«

»Verdammt, Quentin!« Die Finger seines Vaters schlossen sich um den Schwanengriff seines Stöckchens zur Faust. Er sah zu dem abwartenden Stevenson hinüber und schien vor den Augen des Bediensteten um Fassung zu ringen. Als es ihm schließlich gelang, zischte der Graf etwas gefasster: »Du willst ja meine Briefe nicht beantworten. Was bleibt mir also anderes übrig, als dich aufzusuchen?«

»Und das erst sieben Jahre nach meinem Abschied!«

»Ich habe eine weite Reise unternommen, um mit dir zu reden!«

Als Quentin sah, dass sich sein Vater nicht von der Stelle rührte, stand er auf, um selbst hinauszugehen.

»Um Himmels willen, Mann! Wirst du die Vergangenheit denn niemals vergessen?«

Quentin gelang ein Lächeln, weil er wusste, dass ihm zumindest diese Lüge leicht fallen würde. Er hatte sie in den letzten Jahren oft genug geübt. »Aber das ist es genau, was ich getan habe, Mylord. Ich habe vergessen.«

»Ich bin dein Vater, verdammt. Das kannst du nicht ändern, egal wie sehr du diese Tatsache auch verleugnen möchtest!«

»Im Gegenteil, ich bin ein Ass im Verleugnen!« Er verschränkte die Arme und lehnte sich an die geschnitzten Regale. »Wo ich das wohl herhabe?«

Die Miene des Grafen verzog sich schmerzlich. »Nicht, Quentin. Ich bin hier, um Frieden zu schließen, nicht um zu kämpfen. Du hast dich verändert, bist jetzt ein erfolgreicher Mann.« Er sah sich im Zimmer um, bemerkte das Blattgold an der bemalten Decke, den beeindruckenden Marmorkamin, die eleganten französischen Möbel – eine verschwenderische Fülle, die einen seltsamen Gegensatz zu der schlichten Weste und den Hemdsärmeln seines Sohnes bildete. »Nein, mehr, du hast dir hier ja wirklich ein Vermögen erarbeitet. Nach all den Jahren, in denen ich zuschaute, wie du dein Leben verplemperst ... jetzt bist du ein Sohn, auf den man stolz sein kann. Es tut mir Leid, dass wir in der Vergangenheit Differenzen hatten ...«

»Differenzen?«, fragte Quentin milde. »Nennt Ihr den Mord an Clarice jetzt so?«

Der Graf erbleichte, sein Gesicht nahm die Farbe seiner gepuderten Perücke an. »Das ist lange her, Quentin. Bin ich denn nicht genug gestraft? Mein einziger Erbe hat mich verlassen, gedroht, nie zu heiraten und die Familie weiterzuführen. Alles, wofür ich gearbeitet habe, gelangt irgendwann an die Krone ...« Als spüre er, wie unangebracht seine Worte waren, unterbrach er seine Tirade. Er senkte den Blick und sah dann mit einem erstaunlichen Ausdruck von Reue seinem Sohn in die Augen. »Du bist mein Sohn, Quentin. Mein einziges Kind. Nie wirst du nachempfinden können, wie schmerzlich es für mich ist, dass du nicht Teil meines Lebens bist.«

Die Muskeln an Quentins Brust spannten sich. Himmel, dass sein Vater das wagte! Dass er auch nur einen Augenblick von Versöhnung sprechen konnte!

»Mein Leben hat nichts mit Euch zu tun, Mylord«, sagte er steif. »Nicht mehr.«

»Aha, du willst also allem den Rücken kehren!«, schrie der Graf und verlor endlich die Beherrschung. »Deiner Familie, deinem guten Namen, dem Titel?«

»Ich habe gar nichts den Rücken gekehrt.« Eisig starrte Quentin seinen Vater an. »Sondern ich habe mich nur entschlossen zu warten, bis Ihr unter der Erde seid, um mich dessen zu erfreuen.«

Diese Salve saß. Ein paar Sekunden ließ der Graf den Mund offen stehen. Doch schon nach zwei Atemzügen schlossen sich seine Lippen mit einem Ruck wieder, und seine blauen Augen begannen zu glühen. »Ich gebe nicht auf, Quentin. Diesmal nicht. Und zwar bleibe ich so lange in Basse Terre, bis du wieder zu Verstand kommst. Du kannst dich von mir aus entschließen, deiner Familie den Rücken zu kehren – aber du bist mein einziger Erbe, verdammt, und ob es dir gefällt oder nicht, du wirst deine Pflicht tun!«

Quentin grub seine Finger tief in Aloysius' Fell, als sein Rückblick langsam wieder entschwand. Er spürte den Schweiß über seine Stirn rinnen und atmete langsam und tief durch. Sein Blick wanderte über den Dschungel seiner Schlafzimmermöbel, sein Herz beruhigte sich nach dieser Vergegenwärtigung allmählich wieder. Seine Pflicht. Quentin sah plötzlich seinen Vater vor sich, wie er einen seiner Preishengste in den Schuppen führte zur Paarung, und lachte.

»Diesmal nicht, alter Knabe.«

Doch schon bald erstarb sein Lachen. Das einzige Geräusch im Zimmer waren noch das Ticken der Standuhr und das Schnurren von Aloysius auf seinem Arm.

»Verdammter Kerl ...« Quentin streichelte dem Kater über die Ohren, und plötzlich war ihm bis ins tiefste Innere elend zumute. »Selber verdammt.«

Eigentlich hätte Rache süß sein sollen, sicherlich besser als diese Melancholie in seinem Herzen. Sieben Jahre hatte er sich abgerackert, um der große Herr zu werden, den sein Vater bewundern würde, hatte mit Handelsgeschäften ein Vermögen gemacht und sein Heim hier auf der Plantage mit Kostbarkeiten gefüllt, die der Graf sicher selbst gern besäße. Sieben Jahre lang hatte er seine Regierungsbeziehungen ausgebaut, sowohl in St. Kitts als auch England, hatte Pläne geschmiedet für den Tag, an dem er seinen Erfolg wie eine Karotte vor der Nase des Esels schwingen würde – in Erwartung der Befriedigung, die er empfände, angesichts seines Vaters in dem Augenblick, in dem er begriff, dass ihm das alles verwehrt war. Der edle palladische Palazzo, den Quentin gebaut hatte, die vielen Hektar mit Zuckerrohr, das Handelsunternehmen – und sein verehrter Erbe.

Da hätte sich doch irgendetwas in ihm regen müssen ...

»Vielleicht hat es zu lange gedauert bis zum Tag der Rache«, erklärte er Aloysius. Er starrte durch die gewellten Scheiben aus dem Fenster und dachte an Clarice. »Himmel, kein Wunder, dass sie mich verfolgt. Schließlich kann man den Toten nicht mehr zu Gefallen sein, stimmt's?«, fragte er den Kater.

Mit einem gedämpften Miauen sprang Aloysius von seinem Arm auf den türkischen Teppich. Quentin fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und schritt dann entschlossen zum Kleiderschrank hinüber. Er zog sich hastig an, wollte plötzlich fort aus dem Wald von Ranken und Blüten, musste versuchen, die Schatten seines Traums abzuschütteln. Stevenson, der seine ganz eigenen seltsamen Quellen besaß, hatte Quentin mitgeteilt, dass der Graf im ›Hähnchen‹ in Basse Terre wohnte. Quentin hatte nichts dazu gesagt, denn er wusste aus Erfahrung, dass ihm das Ganze bald egal sein würde.

Inzwischen konnte er nicht schlafen, und es gab noch viel zu tun. Also nahm er einen Kerzenleuchter und seine Korrespondenz und machte sich auf den Weg zu den Verträgen, die in seinem Empfangssalon der Bearbeitung harrten.

Erst als sich das Wachs in dicken Ringen um den Fuß des Leuchters sammelte, hob er den Blick wieder vom Pergament. Bis zum Morgengrauen hatte er einen guten Weg gefunden, seine bereits übervollen Kisten noch weiter zu füllen. Er sah hinauf zu den Engeln, die an die gewölbte Decke gemalt waren – Wächter, die er aus einer verrückten Laune heraus von einem begabten italienischen Künstler hatte anfertigen lassen. Seine Engel waren seine Gefährten hier in Rucksingford Hall. Ihm gefiel die Vorstellung, dass sie ihn auf ihre ganz eigene, stille Weise sicher geleiteten.

Das bedrohliche Krachen der Tür, die zugeworfen wurde, schreckte Quentin auf. Ein schmaler Streifen von Morgenlicht glitt über das Blau und Gold des Teppichs, als sein Verwalter hereinstürzte und um das Sofa rannte, um schnell seinen Schreibtisch zu erreichen.

»Die ›Falcon‹ wurde überfallen«, rief der gehetzte Mann, und seine gepuderte Perücke rutschte zur Seite. Stevenson holte ein Taschentuch aus den Tiefen seines Ärmels und wischte sich mit fahrigen Bewegungen die Stirn trocken. »Die ganze Ladung haben sie mitgenommen, die halbe Mannschaft ist auf und davon. Sie haben es kaum bis in den Hafen geschafft.«

Quentin schob seinen Sessel zurück und erhob sich langsam. »Kincaid?«

»Ich fürchte ja. Ist heimlich um die Patrouillen herumgesegelt. Dieser Pirat hat uns schon wieder ausgeplündert!«

Quentin starrte die Verträge an und schüttelte den Kopf. »Ich bin wirklich beeindruckt. Das ist das dritte Mal in dieser Saison!«

Stevenson rückte die Korkenzieherlocken seiner Perücke zurecht, die direkt vor seinen Augen schwankten. »Ich werde noch mal eine Eingabe beim Gouverneur machen. Natürlich sagen sie, Heartless Kincaid hätte genug Regierungsleute in der Tasche, um sicherzugehen, dass sie ihn in Ruhe plündern lassen. Aber wenn wir beantragen, dass die Patrouillen verstärkt werden ...«

»Das hat wenig Sinn.« Quentin drehte den Gänsekiel zwischen den Fingern und starrte in die tanzende Flamme einer Kerze. »Ich glaube, es ist an der Zeit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.«

»Dann müssten wir eine kleine Armada anheuern, um jedes Schiff zu begleiten ...«

»Seht Euch das hier an.« Quentin schob die Verträge über den Rosenholztisch zu seinem Verwalter hinüber. »Ich nehme an, dass ich mit dem Geld, das Arnold mir geboten hat, tatsächlich meine eigene Flottille aufstellen kann.«

»Ja, ja ...« Stevensons kluger Blick wanderte über die Zahlen, während er sich weiter die Stirn abtupfte. »Aber wenn ich so sagen darf, Sir, um Geld allein geht es dabei ja gar nicht. Dieser Pirat, dieser Kincaid, ist teuflisch klug ...«

»Das müssen wir dann einfach auch sein.« Quentin tippte sich mit der Feder ans Kinn, und sein Plan nahm zusehends mehr Form an. »Kincaid braucht eine größere Herausforderung. Wir haben ihm und seinen Spießgesellen die Sache entschieden zu leicht gemacht.«

»Also, Sir, Ihr könnt doch nicht im Ernst vorschlagen ...«

»Doch, das kann ich«, sagte Quentin mit seiner typischen Entschlossenheit, die üblicherweise nur wenige Leute kalt ließ. »Allerdings kann ich das«, flüsterte er und dachte daran, dass es ihm gut tun würde, sich auf etwas anderes zu konzentrieren als seine verdorbene Rache. Er schaute hinauf zu den gemalten Engeln an der Decke, die im Kerzenlicht und dem ersten Schimmer des Morgengrauens glitzerten. Ein ruhiges Lächeln erschien langsam auf seinen Zügen. »Ich würde schrecklich gern diesem Kincaid ein Rennen liefern für sein Geld – welchen Schutz auch immer er beim Gouverneur gekauft haben mag.«

Ergeben hob Stevenson die Hände. »Schon gut, schon gut. Aber wenn Ihr Euch entschließt, das Fangen eines Piraten zur endlosen Liste meiner Pflichten hinzuzufügen«, sagte er und deutete mit einem runzligen Finger auf einen der vielen Stapel von Papieren, die jeden freien Platz im Zimmer zu überschwemmen drohten, »dann werde ich einen Assistenten brauchen.«

Quentin legte die Fingerspitzen aneinander und sah Stevenson an, denn diese Forderung erschien ihm seltsam. Stevenson war jetzt seit sieben Jahren Quentins Verwalter und hatte die Plantage von Quentins Großvater davor schon zehn Jahre lang geleitet – ohne Hilfe oder Beschwerde. Doch als er jetzt die in marokkanischem Leder gebundenen Ordner betrachtete, die sich auf dem Kaminsims drängten und sogar die Pracht der mit Pflaumenblüten verzierten Wandnischen von St. Cloud füllten, dachte Quentin, dass Hilfe vielleicht doch ganz angebracht wäre.

»Gibt es irgendwelche Bedienstete bei uns, die lesen können?«

Stevenson schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Kein Einziger ... außer – es ist doch bald Juni, oder?« Sein Gesicht erhellte sich wie eine Fackel. »Ich hatte gerade einen ganz außergewöhnlichen Einfall, Sir. Miss Leydianna Carstair dürfte dann wie üblich kommen, um diesen Monat bei ihren Eltern zu verbringen. Sie ist sehr gut im Schreiben. Und rechnen kann sie auch.«

Quentin sah auf. »Eine Frau?«

»Aber keine gewöhnliche«, beteuerte Stevenson enthusiastisch. »Sie ist eine brillante junge Gelehrte. Unwahrscheinlich gut mit Büchern. Oh ja, bemerkenswert klug. Ich habe sie selbst ausgebildet.«

»Ach, wirklich?«, fragte Quentin leichthin. Er war immer etwas auf der Hut, wenn sein Verwalter über irgendwelche Damen ins Schwärmen geriet. Er durchsuchte die Papiere auf seinem Schreibtisch, bis er den bekannten cremefarbenen Umschlag fand. Ihm entnahm er die Einladung der Lady Godrich und starrte auf Stevensons charakteristische Schrift. Mit großer Freude und Spannung sehe ich Eurer sicherlich charmanten Soiree entgegen ... »Und warum solltet Ihr, bitte, auf den Gedanken kommen, eine Frau rechnen zu lehren?«

»Ich kenne die junge Dame seit ihrer Kindheit«, begann Stevenson und betrachtete die Karte, die Quentin vor seiner Nase hin- und herwedelte. »Sie hat immer wieder Zeit im Herrenhaus mit allen möglichen Aufgaben verbracht. Eines Tages erwischte ich sie in der Bibliothek Eures Großvaters mit einem seiner wertvollen Bücher auf dem Schoß – schmutzig, wie sie war. Damals arbeitete ich noch als Verwalter Seiner Lordschaft, Gott hab ihn selig.« Stevensons Augen verklärten sich. »Und sie mühte sich ab, sich selbst das Lesen beizubringen.« Sein Lächeln war so breit, dass man die Zahnlücke neben dem ersten Backenzahn sehen konnte. »Tja, und da Mary und ich selbst keine Kinder hatten, könnte man sagen, nahm ich sie unter meine Fittiche. Sie hat eine brillante Begabung für Zahlen. Wirklich ein ausgesprochenes Talent.«

Quentin wedelte weiterhin mit der goldverzierten Karte durch die Luft. Etwas, das stärker war als nur Erinnerungen, sprach aus Stevensons rot geränderten blauen Augen, oh ja!

Wieder schaute der Viscount auf die Einladung der Lady Godrich. Stevensons Bemühungen der vergangenen Zeiten, ihm die junge Dame aus gutem Hause anzudienen, überraschte Quentin eigentlich. Sein Verwalter kannte seinen Entschluss gut: Er würde nicht heiraten und keinen Sohn bekommen, der dann den Namen und die Reichtümer seines Vaters erbte.

Doch diese Miss Carstair – die Tochter eines seiner Bediensteten, einer Frau, die sicher nur beschränkte Mittel besaß –, das bedeutete vielleicht wieder eine ganz neue Taktik. Schließlich war es inzwischen einige Zeit her, seit sich Quentin zum letzten Mal eine Mätresse genommen hatte.

Ein flüchtiges Bild erschien in seinen Gedanken. Fesselnde graue Augen, die intelligent glitzerten – dann nichts mehr.

Seltsam, dass er sich an ihre Augen erinnerte ...

»Ich kenne die Kleine«, sagte er zu Stevenson, als ihm noch eine schwache Erinnerung an ein Mädchen mit kastanienbraunem Haar kam, das in der Nähe seiner Zuckermühle am Hang eines Hügels gesessen hatte. »Sie ist eine unauffällige Maus, oder?«

»Eine Maus?«, wiederholte Stevenson. »Aber nein, Sir. Intelligent, ein Herz wie eine Löwin, das schon – keine Maus. Im Gegenteil, sie spart darauf, für sich selbst und ihre Eltern ein Stück Land zu kaufen. Sie will eine Carstair-Plantage gründen. Das würde eine Maus doch wohl kaum tun, oder?«

Quentin, der sich immer noch nicht genau an diese Galionsfigur des Fleißes erinnern konnte, betrachtete seinen Verwalter misstrauisch. Natürlich kannte er ihre Eltern gut: ein Zuckerkocher, der gelegentlich für Unruhe sorgte, wenn er zu viel Rum getrunken hatte, und eine Matrone mit säuerlicher Miene, die in der Küche mit Mrs. Bailey, der Haushälterin, arbeitete.

»Nein, nein, nein«, fuhr Stevenson fort, und seine Stimme war voller Nachdruck. »Maus ist wirklich völlig unpassend. Also, Leydi ...« Stevenson hielt kurz inne, um knarrend zu lachen. »So nennen ich und ihre Mutter sie immer. Es passt zu dem Mädchen, denn sie wird bestimmt eines Tages eine große Lady werden.«

Quentin runzelte die Stirn. So lebhaft hatte er seinen Verwalter schon lange nicht mehr gesehen.

»An ihren Eltern ist mir nie besonders viel gelegen. Ihr kennt Carstair sicher.« Stevensons wässriger Blick bekam eine gewisse Schärfe, dann schniefte er überlegen. »Ein wirklich dummer Kerl, wenn Ihr meine Meinung hören wollt. Und legt entschieden zu viel Wert auf das ›Regenwasser vom Kap Horn‹, das sie in der Stadt verkaufen. Aber Leydi ist ganz anders als er ... Also, das Mädchen hat doppelt so viel Hirn, wie Gott den meisten Menschen zugesteht. Miss Carstair würde bestimmt in einem Monat diese Arbeit erledigen.«

Während sein Verwalter weiter murmelte, hörte Quentin nur noch halb zu, bis ihm Stevensons erste Worte wieder in den Sinn kamen. »Ihr sagt, dass sie nur einen Monat hier bleibt?«

»Ja, Sir. So lange sie ihre Eltern besucht. Den Rest des Jahres ist sie nicht auf dieser Insel.«

»Und wo verbringt sie die restlichen elf Monate?« Das Mädchen, an das er sich erinnerte, konnte inzwischen kaum alt genug sein, um sich auf anderen Inseln herumzutreiben.

Stevenson wischte sich noch einmal nachdenklich über die Stirn und steckte dann sein Taschentuch in den Ärmel zurück. »Sie ist, was das betrifft, immer etwas ... undeutlich. Ihr Aufenthaltsort scheint sich zu ändern – sogar relativ oft. Ich glaube, im letzten Jahr hat sie Monserrat erwähnt. Ja, als Letztes sagte sie, sie arbeite in Monserrat. Als Buchhalterin auf einer Plantage dort. Aber das sollte Euch nicht abhalten, Sir. So wie ich meine Leydi kenne, hat sie bestimmt hervorragende Referenzen.«

Quentin stand auf und ging zum Fenster hinüber, dabei klatschte er sich mit der Einladung in die Hand. Er zog die Samtvorhänge zurück und schaute durch das ungleichmäßige Glas zu den goldenen Feldern hinüber, die in der morgendlichen Brise wogten. Amüsiert versuchte er sich diese geheimnisvolle Maus von einem Mädchen vorzustellen, wie sie unabhängig durch die Karibik pflügte. Und dann auch noch als Buchhalterin – eine Frau, die absolut nichts darauf zu geben schien, welche Regeln üblicherweise für ihre Geschlechtsgenossinnen galten.

Er schaute wieder zurück zu der übertriebenen Unschuldsmiene seines Verwalters – und lächelte. Oh ja, Stevenson hatte Quentins Interesse an seiner kleinen Maus geweckt.

Gleichzeitig zerknüllte er die Einladung in seiner Hand, wohl wissend, dass er Stevensons Miss Carstair nicht wollte, wie groß die Versuchung auch werden würde. Es war lange her, seit er sich ein derartiges Vergnügen erlaubt hatte. Und im Schatten der Ankunft seines Vaters war eine Mätresse das Letzte, was er brauchen konnte.

»Die Sache mit Miss Carstair klingt ja, als wäre sie sehr unternehmungslustig«, sagte Quentin und ging um Stevenson herum zu seinem Schreibtisch zurück. »Aber ich glaube, es wäre für alle das Beste, wenn wir ihr für ihren kurzen Aufenthalt hier auf Rucksingford Estate ihre Ruhe lassen. Schließlich kommt sie, um ihre Eltern zu besuchen.« Und Quentin würde ihr wohlweislich aus dem Wege gehen, genauso wie den anderen Ködern, die sein Verwalter ihm vor die Nase zu halten pflegte.

»Aber, Sir ...«

»Erkundigt Euch in der Stadt nach jemand anderem.«

»Ich glaube wirklich ...«

Quentin warf seinem Verwalter die zerknüllte Einladung zu.

Stevenson fing die Papierkugel mit einer Hand auf. Es dauerte nur einen Augenblick, bis ihm klar war, was er da hielt – den Beweis für seine Kuppeleiversuche.

Stevenson wurde so rot wie sein Samtrock. Sofort schienen seine Schultern steif zu werden. Er schniefte dramatisch. »Wie Ihr wünscht, Eure Lordschaft!«

Jetzt verkniff Quentin sich ein Lächeln. Stevenson gebrauchte seinen Titel nur, wenn er versuchte, sich von irgendeinem ihm widerstrebenden Konzept seines Herrn zu distanzieren.

»Warum geht Ihr nicht in die Küche und fragt Mrs. Bailey nach ein paar von den feinen Hörnchen, die sie immer bäckt?«, sagte Quentin und durchblätterte eine Akte. »Und eine Kanne Kaffee dazu. Wenn Ihr zurückkommt, machen wir uns daran, unser Vorgehen gegenüber Kincaid zu planen. Vielleicht sollten wir einen Vertreter der Marine Ihrer Majestät einladen; schließlich brauchen wir es nicht allein zu bewerkstelligen, ihn dingfest zu machen.«

»Wie Ihr wünscht, Eure Lordschaft!«

Quentin horchte, bis die Tür hinter Stevenson ins Schloss fiel. Er schüttelte den Kopf und sah auf zu den Engeln über sich, auf der Suche nach einer Antwort auf Stevensons seltsames Verhalten. Aber wie immer blieben die gemalten Gesichter stumm. Er hörte ein leises Flehen und sah nach unten. Aloysius strich ihm um die Stiefel.

»Eine Frau als Buchhalterin«, erklärte er dem Kater und hockte sich neben ihn, um ihn zu streicheln. »Demnächst lotst er mir noch Frauen in der Verkleidung von Bootsleuten ins Haus.«

Doch beim nächsten Blick auf die honigfarbenen Felder vor dem Fenster und dem milden Licht der Morgensonne im Zimmer wurden seine Gedanken wieder düster. All die Verträge, Kincaid und Miss Carstair verblassten, und er dachte an das, was ihn die Nacht über gequält hatte.

Keine Ehe, keine Kinder – das hatte er dem Andenken an Clarice versprochen. So blieb ihm kaum noch etwas anderes.

Er strich Aloysius über die Ohren und spürte die Erschütterung vom Schnurren des Katers unter der Hand. Sicherlich würde der Graf noch einen weiteren Versuch machen, ihn wieder zur Ordnung zu rufen, vielleicht dann sogar einen dritten. Doch schon bald würde sein Vater dennoch nach England zurückkehren, und sein Vergnügen daran, ihm die Ereignisse der Vergangenheit zu vergelten, würde erlöschen. Wieder wäre er, wie üblich, mit seiner einsamen Erinnerung an Clarice allein.

Quentin redete sich ein, dass er sich nicht allein fühlte.

Er redete sich ein, dass er überhaupt nichts fühlte.

Vielleicht, wenn er sich nur genug Zeit ließ, würde er eines Tages sogar glauben, dass das wirklich stimmte.

2

Devil's Gate, das Inselversteck von Daniel Kincaid

Leydianna Carstair liebte ihre Tagträume.

Oh, sie gab sich die größte Mühe, wie eine Buchhalterin angezogen zu sein. Sie zwang ihre kastanienbraunen Locken in einen festen Zopf, der wie ein Seil über ihren Rücken hinunterfiel bis zu ihren Hüften. Sie rüstete sich mit praktischen Baumwollkleidern aus, ordentlichen Schürzen und Schnallenschuhen, lauter Dinge, die genau zu ihrer Position passten. Und sie gab sich insgesamt in einer Weise, die absolut ernst genommen werden musste.

Doch in Wirklichkeit war Leydianna – oder Leydi, wie die meisten sie nannten – eine hingebungsvolle Tagträumerin.

Ohne jede große Anstrengung konnte sie in ihrer Fantasie versinken und sich ausmalen, dass sie an jeder beliebigen Geschichte teilnahm, die die Freibeuter von Devil's Gate bei Kerzenschein und starkem Rum erzählten. Unter ihrer einfachen Spitzenhaube erlebte sie Abenteuer um Abenteuer aus den vielen Büchern, die sie im Schatten einer Laube im Hof des Anwesens verschlang.

In diesem Augenblick hatte sie sich in einen besonders prachtvollen Traum versenkt. Sie sah sich den Schwertstreich eines maskierten Gegners parieren, trieb den Schuft dabei rückwärts bis zum Rand des Oberdecks. Ihre kniehohen Stiefel trafen donnernd auf das Holz, als sie einen Rückhandschlag vom Säbel ihres Feindes konterte und zur Seite sprang, um seinem nächsten auszuweichen. Nimm den dafür!, erwiderte sie im Geiste. Mit einer Drehung des Handgelenks fand sie Halt an der Waffe des Kerls und schleuderte sie hoch in die Luft ...

Ein harter Stoß traf sie in die Rippen, und Leydis Aufmerksamkeit war mit einem Schlag wieder geweckt. Sie sah nicht mehr ihren maskierten Gegner über das Schiffsdeck auf sich zukommen. Es war ein ganz anderer Kerl, der mit harten Schritten über die Holzdielen des Vorzimmers polterte, in dem sie stand. Ihr Arbeitgeber, Daniel ›Heartless‹ Kincaid, stampfte in einer Weise mit seinen mächtigen schwarzen Stiefeln über den geschrubbten Boden, die man ohne weiteres als einschüchternd hätte bezeichnen können. Leydi seufzte tief. Es war wirklich ein falsches Bild. Für jeden, der Kincaids sanftere Seite nicht kannte, sah es so aus, als wollte er sie jeden Moment aufhängen.

Leydi biss sich auf die Lippen und sah zu, wie der volle Rock seiner knielangen Jacke sich hinter ihm bauschte wie die schwarze Flagge, wenn Schädel und gekreuzte Knochen in der Brise flatterten. Obwohl sie den Piraten, der ihr Arbeitgeber war, ziemlich gern hatte und schon seit einigen Jahren als Buchhalterin für ihn arbeitete, war dieser Temperamentsausbruch absolut typisch für ihn. Schon mehr als einmal hatte sie sich mitten in einer solchen Tirade in ihre Tagträume geflüchtet. Aber leider war sie diesmal so versunken gewesen, dass sie die Hälfte seines Geschreis versäumt hatte. In den dreißig Jahren, die Daniel Kincaid nun schon das Oberdeck der Pest, des am meisten gefürchteten Piratenschiffes weit und breit, kommandierte, hatte er drei Arten von Befehlsverhalten perfektioniert: drohend, mörderisch und ein todbringend starrer Blick, der auch dem härtesten Freibeuter die Eingeweide gefrieren lassen konnte. Dieser letztere Ausdruck war es, mit dem er gerade Leydi bedachte.

Sie sah auf zu ihrer besten Freundin, die neben ihr stand – dankbar, dass Gabriela die Geistesgegenwart besessen hatte, Leydi mit einem Rippenstoß aus ihrer Träumerei zu wecken. Sie trug ein Kleid, das ebenso schillernd war wie Leydis schlicht, und ihr Gesichtsausdruck zeugte von Langeweile.

Wie gewöhnlich war Kincaids Ärger über Gabriela de Sousa reine Energieverschwendung. Die Halbmulattin Gabby leitete Kincaids Haushalt ebenso unbeirrbar, wie Leydi seine Bücher führte. Sie war die Anwürfe des Piraten gewöhnt und machte sich ein besonderes Vergnügen daraus, ihn mit Missachtung zu strafen. Leydi runzelte die Stirn, denn sie sah Schwierigkeiten voraus.

»Ihr seid doch kein Paar Piraten, zum Kuckuck noch mal, die sich Rum hinter die Binde kippen und wilde Flüche von sich geben!« Das Morgenlicht strömte durch die Bogenfenster des kleinen Hauses herein und beleuchtete die ergrauenden Schläfen von Kincaids Haar, das hinten zu einem kurzen Zopf gebunden war – der einzige Hinweis darauf, dass er schon auf die fünfzig zuging. »Du bist meine Haushälterin!« Er warf Gabriela einen finsteren Blick zu. »Und du meine Buchhalterin!« Auch Leydi schaute er ärgerlich an. Dann stach er mit dem Finger in die Luft, als wäre er ein Degen. »Und kein Paar glückloser Halsabschneider! Hört mir gut zu, Mädchen. Ihr werdet von nun an nicht mehr mit meinen Männern einen heben. Und nicht mehr mit ihnen Karten kloppen, bis der Hahn kräht ...«

»Hat Cy sich wieder beschwert?«, schnappte Gabriela, und ihr leicht brasilianischer Akzent verlieh ihrer Stimme eine besondere Färbung. Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. Der scharlachrote Brokat, der über ein enges Oberteil und ein Unterkleid aus Spitze herabfiel, betonte ihre weibliche Figur. Ihre exotischen grünen Augen standen schräg wie bei einer Katze; das Grün bildete einen prächtigen Kontrast zu ihrer milchkaffeefarbenen Haut und den schulterlangen braunen Locken. »Bah!« Sie schüttelte den Kopf und sah Leydi an. »Ich hatte dir doch gesagt, du sollst Cy gewinnen lassen, cara

»Sei still, Gabby«, flüsterte Leydi und trat auf den Zeh von Gabrielas hübschem Schuh mit den goldenen Schnallen, während ihr Lächeln unverändert Kincaid galt.

»Ladys beschäftigen sich mit Stickereien«, blaffte Kincaid und kümmerte sich nicht um Gabbys sarkastische Worte, während er gleichzeitig Anlauf nahm für seine gewohnte Schimpfkanonade. »Sie lernen die neuesten Tänze ... damit solltet ihr euch beschäftigen, Mädchen. Und jetzt zum kommenden Monat«, fuhr er fort und meinte die Zeit, die Leydi und Gabby das Piratenversteck verlassen und einen Monat bei ihren Müttern in St. Kitts verbringen würden. »Es ist mir ganz egal, was ihr dort treibt. Aber wenn ihr nach Devil's Gate zurückkommt, habe ich schon eine Liste mit passenden Beschäftigungen für euch zusammengestellt ...«

»Er will uns Tricks beibringen, cara«, sagte Gabby und klatschte in die Hände. »Damit wir ihn unterhalten wie ein Paar Tanzbären!«

Kincaids Lippen verzogen sich zu einem finsteren Grinsen. »Vielleicht wird mein erster Trick sein, dich auf irgendeiner unbewohnten Insel auszusetzen«, bellte er. »Also reiz mich nicht, Mädel!«

»Das wäre doch mal was anderes.« Gabby trat mit schwingenden Hüften vor. Ihr brasilianischer Akzent wurde immer stärker, wenn sie sich mit Kincaid anlegte, und jetzt war er dick wie Zuckersirup. »Aber Spaß beiseite, Kincaid!« Sie winkte ab. »Das Einzige, was wir immer wieder hören, ist der Ärger, den wir dir hier machen ...«

»Gestern Abend kam ich gerade dazu, als deine Röcke hochgeschoben waren bis zur Taille und die Hände von Murdock, diesem Teufel, auf deinen Brüsten lagen! Sag mir nicht, dass das nicht echte Angst war, die ich in deinen Augen gesehen habe, als du dich gegen ihn wehrtest. Ich musste den armen Hund auspeitschen und wegjagen. Jetzt habe ich einen Mann weniger, und das alles nur wegen deiner verführerischen ...«

»Verführerisch!« Gabby wurde rot vor Zorn. Sie stemmte beide Hände in die Hüften. »Murdock ist ein Tier. Der glaubt sogar, dass die Schafe mit ihm flirten, wenn sie blöken.«

Leydi zwängte sich zwischen die beiden, drückte eine Hand gegen Kincaids Brust und drängte Gabriela mit einer Schulter langsam nach hinten, um die beiden zu trennen. »In ein paar Stunden sind wir schon unterwegs nach St. Kitts ...«

»Und wenn ihr wiederkommt, werdet ihr euch nicht mehr aufführen wie die berüchtigten Piratinnen Mary Reed und Anne Bonny! Ich habe euch nicht hergeholt, damit ihr euch hier zu Freibeuterinnen entwickelt, verdammt!«

»Warum hast du uns denn sonst hergeholt?«, erkundigte Gabriela sich.

Gabrielas Frage nahm Kincaid den Wind aus den Segeln. Er stand mit offenem Mund da, und es wurde still im Raum. Durch die Bogenfenster drangen die Geräusche von Kincaids Männern, die das Schiff zum Ablegen vorbereiteten, herein, sonst war nichts zu hören.

Leydi verstand die plötzliche Spannung nicht. Die Stellung, die Kincaid ihr vor acht Jahren angeboten hatte, war ein wahrer Glücksfall für sie gewesen. Sie bedeutete ehrlich verdientes Geld – na ja, mehr oder weniger ehrlich –, mit dem sie sich ihre Träume würde verwirklichen können, und sie hatte nie daran gedacht, sein Angebot zu hinterfragen. Sie war einfach davon ausgegangen, eine Laune habe ihn damals in Basse Terre auf den Gedanken gebracht, sie anzustellen; denn er hatte miterlebt, wie geschickt sie mit Bertie, Gabrielas Mutter, um ein paar Knöpfe feilschte, die sie in Berties Laden kaufte.

Aber Gabbys Frage und Kincaids Schweigen schienen mehr zu bedeuten. Etwas, das vielleicht nicht ganz so unschuldig war ...

»Der Lohn, den ich euch zahle, reicht für feine Kleider und Schmuck und alles«, stammelte Kincaid in die Stille hinein und wandte sich ab. Er schüttelte den Kopf und schien mit sich zu ringen; schließlich murmelte er noch: »Ich brauchte einfach eure Hilfe. Einen anderen Grund gab es nicht, Mädel.«

Gabbys eindringlicher Blick hätte ein Loch in den Rücken von Kincaids feinem Samtrock bohren können. »Manchmal hasse ich dich wirklich, Kincaid.«

Der Pirat drehte sich auf dem Absatz um, sein Gesichtsausdruck erinnerte an ein Kriegsschiff vor dem Rammen. »Hör mir gut zu, du freche Göre! Ich sollte dich in der Brigg verrotten lassen für die Art, wie du mit mir redest. Lass deinen kleinen Arsch ...«

»Kincaid!«, unterbrach Leydi ihn, ohne ihr eigenes Unbehagen zu beachten, damit sich ihre beiden Freunde nicht wirklich an die Gurgel gingen. »Du könntest wirklich etwas Besseres tun, als dich mit Gabriela zu zanken. Um Himmels willen, hast du einen Mann damit beauftragt, sich um meine Felder zu kümmern, während ich weg bin?« Sie wusste recht gut, wie man Kincaid von Gabby ablenkte.

»Dein verdammter Tabak kann von mir aus verrotten!«, schrie er und war ausgesprochen froh, seine Angriffslust auf Leydi richten zu können.

»Also, Kincaid, du warst damals gern bereit, so etwas beim Kartenspielen zu riskieren. Ich habe die Konzession absolut rechtmäßig gewonnen.«

»Bei allen Heiligen, ich hatte drei Damen! Wie groß waren da die Chancen zu verlieren, frage ich dich?«

Leydi lächelte, denn es gefiel ihr ausgesprochen, ihm diese Information zu liefern. »Nach Mr. Malcolmers Buch ›Beim Pokern gewinnen‹ liegt die Wahrscheinlichkeit genau bei ...«

»Mr. Malcolmer soll genauso wie dein verdammter Tabak verrotten! Du wirst keine Ruhe geben, bis du auch den letzten verdammten Piraten auf dieser Insel zu irgendeinem blöden Bauern gemacht hast, verdammtes Biest!«

»Hier gibt es eine Menge Leute, die Familie haben und einen ehrlicheren Weg suchen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, als Pirat zu sein, Kincaid. Wenn ich mich nicht irre, braucht in Devil's Gate niemand mehr ›anschaffen‹ zu gehen und spanische Schätze zu plündern. Das Freibeuterleben haben sowieso schon zu viele von ihnen zu teuer bezahlt!« Sie sah ihn prüfend an und hob die Augenbrauen. »Und so schmerzlich es mich auch treffen mag, aber ein Mann in deinem Alter könnte auch irgendwann daran denken, sich zurückzuziehen ...«

»Mein Alter! Also, für dich ist auch noch Platz auf der Brigg, vorlautes Weib! Absolut ein passender Platz für euch beide«, knurrte er und sah zwischen Gabby und Leydi hin und her. »Genau so was tut hier Not! Ein wenig Disziplin ...«

»Daniel«, ertönte eine weiche Stimme mit spanischem Akzent.

Alle drei drehten sich gleichzeitig zum Durchgang um, der in den Vorraum hinausführte. Kincaids Lebensgefährtin mit der edlen Gestalt, die Lady Consuelo, stand dort, in ein ernstes schwarzes Kleid gehüllt, dessen Stoff mit Goldfäden durchwirkt war. Sie trug eine Mantilla aus belgischer Spitze über ihrem ebenholzschwarzen Haar, das schon von ein paar silbernen Strähnen geziert war. An ihren Ohrläppchen hingen Diamanten so groß wie Kincaids Daumennagel. Doch im rechten Ohr blitzte es auch noch golden, wo ein zweites Loch, direkt über dem Diamanten, von dem Ring durchbohrt wurde, dessen Gegenstück der Pirat trug.

Leydi unterdrückte ein erleichtertes Seufzen. Dann wenn Leydi es beim besten Willen nicht mehr schaffte – Consuelo gelang es immer, Gabriela vor dem Zorn Kincaids zu bewahren.

Er trat auf seine Lady zu, nahm ihre Hand und zog sie ins Zimmer. »Ich schlage nur vor, mein liebstes Herz, dass eine Weile auf der Brigg ihnen gut tun würde.« Consuelo setzte sich in einen eichenen Lehnstuhl und Kincaid wies auf die beiden jüngeren Frauen. »Ein oder zwei Rattenbisse würden diesen Damen vielleicht ein bisschen Verstand beibringen.«

»Lass die Mädchen in Ruhe!« Consuelos beinahe schwarze Augen hoben sich in den Winkeln verführerisch, und sie berührte mit einer Fingerspitze die Mulde in Kincaids Kinn. »Ihr Schiff legt in der kommenden Stunde ab. Wäre es dies eine Mal nicht angebracht, wenn du ihnen zum Abschied einen Kuss gibst und winkst?«

»Ja, natürlich, das sieht euch Weibern ähnlich, dass ihr alle zusammenhaltet«, grummelte er; aber Leydi entnahm seinem auf Consuelo gerichteten Blick, dass der Sturm vorüber war.

»Ich sage kein Wort mehr.« Die goldenen Pünktchen in seinen beinah smaragdgrünen Augen glitzerten vor Nachgiebigkeit.

»Es ist mein Schicksal, dass ich eine Schwäche für grüne Augen habe«, brachte er seine übliche Abschiedsformel vor. Leydi erwiderte sein Grinsen, obwohl sie wusste, dass diese Worte nur auf Gabriela zutrafen. Leydis Augenfarbe war kaum mehr als ein wolkiges Grau.

»Ab mit euch«, sagte er mit einem seltenen Lächeln zu den beiden.

»Und gute Reise! Cy, hol diese jungen Dinger hier raus«, rief er in den Vorraum.

Geschwind nahmen die beiden Frauen ihre Taschen und machten sich auf den Weg, nachdem sie Kincaid und der Lady Consuelo noch einmal zugewunken hatten. Anschließend lehnte sich Gabriela an das Geländer, das in den Hof in der Mitte des Anwesens hinunterführte, wo eine kleine Schafherde weidete. Sie hielt sich die Seiten und lachte.

»Ich konnte mich kaum noch beherrschen, cara«, sagte sie, wobei sie sich gerade so lange zusammennahm, um tief Luft zu holen. »Dio mio, das ist wirklich ein Anblick, wenn du dich bemühst, diesen Räuber in die Enge zu treiben!«

Leydi runzelte die Stirn, denn böses Blut zwischen zwei Menschen, die sie so gern hatte, gefiel ihr gar nicht. »Ich habe nur versucht, meine Meinung zu sagen – denn meine Tabakfelder habe ich absolut ehrlich gewonnen.« Sie warf ihrer Freundin einen vorwurfsvollen Blick zu. »Anders als du, Gabby, überlege ich mir vorher, wann ich Streit anfange«, fügte sie noch hinzu als Seitenhieb auf Gabrielas Neigung, ihrem piratischen Arbeitgeber immer die Stirn zu bieten.

Die Tür hinter ihnen öffnete sich mit einem Krachen, und beide Mädchen drehten sich zu Cy Cuthbert um, Kincaids zweitem Mann, der jetzt mit einem Reisekorb auf der einen breiten Schulter und einer großen Ledertasche in der anderen Hand aus dem Haus kam. Keines der Gepäckstücke schien seine massige Gestalt besonders zu belasten. Seine blauen Augen wanderten von der einen Frau zur anderen, und obwohl sein Gesichtsausdruck hinter seinem vollen roten Bart mit den grauen Strähnen kaum auszumachen war, hegte Leydi keinen Zweifel daran, dass er voller Missbilligung steckte.