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Inhalt

Prolog

Kapitel 1 – Zum tausendsten Mal …

Kapitel 2 – „Ich brauche Geld“ …

Kapitel 3 – Entgeistert sah Tina …

Kapitel 4 – „Seid ihr noch …

Kapitel 5 – Tina riss sich …

Kapitel 6 – Tina hielt Hollys …

Kapitel 7 – Tina setzte sich …

Kapitel 8 – Verstört blickte Tina …

Kapitel 9 – „Warum nicht?“ Tina …

Kapitel 10 – „Das ist unmöglich!“ …

Kapitel 11 – Immer tiefer … und …

Kapitel 12 – „Stopp! Chris – halt …

Kapitel 13 – „Chris!“, schrie sie …

Kapitel 14 – Entsetzt schubste Tina …

Kapitel 15 – Tinas Hand zitterte …

Kapitel 16 – „Was? Mich umbringen?“ …

Kapitel 17 – Tina starrte fassungslos …

Kapitel 18 – Tina erstickte fast …

Kapitel 19 – Die Flüssigkeit rann …

Kapitel 20 – „Was?“ Blitzschnell drehte …

Kapitel 21 – Tot? Nein! Holly …

Kapitel 22 – „Carla?“, keuchte Tina …

Alle Einzelbände der Reihe Fear Street als eBook

Über den Autor

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Impressum

Prolog

„Vermisst du mich?“

„Na klar. Das weißt du doch.“

„Und warum sagst du es nicht?“, neckte Tina ihren Freund.

„Welchen Zug nimmst du?“, fragte Josh, um rasch das Thema zu wechseln.

Tina seufzte. „Das hab ich dir doch schon drei Mal gesagt, Josh. Ich muss auf Holly warten, denn die hat freitags immer länger Schule. Unser Zug fährt um 17 Uhr in Shadyside ab.“

Josh stöhnte leise. Er konnte Holly nicht besonders gut leiden. Für seinen Geschmack redete sie einfach zu viel und das fast ausschließlich über sich selbst.

Und was hielt Holly von Josh? Tina war sich nicht ganz sicher. Schließlich war Holly ihre Cousine und würde nie schlecht über einen Freund von Tina reden. Aber Tina vermutete, dass Holly ihn ziemlich langweilig fand. Aber es war ihr egal. Hauptsache, sie sah Josh endlich wieder – nach so langer Zeit. Seitdem ihr Freund nach Patterson gezogen war, um dort am College Geologie zu studieren, führten die beiden eine Fernbeziehung.

„Wir werden viel Zeit miteinander verbringen, Josh“, sagte Tina glücklich. „Das ganze Wochenende.“

„Ich freu mich drauf“, erwiderte Josh. „Im Übrigen glaube ich, dass dir meine Freunde gefallen werden. Sie sind echt gute Kumpels, und sie haben schon so viel über dich gehört.“

Tina fühlte sich geschmeichelt. Sie warf einen Blick in den Spiegel, der über ihrer Kommode hing, und lächelte. „Redest du etwa mit deinen Kumpels über mich?“

„Na ja, manchmal“, gab Josh zu. „Ich habe Bilder von dir in meinem Zimmer aufgehängt. Und deswegen fragen sie mich halt, ob du meine Freundin bist und so.“

„Ach, ich kann es gar nicht mehr erwarten, dich endlich wiederzusehen!“, stieß Tina ungeduldig aus. „Stell dir vor – mein erstes Wochenende am College! Ich werde in einem echten Studentenwohnheim wohnen! Und mit dir zusammen sein. Holst du uns vom Bahnhof ab?“

„Klar tue ich das“, versprach Josh. „Kein Problem.“

Kein Problem.

Das waren Joshs Worte.

Doch er irrte sich.

Es würde Probleme geben.

Mehr Probleme, als er und Tina sich jemals hätten träumen lassen.

Kapitel 1

Zum tausendsten Mal schaute Tina Rivers auf ihre Armbanduhr. Am liebsten wäre sie aus dem Fenster gesprungen und hätte dabei geholfen, den Zug rasch in den Bahnhof von Patterson zu schieben.

Sie hatte ihren Freund Josh Martin schon seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Es waren drei endlos lange Monate, seit sie ihn zuletzt umarmt und geküsst hatte.

„Wach auf, Holly!“, rief Tina und rüttelte ihre Cousine sanft am Arm. „Wir sind fast da.“

Holly Phillips hing zusammengekauert auf Tinas Nachbarsitz. Ihr lockiges braunes Haar fiel ihr ins Gesicht. Sie schnarchte leise. „Komm schon, wach auf!“, lockte Tina. „Die Partys fangen gleich an, Holly. Viele, viele Partys mit vielen süßen College-Jungs nur für dich.“

Stöhnend streckte Holly ihre langen Beine aus. Schließlich machte sie die Augen auf und gähnte verschlafen. „College-Jungs? Wo?“

„Ich wusste doch, dass dich das aufwecken würde.“ Tina wandte sich von ihrer schläfrigen Cousine ab und spähte ungeduldig aus dem Fenster.

„Eines Tages werde ich allein verreisen dürfen“, dachte Tina sehnsüchtig, als ihr der Streit mit den Eltern wieder einfiel.

Sie hatte ihre Eltern angefleht, allein wegfahren zu dürfen, um Josh zu besuchen. Aber nein – entweder würde die Cousine mitkommen, oder Tina würde zu Hause bleiben. Ende der Diskussion. Tina blieb also nichts anderes übrig, als auf die Forderung ihrer Eltern einzugehen, wenn sie ihren Freund endlich wiedersehen wollte.

„Kannst du ihn sehen?“, fragte Holly und rieb sich die Augen.

„Nein, es ist schon zu dunkel“, antwortete Tina. Sie suchte in ihrer Handtasche nach dem Schminktäschchen. „Außerdem rollt der Zug noch ein.“

Dann holte sie ihren Lippenstift, einen Spiegel und eine Bürste heraus.

„Ich bin so aufgeregt“, gab Tina zu, während sie ihr langes blondes Haar bürstete. „Wie sehe ich aus?“

Holly seufzte. „Nach fünf Stunden im Zug siehst du immer noch taufrisch aus. Neben dir komme ich mir wie ein Hafersack vor.“

Tina lachte. „Und wie fühlt sich ein Hafersack nach so einer langen Reise?“

„Zerzaust und verlaust“, gab Holly zurück. „Mich juckt es am ganzen Körper!“

Sie holte ihren Make-up-Spiegel aus der Handtasche und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse.

„Eines Tages wirst du ein berühmtes Model sein, Tina“, fügte sie dann hinzu. „Ich spüre es einfach.“

Insgeheim träumte Tina wirklich davon, eines Tages auf den Titelseiten der Modezeitschriften zu erscheinen, und schmiedete die verrücktesten Zukunftspläne. Doch jetzt wollte sie an nichts anderes denken als an Josh. Sie hatte ihn so vermisst.

Letztes Jahr hatten sie sich jeden Tag auf der Shadyside Highschool zum Lunch getroffen. Er hatte ihr bei den Matheaufgaben geholfen und sie ihm bei den Englischaufsätzen. Sie hatten fast ihre ganze Freizeit miteinander verbracht. Und jetzt sah sie ihn kaum mehr. Es war einfach nicht auszuhalten! Warum musste er auch unbedingt nach Patterson ziehen?

Tina warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Make-up und steckte den Spiegel wieder ein. Dann sprühte sie sich ihr Lieblingsparfüm auf die Handgelenke und hinter die Ohrläppchen. Verträumt lächelnd stellte sie sich den ersten Kuss vor, den Josh ihr geben würde.

„Ich glaube, der Zug hält“, sagte Holly, als das schrille Quietschen der Bremsen zu hören war.

Die Lautsprecher knackten. „Wir halten nun im Bahnhof von Patterson. Bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen sitzen, bis der Zug vollständig zum Stillstand gekommen ist!“

Tina sprang auf. Sie konnte keine Minute länger stillsitzen.

Der Zug ruckte unter ihren Füßen, als sie anfing, ihren Koffer aus dem Gepäckgitter über ihrem Kopf zu zerren. Sie verlor das Gleichgewicht und hielt sich an Hollys Schulter fest, um nicht auf den Boden zu stürzen.

„Beeil dich“, drängte Tina die Cousine.

„Jetzt mach doch nicht so einen Stress“, gab Holly zurück. Sie saß immer noch auf ihrem Sitz. „Mann, mir tut alles weh! Ich muss irgendwie komisch gelegen haben.“

Tina verdrehte die Augen. Offensichtlich hatte Holly die Ruhe weg. Aber schließlich war sie ja auch nicht verliebt. Sie hatte keine Ahnung, wie sehnsüchtig Tina darauf wartete, Josh endlich wiederzusehen.

An der Tür des Abteils nickte ein Zugschaffner in grauer Uniform den beiden Mädchen zu. „Ihr zwei seid die Einzigen, die hier aussteigen. Seid also bitte vorsichtig“, warnte er sie. „Man weiß nie, wer sich um diese Zeit am Bahnhof rumtreibt.“

„Uns wird nichts passieren“, versicherte Tina ihm, während sie hastig die Stufen hinunterlief. „Mein Freund holt uns ab.“

Doch der Bahnsteig war menschenleer. Suchend sah Tina sich um. Wo blieb Josh?

Sie ließ ihren Koffer fallen. Der Zug hatte eine Stunde Verspätung. Vielleicht hatte Josh das Warten satt gehabt und war irgendwohin gegangen, um einen Kaffee zu trinken. Das machte zwar Sinn, aber dennoch war Tina enttäuscht.

„Wenn ich Josh abholen müsste, dann würde ich auf dem Bahnsteig auf ihn warten, egal wie spät er ankommen würde“, dachte Tina. „Ich würde keine einzige Minute der Zeit, die wir miteinander haben, vergeuden wollen. Um keinen Preis der Welt.“

„Wo ist er denn?“, fragte Holly, die neben ihr aufgetaucht war.

Tina zuckte die Schultern. „Ach, du kennst ihn ja. Wahrscheinlich läuft er hier irgendwo rum. Er kommt bestimmt gleich zurück.“

„Bist du sicher, dass das hier der richtige Bahnhof ist?“, fragte Holly misstrauisch.

„Natürlich ist das der richtige Bahnhof“, gab Tina bissig zurück.

Hinter ihnen setzte sich der Zug, mit dem sie gekommen waren, wieder in Bewegung.

Holly schüttelte den Kopf. „Hoffentlich ist das hier kein schlechtes Omen dafür, wie das ganze Wochenende laufen wird.“

„Bitte lass das“, entgegnete Tina. Sie wickelte sich nervös eine Haarsträhne um den Finger. „Du und deine Omen. Zum Geburtstag werde ich dir einen Turban und eine Kristallkugel schenken. Dann kannst du nächsten Monat auf dem Jahrmarkt in Shadyside auftreten und den Leuten ihre Zukunft voraussagen.“

Holly zwang sich zu einem Lächeln. „Mach dich ruhig darüber lustig, wenn es dir Spaß macht, aber manchmal kriege ich einfach so ein komisches Gefühl. Hey, glaubst du, es gibt hier ein paar gute Discos?“, fragte sie, um das Thema zu wechseln. „Mann, wird das cool! Keine Eltern. Keine Vorschriften, wann ich wieder zu Hause sein muss. Hier kann ich so lange unterwegs sein, wie ich will.“

„Es ist mir unbegreiflich, wie meine Eltern darauf bestehen konnten, dass du mitkommst. Wenn die wüssten, wie verdorben du wirklich bist! Du hast einen ganz schlechten Einfluss auf mich!“, witzelte Tina.

„Dafür liebst du mich doch, oder?“, gab Holly zurück.

Tina hob den Blick und schaute in den Nachthimmel. Am schwarzen Firmament funkelte ein einsamer Stern in blassgelbem Licht.

„Der erste Stern des Abends“, dachte sie verträumt. „Das ist der Wunschstern.“

Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihren Wunsch. „Ich wünsche mir, dass dies das beste Wochenende meines Lebens wird“, dachte sie.

Ein kühler Wind wehte über den Bahnsteig. Tina fröstelte. Sie machte die Augen wieder auf und zog sich den Reißverschluss ihrer blauen Jacke hoch. Josh mochte diese Jacke. Doch jetzt wäre sie froh gewesen, etwas Wärmeres dabeizuhaben.

„Lass uns reingehen“, schlug sie vor.

Sie ergriff ihren Koffer und stieß die große Doppeltür zu dem winzigen Bahnhofsgebäude auf. Ihr Koffer war so schwer, als hätte sie ihn vor ihrer Abreise mit Steinen beladen. „Ich hätte nicht so viele Klamotten einpacken sollen“, dachte sie, während sie ihn in das Bahnhofsgebäude zog. Doch Josh hatte ihr gesagt, dass sie in die Disco, auf den Jahrmarkt und auf eine Party gehen würden. Schließlich musste sie auf alles vorbereitet sein.

Aber sie war nicht darauf vorbereitet, ihre Zeit auf diesem leeren, dreckigen Bahnhof mitten in der Pampa zu verschwenden. „Wie kann Josh mir so was antun?“, fragte Tina sich ungläubig.

Die Halle roch modrig und säuerlich. Im Raum standen ein paar alte Sitzbänke aus Holz, und der Boden war übersät mit ausgetretenen Zigarettenkippen und festgeklebten Kaugummiresten.

Holly ließ ihren Koffer sinken und seufzte. „Josh weiß doch, dass wir kommen, oder?“

„Natürlich“, antwortete Tina nervös.

„Vielleicht hat er es bloß vergessen oder so was“, sagte Holly und sah sich im schwach erleuchteten Raum um. „Vielleicht ist er jetzt anders, seit er aufs College geht. Ich weiß, dass ich mich mit Sicherheit verändern werde, wenn ich aufs College gehe. Ich werde mir auf alle Fälle die Nase piercen lassen. Und vielleicht lege ich mir auch ein Tattoo zu.“

„Ich glaube nicht, dass Josh nach Patterson gezogen ist, um sich die Nase piercen zu lassen“, erwiderte Tina gereizt. „Ich rufe ihn jetzt an.“

Sie kramte in ihrer Tasche nach dem Handy und wählte hastig Joshs Nummer.

„Verdammter Mist, er hat sein Handy ausgeschaltet“, schimpfte Tina und warf ihr Telefon wütend in die Handtasche zurück.

„Und jetzt?“, fragte Holly.

„Lass uns zum Schalter gehen“, schlug Tina vor. Sie versuchte, fröhlich und unbeschwert zu klingen. „Vielleicht hat er dort eine Nachricht für uns hinterlassen.“

Ihre Schritte hallten auf dem Steinboden.

Am Schalter hing ein handgeschriebenes Schild. Darauf stand BIN GLEICH WIEDER DA. Neben dem Schild lag ein altes, angebissenes Sandwich.

„Igitt“, stöhnte Holly. „Sieht so aus, als wäre schon seit Tagen keiner mehr hier gewesen.“

Doch Tina hörte ein Geräusch hinter dem Schalter. Es klang wie ein Kratzen. „Was ist das?“, fragte sie und packte Holly erschrocken am Arm. „Hör mal.“

Das Kratzen wurde lauter. Tina hielt den Atem an.

„Das ist bestimmt nur ein Tier“, vermutete Holly und schlich sich vorsichtig hinter den Schalter.

„Komm zurück!“, kreischte Tina und zerrte an Hollys Ärmel. „Wahrscheinlich wimmelt es hier nur so vor Ratten.“ Plötzlich hörte sie einen dumpfen Schlag neben sich auf dem Schaltertisch.

Eine große schwarze Katze starrte sie an. Ihre Schwanzhaare sträubten sich. Ihre gelben Augen funkelten wütend. Tina wagte es nicht, sich zu rühren.

Als die Katze fauchend vom Schaltertisch sprang, stieß Tina einen gellenden Schrei aus.

Die Katze landete neben ihren Füßen und rannte weg.

Tina lachte nervös. „Für einen Augenblick dachte ich, das ist die größte Ratte, die ich je gesehen habe!“

„Eine schwarze Katze“, murmelte Holly düster. „Du weißt ja, was das zu bedeuten hat. Jedenfalls nichts Gutes.“

„Das bedeutet überhaupt nichts. Höchstens, dass Josh sich mit dem Zurückkommen beeilen sollte“, verkündete Tina. „Bitte keine weiteren Omen, okay? Ich bin nicht in der Stimmung für deine Omen.“

„Komm, wir setzen uns“, schlug Holly vor.

„Gute Idee. Nach diesem Schock sind meine Knie so weich wie Wackelpudding.“

„Das kommt daher, weil du den so gern isst“, neckte Holly sie. „Er hat sich schon in deinen Beinen abgelagert!“

Tina runzelte die Stirn. Sie fand das gar nicht witzig. Missmutig folgte sie ihrer Cousine zu den Sitzbänken. „Wie spät ist es?“, fragte sie.

„Zehn Uhr“, antwortete Holly. „Josh weiß doch, dass er uns heute Abend abholen soll, oder?“

„Ja, Holly. Ja, er weiß, dass wir heute Abend ankommen. Und er weiß auch, dass wir an diesem Bahnhof auf ihn warten. Okay?“

„Okay, okay, tut mir Leid“, entschuldigte sich Holly.

Der Mond schien durch die Fenster in das Bahnhofsgebäude und warf unheimliche, düstere Schatten an die Wände.

Tina behielt den Eingang im Auge. „Bitte, Josh, komm bald!“

Tausend mögliche Erklärungen für sein Ausbleiben fielen ihr ein.

Vielleicht hatte sie Josh wirklich die falsche Uhrzeit gesagt.

Vielleicht hatte sie das Datum verwechselt.

Oder …

„Hör auf damit“, befahl sie sich. „Es nützt nichts. Er ist nicht da.“

Tina konnte nicht länger stillsitzen. Sie stand auf und begann, unruhig in der Bahnhofshalle umherzulaufen.

Als sie eine Runde gedreht hatte, fiel ihr ein Schatten auf, der sich draußen vor dem Fenster am Ende des Bahnhofs bewegte.

„Da ist er ja!“, schrie sie erleichtert.

Sie ergriff ihren Koffer und rannte zur Tür. „Josh!“, rief sie. „Hier sind wir!“

Ihre Cousine folgte ihr hastig.

„Wo ist er denn hingegangen?“, wollte Holly wissen. „Ich sehe niemanden.“

Der lange Bahnsteig war menschenleer.

„Josh!“, wiederholte Tina verzweifelt. „Wo bist du?“

Von Josh war weit und breit nichts zu sehen.

Ängstlich krampfte Tinas Magen sich zusammen. Irgendetwas stimmte nicht. Hier draußen schlich jemand herum, doch es war nicht Josh. „Komm, lass uns wieder hineingehen“, flüsterte sie Holly zu.

Aber es war schon zu spät.

Ein Mann sprang aus dem Schatten neben dem Bahnhofsgebäude.

„Hey – was macht ihr hier?“, fragte er mit rauer Stimme.

„Wir – wir wollten gerade gehen“, stammelte Tina.

Der Mann kniff die Augen zusammen. Dann kam er näher und verstellte ihr den Weg. „Nein, das wollt ihr nicht“, sagte er mit leiser, kalter Stimme. „Ihr geht nirgendwohin.“

Kapitel 2

„Ich brauche Geld“, knurrte der Fremde Tina an. „So viel wie du hast.“

„Okay“, dachte sie erleichtert. „Was soll’s? Er will bloß Geld. Er soll alles haben, die ganzen fünfzig Dollar, die Dad mir mitgegeben hat. Solange er uns in Ruhe lässt!“

Der Mann streckte ihr gierig sein unrasiertes Gesicht entgegen. Sein Haar fiel ihm in schmutzigen, verfilzten Strähnen in die Stirn. Sein Atem roch nach Schnaps, und seine Augen waren glasig.

Tina wich an die Wand zurück. Sie zitterte am ganzen Körper.

„Das … das Geld ist in meinem …“, stammelte sie ängstlich.

Doch sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden.

„Hey du – lass sie in Ruhe!“, befahl eine tiefe Stimme. „Hau bloß ab!“

„Josh!“, dachte Tina überglücklich. „Endlich ist er gekommen!“

Erschrocken drehte sich der Mann um und hastete davon.

Tina hielt sich die Hände vors Gesicht und zitterte am ganzen Körper.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ihr Retter.

Aber es war nicht Joshs Stimme, wie Tina erstaunt feststellte.

Sie hob den Blick und sah einen Fremden vor sich stehen. Er hatte funkelnde grüne Augen und dunkles Haar, das zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war.

„Ja, jetzt ist alles okay“, antwortete Tina. „Holly? Holly, was ist mit dir?“

Ihre Cousine kauerte an der Wand des Bahnhofsgebäudes; sie hatte ihre Arme fest um ihren Körper geschlungen. Tina rannte zur ihr. „Bist du okay?“

Holly nickte. „Was ist mit dir? Hat er dir wehgetan?“

„Nein. Er hat mich nur zu Tode erschreckt“, erwiderte Tina. „Dafür, dass Josh zu spät kommt, bringe ich ihn um.“

Holly wandte sich zu dem Fremden um. „Danke, dass du den Kerl verscheucht hast.“

Tina spürte, dass der Junge sie anstarrte. Schweigend wanderte sein Blick von ihrem Gesicht zu ihren Beinen und wieder hinauf zu ihrem Gesicht. Was er sah, schien ihm zu gefallen.

„Du musst Tina sein“, sagte er schließlich. „Ich bin Chris Roberts – Josh und ich teilen uns ein Zimmer im Studentenwohnheim.“

„Ach ja“, gab Tina zurück. „Ich habe schon von dir gehört.“

Josh hatte ihr zwar erzählt, dass sein Zimmergenosse Chris einen Haufen Geld hatte, doch er hatte nie erwähnt, dass Chris so gut aussah.

„Wo bleibt er denn?“, fragte sie und zwang sich, den Blick von Chris abzuwenden. Suchend schaute sie sich auf dem Bahnhof um. „Warum ist er nicht hier?“

„Er ist gestern mit unserem Kumpel Steve rauf in die Berge gefahren“, antwortete Chris. „Sie wollen dort zelten und nach ein paar Steinen suchen, die für ihr Geologie-Studium interessant sein könnten.“