Cover
Haupttitel

Verlag Voland & Quist GmbH, Dresden und Leipzig, 2018

Korrektorat: Kristina Wengorz

Covergestaltung: HawaiiF3

Satz: Fred Uhde

E-Book: zweiband.media, Berlin

ISBN: 978-3-86391-204-8

www.voland-quist.de

Anna Herzig wurde 1987 als Tochter eines Ägypters und einer Kanadierin in Wien geboren, wo sie auch heute lebt. Nach mehreren Veröffentlichungen im Digitalen erscheint mit »Sommernachtsreigen« nun Herzigs erstes gedrucktes Buch.

Für meinen Mann

Inhalt

  1. Ein geschenkter Perspektivenwechsel
  2. 20 Minuten bis zum ersten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  3. 4 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  4. 17 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  5. 3 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  6. 28 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  7. 11 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  8. 14 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  9. 25 Minuten bis zum nächsten Nachtbus,
    Linie N46, Brunnengasse, Wien
  10. 55 Minuten bis Sonnenaufgang, Wien
  11. Sonnenaufgang, Wien
  12. Samstag, sieben Uhr morgens, Wien
  13. Samstag, drei Uhr nachmittags, Wien

Ein geschenkter Perspektivenwechsel

»Wir müssen ehrlich sein, Hannerl«, sagt der Bertl zu seiner Frau.

»Ich hab auf so was eigentlich keine Lust«, antwortet die Johanna.

»Mach es, und ich unterschreib die Scheidungspapiere.«

»Warum musst du alles wissen?«, fragt sie.

»Weil ich muss«, sagt er.

Das mit dem Unbedingt-wissen-Müssen von Dingen ist ein altbekannter menschlicher Makel, ein Gewohnheitsproblem, zu beobachten bei jeder beliebigen Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen.

Wie heißt du?

Kannst du mit den Fingern zeigen, wie alt du bist?

Wie lautet das Zauberwort?

Wie geht es dir?

Bist du traurig?

Warum bist du zu spät?

Wie läuft’s in der Schule/Universität?

Kommst du zu meiner Geburtstagsfeier?

Gibst du mir deine Handynummer?

Bist du auf Facebook, Twitter, Snapchat, Instagram, Lovoo oder Tinder?

Hast du einen Blog?

Lust auf Bier/Wein/Cocktail?

Bar oder Kreditkarte?

Getrennt oder zusammen?

Isst du das noch?

Willst du mich küssen?

Wie verhütest du?

Magst du’s von hinten? Warum nicht?

Darf ich trotzdem?

Bist du gekommen?

Wie oft?

Gut geschlafen?

Möchtest du einen Kaffee?

Warum hast du nicht mehr angerufen?

Was soll ich heute Abend kochen?

Ein Kredit?

In welcher Höhe? Wofür?

Wie wollen Sie das zurückzahlen?

Haben Sie die E-Card mit?

Wann war die letzte Blutuntersuchung?

Gibt es Krankheiten?

Brauchen Sie eine Zeitbestätigung?

Sie sind seit einem Jahr arbeitslos, weshalb?

Warum denken Sie, dass Sie die geeignete Person für diesen Job sind?

Stärken, Schwächen?

Warum schaust du so?

Du hast was, was hast du denn?

Liebst du mich?

Warum liebst du mich nicht (mehr)?

Erinnerst du dich an Mallorca 2011?

Hast du mich betrogen?

Ist die Miete bezahlt?

Wo hast du das Auto geparkt?

Darf ich Ihnen etwas über Gott erzählen?

Ist mein Paket gekommen?

Welchen Film willst du sehen?

Bist du noch munter?

Denkst du an mich?

Bist du alleine?

Schickst du mir ein Bild?

Schickst du mir ein Bild von deiner/deinem …?

Heute Fußballtraining?

Warum fragst so deppert?

Da wird einem schwindlig bei näherer Betrachtung der unzähligen Fragen, die im Laufe eines Lebens zu beantworten sind. Für den Bertl sind momentan nur zwei Fragen wichtig:

Kann sie ehrlich sein?

Kann er es?

Es ist acht Uhr morgens, an einem Samstag im August. Man weiß das jetzt noch nicht, aber der Bertl und der Pawel haben eine lange Nacht hinter sich. Eine Abfolge von bedeutsamen und weniger bedeutsamen Stunden, die miteinander harmoniert haben, um zu diesem Ergebnis zu führen.

Die Johanna schaut zwischen dem Bertl, ihrem Ehemann, und dem Pawel, ihrem Liebhaber, hin und her. Das Leben gibt dir viel, aber ganz sicher keine Anleitung.

»Was soll das bringen?«, sagt sie.

»Die ultimative Befreiung. Loslösung von Schuld und Reue«, sagt der Pawel.

»Ich hab nicht gewusst, dass du ein Teilzeit-Philosoph bist«, sagt die Johanna giftig in seine Richtung und dann: »Das wird wehtun.«

Der Ehemann nickt. Ich weiß, soll das heißen.

»Das wird richtig wehtun.« Bei manchen Dingen schadet es nicht, wenn sie wiederholt werden, um der Wortaneinanderreihung den richtigen Wert beizumessen. Die Johanna kennt sich aus mit Schmerzen, so wie andere ein tieferes Verständnis dafür haben, einen perfekten Joint zu rollen, Fliesen zu legen, zu stricken oder für Daytrading und den Umgang mit volatilen Märkten.

Und worin bist du gut?

»In Dingen, die mir wehtun.«

Das hat sie ihrer ersten und einzigen Freundin geantwortet, als sie sich in der Schule kurz vor dem Abitur kennengelernt haben. Die Johanna war immer schon sehr gut darin, Aufmerksamkeit von Dingen, die richtig schön wehtun können, auf sich zu lenken. Mit dem Schmerz fühlt sie sich wohl. Die Freundin, die damals noch keine war, hat in der Pause zwischen Deutsch und Mathe mit einem überraschten Blick reagiert und gesagt: »Cool.« So haben sich zwei neunzehnjährige Mädchen binnen Sekunden angefreundet. Von da an waren sie die folgenden vierundzwanzig Jahre unzertrennlich, allerdings in einem Maß, das großzügigen Freiraum zugelassen hat. Auch wenn sich die Lebenswege von der Johanna und ihrer Freundin nach der gemeinsamen Istanbulreise immer wieder getrennt haben, so war man einander nie böse oder feindselig eingestellt. Man hat sich an unterschiedlichen Punkten gefunden, geplaudert, getrunken und gelacht. Istanbul haben sie sich geteilt. Für beide Frauen war das eine wichtige Erfahrung. Nicht wegen der Türkei im Allgemeinen, aber wegen der Erinnerungen im Besonderen. Der Johanna ist es nie wichtig gewesen, viele Freunde zu haben. Eher eine einzige Person, mit der sie sich bedingungslos wohlfühlen kann. Jemand, der alles von ihr weiß und sie trotzdem nicht verurteilt. Ganz nüchtern, wenig Drama, innige Freundschaft. Im Gegensatz zu ihrer Freundin hat die Johanna nie nach Abenteuern gesucht, sondern auf das eine Wahre gewartet. Wie sich später herausstellen wird, kann sie das mit eiserner Verbissenheit.

Sie kann sich an folgenden Unterhaltungsfetzen vor zwanzig Jahren erinnern:

»Glaubst du, ich finde das?«, hat die junge Johanna in Istanbul zu ihrer Freundin gesagt.

»Was spürst du denn?«, fragte die Freundin.

»Das da irgendwas für mich ist. Aber ich weiß nicht was.«

»Guter Anfang.«

»Ich brauch das so, dass ich keine Luft mehr krieg, weil ich wen unbedingt will.«

»Hört sich ungesund an.«

»Ich brauch’s eben so.«

»Das wird nur am Anfang so sein.«

»Vielleicht nicht.«

»Du bist schrecklich schön kaputt. Ich möcht dich verführen.«

»Wenn man das vorher ankündigt, ist es langweilig.«

»Du bist eine Momentejägerin«, sagte die Freundin.

Die Johanna hat darüber nachgedacht, sich das auf der Zunge zergehen lassen und gefragt:

»Hast du momentan wen?«

»Das ist schwierig.«

Damals war das noch nicht so offen, die Welt noch nicht mal ansatzweise angemessen tolerant gegenüber Frauen mit Frauen, Männern mit Männern. Die Freundin liebt Frauen.

Warum es für die Johanna Istanbul hat sein müssen, ist nicht klar. Vielleicht weil es die exotischste Destination war, die sie sich mit zwanzig vorstellen konnte. Die Freundin hat einen Namen, einen schönen sogar, aber man muss nicht alles ausplaudern. Die Johanna kann sehr verschwiegen sein, wenn sie nicht dazu gezwungen wird ‒ so wie jetzt gerade ‒, alle Karten auf den Tisch zu legen.

Sie überlegt nicht kurz, sondern lange. Einige Minuten, in denen die zwei Männer ihr gegenübersitzend mit neutralen Mienen abwarten. Auf dem Sofa, auf dem sie, hauptsächlich mit ihrem Ehemann, gelegentlich mit dem Pawel ‒ in einsamen Nächten mit sich selbst ‒, alles tat, was Gott verboten hat, und noch viel mehr. Nun wägt die Johanna ab, was mit diesem Sofa geschehen soll. Ikea. Dreisitzer. Mintgrüner Bezug. Es war ihr Geheimnis, weil nur sie gewusst hat, was darauf geweint, geschimpft und gestöhnt worden ist. Jetzt sind ihr Geheimnisse gestohlen worden. Ein Streichholz könnte Linderung gegen die Häme verschaffen. Ein überschaubares, gemütliches Feuer mitten im Wohnzimmer würde gut passen.

»Johanna?«, fragt der Pawel.

»Ich denke nach«, sagt sie.

»Stell dir vor, das ist jemand anderem passiert. Anderen Menschen«, bietet der Bertl an.

»Verdrängung meinst«, sagt sie.

»Differenzierte Betrachtung mein ich.«

»Ich will nicht.«

»Schau, Zuckerpuppe. Ich bin der Gehörnte und darf mir aussuchen, wie das läuft. Punkt.«

Der Bertl sagt das in einem strengen Ton, meint es aber nicht so. Eigentlich ist er kuschelweich, aber jetzt muss er reintreten in die Wunde, sonst passiert nichts.

»Je länger du dich sträubst, umso länger wird es dauern«, sagt er.

»Passt schon«, antwortet die Johanna.

»Tu mir diesen Gefallen. Ich verlang nichts Unmögliches von dir.«

»Doch.«

»Stimmt. Aber du bist mir was schuldig.«

»Hast du was mit ihm gehabt?«, sagt die Johanna und deutet auf den Pawel.

»Ja«, sagt der Bertl ruhig.

»Abartig.«

»Weshalb?«

»Aus Rache?«

»Nein«, sagt der Bertl und schaut den Pawel an.

Was die Johanna jetzt möchte ist ein Liter Kaffee, Zigaretten und Ruhe, obwohl sie weiß, dass sie genau dort ist, wo sie sein muss, damit es weitergeht, eine persönliche Entwicklung möglich ist. Der Stillstand hat zu lange angedauert. Sich aus seiner von Geburt an zugeteilten Haut herauszuschälen, ist kein angenehmer Vorgang. Da kann man gleich mit Skorpionen in die Badewanne steigen. Du kannst dir selbst der größte Feind sein und dich dennoch in einem wohlig-warmen Elend suhlen, darin zergehen. Die einzig sinnvolle Frage, die man sich stellen kann, lautet:

Was ist er mir wert, der Schmerz?

Dafür, dass sie ein seltenes Privileg erhalten hat, nämlich: keinen einzigen Tag in ihrem Leben einer beruflichen Tätigkeit nachgehen zu müssen, um Rechnungen und Lebensmittel zu bezahlen, hat sie erstaunlich wenig daraus gemacht. Es war keine selbst erarbeitete Existenzabsicherung, eher das vorzeitige Ableben der Eltern. Kein altes Geld, denn der Vater war ein Selfmademan. Immobilienverkäufe, Consulting-Erträge und die Lebensversicherung der Eltern haben der Johanna ein zumindest geldsorgenfreies Dasein ermöglicht. Zwischen dem zwanzigsten und diesem zweiundvierzigsten Lebensjahr war die Johanna hauptsächlich verliebt oder in Trennung befindlich. Dazwischen eine Routine aus Reisen, langen Spaziergängen, eine deutsche Wochenzeitung jeden Donnerstag, Filterkaffee am Morgen, telefonische und persönliche Gespräche mit der Freundin, unzählige gelesene Bücher, das semesterweise Studieren der großen Philosophen, regelmäßiges Sporttreiben, substanzlose, kurzweilige Affären und so weiter. Nebenher hat sie sich dem Momentejagen verschrieben. Dem intensiven Konservieren von kostbarer Begegnungsromantik. Das kann zum Beispiel ein unerwarteter Anruf bei Tag oder Nacht sein, von einer Person, die man verdrängt, in manchen irrationalen Phasen tot gewünscht hat. »Irrational ist alles, was mit Gefühlen zu tun hat.« So hat ihr das die Freundin erklärt. »Der Liebe und der Verzweiflung wegen tun Menschen Dinge«, sagte sie, »das glaubst du nicht. Ich kenn Geschichten, da kommt dir die Galle hoch.« »Dann erzähl’s mir lieber nicht«, hat die Johanna gesagt. »Ich möcht es selbst erleben.«

Sie hat einiges selbst erlebt. Die distanzierte Mutter (»Geh in dein Zimmer und lass mich in Ruhe«) hat verpasst, ihrer Tochter rechtzeitig zu erklären, und zwar vor der ersten Menstruation, was es damit auf sich hat. Die Johanna hat bis zum vierzehnten Lebensjahr mit Barbies gespielt, und zwar mit Leidenschaft. Freundinnen, das war ihr seit jeher ein unverständliches Konzept. Am liebsten war sie allein. Sie war so eingerollt in ihrer eigenen Welt, dass sie überhaupt nicht verstanden hat, was da gerade passierte, als ihre Periode zum ersten Mal eingesetzt hat. Das waren Schmerzen, unvorstellbar. Der eigene Unterleib verschwört sich gegen einen. Rückenschmerzen, Kreislaufprobleme, das nicht aufhören wollende Ziehen den rechten Oberschenkel entlang. Das Blut. Geekelt hat sie sich davor nie. Es hat sie fasziniert. Dieses Bluten über mehrere Tage hinweg. Ein Ereignis, das etwas eingeläutet hat, die Verabschiedung der Kindheit, eine wackelige Brücke betretend. Der Johanna war das herzlich egal, sie hat noch ein Jahr danach mit ihren Puppen gespielt, bis die Mutter das unschicklich gefunden und alle Spielsachen weggesperrt hat, in den Keller. Weder die Tochter noch die Mutter hat sich der jeweils anderen verbunden gefühlt. Nie. Vielleicht waren es die Sommersprossen oder das schöne, hellbraune Haar, auf das die Mutter neidisch war. Man weiß es nicht. Die Johanna hat sich grundsätzlich auf keine Diskussionen mit der Mutter eingelassen, egal zu welchem Thema. Nicken, zuhören und dann in ihr Zimmer geschickt werden. Eine Routine.

Der Vater war ein Gespenst, eine Illusion. Jemand, der das Geld nach Hause gebracht, die Schule, das Leben finanziert hat. Ihren Vater hat sie in den Fünfhundert- oder Hundertschilling-scheinen gesehen, die ihr die Mutter zugesteckt, regelrecht aufgedrängt hat:

»Vom Papa.«

»Wann kommt er nach Hause?«

»Frag nicht so viel. Geh in dein Zimmer.«

Später war es ein Problem für die Johanna, dass sie so viel Zeit allein in ihrem Kopf, der zu ihrem Zimmer geworden war, verbrachte, dass sie massive Schwierigkeiten hatte, da wieder herauszukommen. Zu reden, einer Unterhaltung zu folgen, aufmerksam zu sein in der Privatschule im neunzehnten Bezirk.

Das Reden, das hat ihr der Bertl wieder beigebracht. Und die Sicherheit, dass ihr nichts passiert, wenn sie aufbegehrt, eine eigene Meinung hat. Dass ihre Gedanken es wert sind, ausgesprochen zu werden. Der Bertl, ein Glücksfall.

Meistens ist es so, dass das Leben mehr gibt, als es wegnimmt. Wenn man lernt, auf Unscheinbares zu achten. Alles was selbstverständlich scheint, muss es nicht sein. Die Johanna weiß das. Sie ist nicht undankbar. Nur müde. Sie hat ihre Entscheidung getroffen und sagt:

»Das ist verrückt. Aber wenn alle Beteiligten dann ihren Frieden finden – von mir aus.«

»Wir machen es«, sagt der Pawel erleichtert.

Der Bertl lehnt sich zurück und tastet mit der rechten Hand seine Hosentasche ab, bis er sicher ist, dass das dicke Geldkuvert noch genau dort ist, wo er es platziert hat. Alles in Ordnung, denkt er. Alles in bester Ordnung. Mehr oder weniger. Er muss sicher sein, dass er gehen darf. Die richtige Entscheidung getroffen wird. Alles muss aufgerollt und betrachtet werden, sonst kann er keine Nacht mehr ruhig schlafen. Dabei schläft der Bertl wirklich für sein Leben gern und sich wegen unaufgearbeiteter Sachen die Nachtruhe stehlen lassen, das muss nicht sein. Es geht nicht um den Betrug, den hat er der Johanna schon vor Stunden verziehen. Er will, was er will. Und in diesem Moment wird er zum ersten Mal egoistisch handeln.

Gut, so dramatisch ist es vielleicht nicht. Der Bertl war in seinem Leben schon öfter egoistisch, allerdings in vertretbarem Maße. In seinem vorherigen Leben als Pirat hat er nur für die Beute, Gold, andere Schätze und Rum gelebt. Er kann sich nicht mehr an sein Vorleben erinnern, aber im Kino, als er die Fluch der Karibik-Teile gesehen hat, den Mund voller Butterpopcorn und M&M’s, war er verbunden mit dem Zauber, dieser Rauheit. Er hat gewusst, und zwar sofort: Des wor’s. Sein Schiff wär beeindruckender, breiter und sowieso in allem besser gewesen als die Queen Anne’s Revenge. Gegen alles und jeden hätte er sich behauptet. Hin und her gesegelt wäre er, die Haut ewig sonnenverbrannt (aber als Pirat muss dir das wurscht sein, sonst ist das nichts für dich). Wild sein das ganze Jahr hindurch, allen erdenklichen Gefahren ausgesetzt. Wunderbar wär das. Saufen von früh bis spät, kämpfen wie ein richtiger, wie ein richtig harter Mann, Schläge kassieren. Am Abend mit seinen piratigen Jungs beisammensitzen. Siege und Niederlagen Revue passieren lassen.

Jarrharr!

»Du spinnst schon wieder herum. Ich seh dir das an«, sagt die Johanna.

»Tschuldigung«, antwortet der Bertl.

Was man nun versuchen will, ist etwas Neues. Man hat hier eine Trennung jenseits aller Normen. Von außen wirkt die Szene entspannt, die Stimmung könnte aber jederzeit umschlagen. Da ist Verbitterung, hauptsächlich von der Johanna ausgehend. Es gibt ein Ehepaar (noch) und einen Dritten. Aber der hat das Gleichgewicht nicht zerstört, das war schon vorher therapiebedürftig. Es ist eine Geschichte über einen Mann, eine Frau, einen anderen Mann, das Leben und einundzwanzig Packungen Uno-Karten. Es geht auch darum, wie das Danach aussieht. Wenn ein paar Jahre vergangen sind und sich der Alltag wieder eingenistet hat. Wenn man den Alltag als Person sieht, tut man sich leichter mit Aggressionen und Schuldzuweisungen. Schuldverteilung mit einer großen Suppenkelle. Es ist nicht notwendig, Verantwortung zu übernehmen. Alles, was scheiße ist zwischen zwei Menschen, wurde fremdbestimmt durch den Alltag, dieses Drecksstück. Der kennt nur eine Richtung nämlich: Ich mache euch das Leben so grausig unspannend, bis ihr beginnt, alle Verbindungen zu- und füreinander infrage zu stellen. Plötzlich fühlt man sich in seinem Leben nicht mehr wohl. Irgendetwas fehlt, kratzt im Hinterkopf.

Schopenhauer sagt ‒ banal ausgedrückt ‒, dass alles, was du brauchst, damit es dir gut geht, du selbst und deine in dir verankerten Talente sind und es gleichsam, was du in dir trägst, zu beschützen gilt.