Cover

Über dieses Buch:

Die Goldschmiedin Leni ist nicht auf den Mund gefallen, aber bei diesem Mann verschlägt es ihr die Sprache: Michel Lorenz ist ein berühmter Dirigent, sieht unverschämt gut aus und weiß ganz genau, was er will – Leni! Aber dummerweise nur geschäftlich.

Sie soll als persönliche Betreuerin einer seiner Stars den Sommer in seinem Landhaus verbringen. Dort lebt auch der Bruder des Dirigenten, der seit einem mysteriösen Unfall im Rollstuhl sitzt. Während der charmante Michel Lenis Herz auf Achterbahnfahrt schickt, zieht es sie immer wieder in die Nähe Bens, den das Schicksal gelehrt hat, seine Gefühle hinter einer stoischen Maske zu verbergen. Hin- und hergerissen zwischen den ungleichen Brüdern trifft Leni eine Entscheidung, die nicht nur ihr Leben auf den Kopf stellt …

Über die Autorin:

Gabriela Hesz wurde 1963 geboren. Sie arbeitet, wenn sie nicht schreibt, für die Stadt Wien. Seit dem Auszug ihrer Töchter lebt die Autorin mit zwei alten Hunden in ihrem Haus im Weinviertel.

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Originalausgabe März 2018

Copyright © der Originalausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Vera Baschlakow

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Durch grop, Jiri Hera, edel

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (er)

ISBN 978-3-96148-413-3

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Gabriela Hesz

Wenn die Liebe Funken schlägt

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Auf der Suche nach einem Parkplatz zog Leni nun schon die dritte Runde durch die engen Straßen und Gassen der Salzburger Altstadt. Die Festspielzeit hatte noch gar nicht begonnen, trotzdem staute sich der Verkehr an allen Ecken und Enden. Im Sommer einen der ohnehin schon knappen Parkplätze zu ergattern, war zu einer echten Herausforderung geworden.

Überall sah man teure Nobel-Karossen, die das dekadente Flair der Stadt noch verstärkten. Dieser aufgemotzte Jahrmarkt der Eitelkeiten lief nun schon immer früher an, und Salzburg spielte bei diesem Tamtam der Schönen, Reichen und Mächtigen samt des langen Schweifs an Trittbrettfahrern und »Adabeis« noch ordentlich mit.

Bestimmt würde sich Mozart im Grab umdrehen, wenn er sehen könnte, wie sehr sein Genie ausgeschlachtet und mit kitschigen Souvenirs zu Geld gemacht wurde. Auf billigen T-Shirts und selbst auf Kaffeebechern waren die Noten der Kleinen Nachtmusik gedruckt, die in jedem Zeitungskiosk und Souvenirladen nebst Ansichtskarten und Schneekugeln, in denen er als Plastikfigur am Cembalo saß und natürlich seinen Gassenhauer spielte, im großen Rahmen angeboten wurden.

Genervt hielt Leni an einer roten Ampel und beobachtete die schwitzenden Statisten in ihren festen Brokatkostümen der Rokoko-Zeit samt der dicken Stoppellocken-Perücken. Wie Heuschrecken schwärmten sie durch die Straßen der Altstadt und verteilten Prospekte und Flyer an die Touristen. Geld regierte nun einmal die Welt. Und wer ein paar Krümel des fetten Kuchens abbekommen wollte, musste wohl oder übel auf den Zug aufspringen.

Letztendlich war da Magdalena Andergast keine Ausnahme. Auch sie lebte von den vielen Touristen und reichen Festspielgästen der Stadt. Ihr Chef, Herr Moosgruber, führte in der Nähe des Domplatzes einen kleinen, aber sehr exquisiten Goldschmiedeladen. Mittlerweile war der Umsatz während der Festspielzeit schon höher als der des Weihnachtsgeschäfts. Gäste aus aller Welt kamen zu den Festspielen nach Salzburg. Die meisten dieser kulturinteressierten Besucher waren auch ziemlich betucht, sodass ein müßiger Spaziergang durch die Altstadt für die heimischen Ladenbesitzer zu einem lukrativen Geschäft werden konnte. Auch Herr Moosgruber profitierte davon. Nicht selten wechselte der eine oder andere Klunker zu einem weit überhöhten Preis den Besitzer.

Leni war eine sehr talentierte Goldschmiedin. Gerade während der Festspielzeit durfte sie ihrem Können und ihrer Fantasie freien Lauf lassen, ohne allzu große Rücksicht auf die teilweise kostbaren Materialien nehmen zu müssen. Zurzeit arbeitete sie an einem Armreif in Form eines Panthers aus Platin, der mit Diamanten und Onyx ausgefasst werden sollte. Den farblichen Akzent sollten die Augen aus leuchtenden Smaragden bieten, die den Reif zu einem besonderen Hingucker machen würden. Allein der Wert des Edelmetalls und der ungeschliffenen Edelsteine belief sich auf knapp 10.000 Euro. Bis der Armreif poliert und in einer edlen Samtschatulle lag, musste der Käufer gut und gern noch mal so viel hinblättern.

Leni musste sich mit dieser Auftragsarbeit schon ein bisschen beeilen, denn bis zur Premiere des Rosenkavaliers sollte der Reif fertig sein. Bei diesem Event der Superlative wollte die Frau des wohlhabenden Geschäftsmanns unbedingt zeigen, was sie ihrem holden »Olden« wert war. Außerdem waren Edelsteine und Gold immer noch eine weit stabilere Wertanlage als riskante Aktien.

Ein kurzer Blick auf die Uhr des Armaturenbretts sagte ihr, dass die Zeit langsam knapp wurde. Normalerweise zählte Leni zu den begnadeten Menschen, die immer einen Parkplatz ergatterten. Aber an diesem Abend war es wie verhext.

»Unglaublich«, grollte sie genervt vor sich hin. »Da bekomme ich ja eher eine Privataudienz beim Papst als in dieser verdammten Stadt eine Parklücke.«

Noch einmal bog Leni mit ihrem kleinen Stadtflitzer in die Straße ein, in der sich jenes Lokal befand, wo sie mit ihrem Blind Date verabredet war. Plötzlich leuchteten ihre Augen auf.

»Wer sagt’s denn? Es muss nur Gott mit von der Partie sein, dann funktioniert es auch mit dem Parkplatz«, klatschte Leni erfreut in ihre Hände und steuerte direkt auf das ausparkende Auto zu.

»Und dazu gibt’s auch noch einen Logenplatz direkt vor dem Eingang dieser Schicki-Micki-Hütte«, jubelte sie erleichtert.

Leni wartete geduldig, bis der Wagen weggefahren war. Schnell fuhr sie ein Stück vor, weil es sich selbst mit ihrem kleinen Entenhüpfer rückwärtsfahrend leichter einparken ließ. Gerade in dem Augenblick, als sie ihr Einparkmanöver starten wollte, drängte sich ein von hinten kommender silbergrauer Sportwagen blitzschnell in die Lücke, und weg war der Parkplatz. Über diese Dreistigkeit mordsmäßig empört, hupte Leni den Fahrer des Wagens an, der auf ihr Hupkonzert jedoch nicht reagierte.

Fuchsteufelswild sprang Leni aus ihrem Auto und lief zu der Nobelkarre mit deutschem Kennzeichen zurück. »Du fieser Piefke, raus aus meiner Parklücke!«, brüllte sie bebend vor Zorn die geschlossene Fensterscheibe der Fahrertür an.

Doch der Mann hatte seine Ohren auf Durchzug gestellt. Mit stoischer Ruhe ließ er die deftigen Verbalangriffe der tobenden Frau über sich ergehen, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken. Aufgebracht rüttelte Leni an der Wagentür, die der Typ wohlweislich verschlossen hielt. Angesichts ihrer Machtlosigkeit drehte Leni fast durch.

Dass sie mit ihrem furienhaften Auftritt die Aufmerksamkeit vieler Passanten erregte, die ihre vulgäre Ausdrucksweise mit einem missbilligenden und auch empörten Kopfschütteln quittierten, ließ Leni aber verdammt kalt. Ihnen war ja auch kein Parkplatz vor der Nase weggeschnappt worden.

Mit ihrem lauten Gezeter hatte sie auch schnell die Aufmerksamkeit eines Polizisten erregt, der sich rasch näherte. Während des Laufens zückte er auch schon seinen dünn gewordenen Strafzettelblock. Das war nun endgültig das Signal, um aufzugeben. Jetzt musste Leni schnell verschwinden, bevor sie einen Hunderter wegen Parkens in zweiter Spur und vielleicht noch einen zweiten wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses hinblättern durfte.

Bevor sie aber das Feld räumte, schlug sie mit ihrer Faust auf die Windschutzscheibe des Wagens. Mit funkelnden Augen formte sie noch einen sehr ausdruckskräftigen Stinkefinger, den sie demonstrativ vor das Gesicht hinter der Scheibe hielt. Dann war es aber echt höchste Eisenbahn, in ihr Auto zu steigen, ordentlich Gas zu geben und sich aus dem Staub zu machen.

Leni blieb nun nichts anderes übrig, als in der Mönchsberggarage zu parken, die ein gutes Stück von dem Lokal entfernt war. Keuchend und abgehetzt schaffte sie es gerade noch, pünktlich um 19 Uhr beim Lokal zu sein. Rasch fischte Leni die rote Rose aus ihrer Handtasche und ging in die Gaststätte, die in einen Bar- und Restaurantbereich geteilt war.

Welcher Teufel hatte sie da bloß geritten, einer roten Rose als Erkennungszeichen zuzustimmen? Leni kam sich unglaublich dämlich vor, mit dem halb verwelkten Grünzeug in der Hand die gut besuchte Bar abzuklappern. Durch dieses klischeehafte Accessoire würde sicherlich jeder wissen, dass sie auf Männerfang war. Wie es aussah, war der Typ aber noch nicht da, obwohl es schon nach 19 Uhr war. Unpünktlichkeit bei einem Blind Date war ein absolutes No-Go.

Leni steuerte auf den einzigen freien Tisch zu und legte die Rose so hin, dass sie von ihrem Date auch gleich gesehen wurde. Doch noch ehe sie etwas zu trinken bestellen konnte, schlug das Schicksal ein weiteres Mal hart zu. Ihr Ex-Freund Bernhard kam mit ihrer Ex-Freundin Sigrid an der Hand durch die Tür geschneit. Die beiden waren absolut die Letzten, denen Leni heute begegnen wollte. Es wäre ihr unglaublich peinlich, wenn das Paar sie bei einem Blind Date erwischen würde. Blitzschnell schnappte Leni nach der Rose und stopfte sie in ihre Tasche zurück.

Bernhard hatte Leni mit Sigrid betrogen. Und das in ihrem eigenen Schlafzimmer. Das war auch der Grund gewesen, wieso Leni diesen widerlichen Kotzbrocken vor fünf Jahren aus ihrer Wohnung geschmissen hatte. Übergangslos war Bernhard aber gleich bei Sigrid eingezogen, die seither mit diesem Geier zusammen war.

Keinesfalls wollte Leni von ihnen entdeckt werden. So gut es ging, versucht sie sich hinter einem dichten Strauß Hortensien zu verstecken. Diese rückgratlosen Kretins schlugen aber genau die Richtung ein, wo Leni saß, sodass der mächtige Blumenberg bald keinen Sichtschutz mehr bieten konnte. Leni lag nun direkt im Blickfeld ihrer Feinde, die ebenfalls auf der Suche nach einem Tisch waren. Jetzt war es nur eine Frage von Sekunden, bis sie entdeckt wurde. In ihrer Verzweiflung sah Leni keine andere Möglichkeit, als sich unter dem Tisch zu verstecken und inständig zu hoffen, dass dieser Kelch an ihr vorübergehen würde.

Doch kaum hatte sie dieses stumme Stoßgebet zum Himmel gesandt, spürte sie ein zaghaftes Klopfen an ihrer Schulter.

»Hallo Leni«, begrüßte Sigrid sie mit verwundertem Blick.

In ihrer Verzweiflung fuhr Leni so abrupt hoch, dass sie ihren Stuhl umstieß.

»Sigrid! Welche Überraschung«, versuchte sie so erstaunt wie möglich zu klingen. Nervös beugte sie sich zu ihrem umgestoßenen Stuhl hinab, um diesen wieder aufzustellen. Bernhard hatte gerade dasselbe im Sinn. Genau in dem Moment, als beide nach der Stuhllehne greifen wollten, stießen ihre Köpfe mit einem dumpfen Knall zusammen.

»Hast du dir wehgetan?«, rief Sigrid entsetzt und hielt Leni am Arm fest.

»Alles in bester Ordnung«, erwiderte Leni, die den Sternenzauber vor ihren Augen durch heftiges Blinzeln wegzuklimpern versuchte.

»Was um alles in der Welt suchst du unter dem Tisch?«, murrte Bernhard verdrossen und rieb sich seinen schmerzenden Kopf.

»Ich, ich … ich habe nach meinem Schlüssel gesucht.«

»Meinst du diesen hier?«, fragte Sigrid und hob Lenis Schlüsselbund vom Tisch hoch.

»Da ist er ja«, rief sie aufgeregt und nahm ihn gleich an sich.

»Sitzt bei dir jemand?«, fragte Sigrid.

»Nein, ich bin allein hier.«

Noch während die Worte aus ihrem Mund sprudelten, wurde Leni bewusst, welch ein fataler Fehler ihr gerade unterlaufen war.

»Das ist ja super«, erwiderte Sigrid erfreut. »Es macht dir ja hoffentlich nichts aus, wenn wir uns zu dir setzen.«

»Nein, natürlich nicht«, log Leni, deren Lächeln zu einer Grimasse erstarrte.

»Weißt du, Leni, ich bin echt froh, dass uns der Zufall endlich einmal zusammengeführt hat. Schon so lange ist es mir ein Bedürfnis, dich um Verzeihung zu bitten«, gestand Sigrid zerknirscht. »Es war von uns einfach nicht fair, dass wir dich fast zwei Jahre hintergangen haben, bis du uns in deinem Schlafzimmer in einer äußerst peinlichen Situation auf die Schliche gekommen bist.«

Leni wollte schon lostoben: Was! Zwei Jahre habt ihr niederträchtigen Widerlinge es hinter meinem Rücken wie die Karnickel getrieben? Und ich habe immer gedacht, dass es nur zwei Wochen waren. Doch im letzten Moment konnte sie ihren maßlosen Zorn im Zaum halten. Hier war weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, um auszurasten und die beiden mit Schimpftiraden zu überhäufen.

»Ich bitte dich, Sigrid«, erwiderte Leni, die sich nun so gab, als würde sie völlig über den Dingen stehen. »Seither sind fünf Jahre vergangen, und eine Menge Wasser ist die Salzach hinabgeflossen.«

Erleichtert drückte Sigrid die Hände ihrer ehemaligen besten Freundin und sagte: »Ich bin dir ja so dankbar, dass du uns vergibst.«

Sigrids Blick wanderte zu Bernhard, den sie leicht vorwurfsvoll aufforderte: »Dir geht’s doch auch so, Berni, nicht wahr?«

»Klar doch«, presste er widerwillig heraus. »Uns beiden war ja von Anfang an klar gewesen, dass es zwischen uns nie so richtig funktioniert hat. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Klappe fiel.«

Mit einem nachsichtigen Lächeln blickte Leni ihren Ex an, dem sie aber am liebsten an die Gurgel gegangen wäre: Verdammter Bastard, damals warst du arbeitslos und hattest dringend eine Wirtin gebraucht, sonst hättest du unter einer der Salzachbrücken hausen müssen. Drei Jahre, nein, jetzt nur noch ein Jahr war ich deine Göttin, die mit niemandem zu vergleichen war. Der Blitz soll dich treffen und deinen mickrigen Wurmfortsatz in ein abgebranntes Räucherstäbchen verwandeln.

»Ja, so ist es wohl«, seufzte Leni stattdessen schicksalsergeben. »›Der Mensch, er irrt, so lang er lebt …‹«

»Liebes, das Zitat heißt: ›Der Mensch, er irrt, so lang er strebt‹«, korrigierte Sigrid lächelnd.

»Natürlich, wie konnte ich mich nur so versprechen«, erwiderte Leni überrascht. Doch insgeheim ärgerte sie sich über diese blöde Lehrerin, die sich ihre Besserwisserei in ihren feisten Hintern schieben konnte.

»Weißt du eigentlich, dass wir geheiratet haben?«, wechselte Sigrid das Thema. Voller Stolz hob sie ihren Ringfinger hoch, von dem ein schmaler, goldener Ehering glänzte.

»Das ist ja eine wunderbare Neuigkeit«, antwortete Leni, die die Überraschte spielen musste. Natürlich wusste sie, dass diese Verräter vor drei Monaten im Schloss Mirabell geheiratet hatten. Schließlich war sie dort gewesen und hatte die beiden hinter einem mächtigen Fliederstrauch versteckt beobachtet. Dabei war Lenis Blick so auf das Brautpaar fixiert gewesen, dass sie mitten in einen Haufen weicher Hundekacke trat, der exorbitant zu stinken begann.

Dass Leni ins Glück gestiegen war, war ja nicht einmal das ärgste Übel gewesen. Die beiden hatten ihre Eheringe bei der Konkurrenz gekauft und nicht bei ihr anfertigen lassen, was ein unverzeihlicher Fauxpas war.

»Aber das ist noch nicht alles«, erzählte Sigrid aufgeregt und wandte sich mit glitzernden Augen dieser elenden Ratte Bernhard zu.

»Stell dir vor, wir werden Eltern«, lächelte sie strahlend vor Glück.

»Was?«, rief Leni, die nun völlig schockiert war und ihre Maske für einen Moment fallen ließ.

»Ich bin im vierten Monat schwanger«, sagte Sigrid in freudiger Erwartung. »Wir bekommen im Dezember ein Baby, vielleicht sogar ein kleines Christkind.«

Glücklich drückte Sigrid ihren weiten Pulli an den Bauch, sodass man eindeutig die leichte Wölbung unter ihren nun nicht mehr ganz so flachen Brüsten erkennen konnte.

»Das ist ja eine wunderbare Neuigkeit«, erwiderte Leni mit tonloser Stimme, während sie sich in ihrem Inneren immer elender zu fühlen begann.

Seit Bernhard hatte Leni keinen richtigen Freund mehr gehabt. Vor drei Wochen hatte sie ihren 31. Geburtstag gefeiert. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem nuklearen Bombenangriff ums Leben zu kommen, war nun schon größer, als einem Mann das goldene Fangeisen über den Finger zu ziehen. Es war zum Verzweifeln. Wieso bekamen diese Blutsauger alles in den Schoß geworfen, während sie vom Schicksal so sträflich vernachlässigt wurde? Als ob das Maß nicht schon voll gewesen wäre, legte diese Kanaille noch eins drauf und stellte genau die Frage, die Leni am wenigsten hören wollte: »Hast du einen Freund?«

Leni, die in dieser prekären Situation unmöglich zugeben konnte, dass sie in den letzten Jahren durchgehend Single gewesen war und keinen anderen Ausweg mehr wusste, als in den gängigen Singlebörsen ihre Fühler nach einem potenziellen Opfer ausgestreckt zu halten, log nun hemmungslos.

»Natürlich habe ich einen«, erwiderte sie, als ob ein Lebenspartner die selbstverständlichste Sache der Welt wäre. »Mein Freund ist dazu noch extrem attraktiv und sehr erfolgreich. Er trägt mich auf Händen und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Besser hätte ich es einfach nicht erwischen können«, flunkerte sie ungeniert. »So gesehen muss ich dir und Bernhard wirklich dankbar sein, dass ich euch in meinem Bett erwischt habe. Sonst hätte ich niemals meine große Liebe kennengelernt und diese Liebe bereits auf den ersten Blick zulassen können.«

Sigrids Hals war nun fast so lang geworden wie der einer Giraffe. Ihr plötzlich sehr blasses Gesicht, in dem sich ihre Lippen zu zwei schmalen Strichen zusammenpressten, waren sichere Anzeichen, dass Sigrid gar nicht gefiel, was Leni soeben von sich gegeben hatte.

»Du meinst echt, dass du mit deinem Freund die Liebe auf den ersten Blick erlebt hast?«

»Ja, man soll es nicht glauben. Es gibt sie wirklich«, lächelte Leni sie triumphierend an. 

Gerade als Leni dieses besondere Kennenlernen in allen Facetten ausschmücken wollte, um Sigrids Neid noch mehr anzustacheln, platzte plötzlich das Blind Date in die Bar. Mit ungläubigem Entsetzen starrte Leni den Mann an. Wie eine Monstranz trug er seine rote Rose vor sich her und suchte das Lokal nach ihr ab. Gott sei Dank hatten sie keine Bilder getauscht. Jetzt wusste Leni auch, wieso er keines schicken wollte. Instinktiv griff sie nach ihrer Rose und drückte sie noch tiefer in ihre Tasche.

Dieser Mann war ein Typ, den man seiner schlimmsten Feindin nicht wünschte, nicht einmal Sigrid. Klein, dick und extrem schmuddelig wälzte er sich wie eine Made durch die Reihen. Sein sehr ausgeprägter Basedow ließ seine Augäpfel wie die einer Schmeißfliege nach allen Seiten rollen. Sofort wandte sich Leni von ihm ab, sodass nicht der kleinste Verdacht aufkommen konnte, dass sie sein Date war.

»Und wo hast du deinen Freund kennengelernt?«, fragte Sigrid neugierig.

»Na wo schon, hier in Salzburg natürlich«, erwiderte sie mit einem unsicheren Lächeln.

»Seid ihr schon lange zusammen?«

»Nein, erst vor einigen Wochen haben wir uns kennengelernt«, log Leni und seufzte sehnsüchtig. »Doch mir kommt es schon vor, als ob wir uns ewig kennen würden.«

Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete Leni, wie die fette Made die Bar wieder verließ, sodass sie erleichtert durchatmen konnte. Einen kurzen Augenblick später läutete auch schon ihr Handy, und auf dem Display leuchtete die Nummer ihres Dates auf. Im ersten Moment wollte Leni dieses Ekelpaket sofort eliminieren, und ihr Finger zielte schon die Exit-Taste an. In letzter Sekunde wurde ihr aber bewusst, dass sein Anruf eine unverhoffte Gelegenheit bot, den beiden Furzgesichtern gleich noch eins auszuwischen.

Ohne auf die Vorwürfe des Anrufers zu achten, flötete sie in ihr Handy: »Hallo Darling … ja, ich habe auch gerade an dich gedacht und lieben Freunden von uns erzählt … Ja, ich sehne mich genauso nach dir … du bist echt ein kleines Ferkelchen …«, sagte sie mit verschämtem Schmunzeln, sodass Sigrid die Luft anhielt, um keines ihrer Worte zu verpassen. Selbst als Bernhard sie etwas fragte, reagierte sie nicht.

»… wann kommst du? O. k., ich freu mich … du liebst mich? Nein, ich liebe dich mehr«, hauchte sie, und mit einem zärtlichen Küsschen würgte sie die tobende Stimme in der Leitung ab.

»Du scheinst ja wirklich auf Wolke sieben zu schweben«, stellte Sigrid mit einem kaum unterdrückten Anflug von Eifersucht fest.

»Ach«, seufzte Leni erneut und klimperte sehnsüchtig mit ihren Augen. »Wolke sieben ist einfach zu wenig. Das ist schon eher eine Wolke acht oder neun.«

»Und wieso lässt dich dein Freund dann hier ganz allein sitzen?«, fragte Bernhard argwöhnisch. Er kannte Leni zu gut, um ihr diese Mär so ohne weiteres abzunehmen. »Wer ist dieser Wahnsinnstyp überhaupt?«

Gerade in dem Moment trat der rücksichtslose Parkplatz-Rowdy durch die Tür des Lokals und sah sich um. Sein suchender Blick stoppte bei Leni, die er sofort wiedererkannte. Ohne den Hauch eines schlechten Gewissens zwinkerte er ihr unverschämt zu und schickte ihr dann auch noch eine Kusshand, ehe er in den Restaurantbereich abbog.

Auch Sigrid und Bernhard war diese Szene nicht entgangen, und beide sahen Leni überrascht an. Die Gunst dieses Augenblicks durfte sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Schnell zog Leni die geknickte und halbwelke Rose aus ihrer Tasche, mit der sie dem Mann verlangend nachwinkte.

»Das war er«, lächelte sie schmachtend und roch an der zerstörten Rose.

»Was, dieser Mann ist dein Freund?«, setzte Bernhard ungläubig nach.

»Sicher, ich werde ja noch meinen Freund kennen«, bestätigte Leni vorsichtig. Instinktiv spürte sie, dass sie im Begriff war, sich in etwas Schlimmes hineinzumanövrieren.

»Du bist tatsächlich die Freundin von Michel Lorenz?«, fragte Sigrid, die nun Augen und Mund aufgerissen hatte.

Verdammt! Wer ist Michel Lorenz?, schoss es Leni durch den Kopf. Den Namen hatte sie noch nie gehört. Wenn der Typ aber bei diesen beiden Furunkeln solch einen Eindruck hinterlassen hatte, dann musste er irgendein überflüssiger Promi sein.

»Natürlich bin ich das«, versuchte Leni so überzeugend wie nur möglich zu klingen. »Ich muss gestehen, selbst ein wenig überrascht gewesen zu sein, dass er auf mich aufmerksam wurde. Anscheinend war ich genau seine Kragenweite.«

Nun wurde Leni noch skeptischer von den beiden angestarrt, in deren Gesichtern recht gut zu lesen war, dass der Typ entweder stockblind oder ein völliges Blackout gehabt haben musste, um sich auf der Stelle ausgerechnet in Leni zu verlieben. Ein kurzer Blick in die dunkle Fensterscheibe bestätigte diese Vermutung leider. Leni war keinesfalls die Frau, nach der man sich umdrehte oder in die man sich gar auf den ersten Blick verliebte. Es war ja nicht so, dass sie hässlich war. Doch sie legte absolut keinen Wert auf Äußerlichkeiten, ihr fehlte völlig der Sinn für weibliche Eitelkeiten. Dieses Manko war zum Großteil darauf zurückzuführen, dass ihre Mutter sehr früh verstorben war. Und der Vater, ein einfacher Bauer aus dem Pinzgau, hatte alle Hände voll zu tun, um seine vier Söhne und die einzige Tochter großzuziehen. Für weibliche Flausen hatte er überhaupt keinen Sinn gehabt. Leni hatten sie auch nicht gefehlt, da sie lieber mit ihren Brüdern auf Bäumen herumgeklettert war und mit bloßen Händen Forellen aus dem Wildbach fischte. Im Sommer war sie mit aufgeschürften Knien herumgelaufen, und die Trauerränder unter ihren Fingernägeln waren damals ihr Markenzeichen gewesen.

Die Pracht ihres kupferroten Haars ließ Leni nicht in weichen Wellen über ihre Schultern fallen, sondern sie bändigte es zu einem dicken, straffen Pferdeschwanz, der mit einer billigen Plastikspange an ihrem Hinterkopf festgehalten wurde. Der typisch blasse Teint rothaariger Frauen kombiniert mit ihren leuchtend grünen Augen hätte normalerweise einen eindrucksvollen und vor allem sehr auffälligen Kontrast geboten. Doch Lenis schöne Augen waren hinter einer dieser riesigen, schwarzen Monsterbrillen versteckt, die ihr schmales Gesicht dominierte und ihre feinen Gesichtszüge völlig verdeckte.

Seit es zwischen ihr und Bernhard aus war, hatte sie fast 30 Kilo verloren. Leni, deren Spitzname seinerzeit »Big Mag« gewesen war, hatte sich in eine gertenschlanke »Leni Leichtfuß« verwandelt. Das Abspecken, das ihr vorher nie so richtig gelingen wollte, war ohne Diät völlig reibungslos über die Bühne gegangen. Man brauchte eben nur ein ordentlich gebrochenes Herz gepaart mit der vollen Dröhnung Selbstmitleid, und jede Diät wurde überflüssig. Trotz ihrer schlanken Linie war Leni ihrem absolut hässlichen Kleidungsstil leider treu geblieben. Ihre vorzugsweise schwarze, blaue oder graue Bekleidung musste sehr weit und bequem sein. In ihrem Job hatte sie eher selten mit Kunden zu tun, sodass sie nicht so gut gekleidet sein musste wie Angela, die in ihrem teuren Designer-Fummel, mit den schön geformten und perfekt manikürten Fingernägeln und ihrem Haar im Ombre-Style, das raffiniert von Blond in Mittelbraun überging, bestens in das exquisite Atelier von Herrn Moosgruber passte.

Leni saß meistens an ihrem kleinen Werktisch inmitten ihrer vielen Bohrer, Schleifer, Drahtwalzen, Punzen, Zangen, Edelsteinen und Edelmetallen im Hinterzimmer der Goldschmiede und schuf mit ihren kleinen, aber sehr geschickten Händen wundervolle Glitzerträume, die das Herz fast jeder Frau schwach werden ließen. Dass sie dabei aussah wie ein Nachtgespenst, war völlig unwichtig, solange ihr Chef mit ihrer Arbeit zufrieden war und sich Leni wohlfühlte. Im Laufe der Jahre hatte die Goldschmiedearbeit an den filigranen Schmuckstücken ihr Augenlicht so  in Mitleidenschaft gezogen, dass die große Brille zu einem ebenso unverzichtbaren Utensil geworden war wie ihre bequemen Klamotten.

In diesem Aufzug bei Männern zu punkten, noch dazu bei einem Mann wie Lorenz, war für die beiden Korinthenkacker nur schwer nachvollziehbar.

»Und wieso kommt er nicht zu dir her und begrüßt dich?«, fragte Bernhard mit skeptischem Blick.

»Er hat mich gerade angerufen und mir gesagt, dass er im Verkehr stecken geblieben und nun ziemlich spät dran ist. Deshalb ist er gleich zu seiner Besprechung ins Restaurant weitergegangen und kommt erst nachher zu mir in die Bar«, schmetterte Leni ungeniert. Durch die trennende Glasfront hatte sie sehr gut mitverfolgen können, dass Lorenz einen anderen Mann herzlich begrüßt und sich zu ihm an den Tisch gesetzt hatte.

So langsam wurde Leni der Boden unter den Füßen heiß. Es wurde höchste Zeit, einen Abgang zu machen. Bernhard reagierte auf ihre Flunkereien ohnehin misstrauisch. Wenn er noch weiterbohrte, würde Leni bestimmt über ihr eigenes Lügenkonstrukt stolpern.

»Wenn ich es mir recht überlege, will ich nicht so lange auf meinen Freund warten«, entschied Leni und gähnte hinter vorgehaltener Hand. »Der Tag war lang, und ich bin schon ziemlich müde. Die Besprechung wird sich bestimmt noch einige Zeit hinziehen. Ich werde Michel zu Hause mit einer schön gekühlten Flasche Champagner und frischen Erdbeeren erwarten«, lächelte Leni in die erstaunten Gesichter dieses charakterlosen Packs.

»Schade, dass du schon gehst«, sagte Sigrid enttäuscht. »Ich hätte so gern noch mehr über dich und deinen neuen Lover erfahren.«

Kann ich mir vorstellen, du falsche Schlange, dachte Leni, während sie ihre kaputte Rose wieder in die Tasche fallen ließ. Diesen Typ kannst du mir jedenfalls nicht wegschnappen.

»Das nächste Mal werde ich dir mehr erzählen«, lächelte sie ihrer leicht schmollenden Feindin zu. Leni nahm ihre Tasche und dachte voller Genugtuung: Aber  ein ›nächstes Mal‹ wird es nicht geben, du elende Kröte.

Doch jetzt musste Leni etwas tun, das ihr gewaltig gegen den Strich ging. Wenn sie einen halbwegs glaubwürdigen Eindruck bei diesen Hyänen hinterlassen wollte, dann musste sie über ihren Schatten springen. Sie atmete tief durch und steuerte nicht den Ausgang an, sondern schlug die Richtung ein, die in den Restaurantbereich führte.

Demonstrativ stellte sich Leni so vor den Tisch der sich unterhaltenden Männer, dass ihre Widersacher genau sehen konnten, was sie tat. Mit einem zuckersüßen Lächeln blickte sie auf den Parklückenstehler hinab, der von Lenis unerwartetem Auftauchen überrascht war.

»Ich will Ihnen nur sagen, dass Sie ein widerlicher Kotzbrocken sind und ich Lust habe, mit meinem Autoschlüssel ein schönes und vor allem großes Monogramm an Ihrem Prolo-Schlitten zu hinterlassen«, sagte sie lächelnd und mit seidenweicher Stimme.

Bevor Lorenz auf diesen unvorbereiteten Verbalangriff reagieren konnte, hatte sich Leni auch schon zu ihm hinabgebeugt und äußerst widerwillig ihre Lippen auf seine Wange gedrückt.

»Was erlauben Sie sich eigentlich?«, fuhr sie der geküsste Mann empört an.

»Halten Sie Ihre Klappe, sonst gibt’s was auf die Mütze«, erwiderte sie frech, aber immer noch lächelnd.

Jetzt war es aber höchste Zeit zu verduften, bevor der Geschäftsführer auf Leni aufmerksam wurde und sie hochkant hinauswerfen würde.

Bereits im Gehen begriffen, wandte sie sich noch einmal schnell dem anderen Mann zu, der mit staunend-amüsiertem Blick diese unerwartete Szene mitverfolgt hatte.

»Und Sie sollten sich Ihre Freunde besser aussuchen. Auf diesen elenden Pisser hier können Sie getrost verzichten.«

»Familie und Schwiegereltern kann man sich leider nicht aussuchen«, erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln.

Die tiefe Stimme des Mannes hatte ein angenehm volles Timbre, das Leni erstaunt aufhorchen ließ.

»Mein zutiefst empfundenes Beileid zu Ihrem Unglück«, rief sie dem Mann zu, während sie sich zum Ausgang bewegte. »Im nächsten Leben läuft’s hoffentlich besser.«

Bevor Leni das Lokal verließ, winkte sie den beiden Kanalratten in der Bar noch einmal mit einem breiten Lächeln der Genugtuung zu. Die Überwindung zu diesem Kraftakt hatte sich gelohnt, denn jetzt war auch Bernhard überzeugt.

Was für ein kurioser Abend, dachte Leni und lächelte versonnen in sich hinein. Obwohl ihr Blind Date der absolute Reinfall gewesen wäre, hatte sie schon lange nicht mehr einen so aufregenden Abend erlebt. Alles war total schiefgelaufen, und trotzdem hatte sie die Kurve mit Bravour genommen.

Erleichtert, dass dieses Intermezzo so gut ausgegangen war, ging Leni die Stufen zur Parkgarage hinab. Beim Kassenautomaten stoppte sie, um die Parkgebühr zu entrichten. Noch immer schmunzelnd führte Leni ihr Parkticket in den Schlitz ein, worauf sofort der Parkpreis auf dem Display aufleuchtete. Leni schob den 10-Euro-Geldschein in die Einzugsvorrichtung und wartete auf das Wechselgeld. Dabei fiel ihr Blick auf ein riesiges Plakat des Festspielsommers, und sofort wechselte ihr heiterer Gesichtsausdruck in heftige Bestürzung. Auf dem Plakat war der Parklückenstehler im Frack auf einem Podium stehend abgebildet und hielt einen Dirigentenstab in der Hand. Leni musste den Text darunter zweimal lesen, damit sie ihn auch richtig verstand.

Michel Lorenz, der neue Fixstern am internationalen Musikhimmel, dirigiert die Wiener Symphoniker zu Tschaikowskys 1. Klavierkonzert in b-Moll mit dem Starpianisten Anatol Sorokin

Mit offenem Mund starrte Leni auf das Plakat und sofort fielen ihr all die Schimpfworte und Beleidigungen ein, die sie dem Mann an den Kopf geworfen hatte.

»Gnädigste, geht’s vielleicht ein bisschen schneller, oder sehen Sie gerade einen Geist?«, fragte die drängende Stimme des wartenden Mannes hinter ihr.

»Ein Geist! So könnte man es nennen«, murmelte Leni benommen und zog ihr Ticket und das Wechselgeld aus dem Automaten.

Kapitel 2

Zwei Tage später blieb Leni nichts anderes übrig, als einer Kundin die neu geknüpfte Perlenkette persönlich ins Hotel zu bringen. Das waren genau jene Handlangerarbeiten in ihrem Job, die sie verabscheute. Der Lehrling war im Urlaub, und die hübsche Angela konnte auch nicht weg, weil Herr Moosgruber nach München gefahren war, um Schmucksteine einzukaufen.

Gerade heute ging es ihr gewaltig gegen den Strich, ihre Arbeit zu unterbrechen. Der Armreif musste bis morgen fertig sein, und Leni wollte noch einige kleine Verbesserungen daran vornehmen, sodass jede Minute kostbar war.

Sie nahm das Fahrrad, das für viele Salzburger zum einzig sinnvollen Fortbewegungsmittel in der Stadt geworden war. Wie üblich entsprach ihr unorthodoxer Fahrstil nicht ganz der Straßenverkehrsordnung. Der Groll einiger Autofahrer ließ nicht lange auf sich warten. Mit teilweise sehr deftigen Unmutsäußerungen zogen sie über Leni her, die aber an ihr abprallten wie Regentropfen an der Fensterscheibe. Nur durch riskante Überholmanöver und häufiges Missachten der Rot-Phasen bei den Ampelschaltungen schaffte sie es, in weniger als zehn Minuten ihr Ziel zu erreichen.

Außer Atem betrat sie den Aufzug des Hotels, in dem die Kundin logierte. Noch einmal überprüfte Leni die Zimmernummer auf dem Zustellschein, der lose auf der schwarzen Samtschatulle lag. Gerade als die Tür schließen wollte, sprang in letzter Sekunde ein Mann in die Kabine, den Leni entsetzt anstarrte. Eine böse Fügung wollte es, dass sie diesem schrecklichen Typen nun schon wieder begegnen musste. Als auch er Leni wiedererkannte, verwandelte sich sein bis jetzt entspanntes Gesicht schnell in eine zornige Maske.

»Siehe einer an, das ist ja der kecke Frechdachs aus dem Restaurant«, sagte er finster und verschränkte herausfordernd seine Arme über der Brust.

»Nein, das ist die bedauernswerte Autofahrerin, der von einem rücksichtslosen Rüpel ohne Manieren der Parkplatz weggeschnappt wurde«, rechtfertigte sich Leni nicht ganz so heftig.

»Wer zuerst kommt, malt zuerst, und den Letzten beißen eben die Hunde«, erwiderte er aufgebracht. »Apropos Hunde beißen«, half er sich selbst auf die Sprünge. »Was erlauben Sie sich eigentlich, mich in aller Öffentlichkeit zu küssen? Das war ein tätlicher Angriff, für den ich Sie anzeigen sollte.«

»Wenn es nicht absolut notwendig gewesen wäre, Sie zu küssen, dann hätte ich Ihnen sicherlich ein Krokodil vorgezogen«, erwiderte Leni wütend. »Doch wenn Sie ein Problem damit haben, dann können Sie ja einen Beschwerdebrief bei der Schlichtungsstelle des Zentralfriedhofs abgeben …«

»Das schlägt doch dem Fass echt den Boden aus«, rief er mit vor Zorn bebender Stimme. »Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?«

»Nein«, log Leni. »Aber was ich so gesehen habe, zählen Sie zu den Menschen, denen man besser nicht begegnen sollte.«

»Das glauben Sie also?«

»Nicht nur ich, auch Ihr Tischnachbar hat festgestellt, dass man sich seine Familie leider nicht aussuchen kann. Und soweit ich mich erinnere, lag seine Betonung auf ›leider‹.«

Gegen seinen Willen musste der Mann jetzt schmunzeln, weil die ganze Angelegenheit einfach schon zu grotesk war. Genau in diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum vierten Stock. Energiegeladen und mit einer Grandezza, die einer stolzen Spanierin alle Ehre gemacht hätte, warf Leni ihren Kopf zurück und verließ so schnell die Kabine, dass Lorenz nichts mehr erwidern konnte.

Doch Hochmut kommt vor dem Fall. Leni hatte ob ihrer zu hoch getragenen Nase nicht registriert, dass der Luftzug der schließenden Türen den Zustellschein von der Schatulle in die Aufzugskabine zurückgeweht hatte. Das war aber noch das kleinere Übel. Durch ihren energischen Abgang hatte sich der wallende Rock ihres schwarzen Kleides so fatal in das Haltegriffgestänge der Kabine verwickelt, dass Leni dies erst bemerkte, als sich die Aufzugstür schon wieder schloss.

»Shit«, rief sie entsetzt und zerrte am Stoff. Doch das war vergebliche Liebesmüh. Die Aufzugstür war zu, und die Kabine bewegte sich in die nächste Etage hoch und zog das Kleid mit sich. Leni konnte gar nicht so schnell reagieren, da wurde auch schon ihr Spaghettiträgerkleid mit dem dehnbaren Gummieinsatz um den Brustbereich über ihren Kopf gezogen und verschwand ruckzuck im schmalen Spalt der geschlossenen Lifttüren. Bis auf ihr weißes Höschen mit dem Muster aus roten Marienkäfern und ihren geliebten Birkenstock-Sandalen stand Leni nackt vor den Spiegeltüren der Liftstation. Entsetzt schlug sie die rechteckige Samtschatulle vor ihre Brüste und blickte aufgeregt nach allen Seiten. Gott sei Dank war in dem langen Gang niemand zu sehen. Nur ein Stubenwagen stand in dem einsamen Flur.

Plötzlich ertönte das Alarmsignal aus der hochfahrenden Liftkabine. Irgendwo auf dem Weg in die nächste Etage musste der Aufzug stecken geblieben sein. Daran war bestimmt ihr eingeklemmtes Kleid schuld. Die kurze Überlegung, ihrem Kleid vielleicht nachzufahren, hatte sich damit auch erübrigt. Leni befand sich in einem panischen Ausnahmezustand. Jeden Augenblick konnten Menschen auftauchen und sie nackt durch den Flur flitzen sehen.

Entsetzt lief Leni zu dem Stubenwagen und suchte nach etwas, um ihre Blöße zu bedecken. Als sie den Stoß frischer Bademäntel auf dem Wagen liegen sah, atmete sie erleichtert durch. Schnell fischte sich Leni einen der weißen Frotteemäntel und zog ihn über. Natürlich war das Teil viel zu groß für sie. Doch in ihrer problematischen Situation wäre sie selbst für einen alten Kartoffelsack dankbar gewesen.

»Verdammt, nicht das auch noch«, fluchte Leni ein weiteres Mal unglücklich vor sich hin. Erst jetzt war ihr aufgefallen, dass nicht nur ihr Kleid, sondern auch der Zustellschein weg war. Blitzschnell überlegte sie, was sie jetzt tun sollte. Bis 10 Uhr musste die Kette abgeliefert sein. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, dass die Zeit nicht mehr reichte, um in ihre Wohnung zu fahren, sich umzuziehen und dann auch noch in den Laden zu fahren, um einen neuen Zustellschein auszufüllen. Bis das alles erledigt wäre, war der vereinbarte Liefertermin längst verstrichen.

Noch einmal holte Leni tief Luft und band den Mantel ein bisschen enger um ihren Körper. Dann schüttelte sie ihre kupferfarbene Mähne durch, die sich bei ihrer unfreiwilligen Entkleidung aus der Spange gelöst hatte und nun wie ein schimmernder Teppich bis zu ihrer Taille hinabfiel. Nach einigem Zögern klopfte Leni an die Zimmertür der Kundin und wartete, bis diese geöffnet wurde. Die ältere Dame musterte ihr Outfit erstaunt. Doch Leni ignorierte ihren fragenden Blick und drückte der Frau die Schatulle in die Hand.

»Mit besten Grüßen und Wünschen vom Juwelier Moosgruber«, sagte sie mit starrem Lächeln. »Die Rechnung wird Ihnen in den nächsten Tagen zugesandt.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, machte Leni kehrt und lief durch das Treppenhaus in die Empfangshalle hinunter. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie nicht auch noch wegen des gestohlenen Bademantels aufgehalten wurde.

Vor dem defekten Aufzug hatte sich bereits eine Menschenmenge aus Personal und Gästen gebildet, sodass Leni ungesehen durch das Eingangsportal entwischen konnte.

Weit krimineller als sonst fuhr Leni durch die belebten Straßen zu ihrer Wohnung. In dem übergroßen weißen Bademantel sah sie auf dem Rad aus wie ein Eisbär in der Manege. Die vielen erstaunten Blicke ignorierte sie ebenso wie das energische Hupkonzert der empörten Autofahrer hinter ihr. Lenis Sinnen und Trachten war nur noch darauf ausgerichtet, sich so schnell wie möglich in ihre vier Wände zu retten.

Irgendwie schien dieser Tag nicht ihrer zu sein. Als sie endlich wieder in den Laden zurückgekehrt war, wurde sie gleich mit dem nächsten Problem konfrontiert. Angela musste früher Schluss machen. Der Kindergarten hatte angerufen und sie gebeten, ihre fiebernde Tochter abzuholen. Unter diesen Umständen blieb Leni nichts anderes übrig, als im Verkaufsraum die Stellung zu halten, was ihr gehörig gegen den Strich ging. Sie hasste es, wie ein Modepüppchen, was sie mit absoluter Sicherheit nicht war, in der Auslage zu sitzen.

Gott sei Dank war es schon nach 15 Uhr, und in knapp drei Stunden konnte Leni den Laden dicht machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass heute noch Kundschaft kommen würde, war eher gering. Die meisten Kunden kamen vormittags oder kurz nach Mittag. Jetzt waren die Leute irgendwo an einem der vielen Seen rund um Salzburg oder in den Bergen unterwegs, sodass Leni ohne schlechtes Gewissen im Hinterzimmer an ihrem Panther-Reif weiterarbeiten konnte. Sollte sich doch noch ein Kunde hierher verirren, dann würde sie die Türglocke hören.
Kurz vor sechs klingelte es dann aber doch noch. Genervt drückte Leni ihre Zigarette aus und legte den Armreif auf den Werktisch zurück. Schnell wechselte sie die Lupenbrille gegen ihre schwarzen Monstergläser, bevor sie mit einem leisen Murren in den Verkaufsraum hinausging.

Wie vom Blitz getroffen blieb sie stehen. Doch keine Sekunde später lief sie vor Wut rot wie ein Kürbis an.

»Was wollen Sie denn noch von mir?«, fuhr sie Lorenz an. »Vielleicht haben Sie ja Lust, mir meine Unterwäsche vom Leib zu reißen, nachdem Ihnen mein Kleid nicht genügt hat.« 

»Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, aber Sie überschätzen Ihre Attraktivität bei Weitem«, erwiderte der Dirigent abwertend, während er Leni mit einem kritischen Blick musterte. »Außerdem bin nicht ich daran schuld, dass Ihnen Ihr Kleid abhandengekommen ist, sondern Sie selbst.«

Dabei knallte er eine Plastiktüte auf das Verkaufspult.

»Ich sah es als einen Akt reiner Höflichkeit an, Ihnen Ihr Kleid, oder wie man diesen unförmigen Sack in der Tüte auch immer bezeichnen will, zurückzubringen, das der Lift unglücklicherweise mit nach oben gezogen, aber nicht zerrissen hat.«

»Danke«, antwortete sie widerwillig. Doch so ganz wollte sich Leni nicht geschlagen geben. Mit unerwarteter Leidenschaft fügte sie noch hinzu: »Und außerdem: Ich bin eine attraktive Frau.«

Amüsiert von ihrer Selbsteinschätzung überging er ihre sehr subjektive Meinung und fragte sie nicht mehr ganz so forsch: »Wie heißen Sie eigentlich?«

Leni war schon drauf und dran zu kontern, dass ihn das einen feuchten Kehricht anginge. Doch im letzten Moment hielt sie ihre deftige Abfuhr zurück. Sie war noch immer im Job, wo sie sich solche Entgleisungen einfach nicht leisten durfte.

»Ich heiße Magdalena Andergast«, antwortete sie nun etwas zurückhaltender. »Woher wissen Sie überhaupt, wo ich arbeite?«, fuhr sie ihn aber gleich wieder um einiges aggressiver an.

»Auf dem Zustellschein, der mir in die Hände geflattert ist, stand die Adresse des Juweliers. Die habe ich mir gemerkt«, zwinkerte er Leni amüsiert zu. »Sind Sie hier die Verkäuferin?«

»Nicht wirklich«, erwiderte Leni unwillig, weil sie das gar nicht gern hörte. »Neben Herrn Moosgruber, dem Besitzer des Ladens, bin ich die Goldschmiedin.«

»Das trifft sich ja ausgezeichnet«, freute sich Lorenz und griff in seine Tasche. »Ich dachte mir, wenn ich hier vorbeikomme, kann ich die Gelegenheit gleich nutzen und meine Manschettenknöpfe reparieren lassen, deren Knebel schon recht locker sind.«

Lorenz legte die in Weißgold gefassten Onyx-Steine auf das Verkaufspult, sodass Leni die Stifte überprüfen konnte, die tatsächlich ziemlich wackelig waren.

»Riecht es hier etwa nach Zigarettenrauch?«, fragte Lorenz, der angewidert die Nase rümpfte und Leni damit unmissverständlich zu verstehen gab, wie sehr er die Sippschaft der Raucher verurteilte. Auch Herr Moosgruber mochte es nicht, wenn in der Werkstatt gequalmt wurde. Doch wenn er nicht da war, genehmigte sich Leni den kleinen Luxus, am offenen Fenster die eine oder andere Zigarette genussvoll zu rauchen. In Zeiten wie diesen war man nicht gut angesehen, wenn man diesem Laster frönte. Doch Leni schaffte es einfach nicht, von den Glimmstängeln loszukommen.

»Ich darf doch wohl bitten«, erwiderte sie mit gespielter Empörung. »Das Geschäftslokal ist eine absolut rauchfreie Zone.«

Lorenz hob noch einmal seinen Kopf und sog wiederholt die Luft in seine Nase. »Ich irre mich nicht, das ist Rauch.«