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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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Neue Rechtschreibung

© 2018 by Obelisk Verlag, Innsbruck Wien

Lektorat: Philipp Rissel

Cover: h.o. pinxit

Alle Rechte vorbehalten

Druck und Bindung: Finidr, s.r.o. Český Těšín, Tschechien

ISBN 978-3-85197-873-5
eISBN 978-3-85197-897-1

www.obelisk-verlag.at

Erich Weidinger (Hg.)

Schlauer als die Angst

9 Kurz-Krimis

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Inhalt

BEATE MAXIAN UND JEFF MAXIAN

Blut an der Wand

ANDREAS GRUBER

Zwei Tickets nach Sulina

ELKE PISTOR

Die Video-Con

MICHAEL GERWIEN

Das Rennen

ERICH WEIDINGER

Auf den Zahn gefühlt

THERESA PRAMMER & JOSEPH PRAMMER

Was du nicht willst, dass man dir tut …

TATJANA KRUSE

Stegosaurieralarm!

OSKAR FEIFAR

Süße Rache

MARK FAHNERT

Antonia Loretti

BEATE MAXIAN UND JEFF MAXIAN

Blut an der Wand

Schon die unerträgliche Busfahrt von Seewalchen am Attersee in Oberösterreich nach Wien zur Landschulwoche glich einer unheilvollen Warnung.

Es regnete in Strömen, die Temperaturen lagen im Keller und selbst im Bus herrschte Eiseskälte, weil die Heizung ausgefallen war. Dass die Professoren ein Quartier außerhalb von Wien und nicht direkt in der Bundeshauptstadt ausgewählt hatten, trug bei den 24 Schülern und Schülerinnen nicht gerade zur Verbesserung der Stimmung bei.

„Der öde Bus ist eine Zumutung, echt Sparschiene“, raunzte Samy.

„Klar, mit uns Schülern kann man’s ja machen“, schob Basti nach.

„Und beim Schülerheim geht das Sparen weiter. Nicht nur, dass wir nicht in Wien wohnen, schaut euch nur die alte Hütte an“, mengte sich nun auch Lorenzo ein und zeigte auf das Prospekt, das die Schüler vor einer Woche in die Hand gedrückt bekommen hatten. Zusammengenommen waren das alles dunkle Vorzeichen dafür, dass die Reise unter keinem guten Stern stand.

„Eine ganze Woche in einem Schülerheim ohne ein Shoppingcenter in der Nähe, da hätten wir doch gleich zu Hause bleiben können“, nörgelten die Mädchen in der Reihe vor ihnen. Die Burschen grinsten. Dass es kein Einkaufszentrum gab, war ihnen ziemlich egal.

Samy hieß eigentlich Samuel Weber. Er war vor wenigen Tagen 13 Jahre alt geworden und somit der älteste der ganzen Klasse. Er war ein intelligenter, witziger, aber zugleich vorlauter Schüler, behaupteten jedenfalls die Lehrer. Er selbst hingegen bezeichnete sich als ideenreich.

Basti, Sebastian Wagner, und Lorenzo, Lorenz Hammer, waren beide 12 Jahre alt und ähnelten im Wesen ihrem Freund Samy. Wenngleich Basti ein eher ängstlicher und Lorenzo im Gegensatz dazu ein „Scheiß-mich-nichts“ - Typ war. Gemeinsam bildeten sie ein Triumvirat an Freundschaft und Verschwiegenheit. Nicht immer leicht für ihre Lehrer.

Nach drei Stunden Fahrt kamen sie am späten Nachmittag endlich an. Die Professoren wiesen sie an, sich im Speiseraum im Erdgeschoß zur Einteilung der Zimmer zu versammeln. Die Mädchen scharten sich um ihre Professorin Renate Weiß. Weissi, wie sie von den Schülern genannt wurde, unterrichtete Mathematik und Physik. Sie war 29 Jahre alt und damit die jüngste Lehrerin der Schule, zudem attraktiv, agil und sehr beliebt. Selbstverständlich erlaubte sie Conny, eigentlich Cornelia Weber und die Zwillingsschwester von Samy, mit ihrer Freundin zusammen in einem Zimmer zu wohnen. Die beiden hatten ein gemeinsames Hobby: Selfies mit Freunden. Die beiden waren echte Smombies, starrten ständig auf ihr Handy.

Die Burschen wiederum versammelten sich um Professor Mario Mayer.

„Ist es eh klar, dass ich mir mit Basti und Lorenzo ein Zimmer teile?“, meldete sich Samy eher bestimmend als fragend zu Wort.

Lorenzo warf einen Blick auf eine mit Bleistift geschriebene Zimmerliste, die vor Professor Mayer lag. Er tippte mit dem Finger auf einen bestimmten Punkt. „Da, das ist schon richtig, Herr Professor. Lorenzo und Basti, aber der Samuel Weber gehört auch noch zu uns.“

Die Augenbrauen des Lehrers wanderten skeptisch nach oben. Im Nu redeten die Schüler abwechselnd auf Mayer ein, weil sie ahnten, was dies bedeutete.

„Ruhig, ruhig, Ruhe“, ermahnte der Professor die drei Jungs, im ansteigenden Tonfall, weil auch die Burschen immer lauter wurden. Der drahtige 62-Jährige wirkte mit seinen langen grauen Haaren und seiner legeren Kleidung nicht unbedingt wie eine Autoritätsperson. Er war auf der einen Seite ein ruhiger und gemütlicher Typ und andererseits auch fahrig und gedankenverloren, was Verhandlungen mit ihm, etwa über Noten, schwierig machte. Er unterrichtete Geschichte, Deutsch und Turnen und war bei den Schülern ebenso beliebt wie die Weissi.

Der Professor legte nun den Stift zur Seite, lehnte sich im Stuhl zurück und blickte den drei Freunden ernst in die Gesichter. „Ihr drei wollt also wieder einmal zusammen ein Zimmer beziehen.“ Seine Augen verengten sich. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich sag nur Schikurs.“

Die drei Freunde konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihr Streich war in die Geschichte der Schule eingegangen. Sie hatten beim letzten Schikurs in einem der Mädchenzimmer eine Stinkbombe deponiert. Das hatte zwar zur Folge, dass sie die Reinigung des Zimmers bezahlen mussten, weil sich der Gestank bis ins Mauerwerk gefressen hatte. Aber der Anblick der Mädchen, als diese das Zimmer betraten, war legendär.

„Keine Streiche!“

„Keine Streiche“, versprachen die drei wie aus einem Mund.

Der Professor seufzte laut, suchte in seiner Jeanshose nach etwas, ohne die Burschen aus den Augen zu lassen, und holte schließlich mit einer ruckartigen Bewegung einen Radiergummi hervor. Dabei warf er das vor ihm stehende Wasserglas um. Samy, der direkt am Tisch lehnte, bekam die volle Ladung ab. Sein Shirt und seine Hose waren klatschnass. Ein derartiges Malheur passierte dem Lehrer nicht zum ersten Mal. Nicht umsonst nannten in die Schüler Schusselmayer. Er entschuldigte sich bei Samy.

„Ich wollte eh heute noch duschen“, grinste Samy und ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Schusselmayer war damit beschäftigt, den Tisch trocken zu wischen.

„Also passt das jetzt mit uns dreien im Zimmer? Dann gehe ich nämlich gleich rauf, duschen und umziehen.“

Professor Mayer nickte und besserte die Zimmeraufteilung aus. Mit misstrauischem Blick drückte er Samy den Zimmerschlüssel in die Hand. „Zimmer 22 im zweiten Stock. Direkt neben dem Lehrerzimmer. Big Brother is watching you.“ Jetzt grinste der Lehrer und die Freunde seufzten laut.

„Das wird schlimmer als im Gefängnis“, brummte Lorenzo.

„Warst du schon mal dort?“, fragte Schusselmayer.

Lorenzo schüttelte verneinend den Kopf und Samy zog ihn am Ärmel.

„Lass dich auf keine Diskussion ein“, zischte er, weil er sah, dass der Lehrer zu einem Vortrag anhob. Blitzschnell wandten sich die drei Freunde um, wollten loslaufen, als sie die Stimme des Professors einbremste. „Und wenn ihr euch aufführt, nicht die Nachtruhe einhaltet, wird die Runde aufgelöst. Ist das klar?“ Er sah streng von einem zum anderen.

„Wann beginnt die Nachtruhe?“, fragte Lorenzo.

Professor Mayer erhob nun seine Stimme, damit es alle hören konnten.

„Um 18:00 Uhr treffen wir uns im Speisesaal. Nach einem Vortrag und Überblick über unser Wochenprogramm gibt es Abendessen. Um 22:00 Uhr wird das Licht abgedreht, geweckt wird um 7:00 Uhr, Frühstück um 7:30 Uhr, Abfahrt um 8:30 Uhr.“

„Und wie sieht es mit der Toleranz-Nachtruhe aus? 23:00 Uhr?“, fragte Samy. Anstatt ihm eine Antwort zu geben, fuhr der Professor fort, die Zimmerschlüssel auszuteilen.

Das Schülerheim war ein zweistöckiger Zweckbau aus den 1960er-Jahren, in dem Platz für zwei Schulklassen war. Die Mädchen wohnten im ersten, die Buben im zweiten Stock. Jeweils vom mittigen Stiegenaufgang ausgehend gab es links und rechts eine Zimmerflucht. Mit je sechs Zimmern, sparsam ausgestattet mit vier Betten, einem Tisch und vier Stühlen vor dem Fenster. Am Beginn der Zimmerflucht lagen die Lehrerzimmer. Sie waren im Gegensatz zu den Schülerzimmern mit einem eigenen Badezimmer versehen.

Vor dem Abendessen mussten die Schüler den langweiligsten Vortrag, den sie je gehört hatten, über sich ergehen lassen. Professor Mayer erzählte uninteressantes Zeug über die Geschichte Wiens. Das einstündige Referat hatte er in Stichworten auf Zetteln vorbereitet, die ihm immer wieder aus der Hand rutschten. Dadurch verlor er den Faden, was es noch schwieriger machte, ihm zu folgen. Doch zum Glück konnte man Schusselmayer rasch aus dem Konzept bringen. Darin waren die Kinder geübt. Samy gab das Kommando.

„Ist dieser Marc Aurel echt wichtig?“

„Kaisergruft? Da modern ja nur alte Kaiser vor sich hin!“

„War der liebe Augustin damals so eine Art Popstar, war der cool?“

Die Fragen prasselten nur so auf den Professor ein. Er versuchte sie zu beantworten, kam aber nicht dazu, weil schon die nächste Frage gestellt wurde. Sein Vorhaben verlor er gänzlich aus den Augen und brach den Vortrag vorzeitig ab.

Erst als Frau Professor „Weissi“ einen Überblick übers Wochenprogramm abgab, war die Aufmerksamkeit wieder halbwegs da. Ein Spaziergang durch die Innenstadt mit Besichtigung des Stephansdoms und anderer historischer Sehenswürdigkeiten, das Schloss Schönbrunn und der Tiergarten, Museen und eine Wanderung durch den Wienerwald zur Hermesvilla standen auf dem Plan. Doch kein Besuch im Wiener Prater mit Wachsfigurenkabinett und Fahrten in der Hochschaubahn und dem Autodrom. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen.

Nach dem Abendessen mit matschigen Spaghetti und einem wässrigen Ragout hatten die Schüler Freizeit. Die Tischtennis- und Billardtische im Raum hinter dem Speisesaal wurden gestürmt. Im TV-Raum wurde ein Harry-Potter-Film mittels Beamer auf eine große Leinwand übertragen. Einige Schüler zog es auf ihre Zimmer. So auch Samy, Basti und Lorenzo, die sich mit ihren Laptops und Eistee bewaffnet auf ihren Betten niederließen. Chat und Videospiele waren angesagt. Dabei fiel ihnen gar nicht auf, wie die Zeit verging.

„Burschen, es ist gleich Nachtruhe!“ Schusselmayer steckte den Kopf kurz vor zehn Uhr zur Tür herein, nachdem er zuvor angeklopft hatte.

„Aber ich war noch gar nicht im Badezimmer“, sagte Basti.

„Das Essen war so grauslich, ich habe noch Hunger Herr Professor“, kam es von Lorenzo.

„Warum wurden wir in dieses Loch außerhalb des Stadtlebens einquartiert?“, fragte Samy.

„Also, dann schnell ins Badezimmer. Lorenzo, du holst dir noch schnell eine Wurstsemmel aus der Küche. Nur, damit ihr es wisst: Die Quartiere in Wien sind zu teuer. Und jetzt bitte, Tempo!“

Sie trödelten noch eine Weile herum, doch nach zwanzig Minuten wurde es Schusselmayer zu bunt und er trieb sie ins Bett.

„Herr Professor, kann man für etwas bestraft werden, was man nicht gemacht hat?“, fragte Samy, bevor der Professor die Tür schließen konnte.

„Natürlich nicht!“

„Gut, ich habe meine Hausaufgabe nicht gemacht!“

Basti und Lorenzo bogen sich vor Lachen. Schusselmayer rollte genervt mit den Augen. Doch Samy kam in Fahrt.

„Wie nennt man einen schreienden Bären, der auf einer Kugel sitzt?“

„Wie?“

„Kugelschreibär.“

Wieder brüllten Samys Freunde vor Lachen.

„Jetzt ist aber Ruhe“, ermahnte sie Schusselmayer streng. „Ich kann euch auch nach Hause schicken, wenn ihr euch nicht ordentlich benehmt. Ich bin der Klassenvorstand, ich hab die Macht, das wisst ihr“, drohte er und schloss die Tür.

„Ab jetzt im Flüsterton“, befahl Samy. Denn ans Schlafen dachten sie nicht. Doch Schusselmayer hörte jedes Geräusch und tauchte zu ihrem Leidwesen noch drei Mal auf. Zuletzt war er gegen Mitternacht bei den Jungs. Danach warteten sie eine Weile schweigend. Als sie sich sicher waren, dass der Lehrer schlief, plauderten sie munter weiter. Doch plötzlich knallte es laut. Die Freunde erschraken. Ihre Herzen schlugen ihnen bis zum Hals.

„Das war nebenan, beim Schusselmayer“, sagte Lorenzo.

„Da ist sicher nur ein Stuhl umgefallen“, beruhigte Samy. Doch sein ängstlicher Blick verriet, dass er sich da nicht so sicher war. Auch die anderen beiden waren blass geworden.

„Das klang, als wäre etwas Schweres auf den Boden geknallt“, meinte Basti.

„Aber was könnte das gewesen sein?“, fragte Samy besorgt.

„Psst“, machte Basti. „Lasst uns erst einmal horchen.“

Sie pressten ihre Ohren an die Wand und versuchten, irgendein Geräusch wahrzunehmen. Doch da war plötzlich nichts mehr außer einer bedrohlichen Stille.

„Vielleicht ist der Schusselmayer aus dem Bett gefallen?“, schlug Lorenzo vor.

„Glaub ich nicht, das klang anders“, sagte Samy und schwang sich aus dem Bett. „Da ist etwas passiert.“

„Was hast du vor?“, fragte Basti.

„Ich geh rüber und schau nach.“

„Bist du verrückt, der Schusselmayer schickt uns heim. Der ist zwar gutmütig, aber ich trau ihm zu, dass er ernst macht.“

In dem Moment hörten sie, wie sich die Tür vom Zimmer nebenan leicht knarrend öffnete. Samy blieb erstarrt am Bettrand sitzen. Auch Basti und Lorenzo saßen mit angehaltenem Atem in ihren Betten. Aus dem Nebenraum drangen schwere Schritte durch die Wand. Dann stieß etwas gegen die Mauer. Erschrocken fuhren die drei zusammen. Samys Blick wanderte zum Fenster. Draußen herrschte absolute Dunkelheit. Dann plötzlich, ein Schleifgeräusch. Da wurde eindeutig etwas über den Boden gezogen, begleitet von einem unheilvollen Brummen. Dem folgte wieder diese bedrückende Stille und irgendwie fühlte es sich um ein paar Grad kälter an im Zimmer. So, als wäre der Tod an ihrer Tür vorbeigekommen. Die Angst lähmte die drei Burschen. Ein Motorengeräusch unterbrach die Stille.

„Ein Auto“, zischte Basti.

„Danke fürs Update, Basti, aber das hören wir auch“, zischte Lorenzo zurück.

Es hörte sich an, als führe es vor dem Schülerheim vor. Es musste beim Haupteingang stehen geblieben sein, der lag direkt unter ihrem Fenster. Doch keiner der drei traute sich, nachzusehen. Der Motor lief. Autotüren wurden zugeschlagen. Dann fuhr es ab. Ziemlich rasant. Die Schüler wagten noch immer nicht, sich zu bewegen, sondern starrten ängstlich ins Leere.

Es war Basti, der als Erster seine Stimme wiederfand. „Ich sage euch, da ist etwas passiert nebenan. Was machen wir jetzt?“

„Einmal abwarten, ob noch irgendetwas kommt“, schlug Lorenzo vor. „Vielleicht will Schusselmayer uns ja nur testen, ob wir eh in unseren Betten bleiben.“

„Das macht der nicht“, wiedersprach Samy. „Wir sollten nachsehen.“

„Was ist, wenn er tot ist?“, fragte Basti.

„Warum sollte er tot sein?“, stellte Lorenzo eine Gegenfrage.

„Weil es sich angehört hat, als schleife jemand eine Leiche über den Boden“, sprach Basti aus, was ihnen allen durch den Kopf gegangen war.

„Was ist mit dem Auto?“

„Das war sein Mörder, der abgehauen ist“, schlug Basti vor.

Zehn Minuten später hielt es Samy nicht mehr aus. Er holte seine Taschenlampe aus dem Rucksack und ging zur Tür.

„Sei leise und mach auf gar keinen Fall das Licht an“, flüsterte Basti mit zitternder Stimme. Nun stieg auch Lorenzo aus dem Bett.

So leise wie möglich öffnete Samy die Tür. Hinter ihm stand nun Lorenzo. Basti blieb im Bett liegen, zog sich die Decke über den Kopf. Vorsichtig spähten sie den Gang entlang. Samy sah nach rechts und Lorenzo nach links. Der Flur lag im Dunkeln.

Lorenzo stieß Samy in die Seite. „Da, die Tür zum Lehrerzimmer ist nicht geschlossen. Nur angelehnt.“

Samy wagte es nicht, seine Taschenlampe einzuschalten. Lorenzo deutete ihm, zu folgen. Auf leisen Sohlen schlichen sie Richtung Zimmer. Mit der Spitze seines Zeigefingers schob Samy die Tür auf. Sie knarrte leise. Die beiden hielten kurz inne, dann blickten sie zeitgleich in das Schlafzimmer. Kalter Wind pfiff durch das sperrangelweit geöffnete Fenster. Das fahle Licht der Straßenlaternen beleuchtete den leeren, jedoch verwüsteten Raum. Ein zerbrochenes Wasserglas lag auf dem Holzfußboden, daneben lag ein umgestürzter Stuhl. Der Wasserkrug auf dem Tisch war umgekippt, eine Wasserlache hatte sich rundherum gebildet. Aber da war noch etwas. Ein dunkler Fleck am Fußboden, der sichtbar nicht vom Wasser herrührte. Lorenzo nahm Samy die Taschenlampe aus der Hand, schaltete sie ein und leuchtete den Holzboden ab. Fassungslos starrten die Burschen auf die Stelle. Das war eindeutig Blut. Frisches Blut.

„Da auch“, krächzte Samy und zeigte auf einen zweiten Blutfleck am Boden.

„Und da!“ Lorenzo leuchtete auf einen roten Fleck an der Wand. Das war eindeutig der Abdruck einer Hand.

„Lass uns abhauen“, schlug Samy vor.

„Puh“, kam es plötzlich von hinten.

Die beiden wirbelten erschrocken herum. Das Herz rutsche ihnen in die Hose.

Doch vor ihnen stand zum Glück nur Basti.

„Du bist ein Idiot“, riefen Samy und Lorenzo wie aus einem Mund.

„Was ist los? Ihr seht aus, als hättet ihr ein Gespenst gesehen.“

Flüsternd klärten sie ihren Freund auf.

„Nicht schon wieder eine Stinkbombe?“, hörten sie noch eine Stimme.

Samy presste Basti rasch die Hand auf den Mund, weil er laut aufschrie.

„Conny!“, zischte Lorenzo aufgeregt. „Du hast uns erschreckt. Was machst du denn hier?“

Samys Zwillingsschwester hielt ihr Handy in die Höhe und filmte.

„Ich hab ein Geräusch gehört und dachte, dass ihr wieder etwas ausheckt und wollte das dokumentieren.“ Sie zeigte mit der freien Hand auf ihr Handy.

„Was ist hier los? Ihr seid ja kreidebleich.“ Sie schwenkte ihr Telefon von einem zu anderen.

„Hör auf!“ Lorenzo schlug nach Connys Hand. Sie steckte das Handy ein. Mit einer Kopfbewegung gab er den anderen zu verstehen, dass sie zurück ins Zimmer gehen sollten. Samy schnappte seine Schwester am Ärmel ihres Nachthemdes und zog sie mit sich. Dort weihten sie Conny ein.

„Wahnsinn, das ist doch Wahnsinn. Um Gottes willen“, lamentierte sie aufgeregt. „Wir müssen sofort die Weissi holen.“

„Erst müssen wir wissen, was passiert ist“, sagte Samy.

„War da ein Mörder? Hat jemand Schusselmayer umgebracht?“ Basti zitterte.

„Keine Ahnung. Aber es sieht nach einem Verbrechen aus“, ergänzte Lorenzo.

Zurück im Zimmer der Jungs sperrten sie erst die Türe ab und beruhigten sich dann ein wenig. Sie machten kein Licht und unterhielten sich lediglich im Flüsterton. Auf Samys Bett sitzend zogen sie die Bettdecke wie ein Zelt über ihre Köpfe. So fühlten sie sich sicherer.

„Wenn der Schusselmayer tatsächlich ermordet wurde, dann hat der Mörder ihn aus dem Zimmer geschleift und dabei womöglich mit der blutigen Hand die Wand berührt“, schlussfolgerte Lorenzo. „Und am Ende hat er ihn ins Auto verfrachtet.“

„Wahrscheinlich hat ihn jemand erschlagen“, meinte Basti.

„Wie kommst jetzt da drauf?“, fragte Samy.

„Ich meine wegen dem Blut am Boden“, verteidigte sich Basti.

„Habt ihr die Tatwaffe gesehen?“, fragte Conny.

Die drei Burschen sahen sie fragend an. „Schauen wir aus wie Samy und die Detektive?“, fragte ihr Bruder zynisch.

Conny zog ihm eine Grimasse. „Dann benehmt euch auch nicht so. Erschlagen, Meisterdetektiv Basti.“

„Was schlägst du vor?“

„Wir holen jetzt die Weissi.“

„Das sagtest du schon“, knurrte Samy. „Und nein, auf gar keinen Fall.“

„Warum?“

„Weil … weil … ach, weil’s halt so ist und ich der Ältere bin.“

„Du bist zwei Minuten älter“, entgegnete Conny. „Das ist keine Leistung.“

„Der Mörder muss einen Komplizen haben“, unterbrach Lorenzo den Streit. „Erinnert euch, das Auto, das fährt sich nicht von allein hierher.“

Sie begannen zu überlegen. Hatte Professor Mayer Feinde? Welche? In welchen Kreisen hatte er sich bewegt? Sie wussten nur, dass er gerne Rockmusik hörte und Rockkonzerte besuchte. Er hatte ihnen einige Male davon erzählt.

„Leck im Zeppelin oder wie die heißen“, sagte Samy.

„Led Zeppelin“, verbesserte ihn Conny. „Die Band heißt Led Zeppelin, nicht Leck im Zeppelin.“

„Klugscheißerin“, knurrte Samy.